Das Preis-Dilemma

Magazin | Thema des Monats
Das Preis-Dilemma
Die Schere zwischen Kosten und Ladenpreisen öffnet sich immer weiter
– höhere Preise sind also dringend nötig. Aber: Sind sie durchsetzbar?
Und wenn ja: Wie?
Löhne/Gehälter
durchschnittlicher
Ladenpreis
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012 20013 2014
Die Schere zwischen Kosten und Erlösen öffnet sich immer weiter: Die Branche hat diese Entwicklung verschlafen
D
as war unsere These im letzten Heft und Vorwurf zugleich: Die Buchbranche
habe es im Gegensatz zu anderen Branchen über Jahre verschlafen,
die Ladenpreise von Büchern an die allgemeine Kostenentwicklung anzupassen: Die Preisschwellen 10 Euro beim
Taschenbuch und 20 Euro beim Hardcover scheinen unüberwindbar, während
die Kosten für Mieten und Personal ungebremst weiter steigen.
Und noch bedenklicher erschien uns,
dass es sich jetzt zu rächen scheint, dass
es die Branche seit vielen Jahren schon
versäumt hat, dem Kunden den wirklichen
Wert eines Buches deutlich zu machen.
Während „kulturelle Angebote“ etwa wie
Theater oder Oper preislich davon gezo-
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gen sind, sind die in Büchern zu erlesenen Vorstellungen, das „Theater im Kopf“,
auch ohne öffentliche Subvention auf dem
Preisniveau von vor etwa 15 Jahren stehen
geblieben. Und schon damals galten Bücher eigentlich als zu „billig“.
Denn tatsächlich stellt sich seit vielen
Jahren immer wieder unbeantwortet die
Jan Orthey, Norbert Schaepe, Jo Lendle (v. l.): Die Branche hat es nicht verstanden, den Wert des Buches deutlich zu machen und dessen Begehrlichkeit zu steigern
BuchMarkt April 2016
Quellen: Tarifentwicklung des Groß- und Außenhandels; Auswertung KNV Einkauf (1994 bis 2014)
Die Kosten steigen, der Ladenpreis stagniert
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Vor diesem Hintergrund haben wir in
der Branche Stimmen eingesammelt – ob
diese These überhaupt stimmt und ob es
Auswege aus diesem Dilemma gibt.
Auch für Jan Orthey ist diese Diskussion „ein alter Hut, wir wissen, dass die
Verlage es über Jahre versäumt haben, die
Buchpreise adäquat zu kalkulieren. Und:
Wir wissen doch auch alle, dass der Ruf
des Sortiments nach höheren Rabatten nur
der Ruf nach höherer Rentabilität ist, der
durch realistische Preisanpassungen bedient werden müsste.“
Für den Lüneburger Buchhändler
scheint es klar, warum die Verlage sich
seit Jahren vor ihrer Verantwortung für
eine auskömmliche Rendite ihres Handelspartners drücken: „Die Verlage haben
Angst – Angst, dass ihre Produkte nicht
neben denen der anderen Verlage bestehen
könnten. Statt die Preise anzuheben, wird
der Titelausstoß erhöht.“
Dem widerspricht in einigen Punkten
der Verlagsberater Norbert Schaepe. Als
früherer Vertriebsleiter großer Verlage
ist er schon seit langem mit der Preisthematik vertraut: „Ich halte nichts von der
These, die Verlage hätten es verpennt, die
Buchpreise angemessen anzuheben.“ Ein
Blick auf die aktuellen Bestsellerlisten
zeige zahlreiche Titel mit Preisen über
20,- Euro (Lenz 25,- / Zeh 24,99 / Wells
22,- / Hein 22,95 / Pamuk 26,-), womit
„Die Branche vergisst den Kunden“
Dr. Andreas Meyer hat sich intensiv mit dem Thema
„Pricing“ befasst – wir haben bei seinen Workshops zum
Thema zugehört. Hier seine Kernthesen:
 Mit starrem Blick auf die Erträge fordere man höhere Buchpreise, ohne wirklich
nach links und rechts zu schauen. Denn
„bei der seit über einem Jahr engagiert
geführten Debatte kommt ein Faktor
nicht vor, der Leser bzw. der Kunde“.
 Mit den Grundlagen des Pricings hätten
sich nur wenige Marktteilnehmer systematisch beschäftigt. Denn
„eine Pricing-Strategie,
die diesen Namen verdienen würde, erfordert
mehr als die Beobachtung von KonkurrenzPreisen“.
