Hymne auf den Minirock

Hymne auf den Minirock
Die Temperaturen steigen, die Beine werden länger und die Röcke kürzer. Welche Augenweide.
Auch aus feministischer Sicht darf der Minirock als ungefährlich qualifiziert werden, da ihm eine
faszinierende Geschichte zugrunde liegt. Es geht um Freude und Freiheit. Von Claudia Schumacher
In den sechziger Jahren bereiste eine DDR-Schülerin die damalige UdSSR. Beim B
­ esuch eines
Mahnmals für gefallene Soldaten zog sie entrüstete Blicke auf sich. Oder genauer gesagt: auf
ihre blanken Beine. Das Mädchen hiess Angela
Merkel, und sie trug einen Minirock.
Auch wenn die deutsche Kanzlerin der
Öffentlichkeit heute nicht mehr barbeinig
­
entgegentritt: Der kürzeste Stofffetzen der
weiblichen Sommergarderobe hat sein Erregungspotenzial behalten. Darf man als moderne Frau einen Rock tragen, der nur ein bis zwei
Hände breit unter dem weiblichen Lustzen­
trum endet? Oder spielt man damit plumpen
Männerfantasien den Ball zu und degradiert
sich selbst zum Püppchen?
Wettkampf um den stoff­losesten Auftritt
Letzten Sommer wurde in der Schweiz eine
junge SP-Lokalpolitikerin und Feministin für
ein Foto in sehr luftiger Kleidung kritisiert
(der untere Po-Ansatz war zu sehen). Die Frage
war, ob eine feministische Grundeinstellung
ein solches Auftreten erlaube. In den USA engagiert sich derweil das junge US-Model Emily
Ratajkowski dafür, dass man schöne Frauen
ihre sexuelle Anziehungskraft zelebrieren
lässt, ohne ihnen im Gegenzug automatisch
andere Qualitäten abzusprechen. Und in
Deutschland setzte sich 2015 eine ehemalige
CSU-Referentin, die von Diskriminierung am
Arbeitsplatz aufgrund ihres guten Aussehens
berichtete, für einen Neo-Feminismus in
­Minirock und High Heels ein. Ein Leserkommentar unter einem ihrer Interviews dazu online lautete: «Wenn man rumläuft wie eine
polnische Strassenhure, braucht man sich über
anzügliche Sprüche nicht wundern.» Beschämend – oder einfach nur gemein? Jedenfalls
hart und deutlich genug, um die normale Frau
mit schlechtem Gewissen und einigermassen
verwirrt auf ihre Beine blicken zu lassen.
Seit je ist der weibliche Körper politischer als
der männliche. Die einen halten sein erotisches
Potenzial in freier Entfaltung für mächtig und
ermächtigend. Ein Blickwinkel, den gerne junge und hübsche Frauen sowie Neofeministinnen wählen. Die anderen empfinden weibliche
Freizügigkeit tendenziell als unsittlich und
ordnungswidrig. Ein Standpunkt, der traditionell eher von Männern eingenommen wird –
auch wenn im Westen die meisten von ihnen
heutzutage den Anblick kurzer Röcke eher geniessen können. Was zur dritten Gruppe führt,
die hinter betonter weiblicher Sexiness den
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Teufel eines männlichen Sexismus am Werk
sieht und in geschminkten und geschmückten
Frauen schon auch einmal Tussis und Ver­
räterinnen vermutet – hier stehen als Wortführerinnen tendenziell Feministinnen frigider
Prägung bereit.
Ob sich Frauen bedeckt halten müssen, um
die Männer nicht abzulenken, ist eine Frage des
kulturellen und religiösen Umgangs, die sich
einst das Christentum stellte und mit der heute
der Islam kämpft. Es ist auch ein Problem, über
dessen Lösung heutige Lehrer ins Grübeln
kommen, wenn zwölfjährige Schülerinnen sich
einen Wettkampf um den stoff­l osesten Auftritt
liefern und die zusehenden Buben dabei vergessen, was zwei und zwei e­ rgibt. Hört die Freiheit der einen dort auf, wo die Weiterentwicklung des anderen endet? Aus dem weiblichen
Spiel mit der eigenen ­Inszenierung entsteht
­irritierenderweise oft ein komischer Ernst.
Auch ein Evergreen unter den heiss geführten Diskussionsthemen mit Blick auf die
­Kleidung der Frau ist die Frage, ob weibliche
Freizügigkeit eine Einladung für männliche
Annäherung ist – und wer die Schuld für Miss­
interpretationen und etwaige Konsequenzen
trägt. All diese Streitigkeiten sind so alt wie
das weibliche Streben nach Schönheit selbst.
