Extrakapitel: aus >Der Schlüssel nach Arvranna< Gefunden und vergeben Holly erwachte nur mühsam, überall am Körper verspürte sie Schmerzen. Der Boden unter ihr war hart, scharfkantig, und eine enorme Hitze ging von ihm aus. Ihre Augen gewöhnten sich langsam wieder ans Sehen, der Schleier verschwand und Holly erkannte ganz allmählich den Ort, an dem sie lag. Eine riesige Höhle breitete sich vor ihr aus, sicher tief unter der Erde in einem massiven Berg. Vielleicht ein erloschener Vulkan? Der silberne Berg, flüsterte eine Stimme in ihren Gedanken. Möglich. Die Hitze würde dafür sprechen, sie rollte sich schwerfällig auf die Seite. Ihre Füße waren mit einem dicken Seil gefesselt und um sie herum gab es einen Graben aus Feuer. Entsetzt zuckte sie zurück. Holly keuchte entsetzt auf, sie lag auf einem Felsplateau, angepflockt wie ein Opfer. Jetzt hörte sie auch die Geräusche um sich herum. Wilde Kriegsschreie und Waffen, die aneinander schlugen. Ihr fielen die Nargs ein, die sie überfallen und dann gefangen hatten. Raja und Artan waren an ihrer Seite gewesen, doch man hatte sie getötet und ihre Leichen zurückgelassen. Ob Ben wohl schon erfahren hatte, was mit ihr geschehen war? Hoffentlich, dachte sie mit ungutem Gefühl im Bauch. Doch ob er sie rechtzeitig finden würde, stand auf einem anderen Blatt. Zunächst einmal war Holly auf sich allein gestellt. Ihre Gedanken kreisten um eine mögliche Flucht, als ihr Kopf an den Haaren grob zurück gerissen wurde. "Hallo Miststück, hast du mich vermisst?" Sie schrie entsetzt auf, als sie in Tylers entstelltes Gesicht blickte. Wieso war er hier? Wie konnte er das Inferno in Grannas Haus überlebt und dann auch noch hier gefunden haben? Wütend schlug er ihr hart ins Gesicht, dann fing er an, sie grob zu betatschen. „Nein!“ Diesmal Mal nicht. Holly wehrte sich so gut sie es in den Fesseln vermochte, und erntete dafür weitere Copyright © 2016 bei Katja Schnee und EGMONT Verlagsgesellschaften mbH. Alle Rechte vorbehalten. Schläge. „Lass mich sofort los, du Monster.“ Schon vor Wochen hatte sie sich geschworen, sich nie wieder von einem Mann misshandeln zu lassen. Viel zu lange hatte sie die Rolle des Opfers gespielt. Es wurde Zeit für sie, sich zu wehren. Ihr Knie zuckte hoch und traf ihn direkt in seine Männlichkeit. Stöhnend ging er in die Knie. Holly robbte von ihm fort, zum Glück hatte man sie nicht angepflockt. Hinter sich hörte sie ihn stöhnen und hasserfüllt fluchen. Sie wusste genau, was geschehen würde, wenn er sie erwischte und das machte sie unheimlich wütend. Holly fühlte, wie sich der Druck in ihrem Inneren aufbaute, mit sie auch schon die Syrillen vertrieben hatte, doch bevor sie diesen Trick anwenden könnte schlug Tyler ihr so hart ins Gesicht, das ihr die Sinne schwanden. "Dreckige Schlampe! Dafür wirst du büßen! Ich töte dich und werde dich dann meinen neuen Freunden zum Fraß vor! Nein, besser, ich überlasse dich ihnen und bringe dich dann um!" Benommen blickte sie in seine Augen, das eine blind und böse vernarbt, das andere vor grenzenlosem Hass funkelnd. "Wenn ich noch könnte, würde ich dich jetzt hier auf der Stelle lehren, was es bedeutet, ungehorsam zu sein, aber wegen dir miesen Hure, bin ich ein Krüppel. Entstellt am ganzen Körper. Kein Mann mehr nur noch ein Wrack." Tyler spuckte ihr die Worte ins Gesicht, dann packte er sie wieder fest in den Haaren. Sie schrie in Todesangst laut auf, doch er lachte nur. Ein schreckliches Geräusch, denn durch das Feuer schienen auch seine Stimmbänder gelitten zu haben. "Ich kann dich zwar nicht mehr vögeln, Liebling, aber ich werde dich foltern, bis du vor mir kriechst. Du wirst ..." »Lass sie sofort los, du Mistkerl!