impresso 3| 2015 Z E IT S CHR IF T FÜR Z E IT S CHR IF TENM ACHER Hier e i d t h c i r p s e d n i e m Ge Sie halten sich meis t bedeck t: Verlage, d ie im Auft rag von und in Ko operation mit den Kommune n die übe r wiegend wöchentlic h erschein e nde n Amtsblätt er heraus geben. > Seite 24 HALLO Zahlen, bitte! Der Getriebene Routine schlägt Jugend Paid Content-Modelle funktionieren, wenn der Leser einen relevanten Mehrwert geboten bekommt > Seite 10 Christian Frommert ist Mediendirektor der TSG 1899 Hoffenheim und Deutschlands bekanntester Magersüchtiger > Seite 16 Generation 50plus: In Sachen Produktivität können Ältere mit den Jungen ganz locker mithalten > Seite 34 12. Jahrgang Inhalt Nr. 3 / 2015 September 2015 Seite V E R L AG S LE I T U N G Google tut sich mit deutschen Verlagen zusammen Tut Google Gutes? 4 Paid Content kann erfolgreich sein Zahlen, bitte! 10 Porträt: Christian Frommert, Journalist und Mediendirektor Der Getriebene 16 Amtsblättern geht es gut in ihrer Nische Hier spricht die Gemeinde 24 Kolumne Die Rückeroberung der Reichweite 31 Rechts-Rath.28 Digitaler Kiosk 32 In Sachen Produktivität können Ältere gut mit den Jungen mithalten Routine schlägt Jugend 34 Schlusswort / Impressum 42 VERTRIEB R E DA K T I O N PE R S O N A L 4 V E R L AG S LE I T U N G V E R L AG S LE I T U N G 3 · 2 0 15 5 3 · 2 0 15 Google tut sich mit deutschen Verlagen zusammen Tut Google Gutes? Die DNI (Digitale News Initiative) von Google ist die zur Zeit lukrativste Lotterie für deutsche Medienhäuser. Mit der Initiative will Google den deutschen Journalismus fördern. Zu gewinnen sind bis zu 150 Millionen Euro. Und wen wundert es, immer mehr Verlage machen mit. uerst waren aus Deutschland nur die FAZ und die Zeit am Start beziehungsweise in der Arbeitsgruppe, die über das viele Geld entscheiden soll. Rasch kamen der Spiegel, die Süddeutsche Zeitung und andere dazu. Mit dabei sind auch andere europäische Zeitungen, etwa die britische Financial Times oder die spanische El Pais. Der Springer-Verlag will bis jetzt nicht mitmachen, denn der Geldsegen wird nicht von irgendeiner Losbude ausgeschüttet, sondern von keinem geringeren als Google, dem Springer seit Jahren die verlegerische Stirn bietet. Z Verteilt auf drei Jahre hat der kalifornische Internetgigant die sogenannte „Digital News Initiative“ ausgerufen. Das Innovationsprogramm steht jedem journalistischen Projekt offen. Bewerben können sich traditionelle Verlage und reine Online-Medien, Startups, aber auch einzelne Journalisten, heißt es aus der Google-Pressestelle. „Ich finde es gut, dass wir Teil so einer Arbeitsgruppe sind. Man hat sich ein bisschen verrannt in einen Krieg gegen Google. Ich war nie Teil dieses Krieges, daher kann ich da auch entspannt darFoto: Shutterstock – Composing: Nina Bauer über reden“, sagt Jochen Wegner, Leiter der Zeit-Online-Redaktion. Und weiter: „Ich fand das Gesetzgebungsverfahren, eine Lex Google, immer falsch, um sozusagen Wegezoll von Google zu verlangen, um das Verlagswesen zu erhalten. Ich finde es viel intelligenter, was jetzt passiert: Wie kann man die Zukunft bauen? Könnt Ihr da mithelfen? Wie kann man das fördern?“ Gespalten: Die Meinungen zur Kooperation mit Google Statt also wie im August 2013 besonders auf Betreiben von Springer und anderen deutschen Verlagen geschehen, das Leistungsschutzrecht in Stellung zu bringen, plädiert Wegner für Kooperation mit dem Internetgiganten. Hendrik Zörner, Pressesprecher beim Deutschen Journalisten Verband DJV, ist da ganz anderer Meinung. „Wir wissen nichts darüber, wie dieser Betrag von 150 Millionen verteilt werden soll, welche Projekte, welche Medienhäuser denn nun gefördert werden sollen? Da wird viel spekuliert und es fehlt an Fakten“, kritisiert der Sprecher der journalistischen Standesvertretung. Von Thomas Klatt, Evangelisches Journalistenbüro, Berlin 6 V E R L AG S LE I T U N G V E R L AG S LE I T U N G 3 · 2 0 15 7 3 · 2 0 15 Ein ähnliches Programm hat Google bereits 2013 in Frankreich gestartet, damals 60 Millionen Euro schwer. Jetzt pumpt der Internetgigant noch mehr Geld auf den alten Kontinent, und das bestimmt nicht, weil dahinter ein reiner Wohltätigkeitsverein stecken würde. „Google ist keine Organisation, die aus menschenfreundlichen Interessen heraus Aufklärung und Transparenz befördert, sondern es ist ein Wirtschaftskonzern“, warnt Zörner. „Da sind unglaublich viele Daten, da ist unglaublich viel Geld. Diese Google- Gewinne werden mit Inhalten angesammelt, die wir Zeitungsverleger und die Journalisten herstellen. Wir hätten doch gerne auch etwas von diesen Einnahmen gesehen“, sagt Anja Pasquay. Auch die VG Media, also die Verwertungsgesellschaft eines Großteils der deutschen Presseverleger, liegt im Rechtsstreit. Google verwendet deutsche Zeitungsinhalte als sogenannte snippets für die eigenen News-Seiten, ohne dafür zu zahlen. Geschenke macht Google natürlich nicht aus uneigennützigen Gründen Deutsche Journalisten-Vereinigungen, also den DJV oder die dju in ver.di, hat Google dabei allerdings nicht im Blick. Internetmultis machen jetzt selbst Journalismus Google ist immer dabei, in Europa bläst dem Konzern aber ein harter Wind ins Gesicht Google steckt in Europa so scheint es in einer politischen Klemme. Die EU ermittelt gegen das Unternehmen wegen möglicher Wettbewerbsverstöße. In Deutschland gibt es das Leistungsschutzrecht. Und in Frankreich gilt ein Gesetz, das Google dazu verpflichtet, die französischen Medien an den wirtschaftlichen Erlösen zu beteiligen. Kritisch sieht das auch Anja Pasquay, Pressesprecherin beim Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger BDZV. Die Mitglieder sehen sich benachteiligt, weil sie von den Google-Algorithmen nicht gleichberechtigt in der Suchmaschine gefunden werden. Die derzeit laufende Wettbewerbsbeschwerde des Verbandes auf europäischer Ebene werde daher trotz der plötzlichen Geldofferte von Google auch nicht zurückgenommen. Druck auf Google kommt etwa auch aus Österreich. So hat sich der Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) erst kürzlich gegen die Drohung gewehrt, dass der Internetriese im Falle der Einführung eines Leistungsschutzrechts für Presseverlage Google News in Österreich abdrehen will. „Googles Aussagen sind ein weiterer Beleg dafür, dass der Konzern Verlagen nicht auf Augenhöhe begegnen will, sondern Medien will, die sich seinem Geschäftsmodell willenlos unterwerfen. Wir lassen uns von Drohungen nicht einschüchtern“, sagt VÖZ-Geschäftsführer Gerald Grünberger in einer APA-Meldung. Man wolle doch nur Gutes tun – sagt Google Doch ist alles nur ein Missverständnis? Man wolle im Grunde doch nur Gutes, heißt es aus der Google-Pressestelle. So arbeite man laufend am Ausbau sogenannter Google-Mediatools für Journalisten. Hinzu kämen Trainingsprogramme für neue Methoden im Datenjournalismus sowie Partnerschaften mit journalistischen Organisationen. Namentlich genannt sind das Global Editors Network (GEN) aus Paris, das European Journalism Center (EJC) in Maastricht und die International News Media Association (INMA) aus Dallas. Nur wenn deutsche Medien digital weiterkommen wollen, sollten sie da das Google-Angebot nicht annehmen? Hendrik Zörner vom DJV mahnt zur Vorsicht: „Es wird schon viel experimentiert. Google sollte sich jetzt nicht so hinstellen, als ob es dieser 150 Millionen-Mittel bedürfe, damit sich in Europa und Deutschland im Journalismus überhaupt etwas bewegt. Der Journalismus ist bereits in Bewegung.“ Allerdings sind auch die Internet-Multis im Um- und Aufbruch. Die deutschen Verlage und Pressehäuser sehen sich einer völlig neuen Entwicklung gegenüber. Die Suchmaschinen- und Internetgiganten verwalten nicht mehr nur fremde Inhalte, sondern steigen nun selbst in den Journalismus mit ein. Neben Google hat sich etwa auch Facebook mit seinem Instant Article-Dienst auf dem umkämpften News-Markt in Stellung gebracht. Auf dem Mainzer Medien Disput in Berlin wurde jetzt über die neue Medienmacht der Internetkon- Die Digitale News Initiative von Google und Instant Article von Facebook Die DNI ist eine Initiative von Google mit europäischen Medienhäusern, um laut eigener Angabe ein „nachhaltigeres Ökosystem für Nachrichten und Innovationen im digitalen Journalismus“ zu fördern. Googles Gründungs-Partner sind Les Echos (Frankreich), FAZ (Deutschland), The Financial Times (Großbritannien), The Guardian (UK), NRC (Niederlande), La Stampa (Italien), Die Zeit (Deutschland), El Pais (Spanien), Global Editors Network (GEN), The International News Media Association (INMA) und Fotos: Shutterstock, PantherMedia European Journalism Centre (EJC). Die Ankündigung der Digital News Initiative (DNI) hat europaweit starkes Interesse ausgelöst. Eine Vielzahl von Verlagen, Organisationen und Journalisten haben sich seit Ende April 2015 mit dem Wunsch einer Beteiligung an die Gründungspartner gewandt, unter anderem Der Spiegel, die Süddeutsche Zeitung, der Tagesspiegel, Bauer Media Group, Neue Osnabrücker Zeitung, Golem.de und das Netzwerk Medientrainer. In der Schweiz ist etwa die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) zur DNI gestoßen. Facebook hat fast zeitgleich zur Google-Initiative sein neues Feature Instant Articles auf den Markt gebracht. Artikel werden nun nicht mehr nur verlinkt, sondern können direkt auf Facebook gelesen werden. Am Start des neuen Internet-Dienstes haben sich unter anderem die New York Times, der britische Guardian, NBC, die BBC, Spiegel Online und Bild beteiligt. Sie verzichten damit allerdings auf die werberelevanten Klicks auf ihren eigenen Webseiten. Dafür dürfen sie auf Facebook eigene Anzeigen schalten. 8 V E R L AG S LE I T U N G V E R L AG S LE I T U N G 3 · 2 0 15 9 3 · 2 0 15 Mit Instant Articles verlinkt Facebook nicht mehr nur auf Artikel, sonder macht sie auf Facebook lesbar zerne diskutiert. Matthias Müller von Blumencron, Chef digitale Medien bei der FAZ, sieht darin zunehmend eine Gefahr für die klassischen Medien. Redaktion: Nur noch verlängerte Werkbank? Hochprofitable Internet-Konzerne, die mühelos mehr Geld aufbringen können als die 30 größten Dax-Unternehmen zusammen, werden plötzlich selbst zu Medien. Deutsche Journalisten sollen jetzt für die Plattform mit 1,4 Milliarden Usern Content produzieren. Redaktionen würden damit aber nur noch zu einer Art verlängerter Werkbank von Facebook degradiert, befürchtet der Online-Journalist. Da gehe es um unglaubliche Datenmengen, die nicht durch Mediengesetze oder demokratisch gewählte Gremien kontrolliert würden. „Rückschauend hatten wir vorher nie solch große mediale Recherche- und Darstellungsmöglichkeiten. Noch nie vorher waren wir dank der digitalen Entwicklung so nah am Leser. Aber die fehlende Medienregulierung macht mir Gänsehaut. Apple wird jetzt journalistisch aktiv. Als erstes am Morgen wird nicht mehr Zeitung, sondern von Millionen Facebook und Whats App gelesen. Die Mediennutzung hat sich total verändert“, sagt Müller von Blumencron, und: „Die Informationen kommen vorbei gerieselt wie Blätter im Wind. Wir wissen nicht, wo sie herkommen. Und es gibt neue Player mit zweifelhaftem Hintergrund. Propagandakanälen wie Russia Today wird zunehmend geglaubt.