 Das Problem sieht Dr. Andreas Meyer
in der Undifferenziertheit: „Hohe Preise
kann man für außergewöhnliche Leistungen verlangen, dabei ist aber nicht
der reflexhafte Blick auf die Seitenzahl
gemeint, sondern der immaterielle Mehrwert, der in unseren Produkten steckt.“
Das werde ausgerechnet in diesem Kontext immer wieder vergessen.
 Die richtig großen
Erfolge würden in
der Buchbranche selten tiefenanalysiert,
sondern meistens nur
nachgeahmt. Dem
Pricing fehle deshalb
 Eine eigenständige
der „adäquate, nämPricing-Strategie diffelich auf die Kundenrenziert nach ZielgrupRelevanz bezogene
pen – und fragt nach
Rahmen“. Nur selten
wird für Top-Bestseldem jeweiligen speziDr. Andreas Meyer: „Hohe
fischen Mehrwert, der
ler ein Preis verlangt,
Preise kann man für aupro Zielgruppe geboten
ßergewöhnliche Leistungen
der dem überragenwird.
den „Haben-Wollen“
verlangen“
aus Käufersicht entspricht. „Genau hier
 Nicht nur das Preisempfinden unterscheidet sich je nach Le- bleiben die Ertragspotenziale liegen.“
ser-Kohorte, sondern vor allem dadurch,
was in dieser Gruppe jeweils als relevan-  „Eine der Ausnahmen war Harry
ter Mehrwert wahrgenommen wird.
Potter, auch bei Fifty Shades of Grey
positionierte man das Produkt höher
 Die Veränderung der Leser-Ansprüche und geschenkmäßiger und setzte einen
ist in den meisten Verlagen nicht die Kern- z.T. exorbitant höheren Preis fest.“ Aber
frage – und genau hier liege das Problem: für austauschbare Titel, „eine Binsen„Leser werden in der Regel in ihren verän- weisheit“, kann auch mit besonderer
derten Bedürfnissen unterschätzt.“
Ausstattung in der Regel kein signifikant höherer Ladenpreis durchgesetzt
 Handel wie Verlage würden ande- werden.
re Branchen und deren Veränderungen
kaum beobachten: „Das fängt bereits im  Seine aktuelle Einschätzung: „Zu beunmittelbaren Medien-Umfeld an, selbst fürchten ist deshalb, dass es bei undifdie heftig veränderten Leistungen im Zeit- ferenzierten, rein rendite-orientierten
schriften- und Zeitungs-Markt – und deren Preiserhöhungen vor allem eines gibt: Ein
stark verändertes Pricing – werden selten blaues Auge.“
kontinuierlich und mit System verfolgt.“
© Malte Windwehr
Frage: Warum weiß der Kunde nicht, wie
viel Arbeit von allen Beteiligten geleistet
worden ist, wenn er ein Buch zu einem
Preis in der Hand hält, der immer weniger die Kosten aller Beteiligten deckt?
Und warum haben es die Verlage nicht
geschafft, die Ware Buch so begehrlich zu
machen wie etwa eine Opern- oder Musicalkarte? Warum hat die Buchbranche
nicht den Mut, für ein Objekt der Begierde
Preise aufzurufen, die dem inneren Wert
des Buches gerecht würden?
Diese Fragestellung ist allerdings nicht
neu, wie der Berater Arnd Roszinsky- Terjung sagt; schon Rüdiger Hildebrandt habe
in den 80er Jahren eine ähnliche Diskussion angefacht wie jetzt Klaus Kluge. „Darf
dieser Roman 42 DM kosten?“ habe damals seine Frage ans Sortiment gelautet,
dreißig Jahre später dürfe die Frage also
durchaus heißen: „Darf dieser Roman 42
Euro kosten?“
BuchMarkt April 2016
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Magazin | Thema des Monats
lungspreise kommen immer dann zum
Einsatz, wenn man in Sorge ist, ein Buch
sei austauschbar. Umso mehr sollten Verlage Bücher, von deren Einmaligkeit sie
überzeugt sind, auch mit Stolz auspreisen.
Dazu gehört nicht nur der Mut, Schwellen
zu überspringen. Auch Schnäppchenpreise mit 99-Cent-Endungen stellen Bücher
in einen Kontext, der ihrem Wert nicht
entspricht. Da kann man selbstbewusst
aufrunden.“
So wie es DuMont gemacht hat, wie
dessen Kaufmann Markus Stache sagt:
„Wir haben schon in den letzten Jahren
häufiger die 19,99-Euro-Preisschwelle
im Hardcover deutlich überschritten.
