2 SWR2 Tandem - Manuskriptdienst Heute schreib ich einen Brief Die Freiheit zwischen Füllfederhalter und Tastatur AutorIn: Ina Strelow Redaktion: Nadja Odeh Regie: Maria Ohmer Sendung: Donnerstag, 21.04.2016 um 10.05 Uhr in SWR2 __________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte der Sendungen SWR2 Tandem auf CD können wir Ihnen zum größten Teil anbieten. Bitte wenden Sie sich an den SWR Mitschnittdienst. Die CDs kosten derzeit 12,50 Euro pro Stück. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-26030. 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Die Briefe voller Poesie, Schmerz und Leidenschaft, schöner Gedanken und Vorwürfe. Nahezu bescheiden und doch spannungsreich ins Bild gesetzt. Und am Ende das Gefühl, ihre Briefe waren für beide so selbstverständlich so lebenswichtig. Als ich nach dem Kino wieder zu Hause war, habe ich erst einmal meine beiden dicken Brief-Ordner aufgeschlagen, in die ich ohnehin noch vier Briefe einsortieren wollte. Vier Briefe, die ich im letzten Jahr bekommen habe. Vier! – für mich hört sich das mehr als mager an. Sagen wir uns heute all das, was wir uns einst geschrieben haben? Oder geht da schon lange etwas verloren? Fünfmal bin ich mit diesen Briefordnern inzwischen umgezogen und jedes Mal hab ich mir die Frage gestellt, ob und wann ich diese vielen Seiten je wieder lesen würde. Briefe, die mir in den letzten vier Jahrzehnten geschrieben wurden. Von Freundinnen und Freunden, meiner Tochter, von meinem Sohn eher nicht. Er hat lieber eigene Fotos verschickt. Eric, Mitte dreißig, Fotograf. 1. Eric So‘n richtigen Brief, hab ich – au backe, das ist gut und gerne 16 Jahre her, also sehr lange her. Erzählerin ... von Lebenspartnern und Geliebten, von meiner Mutter, von Mitstudenten und Professoren aus der Uni, auch von Menschen, mit denen ich nur einen kurzen gemeinsamen Weg gegangen bin. Sogar ein paar Abschriften und Kopien eigener Briefe, die ich wohl besonders wichtig fand. In die beiden Briefordner passt kein einziges Blatt mehr hinein, so prall sind sie gefüllt. Wohin nun mit den vier Briefen aus dem letzten Jahr? Zwei von meiner ältesten und engsten Freundin, Katrin, Mitte 50, Lehrerin. 2. Katrin Ich schreib auch Briefe nur an Menschen, von denen ich denke, dass die sich darüber freuen. Und ich glaube, es gibt ne ganze Menge Leute, die das nicht so zu schätzen wissen, denen das egal ist, ob das ne Mail ist oder n handgeschriebener 2 Brief. Erzählerin ... und die zwei anderen Briefe von Inge, 85 Jahre alt und die beste Freundin meiner verstorbenen Mutter. 3. Inge Es ist einfach das Bedürfnis an jemanden zu schreiben. Mitzuteilen, was ich im Moment denke, was ich fühle. Es sind wirklich meist nur die Freunde gewesen, die haben sehr lange Briefe gekriegt. Da hab ich dann immer alles, was so im Jahr passiert ist oder was in einer bestimmten Zeit - das musste ich mitteilen. Und als ich dann Rentnerin war, da hab ich tatsächlich draußen in meinem Garten gesessen und habe die Natur beschrieben. Eigentlich ist das geblieben. Bloß, es ist eben nicht mehr so umfangreich. Erzählerin Sollte ich einen dritten Briefordner anlegen? Für jene vier und für noch zu erwartende Briefe? Oder wäre das nur eine Schwärmerei, eine Illusion? In alten Briefen sitz ich nun vergraben – beginne zu blättern, dann zu lesen und einer gelebten Zeit zu folgen. Allein schon die vielen verschiedenen Papier- und Stiftsorten, von