Gastkommentar: Lügen unterwandern Institutionen, die der Wahrheit verpflichtet sind Seite 17 Neuö Zürcör Zäitung NZZ – INTERNATIONALE AUSGABE Dienstag, 26. April 2016 V Nr. 96 V 237. Jg. DEU M U KTR SPE T LA SCH gegründet 1780 ND www.nzz.ch V € 2.90 Historische Zäsur in Österreich Freiheitlicher triumphiert in der Präsidentenwahl Im ersten Durchgang der Bundespräsidentenwahl erreicht FPÖ-Kandidat Hofer ein Rekordergebnis. Die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP erleiden ein Debakel. MERET BAUMANN, WIEN GORAN BASIC / NZZ Natürlich essen, unnatürlich werten Was wir essen, ob und wie wir töten, um zu essen: Seit alters sind solche Fragen eng mit den Begriffen Schuld und Unschuld verbunden. Heute ersetzen Bio-Siegel religiöse Moralinstanzen. Restaurants nennen sich «not guilty», Supermärkte locken mit «Innocent»-Säften und «Du darfst»-Käse. Dabei ist Natur per se weder gut noch böse. Es ist der Mensch, der seinen wertenden Massstab anlegt. Feuilleton, Seite 19 Der erste Wahlgang für die Nachfolge von Bundespräsident Heinz Fischer erschüttert Österreichs Innenpolitik. Norbert Hofer von den rechtspopulistischen Freiheitlichen (FPÖ) siegt überlegen und kommt auf gut 35 Prozent der Stimmen – deutlich mehr, als ihm die Umfragen prognostiziert hatten. Er muss in der Stichwahl gegen den von den Meinungsforschern stets als Favorit gehandelten ehemaligen Präsidenten der Grünen, Alexander Van der Bellen, antreten. Dieser erzielte 21 Prozent und landete knapp vor der unabhängigen früheren Richterin Irmgard Griss mit 19 Prozent. Waterloo für Rot-Schwarz Eine Reformagenda für Zürich Avenir-Suisse-Direktor Grünenfelder kritisiert Zürcher Bequemlichkeit Die Kantonsregierung agiere zu vorsichtig, sagt Peter Grünenfelder, der neue Direktor der liberalen Denkfabrik. Im Interview skizziert er eine Reformagenda in drei Punkten. LUZI BERNET Im Kanton Zürich fehle politisch der Hunger nach mehr, kritisiert Peter Grünenfelder. Das kürzlich veröffentlichte Sparpaket der Kantonsregierung hätte «strategischer und ambitionierter» ausfallen können, meint der Direktor der liberalen Denkfabrik Avenir Suisse im Gespräch mit der NZZ. Grünenfelder, der zuvor als Staatsschreiber des Kantons Aargau einer der Treiber der dortigen Reformpolitik war, plädiert darin für einen privatwirtschaftlichen Ansatz von Politik. Eine Regierung müsse weit vorausblicken, ein Zukunftsbild entwickeln und klare Ziele definieren. Daraus resultiere eine Reformpolitik, die auf jene Bereiche fokussiere, die am meisten Wertschöpfung generierten. «Es ist notwendig, dass sich der Staat nicht auf das temporär Notwendige und Machbare konzentriert, sondern auch langfristig und strategisch denkt – und dabei das Risiko in Kauf nimmt, dass er in einem ersten Anlauf scheitert», sagt Grünenfelder. Für den Kanton Zürich schlägt er drei Reformfelder vor: Internationalisierung, Pflege des Finanzplatzes, Startups. In der Aussenpolitik müsse Zürich viel stärker wahrnehmbar sein, fordert er. Wie Basel und Genf lebe auch Zürich stark von seiner internationalen Ausrichtung. Zudem gelte es, dem Finanzplatz Sorge zu tragen und dessen Bedürfnisse aufzunehmen. Vor allem der Arbeitsmarkt sei zu bürokratisch organisiert. Und schliesslich gelte es, die Auf- merksamkeit auf die Geschäftsfelder der Zukunft zu richten. «Die digitale Revolution kommt, und Zürich hat beste Chancen, hier eine Führungsrolle wahrzunehmen.» Die Ambition müsse sein, Zürich zum «europaweit führenden Startup-Standort» zu machen und die Politik konsequent darauf auszurichten, von der Raumentwicklung über die Bewilligungsverfahren bis zur Steuerpolitik. «Gerade mit Letzterer werden aber heute Jungunternehmer nicht gefördert, sondern vielmehr behindert», kritisiert Grünenfelder. Im Interview plädiert er zudem für eine Neuauflage des Finanzausgleichs. Verbundaufgaben seien kritisch zu hinterfragen, Verantwortlichkeiten klarer zu bestimmen. Es gehe beispielsweise nicht an, dass Zürich Verkehrsvorhaben vorfinanzieren müsse, die eigentlich der Bund bezahlen müsste. Eine Gebietsreform sei aber nicht zielführend. Zürich, Seite 27 GROSSE DÜRRE ABSCHIED VON IMRE KERTÉSZ Verwundert über das Gedränge am Totenbett des Schriftstellers SEITE 20 NAPOLEONS STURZ SEI DANK NZZ NZZ In ihrer Ausstellung «Targets» zeigt die Fotografin Herlinde Koelbl, wie Soldaten das Töten üben SEITE 21 Trotz