Israel: Kartoffeln in der Krise

Ackerbau
Ori Rabinovichs Antwort auf die problematische Lage am Kartoffelmarkt: Spezialsorten anbauen! Hier die Sorte Blue Belle.
Israel: Kartoffeln
in der Krise
Israel erntet zweimal im Jahr Kartoffeln. Beregnung, intensiver Anbau und Beratung
ermöglichen hohe Erträge und Qualitäten. Trotzdem steckt die Kartoffelbranche in der Krise.
I
ch bin Landwirt und kein Politiker“,
so kommentiert Ori Rabinovich (55)
den zunehmenden Export seiner Kartoffeln und Möhren nach Russland. Der
Export in die EU läuft immer schleppender. Denn der Lebensmitteleinzelhandel setzt hier verstärkt auf regionale
Produkte. Zudem haben es die Israelis
bei dem schwachen Euro schwer, sich
gegen die Konkurrenz zu behaupten.
Rabinovich, der 100 ha Ackerland am
nordöstlichen Stadtrand von Tel Aviv
bewirtschaftet, steht noch aus weiteren
Gründen unter Druck. Der Kartoffelkonsum sinkt auch in Israel. Er liegt nur
noch bei 40 kg pro Kopf, Tendenz weiter
fallend. An Frischkartoffeln verzehrt
ein Israeli nur noch 27 kg pro Jahr. Stattdessen sind Pasta und Reis angesagt,
denn auch in Israel haben sich die Lebensgewohnheiten geändert. Zudem
rückt dem Landwirt die Bebauung im-
64
top agrar 12/2015
mer näher an seine Flächen. Diese hat er
für 750 ¤/ha zu 100 % gepachtet. Sie gehören Investoren und Privatleuten, die
damit spekulieren und die Pachtverträge
jederzeit kündigen können.
Strategie Exklusivsorten: Dennoch
stürzt er sich mit vollem Elan in den
Anbau von Kartoffeln, Möhren, Süßkartoffeln, Erdbeeren, Wassermelonen
und Weizen. Insgesamt baut er 33 ha
Kartoffeln an. Seine Strategie, mit der
er auf die Probleme am Kartoffelmarkt
reagiert: Er setzt auf Spezialsorten. Dabei hält er bewusst die Ware knapp, damit die Preise nicht unter Druck geraten und setzt auf diese Spezialitäten:
• Magenta Love (Züchter: HZPC). Er
baut nur 0,1 ha dieser rotfleischigen Sorte
an, deren Ertrag bei 40 t/ha liegt, und die
er für 2,50 €/kg (250 €/dt!) verkauft.
• Bergerac (TPC). Auf 1 ha baut er diese
lilafleischige „Trüffelkartoffel“ an. Bei
einem Preis von 2,50 €/kg kaufen Kunden diese nur stückweise ein.
• La Ratte d’Ardèche, eine weißfleischige
nach Kastanien schmeckende Kartoffel,
die er an Restaurants verkauft.
• Blue Belle (Germicopa) ist seine wichtigste Sorte, die auf 30 ha steht. Für sie
erzielt er 0,50 €/kg.
Seine Kartoffeln vermarktet Rabinovich vor allem direkt über Stände auf
dem Markt, aber auch an Supermärkte
und Restaurants. Um das Gefühl nicht
dafür zu verlieren, was die Kunden
wünschen, stellt er sich ab und zu selbst
auf den Markt. Um Exklusivsorten aufzuspüren, besucht er regelmäßig die
Food Logistica in Berlin.
