SWR2 Tandem - Manuskriptdienst Heute schreib ich einen Brief Die

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SWR2 Tandem - Manuskriptdienst
Heute schreib ich einen Brief
Die Freiheit zwischen Füllfederhalter und Tastatur
AutorIn:
Ina Strelow
Redaktion:
Nadja Odeh
Regie:
Maria Ohmer
Sendung:
Donnerstag, 21.04.2016 um 10.05 Uhr in SWR2
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Erzählerin
„Die Geträumten“. Ein Film, in dem Auszüge aus dem Briefwechsel zwischen
Ingeborg Bachmann und Paul Celan gelesen werden. Der Film war zur 62. Berlinale
eingeladen. Ich habe ihn mir gestern angesehen. Die Briefe voller Poesie, Schmerz
und Leidenschaft, schöner Gedanken und Vorwürfe. Nahezu bescheiden und doch
spannungsreich ins Bild gesetzt. Und am Ende das Gefühl, ihre Briefe waren für
beide so selbstverständlich so lebenswichtig.
Als ich nach dem Kino wieder zu Hause war, habe ich erst einmal meine beiden
dicken Brief-Ordner aufgeschlagen, in die ich ohnehin noch vier Briefe einsortieren
wollte. Vier Briefe, die ich im letzten Jahr bekommen habe. Vier! – für mich hört sich
das mehr als mager an. Sagen wir uns heute all das, was wir uns einst geschrieben
haben? Oder geht da schon lange etwas verloren?
Fünfmal bin ich mit diesen Briefordnern inzwischen umgezogen und jedes Mal hab
ich mir die Frage gestellt, ob und wann ich diese vielen Seiten je wieder lesen würde.
Briefe, die mir in den letzten vier Jahrzehnten geschrieben wurden. Von Freundinnen
und Freunden, meiner Tochter, von meinem Sohn eher nicht. Er hat lieber eigene
Fotos verschickt. Eric, Mitte dreißig, Fotograf.
1. Eric
So‘n richtigen Brief, hab ich – au backe, das ist gut und gerne 16 Jahre her, also sehr
lange her.
Erzählerin
... von Lebenspartnern und Geliebten, von meiner Mutter, von Mitstudenten und
Professoren aus der Uni, auch von Menschen, mit denen ich nur einen kurzen
gemeinsamen Weg gegangen bin. Sogar ein paar Abschriften und Kopien eigener
Briefe, die ich wohl besonders wichtig fand.
In die beiden Briefordner passt kein einziges Blatt mehr hinein, so prall sind sie
gefüllt. Wohin nun mit den vier Briefen aus dem letzten Jahr? Zwei von meiner
ältesten und engsten Freundin, Katrin, Mitte 50, Lehrerin.
2. Katrin
Ich schreib auch Briefe nur an Menschen, von denen ich denke, dass die sich
darüber freuen. Und ich glaube, es gibt ne ganze Menge Leute, die das nicht so zu
schätzen wissen, denen das egal ist, ob das ne Mail ist oder n handgeschriebener
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Brief.
Erzählerin
... und die zwei anderen Briefe von Inge, 85 Jahre alt und die beste Freundin meiner
verstorbenen Mutter.
3. Inge
Es ist einfach das Bedürfnis an jemanden zu schreiben. Mitzuteilen, was ich im
Moment denke, was ich fühle. Es sind wirklich meist nur die Freunde gewesen, die
haben sehr lange Briefe gekriegt. Da hab ich dann immer alles, was so im Jahr
passiert ist oder was in einer bestimmten Zeit - das musste ich mitteilen. Und als ich
dann Rentnerin war, da hab ich tatsächlich draußen in meinem Garten gesessen und
habe die Natur beschrieben. Eigentlich ist das geblieben. Bloß, es ist eben nicht
mehr so umfangreich.
Erzählerin
Sollte ich einen dritten Briefordner anlegen? Für jene vier und für noch zu erwartende
Briefe? Oder wäre das nur eine Schwärmerei, eine Illusion?
