8 Die Zukunft der urbanen Mobilität Im Fokus Eine neue Website zeigt alle Facetten der Logistik in Ballungszentren: www.metropolitanlogistic.de DVZ • NR. 33 • DIENSTAG, 26. APRIL 2016 Metropolitan Logistic Logistikwerkstatt im Stadtzentrum FOTOS: FOTOLIA (7); DPA (5) ; 123RF (2); DHL Ballungsräume sind ein Schmelztiegel für Belieferungsstrategien, neue Geschäftsmodelle, Start-ups, Lösungen für die letzte Meile sowie zukunftsfähige Ver- und Entsorgungskonzepte. Die DVZ beschreibt in einer neuen, monatlichen Serie die wichtigsten Handlungsfelder bei der Gestaltung urbaner Mobilität von morgen. Handel Same Day Delivery Wer etwas im Internet bestellt, möchte es in der Regel sofort haben. Das ist der Gedanke hinter der Same Day Delivery, also der taggleichen Zustellung. Dabei versprechen einige Anbieter die Auslieferung innerhalb von 90 Minuten. Ein derart schneller Service, wie es ihn für die Zustellung von Medikamenten bereits seit langem gibt, ist natürlich nicht über weite, ländliche Strecken möglich, sondern funktioniert in Ballungszentren und Großstädten. Die Zustellung geschieht oft nicht aus dezentralen Logistikzentren, sondern aus Stationärgeschäften des Onlinehändlers. Laut dem Beratungsunternehmen McKinsey steckt in der taggleichen Lieferung in Westeuropa ein Marktpotenzial von 3 Mrd. EUR bis 2020. Von diesem Kuchen wollen die etablierten Kep-Unternehmen natürlich etwas abhaben und beteiligen sich an Unternehmen wie Liefery oder Tiramizoo. Die Konkurrenz in diesem Bereich ist erheblich. Der Internetriese Amazon bietet taggleiche Lieferung in 14 deutschen Metropolregionen. (rok) Digitalisierung Apps und Plattformen können die Paketzustellung vereinfachen oder die Belieferung von Städten revolutionieren. Zahlreiche Start-ups versuchen derzeit Lösungen am Markt zu etablieren, die die Paketzustellung vereinfachen sollen. In Deutschland gehört dazu zum Beispiel Boxmesh. Deren Geschäftsmodell ist ausgerichtet auf die Digitalisierung der Paketannahme, indem Nachbarn miteinander vernetzt werden, um den Empfang der Pakete besser zu koordinieren. Beim vom Kontraktlogistiker LGI gegründeten Service Pakadoo wiederum steht die Zustellung privater Pakete an den Arbeitsplatz im Mittelpunkt. Parcello analysiert Tausende von Sendungen und berechnet daraus die voraussichtliche Ankunft eines Pakets. Für besonders großes Aufsehen sorgt derzeit aber das Start-up Urbismart in Frankreich. Die Idee dahinter: eine Art Shared-Truck-Plattform für die Stadtbelieferung. Urbismart bedient sich dabei der künstlichen Intelligenz. (cs) Immobilien E-MOBILITÄT Die künftige Versorgung von Ballungsräumen und Großstädten stellt völlig neue Anforderungen an das Rückgrat der Supply-Chain-Strukturen, die Logistikimmobilien. Die wachsenden innerstädtischen Güterströme müssen entzerrt werden. E-Mobile können leise und sauber in den Nachtstunden unterwegs sein. Same Day oder Same Hour Delivery, Lieferung an eine zentrale Packstation oder eine Uber-App für die private Mitnahme von Paketen für den Nachbarn: In den Städten ändern sich die logistischen Ströme massiv, und die Logistikimmobilien müssen sich anpassen. Künftig werden die einzelnen Abnahmestellen in den Städten nicht mehr zentral von einem großen Distributionszentrum aus mit großen Fahrzeugen nach der Milkrun-Logik versorgt. Stattdessen werden