Warten auf Nematizid: Der intensive
Anbau – alle drei Jahre stehen Kartoffeln auf der gleichen Fläche – und die
besonderen klimatischen Bedingungen
(Trockenheit, Hitze) führen zwangsläufig auch zu Problemen. So wartet Ori
Rabinovich ungeduldig auf die Zulassung des neuen Nematizids, das Adama
auf den Markt bringen will. Der Hersteller von Pflanzenschutzmitteln ist
aus dem israelischen Unternehmen
Makhteshim Agan hervorgegangen,
nachdem der chinesische Staatskonzern
Chem China 60 % des Unternehmens
gekauft hat. Probleme bereiten bei Rabinovich, aber auch in anderen kartoffel- und gemüseanbauenden Betrieben
in Israel vor allem Wurzelgallennematoden (Meloidogyne chitwoodii). Früher
setzten israelische Betriebe das Boden­
entseuchungsmittel Methylbromid ein.
Es ist wegen seines Treibhausgaseffektes
mittlerweile verboten.
Leichtes Spiel haben die Erreger von
Alternaria. Je nach Situation (Stress)
sind bis zu drei Behandlungen pro
Saison notwendig. Als hartnäckiges,
schwer bekämpfbares Ungras, macht
Rabinovich das Erdmandelgras zu
schaffen. Das Problemunkraut überdauert und vermehrt sich über Rhizome,
die bis in 50 cm Tiefe reichen können.
Da auch Bearbeitungsgeräte es verbreiten, besiedelt es rasch ganze Flächen.
Mittelmeer
Tel Aviv
Gazastreifen
1
Westjordanland
Fotos: Moritz
Haifa
SYRIEN
J ordan
See
Genezareth
Golanhöhen
LIBANON
Spezialsorten (oben) aus Europa sind auch in Israel gefragt (v. l. n. r.): Magenta Love,
La Ratte, Blue Belle und Bergerac. Die Ernte (Mitte) erfolgt in der Regel mit einreihiger
Rodetechnik mit Verleseband auf dem Roder. Krautfäulebekämpfung vom Flugzeug
(unten) aus: Die Mittel gelangen dabei tiefer in den Bestand.
Totes
Meer
Jerusalem
2
3 135 km
Beerscheba
470 km
JORDANIEN
ISRAEL
1 Ori Rabinovich,
Grafik: Driemer
Petah Tikva
2 Kibbuz Nirim
3 Abpackbetrieb
ÄGYPTEN
Hevel Ma'on, Magen
Rotes Meer
Elat
Isreals Kernland ist kaum größer als das
Bundesland Hessen.
In Pflanzenschutzfragen steht dem
Landwirt Berater Ron Epstein (55) zur
Seite. Der Agraringenieur betreut ca. 20
Betriebe. In der rund um das Jahr dauernden Saison unterstützt er diese im
24-Stunden-Service bei Bestandskontrollen, Pflanzenschutzempfehlungen, Monitoring und Untersuchungen. Sie bezahlen ihn dafür nach Aufwand.
Der arbeitsintensive Kartoffel- und
Gemüseanbaubetrieb beschäftigt 20
Saisonarbeitskräfte. Sie stammen aus
Thailand und kommen für 5 Jahre mit
einer Aufenthaltsgenehmigung nach Israel. Sie erhalten einen Mindestlohn in
Höhe von 1 000 bis 1 300 € pro Monat.
Zusätzlich stellt der Betrieb Unterkunft
und Verpflegung. In der fremden Umge-
bung und Kultur tun sich die Thais aber
schwer. „Sie sind ein bisschen wie Kinder“, erklärt Ori Rabinovich. „Man muss
sie bei allem an die Hand nehmen, vom
Einkaufen, über das Saubermachen der
Unterkünfte bis hin zum Arztbesuch.“
Kartoffel-Kibbuz: Privatlandwirte wie
Rabinovich sind in Israel eher Exoten
unter den landwirtschaftlichen Betrieben. Die meisten Kartoffeln erzeugen
Kibbuzim (genossenschaftliche Siedlungen) oder Moschawim (private Siedlungen). Eine davon ist der Kibbuz Nirim, der in der Wüste Negev, ca. 100 km
südlich von Tel Aviv, in Sichtweite des
Gazastreifens (palästinensisches Autonomiegebiet) auf kargem Sandboden
top agrar 12/2015
65
Fotos: Moritz
Ackerbau
Nuki Neufeld, Marketing-Manager
Kartoffelanbau am Gazastreifen: Tsalik Hertzel
Yacham, vor der Marke „Ome Mozes“. ist im Kibbuz Nirim für den Anbau zuständig.
