Magazin | Thema des Monats Das Preis-Dilemma Die Schere zwischen Kosten und Ladenpreisen öffnet sich immer weiter – höhere Preise sind also dringend nötig. Aber: Sind sie durchsetzbar? Und wenn ja: Wie? Löhne/Gehälter durchschnittlicher Ladenpreis 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 20013 2014 Die Schere zwischen Kosten und Erlösen öffnet sich immer weiter: Die Branche hat diese Entwicklung verschlafen D as war unsere These im letzten Heft und Vorwurf zugleich: Die Buchbranche habe es im Gegensatz zu anderen Branchen über Jahre verschlafen, die Ladenpreise von Büchern an die allgemeine Kostenentwicklung anzupassen: Die Preisschwellen 10 Euro beim Taschenbuch und 20 Euro beim Hardcover scheinen unüberwindbar, während die Kosten für Mieten und Personal ungebremst weiter steigen. Und noch bedenklicher erschien uns, dass es sich jetzt zu rächen scheint, dass es die Branche seit vielen Jahren schon versäumt hat, dem Kunden den wirklichen Wert eines Buches deutlich zu machen. Während „kulturelle Angebote“ etwa wie Theater oder Oper preislich davon gezo- 28 gen sind, sind die in Büchern zu erlesenen Vorstellungen, das „Theater im Kopf“, auch ohne öffentliche Subvention auf dem Preisniveau von vor etwa 15 Jahren stehen geblieben. Und schon damals galten Bücher eigentlich als zu „billig“. Denn tatsächlich stellt sich seit vielen Jahren immer wieder unbeantwortet die Jan Orthey, Norbert Schaepe, Jo Lendle (v. l.): Die Branche hat es nicht verstanden, den Wert des Buches deutlich zu machen und dessen Begehrlichkeit zu steigern BuchMarkt April 2016 Quellen: Tarifentwicklung des Groß- und Außenhandels; Auswertung KNV Einkauf (1994 bis 2014) Die Kosten steigen, der Ladenpreis stagniert Magazin | Thema des Monats Vor diesem Hintergrund haben wir in der Branche Stimmen eingesammelt – ob diese These überhaupt stimmt und ob es Auswege aus diesem Dilemma gibt. Auch für Jan Orthey ist diese Diskussion „ein alter Hut, wir wissen, dass die Verlage es über Jahre versäumt haben, die Buchpreise adäquat zu kalkulieren. Und: Wir wissen doch auch alle, dass der Ruf des Sortiments nach höheren Rabatten nur der Ruf nach höherer Rentabilität ist, der durch realistische Preisanpassungen bedient werden müsste.“ Für den Lüneburger Buchhändler scheint es klar, warum die Verlage sich seit Jahren vor ihrer Verantwortung für eine auskömmliche Rendite ihres Handelspartners drücken: „Die Verlage haben Angst – Angst, dass ihre Produkte nicht neben denen der anderen Verlage bestehen könnten. Statt die Preise anzuheben, wird der Titelausstoß erhöht.“ Dem widerspricht in einigen Punkten der Verlagsberater Norbert Schaepe. Als früherer Vertriebsleiter großer Verlage ist er schon seit langem mit der Preisthematik vertraut: „Ich halte nichts von der These, die Verlage hätten es verpennt, die Buchpreise angemessen anzuheben.“ Ein Blick auf die aktuellen Bestsellerlisten zeige zahlreiche Titel mit Preisen über 20,- Euro (Lenz 25,- / Zeh 24,99 / Wells 22,- / Hein 22,95 / Pamuk 26,-), womit „Die Branche vergisst den Kunden“ Dr. Andreas Meyer hat sich intensiv mit dem Thema „Pricing“ befasst – wir haben bei seinen Workshops zum Thema zugehört. Hier seine Kernthesen: Mit starrem Blick auf die Erträge fordere man höhere Buchpreise, ohne wirklich nach links und rechts zu schauen. Denn „bei der seit über einem Jahr engagiert geführten Debatte kommt ein Faktor nicht vor, der Leser bzw. der Kunde“. Mit den Grundlagen des Pricings hätten sich nur wenige Marktteilnehmer systematisch beschäftigt. Denn „eine Pricing-Strategie, die diesen Namen verdienen würde, erfordert mehr als die Beobachtung von KonkurrenzPreisen“. Das Problem sieht Dr. Andreas Meyer in der Undifferenziertheit: „Hohe Preise kann man für außergewöhnliche Leistungen verlangen, dabei ist aber nicht der reflexhafte Blick auf die Seitenzahl gemeint, sondern der immaterielle Mehrwert, der in unseren Produkten steckt.