Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 08.02.2016 Seite: Ressort: Seitentitel: 24 Wirtschaft Unternehmen Ausgabe: Hauptausgabe Die Weltmarktführer von morgen Die Ideen von 6000 deutschen Start-ups sollen helfen, den Standort Deutschland zu sichern. Viele von ihnen verkaufen schon etwas, manche setzen auch schon Millionenbeträge um. Die meisten Start-ups entwickeln sich aber noch - und fast alle müssen noch Verluste hinnehmen. Von Georg Giersberg FRANKFURT, 7. Februar Die Szene der Jungunternehmen - auf Neudeutsch Start-ups - ist auch hierzulande lebendiger denn je. Gründungen, Übernahmen und Finanzierungsrunden überschlagen sich. Spotcap, das neueste Fintech-Start-up aus dem Haus Rocket Internet, hat gerade bei Investoren 31,5 Millionen Euro eingesammelt. Die Finanzierungsrunde für das Berliner Unternehmen wird von dem strategischen Investor Finstar Financial Group angeführt. Ebenfalls beteiligt ist der deutsche Risikokapitalgeber Holtzbrinck Ventures. Mit dem neuen Geld werde Spotcap sein Angebot an Unternehmenskrediten in Spanien, den Niederlanden und Australien ausbauen und seine globale Expansion fortsetzen. Das im Jahr 2014 zunächst in Spanien gegründete Unternehmen beschäftigt heute 70 Mitarbeiter. Ganz auf Expansion hat auch die German Startups Group Berlin GmbH & Co. KGaA geschaltet. Sie ist - nach Rocket Internet der Samwer-Brüder der zweitgrößte Risikokapitalgeber hierzulande. German Startups hält derzeit Minderheitsbeteiligungen an 42 Jungunternehmen, deren Produkte neu sind und deren Gründern man die unternehmerischen Fähigkeiten zutraut, schnelles Wachstum und Gewinne zu generieren. Denn jung heißt nicht zwingend verlustreich. "Die German Startups Group ist seit ihrem ersten vollen Geschäftsjahr, also seit 2013, profitabel", sagt der Gründer und Vorstandsvorsitzende Christoph Gerlinger. Im vergangenen Jahr hat sich der Nettogewinn mit 3,8 Millionen Euro gegenüber dem Vorjahr (1,4 Millionen Euro) mehr als verdoppelt. Mit Exozet ist auch die einzige Mehrheitsbeteiligung von German Startups in die Gewinnzone gekommen. Exozet, eine Agentur für digitale Trans- formation, arbeitet für Unternehmen aus den Branchen Medien, Unterhaltung, Markenartikelindustrie, Start-ups, Banken, Telekommunikation sowie für öffentliche Auftraggeber. Mit 133 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Berlin, Potsdam-Babelsberg und Wien berät und gestaltet sie seit dem Jahr 1996 den digitalen Wandel von Axel Springer, BBC, Red Bull, Audi oder der Deutschen Telekom. Von Gewinn wollen die vielen jungen Online-Händler und Online-Dienstleister trotz bemerkenswerter Expansion häufig nicht einmal sprechen. Sie investieren erst einmal in das schnelle Wachstum. Der größte Aufkäufer gebrauchter Bücher, CDs und Textilien, Momox (1000 Mitarbeiter), hat sich seit dem Jahr 2006 zu einem Jahresumsatz von mehr als 100 Millionen Euro hochgearbeitet. Home 24 (1200 Mitarbeiter) wird von vielen Möbelkunden schon längst als etablierter Anbieter empfunden. Dabei ist das Unternehmen, das heute mehr als 200 Millionen Euro im Jahr umsetzt, erst seit 2010 am Markt. Der Büroservice "Service Partner One" hat in weniger als einem Jahr schon 40 Mitarbeiter und will bis 2019 auf 100 Millionen Euro Vermittlungsumsatz kommen (F.A.Z. vom 18. Januar). So schnell geht es in anderen Bereichen nicht. Vielfach werden Jungunternehmen gegründet, die noch lange an ihrem Produkt forschen und entwickeln müssen. Diese Unternehmen hangeln sich dann häufig mangels Umsatzes von