Brennpunkt Golan: Wie sich Israel vor Angriffen aus Syrien schützt – Seite 3 Gallery Weekend in Berlin: Drei Tage Kunst, 300 Galerien, drei Seiten Vorschau – Seiten 21 bis 23 BERLIN, FREITAG, 29. APRIL 2016 / 72. JAHRGANG / NR. 22 743 WWW.TAGESSPIEGEL.DE Air Berlin verspricht Trendwende Ein Anflug von Patriotismus Das Universum des Michael Müller Von Kevin P. Hoffmann E Foto: Dpa/ Bildfunk; Fotolia; Montage: Mika Der Regierende Bürgermeister und künftige SPD-Chef traut kaum einem über den Weg, aber im guten alten Tempelhof ist die Welt für ihn noch in Ordnung – Seite 7 Die Charité schreibt Tarif-Geschichte Erstmals wird heute ein Beschäftigungsvertrag mit verbindlicher Mindestbesetzung unterzeichnet Von Hannes Heine Berlin - An der Charité wird heute der bundesweit erste Tarifvertrag unterzeichnet, der einer Klinik verbindliche Personalschlüssel vorschreibt. Damit geht einer der ungewöhnlichsten Tarifkonflikte des Landes zu Ende. Die Universitätsklinik wird nun nach heftigem Streit mit den in Verdi organisierten Beschäftigten mehr Pflegekräfte anstellen: Intern wird von 220 Neuen ausgegangen, bislang arbeiten 4300 Pflegekräfte an der landeseigenen Charité. Die Gewerkschaft hatte über Jahre nicht zuvorderst mehr Lohn, sondern eine Mindestbesetzung auf den überlasteten Stationen gefordert. Der Charité-Vorstand lehnte das ab, weil der Personalbedarf von der jeweiligen Zahl und dem Zustand der Patienten abhänge – und weil die für die Personalkosten zuständigen Krankenkassen nicht mehr Geld in Aussicht stellten. Kürzlich hatte der Vorstand aber mehr Personal geboten, in einer Urabstimmung haben sich nun 89,2 Prozent der Verdi-Mitglieder in der Charité für das Angebot ausgesprochen. Wissenschaftssenatorin und Charité-Aufsichtsratsvorsitzende Sandra Scheeres (SPD) sagte: „Der Tarifvertrag ist deutschlandweit einmalig und wegweisend. Gerade darum ist es notwendig, dass Bund und Krankenkassen endlich für eine bessere Finanzierung der Pflege sorgen.“ Der Charité-Vorstand ist in eine Art Vorkasse gegangen, denn die Versicherungen werden nicht mehr Geld für die Patientenbehandlung geben, selbst wenn dort bald mehr Pflegekräfte arbeiten. „Der Abschluss ist ein Novum, bundesweit“, sagte Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU). „ Er wird hoffentlich Signalwirkung entfalten. Ein guter Tag nicht nur für die Charité, sondern für die gesamte Krankenhauslandschaft.“ Tatsächlich wird schon in anderen Kliniken mehr Personal gefordert, um Stress, Überstun- „Das wird hoffentlich Signalwirkung entfalten“ Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) den und Behandlungsfehler zu vermeiden. Die meisten Häuser gelten als personell knapp besetzt, während die Zahl der Patienten steigt. Von anderen Klinikvorständen ist die Charité deshalb beobachtet worden. Auch in den ebenfalls landeseigenen Berliner Vivantes-Kliniken wün- C Regierung will nicht mehr ermächtigen Minister Maas gegen Eingriffe in die Justiz bei Straftaten gegen fremde Staaten Berlin - Die Bundesregierung soll sich nach dem Willen von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) bei der Verfolgung von Straftaten gegen ausländische Staaten künftig ganz heraushalten. Dies geht aus einem Entwurf des Ministeriums zur Abschaffung des Paragrafen 103 hervor, der bisher noch die Beleidigung ausländischer Staatspräsidenten unter Strafe stellt. Wegen dieses Delikts ermittelt derzeit die Mainzer Staatsanwaltschaft gegen den TV-Satiriker Jan Böhmermann, nachdem der türkische Präsident