In die Tonne: Was uns der Müll über das Leben der Städter lehrt – Seite 3 Unverzichtbar: Warum Strafsache Jan Böhmermann: Die Urteile unentgeltliche Arbeit sind schon mal gesprochen. Und Dieter Nuhr erklärt die Metaebenen der Kunst – Seiten 19 + 23 so wichtig ist – Seite 13 BERLIN, MITTWOCH, 20. APRIL 2016 / 72. JAHRGANG / NR. 22 734 WWW.TAGESSPIEGEL.DE BERLIN / BRANDENBURG 1,50 €, AUSWÄRTS 2,00 €, AUSLAND 2,20 € Kohls Signal Hertha träumt von Berlin Nicht mehr mein Europa Heute DFB-Pokal-Halbfinale, 20.30 Uhr Von Stephan-Andreas Casdorff 쮿 „Wir brauchen totale Hingabe.“ Herthas Manager Michael Preetz im Interview – Seite 18 S 쮿 Hertha bittet zum Ball: Alles, was man wissen muss: von Alkohol bis Zusatztribüne – Seite 7 쮿 Die neue Hymne: Was die Fans im Olympiastadion singen werden – Seite 7 Kanzlerin nennt Treffen „sinnvoll und nützlich“ Ludwigshafen/Berlin - Altkanzler Helmut Kohl (CDU) und der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban sehen in ihrer Haltung zur Flüchtlingsfrage keinen Gegensatz zur Politik von Kanzlerin Angela Merkel (CDU). In der Zielsetzung sei man sich völlig einig, heißt es in einer Erklärung, die Kohls Büro am Dienstag nach dem Besuch von Orban in Oggersheim verbreitete. Es gehe darum, „unter humanitären Aspekten in einer existenziellen Frage für Millionen von Menschen den besten Weg zu finden“. Der „Bild“-Zeitung sagte Orban, er wolle Merkels Flüchtlingspolitik unterstützen. Ungarn mit ihm als Ministerpräsidenten sehe sich Seite an Seite mit Berlin. Orban hatte Kohl privat in dessen Haus besucht, das Treffen dauerte rund 80 Minuten. Merkel bezeichnete das umstrittene Treffen als sinnvoll und nützlich. Viele dort diskutierte Akzente entsprächen – soweit ihr bekannt – dem, was sie auch „für absolut unerlässlich“ halte, sagte Merkel in Berlin, beispielsweise die Bekämpfung von Fluchtursachen und gemeinsames europäisches Handeln. Orban gilt als scharfer Kritiker von Merkels Flüchtlingspolitik in der EU. Die Kanzlerin verwies darauf, dass die Freundschaft, die es zwischen Kohl und Orban seit vielen Jahren gebe, natürlich auch nach Kohls Amtszeit weiter bestehe. dpa Alte Freunde. Viktor Orban besucht Helmut Kohl in Oggersheim. Foto: Daniel Biskup/dpa Schlag gegen Rechtsterrorismus Razzia im sächsischen Freital / Fünf Festnahmen / De Maizière: Weitere Anschläge verhindert Von Frank Jansen und Matthias Meisner Berlin - Gegen die rechtsterroristische Szene in Deutschland ist ein wichtiger Schlag gelungen. Beamte von Bundeskriminalamt, Bundespolizei und sächsischer Polizei nahmen nach Durchsuchungen in Freital und Umgebung am Dienstagmorgen vier Männer und eine Frau fest, denen neben der Bildung einer rechtsterroristischen Vereinigung unter anderem auch Sprengstoffanschläge und schwere Körperverletzung vorgeworfen werden. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sagte, durch den Zugriff seien weitere mögliche Anschläge der Gruppe gegen Asylunterkünfte und politische Gegner verhindert worden. „Dies zeigt, dass der Staat konsequent und frühzeitig gegen rechtsterroristische Struktu- ren und Straftäter vorgeht.“ Zu der Gruppe, die sich über Whatsapp organisiert hat, gehören auch drei weitere Männer – darunter die zwei Rädelsführer –, die bereits seit November in Untersuchungshaft saßen. Alle gehören mindestens dem Umfeld der rechtsextremistischen „Bürgerwehr FTL/360“ an. Die Gruppe soll im Herbst unter anderem Asylbewerberheime in Freital und ein alternatives Wohnprojekt in Dresden angegriffen haben. Sicherheitskreise schließen eine Verbindung zur rechtsterroristischen Vereinigung „Oldschool Society“, die einen Anschlag in Sachsen plante, nicht aus. Die Proteste gegen Flüchtlinge und ihre Unterstützer haben sich gerade in Sachsen immer weiter radikalisiert, Schwerpunkte waren unter anderem Freital und Heidenau. Immer wieder gab es Anschläge. In keinem Bundesland sonst gibt es so viele Blockaden von Asylunterkünften. Schlagzeilen machte auch eine Baseballschläger-Attacke gegen ein Auto von Flüchtlingsunterstützern, die sich auf dem Heimweg von einer Willkommensdemo in Freital befanden. Im Auto saß da- „Auch die Mitglieder des NSU haben mit Böllern begonnen“ Daniela Kolbe, SPD Sachsen mals unter anderem der Sohn des sächsischen SPD-Chefs Martin Dulig. Die Rechtsanwältin Kristin Pietrzyk, die einen der damals Geschädigten vertritt, sagte: „Dass die Bundesanwaltschaft nunmehr wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung ermittelt, zeigt in aller Deut- lichkeit, dass es sich bei Asylgegnern mitnichten nur um ,besorgte Bürger‘ handelt. Spätestens jetzt muss man doch feststellen, dass es zu einer Radikalisierung der Mitte der Gesellschaft bis hin zum Rechtsterrorismus kommt.