“ Der digitale Wettbewerb der Verlage hat begonnen Damit müssten die Journalisten aber in erster Linie selbst zurechtkommen. Unter den Verlagen habe nun ein so noch nie gekannter digitaler Exzellenzwettbewerb begonnen. Allerdings würden Deutsche Leistungsschützer gegen Google Die VG Media ist die Verwertungsgesellschaft der privaten Medienunternehmen, die die Urheber- und Leistungsschutzrechte nahezu aller deutschen und mehrerer internationaler privater TV- und Radiosender vertritt. Zu den VG Media-Mitgliedern zählen unter anderen auch die VDZ-Mitglieder Springer, Burda und Funke. Die VG Media vertritt einen Großteil der deutschen Presseverleger (derzeit 230 digitale Online-Angebote) und hat allen Nutzern Lizenzverhandlungen angeboten. Die VG Media ist eine von 13 in Deutschland zugelassenen Verwertungsgesellschaften und steht unter der Aufsicht des Deutschen Patent- und Markenamtes (DPMA). Das am 1. August 2013 in Kraft getretene Leistungsschutzrecht der Presseverleger umfasst Presseerzeugnisse, die periodisch erscheinen, verlagstypische Sammlungen journalistischer Beiträge darstellen und die unter einem Titel veröffentlicht werden. Geschützt und damit vergütungspflichtig ist die Nutzung ganzer Presseerzeugnisse oder auch nur von Teilen im Internet durch gewerbliche Anbieter, wie zum Beispiel Suchmaschinen oder Newsaggregatoren. Zur unabhängigen Überprüfung der Anwendbarkeit und Angemessenheit des Tarifs hat die VG Media die Schiedsstelle beim Deutschen Patentund Markenamt angerufen. Das Ver- die Internetgiganten zuerst in die großen englischen und chinesischen Sprachräume investieren. Für Google, Facebook & Co. dürfte der relativ kleine deutsche Sprachraum weit weniger attraktiv sein. Aber er ist, so beweisen zumindest die neuesten Offerten aus Kalifornien, auf den Konzernschirmen. Den deutschen Medienunternehmen fehlten dagegen die Marktmacht und schlicht das Geld, um mit neuer Software, neuen Apps und ähnlichem mithalten zu können. „Das ist ein kulturtechnisches Problem. Wir können uns nur als deutsche Journalisten bemühen, Inseln der Glaubwürdigkeit zu bewahren oder eben neue zu schaffen“, appelliert Müller von Blumencron. Doch sollte man sich von der vermeintlichen Übermacht des neuen amerikanischen Überwachungs- und Plattformkapitalismus nicht lähmen lassen, als sei man einfach nur Opfer, warnt der Schweizer Journalist und publizistische Berater von Ringier, Frank A. Meyer. Dämonisierung führe nur zu Ohnmachtsgefühlen. Dagegen solle man als Demokraten lieber die Macht der Gesetze nutzen und sie durchsetzen. Vertrauen in Google haben nicht alle Verleger fahren der VG Media vor der Schiedsstelle beim Deutschen Patent- und Markenamt über die Anwendbarkeit und die Angemessenheit des Tarifs für die Nutzung von digitalen Presseerzeugnissen bleibt von der DNI Googles unberührt. Dieses Verfahren läuft derzeit noch. Eine Entscheidung dazu wird Ende September erwartet. im April 2015 gegen Google eine sogenannte „Mitteilung der Beschwerdepunkte“ verschickt, mit der sie dem Unternehmen vorwirft, seine Marktmacht missbraucht zu haben, indem es seinen Preisvergleichsdienst (Google Shopping) in den allgemeinen Suchergebnissen systematisch bevorzugt. Der BDZV hat zusammen mit dem Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) und anderen im Jahr 2010 bei der Europäischen Kommission eine Wettbewerbsbeschwerde gegen Google wegen eines Missbrauchs von Marktmacht eingereicht. Infolge der Beschwerde hat die Kommission Hierdurch finden Nutzer nicht mehr die für sie relevantesten Ergebnisse und die Konkurrenzfähigkeit von Wettbewerbern wird beeinträchtigt. Sollte die Kommission an ihrer Einschätzung festhalten, droht Google eine Untersagungsentscheidung mit einem Bußgeld. „Wir benehmen uns wie Kinder und glauben den neuen Heilsversprechen. Da werden Wallfahrten nach Silicon Valley gemacht. Kai Dieckmann fährt mit gegelten Haaren hin und kommt mit Vollbart und Kapuze zurück. Es ist wie eine neue Religion, eine Priesterschaft, ein Orden, ein Google-Gott. Kindisch! Als Journalist werde ich doch vermarktet und ich will dafür bezahlt werden. Wenn das durchgesetzt werden würde, sehe das mit der Marktmacht der Internetgiganten schon anders aus“, sagt Meyer. Er zumindest habe kein Vertrauen in Google, sondern nur in die Regulierungsfähigkeit der Demokratie. 10 V E R L AG S LE I T U N G V E R L AG S LE I T U N G 3 · 2 0 15 11 3 · 2 0 15 enau genommen verfolgen ZeitPaid Content-Modelle bereits seit vielen Jahrzehnten: Verlage sind damit groß geworden, dass sie ihre redaktionell aufbereiteten Inhalte an die Leser verkauft haben. Doch mit dem Siegeszug des Internets geriet dieses Geschäftsmodell ins Wanken. War es am Kiosk für jeden Leser noch selbstverständlich, für die gedruckte Ausgabe eines Titels auch sofort bezahlen zu müssen, hat sich diese Bereitschaft im Netz in Wohlgefallen aufgelöst. Und mit ihr die Vorstellung vieler Verlagsmanager, das analoge Business einfach in die digitale Welt transferieren zu können. Das Beratungsunternehmen Goetzpartners hat kürzlich eine Umfrage veröffentlicht, die zeigt, wie weit diese Geringschätzung inzwischen geht. Ein Printabo einer Zeitung ist danach den Konsumenten 45 Euro im Monat wert. Ein digitales Zeitungsabo dagegen nur noch 5,13 Euro. G schriften Paid Content kann erfolgreich sein Zahlen, Paid Content-Modelle funktionieren, wenn dem Leser ein relevanter Mehrwert geboten wird. Entscheidend für die Zahlungsbereitschaft ist aber auch das Image der Medienmarke. bitte! Die Zahlungsbereitschaft für digitale Produkte ist also gering ausgeprägt, das ist die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht: Sie ist in einem Umfang vorhanden, der groß genug ist, um darauf neue Geschäftsmodelle errichten zu können. Einfach ist dies allerdings nicht. Die Kostenlos-Kultur im Netz und die Omnipräsenz der Gratisinhalte haben das Verhalten der User geprägt. Das wollen sie nicht so ohne weiteres aufgeben. Wer also für Inhalte Geld verlangt, muss sich sicher sein, dass es diesen Content nicht wenige Maus- Foto: Shutterstock Von Helmut van Rinsum, Redaktionsbüro HvR, München 12 V E R L AG S LE I T U N G V E R L AG S LE I T U N G 3 · 2 0 15 13 3 · 2 0 15 kaum noch.“ Ähnlich Erfahrungen hat Alfons Schräder, Geschäftsführer von Heise Medien, gemacht. „Leser sind eher bereit, für tiefergehende Informationen als kurzlebige News zu bezahlen. Insbesondere der Nutzwert steht im Fokus, aber auch die Einzigartigkeit und die Verlässlichkeit der Informationsquelle sind entscheidend.“ Viele Verlage im In- und Ausland haben Paywalls hochgezogen und sie inzwischen wieder eingerissen klicks entfernt umsonst gibt. „Es reicht nicht, die bestehenden Inhalte einfach mit einem Preisschild zu versehen“, so Alexander Henschel, Managing Director bei Goetzpartners. „Die Verlage müssen Mehrwert bieten.“ Dann funktioniere es auch mit dem Paid Content in der digitalen Welt. Bezahlt wird nur für Inhalte, die wirklich nützlich sind Die Ergebnisse der Befragung decken sich mit den Erfahrungen der Verlage, von denen viele seit langem mit unterschiedlichen Paid Content-Modellen experimentieren. Sie haben Paywalls eingezogen und wieder niedergerissen, sie bieten digitale Abos mit Zusatznutzen an, sie arbeiten mit Freemium und Metered Modellen, manche bitten die User um Spenden. All diese Ansätze fruchten aber nur, wenn der Leser den Eindruck hat, dass ihn die Inhalte wirklich weiter bringen. „Konsumenten sind dann bereit für Inhalte Geld auszugeben, wenn sie einen substanziellen Mehrwert erhalten“, sagt Jonas Grashey, Head of Brand PR bei Hubert Burda Media. „Daher gibt es im News-Bereich Vorbehalte. Denn News sind in einer digitalen Welt Commodity, Exklusivität gibt es im Nachrichtengeschäft Untersuchungen bestätigen diese Einschätzungen. Für den internationalen Digital News Report 2015 wurden in Deutschland über 2000 User befragt, ob sie im vergangenen Jahr für News im Netz bezahlt hätten. Das Ergebnis: Nur sieben Prozent gaben an, für News-Inhalte oder kombinierte Print-Digital-Angebote aus dem Nachrichtenbereich Geld ausgegeben zu haben. Mit dieser Haltung bildet Deutschland so ziemlich das Schlusslicht. Stärker ist die Zurückhaltung nur noch in Großbritannien (sechs Prozent). Die investierten Summe bewegen sich ebenfalls im eher niedrigstelligen Bereich: Je nach Land werden im Monat zwischen fünf (Spanien) und 14 Euro (Großbritannien) ausgegeben. Will ein Verlag eine erfolgreiche Paid Content-Strategie im Netz fahren, muss er also mehr aufbieten als News. Dann steigt auch die Zahlungsbereitschaft, wie eine Umfrage von Survey Monkey aus dem Mai zeigt. Danach zahlen zwölf Prozent der User in Deutschland für Inhalte im Netz, was wiederum international ein Spitzenwert ist: In Großbritannien liegt dieser Wert nur bei sechs Prozent. Für einzelne Artikel gibt sogar jeder dritte Deutsche Geld aus. „Die Leser sind bereit, für journalistische Inhalte zu bezahlen, wenn diese sich vom allgemeinen Nachrichtenstrom abheben, Zusatzinformationen bieten und das aktuelle Geschehen ergänzen, vertiefen und einordnen. Dazu zählen exklusive Geschichten, Interviews, Studien oder Rankings oder Dossiers“, sagt Kerstin Jaumann, Sprecherin der Verlagsgruppe Handelsblatt. Gut würden sich vor allem Ratgeber-Literatur aus den Bereichen Geldanlage, Versicherungen oder der Green Economy verkaufen. Das Unternehmen Heise Medien experimentiert seit einigen Jahren mit den unterschiedlichsten Paid-Content-Modellen. Im vergangenen Juni wurde hier beispielsweise ein kostenpflichtiger Foto-Club gegründet. Dort findet der User Kamera- und Objektiv-Tests mir ausführlichen Messwerten, Beispielbilder rund um Fototechnik sowie eine Foto-Akademie, die mit Artikeln und Video-Tutorials Foto-Freaks anspricht. „In der Foto-Akademie verraten Profis Tricks zu Fototechniken und Bildbearbeitung“, erzählt Jürgen Rink, Chefredakteur von c’t Digitale Fotografie. „Daneben gibt es immer wieder exklusive Aktionen für Mitglieder, etwa Sonderangebote von Fotozubehör oder Rabatte für Fotokurse.“ 30 Tage Club-Mitgliedschaft kosten 4,98 Euro, 90 Tage 9,98 Euro und ein Jahr 24,98. Für den fotobegeisterten User keine großen Beträge, für den Verlag der Beleg, dass Paid Content funktionieren kann. Durch Anrisse die Artikel schmackhaft machen Als Heise im vergangenen Herbst neue Webseiten für sein Computermagazin c’t programmierte, wurde auch das Thema Paid Content neu aufgerollt. Seitdem gibt es für jeden einzelnen Artikel der Zeitschrift eine eigene Website, die intern „Steckbrief“ genannt wird. In diese Steckbriefe kann der Leser hineinlesen. Möchte er den Artikel zu Ende lesen, kann er ihn über einen Button kaufen und dazu Bonusmaterial erwerben. Abonnenten müssen sich authentifizieren und können den Artikel kostenlos herunterladen. Erfolgsfaktoren für Onlineangebote Allgemein sowie für Paid-Angebote Top 5 Erfolgsfaktoren für die Onlinenutzung allgemein KOSTENLOS VERFÜGBAR 60,1 % AKTUALITÄT/ INHALTE FRÜHER VERFÜGBAR 57,6 % ÜBERALL VERFÜGBAR 54,9 % BEQUEMER 53,0 % ZUSATZINFORMATIONEN 45,8 % Quelle: goetzpartners Konsumentenbefragung 2013 Foto: iStockphoto Top 5 Kriterien für Paid-Angebote MUSS VIELE INFORMATIONEN ERHALTEN/ HINTERGRUNDRECHERCHEN 55,6 % NUTZTBAR AUF ALLEN ENDGERÄTEN 54,8 % MUSS MICH UNTERHALTEN 51,4 % WERBEFREI 51,5 % EXKLUSIVE INHALTE 46,9 % 14 V E R L AG S LE I T U N G V E R L AG S LE I T U N G 3 · 2 0 15 15 3 · 2 0 15 „Insbesondere bei sehr exklusiven Inhalten mit hohem Nutzwert ist das Interesse der Leser groß, einzelne Artikel zu kaufen oder gleich Abonnent zu werden“, berichtet Geschäftsführer Alfons Schräder. „Der Leser bekommt auf alle Fälle durch den Anrisstext sehr schnell ein Gefühl dafür, ob sich der Kauf des Artikels oder der Abschluss eines Abos lohnt.