geist.voll - Erzdiözese Wien

geist.voll
1/2015
ISSN 1815-4859
spirituell | orientierend | praktisch
10 Jahre
ll
geist.vo
Taufe
als Tür in die Christusbeziehung
gesalbt zum Priester, König und Propheten
ökumenische Bedeutung der Taufe
Täuferbewegung
Erzdiözese Wien
geist_voll_1_2015_v2_4.indd 1
09.03.2015 13:12:05
Inhalt
„TAUFE“
04 Michael Hardt
Taufe als die Tür zum Leben in der Christusbeziehung
08 Peter Hundertmark
Aus der Taufe Priester, König und Prophet
12 Dietmar W. Winkler
Vom Konflikt zur Annäherung: Die ökumenische Bedeutung der Taufe
15 Johannes Sinabell
Warum die Täuferbewegung die Säuglingstaufe ablehnt
18 Weiterführende Hinweise
Spiritualität konkret
19 Wolfgang Jung
Kaffeetrinken mit Jesus
Ignatius verstehen
20 Anton Witwer SJ
Bei achttägigen Exerzitien Ignatius in der Anwendung richtig verstehen –
Teil 1
Gegenargument
22 Theresia Heimerl
„Menschen, die Gott Opfer bringen, schädigen sich! Das kann ja nicht
der Sinn einer Religion sein…“
24aufgefunden
Impressum
Titel: „geist.voll spirituell. orientierend. praktisch“; Medieninhaber (Verleger): Erzdiözese Wien,
A-1010 Wien, Wollzeile 2; Herausgeber: Pastoralamt – Erzdiözese Wien, Referat für Spiritualität
Redaktion: Dr. Beate Mayerhofer-Schöpf, P. Anton Aigner SJ, P. Dr. Thomas Neulinger SJ; alle: 1010 Wien,
Stephanspl. 6/1/5/Zi. 554; Tel. (01) 515 52-3309, Fax: -2371; [email protected], Homepage: www.erzdioezese-wien.at/geistvoll
Gestaltung: Peter List; Coverfoto: © robert - Fotolia.com; Druck: Netinsert, 1220 Wien | Erscheint viermal jährlich,
Jahresabo s 12/ Einzelheft s 3; Offenlegung: Die Zeitschrift „geist.voll“ dient sowohl der theologischen und praxisbezogenen Information über die Ignatianischen Exerzitien und über andere Formen der Spiritualität als auch der
Auseinandersetzung damit.
Einzahlungen und Zuwendungen auf das Bankhaus Schelhammer & Schattera: Kto. Nr. 100453, BLZ 19190,
IBAN: AT30 1919 0000 00100453, BIC: BSSWATWW, „Kostenstelle 2091“
2
geist_voll_1_2015_v2_4.indd 2
09.03.2015 13:12:05
10 Jahre geist.voll
Liebe Leserinnen und Leser!
Mit der aktuellen Ausgabe blicken wir
auf die ersten zehn Jahre der Zeitschrift
geist.voll zurück! Aber wie hat alles angefangen? Dazu müssen wir viele Jahrzehnte zurückgehen…
Wir schreiben das Jahr 1968. Der damalige Leiter des Exerzitienwerkes der
Erzdiözese Wien, P. Anton Gamper SJ,
schreibt in seinem Vorwort zur ersten
Ausgabe der Zeitschrift „experiment“:
„Unser Mitteilungsblatt tritt in sein 21.
Lebensjahr ein. Es erschien 1948 erstmalig unter dem Titel ‚Aus der Exerzitienbewegung‘, dann unter dem Namen
‚Bereitet den Weg‘; jetzt versucht es
seinen Weg als ‚experiment‘. … Das ‚experiment‘ möchte allen, die Exerzitien
gemacht haben, Anregungen zur Vertiefung ihrer Spiritualität geben, den
Exerzitienleitern aber Informationen
über die Entwicklung auf diesem Gebiet
und Handreichung für die Praxis.“
2005 war es dann wieder Zeit für
eine Veränderung: Aus ‚experiment‘
wurde ‚geist.voll‘. Der neue Untertitel
„spirituell.orientierend.praktisch“ ist
Programm. Der Schwerpunkt der ignatianischen Spiritualität bleibt erhalten,
zugleich möchte die Schrift angesichts
zunehmender Unübersichtlichkeit in
der postmodernen Gesellschaft Orientierung und Praxishilfe bieten. Leitend
für das Redaktionsteam sind die Fragen:
Wie kann ich die Bedeutung der Glaubensinhalte für mein Leben tiefer verstehen? Wie ist die Welt im Licht des
Glaubens besser zu begreifen? Auf welche Weise kann ich meinen christlichen
Glauben intellektuell verantworten?
