A M WO C H E N E N D E WWW.SÜDDEUTSCHE.DE HF1 MÜNCHEN, SAMSTAG/SONNTAG, 16./17. APRIL 2016 72. JAHRGANG / 15. WOCHE / NR. 88 / 3,20 EURO Im grünen Bereich FOTOS: F1 ONLINE, IMAGO, SHUTTERSTOCK; @ILLUTROV Stadtparks sollten Oasen des Müßiggangs sein. Nun werden sie zu Freizeitzentren, in denen gestresste Urbanisten Sport machen, essen und feiern wollen Stil, Seite 59 BIO-LOGIK HEIMAT FÜR DEN TRAMP Nimmt sich die Geschlechterforschung selbst ernst genug? Eine erste Begehung des Charlie-Chaplin-Museums am Genfer See Wissen, Seite 37 Panorama, Seite 12 SCHWIMMENDES DORF Die „Splendida“ hat so viele Bewohner wie Inzell. Ein Vergleich Wirtschaft, Seite 36 (SZ) In den Zwanzigerjahren – nur die Allerreifsten unter uns werden sich an diese flotte Epoche erinnern – wurden die Menschen mit sogenannten Badesaisonschlagern auf das sommerliche Schwimmvergnügen eingestimmt. Kesse Melodien, ja damals konnte man mit dem Wort „kess“ noch punkten, sowie burschikose Texte machten in Wintergarten-Soireen und auf Schellack-Platten Lust und Laune, in das schlauchartige Badekostüm zu schlüpfen und nach dem Sprung ins Wasser eine Schwimmhilfe heranzuziehen. Die erotische Lässigkeit der Weimarer Kultur prägte damals die Begriffe, und wenn Unkundige heute Siegwart Ehrlichs Lied „Amalie geht mit ’nem Gummikavalier“ hören, glauben sie, es handele sich dabei um eine männliche Erotik-Puppe, die gemeinsam mit der Schwimmerin das öffentliche Ärgernis erregt. Zur Entwarnung: Ein Gummikavalier war nichts weiter als ein Schwimmreifen, und selbst die auf Zucht und Sitte eingeschworenen Bademeister jener Jahre standen mit wissendem Heinz-Rühmann-Schmunzeln am Beckenrand, wenn der stumme Begleiter einer unsicheren Schwimmerin behilflich war. Tempi passati, wie es in der Fachsprache der Melancholiker heißt. Es sind nämlich keine guten Nachrichten, die uns dieser Tage aus den deutschen Badeanstalten erreichen. Die Freibadsaison soll ja bald losgehen, das frisch gechlorte Wasser strömt wie irre in die Schwimmbecken dieses Landes, und der Frühling tut alles, um wie ein Frühsommer auszusehen, wären da nicht die sektiererischen Temperaturen, die einfach nicht mitmachen wollen. Die Temperaturen und die Bademeister! Die Bademeister wollen nämlich auch nicht mehr mitmachen. Der Dachverband dieses von ordnender Lässigkeit und lebensfrohem Regelbewusstsein beseelten Berufsstandes beklagt, dass immer weniger Menschen Bademeister werden wollen. Warum bloß möchte kaum ein junger Mensch, mag er aus Deutschland stammen oder frisch ins Land gekommen sein, das fröhliche Badegeschehen des Sommers als Fachkraft begleiten? Was ist reizlos an der Aussicht, in bequemes Leinen gekleidet an sommerlichen Beckenrändern zu flanieren, dabei hin und wieder einen mahnenden Pfiff mit der Trillerpfeife auszustoßen oder die unzulässige Arschbombe mit strengem Fingerzeig zu ahnden. Der Bademeister ist der sympathische Zuchtmeister der hochsommerlichen Entgrenzung. Wo der Volksmund zu Recht sagt, Wasser habe keine Balken, baut der Bademeister durch seine Anwesenheit eine gefühlte Brücke vom Nassen ins Trockene. Seine Autorität ist unumstritten, seine Attraktivität sprichwörtlich und seine Badelatschen sind der Hammer! Muss man denn noch mehr sagen außer: Kommt her, Männer, werdet Bademeister, macht euch den Sommer untertan! Medien, TV-/Radioprogramm Forum & Leserbriefe München · Bayern Rätsel & Schach Traueranzeigen 46-48 16 40 63 22,23 61015 4 190655 803203 Deutschland allein zu Haus Merkel erlaubt Strafverfahren Immer mehr Probleme branden in Berlin an, zusehends absorbiert Außenpolitik die Arbeit der Regierung. Dabei bleibt ihr häufig