Förderpreis zu Förderpreis. Nach einer Erhebung des Internetportals Für-Gründer.de, an dem auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung beteiligt ist, wurden im Jahr 2015 in 145 Gründerwettbewerben fast 1000 Auszeichnungen verliehen, mit denen ein Preisgeld von insgesamt 2,9 Millionen Euro verbunden war. Das Portal hat allein aufgrund der Beurtei- lung durch die Preisjurys die erfolgreichsten unter den 810 Preisträgern ausgewählt. Überraschend dabei: Die ersten Ränge gehen nicht nach Berlin, der wichtigsten deutschen Gründerregion. Gemessen an den Preisen, sind bayerische Start-ups ganz vorn. Das ist verständlich, wenn man berücksichtigt, dass die meisten regional ausgerichteten Wettbewerbe in Bayern stattfinden. Allein 90 der 145 deutschen Gründerwettbewerbe sind nur darauf aus, regionale Jungunternehmen auszuzeichnen. Der mit mehr als 200000 Euro Gesamtsumme höchstdotierte Preis ist der vom Bundeswirtschaftsministerium ausgerichtete Gründerwettbewerb IKT, gefolgt vom Cebit Innovation Award, den das Bundesministerium für Bildung und Forschung und die Hannoversche Computermesse Cebit verleihen. Es folgen der Innovationspreis Thüringen, an dem das Land beteiligt ist, und der Step Award, der vor allem von Unternehmen (Commerzbank, Deutsche Börse, Fiagon, PWC, Sanofi und andere) getragen wird, aber auch vom Land Hessen und der Stadt Frankfurt. Die meisten der 145 Preise zeichnen Ideen- und Start-up-Phasen aus, also die beiden ersten Phasen eines neuen Unternehmens, während die Risikokapitalgeber eher in die Wachstumsphase investieren. So hatten zehn der 50 höchstdotierten Preisträger bei der Preisverleihung noch gar kein Unternehmen gegründet, sondern nur eine Idee davon, was sie machen möchten. Am zukunftsträchtigsten erschien den Juroren im vergangenen Jahr die ioxp GmbH, Kaiserslautern. Es handelt sich um eine Ausgründung aus dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz. Das junge Unternehmen mit seinen vier Personen entwickelt eine Software, die technische Dokumentationen aus Videoaufnahmen entwickelt. Damit lassen sich über Datenbrillen abrufbare Bedienungsanleitungen aus Videoaufnahmen entwickeln. Das Unternehmen bekam vier Preise mit zusammen 49 500 Euro Preisgeld. Die Software soll in diesem Jahr erstmals verkauft werden. Drei Preise (und daher nur auf Rang zwei), aber mit zusammen 71 000 Euro, konnte im vergangenen Jahr das nordrhein-westfälische Unternehmen Membrasenz abräumen. Diese Ausgründung aus der Ruhr-Universität Bochum entwickelt Membrane, um hochwertigen Wasserstoff herstellen zu können. In der Medizintechnik ist der dritterfolgreichste Preisträger unterwegs. Das mecklenburgisch-vorpommersche Unternehmen Coldplasmatech (Entwickler eines speziellen Pflasters für chronische und offene Wunden aus Greifswald) bekam zwar nur 27 500 Euro, wurde aber in drei Wettbewerben fünfmal ausgezeichnet, also innerhalb eines Wettbewerbs auch gleich mehrfach. Mehr Geld (51 000 Euro) bei weniger Wettbewerben sahnte das Unternehmen Fovea aus Uslar im Solling ab, einem Mittelgebirge. Das niedersächsische Unternehmen hat eine App entwickelt, die es erlaubt, allein aufgrund eines Fotos das Volumen (Festmeter) und den Lagerplatz eines Baumstämme-Stapels im Wald festzulegen. Das erste Berliner Start-up kommt in der Rangfolge nach Auszeichnungen erst auf Rang neun. Das wird die Berliner Gründer aber nur wenig ärgern. Sie erschließen sich andere Finanzierungsquellen, darunter vor allem das Crowdfunding, auch Schwarmfinanzierung oder Crowdinvesting genannt. Hier konnte erst vor wenigen Wochen das dreieinhalb Jahre alte Unternehmen Companisto stolz vermelden, auf seiner Plattform für junge Unternehmen mehr als 25 Millionen Euro im Netz eingesammelt zu haben. 