Für Väter

Rostock, 26.08.2015
Väter und Frühe Hilfen –
Wie geht das (besser) zusammen?
Dr. Andreas Eickhorst
Deutsches Jugendinstitut, München
Nationales Zentrum Frühe Hilfen
Vorneweg: Warum Beschäftigung mit Vätern?
 Lange Zeit wenig Interesse an Vätern
 Bevorzugtes Interesse an der Mutter aus gesellschafts-
historischen Wertvorstellungen und praktischen Erwägungen
 Dennoch Vater gleichwertiger Elternteil wie Mutter
 Psychisch „wirkt“ der Vater immer auf Kind und Familie
 Auch in den Frühen Hilfen bislang wenig tatsächliche
Berücksichtigung der Väter
 Gerade hier könnte ein Verständnis der Vater-Rolle (Entlastung;
Belastung?) wichtige Erkenntnisse bringen
Was wissen wir über Väter in der beginnenden
Elternschaft…?
1. Psychische Situation von Vätern
nach der Geburt
2. Väter in der Interaktion (schon)
mit Säuglingen
Väter in der Interaktion mit Säuglingen
Videobeispiel: Vater- Kind-Interaktion
Bindung bei Vätern
 Eltern-Kind-Bindung („unsichtbares Band“) als wichtiges
psychologisches Konzept bei Schutz- und Trostbedürfnis
 Eigenständige Bindung zum Vater genauso vorhanden zur
Mutter
 Am bedeutsamsten ist die Bindung zur Hauptbezugsperson;
aber mehrere Bindungsbeziehungen gleichzeitig sind möglich
 Die Bindung zur Mutter ist oft diejenige, die mehr Einfluss
ausübt (Rolle?)
Feinfühliges Eltern-Verhalten als Hauptmechanismus der
Bindungsentwicklung beim Kind
Feinfühligkeit
 Wichtigster Bestandteil ist promptes, angemessenes und zuverlässiges
Reagieren; z.B. durch Mimik, Gestik, Lächeln etc.
 Das bei Müttern und Vätern gleichermaßen angeborene intuitive Elternverhalten ermöglicht dies
 Durch feinfühlige Unterstützung der Exploration beeinflussen
insbesondere Väter die sozio-emotionale Entwicklung (bis 22. LJ)
 Trotz gleicher (z.B. feinfühliger) Fähigkeiten von Vätern und Müttern
unterschiedliche Schwerpunkte im interaktiven Verhalten mit dem Kind
Gleiche prinzipielle Fähigkeiten
bezüglich Elternschaft wie
Mütter
Aber zum Teil andere Präferenzen,
Motivation und tatsächliches
Verhalten als Mütter
Welche Unterschiede zu Müttern im Verhalten
lassen sich beobachten?
Väter
Mütter
 Kommunizieren eher physisch
oder über Objekte
 Kommunizieren eher verbal
 mehr wildes, ausgelassenes
Spielverhalten mit motorischer
Stimulation
 Stärkere Förderung der
Eigenständigkeit
 Stärkere Förderung der
Geschlechtsidentitätsentwicklung
 Vorsichtiger gg. Kindern
 Mehr Körperkontakt
Kritik an diesen Untersuchungen
1. Sehr stark kulturabhängig
2. Alle Unterschiede gefunden
in Familien mit trad.
Rollenaufteilung
Was wissen wir über die gesellschaftliche
Situation heutiger Väter?
Gesellschaftliche Situation von Vätern
(aktuell in der BRD)
Hohe Anforderungen an
väterliches Engagement
Anspruch
 Forderungen nach
Vateranwesenheit, familiärer und
haushaltlicher Beteiligung

Politische Umsetzung:
Partnermonate in der Elternzeit
 Traditionellen Ernährerrolle infrage
stellen