und bei 150 
mm Jahresniederschlag
300 ha Kartoffeln anbaut. Der Betrieb
pflanzt, wie in Israel üblich, zweimal im
Jahr Kartoffeln:
• Frühjahrskartoffeln, Pflanztermin von
Januar bis Februar, Ernte von Mai bis Juli.
Der Absatz erfolgt auf dem heimischen
Markt, in der verarbeitenden Industrie
und als Pflanzgut für den eigenen Betrieb.
• Herbst-/Winterkartoffeln, gepflanzt
von September bis November und geerntet von Dezember bis April. Sie sind
vor allem für den Export bestimmt.
Um die Krautfäule-Infektionen unter
Beregnung im Griff zu halten, wendet
der Kibbuz Nirim zwei Systeme an. Vor
dem Auflaufen der Kartoffeln wird der
Boden mit Sprenkleranlagen feucht gehalten. Nach dem Auflaufen stellt man
auf Tröpfchenbewässerung um. Diese ermöglicht es, Wasser mit einem etwas höheren Salzgehalt zu verwenden, da weniger Wasser verdunstet. Außerdem nutzt
man sie zur sogenannten Fertigation, das
heißt, Nährstoffe (inkl. Spurenelemente)
kommen per Bewässerungswasser an die
Wurzel. Weiterer Vorteil: Die Tröpfchenbewässerung aktiviert die Wirkung von
Bodenherbiziden. In der Regel hält die
teure Tröpfchenbewässerung für 14 bis 16
Ernten, das sind ca. 7 bis 8 Jahre. Dann
muss sie ausgetauscht werden.
Beregnen mit Recyclingwasser:Für
die Beregnung nutzen die Israelis verschiedene Wasserquellen. Neben Brunnenwasser (sehr salzhaltig), Wasser aus
Zisternen und entsalztes Meerwasser
hat im Laufe der letzten Jahre der Einsatz von recyceltem Abwasser aus Privathaushalten in der Landwirtschaft
stark zugenommen. Mittlerweile sind
78 % recyceltes Wasser, das über ober­
irdische Wasserleitungen über 100 km
von Tel Aviv auf die landwirtschaftlichen Flächen gelangt. Bei den Frühjahrskartoffeln ist der Wasserbedarf mit
66
top agrar 12/2015
5 500  m3/ha höher als bei den Winterkartoffeln (3 800  m3/ha). Die Wasserkosten betragen 20 ct/m3. Bei durchschnittlich 4 500  m3/ha Wasser sind dies 1 125 €
pro ha. Insgesamt betragen die Produktionskosten rund 8 000 €/ha. Bei einem
Ertrag von 50 t je ha sind dies 13 ct/kg.
„Die wichtigste Pilzkrankheit in Kartoffeln ist bei uns nicht Krautfäule, sondern Alternaria“, erklärt Tsalik Hertzl,
der im Kibbuz für den Kartoffel­anbau
verantwortlich ist. „60 Tage nach dem
Pflanzen führen wir die erste Spritzung
gegen Alternaria durch, die Anschlussspritzung erfolgt 20 Tage später. Frühjahrskartoffeln sind anfälliger als die
Winterkartoffeln, da sie mehr Blattmasse bilden. Meist ist eine dritte Behandlung nach über 120 Tagen erforderlich. Das Ertragsniveau ist mit 60 bis
70 t/ha auch deutlich höher als das der
Winterkartoffeln (45 t/ha).