In alten Briefen sitz ich nun vergraben – beginne zu blättern, dann zu lesen und einer
gelebten Zeit zu folgen. Allein schon die vielen verschiedenen Papier- und
Stiftsorten, von den Handschriften ganz zu schweigen. Auffallend ist, dass die
meisten Briefe aus den 80er und 90er Jahren sind. Sicher hängt das mit den
technischen Möglichkeiten zusammen. Vielleicht aber auch mit unserem Alter. Viele
meiner Freunde waren damals, wie ich, Mitte 20 bis Mitte 30.
Sprecher
Ein Brief ist eine Seele. Er ist ein ... treues Abbild der geliebten Stimme, die spricht...
Honoré de Balzac.
Erzählerin
Die „Seele“ jener Seiten mit kringeliger Kugelschreiber-Schrift ist mir am
vertrautesten. Seit über 30 Jahren. Immer auf kariertem Papier – in den 80er DDRJahren eher ein Holzbrett als feines Schreibpapier – hat mir mein Mann früher Briefe
geschrieben. Olaf, Mitte 50, Kulturwissenschaftler.
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4. Olaf
Also grundsätzlich ist Briefe schreiben eine unerträgliche Qual. Überhaupt Schreiben
ist für mich eine unerträgliche Qual. Es fließt einfach nicht, weil es eigentlich was
unglaublich Schwieriges und geradezu n Martyrium für mich darstellt. Und ich hoffe,
auf die Art und Weise wird das dann auch mehr geschätzt, was ich da tu. Aber eben
weil ich mich so quäle dabei, schreibe ich äußerst selten.
Erzählerin
Und darum hat er mir bis auf wenige Ausnahmen – also, bis auf ganz wenige – nur
Briefe geschrieben, als er bei der Armee war, und wir noch in der DDR lebten.
5. Olaf
Während meiner Armeezeit Briefe zu schreiben, hatte ne ganz andere Bedeutung.
Na klar, wollte ich mich mitteilen, aber ich wollte in erster Linie was bekommen. Ich
wusste, dass ich nur was kriegen kann, wenn ich was gebe, also musste ich was
schreiben. Und dann wusste ich aber, ich krieg in dieser Isolation, in dieser extremen
Beschränkt- und Beengtheit bekomme ich was ganz Persönliches, was nur mir gilt,
und was ich öffnen kann, und was die anderen mitbekommen. Ich kann was öffnen,
was mir gehört. Ich bekomme sozusagen von der Außenwelt ne intime Mitteilung, ne
Botschaft, die mich berührt, die mich irgendwie das vergessen lässt, was ich gerade
jetzt da erleben muss.
Erzählerin
Damals stellte sich uns die Frage nicht: Brief oder – tja, was?
Und nicht selten sah ich seiner Schrift die Quälerei an. Aber wie egal das war, erlebe
ich auch jetzt beim Wiederlesen. Die Schrift war sein Denken, sein Empfinden, seine
Sehnsucht – war er.
Auch die Schrift auf den nächsten Seiten in meinem Briefordner ist mehr oder
weniger eine Katastrophe. Ausladend, unregelmäßig, ineinandergreifende
Buchstaben, krumm und schief. Ein Graphologe hätte seine Freude an ihr. Auf
dünnem, sehr hellblauen Papier, das überhaupt nicht zu ihm passte, hat mir Klaus,
ein Freund aus den 90er Jahren, einen zwölf Seiten langen Brief geschrieben. Aus
einem Café in Wien. Jetzt beim Wiederlesen kann ich ihn dort sitzen sehen, lese und
sehe sein Gesicht, höre seine Stimme.
Danach folgen dutzende Briefe aus Brasilien von einer Brieffreundin – eine heute
wohl aussterbende Gattung Mensch. Auf zartem Luftpostpapier geschrieben, hatten
diese Briefe zu DDR-Zeiten einen doppelten Wert. Maria beschrieb mir, die uns
verschlossene Welt aus erster Hand, aus ihrer Hand.
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Ganz sicher haben diese Briefe fremde Augen immer vor mir gelesen.
Dann – Briefe von Kirsten, eine meiner engsten Freundinnen. Auch von ihr sind die
meisten aus den 80er Jahren. Ein tägliches miteinander Sprechen. Obwohl wir
gemeinsam in der Buchhandlung gearbeitet haben, saßen wir an den Abenden jede
bei sich zu Hause und haben uns geschrieben.