“ Gefragt seien vor allem langlebiger Know-how-Content, ausführliche Produkttests und anschauliche Video-Tutorials. Verlage experimentieren mit unterschiedlichen Modellen Die Wirtschaftswoche bietet den Lesern für 14,99 Euro im Monat einen Digitalpass Auch bei Vogel Business Media kann der User einzelne Beiträge digital erwerben. Die Leser des Titels Kfz Betrieb können zudem wählen: Mit dem „Digital komplett“ können sie auf alle redaktionellen Fachbeiträge zugreifen, haben sie sich für „Digital select“ entschieden, können sie im Monat ein Kontingent von zehn Fachartikeln nutzen, danach kostet jeder einzelne Abruf extra. Das Fachmedium IT-Business wiederum fährt ein Mitgliederprogramm. Mitglieder haben Zugriff auf exklusive redaktionelle Beiträge und Expertenmeinungen und erhalten Vergünstigungen bei der Teilnahme an Veranstaltungen. „Außerdem“, sagt Stefan Eiselein, Leiter Vogel Future Group und Mitglied der Geschäftsleitung, „erhält der Abonnent das Print-Produkt for free.“ Die Vorzeichen haben sich hier also in der Wahrnehmung schon umgekehrt. Es ist nicht mehr das digitale Angebot, das es kostenlos obendrauf gibt. Sondern die gedruckte Zeitschrift. Die Wirtschaftswoche verfolgt ebenfalls einen clubähnlichen Gedanken. Mitte des vergangenen Jahres hat der Titel aus der Verlagsgruppe Handelsblatt den Digitalpass eingeführt. Damit kann der Leser auf alle kostenpflichtigen Angebote zugreifen, wozu das E-Magazin, das Archiv der Wirtschaftswoche, die Dossiers sowie die unterschiedlichen Apps für iPad, iPhone und Fire Phone zählen. Rund 15.000 User würden den Digitalpass nutzen, meldet der Verlag, Tendenz steigend. „Wir lassen also keine stählerne Bezahlschranke auf unsere Leserinnen und Leser niedersausen, sondern biete ein hochwertiges Zusatzangebot zu einem fairen Preis“, so Sprecherin Jaumann. „Tagesaktuelle Nachrichten sind weiterhin kostenlos verfügbar, für zusätzliche Premium-Inhalte muss dagegen bezahlt werden.“ 14,99 Euro im Monat kostet den Leser die Eintrittskarte in die Welt des digitalen Mehrwerts. Die Wirtschaftswoche fühlt sich durch die Erfolge in ihrem Kurs bestätigt, immer mal wieder was Neues zu testen. Auch künftig will der Verlag verschiedene Angebotsformen ausprobieren, Preise, Laufzeiten und Bestandteile von Paid-Content-Paketen testen. Auch die Kollegen der Zeit raten dazu, ohne Scheu immer mal wieder neue Experimente zu wagen. „Unserer Erfahrung nach wird bei dem Thema insgesamt viel zu ängstlich agiert“, sagt Enrique Tarragona, stellvertretender Geschäftsführer von Zeit Online. „Wenn ein neues Angebot, sei es eine neue Plattform, eine neue Gerätegattung oder ein neuer Shop ins Portfolio passt und mit vertretbarem technischen Aufwand zu realisieren ist, was soll den schlimmstenfalls passieren? “ Wichtig sei es, vieles auszuprobieren, aber auch den Mut zu haben, erfolglose Aktivitäten wieder zu beenden, damit die Ressourcen für neue Ideen frei werden. Die unterschiedlichen Paid-Content-Ansätze Harte Bezahlschranke: Bei diesem Modell können zahlende Abonnenten das Online-Angebot nutzen, für alle anderen ist es nicht zugänglich. Freemium: Hier sind solche Inhalte bezahlpflichtig, die aus Sicht des Verlags so exklusiv beziehungsweise nutzwertig sind, dass Nutzer bereit sind, für diese zu bezahlen; beispielsweise weil sie keine andere Möglichkeit haben, kostenlos an diesen aus ihrer Sicht relevanten Content zu kommen. Metered Model: Das Metered Model macht dem Nutzer eine bestimmte Anzahl eigentlich kostenpflichtiger Inhalte kostenlos zugänglich. Der Nutzer kann sich so ein Bild von der Qualität der Inhalte genau bei den Themen machen, die ihn interessieren. Nach Ausschöpfung des Kontingents wird zumeist zur kostenfreien Registrierung aufgerufen, die ein zusätzliches Freikontingent beinhaltet. Erst wenn der Nutzer auch die Anzahl dieser erlaubten Abrufe überschreitet, wird er zum kostenpflichtigen Abonnement aufgefordert. Spenden-Modell / Freiwillige Bezahlung: Bei der freiwilligen Bezahlung entscheidet der Nutzer selbst, ob und in welcher Höhe er für die Inhalte bezahlen möchte. Quelle: BDZV Tarragona verweist auch darauf, dass es nicht immer nur die exklusiven Informationen sein müssten, die beim User als Mehrwert gelten, für den er im Netz zu zahlen bereit ist. Manchmal ging es schlicht und einfach auch um Emotionen. Im Falle der Zeit bedeutet dies, den in Print so erfolgreichen Mix aus Informationen, Hintergrund, Meinung und Entertainment auch ins Digitale zu übertragen und dem Leser auch am Ipad ein Zeit-typisches Gefühl zu vermitteln. Tarragona: „Die Herausforderung ist es, in einer entbündelten digitalen Welt dennoch das Produkterlebnis erfahrbar zu machen.“ Erst kürzlich hat eine Studie der Beratungsagentur Bulletproof Media herausgefunden, dass die Positionierung der Plattform, ihr Image, für die Bereitschaft der User, für Inhalte zu bezahlen, ein entscheidender Faktor ist. Je bekannter die Marke, je vertrauter die Marke, desto einfacher ist es, für ihren Content auch Foto: Shutterstock Geld zu erhalten. „Das Image einer Marke ist neben der Einzigartigkeit des Content entscheidend, ob jemand im Web Geld ausgibt“, unterstreicht Alfons Schräder. „Das Internet ist voll von Informationen zu fast allen Themen, aber nicht alle Informationen sind zutreffend oder hilfreich. Daher verlassen sich insbesondere zahlungskräftige Leser mit wenig Zeit auf Informationen von starken und verlässlichen Namen.“ Die Zeit scheint im Netz von ihrem Renommee profitieren zu können. Die wöchentliche Ausgabe wird in unterschiedlichen Formaten auf nahezu allen Endgeräten angeboten, in Kürze soll es zudem eine besondere Aufbereitung für Smartphones geben. Der Lohn dieses Engagements sind 40.000 zahlende User im Monat. Das Image sei ein entscheidender Faktor, betont Enrique Tarragona. „Der Mensch trifft Kaufentscheidungen selten nach völlig rationalen Überlegungen.“ 16 V E R L AG S LE I T U N G V E R L AG S LE I T U N G 3 · 2 0 15 17 3 · 2 0 15 Porträt: Christian Frommert, Journalist und Mediendirektor Der Getriebene Christian Frommert war jahrelang Journalist, heute ist er Mediendirektor des Fußball-Bundesligisten TSG 1899 Hoffenheim – und der bekannteste Magersüchtige Deutschlands. Von Roland Karle, Freier Journalist, Neckarbischofsheim P lötzlich war das Schnitzel weg. Der grauhaarige Mann hatte es Christian Frommert einfach vom Teller stibitzt. Sein Aufruhr hielt sich in Grenzen, er war allenfalls verblüfft über den spontanen Zugriff und, ja, auch ein bisschen dankbar. Denn ungeplante Mahlzeiten, zumal fett und fleischig, bereiten ihm Stress. Wie gut also, dass Dietmar Hopp, Eigentümer des Fußball-Bundesligisten TSG 1899 Hoffenheim, bei jenem Sponsorentermin gedankenschnell reagierte und Frommert freundlicherweise beklaute. Dadurch befreite er Frommert aus drohender Erklärungsnot („Schmeckt’s Ihnen nicht? Haben Sie keinen Appetit?“). Und die auf dem Teller übrig gebliebenen Spargel waren ein verkraftbarer Kompromiss. Das Stangengemüse besteht zu mehr als 90 Prozent aus Wasser, ist arm an Kalorien – und daher keine Gefahr für Frommert. Peinlich genau achtet der 48-Jährige darauf, was und wie viel er zu sich nimmt. Von Autor Autor, Xxxxxxxxxxxxxxx Xxxxxxxxxxxxxxxxxx Xxxxxxxxxxx Foto: privat 18 V E R L AG S LE I T U N G V E R L AG S LE I T U N G 3 · 2 0 15 19 3 · 2 0 15 „Mein Körper ist weiter als der Kopf. Ich halte mich für unglaublich fett, aufgebläht wie ein Fesselballon“ Gegessen wird nur einmal am Tag, bevorzugt gegen 19 Uhr und möglichst zu Hause. Daran immerhin hält sich Frommert, lässt das Essen nicht mehr ausfallen wie früher, als er auf dem schmalen Grat zwischen Leben und Tod wandelte. Christian Frommert ist Deutschlands wohl bekanntester Magersüchtiger. In seinem Büro im Trainingszentrum des Fußballklubs gibt er sich an diesem Spätvormittag aufgeräumt und guter Stimmung. Er sieht sehr schlank aus, aber nicht besorgniserregend dünn. Es könnte trotzdem gefährlich sein, ihm mitzuteilen, dass er gut aussieht. Magersüchtige halten das für eine rohe Botschaft, knapp übersetzt: „Du bist aber fett geworden.“ Es gab Zeiten, da schloss sich Frommert nach solchen Sätzen zu Hause ein und verweigerte tagelang das Essen. Inzwischen is(s)t er weiter. Ein Fortschritt, denn: „Mein Körper ist weiter als der Kopf. Ich halte mich für unglaublich fett, aufgebläht wie ein Fesselballon“, sagt Frommert. Essen ist kein Genuss, es ist Zwang. Er muss es sich verdienen, deshalb treibt er extensiv Sport. Jeden Morgen, oft schon um 4 Uhr, legt Frommert los. Er läuft, macht Gymnastik und strampelt auf dem Hightech-Hometrainer. Manchmal stundenlang. Die tägliche Dosis hat er stets hinter sich, wenn er an seinem Arbeitsplatz eintrifft. Seinen Job erledigt er ohne Einschränkung, da geht er in die Vollen. Die TSG Hoffenheim hat gerade den Wechsel ihres Brasilianers Roberto Firmino zum FC Liverpool bekannt gegeben. Da machte auch der sonst eher im Schatten stehende Klub große Schlagzeilen: 41 Millionen Euro plus eventuelle Es sei viel zu tun, sagt Hoffenheims Direktor für Kommunikation und Medien, obwohl der Fußball noch schlummert. Die Profis haben gerade erst das Training wieder aufgenommen. Der ganz normale Wahnsinn, wie er sich während der Saison abspielt, macht noch ein bisschen Pause. Für Frommert gilt das nicht. Er arbeitet permanent an Konzepten, brütet über Ideen und überhaupt: Die Bundesliga zieht so viel Interesse auf sich, dass nicht mal in der Sommerpause richtig Ruhe eingekehrt. Dann herrscht nämlich Wechselfieber in der Liga. Wo werden die Trainer ausgetauscht, welche Spieler gehen, welche kommen? Frommert im Rampenlicht: Als Pressesprecher von T-Mobile 15 Fragen an den Mediendirektor Christian Frommert Sagen Sie mal, Herr Frommert ... Welches Buch lesen Sie gerade? „Das Goldene Kalb oder: Die Jagd nach der Million“ von Ilja Ilf und Jewgeni Petrow Mit welchen Medien beginnen Sie den Tag? Am Vorabend schon die Süddeutsche und die Bild des nächsten Tages als E-Paper, morgens Radio. Im Büro folgt dann die Lektüre des Pressespiegels. Auf welchen Internetseiten verweilen Sie am längsten? Von wem haben Sie beruflich am meisten gelernt? Ich habe immer Augen und Ohren offen gehalten, um bei meinen verschiedenen Stationen im Journalismus, der Unternehmenskommunikation sowie der Öffentlichkeitsarbeit möglichst viel aufzusaugen, positiv wie negativ. In der Konsequenz muss man seinen eigenen Weg finden und ihn gerade gehen. Facebook, Spiegel Online Was treibt Sie an? Die Leidenschaft für Kommunikation. In all ihren Ausprägungen. Die (berufliche) Entscheidung, auf die Sie besonders