Dada Afrika» -ein fruchtbares Missverständnis

Datum: 25.04.2016
Basler Zeitung
4002 Basel
061/ 639 11 11
www.baz.ch
Medienart: Print
Medientyp: Tages- und Wochenpresse
Auflage: 50'237
Erscheinungsweise: 6x wöchentlich
Themen-Nr.: 038.143
Abo-Nr.: 1094437
Seite: 11
Fläche: 53'180 mm²
«Dada Afrika» - ein fruchtbares Missverständnis
Das Museum Rietberg zeigt den Dialog der Dadaisten mit fremden Kulturen
turen an und ist vom Kubismus beein-
flusst. Dazu haben die Figuren eine
Dynamik, die auf die Atmosphäre der
Veranstaltung hinweisen soll. Da kann
4
, (jeschenk sauarn von
er hey
4
man sich gleich in Sophie Taeubers Tanz
im «cubistischen» Kostüm und mit gro-
tesker Maske denken, der in einer Fotografie dokumentiert ist. Daneben ist die
ikonenhafte Fotografie von Hugo Ball als
«magischem Bischof» zu sehen. Seinem
Lautgedicht «Karawane» lagen afrikanische Rhythmen zugrunde.
Freilich war der Glaube der Dadaisten, mit fremden Zeichen urtümliche
Kräfte - Vorstellungen der kollektiven
Künstlerschaft einer Ethnie - dem
verderbten Kriegs-Europa entgegenzusetzen, ein Missverständnis. Aber es war
fruchtbar - brachte die europäische
Kunst in Bewegung und führte zu ernsthafter Auseinandersetzung mit afrikaniAusstellung der Gegenüberstellungen. Werk von Hannah Höch (links) im
Vergleich mit einem antiken Torso der Göttin Uma aus Kambodscha.
Von Thomas Waldmann. Zürich
Das Dada-Jubiläum ergreift Besitz vom des Cabaret Voltaire seine Galerie an
Museum Rietberg, dem Haus für tradi- der Bahnhofstrasse 19 überliess. Dort
tionelle aussereuropäische Kunst. Zwar standen in Zürich erstmals afrikanische
war immer bekannt, dass die ersten und moderne europäische Kunst gleichdadaistischen Eruptionen vor 100 Jah- wertig nebeneinander. Coray baute
ren neben der Lust an Spiel und Provo- danach eine der grössten Sammlungen
scher und ozeanischer Kultur. Tristan
Tzara las in der Zürcher Zentralbibliothek ethnologische Schriften, bevor er
zum Beispiel ein Maori-Lied, das beim
Ziehen eines Kanus gesungen wurde
(«Toto
Waka»),
zum
Lautgedicht
erklärte - mit kleinen Veränderungen,
als klingendes «Objet trouvd». Eine Hörstation in der Ausstellung vermittelt den
Text in Tzaras Version, auf Maori und
kation und neben dem Protest gegen afrikanischer Kunst auf, die heute auf auf Deutsch. Daneben steht die feine
den Ersten Weltkrieg auch auf der das Rietberg-Museum und das Völker- Holzschnitzerei des Bugs eines MaoriBeschäftigung mit afrikanischer, ozea- kundemuseum Zürich aufgeteilt ist.
nischer und indianischer Kunst beruhten. Aber die Ausstellung «Dada Afrika» Sophie Taeubers Tanz
Expressionisten und Kubisten hatten
ist wohl - dank zahlreicher Leihgaben die erste ethnologisch und kunsthisto- «Stammeskunst» entdeckt und deren
Formen genutzt für eine Innovation der
risch fundierte Ausstellung dazu.
Aus der Kooperation des Rietberg- europäischen Malerei und Skulptur. Die
Museums mit der Berlinischen Galerie,
Dadaisten gingen einen Schritt weiter
dem Landesmuseum für Moderne Kunst
und versuchten, Performance-Elemente
(mit einer grossen Sammlung von Dada
Berlin), entstand als Katalog auch ein fremder Kulturen in ihre Schöpfungen
zu integrieren. «L'Art I\Igre» war auch
Buch über Dada und die Welt.
Kampfbootes aus dem 18. Jahrhundert.
Die Ausstellung beruht auf Gegenüberstellungen. Neben dem Entwurf für
ein Katsina-Kostüm von Sophie Taeuber-
Arp (Gouache von 1922) ist die Replik
des ausgeführten Kostüms zu sehen,
ebenso wie eine Katsina-Figur der
Hopi-Indianer. Farben und Formen ent-
wickeln in dieser Kombination einen
eigentümlichen Sog. Hannah Höch
diesen Kontext gehört der
Marcel Jancos für die Soirde im Cabaret
Schweizer Pädagoge und Kunstsamm-
schuf 1930 aus der Fotografie einer Statue der kambodschanischen Göttin Uma,
eines Torsos ohne Kopf, eine Collage. Sie
fügte das Antlitz einer weissen Frau mit
lehnt an afrikanische Masken und Skulp-
Bubikopffrisur hinzu und fand so zu
einer neuen Einheit. Irritierend, span-
In
«Chant I\4re», wie das Werbeplakat
am 31. März 1916 hiess.
ler Han Coray (1880-1974), der den Voltaire
Der Entwurf, eine Kohlezeichnung,
Dadaisten 1917 nach der Schliessung
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nend, voller Geheimnis. Die originale ren zu erkennen.
Plastik aus Angkor ist im Besitz des
Rietberg-Museums und steht daneben. Plastik von der Elfenbeinküste
In Höchs Collage «Denkmal I» ist der
Neben einem Ölbild von Hans Arp
Kopf eine Guro-Maske mit zartem («Kreuzigung»), der Vorlage für einen
langem Nasenschwung; der Oberkörper Teppich, der sowohl im Cabaret Voltaire
stammt von einer griechischen Götter- als auch in der ersten Ausstellung in der
statue, das linke Bein aus einer Foto- Dada-Galerie hing, steht die exquisite
grafie des Filmstars Lilian Harvey. Plastik von der Elfenbeinküste, die der
Resultat ist ein vielschichtiges, uner- Kunsthändler Paul Guillaume 1917
gründliches, spöttisches Frauenwesen. nach Zürich schickte. In französischem
Kork- und Holzplastiken von Man Privatbesitz, ist sie nun erstmals wieder
Ray stehen neben Kunst von der Oster- in der Schweiz. Die feingliedrige, eleinsel und aus Afrika - es sind nicht die gante afrikanische Holzplastik eines
tatsächlichen Vorlagen, aber die Gegenüberstellung erlaubt, in Man Rays
sorgfältigen schönen Proportionen die
Beschäftigung mit den fremden Kultu-
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stringent, aber optisch verblüffend ist
die Gegenüberstellung einer Holzmaske
von Marcel Janco und einer grinsenden
Maske aus dem Lötschental.
Als Umkehrung der Beziehungen
und als Kommentar aus dem heutigen
Afrika dient die Installation «Portes
Oranges» der ghanaischen Künstlerin
Senam Okudzeto. Ihre Metallgebilde Gestelle für Orangenverkäuferinnen im
heutigen urbanen Afrika - sind eine ironische Antwort auf Marcel Duchamps
«Flaschenträger» von 1913. «Objet
trouve» und zugleich Kritik an harten
Mannes und die Komposition der Linien Arbeitsbedingungen.
und Diagonalen in den Flächen sanfter Museum Rietberg, Zürich.
Brauntöne bei Arp ergänzen einander Gablerstrasse 15. Bis 17. Juli.
eindrücklich. Kunsthistorisch weniger www.rietberg.ch
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