«Ich habe es noch nicht geschafft»

In Hochform
GC-Verteidiger
Levent Gülen
(1,84 Meter gross)
auf dem Uetliberg
hoch über Zürich.
Der Axpo Rookie
GC-Verteidiger LEVENT
GÜLEN ist der Traum
jedes Trainers: talentiert,
ehr­geizig, verantwortungs­bewusst – und demütig.
In der Türkei hat er seine
Karriere neu lanciert:
«Ich ging als Junge und
kam als Mann zurück.»
RAINER MARIA
SALZGEBER,
MODERATOR SRF
TEXT ILONA SCHERER
FOTO GIAN PAUL LOZZA
R
«An der Seite Grichtings
hat er sich zu einem sicheren Wert in der Abwehr
von GC entwickelt. Er hat
definitiv das Zeug dazu, sich nach dessen
Rücktritt zur tragenden Figur bei GC zu entwickeln. Der Umweg über die türkische Liga
scheint sich eindeutig gelohnt zu haben.»
RAPHAEL WICKY,
EX-NATISPIELER
UND SRF-EXPERTE
«Ich habe es noch nicht geschafft»
44 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE
DIEGO BENAGLIO,
GOALIE
VFL WOLFSBURG
«Levent ist explosiv
antrittsschnell. Generell
verfügt er über eine starke
Physis. Und er besitzt trotz
seinem jugendlichen Alter bereits über viel
Erfahrung. Sein Weg an die Spitze wird auch
dadurch geprägt, dass er sämtliche Nachwuchs-Nationalteams durchlaufen hat.»
Wie verwandelt! Auf dem Platz gibt
Levent Gülen (hier gegen FCB-Embolo)
Vollgas. Daneben gilt er als eher ruhig.
unter gehts meist schneller
als rauf. Manchmal ist es
aber auch umgekehrt. Letzte Woche liess GC-Trainer
Pierluigi Tami seine Spieler
den Uetliberg hochlaufen. 35 Minuten
brauchten die Profisportler. Zehn Minuten länger für den Abstieg. «Wir machten einen Umweg», erklärt Innenverteidiger Levent Gülen.
Dass ein Umweg auch ein Wegbeschleuniger sein kann, weiss der 20-jährige Axpo Rookie des Monats April nur
zu gut: Levent wurde im Frühling 2014
für eine halbe Saison an den türkischen
Erstligisten Kayserispor ausgeliehen.
Der damalige GC-Trainer Michael Skibbe sagte später: «Levent ging als Junge
und kam als Mann zurück.» Der Spieler zigen Atmosphäre der Süper Lig lernte
nickt, als er den Satz hört.
er ausserdem, mit Druck umzugehen.
Verantwortung übernahm «Levi»
Der Umweg über die Türkei war
«der entscheidende Schritt meiner Kar- schon immer gern – auf und neben dem
riere», sagt der Spieler rückblickend. In Fussballplatz. Er war Captain in allen
der Heimat seiner Eltern, die vor 25 Jah- Junioren-Teams. Und daheim war er der
ren nach Aarau gekommen waren, sam- «grosse Bruder» für den zwei Jahre jünmelte er nicht nur auf dem Platz wert- geren Engin, 18, der seit Geburt sehbevolle Spielpraxis (u. a. gegen Didier hindert ist. Doch der «kleine Bruder» ist
Drogba und Wesley Sneijder). Er wurde auch ein Vorbild für ihn. «Engin gibt
auch selbstständig. So wollte er nicht Vollgas! Er macht Jiu-Jitsu und Torball.
im Klubinternat wohnen, sondern­ Früher spielte er Fussball – in einer
­suchte sich selber eine Wohnung, die er ‹normalen› Mannschaft», so Levent beallein einrichtete. «Ich brauche einen wundernd. Kampfsport liegt in der FaRückzugsort», sagt Gülen. In der oft hit- milie; seine Cousins boxen. Vor zwei
«Der Umweg hat
sich gelohnt»
GC-Innenverteidiger Levent Gülen ist
Axpo Rookie des Monats April. Damit ist
er nach Breel Embolo (Basel), Francisco
Rodríguez (FCZ) und Edimilson Fernandes
(Sion) der vierte Axpo Rookie der laufenden Saison. Gewählt wurde er von einer Experten-Jury, bestehend aus Raphael Wicky,
Diego Benaglio, Köbi Kuhn, Rainer Maria
Salzgeber (SRF) und Felix Bingesser
(Chefredaktor Sport bei «Blick»). Die
Schweizer Illustrierte und Axpo küren im
Verlauf der Saison 2014/15 fünfmal einen
herausragenden Newcomer in der Super
League zum Axpo Rookie. Ende Saison
wird aus den fünf Gewinnern der Axpo
Rookie der Saison 2014/15 gewählt.
Fotos: Gian Paul Lozza/13Photo, Giuseppe Esposito/EQ Images
Die Wahl des Axpo Rookie
Jahren begann Levent ebenfalls, regelmässig im Boxkeller zu trainieren. «Das
ist ein hervorragender Ausgleich.» Beim
Boxen lässt der sonst eher ruhige Typ
auch gerne Dampf ab.
Mit seiner Familie wohnt Gülen in
Zürich Altstetten, unweit vom Letzigrund. Die Eltern besuchen alle Heimspiele. Seit seiner Rückkehr im Sommer entwickelte sich der 1,84 Meter
grosse Levent («ich war als Kind immer
der Grösste») zum Stammspieler in der
Innenverteidigung. Auch bei Skibbes
Nachfolger Pierluigi Tami – einst sein
Trainer in der U21-Nati – geniesst er
viel Vertrauen. Unter dem Tessiner hat
sich GC vom Tabellenende abgesetzt.
Nun gilt es, in den restlichen sieben
Spielen möglichst viele Punkte zu sammeln. Nach Saisonende wird «Levi» seinen auslaufenden Vertrag bei GC wohl
verlängern. Zwar träumt der KV-Absolvent (United School) von der Bundes­
liga oder der Premier League. Doch das
hat Zeit. Trotz Angeboten aus dem Ausland bleibt der Zürcher demütig: «Es
wäre schlecht, wenn ich jetzt schon zufrieden wäre. Ich habe es noch nicht geschafft!» Denn Levent Gülen weiss,
runter gehts oft schneller als hoch. 
«Er ist antrittsstark und
robust, kann sich aber in
der Angriffsauslösung
noch verbessern. Die Erfahrungen, die er in der höchsten türkischen
Liga machte, hätte er bei uns in seinem Alter
kaum machen können. So hat er schon eine
gewisse Abgeklärtheit. Ein spannender Weg.»
KÖBI KUHN,
EHEMALIGER
NATI-COACH
«Levent bringt ausgezeichnete Tugenden mit für
einen modernen Innenverteidiger. Er ist schnell, hart
und sehr diszipliniert. Wichtig ist, dass er im
Abwehrzentrum einen erfahrenen Mann wie
Grichting oder Dingsdag neben sich hat,
der ihn während des Spiels führen kann.»
FELIX BINGESSER,
CHEFREDAKTOR
SPORT BEI «BLICK»
«Indem er sich vor einem
Jahr als 20-Jähriger in die
Türkei ausleihen liess, hat
er bereits seine Reifeprüfung bestanden. Er machte dort in der Süper Lig gleich 14 Spiele. Logisch, ist er jetzt
in der Super League schon Stammspieler.»
SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 45