“ Das werde ausgerechnet in diesem Kontext immer wieder vergessen. Die richtig großen Erfolge würden in der Buchbranche selten tiefenanalysiert, sondern meistens nur nachgeahmt. Dem Pricing fehle deshalb Eine eigenständige der „adäquate, nämPricing-Strategie diffelich auf die Kundenrenziert nach ZielgrupRelevanz bezogene pen – und fragt nach Rahmen“. Nur selten wird für Top-Bestseldem jeweiligen speziDr. Andreas Meyer: „Hohe fischen Mehrwert, der ler ein Preis verlangt, Preise kann man für aupro Zielgruppe geboten ßergewöhnliche Leistungen der dem überragenwird. den „Haben-Wollen“ verlangen“ aus Käufersicht entspricht. „Genau hier Nicht nur das Preisempfinden unterscheidet sich je nach Le- bleiben die Ertragspotenziale liegen.“ ser-Kohorte, sondern vor allem dadurch, was in dieser Gruppe jeweils als relevan- „Eine der Ausnahmen war Harry ter Mehrwert wahrgenommen wird. Potter, auch bei Fifty Shades of Grey positionierte man das Produkt höher Die Veränderung der Leser-Ansprüche und geschenkmäßiger und setzte einen ist in den meisten Verlagen nicht die Kern- z.T. exorbitant höheren Preis fest.“ Aber frage – und genau hier liege das Problem: für austauschbare Titel, „eine Binsen„Leser werden in der Regel in ihren verän- weisheit“, kann auch mit besonderer derten Bedürfnissen unterschätzt.“ Ausstattung in der Regel kein signifikant höherer Ladenpreis durchgesetzt Handel wie Verlage würden ande- werden. re Branchen und deren Veränderungen kaum beobachten: „Das fängt bereits im Seine aktuelle Einschätzung: „Zu beunmittelbaren Medien-Umfeld an, selbst fürchten ist deshalb, dass es bei undifdie heftig veränderten Leistungen im Zeit- ferenzierten, rein rendite-orientierten schriften- und Zeitungs-Markt – und deren Preiserhöhungen vor allem eines gibt: Ein stark verändertes Pricing – werden selten blaues Auge.“ kontinuierlich und mit System verfolgt.“ © Malte Windwehr Frage: Warum weiß der Kunde nicht, wie viel Arbeit von allen Beteiligten geleistet worden ist, wenn er ein Buch zu einem Preis in der Hand hält, der immer weniger die Kosten aller Beteiligten deckt? Und warum haben es die Verlage nicht geschafft, die Ware Buch so begehrlich zu machen wie etwa eine Opern- oder Musicalkarte? Warum hat die Buchbranche nicht den Mut, für ein Objekt der Begierde Preise aufzurufen, die dem inneren Wert des Buches gerecht würden? Diese Fragestellung ist allerdings nicht neu, wie der Berater Arnd Roszinsky- Terjung sagt; schon Rüdiger Hildebrandt habe in den 80er Jahren eine ähnliche Diskussion angefacht wie jetzt Klaus Kluge. „Darf dieser Roman 42 DM kosten?“ habe damals seine Frage ans Sortiment gelautet, dreißig Jahre später dürfe die Frage also durchaus heißen: „Darf dieser Roman 42 Euro kosten?“ BuchMarkt April 2016 29 Magazin | Thema des Monats lungspreise kommen immer dann zum Einsatz, wenn man in Sorge ist, ein Buch sei austauschbar. Umso mehr sollten Verlage Bücher, von deren Einmaligkeit sie überzeugt sind, auch mit Stolz auspreisen. Dazu gehört nicht nur der Mut, Schwellen zu überspringen. Auch Schnäppchenpreise mit 99-Cent-Endungen stellen Bücher in einen Kontext, der ihrem Wert nicht entspricht. Da kann man selbstbewusst aufrunden.