dem Glanzresultat ist unsicher, ob tatsächlich erstmals ein Freiheitlicher in die Hofburg einziehen wird. Es ist gut möglich, dass Hofer das Potenzial freiheitlicher Stimmen bereits nahezu ausgeschöpft hat. Für die Mehrheit der Bevölkerung dürfte ein FPÖ-Bundespräsident immer noch schwer vorstellbar sein. Der Ökonom Van der Bellen wird wohl auf die Unterstützung der SPÖund der Griss-Wähler zählen dürfen, durch Sachlichkeit und Intellekt punktet er aber auch im bürgerlichen Lager. Österreich wird bis zum 22. Mai einen klassischen Lager-Wahlkampf zweier ideologischer Antipoden erleben. Kommentar Seite 3 Eben noch Reich des Pfarrers, ist die Kirche heute ein Theater SEITE 18 CHINESISCHE METROPOLEN MUSEUM FÜR GESTALTUNG Die Hofburg ist noch weit weg IM DÖMLI VON EBNAT-KAPPEL Äthiopien fürchtet, Hungerbilder könnten dem Image schaden SEITE 5 Die Immobilienpreise schiessen in die Höhe, die Risiken auch SEITE 8 Noch verheerender als erwartet schneiden dagegen die beiden Traditionsparteien SPÖ und ÖVP ab, die zusammen die Regierungskoalition bilden. Rudolf Hundstorfer, bis zu seiner Kandidatur SPÖ-Sozialminister, kommt ebenso wie der frühere Nationalratspräsident Andreas Khol auf rund 11 Prozent der Stimmen. Nie in der Geschichte der Zweiten Republik war ein Präsident in die Hofburg eingezogen, der nicht von einer der beiden Parteien portiert worden war. Das bisher schwächste Ergebnis von SPÖ und ÖVP zusammen waren knapp 78 Prozent der Stimmen im Jahr 1992 – abgesehen von der Wahl 1998, als die SPÖ keinen Kandidaten gegen den neuerlich antretenden Präsidenten Thomas Klestil (ÖVP) ins Rennen geschickt hatte und dieser gut 63 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnte. Das Waterloo der ehemaligen Grossparteien kommt damit einer Zeitenwende in der österreichischen Politik gleich, deren Konsequenzen noch kaum abschätzbar sind. Die Bevölkerung hat die Wahl für ein Amt, dessen Einfluss realpolitisch eng begrenzt ist, zum Anlass für eine klare Absage an jenes System genutzt, auf dem die Republik in den vergangenen Jahrzehnten gründete: kon- sensorientierte Kompromisslösungen, aber auch Klientelwirtschaft und Postenschacher. Dabei ist es nicht einfach Überdruss der Wählenden, der dieses Debakel erklärt. In der laufenden Legislaturperiode ist erneut offenbar geworden, dass sich die Parteien der nur noch gewohnheitsmässig gross genannten Koalition, in ihren ideologischen Gräben verharrend, nicht einmal auf geringfügige Reformen verständigen können. Nicht genützt hat der Regierung auch der oft mit der Bundespräsidentenwahl erklärte Schwenk in der Flüchtlingspolitik zu Beginn des Jahres. Im Gegenteil: Die FPÖ, die immer einen harten Kurs vertreten hatte, triumphiert auf der ganzen Linie und bestätigt damit auch ihre in der «Sonntagsfrage» zuletzt konstant hohen Werte von mehr als 30 Prozent. Das Ergebnis ist das beste, das die Partei je bei einer bundesweiten Wahl verbuchen konnte. Bisher hatte sie bei einer Bundespräsidentenwahl nie mehr als 17 Prozent der Stimmen erreicht, bei Nationalratswahlen führte Jörg Haider sie 1999 zu knapp 27 Prozent. Norbert Hofer vereinte zum einen die Proteststimmen auf sich, der Bauunternehmer und Reality-TV-Star Richard Lugner kam nur auf gut 2 Prozent. Zum andern profitiert seine Partei derzeit von der Flüchtlingskrise, obwohl die Regierung den Zustrom nunmehr massiv drosseln konnte. Schliesslich politisiert Hofer zwar klar auf Parteilinie, tritt aber stets freundlich auf, was ihm die Stimmen vieler Wähler eingebracht haben dürfte, die die aggressivere Rhetorik von Parteichef Heinz-Christian Strache bisher verschreckt hat. SWISSMILL TOWER Architekten begründen, warum ihnen Zürichs zweithöchstes und heftig kritisiertes Gebäude gefällt SEITE 28 Vor 200 Jahren wurden die Grenzen von Genf festgeschrieben SEITE 24 YB SCHLAGEN FCZ 3:0 Mit ihrem Sieg vertagen die Berner die Basler Meisterfeier SEITE 29, 30 2°/8° WETTER Oft stark bewölkt, im Norden einige Niederschläge. Schneefallgrenze um 800 Meter. Im Süden: teilweise sonnig, Niederschlag möglich. Seite 33 Diverse Anzeigen 14, 33 Sport 29–32 www.nzz.ch Redaktion und Verlag: Neue Zürcher Zeitung, Falkenstrasse 11, Postfach, 8021 Zürich, Telefon: +41 44 258 11 11, Leserservice/Abonnements: + 41 44 258 10 00, weitere Angaben im Impressum Seite 15 q
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