Neu ist aber, dass wir auch im Taschenbuch in Zukunft bei mehr Titeln als bisher über die gefühlte Preisgrenze von
9,99 Euro gehen werden. Gerade die
Titel, die inhaltlich nicht austauschbar
sind und sich vor allem im stationären
Sortiment verkaufen – und das sind ein
Großteil unserer Bücher – halten wir
auch im Taschenbuch nicht für hochgradig preissensibel. Wir haben dabei
Martin Bethke, Viola Taube, Peter Kraus vom Cleff: Wenn Bücher teurer werden,
aber immer im Auge, dass das Buch
nicht nur eine Ware ist, sondern auch
würde sich der Einsatz für alle lohnen
ein Kulturgut und für die Leser trotzdem
erschwinglich bleiben muss. So können
Klaus Kluge (siehe unser aktuelles Inter- oder Theater subventioniert, aber immer- wir unseren Teil dazu beitragen, dass sich
view auf S. 26/27) hat das Thema „Prei- hin durch die Preisbindung und durch
die Geschäftsmodelle aller an den Erlöse hoch“ zur Maxime seines Handelns Selbstausbeutung gefördert wird.
sen Beteiligten (Autoren, Handel, Verlag)
gemacht.
Doch jetzt zweifelt auch Hanser-Verle- auch in Zeiten des Wandels betriebswirtAuch andere Verlage wollen sich in ger Jo Lendle, dass Tucholskys „grund- schaftlich darstellen lassen.“
diesem Herbst an höhere Preise heran- sympathische“ Forderung heute noch
trauen, da der Kostendruck durch die Bestand haben dürfe. Denn die Verlage
Das findet auch der bisherige Ravensburhätten Tucholskys Forderung „nicht nur ger-GF Martin Bethke, „insbesondere aus
Verwerfungen der letzten Jahre durch
die drastische Flächenerosion im Han- erfüllt, sondern übererfüllt“.
der Sicht der Autoren. Denn schließlich
del massiv spürbarer geworden ist als in
Wie weit der Buchmarkt hinter der all- sind die Urheber diejenigen, die größden Jahren zuvor.
gemeinen Preisentwicklung zurückhinke, tenteils kaum von den Einnahmen ihrer
So wird in diesem Bücherherbst auch
mache ein kulinarisches Beispiel deutlich: Werke leben können, aber gleichzeitig in
Hanser versuchen, deutlicher als bisher an „Zu Tucholskys Zeiten hatte ein gut ge- den wenigsten Fällen Einflussmöglichkeit
der Preisschraube zu drehen, „nach oben
machter Roman den Gegenwert von 20 auf die Ladenpreise haben.“
natürlich“, wie Marktingchefin Felicitas
Brotlaiben gekostet. Bei gleicher EinBethke ist überzeugt: „Wer ist als Kunde
Feilhauer sagt: „Im Herbst ziehen auch
ordnung müsste ein Buch heute 50 Euro
nicht auch bereit, Preisschwellen zu überwir (mit Ausnahme des Kinderbuchs) auf kosten.“
springen, wenn er entsprechende Qualität
Wunsch des Handels die Preise glatt und
Auch Lendle ist deshalb überzeugt, dass
bekommt? Aber in der Konsequenz der
nutzen dies zu weiteren Preiserhöhungen „der Preis eines Buches seinen wahren Wert von den Verlagen zu verantwortenden
in der Größenordnung von ein bis zwei nicht mehr widerspiegelt. Die Branche hat Preispolitik verlieren alle MarktteilnehEuro.“
viel zu lange ängstlich vor Preisschwellen
mer: Autoren, Verlage, Handel. Einzig
Wie es Diogenes unübersehbar schon verharrt. Es ist an der Zeit, sie zu über- der Konsument profitiert. Gleichzeitig
seit geraumer Zeit macht: Die Zürcher be- springen.“
erziehen wir ihn aber zu der GrundhalLendle macht deshalb Mut zu höheren
weisen der Buchbranche, dass es durchaus
tung, dass Bücher billig zu sein haben und
möglich ist, auch für meist eher schmale
Ladenpreisen: „Es gibt Verzweiflungsprei- generell nichts wert sind. Dies haben wir
Bücher deutlich höhere Ladenpreise zu se und es gibt stolze Preise. Die Verzweif- als Branche erreicht. Diese Abwärtsspirale
© Christian Ode
© Anja Köhler, Ravensburger
man auf dem von BuchMarkt im Märzheft fordern und erfolgreich durchzusetzen
zitierten Baldacci-Niveau wäre. Schaepe: – wenn das Produkt nicht austauschbar
„Und noch deutlicher sieht es im Taschen- ist, wie Geschäftsleitungsmitglied Stefan
buch aus: Hier hat sich 9,99 Euro fast als
Fritsch sagt.