“ So wie es DuMont gemacht hat, wie dessen Kaufmann Markus Stache sagt: „Wir haben schon in den letzten Jahren häufiger die 19,99-Euro-Preisschwelle im Hardcover deutlich überschritten. Neu ist aber, dass wir auch im Taschenbuch in Zukunft bei mehr Titeln als bisher über die gefühlte Preisgrenze von 9,99 Euro gehen werden. Gerade die Titel, die inhaltlich nicht austauschbar sind und sich vor allem im stationären Sortiment verkaufen – und das sind ein Großteil unserer Bücher – halten wir auch im Taschenbuch nicht für hochgradig preissensibel. Wir haben dabei Martin Bethke, Viola Taube, Peter Kraus vom Cleff: Wenn Bücher teurer werden, aber immer im Auge, dass das Buch nicht nur eine Ware ist, sondern auch würde sich der Einsatz für alle lohnen ein Kulturgut und für die Leser trotzdem erschwinglich bleiben muss. So können Klaus Kluge (siehe unser aktuelles Inter- oder Theater subventioniert, aber immer- wir unseren Teil dazu beitragen, dass sich view auf S. 26/27) hat das Thema „Prei- hin durch die Preisbindung und durch die Geschäftsmodelle aller an den Erlöse hoch“ zur Maxime seines Handelns Selbstausbeutung gefördert wird. sen Beteiligten (Autoren, Handel, Verlag) gemacht. Doch jetzt zweifelt auch Hanser-Verle- auch in Zeiten des Wandels betriebswirtAuch andere Verlage wollen sich in ger Jo Lendle, dass Tucholskys „grund- schaftlich darstellen lassen.“ diesem Herbst an höhere Preise heran- sympathische“ Forderung heute noch trauen, da der Kostendruck durch die Bestand haben dürfe. Denn die Verlage Das findet auch der bisherige Ravensburhätten Tucholskys Forderung „nicht nur ger-GF Martin Bethke, „insbesondere aus Verwerfungen der letzten Jahre durch die drastische Flächenerosion im Han- erfüllt, sondern übererfüllt“. der Sicht der Autoren. Denn schließlich del massiv spürbarer geworden ist als in Wie weit der Buchmarkt hinter der all- sind die Urheber diejenigen, die größden Jahren zuvor. gemeinen Preisentwicklung zurückhinke, tenteils kaum von den Einnahmen ihrer So wird in diesem Bücherherbst auch mache ein kulinarisches Beispiel deutlich: Werke leben können, aber gleichzeitig in Hanser versuchen, deutlicher als bisher an „Zu Tucholskys Zeiten hatte ein gut ge- den wenigsten Fällen Einflussmöglichkeit der Preisschraube zu drehen, „nach oben machter Roman den Gegenwert von 20 auf die Ladenpreise haben.“ natürlich“, wie Marktingchefin Felicitas Brotlaiben gekostet. Bei gleicher EinBethke ist überzeugt: „Wer ist als Kunde Feilhauer sagt: „Im Herbst ziehen auch ordnung müsste ein Buch heute 50 Euro nicht auch bereit, Preisschwellen zu überwir (mit Ausnahme des Kinderbuchs) auf kosten.“ springen, wenn er entsprechende Qualität Wunsch des Handels die Preise glatt und Auch Lendle ist deshalb überzeugt, dass bekommt? Aber in der Konsequenz der nutzen dies zu weiteren Preiserhöhungen „der Preis eines Buches seinen wahren Wert von den Verlagen zu verantwortenden in der Größenordnung von ein bis zwei nicht mehr widerspiegelt. Die Branche hat Preispolitik verlieren alle MarktteilnehEuro.“ viel zu lange ängstlich vor Preisschwellen mer: Autoren, Verlage, Handel. Einzig Wie es Diogenes unübersehbar schon verharrt. Es ist an der Zeit, sie zu über- der Konsument profitiert. Gleichzeitig seit geraumer Zeit macht: Die Zürcher be- springen.