51 Jungunternehmen (von 3000 Bewerbern) haben so Geld für weiteres Wachstum gefunden, darunter ein Hersteller einer 360-Grad-BallwurfKamera, ein Entwickler einer Suchmaschine für Twitter und der Hersteller eines Elektrorennrads. Hinter Companisto steht ein "Schwarm" aus etwa 45 000 Investoren, die bereit sind, ihr Geld in junge und damit auch riskante Unternehmen zu investieren, derzeit in jedem Monat etwa eine Million Euro (F.A.Z. vom 25. Januar). Die jüngste Runde bestritt erfolgreich das Hotelbuchungsportal Triprebel. Das von der Europäischen Union als "Bestes Start-up 2015" ausgezeichnete Portal hat über Companisto wesentlich mehr als die angepeilten 400 000 Euro Kapital eingesammelt. Gesucht und finanziert werden die jungen Unternehmen aber auch zunehmend von etablierten Firmen. Allein 10 der 30 Dax-Unternehmen betrieben "umfassende Inkubatoren und Acceleratoren zur Förderung von Start-ups", berichtet Julian Kawohl, Forscher an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Bekannt ist die Beteiligung an Start-ups des Axel Springer Verlags. Aber auch Handelsunternehmen wie Tengelmann (Online-Supermarkt ShopWings und Online-Wochenmarkt Bonativo) oder Lidl (Start-up Kochzauber Food GmbH) und Industrieunternehmen oder Banken (Main Inkubator der Commerzbank) suchen junge Unternehmen, deren Ideen zu ihrem Geschäftsfeld passen könnten. Auch große ausländische Konzerne halten immer öfter nach deutschen Startups Ausschau. So hat Apple das Münchener Start-up Metaio GmbH erworben, das sich auf Augmented Reality, also die computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung, konzentriert. Oxford University Press hat das Hamburger Sprachen-Start-up bab.la GmbH gekauft, Microsoft das Berliner Start-up 6 Wunderkinder GmbH erworben und der 2004 in München gegründete Bezahldienstleister Pay.on ging für 180 Millionen Euro an das an der amerikanischen Börse Nasdaq gelistete Unternehmen ACI Worldwide. Die digitale Marketingschmiede glispa GmbH (im Jahr 2008 gegründet) ging für 32 Millionen Euro an die Londoner Market Tech Holdings, wie eine Sonderauswertung des Übernahmemarktes durch Angermann M & A International zeigt. Trotz aller externen Geldgeber bleibt die Hauptfinanzierungsquelle für Startups aber das selbst Ersparte. 80 Prozent aller Jungunternehmen geben an, dass ihr eigenes Geld die wichtigste Finanzierungsquelle ist. Das Arbeiten an einem eigenen Thema steigert offenbar auch die Lebensqualität. Nach einer Umfrage der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft KPMG und des Bundesverbandes Deutsche Startups sind Unternehmensgründer zufriedener als Angestellte. Sie blicken auch zuversichtlich in die Zukunft. Die 6000 deutschen Start-ups wollen im Durchschnitt acht Mitarbeiter einstellen, werden also in diesem Jahr rund 50 000 neue Arbeitsplätze schaffen, hat die KPMG hochgerechnet. Die, gemessen an der Zahl der Mitarbeiter, größten Start-ups kommen aus Berlin; sie haben mit durchschnittlich 28 Mitarbeitern zehn mehr als der bundesdeutsche Durchschnitt. Berliner Jungunternehmen haben mit fast 40 Prozent ausländischen Mitarbeitern auch die mit Abstand internationalsten Belegschaften - für das von 75 Prozent der Start-ups geplante Wachstum im Ausland eine gute Voraussetzung.
© Copyright 2024 ExpyDoc