kleine, stadtteilbezogene Logistikanlagen entstehen, die im Direktverkehr beliefert werden. Von diesen zentral gelegenen Stellen aus werden die Geschäfte in der Umgegend versorgt, E-Commerce-Lieferungen zum Endkunden gebracht oder von diesem im Drive-in-Verfahren abgeholt. Der vergleichsweise geringe Platzbedarf erlaubt es, die Standorte der Mini-Depots flexibel zu wählen – zum Beispiel in Parkhäusern. (ben) Letzte Meile Der Onlineboom beschert den Paketdiensten viel Arbeit. Bei den Lieferkonzepten hakt es aber noch. Der Druck wächst. Ob Packstation, Paketkasten, Kofferraumzustellung, Crowdsourcing oder Drohne: Für die letzte Meile gibt es bis heute keine für alle befriedigende Lösung. Die klassischen Kep-Dienstleister werden daher zunehmend von anderen Unternehmen unter Druck gesetzt. Seit kurzem ist Uber Rush in den USA mit dem Ziel unterwegs, E-Commerce-Lieferungen schneller und unkomplizierter als die Wettbewerber ans Ziel zu bringen. Auch Amazon geht in den USA mit Amazon Flex teilweise dazu über, Waren selbst auszuliefern. (cs) Die Lieferzeitfenster in den Ballungsräumen überschneiden sich oft mit den Hauptverkehrszeiten der Berufspendler. Es kommt zu Verzögerungen durch Staus, die Belastung der innerstädtischen Zonen durch die Emissionen von LKW und PKW steigt. Die Kommunen reagieren darauf mit Umweltzonen oder anderen Restriktionen für den Lieferverkehr. In Projekten wie Genalog (Geräuscharme Nachtlogistik, Dortmund) wird untersucht, wie die Zeitfenster der Versorgungsverkehre mit Hilfe von leise laufenden Elektrofahrzeugen vorgezogen werden können, ohne dass die Anwohner über Lärmbelästigung klagen. Aufgrund von vergleichsweise geringen Reichweiten und hohen Kosten werden jedoch derzeit nur sporadisch Elektro-LKW oder -Lieferfahrzeuge eingesetzt. Allerdings plant zum Beispiel die Deutsche Post DHL, in den nächsten Jahren rund 30 000 Elektrolieferfahrzeuge aus eigener Produktion auf die Straßen zu bringen. (ben) Geschäfte in Innenstädten sterben nicht aus. Die Zukunft gehört dem MultichannelHandel. Letztlich wird sich das Verkehrsaufkommen erhöhen. Umweltauflagen Städteplanung Die Zeiten, in denen jedes Fahrzeug in die Innenstadt fahren durfte, sind lange vorbei. Mikro-Depot-Flächen für die Paketdienste sollten bei der Erschließung neuer Stadtteile zur Pflicht gemacht werden. Dreckschleudern wurden mit Umweltplaketten und Euro-Normen verbannt, Lieferverkehre sind in vielen Städten zeitlich begrenzt. Dennoch steigt das Verkehrsaufkommen, und Staus in Städten nehmen zu. Das liegt zum einen am Individualverkehr und zum anderen am hochfrequenten Lieferverkehr, da Sendungen kleinteiliger werden. Ein besonders wichtiger Aspekt bei der Städteplanung ist der Lärmschutz. Denn Lärm gilt in Ballungszentren und Großstädten als eines der größten Umwelt- und Gesundheitsprobleme. Vorgaben für den Lärmschutz macht das Bundes-Immissionsschutzgesetz. Eine Maßnahme können beispielsweise lärmmindernde Fahrbahnbeläge sein. Es gibt noch drastischere Methoden: In London soll eine saftige City-Maut Autofahrer vom Park-and-ride überzeugen. (rok) Knapp 75 Prozent der deutschen Bevölkerung lebt in Städten, folglich wird das Gros der Pakete in städtischen Ballungsräumen auf der letzten Meile abgeholt beziehungsweise zugestellt. Paketdienste sind damit Teil der städtischen Infrastruktur. Wenn sie auch bei 