25 Jahre Waffenstillstandsabkommen in der Westsahara

Deutscher Bundestag
27.04.2016
Antrag
der Abgeordneten Katja Keul, Uwe Kekeritz, Tom Koenigs, Annalena Baerbock,
Marieluise Beck (Bremen), Dr. Franziska Brantner, Agnieszka Brugger, Dr. Tobias
Lindner, Omid Nouripour, Cem Özdemir, Claudia Roth (Augsburg), Manuel
Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Jürgen Trittin, Doris Wagner, Luise Amtsberg,
Renate Künast, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
25 Jahre Waffenstillstandsabkommen in der Westsahara ‒ UN-Resolution 690 umsetzen, Referendum durchführen
Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Vor 25 Jahren, am 29. April 1991, verabschiedete der UN-Sicherheitsrat Resolution 690, mit der die Blauhelm-Mission MINURSO eingesetzt wurde, die sowohl den Waffenstillstand zwischen Marokko und der Frente Polisario (Frente
Popular para la Liberacion de Saguia Al Hamra y Rio de Oro) überwachen, als
auch ein Referendum über den völkerrechtlichen Status der Westsahara begleiten
sollte. Damit betonte der Sicherheitsrat das Selbstbestimmungsrecht der Einwohner des Gebietes der Westsahara.
Während eines Besuchs der Lager der Westsahara-Flüchtlinge in Algerien im
März 2016 bezeichnete UN-Generalsekretär Ban Ki Moon die Anwesenheit marokkanischer Truppen auf dem Gebiet der Westsahara als Besatzung („occupation“). Als Reaktion darauf verwies Marokko über 80 UN-Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern des Landes.
Während der spanischen Herrschaft bis 1975 gründeten die Saharauis zahlreiche
Befreiungsorganisationen, aus denen die Frente Polisario als Wichtigste hervorging. Mit Abzug der spanischen Kolonialmacht erhoben Marokko und Mauretanien Anspruch auf das Gebiet und wandten sich an den Internationalen Gerichtshof (IGH), um ihre Forderungen gerichtlich geltend zu machen. Der IGH urteilte
1975, dass weder Mauretanien noch Marokko während der Kolonialisierung territoriale Souveränität über das Gebiet ausgeübt hätten und beide Länder folglich
keinen rechtlichen Anspruch besäßen. In der Folge besetzte Marokko im „Grünen
Marsch“ 1975 einen großen Teil des Gebietes, um seinen Anspruch zu untermauern. Die Frente Polisario widersetzte sich dem Einmarsch und rief vor 40 Jahren,
am 27. Februar 1976, die Demokratische Arabische Republik Sahara (DARS) aus.
Vorabfassung - wird durch die lektorierte Fassung ersetzt.
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Zwischen 1980 und 1987 errichtete Marokko ein 2500 km langes Schutzwall-system (berms) aus Erd- und Steinwällen mit Wachtürmen und Minenfeldern entlang
der Waffenstillstandslinie, die die Fläche der Westsahara seitdem in zwei Zonen
teilt. Circa 85 Prozent der Westsahara stehen unter marokkanischer Verwaltung.
Schätzungen der OECD zu Folge leben heute etwa 515.000 Menschen in dem von
Marokko verwalteten Terrain. Nach Angaben der Polisario sind es circa 180.000
Saharauis und 400.000 Marokkaner. Diese Region umfasst einen Großteil des
fruchtbaren Bodens, Phosphatabbaugebiete und Ölreserven, sowie den gesamten
Küstenstreifen mit seinen ertragreichen Fischgründen. Die Ausbeutung der Bodenschätze auf dem Gebiet der Westsahara und der Fischbestände vor der Küste
durch Marokko ist völkerrechtswidrig, solange sie der saharauischen Bevölkerung nicht zugutekommt. Dies ist derzeit nicht oder nur sehr eingeschränkt der
Fall. Das Europäische Parlament verlängerte das umstrittene Fischereiabkommen
im Dezember 2011 aufgrund der völkerrechtlichen Problematik nicht. Gegen das
neue Fischereiprotokoll zwischen der EU und Marokko, das im Juli 2014 in Kraft
trat, hat die Frente Polisario eine Klage gegen den Rat der Europäischen Union
beim Gericht der Europäischen Union eingereicht. Ein Handelsabkommen, das
die EU 2012 mit Marokko abgeschlossen hatte, wurde im Dezember 2015 vom
Gericht der Europäischen Union verworfen, da es Produkte aus dem Gebiet der
Westsahara einschloss. Das Gericht hat im Verfahren die Klagebefugnis der
Frente Polisario anerkannt. Die EU-Kommission hat gegen das Urteil Berufung
eingelegt. Bundesinnenminister de Maizière hat Marokko im Februar 2016 im
Namen der Bundesregierung Unterstützung bei der Berufung gegen dieses Urteil
zugesagt.