stolz sind? Ich empfinde weder Triumph noch Stolz oder Frustration ob einer Entscheidung. Eine klare Entscheidung nach intensiver Abwägung zu treffen, erachte ich als eine Notwendigkeit. Ihr Lieblingsberuf nach Medienmanager? So absurd es klingt: Koch Ihr Lebensmotto? Ich halte wenig davon, (s)ein Leben unter ein Motto zu stellen. Die (berufliche) Entscheidung, die Ihnen am meisten Ärger brachte? Jede Entscheidung zieht Konsequenzen nach sich, mit denen es umzugehen gilt. Die intensivste Auswirkung – auch persönlich – hatte sicherlich die Suspendierung von Jan Ullrich vor dem Start der Tour de France 2006. Ihr größtes Laster? Unzufriedenheit Die wichtigste Fähigkeit eines Mediendirektors? Verlässlichkeit, Glaubwürdigkeit, Authentizität, konzeptionelles Denken und Handeln. Was tun Sie, wenn Sie nicht arbeiten? Noch immer fällt es mir schwer, mir selbst mehr Freizeit einzuräumen. Wenn ich es mal schaffe, dann werkle ich am Haus, im Garten, lese ein Buch oder dilettiere auf der Gitarre. In welcher Stadt fühl(t)en Sie sich am wohlsten? Vancouver Ihr bislang interessantester Gesprächspartner? Ich hatte und habe das große Glück, mich privat wie beruflich mit sehr vielen ernsthaften, humorvollen, tiefgründigen, erfahrenen, neugierigen, reflektierten und facettenreichen Menschen austauschen zu dürfen. Jede Form der Kommunikation ist wertvoll und interessant, wenn sie die Oberfläche verlässt und getragen wird von Ehrlichkeit, Offenheit, Authentizität und Empathie. Welchen Wunsch wollen Sie sich unbedingt noch erfüllen? Endlich wieder genießen zu können. Die Zwänge und Rituale, die mich derzeit noch gefangen halten, abzuschütteln. Foto: privat 20 V E R L AG S LE I T U N G V E R L AG S LE I T U N G 3 · 2 0 15 21 3 · 2 0 15 hängen manchmal nur an einem Tor. „Der Sport steckt voller Emotionen“, sagt Frommert. Durch Internet und digitale Medien hat sich der Informationsstrom beschleunigt. Nie ist Sendepause, immer geht was. Wer will, kann sich jederzeit und überall informieren – und online selbst mitkommentieren. Immer nah an Promis: Hier mit dem Profiboxer Wladimir Klitschko Nachschläge bei sportlichen Erfolgen überweisen die Engländer an den Kraichgau-Club. So viel Ablöse wurde noch nie für einen Spieler aus der Bundesliga bezahlt. Hoffenheim ist in diesem Fall der Nutznießer. „Der Markt regelt den Preis“, erklärt Frommert. Einerseits. Der Direktor für Kommunikation und Medien kann aber auch verstehen, wenn solch exorbitante Summen auf Unverständnis in der Öffentlichkeit stoßen. „Ich halte die Entwicklung nicht immer für vernünftig. Aber der Fußball kennt derzeit offensichtlich kein Limit.“ Christian Frommert genießt aber auch das Mittendrin-Sein und die enorme Beachtung, die der Lieblingssport der Deutschen auf sich zieht. „Ich bin mit Leib und Seele Kommunikator“, sagt er. „Mir ist das direkte Gespräch mit Journalisten wichtig, um sich mit offenem Visier zu begegnen“ Im Ballgewerbe ist der Medienchef dabei besonders herausgefordert. Denn dort drehen sich Stimmungen von einem Spieltag zum anderen. Ein gewonnenes oder verlorenes Spiel kann vieles ändern. Sympathie oder Abneigung Dem Rausch der Geschwindigkeit können die Medien kaum widerstehen. „Da werden mitunter Themen hochgezogen und Kampagnen gefahren, nur um Klicks und Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen“, sagt Frommert. Damit einher gehen erhöhte Empörungsbereitschaft und Verrohung der Sprachsitten, findet er. „Nicht nur, aber vor allem im Sport werden die Akteure schnell zum Trottel, Versager oder Deppen abgestempelt, und vielleicht eine Woche später schon wieder zum Helden erklärt“, beklagt Frommert. „Durch die permanente Lust am Skandalisieren fehlt es an Gelassenheit und notwendiger Differenziertheit.“ Das immer höhere Tempo geht zu Lasten von Qualität und Tiefe. Ein Befund, den Christian Frommert nicht exklusiv erhebt. Und zugleich eine Tatsache, der er sich stellen muss. „Mir ist das direkte Gespräch mit Journalisten wichtig, um die Sicht der Dinge auszutauschen und sich mit offenem Visier zu begegnen“, sagt er. Etliche Journalisten hat Frommert in den Kraichgau eingeladen, damit sie dem Klub und seinen Machern begegnen, sich ein echtes Bild machen – in Nahaufnahme, nicht nur vom Hörensagen. Seit knapp zwei Jahren kümmert sich Frommert auf Direktionsebene, also direkt unterhalb der Geschäftsführung, um Kommunikation und Medien. Eine Stelle, die es vorher nicht gab – und ein Hinweis, dass hier Nachholbedarf herrschte. Mit Frommerts Verpflichtung erhoffte sich der Klub, dass sich das Ansehen der bundesweit eher mäßig Mutiger Aufklärer Zum Thema Magersucht hält Christian Frommert auch Vorträge, zum Beispiel an Schulen, um Aufklärung zu betreiben und Menschen, besonders auch Männern („Nur wenige outen sich“), Mut zu machen. Der Bayerische Rundfunk hat in der Reihe „Lebenslinien“ einen Film über Frommert gedreht: „Männlich, maßlos, magersüchtig“ (www.br.de/lebenslinien), auf Facebook äußert er sich unter „DannIssHaltWas“ zum Thema. beliebten TSG 1899 Hoffenheim verbessern würde. Zuvor hatte er dort einige Monate als Berater zugebracht und erkannt, dass der anfangs durchaus anerkannte Dorfklub zum geschmähten Emporkömmling geworden sei. Der schnelle Erfolg, der in der Herbstmeisterschaft 2008 gipfelte, habe dem Verein nicht gutgetan. „Hoffenheim war nicht mehr authentisch. Es kam zu einer Kommunikationskrise, aber es gab keine Krisenkommunikation“, sagt Frommert. Unter seiner Ägide hat sich die Zahl der Facebook-Freunde innerhalb von 15 Monaten auf rund 185.000 fast vervierfacht, auch die Zugriffe auf die gerade komplett renovierte Homepage und die Videos dort sowie auf Youtube sind nennenswert gestiegen. Das bisherige Stadionheft wird durch das monatliche Magazin Spielfeld ersetzt. „Wir haben noch viele Ideen“, kündigt Frommert an. Knapp sechs Jahre ist es her, da schaute er nicht in die Zukunft, sondern in den Abgrund. An Weihnachten 2009 hatte sich der 1,84 Meter große Mann auf 39 Kilo heruntergehungert und brach im Hauseingang zusammen. 28 Stufen trennten ihn von seiner Wohnungstür, in diesem Moment eine unüberwindbare Foto: privat Distanz. Er schaffte es gerade noch, die Nummer von DFB-Marketing-Direktor Denni Strich in sein Mobiltelefon zu tippen. Der ist ein guter Freund, einer, der da ist, wenn es brennt. Strich machte sich auf den Weg und traf auf einen hilflosen, protestierenden Notfall, den er die Treppe hinauftrug. „Mir war die Sache unendlich peinlich“, erinnert sich Frommert. Der Scham folgte ein Schwur. „Es muss aufhören. Ich fange wieder an zu essen.“ Doch Frommert schaffte es erneut, abstinent zu bleiben und seiner Vertrauten Anna, wie er die Magersucht in Anlehnung an den Fachbegriff Anorexie nennt, zu gehorchen. „Das ist das Wesen meiner Krankheit: Sie lässt nie locker, sie gewinnt immer.“ Es gibt Bilder von ihm, für jedermann im Internet zugänglich, auf denen er mit nacktem Oberkörper zu sehen ist. Knochig, ausgemergelt, krank. Als Jugendlicher war Frommert eher pummelig, wog als junger Erwachsener mal 140 Kilo, fand sich unattraktiv. Als seine damalige Freundin BUCHTIPP Ein Buch als Lebensretter Zusammen mit Autor Jens Clasen hat Christian Frommert ein Buch über seine Magersucht geschrieben: „Dann iss halt was!“ (Mosaik Verlag, 320 Seiten). Das Vorwort stammt von Ex-Nationalspieler und DFB-Teammanager Oliver Bierhoff, für den Frommert als Medienberater arbeitete. Aus Tagebuch-Aufzeichnungen von mehr als tausend Seiten entstand eine auf rund ein Drittel verdichtete Buchfassung. „Ohne das Schreiben hätte ich nicht überlebt“, sagt Frommert. Denn das Tagebuch sei für ihn wie ein Spiegel gewesen. „Ich habe darin erkannt, wie ich mein Leben herschenke.“ Noch heute isst Frommert wenig. Rohkost, Obst, Magerquark, vielleicht mal ein Süppchen. Wenn im Sommer montags und donnerstags der Eismann aufs Hoffenheimer Trainingsgelände fährt, „ist das eine echte Versuchung“, sagt er. Eine Kugel Vanille oder Stracciatella? Er lässt es dann doch lieber, denn: „Ich würde mich dafür hassen.“ 22 V E R L AG S LE I T U N G V E R L AG S LE I T U N G 3 · 2 0 15 23 3 · 2 0 15 Christian Frommert: „Printmedien brauchen den Mut, ihre Stärken zu stärken und einen Kontrapunkt zu setzen gegen die Hektik des Digitalen“ für ein Jahr nach Australien ging, speckte er ab – 60 Kilo. Er merkte, dass er mit wenig Essen auskommen kann und fand Gefallen am Dünnsein. Doch Magersucht war erstmal für viele Jahre kein Thema. Frommert arbeitete als Sportjournalist und Wirtschaftsredakteur bei der Frankfurter Rundschau (FR), wurde dann Pressesprecher von T-Mobile und machte sich später als Kommunikationsberater selbstständig. Den Weg in den Journalismus fand Frommert über den Sport. Er verfasste Spielberichte über seinen Heimatverein VfR Bürstadt und landete bei der FR, wo er volontierte, als Wirtschaftsredakteur und Chef vom Dienst arbeitete, später Geschäftsführer der Verlagstochter Main Sign wurde. An seine 15 Jahre bei der FR erinnert sich Frommert, trotz finanziell immer schwieriger werdender Umstände im Verlag, bis heute gerne. „Wir waren ein verschworener Haufen und die Rundschau für mich stets eine Herzensangelegenheit“, sagt er. Da war noch alles gut. Als Jan Ullrich 2006 wegen Dopings suspendiert wurde, war das auch für Christian Frommert ein schwerer Schlag Als Wirtschaftsjournalist schrieb Frommert damals auch über die Telekom. Die T-Aktie hatte den freien Fall angetreten, das Unternehmen stand nicht im besten Ruf, die Medien prügelten gerne mal drauf ein. Frommert findet, dass er seinerzeit „hart, aber fair berichtet“ hat. Eine Einschätzung, die Philipp Schindera offenbar teilte. Der heutige Leiter Corporate Communications der Deutschen Telekom fragte Frommert, ob er einen geeigneten Kandidaten für die Leitung der Sponsoring-Kommunikation des Konzerns wüsste. Er nannte einen Namen und hörte Schindera darauf sagen: „Falsche Antwort.“ Die Telekom wollte Frommert – und der sagte zu. Nun war er unter anderem zuständig für die Medienarbeit des T-Mobile Teams um Radstar Jan Ullrich. Eine Position im Rampenlicht. Als Ullrich 2006 einen Tag vor Beginn der Tour de France wegen Dopingverdachts suspendiert wurde, war Christian Frommert auf sämtlichen TV-Bildschirmen präsent und erklärte, Von der Magersucht gezeichnet warum. Auch wenn der Anlass eher freudlos war, so empfand der Sprecher einen enormen Bedeutungszuwachs. „Die Welt umschmeichelte mich“, beschrieb Frommert später die Zeit bei der Telekom. Als die aus dem Radsport ausstieg, schmiss auch Frommert hin und machte sich als Kommunikationsberater selbstständig. Was er bald darauf feststellte: „Die Glotze lief weiter, aber der Frommert war nicht mehr drin.“ Eine Situation, die ihm zusetzte. „Ich denke, dass man mich nur mag, wenn ich etwas dafür tue“, sagt er. Es sei sein Anspruch zu funktionieren. Nach seiner Kündigung im Sommer 2008 nahm er sich eine Auszeit und reiste für einige Wochen nach Südafrika. Es begann „die Fahrt in den Winter meines Lebens“, wie er in seinem Buch „Dann iss halt was!