Newsletter Zürich, 24. August 2015 73984/037185/TMA Steuern, Geldwäscherei und Finanzmarkt: Die Wende ist geschafft (schweigen dürfen nur noch die Anwälte) I. EINLEITUNG Die Änderungen im Bereich von Geldwäsche-, Steuer- und Finanzmarktrecht, welche wir in unserem Newsletter vom 31. März 2012 angekündigt hatten, gingen in der Schweiz wie geplant vonstatten. Rückblickend gab es im Verlauf der gesetzgeberischen Arbeiten zwar diverse Ablenkungsmanöver, insgesamt aber keine einzige Überraschung. Tiziana Marenco Szabó Rechtsanwältin Dipl. Steuerexpertin MARENCO SZABO Rechtsanwälte Steuerberater AG Mühlebachstrasse 54 CH-8008 Zürich T +41 44 285 15 25 F +41 44 285 15 26 [email protected] www.marenco-law.com Die Neuerungen, welche auf Banken, Versicherungen und die Finanzintermediäre erhebl iche Auswirkungen haben, werden auf den 1. Januar 2016 wirksam: An diesem Datum treten mit dem zweiten Teil des Bundesgesetzes zur Umsetzung der 2012 revidierten Empfehlungen der Groupe d'action financière (GAFI/FATF) u.a. die revidierten Bestimmungen zu den geldwäscherelevanten Steuerdelikten des Schweizerischen Strafgesetzbuches (StGB), des Geldwäschereigesetzes (GwG), der totalrevidierten Geldwäschereiverordnung-FINMA (GwV-FINMA) sowie der neuen Vereinbarung über die Standesregeln zur Sorgfaltspflicht der Banken (VSB 16) und des neuen Reglements der Selbstregulierungsorganisation des Schweizerischen Versicherungsverbandes zur Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung (R SRO-SVV) in Kraft. Letztere stellen zwar keine gesetzliche Grundlage im engeren Sinne dar, konkret isieren aber die Pflichten der Finanzbranche und deren Verhaltensregeln massgeblich und stellen u.a. mit der VSB 16 und deren Bankformularen das im Bereich des Steuerstrafrechts eminent wichtige Instrument der "Urkunde" zur Verfügung. Zentrale Begriffe wie die "Sitzgesellschaft" erlangen im Kontext einer systematischen Auslegung eine neue und dynamischere Bedeutung, da sie neu zwingend auch steuerlich qualifiziert werden müssen. Diese Änderungen finden im Vorfeld der Einführung des automatischen Informationsaustausches statt. Durch die neu erstellte Verknüpfung zwischen Steuer- und Geldwäscherelevanz werden alle Finanzinstitute und Finanzintermediäre gezwungen, neue Informationen zu bestehenden und zu neuen Geschäftsbeziehungen zu sammeln, die Prozesse zur Erlangung der notwendigen Informationen zu standardisieren und die Geschäftsb eziehungen sowie einzelne Transaktionen auch steuerlich zu qualifizieren bzw. zu kategorisieren. Diese Arbeit muss periodisch oder bei konkreter Veranlassung wiederholt werden. 2/6 Dabei wird die Finanzbranche im Zuge der Internationalisierung und Globalisierung von Prozessen nicht ohne Not von einer FATCA-konformen Auslegung abweichen. Die neuen Grundlagen liegen bereits in ihrer Schlussversion vor. Die lange Vorlaufzeit erlaubt es Steuerpflichtigen und Finanzintermediären, Altlasten rechtzeitig zu bereinigen. II. DIE WICHTIGSTEN NEUERUNGEN IM ÜBERBLICK 1. Der neue Tatbestand des geldwäscherelevanten Steuerdeliktes Gemäss revidiertem Art. 305 bis Ziff. 1 und 1bis StGB macht sich neu wegen Geldwäscherei strafbar, wer eine Handlung vornimmt, die geeignet ist, die Ermittlung der Herkunft, die Auffindung oder die Einziehung von Vermögenswerten zu vereiteln, die, wie er weiss oder annehmen muss, aus einem Verbrechen oder aus einem qualifizierten Steuervergehen [bisher: nur aus einem Verbrechen] herrühren. Als qualifiziertes Steuervergehen gelten die Straftaten nach Art. 186 des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer (DBG) und nach Art. 59 Abs. 1 erstes Lemma des Bundesgesetzes über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG) ["Steuerbetrug"], wenn die hinterzogenen Steuern pro Steuerperiode mehr als CHF 300'000 betragen. Im Ergebnis stellt neu eine Steuerhinterziehung, welche mittels