Forderung nach Geschlechtergleichberechtigung und weiblicher
Erwerbstätigkeit
Kaum gesellschaftliche
Hilfestellungen
Realität
 Schwierige wirtschaftliche Lage
 Zur Elternzeit unkompatible
Arbeitsmarktsituation
 Gestiegene Anforderungen zur
Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt
 Fehlende Rollenvorbilder in der
Elterngeneration
 Wunsch nach „Männlichkeit“
nicht verschwunden bei Männern
und Frauen
Der „neue Vater“
 Typus seit Ende 1970er/Anfang
1980er Jahre präsent
 Grenzt sich von traditionellen
Rollenvorstellungen ab
 Lebt gleichberechtigte
Partnerschaft; trägt zu Haushalt
und Kinderpflege/Erziehung bei
 Verhält sich gegenüber seinen
Kindern warm, zärtlich,
körperbetont
 Ist gerne Vater und betont diese
Haltung auch in der Öffentlichkeit
 Vermischung von Forderung und
tatsächlichem Auftreten
 Vaterschaft und väterl. Engagement mit hoher eigener Wertigkeit
 Mehr als lediglich Unterstützung/Entlastung der Partnerin
 Väter in Elternzeit sind eine Facette vom Thema
Frühe Hilfen: Was motiviert uns zum
Einbezug von Vätern?
Väter (auch) in den Familien Früher Hilfen…
 …nehmen wichtige Rolle für die Entwicklung des Kindes ein
 …sind (mehr als) eine potentielle Stütze für belastete Mütter
 …können durch Erleben ihrer Vaterschaft als positiv auch eine
gelungene Vater- Kind- Beziehung erreichen
 … können auch durch die Vaterschaft an sich (zusätzlich)
belastet werden
 … können durch schlechtes Befinden das gesamte Familien-
system beeinflussen
 … können sich besser in ihre Rolle einfinden, wenn ihre Unsich-
erheiten und Selbstzweifel professionell bearbeitet werden
Chancen und Herausforderungen für den
Einbezug von Vätern
Zwei Zitate…
 „Wenn Partner vorhanden sind, stellen sie keine Partner im
herkömmlichen Sinn dar. Sie sind keine Hilfe, werden als Gefahr für die
Frauen geschildert, haben schlechten Einfluss“ (Schneider, 2006, S. 74).
 Die Familienhebammen erleben häufig, dass die Väter sich nicht an
dem aufsuchenden Angebot beteiligen und sich sogar aktiv zurückziehen,
was häufig als kränkende Ablehnung ihrer Arbeit erlebt wird: „Die gehen
oft weg wenn ich komme“ (ebd., S. 74).
Herausforderungen I
Identifikation des Vaters mit seiner Vaterrolle?

Insbesondere bei ungeplanten/ungewollten Schwangerschaften
fraglich

Klassische vs. moderne Geschlechtsrollenidentität können im
Konflikt sein
Häufig Skepsis von Vätern gegenüber…