“ (siehe Kasten) schreibt. Aus einem gesunden Menschen wurde bald eine Gestalt aus Haut und Knochen. Als äußerst hilfreich erwies sich dabei der von ihm erfundene Frommert-Triathlon: Radfahren, Laufen, Hungern. Als sein Gewicht immer weniger und seine Krankheit immer schlimmer wurde, litt Frommert, aber er hörte nicht auf zu arbeiten. „Ich bin getrieben und definiere mich über die Arbeit.“ Diese Unruhe habe ihm geholfen, sich nicht ganz zu verlieren. Wie viel er heute wiegt, weiß er nicht. Das letzte Mal, dass er auf einer Fotos: privat Waage stand, ist fünf Jahre her. Damals machte er eine Therapie am Chiemsee, ein halbes Jahr nach seinem Zusammenbruch. 40,7 Kilo standen auf der Anzeige. Beruflich ist Frommert voll auf der Höhe. Die TSG Hoffenheim bewegt sich inzwischen in sportlich ruhigerem Fahrwasser, auch in der Image-Tabelle hat sie gepunktet. Über die beschleunigte Medienwelt denkt er viel nach, er erlebt sie ja jeden Tag. „Printmedien brauchen den Mut, ihre Stärken zu stärken und einen Kontrapunkt zu setzen gegen die Hektik des Digitalen.“ Im Wettbewerb um Aktualität ist Online nicht zu schlagen, also sollten Zeitungen sich nicht damit aufhalten, Nachrichten zu transportieren, sondern sie einzuordnen. Ob Frommert, der 15 Jahre lang leidenschaftlich Zeitung machte und sich auch mit verlegerischen Fragen beschäftigte, irgendwann dorthin zurückkehrt? „Printmedien und vor allem Zeitungen zu verändern, ihnen einen neuen Kick zu geben, das wäre eine spannende Herausforderung“, sagt er. Als Jobbewerbung ist das jedoch nicht zu verstehen. Im dauerbeschleunigten Fußball fühlt sich Frommert wohl, dort kann er seine Kommunikationsfreude ausleben. Und hat einen so fürsorglichen Chef, der ihm sogar das Schnitzel vom Teller nimmt. 24 V E R L AG S LE I T U N G V E R L AG S LE I T U N G 3 · 2 0 15 25 3 · 2 0 15 s e ht e g n r e blät t he A m t s h re r Nis c ni gut i t h c i r p s Hier e d n i e m die Ge Sie h alten sich Verla meis g e, d t bed i e e ck t : im Au und i f n Koo tr ag v p e r at on Komm ion m une n i t de n die ü wö c h ber w e n tli c ie ge n h ers A mts d c he in blät te e n d r he ra en usge b e n. HALLO Von Roland Karle, Freier Journalist, Neckarbischofsheim er Weg zum Verleger war für Linus Wittich nicht unbedingt vorgezeichnet. Einiges sprach dafür, dass er eine Karriere als Tante Emma macht. Denn zusammen mit seiner Frau Edith betrieb er Ende der 1950er Jahre im Schwarzwald einen kleinen Lebensmittelladen und eine Milchbar. Um das lokale Geschäft anzukurbeln, wollte er Werbung machen und schaffte sich eine gebrauchte Druckmaschine an. Darauf wurden Angebotszettel vervielfältigt und dann in der Umgebung verteilt. D Was als verkaufsunterstützende Maßnahme begann, entwickelte sich rasch zu einer mehrseitigen, Anzeigen und Foto: iStockphoto örtliche Informationen umfassenden Bürgerzeitung für Lützenhardt, das Schwarzwalddorf, in dem die Wittichs arbeiteten und lebten. Sie fanden Gefallen daran, aus amtlichen Bekanntmachungen, Vereinstexten und Reklame ein gedrucktes Ganzes zu machen. Nach drei Jahren gaben die Wittichs ihren Lebensmittelgeschäft an einen Nachfolger und zogen nach Bendorf am Rhein. Dort führten sie ihre Druckerei fort, expandierten schnell und landeten schließlich im rheinland-pfälzischen Höhr-Grenzhausen nahe Koblenz, wo 1977 ein neues Verlags- und Druckhaus eröffnet wurde. Dort hat die Verlagsgruppe Linus Wittich bis heute ihren Sitz. Und sie ist noch 26 V E R L AG S LE I T U N G V E R L AG S LE I T U N G 3 · 2 0 15 27 3 · 2 0 15 nicht um publizistisches Kleingemüse: Laut Expertenschätzungen gibt es in Deutschland rund 4000 werbeführende Amtsblätter. Viele gibt es schon seit Jahrzehnten. Ziel und Zweck ist, dass die Kommunen auf diese Weise ihre Informationspflicht den Bürgern gegenüber erfüllen. Weil Verwaltungen jedoch ihre Stärken im Verwalten und nicht im Verlegen haben, kümmern sich privatwirtschaftliche Medienfirmen um Redaktion, Produktion und Vertrieb der Amtsblätter und übernehmen das unternehmerische Risiko. Üblicherweise verdienen die Verlage ihr Geld durch die Werbevermarktung und einen kleineren Teil über Abonnements. Linus Wittich gründete den führenden Anbieter für lokale Informationen größer geworden, hat sich zum führenden Anbieter für lokale Informationen in Zusammenarbeit mit Kommunen entwickelt. Das Unternehmen ist heute an 13 Standorten in elf Bundesländern vertreten, beschäftigt über 900 Mitarbeiter, betreibt mehrere Druckereien und gibt über tausend Zeitungen in einer Auflage von 5,5 Millionen Exemplaren heraus. Die Branche besteht aus vielen großen Unbekannten Dennoch kennen Linus Wittich nur Interessierte und Insider. Das hemmt keineswegs den Fortgang der Geschäfte, ist jedoch bezeichnend für die Branche: Sie besteht aus etlichen großen Unbekannten, die im Auftrag von und in Kooperation mit den Kommunen meist wöchentlich erscheinende Amtsblätter herausgeben. Eine Mediengattung, die im Lokalen fest verankert ist und bei attraktiven Anzeigenpreisen eine hohe Haushaltsabdeckung erreicht. Dabei geht es Während regionale Medien wie Zeitungen und Anzeigenblätter ordentlich Werbung in eigener Sache machen, eigene Vermarktungsinitiativen starten und Studien herausgeben, beschränkt sich das Miteinander der Amtsblatt-Verlage überwiegend auf losen Austausch und vereinzelte Kooperationen. In einem gemeinsamen Verband, wie die Zeitungen im BDZV und die Anzeigenblätter im BVDA, sind sie nicht organisiert. Und Gattungsmarketing, das den Namen verdient, betreiben die lokalen Spezialisten auch nicht. Datenbank mit sämtlichen Amts- und Mitteilungsblättern aufzubauen. Denn die schöpfen ihre Chancen als Werbeträger längst nicht aus. „Gerade bei regional großflächigen Kampagnen, für die mehrere Amtsblätter relevant sind, sehe ich großes Potenzial.“ Dass größere regionale Werbungtreibende, zum Beispiel die großen Lebensmittelketten und andere Filialisten, die kommunalen Hefte bislang kaum beachten, liegt nicht nur am spröden Charme, den so manches Amtsblatt noch immer verströmt. Das größte Problem beschreibt Axel Ahlbrecht von der Düsseldorfer Agentur Crossmedia: „Werbung in Amtsblättern ist derzeit ein mühseliges Geschäft, weil es kaum gut handhabbare Planungstools gibt.“ Amtsblatt-Verlage auf einen Blick (Auswahl) Spezialisten fürs Lokale Horst Dürrschnabel Druckerei und Verlag, Elchesheim-Illingen, www.duerrschnabel.com Fieguth-Amtsblätter – SÜWE-Vertrieb & Dienstleistungen, Ludwigshafen, www.fieguth-verlag.de Krieger-Verlag, Blaufelden, www.krieger-verlag.de Krupp Verlag, Sinzig, www.kruppverlag.de Nussbaum Medien Weil der Stadt, www.nussbaummedien.de Nussbaum Medien St. Leon-Rot, www.nussbaum-slr.de Primo-Verlag Geiger, Horb am Neckar, www.primoinfo.de Rautenberg Media & Print Verlag, Troisdorf, www.rmp.de Verlagsgruppe Linus Wittich, Höhr-Grenzhausen, www.wittich.de Walter Medien, Brackenheim, www.walter.de Mediaagenturen nutzen oft nur zentrale Datenbanken Mediaagenturen, die in vielen Fällen die Werbeplanung und -platzierung für Markenartikler und große Händler übernehmen, fühlen sich selbst unter Zeit- und Auch deshalb fehlt es den Amts- und Mitteilungsblättern an Strahlkraft. Hinzukommt, dass sie oft von den Kommunen herausgegeben werden und dadurch die redaktionelle Gestaltungsfreiheit eingeengt ist. Doch es gibt genügend Beispiele, dass die Zusammenarbeit mit Verwaltungen zu publizistisch durchaus ansehnlichen Ergebnissen führt. Der Trend ist deutlich: Die „lokalen Blättchen“ werden moderner, farbiger, attraktiver. „Uns sind viele qualitativ hochwertige Amtsblätter aufgefallen“, sagt Matthias Wasmuth, Inhaber des Mediaservice Wasmuth, der den Markt gerade durchpflügt (siehe Interview). Sein Ziel ist, eine möglichst lückenlose Kostendruck und wollen umständliches Suchen nach Werbeträgern vermeiden. Sie sind es gewohnt, sich aus zentralen Datenbanken zu informieren und dann ohne Verzögerung buchen zu können. Lokale Blätter werden immer bunter und attraktiver Foto: Wittich Verlage KG, Roland Karle 28 V E R L AG S LE I T U N G V E R L AG S LE I T U N G 3 · 2 0 15 29 3 · 2 0 15 Zeitungen und Anzeigenblätter sind in dieser Hinsicht den Amtsblättern um Jahre voraus. Dabei wird leicht übersehen, dass „Amtsblätter deren beider Stärken vereinen: Sie haben eine intensive LeserBlatt-Bindung auf Grund ihrer Inhalte und genießen eine ähnlich hohe Glaubwürdigkeit wie die Zeitungen“, sagt Andreas Tews, Geschäftsführer von Nussbaum Medien St. Leon-Rot. Das Unternehmen aus der Rhein-NeckarRegion verlegt derzeit Amts- und private Mitteilungsblätter in mehr als 50 Städten und Gemeinden in einer wöchentlichen Auflage von über 220.000 Exemplaren. Das gesamte Nussbaum-Netzwerk inklusive dem größten Einzelbetrieb in Weil der Stadt kommt sogar auf eine Million Exemplare in gut 300 Kommunen und ist Marktführer in Baden-Württemberg. Stolz auf eine hohe Haushaltsabdeckung „Unsere größte Stärke ist die lokale Aussteuerung. Überall dort, wo das Geschäft ins Lokale oder sogar Sublokale geht, können Amtsblätter punkten“, betont Tews. Ähnlich wie Anzeigenblätter bieten sie eine hohe Haushaltsabdeckung. Die „liegt bei unseren „Da ist noch Platz im Markt“ Der Hamburger Mediaservice Wasmuth hat eine Datenbank für Amtsblätter aufgebaut. Geschäftsführer Matthias Wasmuth erklärt, was er damit bezweckt und warum das der Gattung einen Schub geben kann. Amtsblätter gelten nicht als sehr aufregend, sind aber im Lokalen gut vertreten und werden stark genutzt. Warum spielen sie in der Mediaplanung bislang eine ziemlich abseitige Rolle? Matthias Wasmuth: Für die regionale und lokale Planung der Mediaagenturen ist es notwendig, alle in Betracht kommenden Medien zu kennen. Dazu zählt auch die räumliche Beschreibung der entsprechenden Werbeträger. Diese Informationen sind für Amtsblätter bisher nur sehr zeitaufwändig durch Einzelrecherche zu bekommen. Der Zeit- und Kosteneinsatz steht somit bisher in keinem Verhältnis zur Verbesserung des Planungsergebnisses für den jeweiligen Kunden. Richtig ist auch: Manche Verlage haben in ihr Produkt investiert und drucken nun beispielsweise durchgängig farbig. Erkennen Sie einen Trend zur Modernisierung bei den Amtsblattverlagen? Im Rahmen unseres Projektes haben wir viele qualitativ hochwertige Amtsblätter gesehen. Aktuell planen wir in unserer Datenbank auch Leseproben oder komplette Exemplare zu hinterlegen, so dass sich die Agentur und der Werbungtreibende direkt ein Bild von der Qualität machen können. Durch ihre Lokalität und günstigen Anzeigenpreise können Amtsblätter gerade für Werbungtreibende vor Ort durchaus attraktiv sein. Wo liegt das größte Potenzial für das Segment im Werbemarkt? Das sehen wir bei regional großflächigeren Kampagnen, wo mehrere Amtsblätter relevant sind. Die Recherche ist hier durch unsere Datenbank extrem einfach geworden und so rücken die Amtsblätter für alle Werbungtreibenden in den Fokus. Sie sprechen von der bundesweiten Datenbank der Amtsblätter, die Sie aufgebaut haben. Wie lückenlos ist das Angebot? Wir haben aktuell rund 80 bis 90 Prozent aller Amtsblätter mit ihren Anzeigenpreisen und Verbreitungsdaten hinterlegt und abonnierten Amtsblättern bei rund 50 bis 70 Prozent – und damit in der Regel doppelt so hoch als jene der Tageszeitungen.