« Holly atmete auf. Ben war gekommen, um sie zu befreien, nun würde alles gut werden. Tyler riss noch stärker an ihren Haaren, die Kopfhaut spannte und Tränen schossen ihr in die Augen. „Sagt wer?“ »Ich sage es. Sie ist meine Frau und du bist ein toter Mann!« Tyler sah sich grinsend Copyright © 2016 bei Katja Schnee und EGMONT Verlagsgesellschaften mbH. Alle Rechte vorbehalten. um, sein Gesicht glich einer grotesken Maske. Gelassen setzte er sich auf Hollys Bauch. Sie stöhnte vor Schmerzen, als seine Hand sie am Hals packte. Seine Fingernägel waren lang und spitz, wie die der Monster mit, denen er Geschäfte machte. Holly blickte zur Seite, sie konnte Ben durch die Flammen gut erkennen. Er wirkte wie ein Mann, der zu allem bereit war, doch er konnte noch nicht zu ihr vor dringen, denn eine ganze Reihe dieser Nargs versperrten seinen Weg. So nah und doch so fern. »Sie ist deine Frau? Pech für dich, mein Freund, dann wirst du jetzt zum Witwer. Dieses Miststück trägt Schuld an meinen Verletzungen. Sie ließ mich zurück in einem brennenden Haus. Ich entkam nur durch Gottes Gnade und das wird sie jetzt büßen!« Seine Hand drückte fester zu, Holly schnappte nach Luft. Sie hörte die beiden Männer reden, während Tyler sie weiterhin grob würgte. Ben kam näher, doch noch immer gab es keine Chance für ihn das Plateau rechtzeitig zu erreichen. Holly rang um jeden Atemzug, sie sah Bilder vor ihrem inneren Auge vorbei fliegen und sie ahnte, das hier war ihr Ende. Mühsam flüsterte sie „Ich liebe dich“, in Bens Richtung gewandt, dann ließ sie sich fallen. Eine unheimliche Kälte füllte ihren Körper, das Licht wurde schwächer und auch die Geräusche um sie herum verstummten allmählich. Holly sah sich am Boden, der Höhle, liegen und sie wusste sofort, dass sie tot war. Tyler hatte sie erwürgt und ihr dabei brutal das Genick gebrochen. Dieser verdammte Arsch. Wieso war der überhaupt hier in Arvranna? Diese Frage schoss ihr erneut durch den Kopf. Wie konnte er das Feuer in ihrem alten Haus überstanden haben? Naja, hatte er ja so auch nicht. Die Söldner mussten ihn ebenfalls gefunden und dann zu Osiris gebracht haben. Oh man, vielleicht war er auch die ganze Zeit im Copyright © 2016 bei Katja Schnee und EGMONT Verlagsgesellschaften mbH. Alle Rechte vorbehalten. selben Lager, wie sie selbst gewesen? Ein übler Gedanke. Holly sah, wie Ben, mit einem wilden Schrei, über den Feuergraben sprang. Mit vor Wut verzerrtem Gesicht, riss Tyler von ihrem Körper herunter und ließ seine Faust immer wieder auf ihn nieder sausen. Holly schlug die Hand vor den Mund. Bens Schläge glichen einem gewaltigen Hammer und bald war von Tyler kaum noch etwas übrig. Geschockt wandte sie sich ab. Luca zog ihn sanft fort, sprach leise auf ihn ein, doch ihr Krieger ließ die Schultern hängen und schüttelte den Kopf. Ben sah schrecklich aus, bleich und zutiefst verletzt, es schien, als wäre jeder Funken in ihm verloschen. „Gib nicht auf“, dachte sie bittend. „Lebe für uns beide.“ Ben´s Geschwister würden sich jetzt um diesen großen, liebenswerten Krieger kümmern müssen. Holly selbst musste erst mal sehen, wo sie jetzt hingehen sollte. Gab es in Arvranna einen Himmel? Wo waren Gott und die Engel? Würde sie jetzt hier festhängen, als Geist oder was passierte mit ihr im Leben nach dem Tod? Eine leise Stimme rief nach ihr und Holly blickte sich um. Die Höhle war fort und sie stand in einem schneeweißen Raum. Es duftete nach Pfirsich und Erdbeeren und die Temperatur erinnerte sie an einen schönen Frühlingstag. „Holly?