den Handschriften ganz zu schweigen. Auffallend ist, dass die meisten Briefe aus den 80er und 90er Jahren sind. Sicher hängt das mit den technischen Möglichkeiten zusammen. Vielleicht aber auch mit unserem Alter. Viele meiner Freunde waren damals, wie ich, Mitte 20 bis Mitte 30. Sprecher Ein Brief ist eine Seele. Er ist ein ... treues Abbild der geliebten Stimme, die spricht... Honoré de Balzac. Erzählerin Die „Seele“ jener Seiten mit kringeliger Kugelschreiber-Schrift ist mir am vertrautesten. Seit über 30 Jahren. Immer auf kariertem Papier – in den 80er DDRJahren eher ein Holzbrett als feines Schreibpapier – hat mir mein Mann früher Briefe geschrieben. Olaf, Mitte 50, Kulturwissenschaftler. 3 4. Olaf Also grundsätzlich ist Briefe schreiben eine unerträgliche Qual. Überhaupt Schreiben ist für mich eine unerträgliche Qual. Es fließt einfach nicht, weil es eigentlich was unglaublich Schwieriges und geradezu n Martyrium für mich darstellt. Und ich hoffe, auf die Art und Weise wird das dann auch mehr geschätzt, was ich da tu. Aber eben weil ich mich so quäle dabei, schreibe ich äußerst selten. Erzählerin Und darum hat er mir bis auf wenige Ausnahmen – also, bis auf ganz wenige – nur Briefe geschrieben, als er bei der Armee war, und wir noch in der DDR lebten. 5. Olaf Während meiner Armeezeit Briefe zu schreiben, hatte ne ganz andere Bedeutung. Na klar, wollte ich mich mitteilen, aber ich wollte in erster Linie was bekommen. Ich wusste, dass ich nur was kriegen kann, wenn ich was gebe, also musste ich was schreiben. Und dann wusste ich aber, ich krieg in dieser Isolation, in dieser extremen Beschränkt- und Beengtheit bekomme ich was ganz Persönliches, was nur mir gilt, und was ich öffnen kann, und was die anderen mitbekommen. Ich kann was öffnen, was mir gehört. Ich bekomme sozusagen von der Außenwelt ne intime Mitteilung, ne Botschaft, die mich berührt, die mich irgendwie das vergessen lässt, was ich gerade jetzt da erleben muss. Erzählerin Damals stellte sich uns die Frage nicht: Brief oder – tja, was? Und nicht selten sah ich seiner Schrift die Quälerei an. Aber wie egal das war, erlebe ich auch jetzt beim Wiederlesen. Die Schrift war sein Denken, sein Empfinden, seine Sehnsucht – war er. Auch die Schrift auf den nächsten Seiten in meinem Briefordner ist mehr oder weniger eine Katastrophe. Ausladend, unregelmäßig, ineinandergreifende Buchstaben, krumm und schief. Ein Graphologe hätte seine Freude an ihr. Auf dünnem, sehr hellblauen Papier, das überhaupt nicht zu ihm passte, hat mir Klaus, ein Freund aus den 90er Jahren, einen zwölf Seiten langen Brief geschrieben. Aus einem Café in Wien. Jetzt beim Wiederlesen kann ich ihn dort sitzen sehen, lese und sehe sein Gesicht, höre seine Stimme. Danach folgen dutzende Briefe aus Brasilien von einer Brieffreundin – eine heute wohl aussterbende Gattung Mensch. Auf zartem Luftpostpapier geschrieben, hatten diese Briefe zu DDR-Zeiten einen doppelten Wert. Maria beschrieb mir, die uns verschlossene Welt aus erster Hand, aus ihrer Hand. 4 Ganz sicher haben diese Briefe fremde Augen immer vor mir gelesen. Dann – Briefe von Kirsten, eine meiner engsten Freundinnen. Auch von ihr sind die meisten aus den 80er Jahren. Ein tägliches miteinander Sprechen. Obwohl wir gemeinsam in der Buchhandlung gearbeitet haben, saßen wir an den Abenden jede bei sich zu Hause und haben uns geschrieben. 