Erdogan ein Strafverfahren verlangt hatte. Nach dem Entwurf, der dem Tagesspiegel vorliegt, soll künftig auch bei anderen Delikten wie etwa der „Verletzung von Flaggen und Hoheitszeichen ausländischer Staaten“ oder Angriffen gegen deren Organe und Vertreter auf die sogenannte Strafverfolgungsermächtigung verzichtet werden. Diese Voraussetzung erscheine „entbehrlich“, heißt es in dem Entwurf, es bedürfe des „Eingriffs in die BERLIN / BRANDENBURG 1,50 €, AUSWÄRTS 2,00 €, AUSLAND 2,20 € Justiz“ nicht. Bisher ist Staatsanwaltschaften die Verfolgung dieser Delikte nur möglich, wenn die Regierung dies ausdrücklich genehmigt. Hintergrund ist, dass die Bundesregierung selbst beurteilen soll, ob sie strafrechtliche Ermittlungen zum Schutz ihrer auswärtigen Beziehungen benötigt. Im Fall Böhmermann hatte die Bundesregierung die Ermächtigung am 15. April gegen die Stimmen der SPD-geführten Ministerien erteilt und damit erhebliche Kritik auf sich gezogen. Paragraf 103 soll künftig ganz entfallen. Der Tatbestand bestraft die Beleidigung ausländischer Staatschefs mit bis zu drei Jahren, bei Verleumdungen sogar bis zu fünf Jahren. Die einfache Beleidigung, wie sie in Deutschland jeder gegen jeden zur Anzeige bringen kann, wird dagegen nur mit bis zu einem Jahr Haft oder Geldstrafe bedroht. „Dieser erhöhten Strafandrohung bedarf es nicht“, stellt der Entwurf fest. Für den Ehrenschutz von Organen und Vertretern ausländischer Staa- ten erschienen die einfachen Beleidigungsdelikte ausreichend. Andere Staaten wie Frankreich, Schweden und Finnland hätten solche Strafvorschriften abgeschafft. „Eine Verschlechterung der Beziehung zu ausländischen Staaten ist nicht zu befürchten.“ Auch erfordere das Völkerrecht keinen besonderen Ehrenschutz für ausländische Repräsentanten. Die SPD dringt auf Eile und will den Entwurf zügig verabschieden. Dem Verfahren gegen Böhmermann würde damit im Hinblick auf Paragraf 103 der Boden entzogen werden. Übrig blieben Ermittlungen und eine mögliche Anklage wegen einfacher Beleidigung, für die Erdogan bei der Mainzer Staatsanwaltschaft ebenfalls einen Strafantrag stellen ließ. Die Frage, wann die geänderte Fassung des Strafgesetzbuchs in Kraft treten soll, lässt der Entwurf ausdrücklich offen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will den umstrittenen Paragrafen erst 2018 abschaffen. Jost Müller-Neuhof — Meinungsseite Petry sieht Begriff „völkisch“ entspannt WIRTSCHAFT & BÖRSEN . . . . . . . . 15–17 Nach einer spannenden Dax Schlussrally legte der Dax doch noch um 0,2 Prozent auf 10 321 Punkte zu. WETTER schen sich Schwestern und Pfleger mehr Personal, dort wiederum sitzt Senator Czaja im Aufsichtsrat. Der Verdi-Verhandler Carsten Becker, selbst Charité-Pfleger, sagte: Der Abschluss sei der erste Schritt einer bundesweiten Bewegung für mehr Personal – mit dem Ziel, bessere Klinikfinanzierung gesetzlich zu regeln. Konkret bedeutet der Tarif: Eine Pflegekraft auf den Intensivstationen versorgt im Schnitt zwei Patienten pro Schicht, bislang waren es oft bis zu fünf Kranke. Auf den Normalstationen soll es keinen festen Personalschlüssel geben. Dort soll ein Verfahren gelten, wonach eine Fachkraft pro Schicht sieben bis zehn Patienten versorgt, noch sind es oft bis zu zwölf Kranke. Der Charité-Aufsichtsrat muss noch zustimmen, was als Formsache gilt. D INDEX ........................................... 2 Der Freitag startet in Berlin und Umgebung trocken und nur leicht bewölkt. 