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SCHWEIZER JÄGER 05 | 16
MONATSTHEMA
Fischotter –
Rückkehrer mit
Chance?
Originaltext: Hans Schmid, Kurzfassung: Elisa Mosler
Foto: Reiner Bernhardt
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Der Fischotter war bis gegen Ende des
19. Jahrhunderts in der ganzen Schweiz noch
weit verbreitet. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts
starb der ans Wasser gebundene Otter bei
uns jedoch aus. Doch man weiss nicht genau,
warum er verschwand und heute wieder in die
Schweiz zurückkehrt.
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MONATSTHEMA
I
Jäger an Land und im Wasser
An tierischer Beute fressen Fischotter alles, was sie überwältigen können, und in Notzeiten verzehren sie sogar pflanzliche Nahrung. Fischotter jagen – abhängig von der vorhandenen Beute – auch gezielt diejenigen Tiere, bei welchen der
Jagdaufwand und der Beuteertrag in einem optimalen Verhältnis stehen. Sogar ihre Aktivitätszeiten passen sie an die saisonale Hauptbeute an. Bei der Jagd im Wasser tauchen Fischotter kaum tiefer als sechs Meter. Die Tauchgänge dauern in der
Regel ein bis zwei Minuten, in Extremfällen kann die Tauchzeit
aber schon mal bis sieben Minuten währen. In Bächen stöbern
die Fischotter die Fische auf und verfolgen sie dann oft mehrere Minuten lang.
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Bild rechts aussen
Als Nahrungsopportunist
stehen auch Jungvögel auf
dem Speisezettel.
Bild unten
Stehen Fische tief in einem
Gewässer, haben sie kaum
etwas vom Fischotter zu
befürchten.
Foto: Naturpix.ch/Ganser-Hemmi
Ein Einzelgänger
Fischotter leben einzelgängerisch, besonders Artgenossen des
gleichen Geschlechts werden aus den eigenen Gebieten vertrieben. Die Männchen legen ihre Reviere so an, dass diese mehrere nahe aneinander liegende Weibchenreviere überlappen.
Fischotter markieren ihre Gebiete mit Kot an auffälligen Stellen und können auf diese Weise nachgewiesen werden. Sie sind
während des ganzen Jahres fortpflanzungsfähig, so dass Jungtiere zu allen Jahreszeiten geboren werden. Die Wurfgrösse beträgt zwischen einem und drei Jungen, in seltenen Fällen auch
vier Junge, welche mit geschlossenen Augen und zahnlos auf
die Welt kommen. Die jungen Fischotter beginnen im fünften
Lebensmonat erstmals einen geringen Anteil der Beute selber
zu fangen, bis sie dann im dreizehnten Lebensmonat ihren gesamten Nahrungsbedarf selbständig decken. Beobachtungen
in Zoologischen Gärten weisen darauf hin, dass sich die Mutter
aktiv um den Lernprozess ihrer Jungen bemüht. Gelegentlich
fängt die Mutter einen Fisch, ohne diesen zu töten. Sie bringt
den Fisch zu ihren Jungen an Land, welche anfänglich die zappelnde Beute zurückhaltend begutachten und dann allmählich
lernen, sie selber zu töten. Der gleiche Lernprozess konnte im
Wasser mit erschöpften, aber noch lebenden Fischen beobachtet werden.
Bild rechts
Der Jagderfolg ist in Flüssen
und grossen Bächen geringer
als in kleinen Fliessgewässern.
Foto: Naturpix.ch/Ganser-Hemmi
n der Schweiz gab es nur eine Otterart – den Eurasischen Fischotter. Weltweit unterscheidet man zwischen 13 bis 14 Arten. Die grösste wird bis zu 2,4 Meter lang und kommt in Südamerika vor. Der typische
Lebensraum des Fischotters weist stets grossräumige
Gewässernetze auf. Entscheidend für das Überleben
des Fischotters ist genügend und gut erreichbare Nahrung.