“ „Ja?“ Verwundert drehte sie sich im Kreis. „Komm hier her, ins Licht.“ Kopfschüttelnd blieb sie, wo sie war. „Nein, lieber nicht. Ich würde lieber als Geist in Bens Nähe bleiben und aufpassen, dass es ihm gut geht.“ Leises Männerlachen drang an ihr Ohr, dann öffnete sich ein Durchgang in dem endlosen Weiß des Raumes. Holly konnte einen Blick auf einen wunderschönen See und einen traumhaften Garten erhaschen. Sonnenschein. Vogelgezwitscher. War das so etwas wie der Garten Eden? Das Elysium? „Was passiert mit mir, wenn ich in den Garten komme?“ Ein Mann trat in den weißen Raum und Holly stockte der Atem. Na ja, wenn sie noch atmen würde, dachte sie leicht irritiert. „Ben?“ Er lachte leise und schüttelte dann traurig denn Kopf. „Nein, meine Liebe, ich bin Dorian. Dein Schwager. Willkommen in den stillen Copyright © 2016 bei Katja Schnee und EGMONT Verlagsgesellschaften mbH. Alle Rechte vorbehalten. Gärten, Holly. Dem Ort wo Arvrannas unsterbliche Kinder hingehen, wenn sie aus dem Leben scheiden.“ „Ich bin wirklich tot?“ Erst jetzt realisierte sie, was tot sein bedeutete. Es gab kein Zurück, so sehr sie es sich auch wünschte. Ben müsste allein leben, sie würde nie ein Baby von ihm haben und nicht mehr seine Zärtlichkeiten spüren. Dorian kam auf sie zu und umarmte sie freundschaftlich. „Nein, Liebes, aber es wird diesmal etwas länger brauchen, damit du wieder zum Leben erwachst. Komm mit, ich möchte dir jemanden vorstellen.“ Dorian ergriff ihre Hand, seltsamerweise fühlte diese sich warm und durchaus real an. Wie geht das?, dachte sie verwundert. Mit einem Seitenblick musterte sie den Krieger, der ihrem Mann auf so unheimliche Weise ähnelte und doch ein ganz anderer Mann war. „Ist das hier ein Traum?“ Dorian lenkte sie an den See. „Nein, es ist die Welt der Gefallenen. Jeder Krieger, der je wahrhaft gefallen ist, erwacht hier in diesem Paradies. Es gibt sogar eine Art Taverne, wir können essen, trinken, lieben und wir sind nicht allein. Arvranna sorgt für ihre Kinder und behütet jedes auf eine besondere Weise, wenn es die erste Ebene verlassen muss. Komm Holly, es bleibt nicht viel Zeit.“ Sie gingen ein Stück um den See herum, nach einigen Minuten tauchte ein Pavillon auf, darin stand ein zweiter Mann und sah mit angespannten Gesichtszügen zu ihnen herüber. Die blonden Haare des Mannes wehten in einer leichten Brise, seine Hände waren verschränkt und Holly fuhr ein sanfter Stich in den Magen. „Tolan?“ Dorian drückte ihre Hand ganz sanft und nickte. „Ja. Tolan, dein Großvater, möchte dich gerne kennenlernen und dir einiges erzählen.“ Holly blieb kurz vor dem blonden Krieger stehen. Er war wirklich so hübsch, wie ihre Granna es berichtet hatte, doch sie konnte keine Spur von Arroganz entdeckte, tatsächlich blickte er ihr scheu und beinahe ängstlich entgegen. „Großvater Tolan? Oder soll ich lieber Tolan sagen? Du siehst nicht aus wie ein älterer Mann.“ Sie lächelte ihn freundlich an. „Holly? Ich ...“ Er stockte, sah zu Dorian hinüber, dieser nickte ihm aufmunternd zu. Copyright © 2016 bei Katja Schnee und EGMONT Verlagsgesellschaften mbH. Alle Rechte vorbehalten. „Du kannst das, Freund, du weißt, was du sagen willst.