Wirtschaft SEITE 24 · S A M S TAG , 5 . SE P T E M B E R 2 0 1 5 · N R . 2 0 6 F R A N K F U RT E R A L LG E M E I N E Z E I T U N G Die F.A.Z.-Rangliste der einflussreichsten Ökonomen Deutschlands Verhaltensforscher auf dem Vormarsch Der Starökonom, den keiner kennt Ernst Fehr steigt in unsere Rangliste der Ökonomen ein – und setzt sich gleich auf Rang zwei. Wer ist dieser Mann? Und warum hat er so viel Einfluss? Ein Österreicher in der Schweiz Ernst Fehr gehört zu den renommiertesten Verhaltensökonomen der Welt. Er wird 1956 geboren und wächst im österreichischen Hörbranz auf, das nahe dem Bodensee an der deutschen Grenze liegt. In Wien studiert er Volkswirtschaft, gleichzeitig arbeitet er journalistisch in der Studentengruppe „Roter Börsenkrach“. 1993 wird seine erste Arbeit in einer angesehenen Fachzeitschrift veröffentlicht: Sie zeigt, wie Fairness zu überhöhten Löhnen und somit zu Arbeitslosigkeit führen kann. 1994 erhält Fehr eine Professur für empirische Wirtschaftsforschung an der Universität Zürich. Fehr erforscht vor allem die Fairness von Menschen, seit wenigen Jahren auch, wie das Gehirn wirtschaftliche Entscheidungen trifft. Künftig will er sich stärker um die menschliche Entwicklung kümmern. Mehrere Rufe von Universitäten in Berkeley, New York, Oxford und Cambridge lehnt er ab. 2008 wird er mit dem Marcel-Benoist-Preis ausgezeichnet, dem wichtigsten Forscherpreis der Schweiz. Er ist mit einer Wissenschaftlerin verheiratet, die das Risikoverhalten von Menschen erforscht, und hat zwei Kinder. Von Patrick Bernau E rnst wer? Auf Rang zwei unseres diesjährigen Einflussrankings der Ökonomen schiebt sich ein Mann, der außerhalb der Fachwelt in Deutschland nicht weit bekannt ist. Politiker nennen ihn nicht als Ratgeber, Journalisten berichten nur selten über seine Meinung. Mit der deutschen Wirtschaftspolitik befasst er sich so gut wie nie. „Sein direkter Einfluss auf die deutsche Politik und die öffentliche Meinungsbildung in Deutschland ist sicher begrenzt“, sagt der Düsseldorfer Ökonom Justus Haucap. Aber in der Wissenschaft ist Ernst Fehr eine ganz eigene Marke. „Er ist ein brillanter Wissenschaftler und daher sehr einflussreich“, sagt Haucap. Selbst die Psychologen laden ihn als Hauptredner zu ihrer Jahrestagung ein. So wirkt Fehr nicht nur auf die Politik, sondern auch auf die Unternehmen. Wie geht das? Mit der Verhaltensökonomik. Der Züricher Volkswirt Ernst Fehr gehört zu den wichtigsten Vertretern dieser Disziplin, zumindest im deutschsprachigen Raum. Einige handeln ihn sogar als Kandidaten für den Nobelpreis. Die Verhaltensökonomen haben der Welt beigebracht, dass die Menschen doch nicht immer hyperrational entscheiden. Manchmal machen sie Fehler. Oft entscheiden sie sich nicht nach ihrem reinen Eigennutz. Wenn sie das Gefühl haben, dass sie selbst unfair bevorzugt werden, dann geben sie auch mal etwas ab. Und wenn sie sich benachteiligt fühlen, dann ignorieren sie allen materiellen Eigennutz und werden trotzig. Was passiert zum Beispiel, wenn die Mitglieder eines Vereins zusammen in einen Topf einzahlen sollen, um zum Beispiel ein neues Vereinsheim zu bauen? Die Chance ist groß, dass sich einige drücken und ihr Geld lieber auf dem eigenen Konto behalten. Fehr hat in systematischen Experimenten gezeigt, wie das Ver- Ernst Fehr, Professor für Mikroökonomik und experimentelle Wirtschaftsforschung an der Universität Zürich