In Seen beispielsweise leben zwar meist reichlich Fische,
oft sind diese für den Fischotter aber nur schwer erreichbar: Hier vermögen die Fische ins tiefe Wasser zu fliehen,
wo der Fischotter nicht mehr erfolgreich jagen kann. Auch
in Fliessgewässern ist sichere Beute nicht immer garantiert: Untersuchungen haben gezeigt, dass der Jagderfolg
der Fischotter in Flüssen und grossen Bächen geringer ist
als in kleinen Bächen. Insbesondere in Flüssen ist der Fischotter für erfolgreiches Jagen auf Strukturen wie Höhlen, Löcher oder Pflanzensäume angewiesen, wo er die versteckten Fische aufstöbern und genügend lang verfolgen kann.
Aus diesem Grund sind etwa Flachwasserzonen bevorzugte
Jagdgründe. Im Lebensraum von Fischottern muss es zudem
genügend Deckung haben, damit sich die Tiere vor Feinden
und bei Störungen zurückziehen können.
Foto: Naturpix.ch/Ganser-Hemmi
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«Tauchgänge eines Fischotters dauern in
der Regel ein bis zwei Minuten,
in Extremfällen sogar sieben Minuten.»
An Land kann die Zusammensetzung der Nahrung saisonal stark
variieren: Bei Amphibienwanderungen, Vogelbrutzeiten oder
Vogelzug bedienen sich Fischotter vermehrt an diesen Beutevorkommen.
ten, dass sich die Tiere anfänglich erfolgreich fortpflanzten,
jedoch nach etwa zehn Jahren wieder verschwunden waren.
Leider konnten die Ursachen des Misserfolges nicht erkannt
werden.
Ursachen für das Aussterben sind unklar
Wie konnte denn ein solcher Nahrungsopportunist wie der
Fischotter in der Schweiz aussterben? Bis gegen Ende des
19. Jahrhunderts war der Fischotter eine einheimische Tierart, welche sämtliche Gewässerlebensräume bis 1600 m ü. M.
besiedelte. Per Fischereigesetz von 1888 beschloss die Eidgenossenschaft jedoch, den Fischotter auszurotten, um die Fischereierträge anzuheben. Die Jagd auf den Fischotter wurde
sogar staatlich intensiv gefördert. In der Folge nahmen die Bestände stetig ab, dies auch nachdem die Art 1952 schliesslich
durch ein Jagdverbot geschützt wurde. Die lokalen Vorkommen
verschwanden, ohne dass die Ursachen erkannt wurden. Der
letzte Nachweis eines wildlebenden Fischotters in der Schweiz
wurde 1989 am Neuenburgersee erbracht.
Auf der Suche nach den Ursachen für das Aussterben der Fischotter wurden mehrere Ideen geprüft. Eine davon war die PCBHypothese. Sie besagt, dass der Rückgang des Fischotters in
Europa ausschlaggebend durch eine chronische Vergiftung der
Tiere mit polychlorierten Byphenylen (PCB) aus Fischen verursacht wurde. Unterstützt wird diese Vermutung durch Resultate
von Laborversuchen an amerikanischen Nerzen, die mit dem
Fischotter nahe verwandt sind. Es kam bei den mit PCB belasteten Nerzen zu einer verminderten Fortpflanzungsfähigkeit oder
sie brachten überhaupt keine überlebensfähigen Jungen mehr
auf. Die Übertragbarkeit dieser Resultate auf die Verhältnisse
beim Fischotter wurde allerdings nie geklärt. Die PCB-Hypothese wurde anhand der Untersuchung von tot aufgefundenen Fischottern später klar abgeschwächt. In einer als gesund
beurteilten Population auf Shetland stellte man fest, dass pro
Fischotter der durchschnittliche PCB-Wert im Leberfett so hoch
ausfiel, dass die untersuchten Tiere laut These schon lange ver-
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Wiederansiedlungsversuche von Fischottern der 1970er in geeigneten Gewässern blieben erfolglos. Die Beobachtungen zeig-
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Foto: Reiner Bernhardt
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giftet hätten verenden müssen. Die Resultate zeigen deutlich,
dass die Wirkung der PCBs auf das Überleben einer Fischotterpopulation überbewertet wurde und im Zusammenhang mit anderen Umweltfaktoren neu beurteilt werden musste.