2C-Zustellkonzepten Stoppfaktoren und Erstzustellerquoten wie im B2B-Segment erreichen, leisten sie einen großen Beitrag zu einer ökologisch nachhaltigen Stadtlogistik. Dabei helfen kooperative von mehreren Paketdiensten genutzte Schließfachanlagen und MikroDepots. Bereits bei der Planung und Erschließung neuer Stadtteile wie etwa der Neuen Mitte Altona in Hamburg sollten Mikro-Depot-Flächen zur Pflicht gemacht werden, wie es schon bei Autostellplätzen der Fall ist. (ma) Smart Grid Eine schlaue Steuerung von Verkehrs- und Versorgungsnetzen kann helfen, das Aufkommen der Lieferfahrzeuge in den Städten zu reduzieren. Der Smart-Grid-Ansatz in der Logistik beruht auf einer intelligenten Verknüpfung der entlang der logistischen Kette eingesetzten Steuerungssysteme. Dabei werden die Daten aus lokalen Systemen in einem übergeordneten IT-Zentrum gesammelt, ausgewertet und miteinander abgeglichen. Ändern sich die Parameter entlang des Transportwegs und wird eine Alternative notwendig, so erreicht die Information alle betroffenen Glieder der Kette gleichzeitig. Der komplette Prozess wird im Idealfall an allen Punkten zeitnah und flexibel umgeplant, wobei auch die Querverbindungen zu anderen Prozessen berücksichtigt werden. Voraussetzung dafür ist, dass die Computersysteme in der Lage sind, die eingehende Datenflut exakt und intelligent zu analysieren. (ben) Der boomende Onlinehandel führt in den Innenstädten zu einem höheren Güterverkehrsaufkommen – ganz gleich ob sich der stationäre Handel der Entwicklung verschließt oder mitzieht und auf Multichannel-Konzepte setzt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML) im Auftrag der IHK Mittleres Ruhrgebiet erstellt hat. Als Modellfall diente die Stadt Bochum. Die Studie sei aber auf andere Städte übertragbar. Es wird davon ausgegangen, dass sich die Lieferfrequenz erhöht und die Sendungsgrößen deutlich kleiner werden. Drei von vier Händlern erhalten heute bereits ihre Waren von einem Kep-Dienstleister, jeder Zweite täglich und viele sogar mehrmals am Tag. Empfohlen werden daher zum Beispiel die Anpassung der Lieferzeitfenster in der Fußgängerzone, die Schaffung von kostenfreien Liefer- und Ladezonen oder Halteflächen in den Nebenstraßen des Fußgängerbereichs und die Nutzung von Parkhäusern als Umschlagorte auch in der Nacht. (cs) Demografie Ältere Menschen leben häufig in Ein-Personen-Haushalten in den Innenstädten. Die Logistik muss sich an die immer kleiner und komplexer werdenden Strukturen anpassen. Immer mehr Menschen ziehen weltweit in Ballungszentren. Die chinesische Regierung hat ihr Urbanisierungsprogramm sogar zur Leitlinie erhoben. Gleichzeitig altern viele Gesellschaften. Dem Statistischen Bundesamt zufolge soll in Deutschland 2060 jeder Dritte älter als 65 Jahre alt sein. Laut Steffen Raiber vom FraunhoferInstitut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) immt vor allem in dichten Innenstädten die Anzahl an Ein-Personen-Haushalten stetig zu. So liegt beispielsweise in der Stuttgarter Innenstadt dieser Anteil bei 66 Prozent, während es in den Randlagen nur knapp 40 Prozent sind. Diese Tendenz sieht Raiber auch in anderen Städten. Für KepDienstleister bedeutet das: Die Zahl der Lieferungen steigt, die Mengen werden kleiner und die Anforderungen komplexer. (sl)
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