2010 protestierten mehrere Tausend Saharauis im Camp Gdim Izik für mehr soziale Gerechtigkeit. Marokkanische Sicherheitskräfte räumten das Camp gewaltsam, dabei wurden 24 Saharauis verhaftet und vor dem Militärgericht Rabat angeklagt. Im Februar 2013 wurde gegen acht Saharauis eine lebenslange Haftstrafte und gegen die übrigen Haftstrafen von bis zu 30 Jahren verhängt.
Die restlichen 15 Prozent des Gebiets der Westsahara jenseits des Sandwalls im
Osten der Westsahara werden von der Frente Polisario kontrolliert, die schätzt,
dass hier circa 30.000 bis 40.000 Menschen leben. Durch die Bewegung des Wüstensandes gelangen immer wieder Minen auf dieses Gebiet und führen zu schweren Verletzungen der dort lebenden saharauischen Bevölkerung. Aus der Zeit des
bewaffneten Konflikts sind zudem immer noch zahlreiche Bodenminen auf dem
von der Polisario kontrollierten Gebiet vergraben, die weiterhin die dort lebende
Bevölkerung gefährden. Bisher konnte eine systematische Bergung dieser Minen
nicht durchgeführt werden.
Der größte Teil der Saharauis lebt seit mittlerweile 40 Jahren außerhalb der Westsahara in fünf Flüchtlingslagern in der Nähe der algerischen Stadt Tindouf. Über
die Anzahl der in den Flüchtlingslagern lebenden Personen herrscht große Unsicherheit. Es wird von 90.000 bis 160.000 Personen gesprochen. Die Flüchtlingslager bei Tindouf gehören de jure zum algerischen Staatsgebiet, de facto überlässt
die algerische Regierung jedoch die Kontrolle und die Verwaltung der Frente Po-
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Die DARS ist Mitglied der Afrikanischen Union (AU) und wurde bisher von einigen Ländern (die Zahlen in der Literatur schwanken zwischen 33 und 70) anerkannt. Marokko sieht die Westsahara als integralen Bestandteil des eigenen Territoriums und hat die AU nach Aufnahme der DARS verlassen. Die Regierung
der DARS hat ihren Sitz im Exil nahe der algerischen Flüchtlingslager, wohin ein
Großteil der indigenen saharauischen Bevölkerung während des Konfliktes geflohen war.
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II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:
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sich auf internationaler Ebene dafür einzusetzen, dass das MINURSO-Mandat erneut verlängert und dabei um einen Menschenrechtsmechanismus ergänzt wird;
im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen darauf hinzuwirken, dass der
Menschenrechtsrat sich im Rahmen einer „special procedure“ mit der Menschenrechtslage in Westsahara befasst;
sich im Rahmen der EU und der Vereinten Nationen stärker als bislang für
eine dauerhafte Lösung des Konflikts und für eine zeitnahe und konstruktive
Umsetzung eines freien und demokratischen und von den Vereinten Nationen organisierten und überwachten Referendums einzusetzen;
die völkerrechtswidrige Verwaltung der Westsahara durch Marokko nicht
anzuerkennen;
sich bilateral gegenüber Marokko, innerhalb der EU und innerhalb der Vereinten Nationen dafür einzusetzen, dass die durch die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen Westsaharas eingenommen Mittel der saharauaischen Bevölkerung zu Gute kommen;
zu gewährleisten, dass sowohl bei der Entwicklungszusammenarbeit als
auch der künftigen Verhandlung von Abkommen mit Marokko die Gewässer
und Landesgebiete der Westsahara solange ausgenommen werden, bis ihr
völkerrechtlicher Status durch ein Referendum geklärt ist, und sich dafür
einzusetzen, dass bestehende Vereinbarungen und Abkommen mit Marokko
entsprechend nachverhandelt werden;
in der Berufungsverhandlung, die Marokko gegen das Urteil des Europäischen Gerichts vom 15.12.2016 führt, nicht Partei zu ergreifen;
die humanitäre Hilfe für die Flüchtlingslager von Tindouf zu erhöhen, das
dortige Engagement des UNHCR stärker als bislang zu unterstützen und sich
auf internationaler Ebene für die ausreichende Ausstattung des World Food
Vorabfassung - wird durch die lektorierte Fassung ersetzt.