Foto Michael Hauri teurere. Dann bietet er diesen Fernseher ebenfalls zum teuren Preis an. Schon konzentrieren sich die Kunden auf den Vergleich zwischen den beiden teuren Fernsehern, entscheiden sich für den besseren von beiden – und den billigen ignorieren viele komplett. Über solches Wissen freuen sich nicht nur die Marketing-Fachleute in den Unternehmen, die den Menschen Produkte verkaufen wollen. Darüber freuen sich auch Politiker, die neben Steuern und Verboten noch ganz neue Werkzeuge in die Hand bekommen, das Verhalten ihrer Bürger zu beeinflussen. Im vergangenen Jahr erst hat Bundeskanzlerin Angela Merkel eine entsprechende Truppe in ihrem Kanzleramt aufgebaut. So viel steht fest: Ihre Verhaltensforscher haben einige Lehren von Fehr und seinen Schülern mitgenommen. Und selbst wenn die Organisation Foodwatch eine Kampagne gegen zuckerhaltige Lebensmittel anstößt, profitiert sie davon, dass Menschen heute als weniger ra- einsheim doch zustande kommen kann: indem die Vereinsmitglieder sich für ihre Drückeberger eine Strafe ausdenken. Dafür nehmen sie sogar Kosten in Kauf. Inzwischen haben die Verhaltensökonomen einige Grundregeln dafür gefunden, wie sich Menschen entscheiden. Gelegentlich kann man ihnen bestimmte Entscheidungen nahelegen, wenn man nur weiß, wie’s geht. Zum Beispiel im Marketing: Ein Laden hat zwei Fernseher zur Wahl und will die Kunden vom teureren überzeugen? Kein Problem, er muss nur irgendwo einen dritten Fernseher auftreiben, der etwas schlechter ist als der tional gelten als früher. Der im österreichischen Hörbranz bei Bregenz geborene Fehr hat dazu beigetragen. Er arbeitete in seiner Jugend in den Ferien beim Flugzeugbauer Dornier und lernte dort die harte Arbeit an der Maschine kennen – Arbeit, die er selbst mal als „entfremdet“ bezeichnet hat. Während seines Studiums in Wien schrieb er in einer Studentengruppe namens „roter Börsenkrach“ für die Zeitung – und kritisierte den ökonomischen Mainstream. An den Egoisten im Menschen glaubte er nicht. So kämpfte er sich am ökonomischen Mainstream ab. Fehr war nicht der Einzige, der die Verhaltensfoschung in der Ökonomik etablierte. Doch seit er 1993 die erste Studie in einer angesehenen Fachzeitschrift unterbekam, war Fehr einer der treibenden Kräfte, die Verhaltensökonomik zum Mainstream zu machen. Einige von Fehrs ersten Assistenten gehören heute selbst zu den einflussreichsten Ökonomen Deutschlands, und ihre ehemaligen Assistenten Rang Rang 2015 2014 Medien 1 Hans-Werner Sinn Ifo-Institut 2 – Ernst Fehr Universität Zürich 3 2 Marcel Fratzscher DIW Berlin 4 6 Clemens Fuest ZEW Mannheim 5 – Bruno S. Frey CREMA Zürich 6 12 Peter Bofinger 7 8 8 517 Punkte in ... WissenPolitik schaft Gesamt 250 250 8 517 4 0 250 504 184 79 19 301 111 160 6 283 180 4 0 88 180 Universität Würzburg 178 71 106 0 178 Lars Feld Walter-Eucken-Institut 171 58 86 13 171 – Armin Falk Universität Bonn 1 12 55 123 9 – Gustav Horn IMK Düsseldorf 22 91 0 114 10 13 Claudia Kemfert DIW Berlin 24 56 10 101 11 10 Christoph Schmidt RWI Essen 40 25 12 89 12 3 Axel Ockenfels Universität Köln 80 7 8 32 80 13 30 Justus Haucap Universität Düsseldorf 80 19 56 3 80 14 11 Ottmar Edenhofer PIK Potsdam 77 13 12 26 77 15 4 Ludger Wößmann Ifo-Institut Medienpunkte 5 8 31 75 16 – Holger Schmieding Berenberg Bank 65 Politikpunkte 57 8 0 65 17 16 Martin Hellwig Max-Planck-Institut für Gemeinschaftsgüter 64 