Urkundenfälschung (gefälschten, verfälschten oder unwahren Urkunden wie Geschäftsbüchern, Bilanzen, Erfolgsrechnung oder Lohnausweise und anderen Bescheinigungen Dritter, gemäss bisheriger Rechtsprechung namentlich auch dem Formular A der Banken) begangen wird und dazu führt, dass in der betreffenden Steuerperiode die hinterzogenen Steuern mehr als CHF 300'000 betragen, nicht nur wie bisher einen Steuerbetrug im Sinne von Art. 186 DBG und Art. 59 Abs. 1 StHG dar, sondern auch eine Vortat zur Geldwäscherei im Sinne von Art. 305 bis Ziff. 1bis StGB dar. Die Hinterziehung muss wegen dem verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbot, das hier auch in den Übergangsbestimmungen zur Revisionsvorlage ausdrücklich festgehalten wurde, nach Inkrafttreten der neuen gesetzlichen Bestimmungen begangen worden sein, um GwG-Relevanz zu erlangen. Wegen des direkten Verweises auf die direkten Steuern, welcher sich zwar systematisch nicht einordnen lässt, aber wohl in den GAFI-Vorgaben seinen Ursprung findet, dürfte namentlich die Hinterziehung von Erbschaftssteuern als Vortat zu Geldwäscherei ausser Betracht fallen. 2. Die Meldung an die Geldwäschebehörden Gemäss revidiertem Art. 305 ter Abs. 2 StGB sind Finanzintermediäre berechtigt, der Meldestelle für Geldwäscherei Wahrnehmungen zu melden, die auf die geldwäscherelevante steuerdeliktische Herkunft von Vermögenswerten oder einen Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen schliessen lassen ("einfacher Verdacht"). Das Melderecht 3/6 wird bei begründetem Verdacht gemäss Art. 9 GwG zur Meldepflicht. Mit der Meldepflicht geht die Pflicht zur unverzüglichen Vermögenssperre gemäss Art. 10 GwG einher. 3. Der an den Vermögenswerten wirtschaftlich Berechtigte und der Kontrollinhaber Die revidierten Identifikationspflichten des Finanzintermediärs sehen neu die Untersche idung zwischen dem wirtschaftlich Berechtigten an passiven Vermögensmassen und dem Kontrollinhaber bei nicht börsenkotierten operativen Gesellschaften vor. Passive Vermögensmassen werden international, wenn auch unterschiedlich, vorwiegend steuerlich transparent behandelt: Die wirtschaftlich an diesen Vermögenswerten Berechtigten treffen infolgedessen Steuerpflichten an ihrem Wohnsitz oder S itz. Hierzu zählen namentlich – die substanzarmen Sitzgesellschaften, – die nach dem Willen des Stifters bzw. des Settlors widerrufbaren Stiftungen und Trusts, über deren Vermögenswerte entweder Stifter bzw. Settlor oder aber die Begünstigten rechtlich oder faktisch verfügen können. Um ein geldwäscherelevantes Steuerdelikt in der Schweiz ausschliessen zu können, muss bei diesen Strukturen die Rechtsnatur untersucht und gegebenenfalls die Versteuerung beim wirtschaftlich Berechtigten im Ausland abgeklärt werden. Im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens scheint das Instrument der Selbstdeklaration des Bankku nden (Geschäftspartners) aufgegeben worden zu sein. Stattdessen werden mit der VSB 16 Formulare neu eingeführt oder ergänzt, welche der Bankkunde auszufüllen hat und bei welchen, wie bisher für das Formular A ("Feststellung des wirtschaftlich Berechtigten") unwahre oder falsche Angaben eine Urkundenfälschung im Sinne des Steuer - und Strafrechts darstellen. In diesem Lichte erlangen die neu mit der VSB 16 verabschiedeten Formulare, welche die gesetzlichen Abklärungspflichten konkretisieren und veranschaulichen, eine zentrale B edeutung: – Formular A ("Feststellung des wirtschaftlich Berechtigten" an den Vermögenswerten, namentlich bei nicht börsenkotierten und nicht operativ tätigen juristischen Personen und Sitzgesellschaften sowie bei treuhänderischen Verhältnissen), – Formular I ("Informationen zu Lebensversicherungen mit separater Konto-/Depotführung, sog. Insurance Wrapper", betreffend Versicherungsnehmer und davon abweichende, effektive Prämienzahler), – Formular K ("Feststellung