Statement Dr. Jens Baas, Vorsitzender des Vorstands der Techniker

Statement Dr. Jens Baas, Vorsitzender des Vorstands der Techniker Krankenkasse,
zur Vorstellung des Pillenreports am 9. Oktober 2015 in Berlin
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Seit 2013 gibt die Techniker Krankenkasse den Innovationsreport heraus. Er wird vom SOCIUM,
Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik, an der Universität Bremen erstellt und bewertet
die Arzneimittelneuheiten eines Jahres. Dabei ist uns die Abbildung der Versorgungsrealität
besonders wichtig. Im aktuellen Report hat uns die schnelle Marktdurchdringung des neuen oralen
Kontrazeptivums Zoely überrascht.
Es gibt bereits zahlreiche Präparate zur oralen hormonellen Kontrazeption auf dem Markt, und es
bestehen noch Unsicherheiten bezüglich des Thromboserisikos der verschiedenen Präparate im
Vergleich zueinander. Wenn wir uns nun die Verordnungsdaten genauer ansehen, fällt schnell auf,
dass die neueren und moderneren Präparate der 3. und 4. Generation wesentlich häufiger
verordnet werden als die Pillen der 1. und 2. Generation. Das ist verwunderlich, denn das
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hatte schon im März 2014 beschieden, dass in
den Fachinformationen für einige Pillen der 3. und 4. Generation auf das größere Thromboserisiko
hingewiesen werden muss. Gleichzeitig forderte es weitere Studien von den Herstellern für
Produkte, bei denen das Risiko unklar ist.
Für uns ist das Grund genug, um uns kritisch mit dem Thema auseinanderzusetzen. Wir sehen
uns hier in der Pflicht, den verordnenden Ärzten und auch den jungen Frauen, die diese Präparate
einnehmen, eine Orientierungshilfe anzubieten.
Auch wenn das Risiko für Thrombosen bei der Pilleneinnahme oft als insgesamt gering bewertet
wird, kann man aufgrund der Menge an Verordnungen hier nicht mehr von Einzelfällen sprechen.
Schätzungen zufolge nehmen sieben Millionen Frauen in Deutschland die Pille. Selbst wenn man
das geringste Risiko (5 von 10.000 Frauen pro Jahr) zugrunde legt, würden rechnerisch 3.500
Frauen in Deutschland jährlich unter Einnahme der Pille eine Thrombose erleiden, wenn die
sieben Millionen Frauen die Pille das ganze Jahr über einnehmen. Ein solches Ereignis kann
lebensbedrohlich werden und zu lebenslangen körperlichen Beeinträchtigungen führen. Umso
kritischer müssen wir sehen, dass verschiedene Präparate verschrieben werden, die in ihrer
Wirkung gleichermaßen zuverlässig sind, aber unterschiedlich hohe Risiken haben.
Daher widmet sich der Report auch der Frage, ob die neuen Pillen der 3. und 4. Generation
wirklich ein therapeutischer Fortschritt sind. Er geht auf Nutzen und Risiken der neueren
Gestagene ein und untersucht Verordnungscharakteristika genauer.
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Statement Dr. Jens Baas, Vorsitzender des Vorstands der Techniker Krankenkasse,
zur Vorstellung des Pillenreports am 9. Oktober 2015 in Berlin
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Wir haben uns außerdem in einem Kapitel angeschaut, mit welchen Marketingstrategien die
Pharmaindustrie vor allem junge Erstanwenderinnen von ihren Produkten überzeugen will. Hier
sehen wir, dass vermeintliche Schönheitseffekte der neueren Pillen in den Vordergrund gerückt
werden. Gleichzeitig wird gezielt in Medien geworben, in denen die jungen Menschen heute
unterwegs sind: in den sozialen Netzen. Denn die Entscheidung für die Pille fällt meist im
Teenageralter, und häufig bleiben die Frauen dann über mehrere Jahre beim gleichen Präparat.
Die Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel bei Verbrauchern ist in Deutschland durch
das Heilmittelwerbegesetz verboten. Offensichtlich findet die Industrie aber Wege, um die ihre
Marketingbotschaften an die Zielgruppen zu bringen. Nahezu jeder größere Anbieter oraler
Kontrazeptiva betreibt eine Webseite zum Thema Verhütung. Es stellt sich die Frage, ob diese
Seiten der Aufklärung dienen oder ob ein ungefilterter Informationsfluss von Marketing- und
Werbebotschaften an Teenager stattfinden soll. Häufig finden sich zu den Informationen über
Verhütung noch weitere Texte und Videos zu Themen wie Beziehungen, Beauty und Lifestyle. Es
sollte geprüft werden, ob die Pille dadurch nicht mehr als verschreibungspflichtiges Medikament
wahrgenommen, sondern zu einem Lifestyleprodukt umgedeutet wird.
Hier sehen wir uns als Krankenkasse in der Pflicht. Neben dem Pillenreport bietet die TK ihren
Versicherten daher ab heute auf www.pille.tk.de eine auf junge Zielgruppen zugeschnittene
Internetseite. Außerdem setzen wir den Informationsangeboten der Pharmaindustrie auf YouTube
einen Film entgegen, der die jungen Frauen auffordern soll, sich stärker mit dem Thema zu
beschäftigen und Fragen zu stellen.
Ich möchte aber noch einmal deutlich machen, dass diese Maßnahmen ausdrücklich nicht gegen
die Pille als Verhütungsmittel gerichtet sind. Sie ist ein sicheres Arzneimittel zur
Empfängnisverhütung. Wir müssen aber darauf hinweisen, dass es unterschiedliche Produkte gibt,
die unterschiedlich hohe Risiken für Thrombosen haben. Wir hinterfragen die
Marketingbotschaften der Pharmaindustrie und wünschen uns, dass Ärzte und Frauen diese
Methoden durchschauen und eine sorgfältige Wahl für ihre Pille treffen.
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