“ Die sächsische SPD-Generalsekretärin Daniela Kolbe sagte: „Auch die Mitglieder des NSU haben mit Böllern und Übergriffen auf politische Gegner begonnen. Was daraus wurde, mahnt uns alle.“ Bezeichnend sei, dass erneut Sachsen Schauplatz einer rechtsterroristischen Gruppe ist. Sorgen bereitet den Sicherheitsbehörden allerdings auch die bundesweit wachsende Zahl gewaltorientierter Rechtsextremisten. Verfassungsschützer sprechen inzwischen von 11 800 Personen – das sind 1300 mehr als 2014. — Seite 2 und Meinungsseite C Neuer Streit zwischen EU und Ankara Immer mehr Alte Vaterschaftstests brauchen „ins Blaue“ Grundsicherung nicht rechtens Berlin - Wenige Tage vor dem Besuch von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in der Türkei bahnt sich zwischen der EU und Ankara eine Kontroverse über die Visafreiheit an. „Visaerleichterungen kann es nur geben, wenn die Türkei endlich Menschenrechte und Meinungsfreiheit achtet“, sagte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer dem Tagesspiegel. Auch EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sagte, die Türkei müsse alle Verpflichtungen erfüllen, damit die Visafreiheit wie vereinbart im Juni umgesetzt werden könne. Zuvor hatte sich der türkische Regierungschef Ahmet Davutoglu gegen mögliche Einschränkungen bei der geplanten Visaliberalisierung für türkische Bürger gewandt. Am Samstag reist Merkel gemeinsam mit EU-Spitzenvertretern in das südtürkische Gaziantep. ame Berlin - Immer mehr Menschen in Deutschland sind auf Grundsicherung im Alter angewiesen. Die Zahl der Empfänger stieg im Dezember 2015 auf 536 000, wie das Statistische Bundesamt am Dienstag mitteilte. Zugleich bezogen 502 000 Grundsicherung wegen Erwerbsminderung, womit die Gesamtzahl von mehr als einer Million erreicht wurde. Die Zahl hatte 2010 noch bei knapp 800 000 gelegenund ist seither kontinuierlich angestiegen. Anspruch auf Grundsicherung im Alter oder wegen Erwerbsminderung haben Menschen, derenRentenansprüche unterhalbdesHartz-IV-Niveaus liegen.Trotzeiner positiven Rentenentwicklung 2015 sei die Zahl der Bezieher von Grundsicherung im Alter erneut deutlich gestiegen, erklärte der Vorsitzende der Arbeiterwohlfahrt, Wolfgang Stadler. AFP Berlin - Kinder haben keinen Anspruch, von einem mutmaßlichen Vater ohne weitere rechtliche Folgen einen DNA-Test zu erzwingen. Ein solcher Test „ins Blaue hinein“ gegenüber Männern außerhalb der Familie sei nicht vom Grundgesetz geboten, hat das Bundesverfassungsgericht am Dienstag entschieden. Damit wies es die Beschwerde einer Frau zurück, die ihre Abstammung klären lassen wollte. Die Frage werfe „tief gehende menschliche, familiäre und gesellschaftliche Probleme auf“, sagte Gerichtsvizepräsident Ferdinand Kirchhof. Ihre Lösung bleibe jedoch dem Gesetzgeber vorbehalten, wobei „die Gewährung eines Anspruchs im Spektrum verfassungsrechtlich zulässiger Lösungen“ liege. Die Grünen forderten, die Möglichkeiten zum DNA-Abstammungstest zu erweitern. neu — Seite 4 — Seite 14 — Seite 24 und Meinungsseite INDEX D WIRTSCHAFT & BÖRSEN . . . . . . . . . 13–15 Anleger waren Dax in Kauflaune. Der Leitindex Dax stieg weiter und schloss bei 10 349 Punkten. WETTER ............................................ 2 Der Mittwoch beginnt mit ein paar Wolken, aber die Sonne zeigt sich. 12 /2 Die Wolken werden im Laufe des Vormittags dichter, immer wieder regnet es leicht. SPORT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 + 18 TAGESTIPPS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 MEDIEN/TV-PROGRAMM . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 IMPRESSUM & ADRESSEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 [email protected] TEL. REDAKTION . . . . . . . . . . . . . (030) 29021 - 0 TEL. ABO-SERVICE . . . . . . . (030) 29021 - 500 TEL. SHOP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (030) 29021 - 520 TEL. TICKETS . . . . . . . . . . . . . (030) 29021 - 521 ISSN 1865-2263 30016 4 190662 202006 Fotos: Ben Knabe/dpa, Helmut Vogler/Fotolia KohlundOrban: Kein Gegensatz zu Merkel Foto: Sebastian Wells/Imago 쮿 Der mögliche Finalgegner steht fest: Bayern schlägt Bremen mit 2:0 – Seite 17 emantisch gibt es nichts, das zwischen Helmut Kohl und Angela Merkel steht. Da passt kein Blatt Papier zwischen die beiden. Sie wollen nur Europas Bestes. Nur halt am Ende doch Unterschiedliches – weil sie völlig verschiedene Herangehensweisen an das Ziel einer wirklich vertieften und tragfähigen Einheit der Staaten dieses Kontinents haben. Und damit ist nicht einmal die sogenannte Scheckbuchdiplomatie gemeint, die Kohl ein Leben lang vorgeworfen werden wird. Der Vorwurf lautet so: Immer wenn es schwierig wurde, zahlte der Bundeskanzler, in Mark damals noch. Und dass es zur Währung „Euro“ kam, war ja auch nur eine Gegenleistung für die Zustimmung zur Einheit Deutschlands. Oder wie Kohl sagt: die europäische Seite der Medaille deutsche Einheit. Aber wie auch immer, Deutschland war eben – gottlob – nicht Zuchtmeister, sondern Zahlmeister. Obwohl: war? Hier treffen sich die politischen Linien Kohls und Merkels dann doch einmal. Deutschland zahlt – im Fall Griechenlands wegen der europäischen Finanzkrise, und im Fall Türkei zur Lösung der Flüchtlingskrise. Anteilig sowieso am meisten, und wenn es sein muss, auch allein mehr. Das wird übrigens so sein, wenn die Türkei nach dem Fall Böhmermann auf die Idee verfällt, dass die drei Milliarden Euro für die Flüchtlinge hinten und vorn nicht reichen; und wenn Griechenland, immerhin höchst mühselig vor dem Bankrott gerettet, nicht mehr weiß, wie es die mehr als 46 000 Menschen in seinem Land menschenwürdig versorgen soll. Da zu sparen, wäre ja auch Unsinn. Den hätte Kohl auch nicht zugelassen. Nur der Weg wäre ein ganz anderer gewesen, unabhängig davon, dass es bei einem Kanzler Kohl vielleicht gar nicht so weit gekommen wäre. Doch das ist Spekulation. Keine ist, dass Kohl kaum verhüllt Merkel die europäische Denkungsweise abspricht; dass er ihr nicht abnimmt, wirklich eine überzeugte, in der Wolle gefärbte Europäerin zu sein, oder jedenfalls geworden zu sein. Bei allen Fehlern, die Kohl gemacht hat: Europäer war er immer. Überhaupt, kein Kanzler war mehr Europäer. Das mag im Inland bestritten werden, im Ausland nicht. Deswegen ist Kohl Ehrenbürger Europas. Der Schlüsselsatz, der den Unterschied bloßlegt, der die Friktion begründet, ist der, in dem der Alt- und Rekordkanzler sich massiv wie einst gegen einsame Entscheidungen zulasten Europas wendet. Genau darum geht es ihm, und da hat Kohl einen Punkt. Denn sowohl in der Finanz- als auch in der Flüchtlingskrise hat Merkel einsam entschieden, für sich, für Deutschland und für Europa in einem. Die Partner konnten nur zusehen und folgen, siehe Finanzkrise, oder eben nicht, wie jetzt in der Flüchtlingskrise. Hier geht es tatsächlich an die Existenz: an die des europäischen Gedankens. Denn abgesehen davon, dass es geboten war, so zu handeln, humanitär und anderswie – die Kanzlerin hat die Partner nicht erst konsultiert, sondern gleich mit den Folgen ihrer Entscheidung konfrontiert. Kein Wunder, dass sich vor allem die kleineren Staaten in der Europäischen Union als Partner gering geschätzt fühlen. Von den inländischen Unionspartnern zu schweigen. Das, kann man schon sagen, wäre Helmut Kohl nicht passiert. Und das macht er ihr jetzt deutlich. Man kann sich schon vorstellen, dass Kohl denkt: Die macht mir mein Europa kaputt. Er muss es nicht mal sagen. Er musste sich nur mit Viktor Orban treffen. ANZEIGE Ein großer Auftritt für Miele Hausgeräte und Primus-Küchen ie klassischen Primus-Leistungen: ! " # $ %& ' () %) *& ! "+ ,,- ./010 # * /2/ ,./.33 / 4"*5 666+ +
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