des Kontrollinhabers an nicht börsenkotierten, operativ tät igen juristischen Personen und Personengesellschaften", d.h. der natürlichen Personen welche stimmen- oder kapitalmässig diese juristische Person zu 25% oder mehr, oder sonst faktisch kontrollieren), 4/6 – Formular S ("Stiftungen sowie ähnliche Konstrukte", bei denen inbesondere auch der diskretionäre oder nicht-diskretionäre Charakter sowie deren Widerrufbarkeit festzuhalten sind und ferner der Stifter, die Begünstigten, weitere verfügungsberechtigte Personen sowie etwaige vorausgegangene Re- und Umstrukturierungen angegeben werden müssen), – Formular T ("Erklärung für Trusts" betreffend deren widerrufbaren bzw. discretionary Charakter sowie die Identität von Settlor und Begünstigten, ferner die Erklärung betre ffend etwaige vorausgegangene Re- und Umstrukturierungen sowie ein etwaiges Widerrufsrecht), denn diese Formulare stellen – so auch der ausdrückliche Verweis am Ende der Formularerklärungen – das Urkundenelement dar, welches bei unwahren Angaben die einfache Steuerhinterziehung zum Steuerbetrug erhebt. Wird überhaupt kein Formular A ausgefüllt, weil das Vorliegen einer operativen Gesel lschaft behauptet wird, während in der Tat die gesellschaftliche Struktur fiktiv ist und die Gesellschaft nichts anderes als Privatvermögen des wirtschaftlich Berechtigten verwaltet, stellt auch das Unterlassen der Angaben gemäss Formular A ein täuschendes Merkmal dar. 4. Die Sitzgesellschaft Ursprünglich bestand die Besonderheit der sogenannten "Sitzgesellschaften" im Sinne der schweizerischen Geldwäschereigesetzgebung darin, dass bei diesen substanzarmen Strukturen der Finanzintermediär von der Vertragspartei eine schriftliche Erklärung darüber einholen musste, wer die wirtschaftlich berechtigte natürliche Person sei (Art. 4 Abs. 1 lit. b GwG; Art. 4 Abs. 2 lit. b revGwG; Formular A VSB 16). Als Sitzgesellschaft gelten auch in Zukunft, grundsätzlich wie bisher, juristische Personen, Gesellschaften, Anstalten, Stiftungen, Trusts, Treuhandunternehmungen und ähnliche Verbindungen, die kein Handels-, Fabrikations- oder anderes nach kaufmännischer Art geführtes Gewerbe betreiben, mithin nicht operativ tätig sind. Diese Definition findet sich u.a. auch in den neuen Ausführungsverordnungen zum GwG sowie in der VSB 16. Typischerweise verfügen Sitzgesellschaften weder über Personal noch über eigene Räumlichkeiten, weshalb ihnen die Abschirmwirkung abgesprochen wird. Nicht als Sitzgesellschaften gelten nach obigen Quellen Gesellschaften, welche: – die Wahrung der Interessen ihrer Mitglieder oder ihrer Begünstigten in gemeinsamer Selbsthilfe bezwecken oder politische, religiöse, wissenschaftliche, künstlerische, g emeinnützige, gesellige oder ähnliche Zwecke verfolgen, – die Mehrheit der Beteiligungen an einer oder mehreren operativ tätigen Gesellschaften halten, um diese durch Stimmenmehrheit oder auf andere Weise unter einheitlicher Le itung zusammenzufassen und deren Zweck nicht hauptsächlich in der Ver waltung von 5/6 Vermögen Dritter besteht (Holding- und Subholdinggesellschaften). Dabei muss die Holding- oder Subholdinggesellschaft ihre Leitungs- und Kontrollmöglichkeiten auch tatsächlich ausüben, was typischerweise in einer Konsolidierung ihre Konkretisierung findet. In der neuen VSB 16 gestrichen wurde hingegen die Ausnahmeregelung für die Immobiliengesellschaften, welche neu - FATCA-konform – grundsätzlich zu den passiven Strukturen gehören dürften, sofern die obigen Kriterien für eine Einstufung als operative Gesellschaften nicht zutreffen. Wie bisher gelten bei komplexen Strukturen, namentlich durch die Verwendung von Sitzgesellschaften, besondere Sorgfaltspflichten für die Finanzintermediäre, da solche komplexe Strukturen ein Indiz für erhöhte Geldwäsche-Risiken darstellen könnten. Durch die Einführung des qualifizierten, geldwäscherelevanten