lisario. Die Flüchtlinge organisieren sich selbst in Lagerparlamenten mit gewählten Abgeordneten, Bürgermeistern und Gouverneuren. Sie haben mittlerweile
eine rudimentäre Infrastruktur angelegt sowie Bildungs- und Gesundheitsdienste
eingerichtet. Die Zivilgesellschaft in den Lagern ist sehr aktiv und Frauen nehmen
eine wichtige Rolle in der Gesellschaft sowie in der Verwaltung ein. Bereits 2015
konnten das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR), das World
Food Programme und Oxfam nicht mehr die vollständige Versorgung der Flüchtlingslager mit Nahrungsmitteln gewährleisten. Die humanitäre Situation in den
Lagern ist zudem nach einer schweren Flut im Sommer 2015 weiterhin angespannt. Noch im Januar 2016 waren die Zerstörungen und Schäden an Häusern
und öffentlichen Einrichtungen allgegenwärtig.
Während der Waffenstillstand am 6. September 1991 in Kraft trat und bis heute
hält, ist das Referendum bis heute nicht durchgeführt worden. Marokko hat einen
konkreten Autonomieplan für die Westsahara vorgelegt, weigert sich aber über
die Unabhängigkeit des Gebiets zu verhandeln. Seit 2012 haben keine direkten
Gespräche zwischen Marokko und der Frente Polisario mehr stattgefunden. König
Mohammed VI. hat anlässlich des 40. Jahrestages des „Grünen Marsches bekräftigt, dass Marokko die Westsahara als integralen Bestanteil des eigenen Landes
ansehe. Immer wieder wurde auch dem Persönlichen Gesandten des UN-Generalsekretärs für die Westsahara der Zugang zu Westsahara von marokkanischen Behörden verweigert. Der jungen Generation fehlen die Perspektiven. Aus einzelnen
Gruppen wird bereits die Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes gefordert.
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Berlin, den 26. April 2016
Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion
Begründung
Die internationalen Interessen am Status des westsaharischen Gebietes variieren stark und sind selbst in der Europäischen Union (EU) uneinheitlich. Frankreich befürwortet eine Autonomieregelung unter marokkanischer
Souveränität. Die USA halten eine Unabhängigkeit der Westsahara für unrealistisch und sprechen sich daher
ebenfalls für eine Autonomieregelung aus. Die ehemalige Kolonialmacht Spanien verhält sich vorsichtig, scheint
aber einer Unabhängigkeit inzwischen ablehnend gegenüber zu stehen. Auch die deutsche Bundesregierung verhält sich bilateral wie auch im Rahmen der EU zurückhaltend, setzt sich aber laut ihrer Antwort auf eine Kleine
Anfrage der antragstellenden Fraktion „für eine gerechte, dauerhafte und für alle Seiten annehmbare politische
Lösung im VN-Rahmen“ (BT-Drs. 18/7928, S. 2) ein. Das Europäische Parlament hat sich in einer Entschließung
am 17. Dezember 2015 dafür ausgesprochen, das auf Selbstbestimmung des saharauischen Volkes im Einklang
mit den einschlägigen Resolutionen der Vereinten Nationen zu achten und Marokko aufgefordert, die Menschenrechte auf dem Gebiet der Westsahara zu beachten.
Die Menschenrechtslage in der marokkanisch verwalteten Region und die humanitäre Situation in den algerischen
Flüchtlingslagern sind prekär. Sowohl die Berichte von internationalen Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch, Amnesty International, der Bericht des VN-Sonderberichterstatters für Folter vom Februar
2013 und der Bericht der internationalen Delegation des Robert F. Kennedy Center for Justice and Human Rights
vom Dezember 2015 als auch die Darstellungen lokaler Organisationen beklagten unlängst eine weitere Verschlechterung der ohnehin schon schwierigen Menschenrechtssituation.