Sein Verlag hat als erster nicht mehr daNormalpreis herausgebildet; unter den
aktuellen Top 20 sind nur zwei bei 8,99 rauf gehört, was Kurt Tucholsky einst von
seinem Verleger gefordert hatte: „Macht
Euro, dafür drei über 10 Euro. Verglichen
mit den TB-Preisen zu DM-Zeiten eine er- unsere Bücher billiger.“
hebliche Steigerung“, wie aktuelle Zahlen
Seither war das sichtlich der Grundgeaus der KNV-Statistik auswiesen.
danke bei der Buchkalkulation, und vom
Handel wurde das bislang in der Regel
Tatsächlich deutet sich eine Trendwen- akzeptiert: Schließlich handeln wir doch
de an. Nicht nur Bastei Lübbe-Vorstand
mit einem Kulturgut, das nicht wie Oper
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BuchMarkt April 2016
Magazin | Thema des Monats
zu durchbrechen, ist ein sehr langfristiges
Ziel, welches mit einem Bewusstseinswandel bei allen Beteiligten einhergehen
muss.“
Wer mag ihm widersprechen? Einzig
der Verlagsberater Dr. Andreas Meyer
hat erhebliche Zweifel, ob jetzt schon
der richtige Zeitpunkt gekommen ist,
an der Preisspirale zu drehen, denn die
Buchbranche sei dafür denkbar schlecht
gerüstet, denn der Faktor Kunde komme
bei den Überlegungen bislang nicht vor:
„Zu befürchten ist deshalb, dass es bei undifferenzierten, rein rendite-orientierten
Preiserhöhungen vor allem eines gibt: Ein
blaues Auge.“ (s. Kasten S. 29)
Ein Zwischenschritt könnte der sein,
den Rowohlt-GF Peter Kraus vom Cleff
anregt: „Deep Reading, das Sich-Vertiefen in ein Buch, also Stunden voller
Genuss, Eskapismus, Eintauchen und
Abtauchen. Das müssen wir gemeinsam
vermitteln. Und den nach Orientierung
suchenden KundInnen genau das empfehlen, was ihnen diesen Leserausch
bestmöglich bietet. Dafür wird dann auch
auskömmliche Zahlungsbereitschaft da
sein.“
Jürgen Horbach, langjähriger Börsenvereins-Schatzmeister, hat sich schon lange
„gewundert“, das die Branche Marktforschungsergebisse ignoriert habe, aus denen „klar hervorging, dass ein Kunde, der
aus dem Laden kam, für das gekaufte Buch
auch mehr bezahlt hätte. Die sog. Preisschwellen galten als Dogma, an das sich
die Verlage zu halten hatten, sonst hieß es
oft: zu teuer.“
„Kein Wunder“, sagt Berater Arnd
Roszinsky-Terjung: „Die großen Ketten
senden regelmäßig das falsche Preissignal. Und die kleineren Buchhandlungen
verstehen es oft nicht, ein entsprechendes Umfeld für das Buch zu schaffen, das
deren Wert entspricht“ (mehr darüber auf
Seite 32).
Aber Buchhändlerin Viola Taube hofft:
„Wenn die Bücher endlich teurer werden
würden, würde sich unser Einsatz auch
mehr lohnen. Wenn wir beraten, dann ist
der Preis eines Buches nebensächlich. Ein
gutes Buch hat einen Wert für meinen
Kunden dann, wenn ich von der zu entdeckenden Welt in diesem Buch erzähle.“
Christian von Zittwitz
Der Weg in die Zukunft
Ein „Gewinn-Errechner“ soll der Branche helfen,
mehr Kostenbewusstsein bei allen im Laden
zu entwickeln
G
ünter Wohlgenannt, Geschäftsführer der österreichischen
Buchhandlung „Das Buch“
in Dornbirn, stellt auf www.buchhandelszukunft.de der Buchbranche einen
„Gewinn-Errechner“ zur Verfügung, der
helfen soll, bei allen im Laden ein gesundes Bewusstsein für die wirklichen Kosten eines Buchverkaufs zu entwickelt.