Wissenschaftspunkte 17 30 8 64 5 0 28 61 504 301 283 123 114 101 89 75 In der Gesamtpunktzahl doppelt gewichtet So entstand die Rangliste der Ökonomen Um zu Deutschlands wichtigsten Ökonomen zu gehören, muss ein Wirtschaftsforscher in mindestens zwei Feldern Resonanz vorweisen können: in der Wissenschaft und in der Öffentlichkeit, also in Politik und Medien. ! Die Medien: Das Schweizer Institut Media Tenor International hat für uns analysiert, wie häufig welche Ökonomen von August 2014 bis Juli 2015 zu welchen Themen in den Medien mit fachlichen Einschätzungen genannt wurden. Dazu musste das Zitat auf rund fünf Zeilen ausgeführt sein. Wer ist ein Ökonom? Das überließen wir den Medien. Berücksichtigt wurden Zitate, wenn der Wissenschaftler als Ökonom oder Wirtschaftsforscher bezeichnet wurde. 110 festangestellte Experten durchkämmten nicht nur die Ressorts Wirtschaft und Politik in überregionalen Zeitungen und Zeitschriften, sondern auch einige Fernsehsendungen in öffentlich-rechtlichen Sendern und die 7-Uhr-Nachrichten im Deutschlandfunk. Insgesamt wurden 7372 Zitate ausgewertet. ! Die Politik: „Welche sind die Ökono- 18 – Martin Weber Universität Mannheim 61 19 25 Dennis Snower IfW Kiel 59 16 32 6 59 20 7 Friedrich Schneider Universität Linz 59 6 0 26 59 21 9 Gert Wagner DIW Berlin 57 9 8 20 57 22 – Matthias Sutter Universität Köln 54 6 0 24 54 23 18 Jürgen Wasem Universität Duisburg-Essen 48 5 5 19 48 24 14 Kai Konrad Max-Planck-Institut für Steuerrecht 41 9 5 13 41 25 21 Volker Wieland Universtität Frankfurt (Main) 40 14 8 9 40 26 29 Gabriel Felbermayr Ifo-Institut 37 7 17 7 37 27 37 Thomas Straubhaar HWWI 34 7 25 1 34 minnen und Ökonomen (von Universitäten, Forschungsinstituten, Banken, Unternehmen etc.), deren Rat oder Publikationen Sie am meisten für Ihre Arbeit schätzen?“ Diese Frage stellten die Universität Düsseldorf, der Verein für wissenschaftliche Politikberatung Econwatch und die Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften in einer Umfrage Parlamentariern und Führungskräften von Ministerien auf Bundesund auch auf Landesebene. 101 Teilnehmer beteiligten sich an der ganzen Umfrage, 98 beantworteten die Frage nach den Ökonomen. Sie konnten bis zu fünf Namen nennen. Der erstgenannte bekam fünf Punkte, der fünftgenannte einen. 28 19 Klaus Zimmermann IZA Bonn 33 11 0 11 33 ! Die Wissenschaft: Hier zählt die 29 68 Heiner Flassbeck Flassbeck Economics 33 7 25 0 33 30 55 Holger Bonin ZEW Mannheim 32 22 5 2 32 Zahlen gerundet. Differenzen möglich. vor. Inzwischen laden ihn auch die Psychologen ein, um sich erzählen zu lassen, was er da herausfindet. Ob es statthaft ist, wenn sich auch Politiker die Verhaltensforschung zunutze machen, ist umstritten. Fehr verteidigt seine Disziplin. Auch die Unternehmen beeinflussten ihre Kunden. „Die ganze Werbeindustrie tut das seit 100 Jahren“, sagt er. „Was ist sozial nützlicher – wenn es die Werbung macht oder die Politik?