nur eine Wahl: die Entscheidung zwischen schlecht und ganz schlecht Der Fall Böhmermann löst heftigen Streit in der Koalition aus von stefan braun und stefan kornelius Jetzt also der Prozess: Recep Tayyip Erdoğan gegen Jan Böhmermann, der türkische Präsident gegen den deutschen Comedian und Provokateur. Für die Außenpolitiker in der Bundesregierung war vor ihrer Entscheidung schon klar: „Hier können wir uns wieder mal nur aussuchen, ob wir Käsetorte oder Schwarzwälder ins Gesicht haben wollen. Ins Gesicht bekommen werden wir auf alle Fälle,“ sagte ein hoher Beamter schon früh in dieser Woche resigniert. Schmerzfrei zu lösen war die Sache nicht. Entweder die Bundesregierung würde eine Fehde mit dem türkischen Präsidenten beginnen und die Kooperation in Sachen Flüchtlinge riskieren. Oder sie würde von den Böhmermann-Fans geprügelt, ihren Helden nicht geschützt zu haben. Dass der richtige Weg auch in der Koalition umstritten ist, spricht Bände. Kanzlerin und Vizekanzler sind sich nicht einig, welche Attacke sie lieber aushalten wollten. Pest oder Cholera – vor der Wahl steht Berlin immer häufiger, wenn es nach dem richtigen außenpolitischen Kurs sucht. Wenn am Sonntag Hans-Dietrich Genscher, der Gottvater des Auswärtigen Dienstes, in einem Staatsakt gewürdigt wird, dann dürfte sich das Land auch von der vermeintlichen Übersichtlichkeit des Kalten Krieges und der 1990er-Jahre verabschieden. „Die Krisen der Welt verändern das Leben im Herzen Europas“, sagt der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier. „Das zu leugnen und sich in die Büsche zu schlagen, geht heute nicht mehr.“ Die Welt ist groß geworden, und mit ihr sind es die Probleme. Auf den akademischen Büchertischen heißt das Wer trotz der allgemein fortschreitenden Smartphonisierung noch nicht weiß, was ein Emoji ist, der sollte bei Gelegenheit jüngeren, vorzugsweise pubertierenden Zeitgenossen über die Schulter blicken. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass gerade Nachrichten ausgetauscht werden, die üppig mit kleinen Piktogrammen angereichert sind. Das sieht ungefähr so aus: Dem Text „Bin gleich da“ folgen vier Herzchen, drei Gesichter mit Freudentränen und ein paar Damenschuhe. Die Antwort besteht aus einem gelben Mondgesicht mit Sonnenbrille, einem gegrillten Hühnerknochen und einer FlamencoTänzerin. In Worten: Cool, wir essen einen Happen und gehen dann tanzen. Nun könnte man denken, Emoji-Nutzer hätten eben ihre eigene, fortschrittliche Sprache entwickelt, die textbasierte Menschen überfordert. Doch die Wahrheit ist leider banaler: Sofern man einer Sprache abverlangt, dass ihre Nutzer unter gleichen Begriffen das Gleiche verstehen, sind Emojis ein Reinfall. Die laut in- DIZdigital: Alle Alle Rechte Rechte vorbehalten vorbehalten –- Süddeutsche Süddeutsche Zeitung Zeitung GmbH, GmbH, München München DIZdigital: Jegliche Veröffentlichung Veröffentlichungund undnicht-private nicht-privateNutzung Nutzungexklusiv exklusivüber überwww.sz-content.de www.sz-content.de Jegliche Thema „Vormacht wider Willen“ oder „German Power“. In den Vorlageordnern von Kanzleramt und Auswärtigem Amt wird das dann konkret: Wie viel Druck soll Deutschland auf die neue polnische Regierung ausüben? Oder könnte das die Stimmung in Polen nur zugunsten der Truppe um Jarosław Kaczyński wenden. Anderes Land, gleiches Problem: Wie umgehen mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán? Dessen Flüchtlingskurs hat nicht nur halb Europa gegen Kanzlerin Angela Merkel in Stellung gebracht, sondern er steht auch als Vorlage für den größten innenpolitischen Widersacher Merkels, den bayrischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU). Die Liste ist schier endlos. Saudi-Arabien: Das Land Außenpolitische Herausforderungen Deutschlands tritt die Menschenrechte mit Füßen, aber eine Lösung des Syrienkonflikts ist ohne die Regierung von Riad nicht zu erreichen. Außerdem nimmt das Land unheilvoll Einfluss auf radikale Strömungen unter den Muslimen. Nicht minder problematisch ist der Umgang mit dem Regime von Ägyptens Präsident Abd al-Fattah al-Sisi. Soll man mit ihm kooperieren, um das Land vor dem zerfallenden Nachbarn Libyen zu schützen? Und wenn ja, berechtigt das dazu, große Wirtschaftsverträge zu schließen, während am Nil immer mehr Oppositionelle im Gefängnis landen? Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) selbst wird an diesem Wochenende eine Antwort finden müssen. Zum dritten Mal in jüngster Zeit besucht er Kairo. Die Au- RUSSLAND GROSSBRITANNIEN Terror und Krieg DEUTSCHLAND Nationalismus Flüchtlinge POLEN UKRAINE UNGARN Eurokrise ITALIEN Brexit Mittelmeer MAZEDONIEN TÜRKEI GRIECHENLAND MAROKKO LIBYEN SYRIEN ALGERIEN 500 km SZ-Karte Emojis, die Piktogramme, verdrängen im digitalen Dialog die Sprache. Das macht Kommunikation nicht eben klarer ternationalem Unicode-Standard offiziell 1282 Motive der Emoji-Welt bilden einen Ozean der Missverständnisse. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der amerikanischen University of Minnesota. Erstmals wurde ausführlich untersucht, ob Digitalmenschen die gängigsten Emojis überhaupt auf gleiche Weise interpretieren. Die Antwort lautet in vielen Fällen Nein. Sogar Nutzer gleicher Endgeräte, die also grafisch identische Motive betrachten, können sich in 25 Prozent der Fälle nicht einmal darauf einigen, ob das Gezeigte positiv, negativ oder neutral wirkt. In weniger als jedem zwan- zigsten Emoji erkannten alle Probanden die gleiche emotionale Aussage. Das Motiv 1F606, ein breites Grinsen mit zusammengekniffenen Augen hielten 44 Prozent der Probanden in der Microsoft-Version für negativ. Die anderen erkannten das Gegenteil. Noch schlimmer wird es, wenn zum Beispiel ein Samsung-Handy das Motiv 1F601 „grinsendes Gesicht mit lächelnden Augen“ an ein Apple-Gerät verschickt. Das vom Absender als „rundum glücklich“ gemeinte Symbol wirkt auf iPhone-Nutzer aggressiv: „Ready to fight“, zum Kampf bereit, interpretieren sie. ßenpolitik befindet sich seit Jahren im Dauerkrisenmodus – und der schlägt aufs Innenleben der Regierung durch. Bei Gabriel wird das besonders sichtbar. Gegenüber Saudi-Arabien präsentiert er sich als Menschenrechtsverteidiger. Das bereitet dem SPD-Außenminister Steinmeier Kopfschmerzen, weil er Riad für die Syrien-Gespräche benötigt. Dann wieder hofiert Gabriel das Regime in Kairo, als sehe er nicht, dass dort von Frühling keine Rede mehr sein kann. Im Kanzleramt schütteln sie zu alldem fast nur noch den Kopf. Auch der Konflikt mit Russland trägt den Spaltpilz in die Regierung. So stellte Steinmeier jüngst ohne Absprache Überlegungen an, wann Moskau in den Kreis der G 8 zurückkehren könnte. Danach, und als ob es eine Replik sein sollte, hielt Merkels außenpolitischer Berater Christoph Heusgen in Berlin eine überschwängliche Laudatio auf die Putin-Kritikerin Marieluise Beck von den Grünen, die in Steinmeiers Ressort sehr kritisch beäugt wird. Der grüne Außenpolitiker Omid Nouripour verlangt vor allem eines: Dass die Regierung immer und gegenüber jedem klare Worte zu den Menschenrechten findet. ,,Sonst ermutigt das Despoten zu immer weiteren Missetaten.“ Der CDU-Politiker Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, klingt kaum anders. „Der Umgang mit autoritären Regierungen muss klar sein: mit allen reden und nichts verschweigen.