“ Holly machte einen weiteren Schritt nach vorne und breitete die Arme aus. „Tolan, darf ich dich umarmen? Ich habe viel von dir gehört und ich war eine Zeitlang sehr wütend auf dich. Aber, jetzt weiß, dass man manchmal im Leben Wege beschreitet, die einem hinterher falsch erscheinen und man bereut diesen Schritt. Charlene, meine Granna hat dich jeden Tag ihres Lebens weiterhin geliebt, auch als sie einem neuen Mann ihr Herz schenkte, konnte er dich niemals ganz ersetzen. Sie schickt dir Grüße und wollte, dass du erfährst, dass du eine wundervolle Tochter hattest.“ Tolans Kehlkopf bewegte sich auf und ab, er schien sprachlos und gerührt. Holly nahm ihn einfach in den Arm und drückte ihn liebevoll an sich. „Hallo wahrer Großvater, ich bin Holly.“ Tolan lachte auf und wirbelte sie im Kreis herum. „Ja, das bist du. Ich bin der glücklichste Mann in Arvranna, denn heute sehe ich, dass aus all dem Leid welches ich gesät habe, doch etwas Gutes gewachsen ist. Ich kenne dich nicht gut genug um das zu sagen, Holly, doch ich liebe dich vom ganzem Herzen und ich werde ewig über dich und deine Kinder wachen. Das schwöre ich bei allem, was mir heilig ist.“ Holly wurde sanft abgesetzt und Tolan lächelte sie voller Liebe und stolz an. Dorian trat an seine Seite und legte den Arm um die Schulter des Kriegers. „Ich bekomme Kinder?“ Gemeinsam gingen sie am See entlang und Holly wunderte sich über eine Stelle, die verbrannt und tot aussah. „Was ist das?“ Dorian führte sie ein wenig von dem Fleck fort, dann zuckte er die Schultern. „Mhm, das war Vivian, wir haben sie besiegt und nun ist sie nur noch Staub in Arvrannas Wind. Keine Gefahr mehr für meinen Bruder oder seine Nachkommen.“ Tolan nahm ihre Hand und hielt sie fest an sein Herz gedrückt. Dorian legte seine Hand unter ihr Kinn und lächelte ebenfalls. „Du bist nicht gestorben, Holly Sol Ben Krain. Du bist Tolans Enkelin. Sein Blut fließt in deinen Adern. Sein Erbe ist stark in deinem ganzen Wesen, du wirst leben und Kinder gebären. Viele Kinder. Zwei von Copyright © 2016 bei Katja Schnee und EGMONT Verlagsgesellschaften mbH. Alle Rechte vorbehalten. ihnen trägst du bereits unter deinem Herzen. Söhne, die euch sehr viel Freude bereiten werden.“ Tolan nickte und strich ihr die Haare hinter die Ohren, denn der Wind frischte auf und Musik erklang. „Zeit zum Gehen, kleine Holly.“ „Schon?“ Beide Männer nickten. Sie umarmte Tolan und Dorian und alle drei hatten Tränen in den Augen beim Abschied. „Grüße meinen Bruder und sage ihm: Es ist alles gut.“ „Wenn deine Söhne geboren werden, dann wäre es schön, wenn ihr sie nach uns benennen würdet.“ Holly nickte und küsste jeden auf die Wange. „Was geschieht nun?“ Tolan nahm ihre Hand, ein Spalt tat sich im Garten auf und sanft drängte er sie hinein. „Lebe, Holly. Lebe und liebe. Mögen Arvrannas Sterne immer für dich leuchten.“ Jemand hielt ihre Hand und presste ihre Finger an seinen Mund. Wo war sie? Es war warm und leise, nur stilles, gleichmäßiges Atmen drang an ihr Ohr. Holly öffnete die Augen und sah in das schönste Grün, das sie kannte. Ben saß an ihrer Seite und küsste ihre Finger. »Ben? Oh Gott, Ben. Es ist Tyler. Er ist mir hier her gefolgt. Er will mich umbringen ...«, sie unterbrach sich und realisierte erst jetzt, wo sie war. »Er hat mich getötet? Es tat so weh, als er mich würgte. Ich bekam keine Luft mehr und dann war ich an diesem See. Es war wunderschön und ich habe meinen Großvater getroffen. Er ist gar nicht so schlimm, wie ich dachte. Dein Bruder, Dorian war auch dort, aber sie sagten, ich darf nicht bleiben, weil du mich brauchst, jetzt wo Frieden herrscht in unserer Heimat.