6. Inge
Es ist so, dass du das, wenn du es aufschreibst, nochmal alles durchlebst. Beim
Sprechen, das geht flinker und ist nicht so intensiv, meine ich. Also mir macht das
sehr viel Spaß zu schreiben.
7. Katrin
Also ich finde, dass Briefe auch so etwas Meditatives haben. Dass man sich auf sich
selbst besinnt, ... sich nicht stören lässt von allen Reizen rundum, sondern, dass man
sich hinsetzt und einfach seine Gedanken in Briefform bringt. Und das ist was ganz
Tolles, grad in der Zeit heute.
8. Eric
Ich würde mich sehr über nen Brief freuen, andererseits würde mich das auch gleich
wieder so unter Druck setzen, weil ja die logische Antwort auf so n Brief, ist nun mal
n Brief und nicht der Anruf mit: Hey, danke schön.
Und dann bin ich mir mit meinen Ansprüchen gern selbst im Weg, weil ich dann
natürlich nicht nur irgendeinen Brief schreiben möchte, sondern das muss dann n
Knaller sein. Und dann passiert es einfach nie.
9. Sibylle
Ich schreib schon auch zu meinem Vergnügen. Also ich weiß, dass es den
Empfängerinnen und Empfängern Spaß macht, aber mir ja auch. Und ich glaube,
wenn ich das mit der Haltung machen würde, die müssen mir jetzt antworten, das
wäre furchtbar. Damit macht man sich unglücklich.
Erzählerin
Sibylle, Ende 40, ist Texterin, Autorin und eine Briefeschreiberin, die nicht nur auf
Füller und Kerzenlicht steht.
10. Sibylle
Ich schreibe relativ viele Briefe mit der Hand, aber ich benutze auch schon moderne
Technologien. Ich schreibe Briefe auf meinem Tablet mit der Hand, mit so nem
Eingabestift. Das ist dann nicht so wie dieses: Okay, ich nehm jetzt meinen Füller
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und das gute Briefpapier und setze mich für eine heilige Handlung an den
Schreibtisch, sondern es ist was Alltägliches. Und meinen letzten Brief hab ich
tatsächlich vorgestern geschrieben. Und die verschicke ich dann per Email.
11. Katrin
Ich schreib am allerliebsten mit nem Füllhalter und zwar mit grüner Tinte. Und auf
schönem Papier und das gehört zum Ritual, meine Schublade aufzumachen, das
schöne Papier rauszunehmen, den Füllhalter hinzulegen, mir nen Kaffee daneben zu
stellen, möglichst noch ne Kerze anzumachen und dann nen schönen Brief zu
schreiben.
Sprecher
Der Brief ist ein unangemeldeter Besuch, der Briefbote der Vermittler unhöflicher
Überfälle. Man sollte alle acht Tage eine Stunde zum Briefempfang haben und
danach ein Bad nehmen.
Friedrich Nietzsche
Erzählerin
Ich finde in meinen Ordnern auch Briefe, denen gegenüber ich heute eine Scheu
empfinde. Ich möchte sie nicht lesen. Ich will dem Absender jetzt nicht begegnen. Als
sei etwas nicht gut beendet worden oder gar nicht. Oder etwas Schweres geblieben.
Und dass ich diesen Brief hier eingeheftet habe? Ein Brief ohne Anrede, fünf Seiten
einzeilig mit dem Computer geschrieben. Ein Brief, der hier nichts zu suchen hat.
Oder doch? Ein Brief von meinem Vater, der verletzt, kränkt, anklagt. Die Kraft des
geschriebenen Wortes.
Und warum habe ich diesen Brief nicht einfach zerrissen und weggeworfen?
12. Olaf
Ich hab alle meine Briefe aufgehoben, wobei – es gibt ja jetzt die modernen Medien
und n Teil der Briefe hab ich schon eingescannt. Also, die sind jetzt als
Mediendateien da. Aber n Großteil der Briefe, die sind noch abgeheftet in Ordnern
und wieder andere sind gebündelt. Ich hab keine Ahnung, ob ich die jemals lesen
werde, ich weiß es nicht. Ich hab’s mir auch vorgenommen, aber irgendwie – ich bin
noch nicht so weit. Mal gucken, ob ich irgendwann die Muße habe, die Zeit hätt ich
schon, aber die Muße, die fehlt mir noch.