Was hilft dem Einzelnen, die unterschiedlichen Lebensbereiche und Rollen
zu verbinden? Was unterstützt, ganz
praktisch gesehen, die Gestaltung der
Beziehung zu Gott, zu den Menschen,
zu mir und zur Welt?
Wir hoffen, dass die einzelnen Themenhefte und die Rubriken „Gegenargument“, „Ignatius verstehen“ sowie
„Spiritualität konkret“ dazu eine Hilfe
sein können.
Danke für Ihr Interesse bisher! Wir setzen weiterhin unsere Kräfte ein, damit
„geist.voll“ eine Hilfe und Inspiration
sein kann!
Ihr Redaktionsteam
P. Dr. Anton Aigner SJ
Dr. Beate Mayerhofer-Schöpf
P. Dr. Thomas Neulinger SJ
(v. l. n. r.)
PS: Es hat übrigens auch eine Veränderung bei uns im Pastoralamt Wien gegeben:
unser Referat trägt nicht mehr den Namen „Förderung Geistlichen Lebens“, sondern
nennt sich seit Anfang des Jahres „Referat für Spiritualität“.
Vorschau: Thema der kommenden Ausgabe Zivilcourage
geist_voll_1_2015_v2_4.indd 3
3
09.03.2015 13:12:06
Dr. Peter Hundertmark
ist Pastoralreferent im Bistum Speyer, verantwortlich für
Spirituelle Begleitung und das Exerzitienwerk.
Aus der Taufe Priester, König und
Prophet
Geschätzte 2,2 Milliarden Königinnen
und Könige – und nirgends ein Untertan. Ebenso viele Prophetinnen und
Propheten. Priesterinnen und Priester machen 100% in den christlichen
Kirchen aus. Das kann so nicht gemeint
sein, sagt der gesunde Menschenverstand. Doch, erwidert der Theologe und
hat ein Problem. Denn beides stimmt:
Das Christentum kennt nur einen Priester, König und Propheten – Jesus, den
Gesalbten Gottes (Christus). Zugleich
werden alle Getauften in der gleichen
Weise gesalbt und nehmen so Teil an
der Würde und am Auftrag Christi –
Priester zu sein, König und Prophet.
KÖNIGSHERRSCHAFT GOTTES
Könige scheinen wenig mit dem Leben
aus dem Evangelium zu tun zu haben.
Die Bedeutung wird sichtbarer, wenn
das griechische Wort hinter dem deutschen „Reich Gottes“ zu klingen kommt.
Im Neuen Testament ist von der Basileia
die Rede, von der Königsherrschaft Gottes. Jesus greift dabei auf Jesaja zurück.
Die Königsherrschaft Gottes ist da, wo
ein friedvolles, gerechtes Miteinander
der Menschen und der Natur gelingt.
„Dann wohnt der Wolf beim Lamm …
Man tut nichts Böses mehr und begeht
kein Verbrechen auf meinem ganzen
heiligen Berg; denn das Land ist erfüllt
von der Erkenntnis des Herrn… (Jes 11,
6-9)“ Dann leben die Menschen und die
ganze Schöpfung nach der Vision Gottes. So entsprechen sie seinem Willen
und finden gelingendes Leben „in Fülle“
(Joh 10,10). Diese Königsherrschaft
Gottes kündigt Jesus an. Seine Jünger
bekennen ihn nach der Auferstehung
als den König dieser Königsherrschaft.
Dieser Königsherrschaft sind die Christen in ihrem Königtum unbedingt verpflichtet. „Euch aber muss es zuerst um
Gottes Königsherrschaft und um seine
Gerechtigkeit gehen; dann wird euch
alles andere dazugegeben (Mt 6, 33).“
MITVERANTWORTLICH
Bei dem Wort „König“ klingen Aspekte von Macht, von Herrschaft und
8
geist_voll_1_2015_v2_4.indd 8
09.03.2015 13:12:07
Verantwortung an. Die Könige Israels
haben, zumindest theoretisch, den
dritten Aspekt immer in den Vordergrund gerückt. Wenn vom Königtum
der Getauften die Rede ist, geht es
zuerst um Verantwortung. Sie sind
mit Christus mitverantwortlich für die
Königsherrschaft Gottes. Sie stehen in
der Verantwortung für ihre Welt – für
ihr gesellschaftliches Umfeld, aber auch
für die Umwelt. Artenschutz, Klimawandel, gerechte Verteilung der Lasten
wie der Ressourcen unter den Völkern,
ein Leben in Würde, Gerechtigkeit und
Freiheit für alle Menschen, sind aktuelle
Themen ihres geistlichen Königtums.
Auch die „kleineren“ Dinge, zu denen
jede und jeder direkt etwas beitragen
kann, sind Ausdruck dieses Königtums:
Gefangene und Kranke besuchen, Hungernde nähren, Obdachlose und Fremde
aufnehmen… (Mt 25).