6. Inge Es ist so, dass du das, wenn du es aufschreibst, nochmal alles durchlebst. Beim Sprechen, das geht flinker und ist nicht so intensiv, meine ich. Also mir macht das sehr viel Spaß zu schreiben. 7. Katrin Also ich finde, dass Briefe auch so etwas Meditatives haben. Dass man sich auf sich selbst besinnt, ... sich nicht stören lässt von allen Reizen rundum, sondern, dass man sich hinsetzt und einfach seine Gedanken in Briefform bringt. Und das ist was ganz Tolles, grad in der Zeit heute. 8. Eric Ich würde mich sehr über nen Brief freuen, andererseits würde mich das auch gleich wieder so unter Druck setzen, weil ja die logische Antwort auf so n Brief, ist nun mal n Brief und nicht der Anruf mit: Hey, danke schön. Und dann bin ich mir mit meinen Ansprüchen gern selbst im Weg, weil ich dann natürlich nicht nur irgendeinen Brief schreiben möchte, sondern das muss dann n Knaller sein. Und dann passiert es einfach nie. 9. Sibylle Ich schreib schon auch zu meinem Vergnügen. Also ich weiß, dass es den Empfängerinnen und Empfängern Spaß macht, aber mir ja auch. Und ich glaube, wenn ich das mit der Haltung machen würde, die müssen mir jetzt antworten, das wäre furchtbar. Damit macht man sich unglücklich. Erzählerin Sibylle, Ende 40, ist Texterin, Autorin und eine Briefeschreiberin, die nicht nur auf Füller und Kerzenlicht steht. 10. Sibylle Ich schreibe relativ viele Briefe mit der Hand, aber ich benutze auch schon moderne Technologien. Ich schreibe Briefe auf meinem Tablet mit der Hand, mit so nem Eingabestift. Das ist dann nicht so wie dieses: Okay, ich nehm jetzt meinen Füller 5 und das gute Briefpapier und setze mich für eine heilige Handlung an den Schreibtisch, sondern es ist was Alltägliches. Und meinen letzten Brief hab ich tatsächlich vorgestern geschrieben. Und die verschicke ich dann per Email. 11. Katrin Ich schreib am allerliebsten mit nem Füllhalter und zwar mit grüner Tinte. Und auf schönem Papier und das gehört zum Ritual, meine Schublade aufzumachen, das schöne Papier rauszunehmen, den Füllhalter hinzulegen, mir nen Kaffee daneben zu stellen, möglichst noch ne Kerze anzumachen und dann nen schönen Brief zu schreiben. Sprecher Der Brief ist ein unangemeldeter Besuch, der Briefbote der Vermittler unhöflicher Überfälle. Man sollte alle acht Tage eine Stunde zum Briefempfang haben und danach ein Bad nehmen. Friedrich Nietzsche Erzählerin Ich finde in meinen Ordnern auch Briefe, denen gegenüber ich heute eine Scheu empfinde. Ich möchte sie nicht lesen. Ich will dem Absender jetzt nicht begegnen. Als sei etwas nicht gut beendet worden oder gar nicht. Oder etwas Schweres geblieben. Und dass ich diesen Brief hier eingeheftet habe? Ein Brief ohne Anrede, fünf Seiten einzeilig mit dem Computer geschrieben. Ein Brief, der hier nichts zu suchen hat. Oder doch? Ein Brief von meinem Vater, der verletzt, kränkt, anklagt. Die Kraft des geschriebenen Wortes. Und warum habe ich diesen Brief nicht einfach zerrissen und weggeworfen? 