Die vorgenommenen positiven Änderungen in der marokkanischen Verfassung, die die Kriminalisierung von
Folter, willkürlicher Verhaftung und Verschwindenlassen, sowie die Gleichstellung der Geschlechter und die
Meinungsfreiheit beinhalten, sind zu begrüßen. Ebenfalls ist die Einsetzung des marokkanischen Nationalen Menschenrechtsrates (Conseil national des droits de l’Homme, CNDH), in dem insgesamt 30 Mitglieder des Parlaments, Mitglieder der Zivilgesellschaft und Religionsvertreter sitzen, positiv anzuerkennen. Der CNDH arbeitet
seit 2011 auch in zwei regionalen Kommissionen in Laayoune und Dakhla in der Westsahara und erarbeitet regelmäßig Berichte zur Menschenrechtssituation in der Westsahara.
In der Praxis sind jedoch besonders in dem marokkanisch verwalteten Gebiet das Recht auf Leben und körperliche
Unversehrtheit, das Recht auf ein faires Verfahren, das Folterverbot, die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit
und das Recht auf freie Meinungsäußerung der saharauischen Bevölkerung eingeschränkt. JournalistInnen und
MenschenrechtsaktivistInnen werden bedroht, von Sicherheitskräften überwacht, eingeschüchtert, unter dubiosen
Vorwänden strafrechtlich verfolgt oder wegen angeblicher Vergehen willkürlich verhaftet. Zu kritischen Themen
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Programme einzusetzen, damit es seinen Aufgaben weltweit nachkommen
kann;
9. eine Verbesserung der Menschenrechtssituation der Saharauis in dem marokkanisch verwalteten Gebiet der Westsahara in bilateralen Gesprächen mit
Marokko deutlicher als bisher anzumahnen und die marokkanische Regierung aufzufordern, die politischen Gefangenen freizulassen;
10. die fehlenden Untersuchungen zu den Menschenrechtsverletzungen in den
Flüchtlingslagern in bilateralen Gesprächen mit der Frente Polisario anzumahnen;
11. Informationen und Studien über die Situation in den Flüchtlingslagern und
dem von der Frente Polisario verwalteten östlichen Gebiet der Westsahara
zu fördern.
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gehören Äußerungen zum Status der Westsahara, zur territorialen Integrität Marokkos, zum Selbstbestimmungsrecht der Menschen auf dem Gebiet der Westsahara sowie Kritik an der Regierung, der Monarchie und dem Islam.
Die marokkanische Regierung bestreitet, dass es politische Gefangene gibt. Lokale Menschenrechtsorganisationen sprechen hingegen bei 85 Inhaftierten von politischen Gefangenen. Bei friedlichen Protesten gehen Sicherheitskräfte häufig gewalt-sam gegen die Demonstrierenden vor und es kommt zu Verhaftungen. Viele Häftlinge
bleiben im Anschluss länger als die gesetzlich erlaubten zwölf Tage inhaftiert - meist ohne Kontakt zur Außenwelt. Das gilt vor allem bei Terrorverdacht. Zahlreichen Berichten nationaler und internationaler Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International zu Folge kommt es in Gefängnissen immer
wieder zu Folter und anderweitigen Misshandlungen durch die Sicherheitskräfte. Dies steht im starken Widerspruch zu Marokkos Rolle bei den VN, wo es die Erklärung über den Schutz von Menschenrechtsaktivitäten selbst
aktiv mit eingebracht hat. Die Prozesse, besonders bei politisch motivierten Anklagen, entsprechen nicht den
internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren und medizinische Gutachten bei Vorwürfen der Folter werden häufig nicht eingeholt. Saharauische Menschenrechtsorganisationen stehen immer wieder vor dem Problem,
sich in Marokko nicht offiziell registrieren zu können. Einige wurden sogar von der marokkanischen Regierung
verboten. Dies hindert sie an einer effektiven Ausübung ihrer Tätigkeit, da sie kein reguläres Büro eröffnen können und alle Aktivitäten mehr oder weniger illegal sind.
Der Deutsche Bundestag hat sich in den letzten Jahren immer wieder mit der Lage in den Flüchtlingslagern der
Westsaharauis befasst, neben parlamentarischen Initiativen und Anfragen auch durch eine Delegation des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe in der 17 Wahlperiode und eine Einzeldienstreise der Abgeordneten Katja Keul und Kerstin Tack in der 18. Wahlperiode. Dabei konnten sich die Parlamentariern durch den
Besuch der Lager und Gespräche sowohl mit der dortigen Bevölkerung, mit Vertreterinnen und Vertretern der
Zivilgesellschaft als auch den gewählten Vertreterinnen und Vertretern der Frente Polisario ein umfassendes Bild
von der Lage vor Ort machen. Dabei standen sowohl die Versorgung der Bevölkerung vor Ort als auch der politische Prozess um eine Lösung des Konflikts um die Westsahara im Mittelpunkt der Gespräche.