Psychosozialen Fachkräften und ihrer Wertschätzung für Väter

der Partnerin und ihrer Wertschätzung für den Vater

der Frage, ob Männer überhaupt eine wichtige Rolle als Väter
spielen können
Herausforderungen II
Männliches Geschlechtsrollenstereotyp
- Keine Probleme haben/Probleme alleine lösen können
- Teilnahme an Frühen Hilfen potentiell öffentliches Eingeständnis der
eigenen Unzulänglichkeit
- Abstand zu (Frühen) Hilfen als Abwehr und Vermeidung von Schuld-,
Scham- und Unzulänglichkeitsgefühlen?
-Besonders ausgeprägt bei arbeitslosen Vätern: Wertigkeitsproblem,
klassische Rolle des „Ernährers“ kann nicht ausgefüllt werden
 Problem defizitorientierter Ansätze: Transport eines
defizitären Vaterbildes („Präventionsdilemma“)
Chancen I
Möglicherweise vielversprechender
Psychosoziale Unterstützung, die die Wünsche und das Empfinden,
aber auch die individuelle Rolle der Väter selbst aufgreift
Das bedeutet
1) Direktes und explizites Einbeziehen der subjektiven väterlichen Sicht
kombiniert mit
2) Einer systemischen Sichtweise (des Familiensystems)
 Wertschätzende Grundhaltung gegenüber Vater
 Akzeptanz der realen Situation und Bemühungen des Vaters
 Zunächst Vater als Mensch unabhängig von Rolle in Familie betrachten
 Dann auch die gemeinsame Konstruktion der Familie explorieren
Chancen II
 In anderen Worten: Betrachtung von Vaterschaft unter einer
salutogenetischen Perspektive
 Im Mittelpunkt dieser Betrachtung stehen
 Wohlbefinden der Väter
 Väterliche Ressourcen
 Bedeutung des Vaters im Kontext des Familiensystems
 Aber auch: Stärkung der primären Triade – Arbeit mit
Vater, Mutter und Kind gleichzeitig
Komprimiert: Einflussfaktoren auf die Arbeitsbeziehung
– primär dem Vater zuzuordnen -
• Grundsätzliche Bereitschaft, sich auf die Vaterrolle einzulassen
• Kontinuierliche Präsenz vs. Abwesenheit in der Familie
• Repräsentation von Familie (Rollenverständnis)
• Psychosoziale Situation
• Kompetenzerleben oder aber Scham- und Versagensgefühle
• Qualität der Paarbeziehung
• Bereitschaft, sich auf Unterstützung einzulassen
• Vertrauen ggü. Misstrauen in die Fachkraft
• Erleben der Fachkraft als hilfreich und unterstützend oder als
kontrollierend oder einmischend
Komprimiert: Einflussfaktoren auf die Arbeitsbeziehung
– primär der Fachkraft zuzuordnen • Einstellung zur generellen Bedeutung von Vätern
• Akzeptanz verschiedener Arbeitsaufteilungen innerhalb der
Familie ggü. impliziten Rollenerwartungen an Väter
• Subjektives Erleben: Gefühl der Wertschätzung oder Ablehnung
• Anerkennung und Respekt ggü. (latenter) Entwertung der Väter
durch die Fachkraft
• Erleben und Verarbeitung eigener Kindheit (Beziehung zum
Vater)
• Fähigkeit , schwierige Beziehungserfahrungen zu verarbeiten
ggü. leichter Kränkbarkeit
• Mangel an (guter) Supervision
Ein wenig Zahlen…
… aus dem Projekt „Keiner fällt durchs Netz“
Belastungen der Väter im Projekt
N=888
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 Heterogene Gruppe, aber mit durchaus deutlichem Anteil
„harter“ Belastungen
Kontakte der Väter im Projekt
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Prozentangaben; Erfragung durch die aufsuchenden Helferinnen
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 Generell eher wenig Kontakte; sehr isolierte Klientel
Beteiligung der Väter an den Hausbesuchen
 (Nur?) Bei einem Drittel der Besuche war der Vater anwesend,
aktiv beteiligt bei weniger
Befragung der Familienhebammen zur Beteiligung d. Väter a. d. Hausbesuchen in 2011; (2.904 Besuche)
Interesse der Väter
Welche Form eines spezifischen Angebots für Väter nach der
Geburt würden Sie sich für sich wünschen?
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2%
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44%
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Wochenend-Seminar für Väter
Fortlaufende Väter-Gruppe mit Schwerpunkt auf Informationsvermittlung speziell
für Väter
Fortlaufende Väter-Gruppe mit dem Schwerpunkt Erfahrungsaustausch
 Ich könnte mir vorstellen, an einem solchen Angebot teilzunehmen:
Fortlaufende Väter-Gruppe beide Anteile gemischt
Ja = 38%
Kein Angebot
Missing
Nein = 51%
Hilfreiche Anregungen aus der Praxis
Aus: Baisch 2004; Bullinger 1996; Richter & Verlinden 2000; Röhrbein 2010; Schäfer 2009
Generelle Haltung
 Wortwahl anpassen
 Spezifika von Vätern (anders als Mütter) in Beratung,
Begleitung und Therapie beachten
 Deutlich machen, dass Väter (z.B. in einer Einrichtung)
dezidiert willkommen sind
 Ehrliches Interesse am Vater und seiner Welt zeigen
 Vermitteln, dass der Vater als kompetent angesehen wird
 Den Vater so annehmen, wie er ist
Erste Kontaktaufnahme
 Direkte (ressourcenorientierte) väter-spezifische Ansprache in
Wort und Bild vornehmen
 Ansprechende Vater-(Kind-)-Räume bieten
 „Väterfreundliche“ Beratungszeiten anbieten
 Ort des Treffens: Ein „Heimspiel“ ist oft günstig
 Möglichst (auch) männliches Fachpersonal, insbesondere bei
aufsuchender Arbeit
 Ohne direkten pädagogischen Anspruch und Belehrung (aber
durchaus mit Wissensvermittlung)
Ins Gespräch kommen
 „Schön, dass Sie da sind!“
 Oft günstig, zunächst Fragen zu Ihnen und Ihrem Kontext
zuzulassen: „Was möchten Sie wissen, damit …?“
 Achtung Einstiegsgerangel / Test: Wie stark, bzw.
kompetent sind Sie wirklich? Wichtig: Lassen Sie sich von
kernigen Sprüchen nicht irritieren!
 Selbstreflexion und Standortbestimmung kontinuierlich
vornehmen
 Supervision in Anspruch nehmen
Gelungene Beispiele an Angeboten für
Väter
Flechtwerk e.V. „Mein Papa kommt…!“
Kooperationen mit lokalen Väter-Initiativen…
Weitere Möglichkeiten zur Anregung und
Information
Fazit & Ausblick
 Väter inzwischen als wichtig für ihre Kinder „anerkannt“
 Angebote für Väter im Kommen, Frühe Hilfen müssen nun
nachziehen
 Klärung notwendig, warum sich Politik und Anbieter hier so
schwer tun
 Heterogene Gruppe mit oft unklarer Bedürfnislage
 Phase des Ausprobierens von Strukturen, Angeboten und
Methoden notwendig ( Modellprojekte)
 Generierung weiteren Wissens notwendig
 2016: Drei Expertisen des NZFH werden vorliegen
Literatur zum Thema Väter
Für Fachleute
Heinz Walter & Andreas Eickhorst:
Das Väterhandbuch
Für Väter
Ansgar Röhrbein:
Mit Lust und Liebe Vater sein
Kontaktlinks für Väter und Fachkräfte
[aus: A. Röhrbein: „Mit Lust und Liebe Vater sein“]
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Dr. Andreas Eickhorst
Nationales Zentrum Frühe Hilfen am
Deutschen Jugendinstitut, München
[email protected]