Ostschweizer Kultur 21 Montag, 11. Januar 2016 Tolle Masken-Operette in Sirnach Tempo und Ironie machen mit der professionellen Machart die «Maske in Blau» der Operette Sirnach zum Erfolg. 1937 uraufgeführt, ist die Operette von Fred Raymond eine Revue, in der Musiknummern in eine lose Handlung um einen Maler in San Remo montiert sind. nahmen, die die Berufsverbote, Verhaftungen und Ermordungen jüdischer und anders missliebiger Komponisten durch die Nazis ab 1933 freigemacht hatten. Wie konsequent Huber seine Figuren führt und – hier könnten sich viele, die sich am leichten Fach versuchen, etwas abschneiden! – alle zu billigen Scherze und Mätzchen vermeidet, überzeugt. Mit leichter Hand werden gerade auch beim homogen klingenden Chor sanfte ironische Brechungen eingefügt, wie sie auch die Renaissance der Operette an der Berliner Komischen Oper prägen. TOBIAS GEROSA SIRNACH. Standing Ovations im Gemeindesaal Sirnach bei der Premiere von Fred Raymonds «Maske in Blau». Und zwar schon vor dem Finale. Das ist einer der vielen geschickten Züge der Leitung um Dirigent Martin Baur und Regisseur Leopold Huber. Sie peppen das Stück dramaturgisch auf und schieben den schmissigen Chor mit «Ja, das Temperament!» als Anheizer hinter das nicht minder schmissige und durchaus wie der Abschluss wirkende «Sassa! Sassa!»Ensemble. Das spielt dramaturgisch nämlich keine Rolle. 1937 als Operette uraufgeführt, ist «Maske in Blau» vielmehr eine Revue, in der Musiknummern in eine lose Handlung montiert sind. Die Nummern sind Shownummern mit Swing-, Tangooder Bluesanklängen und Schlager der Zeit. Aber für die Hand- Nach der Nacht mit der unbekannten Frau malt er diese auch noch. lung oder die Charakterisierung der Figuren tragen sie wenig bei. Daran ändert auch das Engagement des etwas blechdominierten Orchesters – am Anfang noch etwas hüftsteif, später deutlich freier – nichts. Dreicksgeschichte, klassisch Die Geschichte und ihr Ausgang sind hier von Anfang an klar. Der Maler Armando hat nach einem Maskenball die Nacht mit einer unbekannten Frau verbracht und sie dabei gemalt. Auch das wird genretypisch nur angedeutet, Projektionsflächen sind ganz wichtig. Am Ring soll er sie ein Jahr später wieder erkennen, weil sie ihre blaue Maske anbehielt. Bis dahin schmachtet Armando, was Reto Hofstetter glaubhaft und ohne Übertreibung macht. Während Strahlende Petra Halper König Plötzlich tauchen im Bilderbuchferien-Italien Südamerikaner auf. Erst die wunderschöne, elegante und liebreizende Evelyne mit ihrem väterlichen Begleiter Gonzala (Otto Edelmann). In ihm findet der Fisch- Bild: Urs Bucher Reto Hofstetter als Maler Armando Cellini, umgeben von den restlichen Operetten-Darstellern, in seinem schicken Sportwagen. er dabei sehr textverständlich singt, geht er die hohen Showtöne hörbar vorsichtig an, und man wünschte sich etwas mehr Testosteron und Schmelz. Er wird von Seppel und Juliska begleitet – wer die beiden eigentlich sind, bleibt merkwürdig offen. Sie sind einfach da, wie die vier Tänzer. Die Regie macht Juliska immerhin noch zu deren Choreographin und findet so eine Legitimation, warum sie auch in die Tanzszenen einbezogen wird. Liliane Ecoffey schafft mit ihrem Mix zwischen klassischem und mehr chanson- oder musicalartigem Gesang auch das stilistische Bindeglied zu den andern Figuren. Ihr Ehemann (klar, im Finale ist’s so weit) ist bei Musicaldarsteller Christian Sollberger in kompetenten Händen. Aber wie immer in diesen Komö- Lordi bis Kambodscha-Rock Zum zweitenmal findet während dreier Tage das Norient-Musikfilm-Festival im Palace statt. ST. GALLEN. Norient sucht weltweit nach neuer Musik, Klängen und Lärm. Sudan, Niger, Finnland, die Niederlande, Kambodscha und weitere Länder sind 2016 vertreten. Auftakt machen am Donnerstag zwei Filme, begleitet von den Regisseuren. «Don’t Think I’ve Forgotten – Cambodia’s