“ Auch Mediaexperten erkennen die Vorzüge der kommunalen Publikationen. „Man kann sehr zielgenau mit kleineren Auflagen ohne Streuverlust planen. Und das in einem seriösen Umfeld mit relevanter örtlicher Berichterstattung“, erklärt Matthias Wasmuth. Inhaltlich grenzen sie sich von Tageszeitungen und regionalen Wochenzeitungen ab, indem sie sich ganz eindeutig auf das Lokale fokussieren. Öffentliche Bekanntmachungen und Ausschreibungen, Schul-, Kirchen- und Vereinsnachrichten sowie Werbung vervollständigen die Datenbank bis Ende 2015. Unser Ziel sind 100 Prozent. Viele Verlage haben die Chancen einer bundesweiten Datenbank erkannt und unterstützen das Projekt seit Beginn aktiv. Das sind insbesondere RMP Rautenberg Media & Print, Heimatblatt Brandenburg, Nussbaum Medien St. Leon-Rot, SÜWE/Fieguth, Horst Dürrschnabel und die komplette Linus WittichGruppe. Und wie steht es um das Interesse von Werbungtreibenden und Mediaagenturen? Deren Interesse ist sehr groß. Die Datenbank ermöglicht eine sekundenschnelle Recherche und bietet detaillierte Einblicke in Anzeigenpreise, Rabatte, DU-Angaben, Adressen. Foto: privat aus der Nachbarschaft transportieren die „Blättchen“, wie sie oft genannt werden. Vieles von dem, was in der Lokalausgabe der Zeitung keinen Platz oder keine Beachtung findet. Bürgerjournalismus wird groß geschrieben Die Amtsblätter stehen wie kaum ein anderes Medium für das Konzept des Bürgerjournalismus. Hunderte von Pressewarten, Schriftführern und sonstige mit der Öffentlichkeitsarbeit für Vereine und Institutionen beauftragte Personen liefern Inhalte. Dadurch ist ein steter Strom an aktueller Information Was hat Sie überhaupt bewogen, eine solche Datenbank aufzubauen? Unser Ziel ist es, dem Werbemarkt alle regionalen Medien mit ihren Verbreitungsgebieten und Anzeigenpreisen anzubieten. Bisher hatten wir schon Informationen über Tageszeitungen, Anzeigenblätter und Hörfunk. In diesem Jahr folgen neben den Amtsblättern noch Zeitschriften wie Stadtillustrierte und IHK-Magazine sowie Online-Angebote. Was versprechen Sie sich davon? Zukünftig wird es möglich sein, auf Knopfdruck einen Überblick über alle Medien in der Region zu erhalten inklusive der relevanten Anzeigenkosten. Einige Mediaagenturen haben eigene Planungstools und können diese nun mit unserer Datenbank befüllen. Andere nutzen die Daten direkt in unseren Online-Mediatools Planbasix und Tarifkiste. Können Amtsblätter, auch dank besserer Datenbasis und Planbarkeit, wie sie Ihre entwickelten Onlineplattformen bieten, den regionalen Zeitungen und Anzeigenblättern Marktanteile und Umsatz wegnehmen? Wir gehen davon aus, dass Amtsblätter sehr gut einen Mediaplan ergänzen können. Zeitungen und Anzeigenblätter sind gut aufgestellt, aber wir sehen bei Werbungtreibenden einen Trend, das zu bewerbende Gebiet immer besser und genauer mit Anzeigen abzudecken. Da ist definitiv Platz für Amtsblätter. Das Interview führte Roland Karle 30 V E R L AG S LE I T U N G VERTRIEB 3 · 2 0 15 3 · 2 0 15 MNE U L O K Mehr Regionales wird gewünscht Themen, über die in Anzeigenblättern mehr berichtet werden soll Thema Nennungen Berichte über Probleme in der Region 45 Lokalnachrichten 35 Veranstaltungshinweise 32 Hintergrundberichte, Reportagen aus der Region 31 Informationen zur Lokalpolitik 31 Die Rückeroberung der Reichweite Angaben in Prozent Quelle: IfD Allensbach / Studie „Lokale Welten“ (BVDA) garantiert, wenngleich die Qualitätsunterschiede beträchtlich sein können. Neu bei Nussbaum: Eine Bürger-App Der Bedeutung der Amts- und Mitteilungsblätter als lokales Medium tut das keinen Abbruch, wie eine Studie des Instituts für Demoskopie (IfD) Allensbach bestätigt (siehe Tabelle). Demnach zählen sie neben der regionalen Tageszeitung und dem Anzeigenblatt zu den drei wichtigsten Informationsquellen, wenn es um Geschehnisse aus der Umgebung geht. Crossmedia-Manager Ahlbrecht wertschätzt die hohe Akzeptanz der Amtsblätter. „Das Medium selbst ist, je nach Standort und verlegerischer Präsenz, im Lokalen stark und wird gelesen. Für den Handwerker um die Ecke, örtliche Immobilien, Gewerbe und Handel vor Ort können sich Anzeigen – meist zu günstigen Tausend-Kontakt-Preisen – durchaus auszahlen.“ Bald soll ja noch mehr gehen, wenn Wasmuths Datenbank die großen Werbungtreibenden dazu animiert, auch mal in Bad Dürkheim aktuell, den Blieskasteler Nachrichten oder der Wieslocher Woche zu inserieren. Print ist die bevorzugte Plattform und wirtschaftliche Basis der Amtsblätter und ihrer Verlage. Aber auch sie müssen sich zunehmend mit dem digitalen Wandel beschäftigen. Nussbaum Medien St. Leon-Rot zum Beispiel betreibt seit einigen Jahren das Portal Lokalmatador.de, das inhaltlich ausgebaut und auf weitere Gebiete übertragen werden soll. Zudem führt der Verlag eine „Bürger App“ ein. Sie ist nicht nur aktueller, sondern liefert Abonnenten, die bislang ausschließlich auf ihre Lokalausgabe zugreifen konnten, sämtliche Informationen aus der Region. Was wann und wo in der Timeline von Facebook erscheint, darauf haben Verlage wenig Einfluss – außer sie zahlen kräftig. Die gute alte E-Mail hingegen landet punktgenau auf dem Bildschirm der Abonnenten. Ein Plädoyer für den Newsletter. Von Patrick Priesmann, SZV, Stuttgart A ls Ray Tomlinson 1972 die sind viele von ihnen auf die Reichweite Sie gegenseitige Kommunikation in erste E-Mail verschickte, war des größten sozialen Netzwerks ange- Echtzeit, noch sind sie sekundenaktu- er sich der Tragweite seiner wiesen. Denn Reichweite bedeutet ell. Vielleicht suchen die Nutzer aber Handlung nicht bewusst. Noch Jahr- Seitenaufrufe und Seitenaufrufe be- nach etwas völlig anderem. Vielleicht zehnte später sollte seine Erfindung deuten ausgespielte legen eben jene mehr Wert auf einen der meist genutzte Dienst im Internet Werbung. Kappt Facebook die Reich- täglichen Überblick der wichtigsten sein. Selbst die großen Spam-Wellen weite, verlieren die Verlage Geld. Nachrichten, den sie zu einem festen hat sie überstanden. Nun könnte sie Viel Geld. Rhythmus erhalten. Ganz so, wie man Geld durch für Verlage eine attraktive Alternative Crossmediale Konzepte zu Facebook werden. es sonst nur von klassischen Medien, Auf der Suche nach Alternativen ha- wie der Tageszeitung oder den ben die Online-Redaktionen nun die Acht-Uhr-Nachrichten im Fernsehen Denn dessen Algorithmus bestimmt E-Mail – besser gesagt, den täglichen kennt. Wenn dem so ist, dann ist es für zunehmend darüber, was seine Nutzer E-Mail-Newsletter – wiederentdeckt. die Verlage an der Zeit umzudenken. zu sehen bekommen und was nicht. Und der Erfolg scheint ihnen Recht zu Anstelle von Social-Media Buttons Laut einem Experiment der Washing- geben. So erreichen das Handelsblatt, sollten sie Newsletter Buttons in ihre ton Post sind heute nahezu die Hälfte die Süddeutsche, Bild oder die Zeit Webseiten einbauen. Sie sollten alles aller Beiträge, die in der Facebook mit ihren Newslettern jeweils eine stol- daran setzen, ihren Nutzern die gute Timeline auftauchen, älter als ein Tag. ze sechsstellige Anzahl an Abonnen- alte E-Mail schmackhaft zu machen. Die meisten aktuellen Beiträge er- ten. Freiwillig wohlgemeint, denn kein Ein Blick über den großen Teich zeigt, scheinen überhaupt nicht auf dem Leser wird zu einem Newsletter-Abon- welches Potenzial hier schlummert. Bildschirm. nement gezwungen. Dort erreicht der tägliche Newsletter sollen Werbung ankurbeln Das Werbegeschäft soll durch Themenwelt- und crossmediale Konzepte angekurbelt werden. Auch die medienspezifische IT-Kompetenz birgt Wachstumschancen. Ob CRM- oder Content-Management-System oder die Bürger-App: Auf Know-how und Software könnten lizenziert auch andere Verlage und Unternehmen zugreifen. Nussbaum-Geschäf tsführer Tews blickt zuversichtlich nach vorne: „Wir sehen noch viel Potenzial im lokal-regionalen Markt, und zwar medienübergreifend.“ Wollen 31 Unternehmen mehr Reichweite, müssen sie dafür zahlen. Das gilt auch für Verlage. der US-amerikanischen NachrichDas Erstaunliche ist, dass E-Mail- ten-Webseite The Daily Beast mittler- Newsletter das genaue Gegenteil von weile mehr als 600.000 klickende Die jedoch trifft es besonders hart. Mit dem sind, was heutzutage vom Inter- Abonnenten. Kostenlos. ihren werbefinanzierten Webseiten net erwartet wird. Weder ermöglichen 32 R E DA K T I O N R E DA K T I O N 3 · 2 0 15 33 3 · 2 0 15 RECHTS §RATH.28 Digitaler Kiosk erlage nutzen die Artikel ihrer Printausgaben auch für ihre eigenen Online-Portale, für die eigene Online-Archivierung, für den E-Paper-Versand der Hefte wie für die Lizenzierung in den Intranet-Portalen Dritter. Nun gibt es auch Online-Nutzer, die nicht an dem gesamten Heft, sondern nur an einzelnen Artikeln Interesse haben. Dieses befriedigen von den Verlagen oder von Dritten betriebene digitale Kioske, in denen die Interessenten die Beiträge (Text und/oder Bild) in der Regel entgeltlich abrufen können. V Rechtsanwalt Dr. Michael RathGlawatz, Hamburg In unserer mehrteiligen Serie schreibt der Medienrechts experte Rath-Glawatz über knifflige Rechtsfragen aus der verlegerischen Praxis Auch mit Blick auf die digitalen Kioske ist es so, dass ein Verlag Artikel (Content) nur dann an Dritte weiterlizenzieren kann (und darf), wenn dem Verlag dafür die notwendigen Rechte ausdrücklich oder stillschweigend eingeräumt worden sind. 1. Angestellte Redakteure: Hier gilt § 12 des MTV Redakteure Zeitschriften. Die Verwendung von Print-Beiträgen der angestellten Redakteure in verlagseigenen Online-Portalen/Archiven und in den E-Paper-Ausgaben ist honorarfrei zulässig. Gem. § 12 Wenn einzelne Beiträge von Verlagen ins Internet eingestellt werden oder im digitalen Kiosk vertrieben werden, ist die Rechte-Situation nicht immer klar. Sollte sie aber sein, sonst drohen Nachforderungen. Nr. 3 MTV ist der Verlag zudem befugt, die Artikel der Redakteure an Dritte, auch im Ausland, weiter zu lizenzieren. Diese Weiterlizenzierung ist unter den Bedingungen des § 12 Nr. 7 MTV vergütungspflichtig. Unter Beachtung der vorgenannten Bedingungen dürfen die Verlage damit die Printbeiträge ihrer angestellten Redakteure auch an von Dritten betriebene digitale Kioske weiterlizenzieren. Heute ist jedem freien Mitarbeiter bekannt, dass seine für ein Printmedium verfassten Beiträge auch in dem Online-Portal des Verlages und/oder in E-Paper-Ausgaben verwendet sowie online archiviert werden. Deshalb wird in Anwendung der Zweckübertragungstheorie davon auszugehen sein, dass für die vorgenannten Nutzungen dem Verlag die erforderlichen Rechte zumindest stillschweigend (mit-) eingeräumt worden sind. 2. Freie Mitarbeiter: Es ist zunächst zu prüfen, ob und welche Rechtevereinbarungen der Verlag mit seinen freien Mitarbeitern abgeschlossen hat. Hat der freie Mitarbeiter nur die Nutzung für die Printausgabe übertragen, so ist die Einstellung des Artikels in einen digitalen Kiosk unzulässig. Ist in der Rechtevereinbarung mit dem freien Mitarbeiter keine ausdrückliche Regelung enthalten, die die Weiterlizenzierung der Artikel an Dritte für einen digitalen Kiosk regelt, oder fehlt es überhaupt an schriftlichen Vereinbarungen, so bleibt die Frage, ob man einfach von einer stillschweigenden Rechteeinräumung ausgehen kann. Ob diese zusätzliche Rechteinräumung dann auch honorarfrei erfolgt ist, oder bei Nutzung der Rechte an den freien Mitarbeiter eine Zusatzvergütung zu zahlen ist, muss gesondert entschieden werden. Maßgebend ist insoweit die Höhe des vereinbarten Honorars. Bewegt sich dies im Rahmen dessen, was üblicherweise nur für die Printrechte bezahlt wird, hat der freie Mitarbeiter Anspruch auf Nachzahlungen, wenn seine Beiträge auch weitergehend online genutzt werden. Dass Verlage dazu übergehen, die Artikel aus ihren Printprodukten in digitale Kioske einzustellen (einstellen zu lassen), ist in beFotos: Bilderbox, Privat stimmten Fachzeitschriftsegmenten schon länger Praxis. In diesen Bereichen kann dann auch von einer stillschweigenden Einwilligung des freien Mitarbeiters ausgegangen werden, dass der Verlag dessen Beitrag auch in einen digitalen Kiosk einstellen darf. Gleichwohl bleibt die Frage zu klären, wie der freie Mitarbeiter zu honorieren ist. Ist dagegen die geschäftsmäßige Vermarktung von Printartikeln aus Fachzeitschriften über digitale Kioske in dem jeweiligen Fachzeitschriftensegment noch nicht allgemein üblich, so kann man (noch) nicht von einer stillschweigenden Rechteeinräumung der freien Mitarbeiter mit Blick auf diese zusätzliche, weitergehende Nutzungsart ausgehen. Folglich benötigt man von den freien Mitarbeitern, sofern nicht bereits in den schriftlichen Vereinbarungen legitimierende Bestimmungen enthalten sind, eine ausdrückliche Einwilligung (incl. der Klärung der Honorierung). 