« »Du hast meinen Bruder gesehen? Was sagte er zu dir, mein Herz?« Holly lachte mit Tränen in den Augen. »Wir sollen unsere Zwillinge Tolan und Dorian nennen.« »Unsere was? Zwillinge? Du bist schwanger? Ich werde Vater?« Ihre Hand legte sich an seine blasse Wange und zog ihn zu einem sanften Kuss hinunter. »Es scheint so, Haydan Sol Ben Krain.« »Ich werde ein guter Vater sein und du die beste Mutter auf Arvranna.« Immer noch Copyright © 2016 bei Katja Schnee und EGMONT Verlagsgesellschaften mbH. Alle Rechte vorbehalten. lachend hob sie die Decke an und lud ihn ein sich zu ihr zu legen. »Wieso bist du so schick angezogen, Haydan?« Mit gesenktem Blick zog er sie in seinen Arm, ein tiefer Seufzer entwich ihm und er erzählte ihr die ganze Geschichte. Am nächsten Morgen gab es ein riesiges Treffen mit allen Anführern der Sol Ben Krain. Luca leitete diesen Rat und bald war allen klar, dass man die Gelegenheit nutzen musste, die ihnen das Zerwürfnis unter den Nargs bot. Trotz der winterlichen Temperaturen wollte man weitere Feinde aufspüren und endgültig vernichten. Noch längst waren nicht alle Feinde besiegt und die Spione der Krain hatten berichtet das große Gruppen, der Nargs durch die Wälder zogen und die kleinen Dörfer überfielen. Haydan bekam einen Trupp zugeteilt mit hundert Männer, sie würden losziehen und die Höfe der Menschen im Westen zu beschützen und alle Feinde töten, denen sie unterwegs begegneten. Die Jagd war erfolgreich und am Abend kehrten sie fröhlich lärmend zurück. Haydan beeilte sich, in sein Zelt zu gelangen, um Holly zu begrüßen. Sie erwartete ihn schon und streckte ihm lächelnd die Hand entgegen. „Hallo, Ben willkommen zu Hause.“ Er lachte leise und schloss sie in die Arme, die Erinnerung an einen Traum streifte ihn und er glaubte den Geruch von Keksen in der Nase wahrzunehmen. Haydan erwachte schlaftrunken. Eine warme Hand lag auf seiner Brust und er seufzte erleichtert auf. Schon während des Erwachsens hatte er befürchtet, dass die Frau an seiner Seite nur seiner Fantasie entsprang. Allerdings konnte er sie berühren, sehen und mit allen Sinnen wahrnehmen. Holly Sol Ben Krain, seine Gefährtin, so echt wie er selbst. Doch dieses Gefühl hielt sich in den letzten Wochen beim Erwachen stets in seinen Gedanken auf. Haydan erlebte stets diesen einen gleichen Moment. Vorsichtig hob er die Hand an, und hauchte einen Kuss auf ihre Fingerspitzen. Er konnte es noch immer kaum glauben, dass er aus seiner alten Copyright © 2016 bei Katja Schnee und EGMONT Verlagsgesellschaften mbH. Alle Rechte vorbehalten. Lethargie entkommen konnte und nun das Leben eines normalen Mannes führte. Er lächelte, als er daran dachte, dass er gestern Nacht sogar, mit seinem Bruder Luca bei einem Armdrückwettbewerb mitgemacht hatte. Sie verloren zwar, allerdings nur knapp. Ein großer Spaß für alle, diese neue Beschäftigung im Lager, denn Luca hatte angeordnet, dass man die Frauen im Lager von nun an mit mehr Respekt behandeln sollte. Nur wenn die Frauen freiwillig Sex wollten, dann durften die Krieger mit ihnen in den Zelten und Liebeshäusern verschwinden. Mädchen, die gegen ihren Willen festgehalten wurden, durften noch in der Woche nach ihrem endgültigen Sieg über die Nargs, zurück nach Hause kehren. Holly, seine Gefährtin rutschte im Schlaf näher an ihn heran, wie jede Nacht zu dieser Stunde, als spürte sie, dass er wieder