Zum „König“ gesalbt zu sein bedeutet
nicht, Herr über andere zu sein, denn es
gibt in der Königsherrschaft Gottes keine Untertanen. Aber die Christen sind
Herrin und Herr im eigenen Leben, auch
im eigenen geistlichen Leben. Niemand
hat über die getaufte und gesalbte
Christin, den Christen, zu verfügen. Das
wäre ein geistlicher Missbrauch, der
die Grundlagen des Glaubens zerstört.
Umgekehrt ist die Verantwortung für
das eigene (geistliche) Leben aber auch
nicht delegierbar. Dabei ist zu beachten,
dass die Christen nicht als Einzelne zu
Königen gesalbt werden. Ihr Königtum
ist Anteil am geistlichen Königtum
Christi – und es ist ein Anteil, den sie
gemeinsam haben. Erst als „gemeinsames Königtum“ - als Kirche - wird
es fruchtbar. Auch die Verantwortung
jeder Christin und jedes Christen für
Kirche ist nicht delegierbar. Gemeinsam
bewahren die Christen Kirche als Raum,
in dem sie ihre Berufung leben, aber
auch als Ort der Freiheit, der sie in ihrem
Königtum über das eigene Leben stärkt
und respektiert. Durch ihr gemeinsames Königtum leben Christen Kirche
zudem als starkes Instrument, um ihrer
Verantwortung für die Königsherrschaft
nach zu kommen. Da taucht dann auch
der bisher vernachlässigte Aspekt der
„königlichen“ Macht auf. Ein Drittel der
Menschheit hat es durchaus mit in der
Hand, ob diese Welt ein Ort der wachsenden Königsherrschaft Gottes ist.
GESALBT ZUM PROPHETEN
Ganz aus der alltäglichen Praxis der
Kirche ausgewandert scheint das Wort
„Prophet“ zu sein. Propheten, sind das
nicht die wort- und zeichengewaltigen
Prediger des Alten Testamentes mit
einem Sonderwissen über die Zukunft?
„Ich bin doch kein Prophet“, sagen wir,
um auszudrücken, dass wir etwas nicht
wissen können. Ich bin kein Prophet –
„Doch!“ sagt die Taufe, jede Christin, jeder Christ ist dazu mit Chrisam gesalbt.
Ein Blick in die Heilige Schrift: „Wenn
ich aber mit dir rede, werde ich deinen
Mund öffnen. Dann sag zu ihnen: So
spricht Gott, der Herr (Ez 3,27).“ Ein Pro-
9
geist_voll_1_2015_v2_4.indd 9
09.03.2015 13:12:07
phet, eine Prophetin ist zuerst der- oder
diejenige, die auf Gottes Wort hinhört,
die lauscht, achtsam ist, ausgerichtet
ist auf Gott, der sich mitteilt. Modern
würden wir sagen, ein Prophet ist ein
Spiritueller, ein Gottsucher.
WORTE GOTTES WEITERSAGEN
Der Christ, die Christin ist jedoch nicht
Endstation der Mitteilung Gottes,
empfängt nicht für sich selbst. Wie
die Brunnenschale geben sie, was sich
in ihnen gesammelt hat: Erfahrung
mit Gottes Zuwendung, Erfahrungen
mit tastender Suche und atemlosem
Horchen, mit Verlust und gefunden
werden. Propheten reden von dem, was
sie empfangen haben. Sie sagen es in
eigenen Worten und mit den Möglichkeiten ihrer Zeit, aber sie sagen Worte
Gottes für ihre Mitmenschen. Damit
das aber nicht banal ist, hilfloses Gutmenschentum und völlig losgelöst von
ernstzunehmenden Lösungen, gehört
zum Prophetentum der klare Blick für
die Bedingungen und Zusammenhänge.
Propheten sehen, verstehen und wissen
aus ihrer Erfahrung mit Gott zu deuten,
was um sie herum geschieht. Das macht
sie nicht beliebt, aber ihr Prophetentum
ist nicht beliebig. Es ist auf sie gelegt.
Sie müssen reden. Sie müssen Missstände anprangern. Sie müssen den Finger
in die Wunde legen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass der
Einzelne dabei immer wieder irrt, liegt
nahe 100%. Auch das Prophetentum
der Christinnen und Christen kann
nur gemeinsam ausgeübt werden – es
ist gemeinsames Prophetentum. Die
eigene Meinung – in säkularen, wie in
spirituellen Dingen – ist dabei so wenig
delegierbar wie die eigene Erfahrung.
Aber erst im Konzert der Meinungen
und Erfahrungen schwingt sich das
Leitmotiv des prophetischen Wortes
aus der Vielstimmigkeit auf. Die Basis
des gemeinsamen Prophetentums ist
deshalb der offene Dialog, der Austausch auf Augenhöhe, das Glaubensgespräch unter Glaubensgeschwistern.