12. Olaf Ich hab alle meine Briefe aufgehoben, wobei – es gibt ja jetzt die modernen Medien und n Teil der Briefe hab ich schon eingescannt. Also, die sind jetzt als Mediendateien da. Aber n Großteil der Briefe, die sind noch abgeheftet in Ordnern und wieder andere sind gebündelt. Ich hab keine Ahnung, ob ich die jemals lesen werde, ich weiß es nicht. Ich hab’s mir auch vorgenommen, aber irgendwie – ich bin noch nicht so weit. Mal gucken, ob ich irgendwann die Muße habe, die Zeit hätt ich schon, aber die Muße, die fehlt mir noch. 13. Sibylle Ja, ich heb die auf, manchmal les ich die auch wieder. Aber eher sporadisch. Also, ich freu mich, dass die da sind, das ist schon so ne Art Schatztruhe, wo die drin sind, aber ich such die nicht noch mal auf. 6 Erzählerin Ein wenig zuckte meine Hand ja schon im Kino während der „Geträumten“. Aber wenn ich jetzt in meiner eigenen Schatztruhe lese, formuliere ich schon Anrede und erste Zeilen. Ich weiß längst, dass ich einen Brief schreiben will. Und zwar an diesen einen Freund. Wir wohnen nur ein paar hundert Meter voneinander entfernt. Aber seit wann ist Briefeschreiben von Entfernungen abhängig? Ich entscheide mich für weißes liniertes Papier und meinen Füller. – Briefatmo – Lieber T., nachdem du das letzte Mal gegangen warst, hab ich das Geschirr auf dem Tisch und die Reste von Brot, Käse, Schinken an den Rand schoben, mir Papier und Stift genommen und wollte unser Gespräch einfach fortführen. ... 14. Eric Also es gibt schon ein, zwei Situationen, wo ich es noch nach wie vor im Kopf hab. Also zum Einen ist es eine Antwort auf nen Brief von meinem Opa, die jetzt bestimmt schon anderthalb Jahre wartet, die ich aber nicht aufgebe, die nach wie vor im Kopf habe. Und ganz oft, wenn ich Fahrrad fahre, fallen mir so ganz viele Sätze ein, wo ich denk, super, das musst du dir merken, das muss in diesen Brief. Aber das ist dann auch wieder weg, wenn ich ankomme. Und ich würde gern, dass der Brief, wenn der dann mal zu nem Brief wird, n durchdachter Brief ist. Weil der Brief, auf den ich reagiere ein recht, ja, man kann schon sagen, ein gemeiner, emotional sehr aufgeladener und verletzender Brief war. 15. Olaf Ich bin nie hundertprozentig überzeugt, von dem, was ich geschrieben habe. Aber ich kann n Schlussstrich setzen, ich kann sagen: Jetzt bin ich fertig. Und dann ist es weg, das Ding. Ich empfinde mich immer als unvollkommen, im geschriebenen Wort. Im Reden da kann ich auch mal ausschweifend werden, da muss ich mich nicht kontrollieren permanent. Ich weiß, dass man da vieles korrigieren kann, ja, auch wenn man vielleicht mal das falsche Wort gewählt hat. Wenn das einmal schwarz auf weiß da steht, da bin ich festgenagelt. Ich bin angreifbarer dadurch, das spielt auch noch mit ne Rolle. Sprecher Schreibe nur wie du reden würdest, und so wirst du einen guten Brief schreiben. Johann Wolfgang von Goethe. 7 – Briefatmo – 16. Eric Ich hab zum Beispiel an meinen Vater einige Briefe angefangen und die nie abgeschickt. Weil, das war dann immer beim zweiten Durchlesen so ne emotionale Überdramatisierung, fand ich. Und das ist auch n Punkt, der mich so davon abhält – zum einen fällt‘s mir schwer, den Faden zu behalten beim Briefeschreiben, dass wenn ich einen Gedanken habe, den nach drei Zeilen immer noch verfolge, den gleichen Gedanken und nicht schon wieder ganz woanders bin. Und zum anderen ist es wirklich so diese Tendenz, die ich habe, dass ich ... die Themen dann zu dramatisch angehe. Das ist dann immer so: Briefe, damit kann man ganz große Sachen klären, oder irgendwie sich die Sachen von der Seele schreiben und dann soll der andere damit zurechtkommen, was man da jetzt aufs Papier gebracht hat. 17. Katrin Also Briefe schreiben ist für mich, wie gesagt, was ganz Persönliches und sogar so persönlich, dass ich mir zu Silvester immer selber einen Brief schreibe und