6 RELIABILITÄTSANALYSEN Unter der Reliabilität eines diagnostischen Instruments versteht man den Grad an Genauigkeit, mit dem ein bestimmtes Merkmal gemessen wird, unabhängig davon, ob dieses Merkmal zu messen auch beansprucht wird. Reliabilität bezeichnet somit die Reproduzierbarkeit von Ergebnissen unter gleichen intersubjektiven Bedingungen (Kriz & Lisch, 1988). Neben der Validität und der Objektivität stellt sie eines der Gütekriterien für ein diagnostisches Instrument dar. Die Reliabilität wird in der Regel durch Reliabilitätskoeffizienten ermittelt, welche die Höhe der Zuverlässigkeit numerisch zum Ausdruck bringen. Zur Bestimmung der Reliabilität gibt es eine Reihe von methodischen Vorgehensweisen, die jeweils unterschiedliche Aspekte berücksichtigen und damit auch unterschiedliche operationale Zugänge zur Bestimmung mit einschließen (vgl. Lienert, 1973). Die Erfassung psychopathologischer Merkmale zu diagnostischen Zwecken geschieht häufig auf dem Nominalskalenniveau. Fremdbeurteilungen (Interviews) nehmen dabei einen viel größeren Raum ein als Selbstbeurteilungen. Die üblichen Verfahren zur Berechnung der Zuverlässigkeit können hier somit nicht zur Anwendung kommen. Aufgrund der heterogenen Fragen nach unterschiedlichen Sachverhalten scheidet die Halbierungsmethode aus. Da in der Regel keine parallelen Befragungsschemata vorhanden sind, kann auch das Paralleltestverfahren als Prüfverfahren nicht eingesetzt werden. Einzig bietet sich die Retestmethode an, bei der eine Wiederholung der Befragung vorgenommen wird. Die Ergebnisse solcher Reinterviews fallen jedoch sehr unterschiedlich aus. Dies kann daran liegen, daß subjektive Einschätzungen weniger stabil sind und im Laufe der Zeit fluktuieren (Asendorpf, 1996). Da dieses Verfahren sehr zeitaufwendig ist, bedient man sich zur Überprüfung des Kriteriums der Reliabilität oftmals der Beurteilerübereinstimmung. Diese gibt Auskunft darüber, inwieweit das Ergebnis durch einen zweiten unabhängigen Rater reproduzierbar ist. Bei der Überprüfung der Übereinstimmung zweier Beurteiler interessiert zum einen der Anteil an Beurteilungen, bei welchem die Rater übereinstimmen, zum anderen der Anteil an Beurteilungen, bei denen eine Übereinstimmung per Zufall zu erwarten ist. Mittels des Cohen-Kappa-Koeffizienten werden diese Größen miteinander verglichen (Cohen, 1960): K = p 0 − pc , 1 − pc wobei p0 = die beobachtete relative Häufigkeit und pc = die erwartete relative Häufigkeit zufälliger Übereinstimmungen ist. 79 Kapitel 6 Reliabilitätsanalysen Dieser Koeffizient beinhaltet eine Zufallskorrektur; er kann Werte zwischen -1 und +1 annehmen. Des weiteren sind die Verteilungseigenschaften bekannt, so daß ein statistischer Signifikanztest durchgeführt werden kann. Bei der Berechnung und Interpretation des Kappa-Koeffizienten sind jedoch einige Probleme zu berücksichtigen. So kann sich der Fall ergeben, daß beide Beurteiler in allen Fällen der Meinung sind, ein Symptom sei nicht vorhanden (weil es sich dabei z.B. um ein sehr seltenes Symptom handelt), d.h. der Fall fehlender Varianz vorliegt. Die beobachtete relative Häufigkeit der Übereinstimmung erreicht dabei einen Wert von 1, ebenfalls die erwartete relative Häufigkeit. Setzt man diese beiden Werte nun in die Formel ein, läßt sich Kappa nicht mehr berechnen. Es sind nun mehrere Kombinationen denkbar, unter denen der Cohen-Kappa-Koeffizient nicht zu berechnen ist. Beim Einsatz dieses Verfahrens zur Bestimmung der Reliabilität eines diagnostischen Instrumentes müssen diese Nachteile bei der Interpretation der Werte auf jeden Fall berücksichtigt werden. 80
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