aufbrechen musste. Die Sonne würde erst in drei Stunden aufgehen, doch für ihn hatte das Ende der Nacht bereits begonnen. Er küsste sie sehr zärtlich und wünschte ihr weiterhin süße Träume. Holly legte ihren Arm um seinen Nacken, forderte ihren Abschiedskuss ein und er gewährte ihr diesen mit Freuden. Ihre Hand fuhr suchend an seinem bloßen Körper entlang, sie fand, was sie suchte und lächelte im Halbschlaf. Haydan küsste sie inniger. Er wusste, was sie einforderte und legte sich sehr vorsichtig über ihren gewölbten Leib. Noch befand sie sich am Anfang ihrer Schwangerschaft, doch er konnte bereits eine sanfte Erhebung ertasten. Ihr Zustand war noch immer ein Wunder für seine Frau, Holly hatte ihm erzählt, dass in ihrer Welt die Frauen neun Monate ihr Kind austrugen. Hier in Arvranna war das anders, die Frauen hierzulande trugen nur sechs Monate ihr Kind unter dem Herzen. Haydan versuchte sich vorzustellen, wie ihre Söhne aussehen würden. Ob sie grüne oder blaue Augen bekämen, seine Haare oder Hollys Nase? Seine Stärke und ihre unendliche Geduld. Man würde es sehen. Liebevoll bewegte er sich in ihr und verteilte winzige Küsse auf ihrem Gesicht, ihren Brüsten und den sanft streichelnden Händen. Sie kamen gemeinsam und Holly öffnete die Augen. Ihr verliebter Blick bedeutete ihm mehr als Copyright © 2016 bei Katja Schnee und EGMONT Verlagsgesellschaften mbH. Alle Rechte vorbehalten. tausend Worte und er wusste, er würde alles daran setzen gesund und in einem Stück nach Hause zurückzukehren. Draußen hörte er einen schrillen Pfiff. Artan. Sein Bruder rief die Männer zusammen. Haydan küsste seine Frau noch einmal und deckte sie liebevoll zu. "Sei vorsichtig, Ben." Er nickte und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Nur Holly allein nannte ihn Ben, und das war auch gut so, denn für seine Frau, würde er das immer sein. Sie kannte und liebte ihn als Ben, den Krieger und misshandelten Jungen Haydan ließ er zurück, sobald er sie in seine Arme schloss. Haydan hieß er nur für die anderen und für den Kampf. Ben hieß der Mann, der lieben und lachen konnte, der seine Frau vergnügt herumwirbelte und sie voller Leidenschaft liebte, sobald sie ihn lächelnd dazu aufforderte. "Ich verspreche es dir, mein Herz. Und du wirst auf dich und meine Söhne achten?" Sie nickte und er lachte erleichtert. Der zweite Pfiff ließ ihn leicht zusammen zucken. Er würde sich verspäten, wenn er sich nun nicht beeilte. In weniger als zwei Minuten war er angezogen und Abmarsch bereit. Haydan stürmte aus dem Zelt und quittierte das Lachen seines Bruders mit einem Grinsen. Artan holte tief Luft, noch immer waren seine Geschwister verblüfft über die Veränderungen, die er an den Tag legte. Der dritte Pfiff erscholl und sie machten sich auf den Weg. Er und seine Männer würden jetzt wieder die Nargs jagen, die aus dem silbernen Berg entkommen waren. Sie machten sich heute auf, um die dichten Wälder auf der anderen Seite des Berges zu durchforsten. Die geflohenen Nargs machten trotz der Kälte und des strengen Winters die Dörfer unsicher. Sie gruppierten sich zu kleinen Banden, plünderten und brandschatzten wo sie nur konnten. Luca trat an seine Seite und wünschte ihm viel Erfolg bei der Jagd. Beide Männer sahen sich in die Augen. Haydan nickte und reichte seinem großen Bruder die Arme für den offiziellen Kriegergruß. "Möge die Göttin euch leiten." "Danke Luca, wir sehen uns am Nachmittag. Pass auf meine Frau auf." "Jederzeit. Nun reitet los und