Sie gehen weit über die Garderobe der einzelnen Frau hinaus. Man sollte aber nicht vergessen, dass der Mini den Frauen neben einer gesteigerten Verführungsgewalt auch einfach
Luftigkeit bei Sommerhitze schenkt. Und im
Gegensatz zu älteren, längeren Rockschnitten
zudem mehr Bewegungsfreiheit.
Fragt man sich als emanzipierte Frau im Jahr
2016, welches Signal man sendet, wenn man im
Mini auftritt, dann lohnt sich ein Blick in die Geschichte des kurzen Jupes – bei der es sich natürlich um eine aufregende handelt. «Niemand hat
den Minirock erfunden, er war gewollt», sagt
die britische Designerin Mary Quant in ­einem
Interview für das Buch «Der Minirock. Die Revolution – Die Macher – Die Ikonen» (2009), ein
lesenswertes Gemeinschaftswerk der Hamburger Journalistinnen Bianca Lang, Tina Schraml
und Lena Elster. Auch wenn der Minrock offenbar in den sechziger Jahren als Idee bereits in der
Luft lag: So wie wir ihn heute kennen, geht er
auf die eben zitierte Mary Quant und den französischen Designer André Courrèges zurück.
Über ihre Leistung sagt die heute 82-jährige
Quant, sie habe für die Mädchen einfach «die
Röcke ab­geschnitten» – dank ihr wurde der Minirock in Grossbritannien auf den Strassen ge-
tragen, und später erhielt sie dafür einen Orden
der Queen. Der Erste hingegen, der den
Minirock schliesslich in die Haute Couture
­
­einführte, war Courrèges. In beiden Fällen ist
das Schöne neben den Röcken selbst, dass es sich
um eheliche Kooperationen handelte. Mary
Quant arbeitete mit ihrem (1990 verstorbenen)
Gatten Alexander Plunkett-Greene zusammen,
über den sie sagt: «Er war ein Charakter und,
wie sich herausstellte, ein grossartiger Verkäufer und Marketingmann. Er mochte Beine, und
mich am liebsten im Mini. Ohne ihn hätte es
Mary Quant nicht gegeben.»
Für den Mini auf die Strasse
Im Hause Courrèges war derweil das bevorzugte Model für den Mini die Gattin des De­
signers. Cocqueline Barrières brachte sich
auch beim Design ein und empfand das
­Arbeitsverhältnis zu ihrem Mann André als
perfekt in der Ergänzung. Eines lässt sich mit
Sicherheit sagen: Es war kein Macho, der den
Minirock erfand. Es waren zwei Paare, die sich
auf der Höhe ihrer Zeit befanden.
Nach seiner Lancierung Ende der fünfziger
Jahre erlebte der Minirock in den Sechzigern
seine erste internationale Blüte. Dabei wurden
die Röcke kürzer – und provokanter. Getragen
wurden sie von progressiven Frauen, die sich
nicht von alten Röcken einengen lassen wollten, auch nicht im übertragenen Sinne: Ein Bedürfnis nach Bewegungsfreiheit und der erstarkende Wunsch nach Unabhängigkeit und
Selbstbestimmung fanden im Minrock ein
Symbol – und in der Antibabypille ein zweites.
Im Sommer 1969 versteigerten die Künstler
Verena Voiret und Dieter Meier einen ­Minirock
und zwei Kleider in Zürich. Die Stücke hatte
ein Mitglied der Frauenbefreiungsbewegung
(FBB) im Vorfeld bei einer Misswahl gewonnen. Der Erlös sollte in die Anschaffung eines
Antibabypille-Automaten fliessen. In dieser
Zeit gingen Frauen im und für den Minirock
in der ganzen Welt auf die Strasse. Gegen die
reaktionären Kräfte, die ihren Vormarsch
­aufhalten wollten. Ein Vormarsch, für den
­ihnen der Mini (schöne) Beine machte.
Wer bislang Angst hatte, beim Tragen eines
Minijupes dem Sexismus in die Hände zu spielen, kann sie also mit den besten kulturhistorischen Empfehlungen über Bord werfen. Und
bei der kniffligen Frage, welche Modelle man
diesen Sommer am besten wählt, hoffen wir,
Ihnen mit der Zusammenstellung auf der
g
rechten Seite weiterhelfen zu können. Weltwoche Nr. 14.16
Wunsch nach Freiheit.
Weltwoche Nr. 14.16
Bilder: zVg
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