3. Rechtemanagement: Wenn sich ein Verlag entschließt, den Printcontent automatisch auch in digitale Kioske einzustellen, so bedeutet dies, dass damit ein professionelles Rechtemanagement einhergehen muss. So soll verhindert werden, dass im Einzelfall die notwendigen Rechte fehlen und die Rechteinhaber neben Unterlassungsforderungen ihr Honorar im Wege der Lizenz a nalogie einfordern, das dann regelmäßig deutlich über dem liegen dürfte, was zu zahlen wäre, wenn man vorher die Rechte erworben hätte. Die erforderliche Sicherheit lässt sich beispielsweise in der Weise gewährleisten, indem das Hono rarbuchhaltungsprogramm so programmiert wird, dass eine Auszahlung des Honorars nur dann erfolgen kann, wenn in dem System hinterlegt ist, dass mit dem freien Mitarbeiter eine entsprechende Rechtevereinbarung abgeschlossen worden ist. 4. Fotografen, Bildagenturen: Bezogen auf Bildveröffentlichungen, die von den Verlagen in ihren Printobjekten abgedruckt worden sind, und die ebenfalls zusammen mit den Artikeln, oder aber auch getrennt, in digitale Kioske eingestellt werden sollen, gelten die vorgenannten Bedingungen. Auch hier ist zwischen den Fotos von angestellten und freien Fotografen zu unterscheiden. Wurden die Fotos von Bildagenturen bezogen, so ist ohnehin zu klären, welche Rechte zu welchen Bedingungen erworben worden sind. Ob also auch die Einstellung der Fotos in einen eigenen und/oder fremden digitalen Kiosk zulässig ist oder nicht und wie dies zu vergüten wäre. 34 PE R S O N A L PE R S O N A L 3 · 2 0 15 35 3 · 2 0 13 In Sachen Produktivität können Ältere gut mit den Jungen mithalten Routine schlägt Jugend Die Jungen sind die Fitten. Die Älteren sind langsam, oft krank und kommen mit der modernen Technik nicht zurecht. Wohl dem Arbeitgeber, der die Wahl hat – er wird jüngere Bewerber bevorzugen. Und damit womöglich einen großen Fehler machen. Denn entgegen der landläufigen Meinung können die Älteren mit den Jüngeren sehr wohl mithalten – in fast jeder Beziehung. us Sicht eines Teenagers sind 30-Jährige alt. Der 30 Jahre alte Berufsanfänger, der erst vor wenigen Jahren das Studium beendet hat, glaubt oft, die Welt stehe ihm offen. Ihm ganz allein. Er – es kann auch eine sie sein – ist deshalb komplett verwundert, dass die Korrespondentenstelle in Wien dennoch nicht an ihn, sondern an den Kollegen geht. Warum er das nicht versteht? Weil der andere doch schon 50 ist. Der bringt es doch nicht. Mehr Erklärung braucht es doch nicht, oder? A Übrigens: Diese Sicht der Dinge wiederholt sich alle paar Jahre. Der jetzt 50-Jährige, der nun die Korrespondentenstelle antritt, hat vermutlich vor 20 Jahren gedacht wie der heute 30-Jährige. Vielleicht erinnert er sich noch daran und kämpft nun mit einem unguten Gefühl, weil ihm bewusst wird, wie arrogant er damals durch die Redaktionsräume stiefelte. Foto: Shutterstock – Composing: Nina Bauer Von Doris Trapmann, Freie Journalistin, Stuttgart 36 PE R S O N A L PE R S O N A L 3 · 2 0 15 37 3 · 2 0 13 Und dann kamen die 90er Jahre. Damals herrschte der Jugendwahn. Die Chefs – Verleger oder Chefredakteure – übersprangen eine Generation, manchmal auch zwei, und hievten die Jungen auf die Posten der mittleren Ebene. Plötzlich hatten viele junge Frauen und vor allem Männer das Sagen, plötzlich bestimmten viele junge Frauen und vor allem Männer um die 30 über den Arbeitstag der Erfahreneren. Die wiederum staunten nicht schlecht. Nicht, dass nun alles besser lief. Mitnichten. Aber es wurde kein Wort darüber verloren. Wer wollte in jenen Jahren der Jugend die Kompetenz absprechen oder auch nur mangelnde Erfahrung bescheinigen? Allerdings: Es war nicht nur bei Verlagen und in den Medien so. Der Jugendwahn grassierte überall. Jedenfalls da, wo nicht generell Stellen abgebaut wurden. Dort blieben die Alten und die Chefs klagten ihr Leid, weil sie die Abteilungen nicht verjüngen durften. Schuld war der Gesetzgeber, der sozialverträglichen Arbeitsplatzabbau vorschrieb. Und heute? Die Situation beginnt sich zu wandeln. Es wachsen nicht mehr so viele Junge nach. Ob berechtigt oder nicht – Unternehmen machen sich inzwischen Gedanken darüber, ob sie auch in Zukunft noch genügend Fachkräfte bekommen. Wobei es nicht alleine um die Fachkräfte geht. Sondern auch um die Einstellung zur Arbeit, um die Frustrationstoleranz und das Engagement. Und sie fragen sich: Sind die heute 30-Jährigen letztendlich so einsatzfähig, wie es ihre Eltern noch waren. Oder sind diese jungen Leute heute schon in dem Zustand, der vor 20 Jah- „Es geht immer um beide – den Betrieb und das Individuum“ D Alexander Frevel... ...ist Forscher und Berater im Themenfeld demografischer Wandel mit den Schwerpunkten Förderung der Arbeitsbewältigungsfähigkeit (Work Ability), alternsgerechte Berufsverläufe, demografierobuste Personalpolitik. www.beratungarbeitsfaehigkeit.de er Sozialökonom Alexander Frevel sieht im demografischen Wandel eine Chance auf bessere Arbeitsbedingungen. Weit mehr als bisher nehmen die Betriebe nun die Belegschaften in den Blick. Es gehe darum, die Arbeitsfähigkeit zu erhalten. Wobei Frevel Arbeitsfähigkeit als das Verhältnis zwischen individueller Kapazität und Arbeitsanforderungen beschreibt. Junge Leute sind die Leistungsträger. Und die Älteren werden durchgeschleppt? Frevel: So etwa war die Vorstellung in den 90er-Jahren. Olympiareif sollten die Belegschaften werden. Gut gefahren sind die Unternehmen damit nicht. Denn sie haben sich nicht vergegenwärtigt, was Arbeitsfähigkeit heißt. Und was bedeutet es genau? Arbeitsfähigkeit beschreibt das Verhältnis zwischen der individuellen Kapazität und den Arbeitsanforderungen. Dabei spielen körperliche, geistige, seelische und soziale Faktoren eine Rolle, und auf der anderen Seite geht es um Arbeitszeit, Arbeitsmenge und Erholungsmöglichkeiten. Wenn all diese Faktoren zusammenpassen, spricht man von stabiler Arbeitsfähigkeit. Das hat erstmal nichts mit dem Alter zu tun. Generell wird in jedem Alter gefragt, aber bei gesundheitlichen Einschrän- kungen erst recht, was diese Person noch tun kann. Es geht darum, die Aufgabe zu finden, die zu dieser Person passt – was unter anderem der Qualifikation, den körperlichen Fähigkeiten, der Motivation entgegenkommt. Aber je älter wir werden, desto weniger können wir körperlich leisten. Ein 80-Jähriger kann weniger fest zupacken als ein 30-Jähriger. Ohne Frage ist das so. Das biologische System Mensch ist dem Verfall anheimgestellt. Unsere vollständige biologische Funktionalität erreichen wir zwischen dem 20. und dem 30. Lebensjahr. Danach lassen wir nach. Aber wie und wie schnell wir nachlassen, ist ren den Älteren nachgesagt wurde: dass sie oft krank sind, physisch und schon gar psychisch nicht belastbar, dass sie auf Veränderungen unwillig reagieren, dass sie am liebsten wollen, dass alles so bleibt wie es ist. Dass sie sich nicht weiterbilden wollen. Die Situation beginnt sich zu wandeln: Plötzlich werden die Eigenschaften der Älteren wieder mehr geschätzt Wobei gerade in Sachen Weiterbildung die Älteren (und die Gewerkschaften) ihren Teil dazu beigetragen haben, dass Beschäftigten jenseits der 45 das Unwilligkeitsimage eintätowiert wurde. Denn damals wurden Tarifverträge abgeschlossen, die besagten, dass älteren Beschäftigten jenseits der 50 keine Weiterbildungsmaßnahmen mehr zugemutet werden dürften. Wer hat sich wohl mehr über solche Wohltaten gefreut – die Unternehmen, die Beschäftigten oder die Politik? sehr individuell: Das hängt vom Lebensstil ab, ob wir ausreichend schlafen, uns anständig ernähren und auch davon, ob wir uns wohlfühlen, ob wir zufrieden sind. Vom 35./40. Lebensjahr an schwächeln unsere Sinnesorgane: Hören, Sehen, Schmecken, Riechen – das wird schlechter. Dagegen können wir auch gar nichts tun – außer Hilfsmittel verwenden wie Hörgeräte und Brillen. Die Jungen sind somit den Älteren bei der Körperkraft überlegen. Aber auf die Kraft kommt es oft nicht alleine an. Denn die Älteren haben andere Vorzüge, die die Jungen meist nicht vorweisen können – nämlich Überblickswissen, Erfahrung, Gelassenheit, die Fähigkeit, Probleme zu lösen. Mit zunehmendem Alter wachsen auch die Netzwerke der Älteren. Das alles Fotos: iStockphoto, privat sind Pfunde, mit denen die Älteren gegenüber den Jüngeren wuchern können. Muss das Unternehmen umdenken, wenn es Ältere beschäftigt? Der Betrieb muss sich die Arbeitsplätze anschauen und sich die Frage stellen: Welche Tätigkeiten kann ich Älteren anbieten? Für welche Tätigkeiten braucht man viel Wissen, viel Erfahrung, aber wenig körperliche Kraft. Zudem: Zeitdruck ist auch ein Killer für Ältere, ebenso Schichtarbeit. Das gilt aber nur für die meisten, nicht für alle. Aber: Wenn ich die Arbeit anders aufteile, dann darf die neue Aufgabe nicht mit einem Statusverlust verbunden sein. Sonst geht das schief. Es geht auch nicht um Schonarbeitsplätze – was übrigens immer ein Statusverlust ist. Es geht darum, den Zuschnitt der Stellen so zu verändern, dass sie den jeweiligen Fähigkeiten und Kompetenzen der Beschäftigten entsprechen. Und noch was: Nicht für alle Älteren steht die Bezahlung über allem. Es gibt durchaus Männer wie Frauen, die wollen lieber weniger verdienen, dafür aber zum Beispiel nicht mehr an den Wochenenden arbeiten. In den Betrieben muss es mehr Wahlmöglichkeiten geben, denn je älter wir werden, desto unterschiedlicher werden wir. Diese Unterschiedlichkeit unterscheidet die Älteren von den Jüngeren. Ein 60-Jähriger ist nicht wie der andere 60-Jährige. Die Spannungsbreite – auch was die körperliche Fitness angeht – ist enorm. 