13. Sibylle
Ja, ich heb die auf, manchmal les ich die auch wieder. Aber eher sporadisch. Also,
ich freu mich, dass die da sind, das ist schon so ne Art Schatztruhe, wo die drin sind,
aber ich such die nicht noch mal auf.
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Erzählerin
Ein wenig zuckte meine Hand ja schon im Kino während der „Geträumten“. Aber
wenn ich jetzt in meiner eigenen Schatztruhe lese, formuliere ich schon Anrede und
erste Zeilen. Ich weiß längst, dass ich einen Brief schreiben will. Und zwar an diesen
einen Freund. Wir wohnen nur ein paar hundert Meter voneinander entfernt. Aber seit
wann ist Briefeschreiben von Entfernungen abhängig?
Ich entscheide mich für weißes liniertes Papier und meinen Füller.
– Briefatmo –
Lieber T.,
nachdem du das letzte Mal gegangen warst, hab ich das Geschirr auf dem Tisch und
die Reste von Brot, Käse, Schinken an den Rand schoben, mir Papier und Stift
genommen und wollte unser Gespräch einfach fortführen. ...
14. Eric
Also es gibt schon ein, zwei Situationen, wo ich es noch nach wie vor im Kopf hab.
Also zum Einen ist es eine Antwort auf nen Brief von meinem Opa, die jetzt bestimmt
schon anderthalb Jahre wartet, die ich aber nicht aufgebe, die nach wie vor im Kopf
habe. Und ganz oft, wenn ich Fahrrad fahre, fallen mir so ganz viele Sätze ein, wo
ich denk, super, das musst du dir merken, das muss in diesen Brief. Aber das ist
dann auch wieder weg, wenn ich ankomme. Und ich würde gern, dass der Brief,
wenn der dann mal zu nem Brief wird, n durchdachter Brief ist. Weil der Brief, auf den
ich reagiere ein recht, ja, man kann schon sagen, ein gemeiner, emotional sehr
aufgeladener und verletzender Brief war.
15. Olaf
Ich bin nie hundertprozentig überzeugt, von dem, was ich geschrieben habe. Aber
ich kann n Schlussstrich setzen, ich kann sagen: Jetzt bin ich fertig. Und dann ist es
weg, das Ding. Ich empfinde mich immer als unvollkommen, im geschriebenen Wort.
Im Reden da kann ich auch mal ausschweifend werden, da muss ich mich nicht
kontrollieren permanent. Ich weiß, dass man da vieles korrigieren kann, ja, auch
wenn man vielleicht mal das falsche Wort gewählt hat. Wenn das einmal schwarz auf
weiß da steht, da bin ich festgenagelt. Ich bin angreifbarer dadurch, das spielt auch
noch mit ne Rolle.
Sprecher
Schreibe nur wie du reden würdest, und so wirst du einen guten Brief schreiben.
Johann Wolfgang von Goethe.
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– Briefatmo –
16. Eric
Ich hab zum Beispiel an meinen Vater einige Briefe angefangen und die nie
abgeschickt. Weil, das war dann immer beim zweiten Durchlesen so ne emotionale
Überdramatisierung, fand ich. Und das ist auch n Punkt, der mich so davon abhält –
zum einen fällt‘s mir schwer, den Faden zu behalten beim Briefeschreiben, dass
wenn ich einen Gedanken habe, den nach drei Zeilen immer noch verfolge, den
gleichen Gedanken und nicht schon wieder ganz woanders bin. Und zum anderen ist
es wirklich so diese Tendenz, die ich habe, dass ich ... die Themen dann zu
dramatisch angehe. Das ist dann immer so: Briefe, damit kann man ganz große
Sachen klären, oder irgendwie sich die Sachen von der Seele schreiben und dann
soll der andere damit zurechtkommen, was man da jetzt aufs Papier gebracht hat.