Lost Rock and Roll Film» von John Pirozzi geht dem Rock ’n’ Roll in Kambodscha nach. Und der Finne Antti Haase porträtiert in «Monsterman» den Leadsänger von Lordi, Sieger des Eurovision Song Contest 2006. «Purple Rain» in Niger Der erste Spielfilm in Tamashek, der Sprache der Tuareg, steht mit «Akounak» am Freitag auf dem Programm. Christopher Kirkley inszeniert die Geschichte eines jungen Gitarristen in Niger als eigenwilliges Remake auf «Purple Rain» von Popmusiker Prince. Eine eindringliche Langzeitbeobachtung legt Hajooj Kuka mit «Beats of the Antonov» vor. Zwei Jahre lang lebte der Regisseur in den Dörfern der NubaBerge in Südsudan. Hier spielen die Menschen die ganze Nacht durch Musik, um den Lärm der Luftwaffenangriffe zu übertönen. Electronica aus Mexiko Am Samstag machen Musikvideos aus Südafrika den Anfang. Dann präsentiert Popjournalist Adam Harper ausgewählte Musikvideos. Produzent Ozharp aka LV und die südafrikanische Sängerin und Tänzerin Manthe Ribane geben ihren ersten Auftritt in der Schweiz. Als Höhepunkt ist das Londoner Musikerkollektiv Danny L. Harle angekündigt. (pd) Do–Sa, 14.–16.1., Palace, St. Gallen, jeweils ab 20 Uhr Bild: pd/Hajooj Kuka Flüchtlingslager aus dem Film «Beats of the Antonov». dien holt am Schluss der Spassmacher den grössten Applaus. Hier heisst er Kilian und ist gummibestiefelter Fischmaler – was immer das sein soll. Seine Sprachverdrehungen sind das eine, bei Bastian Stoltzenburg ist schon der Blick und die Haltung komisch. Dass das Stück in San Remo spielt, ist dabei auch egal, bietet der Regie am Anfang aber die Möglichkeit, ein liebevoll karikierendes Panorama von Italien- und Tourismusklischee aufzubieten und so jedem Chormitglied eine klare Rolle und einen Eintrag im Programmheft zu verschaffen. Das ist sympathisch und zeugt von der grossen hand- Operette Sirnach «Maske in Blau» von Fred Raymond Gemeindezentrum Dreitannen Ï Weitere Aufführungen: 16./23./29./30.1., 12./14./19.–21./ 26.–28.2., 4.–6./11.–13./18.–19.3. Ï Aufführungsbeginn: Fr 19.30, Sa 19, So 15.30 Uhr (Sa 9./19.3. 18 Uhr) Ï Reservation: 071 966 33 66 (Do–Sa 15.30–18.30 Uhr), www.operette-sirnach.ch, Schalter Gemeindezentrum Dreitannen (Do–Sa 15.30–18.30 Uhr), Abendkasse an den Vorstellungstagen werklichen Geschicklichkeit, welche die Arbeit von Regisseur Leopold Huber auszeichnet. Klaus Hellenstein hat dafür einen durch wenige Elemente charakterisierten Raum geschaffen, in dem die exotischen Spielorte nur ironische Zitate sind: Argentinien ist auch nur ein Stichwort, wie die Handlung für die Musik ja auch. Sanfte Ironie – keine Billiggags Für grosse Regieideen, überraschende Deutungen oder Hinterfragungen des Stückes ist die Operette Sirnach wohl nicht der Platz – auch wenn die naive Notiz im Programm zu hinterfragen wäre, dass es Komponisten wie Raymond nicht anzulasten sei, dass sie rasch und mit reinem Unterhaltungsanspruch die Plätze auf den Spielplänen ein- Zusammentreffen zweier Sagenhelden aus dem Norden BETTINA KUGLER ST. GALLEN. So einfach kann es gehen, dem Tonhalle-Publikum einen Gefallen zu tun und dabei Hörgewohnheiten zu durchbrechen, Konzentration und Neugier wachzuhalten. Man nehme zwei verwandte Werke aus benachbarten Gefilden, das eine viel gespielt, ein populärer Klassik-Evergreen, das andere weniger bekannt, und verschränke Teile daraus ineinander. Besonders attraktiv erscheint das, wenn beide Kompositionen episch ausgreifen, von übermütigen Helden, von Aufbruch, Abenteuer und Heimkehr erzählen – wie Edvard Griegs «Peer Gynt»-Suiten und ihr finnisches Pendant, die «Lemminkäinen»Tondichtungen von Jean Sibelius. Zusammen bildeten sie, in abgeänderter, wechselnder Reihenfolge, die erste Hälfte des 5. Tonhallekonzerts mit dem Sinfonieorchester St. Gallen unter Leitung des Finnen Ari Rasilainen und Alexei Volodin als Solisten des 1. Klavierkonzertes von