Neue Wege in der Schießausbildung:

Test & Technik | Virtra-Schießsimulator
Neue Wege in der Schießausbildung:
Vorsicht,
Hintermann!
Um möglichst realitätsnah Inhalte im Bereich der einsatznahen Schießausbildung zu vermitteln, die mit realen Mitteln nicht gefahrlos dargestellt werden
können, nutzen viele Behörden bereits Schießtrainingssimulatoren. Über die
Meritis AG kommt nun ein weiteres Geräte-System dieser Art nach Europa.
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Neben der mittels Laserlauf und CO2Trainingsmagazin umgerüsteten Dienstpistole (o.) lassen sich auch Trainingstaser und sogar Übungspfeffersprays in
die Simulation integrieren.
Z
um Kerngeschäft der Schweizer
Firma Meritis (www.meritis.ch) gehört die Sicherheitsberatung von
Unternehmen mit sensiblen Bereichen
wie große Konzerne, Banken, Versicherungen aber etwa auch Gas-, Wasserund Elektrizitätswerke. Hierzu zählt
aber nicht nur die reine Beratung sondern auch das Angebot von Ausrüstung
und Trainingsgerätschaften. Daher hat
das in Cham, Kanton Zug, ansässige Unternehmen nun auch den Europa-Vertrieb eines neuen Schießsimulatorsystems für Behörden übernommen.
Neues Konzept:
Das System kommt von Virtra Shooting
Simulation Systems (www.virtra.com),
einem US-Hersteller mit Sitz in Tempe
bei Phoenix, Arizona. Das Virtra-Trainingskonzept stützt sich auf videobasierte Szenarien, und hat einiges Neues
zu bieten. Dabei hält es am Grundprinzip des bewährten Konzepts mit auf eine
Leinwand projizierten Situationen fest,
bei denen der Schüler nach Anweisung
oder nach eigenem Ermessen zum Handeln gezwungen wird. Natürlich geht es
hier insbesondere um Szenarien, bei de-
nen im realen Fall die militärische oder
polizeiliche Intervention per Schusswaffe erfolgen würde. Gerade deren Einsatz und das entsprechende Verhalten
in immer wieder neuen Situationen soll
ja trainiert werden. Zudem soll der
Übende dabei möglichst unter der gleichen Stressbelastung agieren, wie er
dies im realen Fall tun müsste. Hier aber
ohne die Gefährdung anderer Übungsteilnehmer und Ausbilder, was sich beim
Training mit scharfen Waffen niemals
ganz ausschließen lassen würde. Das ist
vergleichbar mit der Pilotenschulung,
welche heute zu einem großen Teil in
einem Simulator abläuft – mit hoher
Effizienz notabene.
Analog zum Flugsimulator bietet das
neue Virtra-Trainingskonzept ähnliche
Finessen. Dass bei polizeilichen wie militärischen Schießübungen eine saubere Trefferanalyse unverzichtbar ist,
muss nicht näher erläutert werden. Das
bringen die meisten Laser-Trainingssysteme ohnehin obligatorisch mit. Das
Virtra-System bietet hier aber einiges
mehr. Anders als etwa beim derzeit bei
der Bundeswehr als Ausbildungsgerät
Schießsimulator für Handwaffen und
Panzerabwehrhandwaffen, kurz AGSHP,
Alle Simulationsszenarien werden mit
Schauspielern gefilmt. Dabei sieht das
Drehbuch jeweils viele erdenkliche,
unterschiedliche Handlungsstränge vor.
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Beim V-180 müssen die Übenden nicht nur auf das, was vor ihnen geschieht, sondern
auch auf das, was an ihrer Seite passiert, achten. Beim hier zu sehenden V-300 (o.)
sogar Bedrohungen von hinten auftauchen. Diese Systeme erlauben auch Szenarien,
bei denen die Koordination mit virtuellen Kollegen geübt werden kann.
genutzte Sagittarius-System von Thales
(siehe VISIER 8/2015) bietet Virtra auch
eine Version, die ohne Datenkabel und
Pressluftschläuche an den Simulationswaffen auskommt. Bei dieser Variante
des Virtra-Systems kann die persönliche
(scharfe) Waffe des zu Trainierenden
ganz simpel umgerüstet werden. Anstelle des Originallaufes setzt man ein mit
einem Laserpointer bestücktes Trainingsrohr ein. Dazu sind lediglich die
üblichen, ohnehin antrainierten Handgriffe nötig – mehr nicht. Und anstelle
des originalen wird ein Trainingsmagazin verwendet. Dieses enthält statt Patronen einen einfach wiederbefüllbebaren CO2-Tank und ein spezielles
Ventilsystem. Das wiederum sorgt –
ähnlich dem Blow-Back-System einer
Airsoft-Waffe – bei der Schussauslösung
für eine Bewegung des Schlittens. Der
Rücklauf des Verschlusses beim Repetieren ähnelt hierbei dem Rückstoß im
scharfen Schuss insofern, dass der
Schütze die Bewegung in der Waffe
deutlich spürt. Die CO2-Magazine für die
Rückstoßsimulation können an Ort und
Stelle wieder aufgefüllt werden. Mit einem speziellen Füllgerät geht das Auftanken mit CO2 in Sekundenschnelle.