Für den Obmann der Vorarlberger Medienwirtschaft ist das der „wirksamste
Impfstoff gegen die Autoimmunerkrankung der Buchbranche“, die sich am
liebsten beim Kunden für vermeintlich
zu hohe Preise entschuldigen würde –
oder es sogar immer wieder tut.
Sein Rechner beuge dieser Rechenschwäche vor und schaffe ein Bewusstsein für die wirklichen Kosten, die ein
Unternehmen beim Buchverkauf habe;
er plant jetzt auch Workshops, um dem
Buchhandel ein Gefühl für die wirtschaftlich notwendigen Zahlen beizubringen – und damit „wieder Mut für
die Zukunft zu machen“.
Denn: „Das Kostenbewusstsein ist bei
uns im Buchhandel verkümmert, da wir
nicht frei kalkulieren können. Deshalb
hätten wir aus dem Auge verloren, dass
nicht jeder Umsatz einen Gewinn abwirft; zu niedrige Buchpreise würden
gar zu Verlusten und „schlussendlich
zum Untergang von Unternehmen führen.“
Da sich im Grunde genommen der
Aufwand für den Verkauf eines Taschenbuchs um 9,90 Euro nicht wesentlich
von dem eines gebundenen Buches um
19,90 Euro unterscheide (beide müssen
bestellt, ausgepackt, eingeräumt und
verkauft werden), lasse sich mit (s)einer Fixkostenberechnung grob ermitteln,
welcher Betrag pro Buch erwirtschaftet
werden muss, damit Kostendeckung und
Gewinn gewährleistet sind: „Vor zehn
Jahren mag der Verkauf von Büchern um
9,90 Euro noch kostendeckend gewesen
sein, inzwischen aber sind die Kosten
BuchMarkt April 2016
Günther Wohlgenannt mit dem
von ihm programmierten GewinnErrechner: Abhilfe gegen schlechtes
Gewissen bei „hohen“ Verkaufspreisen
deutlich gestiegen, der durchschnittliche
Ladenpreis aber hat sich nicht erhöht.“
Die Folge: Der Buchhandel müsse mittlerweile erwirtschaftete Gewinne aus dem
Verkauf mittel- und hochpreisiger Bücher
dazu verwenden, die Verluste aus Umsätzen im unteren Preissegment abzudecken.
Und „da unser Fokus in erster Linie auf
verkaufte Stückzahlen und Rabatte gerichtet ist, kaufen wir bevorzugt Bücher
mit einem niedrigen Ladenpreis ein und
senden damit die falschen Signale an die
Verlage, die ja die Preise festsetzen. Wenn
aber alle im Laden die durchschnittlichen
Fixkosten kennen, dann hilft das beim
Umdenken. Billigaktionen wird es bei uns
im Laden jedenfalls nicht mehr geben.
Die Verwendung dieser Kalkulationstabelle hat in unserem Team auch unser
Einkaufsverhalten verändert.“
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Magazin | Thema des Monats
Im Umfeld fehlt Luxus
Arnd Roszinsky-Terjung weist Wege aus dem Preis-Dilemma auf:
Die Buchbranche muss lernen, die richtigen Preissignale auszusenden
W
arum hat sich in 30 Jahren in
der Preisentwicklung kaum etwas bewegt? Was kettet Handel
wie Verlage an das Diktum der „billigen
Bücher“? Eine Erklärung ist: Die Preise
sind niedrig, weil die Preise niedrig sind.
Auf Seiten der Käufer wird die Preiswahrnehmung maßgeblich dadurch bestimmt,
was dem Auge des Käufers im relevanten
Umfeld an Preisen geboten wird. Und die
häufigsten Preiskategorien bewegen sich
im Buchhandel zwischen 5 und 30 Euro.
Da kann erst gar kein Gefühl aufkommen,
dass man sich als Kunde in einem luxuriösen Umfeld bewegt.
Das Fehlen von Premium-Preislagen
bewirkt, dass sich der Fokus der Kunden
automatisch nach unten verschiebt. Wenn
in einer Gaststätte das teuerste Gericht
16,80 Euro kostet, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es nur selten geordert wird.
Kommt ein weiteres Gericht für 25 Euro
hinzu, findet auf einmal auch die Kategorie 16,80 neue Freunde. Im Buchhandel
wird diese Logik weitherum vernachlässigt. Mit den riesigen MA-Flächen im Eingang senden die großen Ketten regelmäßig
das falsche Preissignal.