17. Katrin
Also Briefe schreiben ist für mich, wie gesagt, was ganz Persönliches und sogar so
persönlich, dass ich mir zu Silvester immer selber einen Brief schreibe und zwar seit
– das müssten über zwanzig Jahre inzwischen sein. Immer am letzten oder
vorletzten Tag des Jahres schreib ich mir auf, was mir so an dem Jahr aufgefallen ist,
wie es war, wie ich das erlebt habe. Und dann schreib ich, was ich mir vornehme fürs
nächste Jahr, was ich mir wünsche, was ich auch für andere Menschen wünsche.
Also das ist ein richtiges Ritual, das sind inzwischen fette Briefe, die kommen dann in
den Briefumschlag, dann kommt das Datum rauf, zugeklebt und im nächsten Jahr,
wenn der nächste Brief dran ist, wird der alte aufgemacht, noch mal gelesen. Und
das ist jedes Jahr ein Fest für mich, ja. Und ich freu mich drauf, irgendwann mal alle
diese Briefe zu lesen.
18. Olaf
Das gab eine Zeit, in der ich noch eine andere Form des schriftlichen Mitteilens
gewählt habe, ich hab mit meiner Tochter n Tagebuch geführt. Sie kam eines Tages
– das ist schon viele Jahre her – auf die Idee, dass wir, nicht zuletzt, weil sie sowas
wie ne Telefonphobie hat – dass wir n gemeinsames Tagebuch führen, was dann
zwischen uns hin und her wandert. Und dann war‘s für mich immer wieder
überraschend, einerseits das Eigene, was ich schon mal geschrieben hatte dann
sozusagen, weil es ja dann schon ne Art von Geschichte, die sich darin auch
abspielt, wieder zu lesen, mich selbst zu sehen und auch die Veränderung, die
stattgefunden hat im Verlauf unseres gegenseitigen Austausches, der sehr intim war
und sehr persönlich und uns beiden ne große Nähe brachte, die für unsere
Beziehung auch sehr wichtig war.
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Sprecher
Wie kann man nur auf den Gedanken kommen, daß Menschen durch Briefe
miteinander verkehren können! Man kann an einen fremden Menschen denken, und
man kann einen nahen Menschen fassen, alles andere geht über Menschenkraft.
Franz Kafka
– Briefatmo –
Erzählerin
Und dann ist es noch ein paar Zeilen gut gegangen, bis meine Schrift sich in
Gekrakel verirrt hat. Bis das Blatt versaut aussieht. Nicht mal die gleichen Wörter von
einer Hand geschrieben scheinen. Aber nein, ich werde mich nicht an den Computer
setzen. Ich muss langsam schreiben, die Gedanken kommen lassen, muss meine
Hand zwischendurch ausschütteln und dabei die Gedanken nicht verlieren.
Ich beginne noch einmal.
19. Eric
Ich mag meine Handschrift überhaupt nicht, also in den ersten drei Zeilen gebe ich
mir noch Mühe und danach wird‘s einfach nur noch ne Klaue. Was die Sache sehr
unschön macht. Und ich mag, wenn ich so was mache, eigentlich immer, also ich bin
da sehr Ästhet. Ich möchte dann was losschicken, was einfach wirklich schön ist.
20. Katrin
Und wenn ich sauber schreibe, nehme ich mir auch mehr Zeit zum Schreiben, und
dann nehme ich mir auch mehr Zeit zum Denken dabei. Und das denke ich bei den
Kindern eben auch. Also, wenn die schön schreiben, heißt das, dass die – also, das
ist meine Interpretation, dass die sich und ihre Gedanken ernst nehmen. Toll wäre ja,
wenn man den Kindern vermitteln kann, dass es Spaß macht, schön zu schreiben.
Wenn das keine Drillübung ist. Und eigentlich gehen ja die Kinder in der ersten
Klasse – hab ich jetzt gerade gehabt, ne Vertretungsstunde – die gehen ja mit
Freude da ran, die bemühen sich ja schön zu schreiben, weil sie das selber schön
finden, das ist ja wie ein Bild. Und da muss eben aufpassen, dass man ihnen das
nicht kaputt macht. Ja, und wenn das wegfallen würde, also ich finde, das ist ein
Verlust. Da geht das Eigene verloren, finde ich schade.