“ Die Unternehmen machen sich seine Erkenntnisse allerdings auch schon zunutze. Auch Fehr berät Unternehmen, zum Beispiel im Umgang mit Mitarbeitern. „Nachfrage nach unserem Wissen ist auf jeden Fall vorhanden“, sagt Fehr. Wenn Unternehmen zum Beispiel verfeindete Abteilungen zur Zusammenarbeit bewegen wollen – auch dann hat Fehr seinen Einfluss. Dann erinnert er sich an seine Experimente und an den Erfolg von Strafen. Aber er nennt das dann anders. Bei ihm heißt es: „eine Feedback-Kultur etablieren“. Die Methode Deutschlands einflussreichste Ökonomen 1 füllen gerade Deutschlands Universitäten mit Verhaltensökonomen. „Fehr hat ein Gefühl für sehr gute, innovative Fragen und arbeitet wahnsinnig viel“, sagt der Finanz-Verhaltensforscher Martin Weber. Weil Fehr für seine Experimente berühmt wurde, konnte er neues Forschungsgeld einwerben – und mit dem Geld noch mehr erforschen. Über Jahre hinweg betrieb er in Zürich fast eine Forschungsfabrik mit Dutzenden Ökonomen. Vor einigen Jahren bekam er 100 Millionen Franken von der Schweizer Bank UBS und gründete damit ein ganzes Institut. Mit früheren Spenden hatte er einen Hirnscanner gekauft, mit dem er das Gehirn bei wirtschaftlichen Entscheidungen beobachten kann. Andere Verhaltensökonomen haben in der Wissenschaft großen Einfluss, weil ihre Experimente auch von Betriebswirten, Politikwissenschaftlern und Psychologen genutzt werden. Fehr stieß mit seinem Kernspin-Tomographen auch in die Naturwissenschaften Quellen: F.A.Z.; Media Tenor International; Universität Düsseldorf; ZBW; Econwatch; Elsevier/F.A.Z.-Grafik Walter Zahl der Zitate aus den vergangenen Jahren. Diesen Index hat der Fachverlag Elsevier aus seiner Forschungsdatenbank Scopus berechnet. Scopus ist die größte Zitat- und Abstractdatenbank der Welt mit 90 000 Büchern und 21 000 Zeitschriften, darunter viele europäische. Ökonomen, die oft Beiträge in Büchern oder in Zeitschriften ohne unabhängige Gutachter veröffentlichen, stehen in dieser Rangliste allerdings nicht weit oben. Für dieses Ranking berücksichtigten wir Zitate, die in den Jahren 2011 bis 2015 veröffentlicht wurden, auf dem Datenstand von Mitte August – egal, aus welchem Jahr die zitierte Publikation stammt. So messen wir den Einfluss in aktueller Zeit. Scopus hat zwar noch einige Lücken, wenn die zitierten Artikel 19 Jahre alt oder älter sind, die weitaus meisten Zitate erfolgen aber innerhalb von zehn Jahren nach Veröffentlichung. Zudem wurden die Autorendaten noch einmal extra für dieses Ranking auf Doppeleinträge geprüft, so dass wir unterschiedliche Einträge desselben Autors für dieses Ranking zusammenführen konnten. ! Die Gesamtwertung: In die Gesamt- wertung aufgenommen wurde, wer in Öffentlichkeit und Forschung Spuren hinterlassen hat. In der Forschung waren mindestens fünf Zitate nötig, in der Öffentlichkeit mindestens fünf Medienzitate oder mindestens fünf Punkte in der Politik-Umfrage. Das Ranking haben wir konzentriert auf Ökonomen, die an Institutionen in Deutschland, Österreich und der Schweiz arbeiten. Nach diesen Kriterien haben wir in diesem Jahr 100 Ökonomen in die Gesamtwertung aufgenommen. Dann wurden die Säulen verrechnet. Dafür haben wir ein Punktesystem verwendet: In jeder Säule bekam der stärkste Ökonom 250 Punkte, alle anderen bekamen ihre Punkte proportional dazu. Das führt dazu, dass sich in der Wissenschaft einige Ökonomen zwar mit mehr als fünf Zitaten fürs Gesamtranking qualifiziert haben, trotzdem gerundet null Punkte erreichen. In der Zusammenrechnung zählten Medien und Politik einfach, die Forschung doppelt. Das bedeutet: Ein Ökonom konnte höchstens 1000 Punkte erreichen, was bedeuten würde, dass er der einflussreichste Ökonom in allen drei Säulen war. Die komplette Rangliste und die einzelnen Teilauswertungen finden Sie unter www.faz.net/oekonomen.
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