zwar seit – das müssten über zwanzig Jahre inzwischen sein. Immer am letzten oder vorletzten Tag des Jahres schreib ich mir auf, was mir so an dem Jahr aufgefallen ist, wie es war, wie ich das erlebt habe. Und dann schreib ich, was ich mir vornehme fürs nächste Jahr, was ich mir wünsche, was ich auch für andere Menschen wünsche. Also das ist ein richtiges Ritual, das sind inzwischen fette Briefe, die kommen dann in den Briefumschlag, dann kommt das Datum rauf, zugeklebt und im nächsten Jahr, wenn der nächste Brief dran ist, wird der alte aufgemacht, noch mal gelesen. Und das ist jedes Jahr ein Fest für mich, ja. Und ich freu mich drauf, irgendwann mal alle diese Briefe zu lesen. 18. Olaf Das gab eine Zeit, in der ich noch eine andere Form des schriftlichen Mitteilens gewählt habe, ich hab mit meiner Tochter n Tagebuch geführt. Sie kam eines Tages – das ist schon viele Jahre her – auf die Idee, dass wir, nicht zuletzt, weil sie sowas wie ne Telefonphobie hat – dass wir n gemeinsames Tagebuch führen, was dann zwischen uns hin und her wandert. Und dann war‘s für mich immer wieder überraschend, einerseits das Eigene, was ich schon mal geschrieben hatte dann sozusagen, weil es ja dann schon ne Art von Geschichte, die sich darin auch abspielt, wieder zu lesen, mich selbst zu sehen und auch die Veränderung, die stattgefunden hat im Verlauf unseres gegenseitigen Austausches, der sehr intim war und sehr persönlich und uns beiden ne große Nähe brachte, die für unsere Beziehung auch sehr wichtig war. 8 Sprecher Wie kann man nur auf den Gedanken kommen, daß Menschen durch Briefe miteinander verkehren können! Man kann an einen fremden Menschen denken, und man kann einen nahen Menschen fassen, alles andere geht über Menschenkraft. Franz Kafka – Briefatmo – Erzählerin Und dann ist es noch ein paar Zeilen gut gegangen, bis meine Schrift sich in Gekrakel verirrt hat. Bis das Blatt versaut aussieht. Nicht mal die gleichen Wörter von einer Hand geschrieben scheinen. Aber nein, ich werde mich nicht an den Computer setzen. Ich muss langsam schreiben, die Gedanken kommen lassen, muss meine Hand zwischendurch ausschütteln und dabei die Gedanken nicht verlieren. Ich beginne noch einmal. 19. Eric Ich mag meine Handschrift überhaupt nicht, also in den ersten drei Zeilen gebe ich mir noch Mühe und danach wird‘s einfach nur noch ne Klaue. Was die Sache sehr unschön macht. Und ich mag, wenn ich so was mache, eigentlich immer, also ich bin da sehr Ästhet. Ich möchte dann was losschicken, was einfach wirklich schön ist. 20. Katrin Und wenn ich sauber schreibe, nehme ich mir auch mehr Zeit zum Schreiben, und dann nehme ich mir auch mehr Zeit zum Denken dabei. Und das denke ich bei den Kindern eben auch. Also, wenn die schön schreiben, heißt das, dass die – also, das ist meine Interpretation, dass die sich und ihre Gedanken ernst nehmen. Toll wäre ja, wenn man den Kindern vermitteln kann, dass es Spaß macht, schön zu schreiben. Wenn das keine Drillübung ist. Und eigentlich gehen ja die Kinder in der ersten Klasse – hab ich jetzt gerade gehabt, ne Vertretungsstunde – die gehen ja mit Freude da ran, die bemühen sich ja schön zu schreiben, weil sie das selber schön finden, das ist ja wie ein Bild. Und da muss eben aufpassen, dass man ihnen das nicht kaputt macht. Ja, und wenn das wegfallen würde, also ich finde, das ist ein Verlust. Da geht das Eigene verloren, finde ich schade. 