14 /5 Tagsüber ist es dann sehr sonnig. Später ziehen wieder Wolken auf, es bleibt aber sonnig und trocken. SPORT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 + 20 TAGESTIPPS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 MEDIEN/TV-PROGRAMM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 IMPRESSUM & ADRESSEN . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 [email protected] TEL. REDAKTION . . . . . . . . . . . . (030) 29021 - 0 TEL. ABO-SERVICE . . . . . . (030) 29021 - 500 TEL. SHOP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (030) 29021 - 520 TEL. TICKETS . . . . . . . . . . . . . (030) 29021 - 521 ISSN 1865-2263 50017 Fotos: Sebastian Black/Courtesy Croy Nielsen, Berlin — Seite 15 Schön ist’s in Chisinau: Hertha im Europapokal – 11 Freunde, Seite 18 Deutsche Luftfahrt Neue Strategie nach Rekordverlust 2015 Berlin - Weniger Passagiere, weniger Umsatz und fast eine halbe Milliarde Euro Verlust für das abgelaufene Geschäftsjahr bei Air Berlin: Vor diesem Hintergrund stellt die Führung der chronisch defizitären Fluggesellschaft ihren Mitarbeitern und Anlegern eine Trendwende noch in diesem Jahr in Aussicht. „Wir sind davon überzeugt, dass wir 2016 eine deutliche Verbesserung des operativen Ergebnisses sehen werden“, sagte Vorstandschef Stefan Pichler am Donnerstag in Berlin. Er führt seit gut einem Jahr die Geschicke der nach Lufthansa zweitgrößten deutschen Airline. Am Standort Berlin ist Air Berlin vor den Marken der Lufthansa-Gruppe und Easyjet Marktführer – und beschäftigt rund um den Flughafen Tegel rund 2000 Menschen. In der Nacht zum Donnerstag hatte die Berliner Zentrale im Internet den Jahresabschluss veröffentlicht. Demnach hat sich der Nettoverlust innerhalb eines Jahres von knapp 377 Millionen Euro (2014) auf nun knapp 447 Millionen Euro (2015) ausgeweitet. Auch die Umsätze gingen zurück–um etwa zweiProzent auf4,08Milliarden Euro. Als Grund führte Pichler unter anderem an, dass Air Berlin im vergangenen Jahr nur in geringem Umfang von der günstigen Kerosinpreisentwicklung habe profitieren können. Seinen Optimismus begründete Pichler damit, dass „die wesentlichen operativen Kennziffern in die richtige Richtung“ zeigten. So sei zum Beispiel die Auslastung der Flieger gestiegen. Zudem kündigte Pichlereine Neuausrichtung an.„Es ist unser Ziel, die Marke stärker im PremiumSegment zu verankern“. Man setzte verstärkt auf Geschäftsreisende. Die vor 38 Jahren gegründete Airline war mit günstigen Flügen nach Mallorca und anderen Sonnenzielen groß geworden, ist mittlerweile aber eng mit der arabischen FluggesellschaftEtihad verbandelt, die im höherpreisigen Segment fliegt. Etihad gewährte Air Berlin einen weiteren Kredit, wurde jetzt bekannt. kph Kochakademie: Workshops für Feinschmecker – Seite 14 Berlin - Drei Jahre nach ihrer Gründung will die Alternative für Deutschland am Wochenende erstmals ein Parteiprogramm beschließen. Den mehr als 2000 erwarteten Teilnehmern des Parteitags liegt der Programmentwurf des Vorstands vor, mit dem die mittlerweile vor allem wegen ihrer rechtspopulistischen Positionen aufsteigende AfD ihre Ablehnung des Islam zementieren will. Unter Hinweis auf die Regel, keine Mitglieder aufzunehmen, „die jemals in der NPD waren“, wehrte sich die Parteivorsitzende Frauke Petry gegen den Vorwurf, die AfD rücke immer weiter nach rechts. Im „RTL- Nachtjournal“ sagte sie aber auch: „Wir sollten mit dem Begriff Volk und völkisch entspannter umgehen.