Tschaikowsky. Es wartete also ein weiterer Repertoire-Reisser. Dass Ari Rasilainen zur Musik aus Norwegen und seiner Heimat Finnland ein besonders inniges Verhältnis hat, liess auf eine spannungsreiche, farbintensive Interpretation hoffen. Tatsächlich gelang es ihm, aus den zwei Werken eines mit weitgespanntem dramaturgischen Bogen zu machen. Er hätte freilich gut daran getan, an der ersten Scharnierstelle, zwischen «Åses Tod» und dem ruhig fliessenden «Schwan von Tounela», etwas dichter anzuschliessen, denn hier störte zögerlich einsetzender Applaus das Konzept. Schattierungen des Leisen Sanglich entfalteten die Holzbläser ihre Soli, allen voran Davide Jäger (Englischhorn) im «Schwan», in schöner Harmonie mit den tiefen Streichern, von Ari Rasilainen mit grosser Ruhe dirigiert, in meditativem, aber nie zähflüssigem Tempo. Umso befreiender dann die Lebenslust in den folgenden zwei Sätzen. Grazil-beweglich tänzelte das Orchester erst auf der Skala des Leisen, um dann in kalkuliertem Aufbau dämonische Kräfte zu entfesseln, mit «Solveig» den Blick in die Ferne zu richten. Schärfere Konturen hätte man «Lemminkäinens Heimkehr» zunächst gewünscht; gleichwohl: Die Interpretation blieb der wasserhellen, kühlen Klarheit der Grieg’schen «Morgenstimmung» bis zum triumphierenden Gestus der Blechbläsereinwürfe treu. Volodins Tasten-Kraftakt An Kontur und Kraft mangelte es Tschaikowskys Klavierkonzert d-Moll keineswegs; Alexei Volodin meisterte die Doppeloktaven im ersten Satz des vermeintlich «unspielbaren» Virtuosen-Hits mit energiegeladenem, doch nicht brachialem Anschlag, den Rest mit rhythmischer Präzision und der nötigen Sensibilität – wie auch seine beiden Zugaben. Ari Rasilainen liess dem Orchester genügend Raum, die lyrischen Seiten ohne Sentimentalität auszuspielen, zugleich bot es Volodin klangstark Paroli. Wer den Russen als Beethoven-Interpreten schätzt, kann ihn am Freitag noch einmal in der Tonhalle hören: als Kammermusik-Partner der Cellistin Sol Gabetta. Die Regie bietet liebevoll karikierende Italienklischees. maler seinen Partner und Armando in ihr natürlich seine geheimnisvolle Maskenträgerin. Petra Halper König als Evelyne hat die strahlendsten Auftritte – eine starke Frau, die sich vom Mann aber brav erobern lässt. Wenn nicht vom Gaucho Pedro (Erich Hufschmid in undankbarer Sprechrolle) und seiner Intrige, dann umso lieber von Armando. Halper König singt mit einer interessanten Schärfe in ihrem Timbre und fühlt sich in der Primadonnen-Rolle offensichtlich pudelwohl, was sich auf alle überträgt. So stimmt vielleicht sogar, was der Gemeindeammann vor dem Premierenvorhang hoffte: Sirnach wird – wenn dafür eine Veranstaltung reicht – noch bis 19. März für jeweils drei Stunden zur kulturellen Hauptstadt des Thurgaus. Yumi Ito zu Gast bei Gambrinus ST. GALLEN. «Das will ich auch . . .», dachte sich die Zürcher Jazzsängerin, als sie in New York in einem Jazzclub sass. Zurück in der Schweiz gründete sie das Yumi Ito Quartett, zusammen mit dem Pianisten Yves Theiler, dem Alt-Saxophonisten Gabriel Dalvit und dem Kontrabassisten Yuri Goloubev, aus dem tiefen Bedürfnis heraus, den ruhigen, akustischen Klang, anlehnend an ihre klassischen Wurzeln, mit Jazz und Improvisation zu ergänzen. Das einmalige Quartett mit international gefragten Musikern interpretiert Jazzstandards und Eigenkompositionen modern, aber trotzdem intensiv. Yumi Itos wandelbare Stimme erzählt die Geschichte der Standards so persönlich, als wären es Geschichten aus ihrem eigenen Leben. Ihre aussergewöhnliche Authentizität und ihr Verständnis für den Jazz erschlossen sich ihr während mehrerer Aufenthalte in New York und intensiver Auseinandersetzung mit der europäischen Klassik. (red.) Yumi Ito Quartett, Montag, 11. Januar, 20 Uhr, 1733 Weinlokal, Goliathgasse 29, 9000 St. Gallen.
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