Dieser Dialog umfasst dabei virtuell
alle lebenden Christinnen und Christen.
Aber der Dialog der Prophetinnen und
Propheten greift auch über die Zeiten
zurück bis in die Anfänge des Volkes
Israel, zurück in die Zeit der Apostel,
zurück in die zweitausend Jahre Glaubensgespräch und Verkündigung in der
Kirche. Was alle gemeinsam glauben,
darin aber kann das Gottesvolk nicht
irren. Der Glaubenssinn der Christinnen
und Christen bezieht sich nicht nur auf
theologische Überzeugungen, sondern
auch auf ihr prophetisches Wort in die
Gesellschaft hinein. Wenn Christinnen und Christen überall und immer
dafür einstehen, dass jedes menschliche Leben, jede Frau und jeder Mann,
Würde und Wert von Gott her hat,
dann können sie darin nicht irren, auch
wenn ihnen dieses prophetische Wort
nicht selten übel angekreidet wird. Das
Schicksal der Propheten ist keineswegs
nur Vergangenheit.
10
geist_voll_1_2015_v2_4.indd 10
09.03.2015 13:12:07
HINGABE
Das Schicksal der Propheten ist das
Schicksal Jesu. Er gab sein Leben
für sein prophetisches Wort. Diese
Hingabe an Gott und für seine Menschenschwestern und -brüder ist ein
wesentliches Element des Priestertums
Christi. Er ist Gabe und Geber zugleich.
Er gibt nicht etwas von sich, sondern
sich selbst. Er behält nichts für sich zurück. Und genau so ist er der Heiland,
der Retter des Menschengeschlechts,
so schafft er Versöhnung. Sein Leben
ist Gottesdienst – ob er heilt oder
predigt oder isst oder ausruht oder
Gastfreundschaft genießt oder in der
Auseinandersetzung steht oder betet
oder als Zimmermann arbeitet oder
eine Hochzeit besucht. Alles in ihm
ist ausgerichtet auf Gott und seinen
Dienst an den Menschen und der
Schöpfung.
Die Ausrichtung auf Gott und die Hingabe an die Menschen stehen auch im
Zentrum des Priestertums der Christinnen und Christen. Die Priesterinnen
und Priester des gemeinsamen Priestertums sind Mittler und Werkzeug
zwischen Gott und seiner Sendung, die
er sich für seine Welt gegeben hat: Befreiung, Vergebung und Versöhnung,
Heil(ig)ung, Verbindung mit Gott und
untereinander, Leben in Fülle für alle.
Auf der einen Seite ist jede und jeder
Hausgenosse Gottes, Vertraute und
Vertrauter Gottes, mit freiem Zugang
und familiärem Umgang (Eph 2,19). Sie
sind Frauen und Männer Gottes. Auf
der anderen Seite sind sie eine Gabe
Gottes an die Welt, stehen sie in der
Sendung und im Auftrag Christi. Ihr
Priestertum leben sie als Hingabe an
die Menschengeschwister und die geschundene Schöpfung und treten so in
die Lebensgabe des einen Hohenpriesters Jesus Christus (Hebr 5,8-10) ein.
Vor Schmerz und Scheitern fürchten
sie sich wie alle Menschen. Wie alle
möchten sie gut und sicher leben. Aber
sie wissen um den Weg der Erlösung,
den Weg des Gottesknechtes, den Weg
der Passion. Die Priesterinnen und
Priester des gemeinsamen Priestertums leben mit Passion – in beiden
Bedeutungen des Wortes. Die Passion
Gottes zu leben, ist ihr Priestertum. Sie
leben priesterlich, ob sie „wachen oder
schlafen“ (1 Thess 5,10), ob sie im Büro
arbeiten oder auf den Feldern, ob sie
essen, beten, lachen, Kinder erziehen,
Sport treiben, pflegen, Besuche machen, spielen – ob sie religiöse Vokabeln benutzen oder nicht. Aber indem
sie aus ihrer Taufe leben, leben sie
Wandlung, geben sie ihren Körper für
die leibliche Gegenwart Christi, leben
sie eucharistisch, sind sie Eucharistie.
Und wieder ist es ihnen gemeinsam
anvertraut. Nur gemeinsam sind sie
Leib Christi. Vom Einzelnen so etwas zu
behaupten, wäre ein Fall für die Psychiatrie. Der Leib Christi ist gemeinschaftlich. Deshalb schaffen die Christen
Gemeinschaften, Vereine, Gemeinden,
Orden… leben sie Freundschaft mit
dem Herrn und untereinander.
11
geist_voll_1_2015_v2_4.indd 11
09.03.2015 13:12:07