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Nr. 45/2015 – Woche 02.11. bis 08.11.15
Kabinett beschließt Erhöhung des Mindestlohns
Der Mindestlohn in Israel soll entsprechend einer Entscheidung in den nächsten zwei
Jahren sukzessive von 4.650 NIS (ca. 1.091 Euro, 1.190 CHF) auf 5.300 NIS (1.240
Euro, 1.355 CHF) angehoben werden.
Wirtschaftsminister Arje Deri äußerte sich zu der Entscheidung: „Eine Situation, in
der Menschen arbeiten und trotzdem arm bleiben kann in einer entwickelten
Gesellschaft wie unserer nicht so weitergehen. Ich glaube, dass dieses Gesetz den
Benachteiligten helfen wird und für Arbeitnehmer und -geber Sicherheiten schafft.“
Der gesetzliche Mindestlohn wurde in Israel erst Anfang des Jahres beschlossen und
geht auf eine Initiative von Histadrut (Gewerkschaft) und Arbeitgeber zurück.
Künftig soll auf den Gehaltszetteln vieler Israelis ein höheres Einkommen stehen (Bild: Globes)
Weitere Informationen:
Mindestlohn wird angehoben (englisch), Globes, 01.11.15
http://www.globes.co.il/en/article-cabinet-approves-nis-5300-minimum-salaryby-2017-1001077580
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Seltener Singvogel kehrt in den Negev zurück
„Plötzlich, scheinbar aus dem Nichts, kam ein Schwarm von 30 bis 40
Blauwangenspints über dem Jerocham Park angeflogen. Es gab keinen Zweifel, ihre
Farben und Töne erfüllten die Luft“, schreibt Eyal Shochat begeistert auf einem
Ornithologen-Portal. Es ist das erste Mal seit den 50er Jahren, dass die Vogelart in
Israel außerhalb des Jordangrabens Nester baut. Nun wollen Ornithologen
untersuchen, wieviele der Vögel sich im Negev niedergelassen haben. Shochat fragt
sich vor allem: „Werden wir in der Lage sein ihre Brutplätze in einer
landwirtschaftlich sehr genutzten Gegend zu schützen?“
Israel ist eine wichtige Station für Zugvögel, mehr als 300 Arten passieren das Land
auf dem Weg zu Brutstätten in Afrika, Asien und Europa. Ingesamt fliegen eine halbe
Milliarde Zugvögel jährlich zweimal über Israel hinweg.
Eine kleine Sensation: Der Blauwangenspint im Negev (Bild: Nehama Baruch/Israel21c)
Weitere Informationen:
Singvogel kehrt in den Negev zurück (englisch), Israel21c, 01.11.15
http://www.israel21c.org/rare-songbird-reappears-in-israel-after-50-years/
Israelisches Portal für Ornithologen (englisch)
http://www.birds.org.il/en/index.aspx
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Besuch in Tirat Zvi: Der Kibbuz lebt
Tirat Zvi ist einer von 272 Kibbuzim, die es in Israel noch gibt. Gegründet 1937 als
religiöser Kibbuz, zeigt Tirat Zvi heute gut, wie sich Tradition und Moderne
vereinbaren lassen und warum Kibbuzim in Israel noch lange nicht aus der Mode
sind...
Von Katharina Höftmann
Als die israelische Autorin Batya Gur Anfang der Neunziger Jahre einen
Kriminalroman veröffentlichte, in dem eine junge Frau im Kibbuz umgebracht
wurde, löste das eine heftige Diskussion unter ihren Lesern aus: Ein Mord im
Kibbuz, in diesem engmaschigen Kollektiv, gekennzeichnet von Solidarität und
Gemeinschaftssinn, konnte sich damals niemand vorstellen. Heutzutage würde das
gleiche Thema höchstens noch ein Schulterzucken bei den meisten Israelis
hervorrufen.