21. Sibylle Das ist stimmungsabhängig, welches Medium ich jetzt benutze. Und ja, ich glaube, es liegt auch so n bisschen am Adressaten. Ich schreib beruflich ja viel mit der Tastatur und finde es schöner und persönlicher mit der Hand zu schreiben und hab auch das Gefühl, ich komm dann auf andere Gedanken. Meine Handschrift gefällt mir gut, und es macht mir große Freude zu sehen, wie die Schrift aus meinem 9 Schreibgerät raus fließt. 22. Inge Briefe sind Briefe, und sie werden mit der Hand geschrieben. Eigentlich kann ich mich nicht erinnern, einen mit der Schreibmaschine geschrieben zu haben. Also Computer sowie so nicht, weil ich das nicht habe. Wenn ich anfange zu schreiben, ist es krakelig, die Hand ist ungeübt, aber sowie sie fließt, läuft das alles gleich ganz anders. 23. Herr Petzold Also das Allerbeste ist natürlich die persönliche Handschrift. Aber ich nehme mich da immer als Beispiel mit meinem Liebesbrief, den ich schreiben wollte, aber mit einer Sauklaue sind diese Worte einfach nicht in diesem schönen Umfeld, wie ich sie gern hätte. Ich nenne es einfach, unseren Service um ein schönes Bild. Wir geben den Worten des Liebenden ein schönes Bild. Erzählerin Torsten Petzold hat 2013 die „Schreibstatt“ in Berlin gegründet. 24. Herr Petzold Und auf die Idee kam ich, als ich selber einen Liebesbrief verfassen wollte für meine Frau. Und ich selber hab aber eine Sauklaue und hab mal nach jemandem gesucht, der das für mich macht und daraus entstand dann die Idee zur „Schreibstatt“. Wir von der „Schreibstatt“ bieten handgeschriebene Briefe an, wir sind die „Manufaktur für Handgeschriebenes“. Wir haben mittlerweile 80 Schönschreiberinnen und Schönschreiber, die die Briefe verfassen, hauptsächlich für Unternehmen, aber auch viele Privatbriefe. Und wir schreiben die Briefe nach Textvorlagen von den Kunden und wenn's mal gewünscht wird, würden wir natürlich auch in Zusammenarbeit mit einem Texter den inhaltlichen Teil übernehmen. Aber das ist eher seltener der Fall. Tatsächlich ist es so, dass wir meistens Liebesbriefe für Privatpersonen schreiben und Einladungen und Glückwünsche, Weihnachtskarten für Unternehmen. 25. Sibylle Tja, ich weiß nicht, ich finde das interessant, dass es auch Personen gibt, die tatsächlich professionell für andere Menschen Briefe schreiben, das ist ja ein alter Beruf Schreiber oder Schreiberin zu sein. Aber ich frag mich, ob sich nicht die Leute, die Briefe schreiben lassen, um ein großes Vergnügen bringen und ob nicht auch überhaupt das Briefeschreiben dadurch zu hoch gehängt wird. Denn, wenn das sowas Tolles ist, dass das nur speziell geeignete Personen machen können, ich finde das ist die falsche Auffassung. Also, ich bin für Briefe, für Schnipsel, für handschriftliche Kurznachrichten, und die dürfen auch ruhig provisorisch und unperfekt sein. Das ist ja gerade das Tolle an Handschriften und auch an dieser Art, vielleicht noch nicht ganz fertige Gedanken schriftlich festzuhalten. 