Steuervergehens erlangen ausländisch kontrollierte Sitzgesellschaften und insbesondere deren Verwendung im Rahmen von komplexen Strukturen neue Relevanz. Solchen Gesellschaften ist nicht nur im Bereich des Geldwäscherechts die Abschirmwirkung abzusprechen, sondern vielfach auch im Steuerrecht. Mangels genügender Substanz sind sie je nach Konstellation (auf jeden Fall oft genug) gestützt auf Doppelbesteuerungsabkommen oder gerade deshalb, weil solche Abkommen fehlen, nicht nur im Sitzland, sondern auch im Land ihrer effektiven Leitung steuerpflichtig oder deren Einkünfte werden steuerlich auf dem Weg des Durc hgriffs oder gestützt auf eine CFC-Gesetzgebung (Hinzurechnungsbesteuerung) dem Kontrollinhaber zugerechnet. Bereits das Bundesgericht liess im Rahmen der Rechtsprechung zum Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz-USA durchblicken, dass bei Verwendung von mehreren übereinanderliegenden Sitzgesellschaften typischerweise Machenschaften vorliegen würden, welche den Rahmen der einfachen Steuerhinterziehung sprengen und in aller Regel als betrügerisch zu werten wären. Bei solchen Strukturen werden die Finanzinstitute b esonders genau abklären wollen, woher die Mittel kommen und wie sie am steuerlichen Wohnsitz des wirtschaftlich Berechtigten oder Kontrollinhabers steuerlich erfasst werden. Darüber hinaus werden die Formulare der VSB 16 zur Anwendung gelangen, welche bei unwahren oder falschen Angaben das Merkmal der Urkundenfälschung, damit den Ste uerbetrug direkt erfüllen. Will der Bankkunde, sei er eine natürliche Person, ein Fonds, ein Unternehmen oder ein Konzern, aus wirtschaftlichen oder rechtlichen Gründen auf die Verwendung dieser Stru kturen mit Sitzgesellschaften nicht verzichten, kommt er nicht darum herum, dem Finan zintermediär eine detaillierte steuertechnische Erklärung über die Modalitäten der Versteuerung zu liefern. 6/6 5. Schweigen dürfen nur noch die Anwälte Für Finanzinstitute und Finanzintermediäre erlangt das "Know your customer" Prinzip neue Dimensionen: Sie werden von Gesetzes wegen verpflichtet, umfassende Informationen über ihre Kunden zu sammeln und zu dokumentieren. Diese Informationen können oder müssen bei gegebenen Voraussetzungen ins Ausland übermittelt werden. Der Kunde wird im Rahmen der periodisch angepassten Allgemeinen Geschäftsbedingungen faktisch gezwungen, einer Übermittlung im Voraus zuzustimmen, will er am allgemeinen Banke nverkehr teilnehmen, d.h. ein Konto oder Depot bei einer Bank neu eröffnen oder weiterführen. Die Bedeutung des Bankgeheimnisses, so wie es im Bankengesetz im Wortlaut verankert ist, wird dadurch substanziell geschmälert. War der Bankberater "nach alter Schule" für viele Kunden noch die Person, der man privat und beruflich alles anvertraute, wird man in Zukunft die Informationsmenge und deren Qualität besser und effizienter kontrollieren müssen, will man nicht später - etwas überspitzt formuliert - das eigene private und geschäftliche Tagebuch in Form von Aktennotizen über Telefongespräche und Besuche des Kunden in den Unterlagen der Ba nk finden. In dieser Welt, in der es fast keine Geheimnisse mehr gibt, kann das Anwaltsgeheimnis etwas mehr Bedeutung erlangen. Das Berufsgeheimnis nach Art. 321 StGB erstreckt sich auf die berufsspezifische Tätigkeit eines freiberuflichen und im Anwaltsregister eingetragenen Anwalts. Davon zu unterscheiden sind die (nicht geschützten) nichtberufsspezifischen Tätigkeiten eines Anwalts, namentlich die reine Organstellung (Verwaltungsratsmandate) und insbesondere auch eigentliche Finanzintermediärstätigkeiten wie die Vermögensverwaltung oder die Organstellung bei Sitzgesellschaften. Eine Vermischung der berufsspezifischen mit den nicht-berufsspezifischen Tätigkeiten wird in Zukunft noch weniger ratsam sein als in der Vergangenheit. *****
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