21. Sibylle
Das ist stimmungsabhängig, welches Medium ich jetzt benutze. Und ja, ich glaube,
es liegt auch so n bisschen am Adressaten. Ich schreib beruflich ja viel mit der
Tastatur und finde es schöner und persönlicher mit der Hand zu schreiben und hab
auch das Gefühl, ich komm dann auf andere Gedanken. Meine Handschrift gefällt mir
gut, und es macht mir große Freude zu sehen, wie die Schrift aus meinem
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Schreibgerät raus fließt.
22. Inge
Briefe sind Briefe, und sie werden mit der Hand geschrieben. Eigentlich kann ich
mich nicht erinnern, einen mit der Schreibmaschine geschrieben zu haben. Also
Computer sowie so nicht, weil ich das nicht habe. Wenn ich anfange zu schreiben, ist
es krakelig, die Hand ist ungeübt, aber sowie sie fließt, läuft das alles gleich ganz
anders.
23. Herr Petzold
Also das Allerbeste ist natürlich die persönliche Handschrift. Aber ich nehme mich da
immer als Beispiel mit meinem Liebesbrief, den ich schreiben wollte, aber mit einer
Sauklaue sind diese Worte einfach nicht in diesem schönen Umfeld, wie ich sie gern
hätte. Ich nenne es einfach, unseren Service um ein schönes Bild. Wir geben den
Worten des Liebenden ein schönes Bild.
Erzählerin
Torsten Petzold hat 2013 die „Schreibstatt“ in Berlin gegründet.
24. Herr Petzold
Und auf die Idee kam ich, als ich selber einen Liebesbrief verfassen wollte für meine
Frau. Und ich selber hab aber eine Sauklaue und hab mal nach jemandem gesucht,
der das für mich macht und daraus entstand dann die Idee zur „Schreibstatt“. Wir von
der „Schreibstatt“ bieten handgeschriebene Briefe an, wir sind die „Manufaktur für
Handgeschriebenes“. Wir haben mittlerweile 80 Schönschreiberinnen und
Schönschreiber, die die Briefe verfassen, hauptsächlich für Unternehmen, aber auch
viele Privatbriefe. Und wir schreiben die Briefe nach Textvorlagen von den Kunden
und wenn's mal gewünscht wird, würden wir natürlich auch in Zusammenarbeit mit
einem Texter den inhaltlichen Teil übernehmen. Aber das ist eher seltener der Fall.
Tatsächlich ist es so, dass wir meistens Liebesbriefe für Privatpersonen schreiben
und Einladungen und Glückwünsche, Weihnachtskarten für Unternehmen.
25. Sibylle
Tja, ich weiß nicht, ich finde das interessant, dass es auch Personen gibt, die
tatsächlich professionell für andere Menschen Briefe schreiben, das ist ja ein alter
Beruf Schreiber oder Schreiberin zu sein. Aber ich frag mich, ob sich nicht die Leute,
die Briefe schreiben lassen, um ein großes Vergnügen bringen und ob nicht auch
überhaupt das Briefeschreiben dadurch zu hoch gehängt wird. Denn, wenn das
sowas Tolles ist, dass das nur speziell geeignete Personen machen können, ich
finde das ist die falsche Auffassung. Also, ich bin für Briefe, für Schnipsel, für
handschriftliche Kurznachrichten, und die dürfen auch ruhig provisorisch und
unperfekt sein. Das ist ja gerade das Tolle an Handschriften und auch an dieser Art,
vielleicht noch nicht ganz fertige Gedanken schriftlich festzuhalten.
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Sprecher
Ich nehme ein Stück von meinem Herzen, packe es sauber ein in ein paar Bogen
beschriebenen Papiers und schicke es dir.
Franz Kafka
– Briefatmo – dann drunter lassen –
Erzählerin
Mir tut die Hand weh, ich muss immer öfter kurze Pausen machen. Ich schreibe
durchaus auch lange Mails oder Briefe mit dem Computer. Das geht flink, ich
schreibe mit zehn Fingern blind, also fast in meiner Denkgeschwindigkeit, ich kann
immer wieder korrigieren und mir tut die Hand nach drei Zeilen nicht weh. Und um
mich selbst zu versöhnen, drucke ich die Briefe oft in einer schreibschriftähnlichen
Schrift aus. Zufrieden bin ich damit nie.
