Wenn Kinder in keine Schublade passen Eine Lesung auf dem Bauernhof. Vergangene Woche hatten Ursula Fehr und die Landfrauen zu einer Lesung auf dem Bauernhof eingeladen. Ursula Fehr las aus ihrem Buch „Schneckenfühler“, zu Gast waren die Landfrauen auf dem Betrieb von Luzia Schweizer und ihrem Mann. Die beiden bewirtschaften auf dem Schlucheberg in Rafz einen Betrieb mit Mutterkuhhaltung. In einem hellen, freundlich eingerichteten Raum bewirten sie gelegentlich Gäste. Und dort sassen nun auch die gut 50 Zuhörerinnen und warteten gespannt auf die Hörproben aus dem Buch. „Mein eigenwilliges Kind“ wie das Buch im Untertitel heisst, schildert die Odyssee eines Kindes und seiner Eltern durch verschiedene Institutionen, immer begleitet von der Hoffnung, endlich den Ort zu finden, wo dieser sensible und talentierte Junge mit seinen ungewöhnlichen Bedürfnissen Wurzeln schlagen könnte. Die schwierige Zeit habe angefangen, als Fabian in der 5. Klasse zum System rauskippte: nicht mehr tragbar, hiess es. Später, mit 20 Jahren versuchte er, seinem Leben ein Ende zu setzen. „Nicht einmal das habe ich geschafft!“ sei sein bitterer Kommentar gewesen. Beim Schreiben des Buches habe sie Angst gehabt vor diesem schweren Abschnitt, erzählt sie. Sie sei unsicher gewesen, ob nicht alle diese starken Gefühlen nochmals hochkommen würden. Das Thema interessiert Mona Mühlemann aus Eglisau und Präsidentin der Landfrauen im Bezirk Bülach hatte den Anlass unter ihren Kolleginnen, im Netzwerk der Landfrauen, bekannt gemacht, nachdem sie das Buch von Fehr selber in kurzer Zeit „verschlungen“ hatte. Sie freut sich, dass so viele Frauen, und ein Mann, der Einladung gefolgt sind. Die zwischen den Lesungen eingeschobenen Fragerunden zeigen, dass das Thema interessiert. Viele der Eltern sind schon mit der Problematik konfrontiert worden, dass ihr Kind in einem Bereich der Schule nicht schubladisiert werden konnte, sei es bei der Lehrerschaft oder bei anderen Eltern. Denn – Gottseidank – sind nicht alle Kinder immer schön brav und angepasst, gehen den Weg, den Eltern und andere Verwandte für sie vorsehen, erfüllen die an sie gestellten Leistungsanforderungen. Manche Kinder passen nicht ins vorgegebene System, sie ecken an, stossen auf Unverständnis, werden ausgegrenzt. So ist es auch Fabian gegangen, im wahren Leben heisst er allerdings anders. Als seine Mutter das Buch über sein Leben schrieb, wünschte er sich, Fabian zu heissen, so wie ein Psychologe, bei dem er sich immer gut verstanden gefühlt hat. Gelassenheit, ein bisschen Humor und Vertrauen Die Zuhörerinnen lassen sich in Fabians Leben hineinziehen, folgen der direkten klaren Sprache der Autorin, hören konzentriert zu und spüren die verzweifelten Versuche Klarheit und Struktur in dieses eigenwillige Leben zu bringen, erkennen aber auch den feinen Humor, die Selbsterkenntnis, die es braucht, um solche herausfordernde Lebenssituationen zu meistern. Gelassenheit und Zuversicht brauche es, aber mitten in eskalierenden Situationen sei man davon oft meilenweit entfernt. Ursula Fehr erzählt von ihren Ansprüchen an sich selber: Als Mutter und Lehrerin mit einem Heilpädagogikstudium habe sie sich selber unter Druck gesetzt, habe viele Bücher gelesen, Kurse besucht. „In Eglisau sagt man, was man denkt: Die ist Lehrerin und kriegt das mit dem eigenen Sohn nicht auf die Reihe!“ Heute lacht sie darüber. Gerade weil sie sich nicht abkapseln wollte, seien immer viele Nachbarskinder „bei Fehr’s“ gewesen. Da sie eben keine perfekte Hausfrau sei, hätten man bei ihr auch Basteln, Stoff färben und ähnliche aufwändige Sachen machen können. „Da ist sicher manche Mutter froh gewesen“, schmunzelt sie. Dankbar ergänzt sie Fabians Geschichte mit dem was heute ist: ihrem Sohn geht es gut, endlich bekomme er Anerkennung, schlage Wurzeln in der Kartause Ittingen. „Auch ich komme zur Ruhe, konnte loslassen und nehme unseren Sohn so an, wie er ist: ein eigenwilliger junger Mann“.
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