10 Sprecher Ich nehme ein Stück von meinem Herzen, packe es sauber ein in ein paar Bogen beschriebenen Papiers und schicke es dir. Franz Kafka – Briefatmo – dann drunter lassen – Erzählerin Mir tut die Hand weh, ich muss immer öfter kurze Pausen machen. Ich schreibe durchaus auch lange Mails oder Briefe mit dem Computer. Das geht flink, ich schreibe mit zehn Fingern blind, also fast in meiner Denkgeschwindigkeit, ich kann immer wieder korrigieren und mir tut die Hand nach drei Zeilen nicht weh. Und um mich selbst zu versöhnen, drucke ich die Briefe oft in einer schreibschriftähnlichen Schrift aus. Zufrieden bin ich damit nie. – Briefatmo – noch mal aufblenden – 26. Olaf Da ist ein Unterschied, dass die Hand durch den spontanen Einfall geleitet wird und die Tastatur, die hat Zeit. Da kann ich mir viel Zeit lassen, da kann ich dann anfangen zu schwelgen oder zu formen oder zu ändern. Da kommt plötzlich dann Kunst rein oder irgendwas Gewolltes, was vorher in der Hand noch nicht drin war. Bei der Tastatur, da ist es dann der Kopf plötzlich, der sich massiv einschaltet und dann abwägt, auswählt. 27. [[o.c. Sibylle Ich bin auf jeden Fall kreativer, wenn ich mit der Hand schreibe. ... Ich schreib auch mit der Hand, wenn ich Konzepte entwickle oder Ideen überhaupt erst ausarbeite.]] 28. Herr Petzold Es sind 80 Prozent Männer etwa bei den Privatbriefen und 20 Prozent Frauen. Bei Frauen sind‘s Glückwunschkarten, die wir schreiben, und bei Männern sind es tatsächlich Liebesbriefe oder Entschuldigungsbriefe. Oder was wir auch schon mal haben, so Aufarbeitungsbriefe, nenn ich sie mal. Unser Highlight, möcht ich mal sagen dazu, war ein 39seitiger handgeschriebener Brief, den wir erstellt haben, wo über fünf Jahre etwa die Beziehung rekapituliert wurde, und wer wann wo was gemacht hat dabei und was vorgefallen ist, und warum er so gehandelt hat, wie er gehandelt hat. Ja, sowas kommt natürlich dann auch schon mal vor. 11 29. Michaela Ich glaub, man fängt hier auch nicht an in der Schreibstatt, so von wegen, da verdiene ich n bisschen mein Geld, sondern man muss schon die Leidenschaft haben zu ner schönen Handschrift und das kann man nicht einfach nur mal so machen. Also, man muss sich damit unbewusst schon im Alltag auseinandersetzen. Erzählerin Michaela, Anfang 40, arbeitet als festangestellte Schreiberin in der Schreibstatt. 30. Michaela Also ich bin auch Technik affin, natürlich bin ich mit nem ipad, Rechner und nem iphone unterwegs, aber ich schreibe gerne. 31. Herr Petzold Auf der „Schreibstatt“-Seite haben wir „Das kleine Buch schöner Handschriften“, wie wir es nennen. Dort sind Schriftmuster von allen Schreiberinnen, dort kann man sich dann aussuchen, wen man für seinen Auftrag haben möchte und dann wird der Auftrag mit dieser Schrift erstellt. 32. Michaela Dann muss man schon erstmal vorab schreiben, damit also Satz und Layout stimmt. Sind es zwei Seiten, anderthalb Seiten? Wo fang ich an, damit das Gesamtbild auch schön aussieht? Ja, dann fang ich an zu schreiben, versuche keine Fehler zu machen, weil sonst muss man wieder von vorn anfangen, dann wird das redigiert von ner Kollegin. Und dann kommt der nächste Auftrag auch schon rein. [[ o.c. Also ich hatte dann auch schon erotische Zeilen oder Liebesbriefe, aber das ist – nee, da freu ich mich eher, dass sich jemand da mitteilen möchte. Das ist mir null unangenehm, ich freu mich für denjenigen, der dann diesen Brief aufmacht.]] – Briefatmo – Ende – Erzählerin Drei Seiten! Allerdings sieht schön anders aus. Meine Schrift windet sich übers Papier, als hätte ich an mindestens vier verschiedenen Tagen geschrieben. Im Liegen, im Sitzen, im Laufen. Egal. Dafür muss der Briefumschlag gelingen. Die Adresse in wohlgeformten Buchstaben, mit einer schönen Briefmarke und dann ab in den Postkasten. 12
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