Da die Böden in der Negev-Wüste nur
0,6 % Humus enthalten, bringt man vor
dem Pflanzen eine Kompostgabe von 30
bis 40 m3/ha aus. Auch Phosphor und
Kali gibt man vor dem Pflanzen. Die
Stickstoffdüngung erfolgt hauptsäch-
Schnell gelesen
• Israel erzeugt unter
schwierigen Bedingungen
hochwertige Qualitäten.
• Der Anbau im Wüstenklima
ist nur mit Beregnung möglich,
deren Kosten bei über 1 000 ¤
je ha liegt.
• Über 50 % der Kartoffeln
gehen in den Export, vor allem
in die EU.
• Bei hohen Produktionskosten
und starker Konkurrenz wird
der Absatz immer schwieriger.
lich in flüssiger Form als Harnstoff über
die Tröpfchenbewässerung. Pflanzkartoffeln erhalten 200 bis 250 kg N/ha
und Konsumkartoffeln 300 bis 350 kg
N/ha, je nach Sorte. Um sich ein Bild
von der N-Versorgung der Bestände zu
machen, führt man in Winterkartoffeln
nach 35 und in Frühjahrskartoffeln
nach 50 Tagen alle 10 Tage eine Stängeluntersuchung durch. Nach 24 Stunden
liegt das Ergebnis vor.
Um die Kartoffeln zu vermarkten,
hat der Kibbuz Nirim mit zwei weiteren Kibbuzims die Vermarktungs-Genossenschaft Hallutza errichtet. Ernüchtert ist man im Kibbuz mittlerweile vom Biokartoffel-Anbau, der 10 %
der insgesamt 800 ha Kartoffeln ausmacht. „Bei 30 % weniger Ertrag beträgt
der Preisaufschlag 20 bis 25 %. Um
Krautfäule im Griff zu behalten, setzt
man 3 kg/ha Kupfermittel ein. Allerdings werden die Anforderungen – speziell aus Deutschland – an die Biokartoffeln immer höher. Daher fahren israelische Betriebe ihren Biokartoffelanbau
zurück. Im Kibbuz bevorzugt angebaute
Sorten sind Nicola, Ditta und Alliance.
Vermarktung wird schwieriger:Un-
weit des Gazastreifens in Hevel Maon
steht der gemeinsame Abpackbetrieb
Yacham von insgesamt zehn Kibbuzims. Diese bauen ca. 300 ha Kartoffeln
pro Betrieb an. Bei zwei Ernten sind es
insgesamt 4 500 
ha pro Jahr. Rund
55 000 t der 140 000 t Jahresproduktion
gehen von Ende März bis Mitte Juni in
den Export in die EU. Zu den angebauten gelbfleischigen Kartoffelsorten zählen Nicola, Ditta, Yelli, Vivaldi, Annabelle, Charlotte, Mondial und zu den
weißfleischigen Winston und Sifa. Die
Bezahlung erfolgt nach Qualität und
Vermarktung. Kartoffeln, die in die
Schweiz gehen, bringen höhere Preise
als Exporte nach England.
Yacham zählt zu den vier Abpackbetrieben, über die in Israel der gesamte
Kartoffelexport abläuft. Sein Anteil beträgt 27 %. Wegbrechende Exporte in die
EU hat man bislang durch den Absatz
auf dem russischen Markt kompensieren
können. Doch schätzt Nuki Neufeld,
Marketing-Manager von Yacham, den
russischen Markt skeptisch ein. Auch
bekommen die Israelis zunehmend die
Konkurrenz durch europäische Handelshäuser zu spüren, die selbst Kartoffeln in
Spanien, Tunesien, Marokko und Ägypten kostengünstig anbauen lassen. Dennoch will Yacham die Kartoffelproduktion steigern. Dazu hat man Anfang 2015
ein Joint Venture mit dem französischen
Großhändler Compagnie Fruitiere abgeschlossen. Hildegard Moritz