Kibbuzim waren das Fundament des Staates
Die Kibbuzim, dieses ambitionierte jüdisch-zionistische Projekt, das um 1910
entstand, waren mit ihrer Philosophie der Basisdemokratie, Gemeineigentum und
Gleichberechtigung ein wichtiges Fundament des israelischen Staates. Das Land für
die Kibbuzim kauften die Gründer oft Beduinen ab, die keine Verwendung für die
meist schlechten Böden hatten. Angriffe von arabischen Milizen gab es trotzdem, so
dass viele Kibbuzim buchstäblich über Nacht errichtet wurden, damit sie am
nächsten Morgen fertig waren und verteidigt werden konnten. Im Zentrum stand
meist ein Wachturm.
Kinder im Kibbuz Tirat Zvi 1943 (Bild: www.zionistarchives.org.il).
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Die Dörfer, deren Gemeinschaftssinn anfangs soweit ging, das man sogar
Unterwäsche teilte, sind auch heute noch Anknüpfungspunkte für Neuankömmlinge
und Freiwillige, die im Kibbuz anpacken, Hebräisch lernen aber vor allem Israel
erfahren können. Doch mit der Entwicklung des Staates Israel zur High-TechNation, die er heute ist, wurde der Kibbuz für viele Israelis immer unattraktiver:
Unentgeltliche Arbeitsleistungen für das Kollektiv, Kinderhäuser, in denen Kinder
ohne ihre Eltern erzogen wurden und ein Rotationsprinzip für die Besetzung von
Arbeitsstellen und wichtigen Verwaltungspositionen schienen auf einmal so sehr aus
der Zeit gefallen zu sein, wie Israel kein Agrarstaat mehr war. Viele Kibbuzim
mussten sich radikal reformieren, bei manchen ging das soweit, dass man sie heute
von einem normalen Vorort nicht mehr unterscheiden kann.
Jugendliche Feldarbeiter in Tirat Zvi (Bild: KH).
Tirat Zvi ist einer von 272 Kibbuzim, die es noch in Israel gibt. In einer malerischen
Kulisse, zwischen dem Jordan und dem Gilboa-Gebirge liegt das 1937 von
deutschen, polnischen und rumänischen Juden gegründete Dorf. 1.200 Bewohner
hat Tirat Zvi heute. Menschen, die allesamt entweder in den Kibbuz „hineingeboren“
wurden oder den strengen Fragebogen mit psychologischem Test bestanden haben.
Der erste religiöse Kibbuz
Tirat Zvi, was übersetzt „Das Schloss von Zvi“ bedeutet und damit den Rabbiner und
Talmudgelehrten Zvi Hirsch Kalischer ehrt, ist ein klassischer Kibbuz aus dem
Bilderbuch und ist es doch auch nicht. Anders als viele Gemeinschaften
sozialistischer Zionisten, bekannte sich Tirat Zvi von Anfang an zur Religiosität und
war damit der erste koschere Kibbuz, in dem der Schabbat eingehalten wurde. Ein
Element, das heute, wo Kibbuzmitglieder Gehälter erhalten und Familien abends in
ihren eigenen vier Wänden und nicht im Speisesaal essen, immer noch ein wichtiges
Verbindungsglied ist. Außerdem findet man im ganzen Kibbuz keine einzige Kuh –
außerordentlich wichtig für die israelische Landwirtschaft ist Tirat Zvi aber trotzdem.
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Blick über die Dattel-Plantagen von Tirat Zvi (Bild: Jacques Korolnyk).
Denn hier, in dem heißesten Ort Israels, stehen die größten Dattel-Plantagen des
Landes. Rund 23.000 Bäume liefern 1.500 Tonnen im Jahr, von denen ein großer
Teil, vor allem der beliebten Sorte „Medjoul“, exportiert wird. Zwar werden die
Früchte heute nicht mehr von Kibbuzniks, sondern von Thailändern und Eritreern
geerntet und von arabischen Frauen aus der Gegend sortiert – aber die Verwaltung
besteht immer noch ausschliesslich aus Mitgliedern. So wie der Chef der Dattelernte
Avner Rotem, der zwar im Kibbuz nebenan aufgewachsen ist, aber durch seine Frau
nach Tirat Zvi kam. Oder Mendy Freeman, der es sich zur Aufgabe gemacht hat,
Touristen in seinen Kibbuz zu bringen und ihnen das echte Israel zu zeigen.