“ erziehen wir ihn aber zu der GrundhalLendle macht deshalb Mut zu höheren weisen der Buchbranche, dass es durchaus tung, dass Bücher billig zu sein haben und möglich ist, auch für meist eher schmale Ladenpreisen: „Es gibt Verzweiflungsprei- generell nichts wert sind. Dies haben wir Bücher deutlich höhere Ladenpreise zu se und es gibt stolze Preise. Die Verzweif- als Branche erreicht. Diese Abwärtsspirale © Christian Ode © Anja Köhler, Ravensburger man auf dem von BuchMarkt im Märzheft fordern und erfolgreich durchzusetzen zitierten Baldacci-Niveau wäre. Schaepe: – wenn das Produkt nicht austauschbar „Und noch deutlicher sieht es im Taschen- ist, wie Geschäftsleitungsmitglied Stefan buch aus: Hier hat sich 9,99 Euro fast als Fritsch sagt. Sein Verlag hat als erster nicht mehr daNormalpreis herausgebildet; unter den aktuellen Top 20 sind nur zwei bei 8,99 rauf gehört, was Kurt Tucholsky einst von seinem Verleger gefordert hatte: „Macht Euro, dafür drei über 10 Euro. Verglichen mit den TB-Preisen zu DM-Zeiten eine er- unsere Bücher billiger.“ hebliche Steigerung“, wie aktuelle Zahlen Seither war das sichtlich der Grundgeaus der KNV-Statistik auswiesen. danke bei der Buchkalkulation, und vom Handel wurde das bislang in der Regel Tatsächlich deutet sich eine Trendwen- akzeptiert: Schließlich handeln wir doch de an. Nicht nur Bastei Lübbe-Vorstand mit einem Kulturgut, das nicht wie Oper 30 BuchMarkt April 2016 Magazin | Thema des Monats zu durchbrechen, ist ein sehr langfristiges Ziel, welches mit einem Bewusstseinswandel bei allen Beteiligten einhergehen muss.“ Wer mag ihm widersprechen? Einzig der Verlagsberater Dr. Andreas Meyer hat erhebliche Zweifel, ob jetzt schon der richtige Zeitpunkt gekommen ist, an der Preisspirale zu drehen, denn die Buchbranche sei dafür denkbar schlecht gerüstet, denn der Faktor Kunde komme bei den Überlegungen bislang nicht vor: „Zu befürchten ist deshalb, dass es bei undifferenzierten, rein rendite-orientierten Preiserhöhungen vor allem eines gibt: Ein blaues Auge.“ (s. Kasten S. 29) Ein Zwischenschritt könnte der sein, den Rowohlt-GF Peter Kraus vom Cleff anregt: „Deep Reading, das Sich-Vertiefen in ein Buch, also Stunden voller Genuss, Eskapismus, Eintauchen und Abtauchen. Das müssen wir gemeinsam vermitteln. Und den nach Orientierung suchenden KundInnen genau das empfehlen, was ihnen diesen Leserausch bestmöglich bietet. Dafür wird dann auch auskömmliche Zahlungsbereitschaft da sein.“ Jürgen Horbach, langjähriger Börsenvereins-Schatzmeister, hat sich schon lange „gewundert“, das die Branche Marktforschungsergebisse ignoriert habe, aus denen „klar hervorging, dass ein Kunde, der aus dem Laden kam, für das gekaufte Buch auch mehr bezahlt hätte. Die sog. Preisschwellen galten als Dogma, an das sich die Verlage zu halten hatten, sonst hieß es oft: zu teuer.“ „Kein Wunder“, sagt Berater Arnd Roszinsky-Terjung: „Die großen Ketten senden regelmäßig das falsche Preissignal. Und die kleineren Buchhandlungen verstehen es oft nicht, ein entsprechendes Umfeld für das Buch zu schaffen, das deren Wert entspricht“ (mehr darüber auf Seite 32). Aber Buchhändlerin Viola Taube hofft: „Wenn die Bücher endlich teurer werden würden, würde sich unser Einsatz auch mehr lohnen. Wenn wir beraten, dann ist der Preis eines Buches nebensächlich. Ein gutes Buch hat einen Wert für meinen Kunden dann, wenn ich von der zu entdeckenden Welt in diesem Buch erzähle.