Über gegenwärtige Menschenrechtsverletzungen der Saharauis an ihrer eigenen Bevölkerung oder über Unterdrückungsmechanismen gegenüber politischen Gegnern gibt es keine gesicherten Informationen. Bisher wurden
von Seiten der Frente Polisario allerdings keinerlei Maßnahmen unternommen, die ihr u.a. von Human Rights
Watch vorgeworfenen Menschenrechtsverletzungen aufzuarbeiten.
Zur Lage in dem von der Polisario verwalteten östlichen Gebiet der Westsahara existieren so gut wie keine Informationen. Das Gebiet wird hauptsächlich von der nomadischen Bevölkerung bewohnt. In den drei größeren Siedlungen (Tifariti, Mehaires und Mijek) gibt es eine rudimentäre Infrastruktur mit jeweils einem Schulgebäude,
einer Gesundheitsstation und Verwaltungsgebäuden. Die Siedlungen werden, wie auch die Flüchtlingslager, von
gewählten BürgermeisterInnen verwaltet. Die Versorgung der Menschen erfolgt durch die Hilfsgüter externer
Geber über die Flüchtlingslager, die über unbefestigte Straßen in die drei Siedlungen transportiert werden. Zwischen dem östlichen und dem marokkanisch verwalteten Gebiet besteht keinerlei Grenzverkehr.
Die EU profitiert von den reichen natürlichen Ressourcen der Westsahara, besonders von den Phosphat- und
Fischvorkommen. Sie kooperiert mit Marokko als strategischem Partner bei der Abwehr von afrikanischen Flüchtlingen. Die USA und Frankreich haben mit Marokko derweil schon Verträge über die Untersuchung und Verwertung von Ölvorkommen auf dem Gebiet der Westsahara geschlossen. Des Weiteren erhofft sich in jüngster Zeit
Marokko Einnahmen durch den Export von aus erneuerbaren Energien gewonnenem Strom nach Europa. Die drei
Schwerpunkte der deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit Marokko sind die Förderung einer nachhaltigen
Wirtschaftsentwicklung, die Nutzung und das Management von Wasserressourcen sowie der Bereich Umwelt und
Klimawandel, einschließlich der Förderung erneuerbarer Energien. In diesem Rahmen hat die Gesellschaft für
Internationale Zusammenarbeit (GIZ) auch Projekte auf dem Gebiet der Westsahara geprüft, ohne dass dabei in
der Projektbeschreibung das besetzte Gebiet der Westsahara auf der Planungslandkarte vermerkt, noch auf den
völkerrechtlichen Status Bezug genommen wurde.
Die natürlichen Schätze gehören jedoch nicht Marokko, sondern den Saharauis. Marokko verfolgt in den letzten
Jahren ein breit angelegtes Programm der Dezentralisierung, das auch einen sozio-ökonomischen Ausgleich der
Regionen des Landes vorsieht. Eine politische Lösung der Gebietsfrage ist damit nicht verbunden. Abgeleitet aus
dem Recht auf Selbstbestimmung besitzen alle Völker auch das Recht, ihre eigene ökonomische, kulturelle und
soziale Entwicklung zu fördern, was die Freiheit einschließt, über die Bodenschätze und natürlichen Ressourcen
auf ihrem Gebiet selbst zu verfügen (UN General Assembly resolution 1803 (XVII) of 14 Decem-ber 1962, „Permanent sovereignty over natural resources“). Artikel 73 der VN-Charta besagt zudem, dass die ökonomische
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Vorabfassung - wird durch die lektorierte Fassung ersetzt.
Ausbeutung von natürlichen Ressourcen in nicht-selbstbestimmten Gebieten nur mit der Zustimmung der lokalen
Bevölkerung gestattet werden kann und in Übereinstimmung mit deren wirtschaftlichen Interessen erfolgen muss.
Beides ist in dem von Marokko besetzten Gebiet der Westsahara nicht der Fall. Solange der völkerrechtliche
Status der Westsahara nicht geklärt ist, bleibt dieser Konflikt ein Hemmschuh für die weitere Entwicklung der
gesamten Region.