vernichtet dieses Gewürm, damit Arvranna endlich Copyright © 2016 bei Katja Schnee und EGMONT Verlagsgesellschaften mbH. Alle Rechte vorbehalten. wieder atmen kann und ich endlich mein Haus in den Bergen bekomme." Die Männer grinsten sich verschwörerisch zu, dann verließ der Trupp das Lager. Holly erwachte, als das Lager draußen zu Leben begann. Sie streckte sich genüsslich und strich liebevoll über ihren kleinen Bauch. Tolan und Dorian, ihre Söhne waren nun schon ungefähr 12 Wochen alt. Sie fühlte jeden ihrer kleinen Boxkämpfe in ihrem Bauch und konnte es kaum erwarten, die beiden in den Armen zu halten. Nicht mehr lange, wenn Ben Recht behalten würde und sie schon nach dem sechsten Monat gebären würde. Wenn, die Wetten liefen. Artan stand auf Bens Seite, Raja und Elizza auf Hollys und Luca hüllte sich grinsend in Schweigen. Holly legte ihre Hand an eine Stelle, wo sie soeben einen winzigen Tritt verspürte. Für einen Augenblick schloss sie die Augen und dankte dem Schicksal, dass sie hierher geführt hatte. Arvranna war anfangs ein Land voller grausamer Ereignisse für sie gewesen. Als Ben sie fand und sie sich langsam ineinander verliebten, von da an schloss sie diese neue Heimat ins Herz und konnte sich ein anderes Leben nicht mehr vorstellen. Es gab kaum etwas aus ihrer alten Welt, dass sie so sehr vermisste wie Cassedy und ihre Familie. Manchmal wünschte Holly, sie könnte ihnen einfach einen Brief schreiben und sagen, dass es ihr gut ginge. Doch das war unmöglich. Arvranna blieb hinter ihrer alten Welt verborgen und niemand könnte es jetzt mehr finden, nachdem der Baum, das Tor nach Hause, verbrannt war. Ihr Magen knurrte und sie stand zitternd auf. Im Zelt war es nicht gerade warm und sie zog sich schnell ihre wollende Kleidung an. Innerlich grinsend fuhr sie über den dicken, weichen Stoff. Ein Kleid wie aus einem mittelalterlichen Film, dachte sie amüsiert. Holly schlüpfte in ihre Stiefel, ergriff ihren Umhang und beeilte sich nach draußen zu gelangen. Arvrannas Wintersonnen schienen bleich und kraftlos auf eine verschneite Landschaft. Die riesigen Berge zeigten sich schneebedeckt und majestätisch. Die blauen Felsen schimmerten im Licht der ersten Sonnenstrahlen und die dunkelgrünen Nadelbäume neigten ihr schneebeladenes Haupt leicht zur Copyright © 2016 bei Katja Schnee und EGMONT Verlagsgesellschaften mbH. Alle Rechte vorbehalten. Erde. Die Luft war eisig, aber frisch und sauber. Keine Abgase oder Smog, der einem die Lungen krank machte. Wieder knurrte ihr Magen. "Guten Morgen, Schwester. Bist du hungrig?" Luca gesellte sich an ihre Seite und hakte ihren Arm unter den seinen. „Guten Morgen. Ja, allerdings, hungrig wie ein Berglöwe.“ Luca grinste sie an und warf einen Blick auf ihren Bauch. „Das glaube ich dir gerne. Die Jungs wollen schließlich wachsen.“ Holly nickte und überlegte kurz, wie sie das nächste Thema beginnen sollte. „Ich möchte dir übrigens danken, lieber Schwager.“ „So?“, er zog eine Augenbraue fragend in die Höhe und wartete dann still ab, was sie weiter sagen würde. „Ja, wegen der Frauen. Ich finde es sehr mutig von dir, dass du zu deinen Eltern gegangen bist, damit sie in dieser Richtung das Gesetz ändern. Damit bekommen die Frauen die Gelegenheit zu entscheiden, ob sie Sex haben wollen oder lieber frei sein möchten. Viele können jetzt ein eigenes Leben beginnen, ohne zu etwas gezwungen zu werden, das sie nicht wirklich wollen.