Es stellte sich damit weiterhin die Frage, weshalb der Fischotter in der Schweiz verschwand? Eine eigene Untersuchung
im Zoo Zürich führte zur Nahrungshypothese: Im Zoo Zürich
wurde der Einfluss der Umgebungstemperatur auf das Verhalten und das Körpergewicht eines männlichen und eines weiblichen Fischotters untersucht. Dabei wurde beobachtet, dass bei
abnehmender Umgebungstemperatur die beiden Tiere relativ
rasch an Körpergewicht verloren, wenn sie nicht eine höhere
Futtermenge bekamen.
Somit liegt die Vermutung nahe, dass Fischotter kaum über Isolationsmechanismen zum Schutz vor Kälte verfügen und dass
Energiereserven im Körper äusserst beschränkt sind. Die Überlebensstrategie der beiden Fischotter im Zoo Zürich war sichtlich darauf ausgerichtet, bei kälteren Umgebungstemperaturen
mehr Nahrung aufzunehmen. Dass Fischotter Nahrungsvorräte
anlegen, um Zeiten der Nahrungsknappheit erfolgreicher zu
überstehen, ist nicht bekannt.
Die Beobachtungen im Zoo Zürich führten zur Hypothese,
wonach die zeitlich lückenlose Verfügbarkeit von ausreichend
Beute für das Überleben von Fischottern entscheidend ist. Dabei ist zu beachten, dass der Nahrungsbedarf bei tiefen Umgebungstemperaturen vermutlich am höchsten ist. Fällt also
während einer gewissen Zeitspanne von möglicherweise nur
einigen Wochen ein knappes Nahrungsangebot mit tiefen Umgebungstemperaturen zusammen, dürfte ein Engpass entstehen, der das Überleben einer Fischotterpopulation gefährdet.
Die jahreszeitliche Verteilung von Sterblichkeit und Körpergewicht bei Fischottern sprechen für die Nahrungshypothese: Im
Meer sowie in Fliessgewässern ist die natürliche Sterblichkeit
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Die lückenlose Verfügbarkeit
von Beute ist für das Überleben
von Fischottern entscheidend.
der Fischotter (ohne Verkehrsopfer) Ende Winter nachweislich
am höchsten. Diese saisonal erhöhte, natürliche Sterblichkeit
hängt zeitlich eng mit einer geringen Verfügbarkeit der wichtigsten Beutetiere zusammen. Die naheliegendeste Erklärung
für diesen Befund ist, dass Fischotter über knappe Fettreserven verfügen und die Überlebenswahrscheinlichkeit stark sinkt,
sobald Fettreserven abgebaut werden müssen. Eine Nahrungsknappheit im Meer sowie in Fliessgewässern könnte somit die
Hauptursache für die natürliche Sterblichkeit der Fischotter
sein. Neuere Untersuchungen weisen darauf hin, dass mehrere Faktoren zum Aussterben führten und dass die Zusammenhänge wissenschaftlich nicht nachträglich nachgewiesen
werden können.
Doch seit 2009 wird pro Jahr mindestens ein Fischotter in der
Schweiz gesichtet und 2015 wurde im Kanton Bern sogar Nachwuchs nachgewiesen. Der Fischotter kehrt also von selbst wieder zurück. Hat der Fischotter durch die Aufwertung von unseren Gewässern wieder eine gute und stabile Nahrungsgrundlage
gefunden? Oder ist die Belastung der Fische mit Umweltgiften
zurückgegangen? Der Fischotter ist bestimmt eine spannende
Art, die es in den nächsten Jahren zu beobachten gilt.
Originaltext von Hans Schmid
(2005) Der Fischotter. WILDBIOLOGIE, Biologie einheimischer
Wildtiere 1/38a, 20 Seiten
Kurzfassung von Elisa Mosler
im Auftrag von WILDTIER SCHWEIZ. Original mit weiteren
Informationen erhältlich auf www.wildtier.ch/shop