“ Christian von Zittwitz Der Weg in die Zukunft Ein „Gewinn-Errechner“ soll der Branche helfen, mehr Kostenbewusstsein bei allen im Laden zu entwickeln G ünter Wohlgenannt, Geschäftsführer der österreichischen Buchhandlung „Das Buch“ in Dornbirn, stellt auf www.buchhandelszukunft.de der Buchbranche einen „Gewinn-Errechner“ zur Verfügung, der helfen soll, bei allen im Laden ein gesundes Bewusstsein für die wirklichen Kosten eines Buchverkaufs zu entwickelt. Für den Obmann der Vorarlberger Medienwirtschaft ist das der „wirksamste Impfstoff gegen die Autoimmunerkrankung der Buchbranche“, die sich am liebsten beim Kunden für vermeintlich zu hohe Preise entschuldigen würde – oder es sogar immer wieder tut. Sein Rechner beuge dieser Rechenschwäche vor und schaffe ein Bewusstsein für die wirklichen Kosten, die ein Unternehmen beim Buchverkauf habe; er plant jetzt auch Workshops, um dem Buchhandel ein Gefühl für die wirtschaftlich notwendigen Zahlen beizubringen – und damit „wieder Mut für die Zukunft zu machen“. Denn: „Das Kostenbewusstsein ist bei uns im Buchhandel verkümmert, da wir nicht frei kalkulieren können. Deshalb hätten wir aus dem Auge verloren, dass nicht jeder Umsatz einen Gewinn abwirft; zu niedrige Buchpreise würden gar zu Verlusten und „schlussendlich zum Untergang von Unternehmen führen.“ Da sich im Grunde genommen der Aufwand für den Verkauf eines Taschenbuchs um 9,90 Euro nicht wesentlich von dem eines gebundenen Buches um 19,90 Euro unterscheide (beide müssen bestellt, ausgepackt, eingeräumt und verkauft werden), lasse sich mit (s)einer Fixkostenberechnung grob ermitteln, welcher Betrag pro Buch erwirtschaftet werden muss, damit Kostendeckung und Gewinn gewährleistet sind: „Vor zehn Jahren mag der Verkauf von Büchern um 9,90 Euro noch kostendeckend gewesen sein, inzwischen aber sind die Kosten BuchMarkt April 2016 Günther Wohlgenannt mit dem von ihm programmierten GewinnErrechner: Abhilfe gegen schlechtes Gewissen bei „hohen“ Verkaufspreisen deutlich gestiegen, der durchschnittliche Ladenpreis aber hat sich nicht erhöht.“ Die Folge: Der Buchhandel müsse mittlerweile erwirtschaftete Gewinne aus dem Verkauf mittel- und hochpreisiger Bücher dazu verwenden, die Verluste aus Umsätzen im unteren Preissegment abzudecken. Und „da unser Fokus in erster Linie auf verkaufte Stückzahlen und Rabatte gerichtet ist, kaufen wir bevorzugt Bücher mit einem niedrigen Ladenpreis ein und senden damit die falschen Signale an die Verlage, die ja die Preise festsetzen. Wenn aber alle im Laden die durchschnittlichen Fixkosten kennen, dann hilft das beim Umdenken. Billigaktionen wird es bei uns im Laden jedenfalls nicht mehr geben. Die Verwendung dieser Kalkulationstabelle hat in unserem Team auch unser Einkaufsverhalten verändert.“ 31 Magazin | Thema des Monats Im Umfeld fehlt Luxus Arnd Roszinsky-Terjung weist Wege aus dem Preis-Dilemma auf: Die Buchbranche muss lernen, die richtigen Preissignale auszusenden W arum hat sich in 30 Jahren in der Preisentwicklung kaum etwas bewegt? Was kettet Handel wie Verlage an das Diktum der „billigen Bücher“? Eine Erklärung ist: Die Preise sind niedrig, weil die Preise niedrig sind. Auf Seiten der Käufer wird die Preiswahrnehmung maßgeblich dadurch bestimmt, was dem Auge des Käufers im relevanten Umfeld an Preisen geboten wird. Und die häufigsten Preiskategorien bewegen sich im Buchhandel zwischen 5 und 30 Euro. Da kann erst gar kein Gefühl aufkommen, dass man sich als Kunde in einem luxuriösen Umfeld bewegt. Das Fehlen von Premium-Preislagen bewirkt, dass sich der Fokus der Kunden automatisch nach unten verschiebt. Wenn in einer Gaststätte das teuerste Gericht 16,80 Euro kostet, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es nur selten geordert wird. Kommt ein weiteres Gericht für 25 Euro hinzu, findet auf einmal auch die Kategorie 16,80 neue Freunde. Im Buchhandel wird diese Logik weitherum vernachlässigt. Mit den riesigen MA-Flächen im Eingang senden die großen Ketten regelmäßig das falsche Preissignal. Wir wissen freilich durch die moderne