Wir wissen freilich durch die moderne
neurobiologische Verhaltensforschung
längst, dass das Ladenumfeld auf die
Preiswahrnehmung einwirkt. Glanz und
Glimmer bei Douglas sorgen dafür, dass
das gleiche Parfüm dort für 49 Euro verkauft werden kann, das bei Real mit 39
Euro ausgezeichnet wird. Preise werden
im Gehirn dort wahrgenommen, wo auch
körperlicher Schmerz verzeichnet wird.
Die Schlussfolgerung liegt auf der Hand:
Ein Kauf findet nur statt, wenn das empfundene Vergnügen beim Kauf oder das
erwartete Vergnügen bei der Verwendung
den erlebten Schmerz überwiegt.
Wenn man also die Frage stellt, wie höhere Preise durchsetzbar sind, dann ist vorher
besser die Frage zu beantworten, wie sich
die Branche höherwertig darstellen kann.
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ner Warengruppe was er will – und entsprechend zufällig ist das Ergebnis. Weil
dadurch hochpreisige Bücher in der Präsentation untergehen (und sich nicht so
verkaufen, wie erhofft), etabliert sich ein
Regelkreis, der wiederum verhindert, dass
in der Zukunft höherpreisige, vielleicht
experimentelle Titel eingekauft werden:
„Damit haben wir keine guten Erfahrungen
gemacht“ – oder „das kaufen unsere Kunden nicht“ ist dann das gern gehörte Resümee.
Arnd Roszinsky-Terjung: Wie kann
sich die Branche höherwertiger
darstellen?
Die Antworten werden vielschichtig
ausfallen. Berater wie Andreas Meyer
werden nicht müde darauf hinzuweisen,
dass jedes einzelne Buch den Mehrwert
einer kontextuellen Besonderheit mit auf
den Weg bekommen sollte (s. Kasten Seite 29). Für Schnipselinformation ohne
kontextuellen Mehrwert haben wir heute
das Internet, dazu braucht kein Mensch
mehr Bücher. Hier sind also Verlage gefordert, ihre Kernaufgabe auf eine neue
Basis anzuheben.
Umgekehrt ist ebenso kritisch zu hinterfragen, was denn der Handel zur kontextuellen Einordnung real beiträgt. Praktiziert
wird doch eher das genaue Gegenteil: Bücher werden als Massenprodukte ausgestellt, der Leser möge sich selber durch
den Breiberg futtern.
Damit Bücher wertvoller für den Käufer
werden, muss ihnen auch ein Wert visuell
eingeräumt werden. Die Präsentation im
Laden hätte eigentlich die Aufgabe, Kontexte herzustellen und so den Käufer auf
Themen zu lenken, die ihn intellektuell
oder emotional bereichern. Stattdessen
macht in Buchhandlungen jeder in sei-
BuchMarkt April 2016
Was auf der anderen Seite die Experimentierfreude bei Verlagen deutlich reduziert.
Wer mit seinen Produkten aus dem geübten Preiskorridor herausfällt, braucht
Standhaftigkeit und einen langen Atem.
Es muss nicht einmal so sein, dass der
Handel Verlage bei höheren Preisen im
Stich lässt (was auf Verlagsseite häufig
reklamiert wird). Sondern es reicht schon,
dass der Handel mit diesen Produkten so
geringschätzig und unreflektiert umgeht
wie auch sonst, um das Projekt floppen zu
lassen. Womit sich bei Verlagen der gleiche Regelkreis etabliert, der auch schon
den Handel ausbremst.
Wie ließe sich der gordische Knoten
durchschlagen? Andreas Meyer hält ein
Maßnahmenbündel für zwingend: „Unterschiedliche Zielgruppen suchen unterschiedliche Preise. Also gibt es ohne
Positionierung auch kein optimales Pricing. Mehr noch: Preise/Produkte müssen
für den Käufer systematisch attraktiver gestaltet werden, ,Mehrleistung, mit der der
Leser so nicht rechnet‘ ist das Stichwort.
Und schließlich brauchen höhere Preise
intern in Verlag wie Handel ihre Lobby.
Was völlig fehlt, sind Leistungssysteme:
Bei Vertretern könnte die Provision zum
Beispiel in dem Maße steigen, in dem es
ihnen gelingt, höherpreisigen – und damit renditestarken – Produkten Absatz zu
verschaffen.
Arnd Roszinsky-Terjung