“ Luca drückte ihre Finger. „Oh das. Gern geschehen. Meine Frau war völlig auf deiner Seite. Sie lebte ja auch in einem dieser Häuser, bis ich sie frei kaufte. Viele der Mädchen, auch in den Klostern, sind schon auf dem Weg in ihre alten Dörfer um von vorne zu beginnen. Der König wird ihnen eine Abfindung zu kommen lassen. Sie alle erhalten einen Orden, der besagt, das sie im Krieg gegen die Nargs ihrem Land große Dienste erwiesen haben.“ Holly ließ diese Neuigkeiten in ihrem Kopf herum wandern und nickte schließlich. „Das ist ja schon mal ein guter Anfang.“ Sie sparzierten zu den Feuern. Einige Frauen hatten schon begonnen den Haferbrei zu kochen und ein süßlicher Geruch erfüllte die Luft. "Hm riecht fantastisch.“ Ihr Magen knurrte lauter bei dem herüberwehenden Duft. „Sind die Männer gut fortgekommen heute früh? Hast du schon etwas von ihnen gehört?" Luca schüttelte den Kopf. "Hätte ich von ihnen gehört, wäre ich hellsichtig, aber nein, es gibt keine Copyright © 2016 bei Katja Schnee und EGMONT Verlagsgesellschaften mbH. Alle Rechte vorbehalten. Nachrichten. Sie sind auf der Jagd, Holly. Wie jeden Tag und heute Nachmittag hast du meinen Bruder wieder für dich alleine." Holly spürte wie ihre Wangen entflammten, und sah zur Erde. Lucas Lachen klang in ihren Ohren und sie knuffte ihn an den Oberarm. Verblüfft verschluckte sich der große Anführer der Krain und erlitt einen Hustenanfall. Seine Frau Lunids, reichte ihm einen Becher und zwinkerte Holly zu. "Guten Morgen Liebes, wenn dieser Raufbold dich ärgert, sag mir ruhig Bescheid. Ich werde ihm dann schon die Ohren lang ziehen." Nun wurde Luca rot und sah zu Boden. "Lunids, doch nicht vor den anderen." Die Frauen lachten und Luca räusperte sich vernehmlich. "Nun gut, äh du kannst erst mal frühstücken, Holly und dann bringe ich dich zu den Frauen ins Wollzelt, dort kannst du heute aushelfen." Holly nickte, darauf freute sie sich schon seit Tagen. Die Zeit im Wollzelt verging wie im Flug, und Holly schloss viele neue Freundschaften. Sie lernte wie man einen Webstuhl bediente und wie man Wolle spinnen konnte. Fast wie in ihrer Welt, mit einem Spinnrad, nur war dieses hier noch effizienter, als das ihr bekannte. Beinahe als würde Magie mit am Werke sein. Nach vier Stunden verließ Holly das Zelt und gesellte sich zu Luca ans Feuer. Ihr Schwager lächelte sie freundlich an und bald waren sie in ein Gespräch vertieft. Holly hörte die heimkehrenden Reiter sofort und sprang freudig auf, Luca neben ihr schmunzelte und ergriff ihre Hand. "Langsam, kleine Schwester, er wird schon kommen." "Ich weiß, aber ich will die Erste sein, die er sieht." Ihr Schwager murmelte leise vor sich hin und Holly sah ihn von der Seite her an. "Was?" "Ich sagte, Haydan sieht sowieso nichts anders, seit du bei uns bist." "Ist das schlecht?" Luca schüttelte den Kopf. "Nein, du bist das Beste, was ihm passieren konnte und nun geh, er wartet schon auf dich." Tatsächlich sah sie ihn am Eingang des Lagers erscheinen, stolz und siegesreich saß er auf seinem Pferd und Copyright © 2016 bei Katja Schnee und EGMONT Verlagsgesellschaften mbH. Alle Rechte vorbehalten. strahlte, als er sie entdeckte. Haydan glitt mühelos vom Pferd und rannte auf sie zu. Holly fing ebenfalls an zu laufen. Sie trafen sich in der Mitte des Lagers und Ben schwenkte sie ausgelassen herum, während sein Mund ihren bedeckte und stürmisch küsste. Copyright © 2016 bei Katja Schnee und EGMONT Verlagsgesellschaften mbH. Alle Rechte vorbehalten.
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