38 PE R S O N A L PE R S O N A L 3 · 2 0 15 39 3 · 2 0 13 Mit großzügigen Altersteilzeitregelungen wurden Arbeitnehmer nachhause geschickt Vor allem der Politik kam das schlechte Image der Älteren zupass. Denn sie hatte ein Problem: Viele junge Leute, die einen Arbeitsplatz suchten, aber eine schleppende Konjunktur. Deshalb sollten die Alten gehen – und wurden mit großzügigen Altersteilzeitregelungen nach Hause gelockt. Wer es wissen wollte, wusste es schon damals: Diese Regelungen kommen teuer – und werden letztendlich von den Jungen getragen, die aber vor lauter Stuhlsägen keine Zeit hatten, darüber nachzudenken, wer am Schluss bezahlt. Betriebe fangen an, sich Sorgen zu machen Wie gesagt, inzwischen sieht die Lage ein bisschen anders aus. Der eine oder andere Betrieb macht sich Sorgen. Darüber, ob er auch noch in Zukunft die Leute bekommt, die die Leserschaft und den Gewinn mehren. Jetzt ist nicht mehr die Rede von den langsamen, wenig engagierten Älteren, die dauernd krank sind. Routine schlägt Jugend – ist jetzt immer öfter zu hören. Gemeint ist damit: Wir unterschätzen die Leistungsfähig- Frühverrentung wegen psychischer Krankheiten nimmt zu. Woran liegt das? Es gibt keine Branche, in der die Beschäftigten nicht über Arbeitsdruck klagen. Ich denke, es wurde in den vergangenen Jahren zu viel Personal abgebaut, der Technikeinsatz hat nicht zu Entlastung geführt, sondern es wurde noch mehr Arbeit draufgesattelt. Die Beschäftigten müssen in der gleichen Zeit deutlich mehr schaffen. Das ist in der Wirtschaft wie im öffentlichen Dienst so. In immer mehr Branchen stapeln sich die Überlastungsanzeigen – nicht nur in den Kliniken, sondern auch im Stahlwerk und bei der Feuerwehr. Hinzu kommt: Die Beschäftigten sind gegenüber Arbeitsdruck sensibler ge- worden und die Ärzte diagnostizieren häufiger, dass die Psyche betroffen ist, wenn der Beschäftigte über Rückenprobleme klagt. Nicht umsonst sagen wir, uns ist was oder wer ins Kreuz gesprungen oder uns sitze was oder wer im Nacken. Ist hier vor allem der Betrieb gefragt? Es geht immer um beide – den Betrieb und das Individuum. Der Beschäftigte muss sich fit halten, darf keinen Raubbau an seinem Körper betreiben, er muss sich motivieren. Das Unternehmen wiederum muss für gute Arbeitsbedingungen sorgen. Meiner Erfahrung nach sind Jahresgespräche deshalb Gold wert: Hier müssen Fragen zur Sprache kom- men wie: Was kannst Du? Was willst Du? Was brauchst Du? Was hält dich gesund? Worauf bist du stolz? Was belastet Dich? Kannst und willst du diese Tätigkeit bis zur Rente ausüben? Was müsste verbessert werden? Eigentlich stellen die Antworten auf diese Fragen eine Gefährdungsbeurteilung dar: Es geht um Belastung, Beanspruchung und Verbesserungsmöglichkeiten. Wenn ich alle meine, sagen wir mal 20 Mitarbeiter, so befrage, habe ich einen klaren Fahrplan. Leider sind solche Mitarbeitergespräche immer noch selten. Und leider machen sich deshalb auch nur wenige Mitarbeiter Gedanken darüber, wie es ihnen bei der Arbeit geht und was sie genau verbessert haben möchten. keit der älteren Beschäftigten. Der Hintergrund: Zwei Ökonomen haben Daten eines Lastwagen-Werks von Mercedes aus den Jahren 2003 bis 2006 ausgewertet. Dabei verglichen sie die Produktivität von jüngeren und älteren Mitarbeitern miteinander. Sie hatten Zugriff auf die Statistiken der internen Qualitätskontrolle von Mercedes. Hier werden Fehler erfasst und nach ihrer Schwere eingestuft. Das Ergebnis: Die auch bei Arbeitsökonomen verbreitete Meinung, ältere Beschäftigte seien weniger leistungsfähig, trifft nicht zu. „Diese Ansicht können wir nicht bestätigen“, schreiben Axel Börsch-Supan und Matthias Weiss in ihrer Studie. Die durchschnittlichen Fehlerzahlen gehe vielmehr mit steigendem Alter zurück – und zwar stetig. Den Grund dafür vermuten die Forscher in der größeren Erfahrung und der daraus resultierenden Gelassenheit. Als Folge der größeren Erfahrung könnten die Älteren besser mit Stress umgehen. Und geht etwas schief, finden sie schneller den Fehler und korrigieren ihn, meinen zumindest die beiden Forscher. „In Extremsituationen, wenn man impro- Letztendlich braucht es eine andere Betriebskultur? Es geht um eine bessere Betriebskultur, exakt. Und damit geht es dann allen besser, nicht nur den Älteren. Dass die Betriebe angesichts der demografischen Entwicklung ihre Betriebskultur unter die Lupe nehmen müssen, birgt letztendlich eine große Chance. Jetzt tüfteln die Betriebe daran, wie sie die Älteren halten können. Denn ihnen gehen die Arbeitskräfte aus: Wenn die Babyboomer in Rente gehen, verschwindet innerhalb weniger Jahre ein Großteil der heute Beschäftigten. Gleichzeitig wachsen kaum Junge nach. Und wie gesagt – mit den Älteren gehen Kompetenzen und Fähigkeiten mit in Rente. Dass sich gute Arbeitsbedingungen rechnen, ist längst klar. Die Beleg- Foto: Shutterstock Eine Untersuchung bei Mercedes beweist es: visieren muss, sind ältere, erfahrenere Beschäftigte oft besser in der Lage, große Probleme zu vermeiden.“ Kurz: Durchaus möglich, dass die Jüngeren schneller arbeiten. Die Älteren aber arbeiten effektiver – was der eine oder andere jüngere Zeitgenosse mit Behäbigkeit verwechselt. Wobei eigentlich allen klar sein müsste, dass es auf das Ergebnis ankommt, nicht auf den Wirbel, der auf dem Weg dahin gemacht wird. Und so vermuten Börsch-Supan und Weiss, dass der Produktivitätsvorsprung der Älteren in der Dienstleistungsbranche noch deutlich höher ist als in der Produktion, auf die sich die schaft ist weniger oft krank, die Fluktuation ist geringer und dadurch vermindern sich auch Einarbeitungskosten. Jeder Euro, den das Unternehmen in gute Arbeitsbedingungen investiert, fließt mehrfach zurück. Die Herausforderungen des demografischen Wandels haben dazu geführt, dass die Betriebe die Belegschaften und die Arbeitsplätze in den Blick nehmen. Sie stellen sich entsprechend auf. Das heißt: Sie setzen bei den Arbeitsbedingungen an und investieren in die Rahmenbedingungen. Man kann auch sagen, wer glaubt, das nicht nötig zu haben, vermindert seine Chancen am Arbeitsmarkt, beziehungsweise er verschwindet vom Markt. Vielleicht nicht sofort – aber mittelfristig. Das Interview führte Doris Trapmann Die Fehlerzahl geht mit zunehmendem Alter der Mitarbeiter zurück 40 PE R S O N A L PE R S O N A L 3 · 2 0 15 41 3 · 2 0 13 50plus Es sollte wohl etwas Positives sein, als der Name 50plus erfunden wurde. Wirklich Positives assoziieren wir mit der Bezeichnung nicht. Man weiß: Ist von 50plus die Rede, dann geht es darum, auf die Vorzüge der Älteren aufmerksam zu machen. Beziehungsweise darauf hinzuweisen, dass sie gar nicht so viele Defizite haben, wie ihnen lange Jahre nachgesagt wurde. Oder anders ausgedrückt: Wäre einige Jahre früher nicht die Jugend über alles gelobt worden und wären nicht Menschen mit 40 schon als „älter“ eingereiht worden, niemand hätte Kampagnen im Stile 50plus gebraucht. Dann hätte niemand darauf hinweisen müssen, dass die Älteren es sind, die über jede Menge Erfahrung, langjährig gepflegte Netzwerke, Disziplin und die Bereitschaft verfügen, Verantwortung zu übernehmen. Eigenschaften, die den jüngeren Arbeitnehmern oft fehlen. Und die Älteren haben noch einen Pluspunkt: Die Familienplanung ist meist bereits abgeschlossen, die Kinder sind erwachsen. Und die Bereitschaft, mit den modernen IT- und Kommunikationsmedien umzugehen, ist meist ausgeprägter als vielfach angenommen. Dennoch: Es leuchtet ein, dass ein Unternehmen beide braucht – jüngere und ältere Beschäftigte. Auch damit Erfahrung und Wissen weitergegeben werden können. Und damit auch neuer Wind, neue Ideen ins Unternehmen kommen. Klar ist aber auch: Die Jungen sind nicht per se die Innovativen, Leistungsfähigen, Produktiven. Auch wenn das manchmal auf den ersten Blick so scheint. Besonders dann, wenn es um Veränderungen geht. Während die Jungen oft sofort starten, warten die Älteren lieber erstmal ab. Und das hat einen guten Grund: Es sind die Älteren, die vielleicht diese Veränderungen schon mehrfach mitgemacht haben – Veränderungen nach dem Motto: Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln – um mit dem neuen Chef gerade wieder reinzugehen. Kein Wunder, wenn der Enthusiasmus beim Wechsel vom Großraumbüro in kleine Zweierbüros nicht mehr so ausgeprägt ist wie damals als dieser Wechsel zum ersten Mal auf der Tagesordnung stand. Denn inzwischen wurde mehrfach hin- und hergewechselt. Das aber verstehen die Jüngeren wohl erst, wenn auch sie das Spiel „Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln“ mehrfach gespielt haben. Die Erfahrung zeigt: Die Erwartungen, die in solche Veränderungen gesetzt werden, erfüllen sich oft nicht. Daten ihrer Studie bezogen. Denn in der Regel wird in der Dienstleistungsbranche weit weniger körperliche Arbeit verlangt. In einem Punkt bleiben die Jungen den Älteren allemal überlegen – und das ist eben das Körperliche. Da können sich die Mitarbeiter noch so fit halten. Die Menschen sind rein körperlich am fittesten zwischen 20 und 30 Jahren. Dann bauen sie ab – langsam aber stetig. Wie langsam oder wie schnell das geht, hängt von den Lebensgewohnheiten wie Ernährung, Schlaf, Bewegung, Zufriedenheit ab und auch von den Genen. Und weil die Menschen höchst unterschiedlich leben und auch erst recht unterschiedliche Gene haben, altern sie unterschiedlich. Mehr noch: Mit zuneh- mendem Alter geht die Schere weit auseinander. Während kleine Kinder oft ähnlich weit sind in ihrer Entwicklung, kann ein 70-Jähriger rundum fitter sein als sein 15 Jahre jüngerer Kollege. Und das heißt: Es kommt auf den Beschäftigten an. Älter ist nicht gleich älter. Und: Dass Erfahrung und Routine Jugend schlagen, wussten auch die meisten, die in den 90er-Jahren nicht müde wurden, die Vorzüge der Jugend zu propagieren. Doch damals ging es eben um Politik, ist sich auch Alexander Frevel sicher, Forscher und Berater im Themenfeld demografischer Wandel. Heute geht es darum, die Älteren im Beruf zu halten. Welch ein Glück, dass gerade jetzt immer öfter auf Analysen wie die Mercedes-Studie eingegangen wird. 42 S C H LU S SWO R T • I M PR E S S U M 3 · 2 0 15 „Google macht Senf, Publisher die Wurst. Wenn Du keine Wurst hast, ist Senf ziemlich uninteressant.“ Thomas Lindner. Vorsitzender der Geschäftsführung. Frankfurt Allgemeine Zeitung I M PR E S S U M Herausgeber: Südwestdeutscher Zeitschriftenverleger-Verband e.V. (SZV) Hospitalstraße 22 - 24 70174 Stuttgart Tel. 0711 / 290618 Fax 0711 / 221915 [email protected] Redaktion: Michaela Schnabel (Chefredaktion) Patrick Priesmann (verantwortlich i.S.d.P.) Autoren dieser Ausgabe: Roland Karle, Thomas Klatt, Patrick Priesmann, Michael Rath-Glawatz, Helmut van Rinsum, Doris Trapmann Beiträge von Fremdautoren geben die Meinung des Verfassers und nicht unbedingt die des Verbandes wieder. Die in impresso enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Vervielfältigung und Verwertung ohne Einwilligung des SZV nicht gestattet. Bezug: impresso (Print) erscheint viermal jährlich als Mitgliederzeitschrift exklusiv für Mitglieder des SZV sowie für ausgewählte Meinungsbildner der Branche. Layout und Produktion: Gerhard Typo und Design GmbH, Königsallee 35, 71638 Ludwigsburg Druck: Göhring Druck GmbH, Seewiesenstraße 27, 71334 Waiblingen
© Copyright 2024 ExpyDoc