“ Nur so könne man kooperieren, ohne eigene Überzeugungen aufzugeben. Wie tief die Krisen werden können, zeigt der Fall Böhmermann. Im Streit zwischen SPD und Union hat Angela Merkel getan, was sie noch nie gemacht hat: Sie hat mit ihrer Stimme und gegen gewichtige Minister aus der SPD entschieden. Das wird lange nachhallen. Emojis unterscheiden sich je nach Betriebssystem zum Teil grotesk. Technisch ist das eine Analogie zur Typografie, wo verschiedene Geräte so wie auch Zeitungen unterschiedliche Schriftarten bevorzugen. Doch während Leser ein A (Unicode 0041) auch ohne Serifen zuverlässig als A erkennen, kann ein müdes Grinsen mit zur Seite verdrehten Augen grobe Missverständnisse auslösen. Das entsprechende Motiv 1F60F „unerfreutes Gesicht“ in der Version von Apple lieferte besonders viele Deutungen. Von „enttäuscht“, „deprimierend“ bis „misstrauisch“ reichten die Umschreibungen. Auf allen Betriebssystemen bizarr wirkt das Unicode-Symbol 1F64C („Person, die feierlich beide Hände reckt“). Was auf Google-Geräten wie eine religiöse Geste aussieht, erweckt bei Microsoft den Eindruck, jemand werde von einer Waffe bedroht. Da hilft es wenig, dass das Oxford Dictionary ein Emoji zum Wort des Jahres 2015 erklärt hat: „Gesicht mit Freudentränen“. patrick illinger Berlin – Gegen den Willen des Koalitionspartners SPD hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ein Strafverfahren gegen den ZDF-Moderator Jan Böhmermann wegen dessen Satire über den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdoğan ermöglicht. Merkel betonte, mit der Entscheidung sei keine Vorverurteilung oder eine Entscheidung über die Grenzen der Kunst-, Presse- und Meinungsfreiheit verbunden. Zugleich erklärte sie, die Lage der Medien in der Türkei erfülle die deutsche Regierung mit großer Sorge. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann kritisierte: „Ein Strafverfahren wegen Majestätsbeleidigung ist in einer modernen Demokratie nicht mehr zeitgemäß.“ Merkels Entscheidung stieß auch bei der Opposition auf heftige Kritik. Um ähnliche Situationen in Zukunft zu vermeiden, kündigte Merkel die Abschaffung des Paragrafen mit der Begründung an, er sei entbehrlich. sz Seiten 2 und 4 Kreml entschuldigt sich bei der SZ Moskau – Russlands Präsident Wladimir Putin hat in seiner jährlichen TV-Sendung am Donnerstag fälschlicherweise behauptet, die Süddeutsche Zeitung gehöre der US-Investmentbank Goldman Sachs. Putins Sprecher, Dmitrij Peskow, entschuldigte sich am Freitag dafür. „Das war wohl unser Fehler, genauer mein Fehler“, sagte Peskow. Er habe es versäumt, die für Putin vorbereiteten Unterlagen nochmals zu überprüfen: „Wir entschuldigen uns dafür.“ sz Seiten 4 und 6 MIT STELLENMARKT Dax ▼ Dow ▼ Euro ▶ Xetra 16:30 h 10040 Punkte N.Y. 16:30 h 17900 Punkte 16:30 h 1,1300 US-$ - 0,53% - 0,15% + 0,0034 DAS WETTER ▲ TAGS 18°/ 3° ▼ NACHTS Wechselhaft mit zum Teil kräftigen Schauern, im Süden örtlich auch Gewitter. Wenig Sonnenschein. Die Temperaturen erreichen zehn bis 18 Grad. Auf den Höhen besteht im Süden die Gefahr von Sturmböen. Seite 16 Süddeutsche Zeitung GmbH, Hultschiner Straße 8, 81677 München; Telefon 089/2183-0, Telefax -9777; [email protected] Anzeigen: Telefon 089/2183-1010 (Immobilien- und Mietmarkt), 089/2183-1020 (Motormarkt), 089/2183-1030 (Stellenmarkt, weitere Märkte). Abo-Service: Telefon 089/21 83-80 80, www.sz.de/abo A, B, F, GR, I, L, NL, SLO, SK: € 3,90; dkr. 31; £ 3,60; kn 35; SFr. 5,00; czk 115; Ft 1050 Die SZ gibt es als App für Tablet und Smartphone: sz.de/plus
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