Darstellung und Wahrnehmung:
Zudem wird der Schütze mit visuellen
und hörbaren Eindrücken beaufschlagt.
Dadurch soll er in der Regel die Situation
nach weniger als 30 Sekunden als absolut real wahrnehmen. Neben dem stres-
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senden Erfolgsdruck, das Ausbildungziel zu erreichen, spielt hier sicher auch
die Realitätsnähe der Darstellung eine
Rolle. Bei den Virtra-Videosequenzen
handelt es sich nicht um erkennbare
Computeranimationen, sondern realitätsnahe Filme mit mehreren optionalen
Ablaufsequenzen, welche mit Hilfe von
Schauspielern gedreht werden. Was die
Wahl der möglich Szenarien betrifft,
gilt: Alles, was man filmen kann, ist
möglich. Das macht das System so vielseitig, wie es die Phantasie des Auftraggebers nur fordern kann – ob schon mal
jemand über einen auf dem Rücken
schwimmenden Polizist, der ein paar
Geiselnehmer in einem Motorboot zur
Strecke bringt, nachgedacht hat, ist ungewiss. Aber auch so etwas kann auf
Wunsch der Wasserschutzpolizei gedreht und geliefert werden, falls einem
Ausbildungsleiter die hoffentlich bald
kommenden sommerlichen Temperaturen einmal allzu sehr in den Kopf steigen
sollten.
Darstellungsmöglichkeiten:
Vitra bietet die Projektionsflächen für
Simulationssysteme in drei unterschiedliche Ausbaustufen an. Die Einheit mit der kleinsten Projektionsfläche
heißt V-100. Hierbei handelt es sich um
eine rechteckige, ebene Leinwand. Beim
V-180 kommen zwei winkelig angesetzte
Leinwände hinzu, so dass der Aktionsbereich für die Übenden auf 180 Grad
anwächst. Beim V-300 kommen noch
zwei weitere Leinwände dazu. Das Ganze
bildet nun ein nur noch einer Seite offenes Sechseck und erlaubt eine nahezu
rundum Darstellung von 300 Grad. Um
die Bewegungsfreiheit der Übenden
nicht durch Projektoren oder Kameras
einzuschränken, kann die Projektion
wahlweise von außen, sprich: von
hinten auf die Leinwände, oder über an
Traversen aufgehängte Gerätschaften
erfolgen. Für die letztgenannte Anordnung bietet Virtra noch eine leicht erhöhte Trainingsplattform an. Um den
Simulationseffekt zu erhöhen können
die Trainierenden zudem mit kleinen Geräten am Gürtel ausgerüstet werden,
welche dem Getroffenen etwaige feindliche Wirkung durch einen leichten elektrischen Schlag oder starkes Vibrieren
vermitteln.
Die Wahl der Waffen:
Die in die Simulation integrierbaren
Waffen und Einsatmittel reichen vom
Pfefferspray über Taser bis hin zu Pistolen, MPis, Sturm- oder Präzisionsgewehren. Für den Einsatz im Simulator muss
lediglich der Lauf gewechselt oder ein
Präzisionslaser eingesetzt sowie, bei
Bedarf, das Magazin gegen ein Trainingsmagazin mit CO2-Füllung getauscht werden. Die zum Umbau nötigen
Teile bietet der Hersteller für die gängisten Dienstpistolen und -gewehrmodelle bereits an. Für alle technischen
Belange hat sich Importeur Meritis zudem die Mitarbeit des in der Schweizer
Waffenbranche renommierten Büchsenmachers Michael Vogt gesichert.
Fazit:
Das von Meritis angebotene Virtra-System dürfte zur Zeit eines der vielseitigsten und realistischsten Trainingssysteme für militärische und polizeiliche
Einsatzszenarien sein. Es erfüllt in hohem Masse alle bisher von Ausbildern
gewünschten Simulationsmöglichkeiten. Insbesondere können auch sehr
einfach eigene Szenarien an eigenen
Schauplätzen erstellt werden. Es erlaubt ein realitätsnahes Einsatzschießtraining mit der Originalwaffe, bei dem
potetielle Gefahren nicht nur von vorn
sondern auch von der Seite (Version
V-180) und sogar von hinten (Version
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V-300) auftauchen können. Mit allen polizeilichen Einsatzmitteln kann absolut
gefahrlos trainiert werden, trotz verblüffend realistischer Darstellung. Natürlich lässt sich das System sich auch in
der Schießgrund- und Wiederholungsausbildung einsetzen, was neben den
Munitionskosten auch die Fahrtkosten
zu den – hierzulande meist weit entfernten – Schießständen reduziert.
Auch spart es angesichts der wegfallenden Fahrten auch noch viel Zeit ein.
Text: Peter Pulver und Andreas Wilhelmus
Fotos: Firmenfotos
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Auch das geht mit
dem Virtra-System:
Für die Schießausbildung können
auch per Computer
animierte
Projektionen genutzt werden.
Links ein V-100
mit militärischem
Szenario, und
unten absolvieren
US-Polizisten ein
obligatorisches
Schießtraining.
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