“ Sich für das eigene Volk einzusetzen, sei die Hauptaufgabe jedes Politikers. Tsp 4 190662 202006 — Seite 2 s gibt viele Triebfedern für die Globalisierung. Eine davon ist der Geiz – oder der Zwang, sparsam leben zu müssen. Es kommt aufs Gleiche raus: Die Menschen in Deutschland schauen verhältnismäßig oft und gern auf den Preis. Patriotismus beim Einkaufen? Morgen vielleicht. Diese Besonderheit hat schon manchen Wirtschaftszweig hierzulande in die Strukturkrise getrieben: Als die Nähmaschine Bangladesch und die Philippinen erreichte, machten Firmen wie Triumph und Schiesser hier Werke dicht. Als die Japaner von Sony in den 1980ern günstige Unterhaltungselektronik auf den Weltmarkt brachten, wurde es hart und härter für Telefunken, Grundig und Loewe. Als Peking begann, Milliarden in Solarmodulfabriken zu pumpen, kam das Aus für Q-Cells und Solon. So ist der Gang der Dinge. In all diesen Fällen halfen weder Importzölle noch Gemoser über mangelnde Vaterlandsliebe mündiger Kunden. „Made in Germany“Kampagnen sind weitgehend wirkungslos und einer Volkswirtschaft unwürdig, deren Stärke sich aus dem Export und der internationalen Zusammenarbeit speist. Dieses Land war und ist ökonomisch dort erfolgreich, wo seine Unternehmer sich auf neue und hochwertigere Teile der Wertschöpfungsketten von Produkten und Dienstleistungen gestürzt haben. Dort, wo sie mit ausländischen Investoren und Ideengebern kooperieren. Umso schiefer wirken vor diesem Hintergrund viele Töne in der deutschen Luftverkehrswirtschaft, die permanenten Warnungen vor hochsubventionierten Airlines vom Persischen Golf, die Kritik am Einstieg der arabischen Fluggesellschaft Etihad Airways bei der defizitären Air Berlin. Das klingt meist so: Air Berlin wird von den Scheichs doch nur mit Petrodollar-Krediten am Leben gehalten, damit sie einen Fuß im europäischen Markt haben. Und damit Air Berlin uns reisefreudige Deutsche nur übers Drehkreuz in Abu Dhabi in den Fernosturlaub befördert, in der Hoffnung, dass wir dort auch ein paar Euro beim Shoppen lassen. Ja. Stimmt. Und? Air Berlin wäre ohne diesen Investor längst pleite, die 7000 Jobs weg, die Stammkunden längst aufgesogen von europäischen Konkurrenten, bei denen die Arbeitsbedingungen und Gehälter für Piloten und Stewards oft alles andere als vorbildlich oder human sind. Air Berlin hat 2015 fast eine halbe Milliarde Euro verbrannt – vor allem, weil sich die Manager beim Einkaufspreis des Flugbenzins verzockt haben. Irgendwas ist immer. Erst Unfähigkeit, dann Pech. Vielleicht bringt ja der neue Fokus auf besseren Service und Geschäftsreisende die Wende. Beim übergroßen Rivalen Lufthansa aus Frankfurt ist es genau andersherum. Dort wettert man gegen die staatlich subventionierte Konkurrenz der Araber von Etihad, Emirates und Qatar und wendet sich mit der neuen Tochter Eurowings verstärkt dem billigerem Segment zu, also eben jenem, das Air Berlin mithilfe seines Partners aus dem Morgenland verlassen will. 2015 verdiente Lufthansa 1,8 Milliarden – auch, weil der Konzern mehr Glück beim Zocken mit dem Ölpreis hatte. Warum das Gejammer? Über Fluggesellschaften wird zu Recht leidenschaftlicher diskutiert als über Dichtungsringe oder Solarmodule. Doch die höchst unterschiedliche Entwicklung der beiden größten deutschen Airlines beweist wieder einmal: Nationale Töne im Geschäft klingen in manchen Ohren gut. Argumente transportieren sie nicht. ANZEIGE VERLÄNGERT! 50% 16 02.05.201 ALLES $ % &# ! "# $% * * ' #' (# ) 25 AUF: IS MONTA UHR % R FREITAG SAMS TAG MON TAG 29. 30. A A 2. MA !" # www.flamme.de
© Copyright 2024 ExpyDoc