Ideales Klima für Dattelanbau
Wenn man mit ihnen durch die Lager- und Verpackungsräume geht - in welche die
Datteln nach der Ernte kommen, bevor sie in schicken Verpackungen in Kaufhäuser
wie Marks & Spencer nach London geschickt werden – spürt man die Liebe zur
Landwirtschaft des Kibbuz' sehr deutlich: „Tirat Zvi bietet das ideale Klima für
Datteln. Viele unserer Waren werden von muslimischen Kunden im Ausland gekauft.
Auch in Israel bauen viele Araber Datteln an – aber während sie rund 50 Kilo pro
Baum ernten, kommen wir auf 300“, erklärt Freeman nicht ohne stolz.
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Mendy Freeman vor dem Speisesaal des Kibbuz Tirat Zvi (Bild: KH).
Das Geheimnis sind Wissen, Erfahrung und Technologie, aber auch ein „Aufwachsen“
mit den Produkten. Erntemanager Avner Rotem hat schon mit 12 Jahren bei der
Dattelernte geholfen. Und auch heute kann man in Tirat Zvi auf dem Feld junge
Männer sehen, die beim Aussähen der Blumen helfen: „Wir fangen morgens um 7.30
Uhr an, auf dem Feld zu arbeiten. Bis um 12, dann essen wir Mittag und erst dann
gehen wir in die Schule“, erzählt einer der Jungs, die zwischen 14 und 18 Jahre alt
sind und das Internat in Tirat Zvi besuchen. Insgesamt exportiert der Kibbuz
600.000 Blumen pro Jahr. Die meisten gehen direkt an die Börse in Holland. Man
versucht so zu ernten, dass man Feiertage abpasst. Die Schwertlilien, die gerade
gepflanzt werden, sollen in Europa rechtzeitig zum Valentinstag ankommen.
Tirat Zvi scheint den Spagat zwischen Tradition und Moderne geschafft zu haben,
vielleicht muss sich der Kibbuz auch deshalb nicht so viele Sorgen um den
Nachwuchs machen. Und dann ist da ja noch der Speisesaal, der zumindest mittags
proppenvoll ist – dafür gibt es laut Mendy Freeman einen guten Grund: „Das wissen
alle Kibbuze in unserer Gegend, wenn man gut essen will, kommt man nach Tirat
Zvi!“
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Kinder bei der Blumenernte in Tirat Zvi (Bild: Mendy Freeman).
Datteln in Tirat Zvi (Bild: KH).
Weitere Informationen:
Webseite des Kibbuz' (englisch)
http://www.tiratzvi.org.il/ViewPage.asp?pagesCatID=6663&siteName=tiratzvi
Ihre Ansprechpartner
Redaktion: Katharina Höftmann; sie arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für
die WELT ONLINE. Momentan arbeitet sie als freie Journalistin und Buchautorin. E-Mail:
[email protected]
Projektverantwortlicher für den GIS-Vorstand: Jacques Korolnyk; E-Mail:
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Hintergrund
Der wöchentliche Info-Service der Gesellschaft ISRAEL-SCHWEIZ (GIS) informiert Sie über
spannende Aspekte, die sonst in der Berichterstattung über Israel kaum wahrgenommen
werden. Darüber hinaus bietet der Info-Service einmal im Monat einen ausführlichen Bericht
zu wechselnden Themen aus folgenden Bereichen: Kunst und Kultur, Wissenschaft und
Forschung, Gesundheit und Medizin, Wirtschaft und Finanzen, Energie und Umwelt,
Gesellschaft und Vermischtes. Ferner bietet die GIS den Journalisten Hilfe bei der Recherche
und ausführliche Zusatzinformationen zu den einzelnen Themen an.
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