neurobiologische Verhaltensforschung längst, dass das Ladenumfeld auf die Preiswahrnehmung einwirkt. Glanz und Glimmer bei Douglas sorgen dafür, dass das gleiche Parfüm dort für 49 Euro verkauft werden kann, das bei Real mit 39 Euro ausgezeichnet wird. Preise werden im Gehirn dort wahrgenommen, wo auch körperlicher Schmerz verzeichnet wird. Die Schlussfolgerung liegt auf der Hand: Ein Kauf findet nur statt, wenn das empfundene Vergnügen beim Kauf oder das erwartete Vergnügen bei der Verwendung den erlebten Schmerz überwiegt. Wenn man also die Frage stellt, wie höhere Preise durchsetzbar sind, dann ist vorher besser die Frage zu beantworten, wie sich die Branche höherwertig darstellen kann. 32 ner Warengruppe was er will – und entsprechend zufällig ist das Ergebnis. Weil dadurch hochpreisige Bücher in der Präsentation untergehen (und sich nicht so verkaufen, wie erhofft), etabliert sich ein Regelkreis, der wiederum verhindert, dass in der Zukunft höherpreisige, vielleicht experimentelle Titel eingekauft werden: „Damit haben wir keine guten Erfahrungen gemacht“ – oder „das kaufen unsere Kunden nicht“ ist dann das gern gehörte Resümee. Arnd Roszinsky-Terjung: Wie kann sich die Branche höherwertiger darstellen? Die Antworten werden vielschichtig ausfallen. Berater wie Andreas Meyer werden nicht müde darauf hinzuweisen, dass jedes einzelne Buch den Mehrwert einer kontextuellen Besonderheit mit auf den Weg bekommen sollte (s. Kasten Seite 29). Für Schnipselinformation ohne kontextuellen Mehrwert haben wir heute das Internet, dazu braucht kein Mensch mehr Bücher. Hier sind also Verlage gefordert, ihre Kernaufgabe auf eine neue Basis anzuheben. Umgekehrt ist ebenso kritisch zu hinterfragen, was denn der Handel zur kontextuellen Einordnung real beiträgt. Praktiziert wird doch eher das genaue Gegenteil: Bücher werden als Massenprodukte ausgestellt, der Leser möge sich selber durch den Breiberg futtern. Damit Bücher wertvoller für den Käufer werden, muss ihnen auch ein Wert visuell eingeräumt werden. Die Präsentation im Laden hätte eigentlich die Aufgabe, Kontexte herzustellen und so den Käufer auf Themen zu lenken, die ihn intellektuell oder emotional bereichern. Stattdessen macht in Buchhandlungen jeder in sei- BuchMarkt April 2016 Was auf der anderen Seite die Experimentierfreude bei Verlagen deutlich reduziert. Wer mit seinen Produkten aus dem geübten Preiskorridor herausfällt, braucht Standhaftigkeit und einen langen Atem. Es muss nicht einmal so sein, dass der Handel Verlage bei höheren Preisen im Stich lässt (was auf Verlagsseite häufig reklamiert wird). Sondern es reicht schon, dass der Handel mit diesen Produkten so geringschätzig und unreflektiert umgeht wie auch sonst, um das Projekt floppen zu lassen. Womit sich bei Verlagen der gleiche Regelkreis etabliert, der auch schon den Handel ausbremst. Wie ließe sich der gordische Knoten durchschlagen? Andreas Meyer hält ein Maßnahmenbündel für zwingend: „Unterschiedliche Zielgruppen suchen unterschiedliche Preise. Also gibt es ohne Positionierung auch kein optimales Pricing. Mehr noch: Preise/Produkte müssen für den Käufer systematisch attraktiver gestaltet werden, ,Mehrleistung, mit der der Leser so nicht rechnet‘ ist das Stichwort. Und schließlich brauchen höhere Preise intern in Verlag wie Handel ihre Lobby. Was völlig fehlt, sind Leistungssysteme: Bei Vertretern könnte die Provision zum Beispiel in dem Maße steigen, in dem es ihnen gelingt, höherpreisigen – und damit renditestarken – Produkten Absatz zu verschaffen. Arnd Roszinsky-Terjung
© Copyright 2024 ExpyDoc