– Briefatmo – noch mal aufblenden –
26. Olaf
Da ist ein Unterschied, dass die Hand durch den spontanen Einfall geleitet wird und
die Tastatur, die hat Zeit. Da kann ich mir viel Zeit lassen, da kann ich dann anfangen
zu schwelgen oder zu formen oder zu ändern. Da kommt plötzlich dann Kunst rein
oder irgendwas Gewolltes, was vorher in der Hand noch nicht drin war. Bei der
Tastatur, da ist es dann der Kopf plötzlich, der sich massiv einschaltet und dann
abwägt, auswählt.
27. [[o.c. Sibylle
Ich bin auf jeden Fall kreativer, wenn ich mit der Hand schreibe. ... Ich schreib
auch mit der Hand, wenn ich Konzepte entwickle oder Ideen überhaupt erst
ausarbeite.]]
28. Herr Petzold
Es sind 80 Prozent Männer etwa bei den Privatbriefen und 20 Prozent Frauen. Bei
Frauen sind‘s Glückwunschkarten, die wir schreiben, und bei Männern sind es
tatsächlich Liebesbriefe oder Entschuldigungsbriefe. Oder was wir auch schon mal
haben, so Aufarbeitungsbriefe, nenn ich sie mal. Unser Highlight, möcht ich mal
sagen dazu, war ein 39seitiger handgeschriebener Brief, den wir erstellt haben, wo
über fünf Jahre etwa die Beziehung rekapituliert wurde, und wer wann wo was
gemacht hat dabei und was vorgefallen ist, und warum er so gehandelt hat, wie er
gehandelt hat. Ja, sowas kommt natürlich dann auch schon mal vor.
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29. Michaela
Ich glaub, man fängt hier auch nicht an in der Schreibstatt, so von wegen, da
verdiene ich n bisschen mein Geld, sondern man muss schon die Leidenschaft
haben zu ner schönen Handschrift und das kann man nicht einfach nur mal so
machen. Also, man muss sich damit unbewusst schon im Alltag auseinandersetzen.
Erzählerin
Michaela, Anfang 40, arbeitet als festangestellte Schreiberin in der Schreibstatt.
30. Michaela
Also ich bin auch Technik affin, natürlich bin ich mit nem ipad, Rechner und nem
iphone unterwegs, aber ich schreibe gerne.
31. Herr Petzold
Auf der „Schreibstatt“-Seite haben wir „Das kleine Buch schöner Handschriften“, wie
wir es nennen. Dort sind Schriftmuster von allen Schreiberinnen, dort kann man sich
dann aussuchen, wen man für seinen Auftrag haben möchte und dann wird der
Auftrag mit dieser Schrift erstellt.
32. Michaela
Dann muss man schon erstmal vorab schreiben, damit also Satz und Layout stimmt.
Sind es zwei Seiten, anderthalb Seiten? Wo fang ich an, damit das Gesamtbild auch
schön aussieht? Ja, dann fang ich an zu schreiben, versuche keine Fehler zu
machen, weil sonst muss man wieder von vorn anfangen, dann wird das redigiert von
ner Kollegin. Und dann kommt der nächste Auftrag auch schon rein.
[[ o.c. Also ich hatte dann auch schon erotische Zeilen oder Liebesbriefe, aber
das ist – nee, da freu ich mich eher, dass sich jemand da mitteilen möchte. Das
ist mir null unangenehm, ich freu mich für denjenigen, der dann diesen Brief
aufmacht.]]
– Briefatmo – Ende –
Erzählerin
Drei Seiten! Allerdings sieht schön anders aus. Meine Schrift windet sich übers
Papier, als hätte ich an mindestens vier verschiedenen Tagen geschrieben. Im
Liegen, im Sitzen, im Laufen. Egal. Dafür muss der Briefumschlag gelingen. Die
Adresse in wohlgeformten Buchstaben, mit einer schönen Briefmarke und dann ab in
den Postkasten.
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