„Karriere machen wollte ich nicht“ Laufbahnen im Bildungsbereich Brigitte Stirnemann Psychologin, lic. phil. / MA Beraterin & Dozentin PH Zürich Vorgehen • Laufbahnfragen in der Lehrerbildung, Fragen aus der Beratung • Aufbau der qualitativen Studie «Laufbahn-Entscheidungen von Lehrkräften» • Laufbahn – oder was? • Lineare Entwicklung vs. mäandernder Suchprozess • «Erleidende» vs. «gestaltende» Laufbahnen • «Planned Happenstance» (Krumbolz, 2009) • Bedeutung Erwerbsarbeit, Bedeutung private Situation • Die Rolle der Schulleitungen / der Schulpflegen bei Laufbahnentscheidungen • Mögliche Empfehlungen • (Laufbahn-)Entwicklung durch Beratung [email protected] 26.05.2015 2 Laufbahnfragen in der Lehrerbildung • Laufbahnen bei Lehrpersonen nur selten im Sinne einer klassischen Karriere (mehr Gestaltungsmöglichkeit, mehr Ansehen, höherer Lohn). • Menschen, die sich für den Lehrberuf entscheiden, haben meist nur eine geringe Karriereorientierung im Sinne einer klassischen Karriere. • Jedoch: Lehrpersonen erfahren im Laufe des Berufslebens Änderungen hinsichtlich der Haltung zum Beruf, hinsichtlich ihrer Schwerpunktsetzungen, hinsichtlich ihrer Selbstdeutung etc.. (Terhart 1991, 60) • Lehrerbiographieforschung im Kontext der erziehungswissenschaftlichen Forschung hat merklich an Bedeutung gewonnen. (Herzog 2011, 315) [email protected] 26.05.2015 3 Fragen aus der Beratung von Lehrpersonen • Für Beratung: Begriff der „Biographisierung“ von besonderer Bedeutung: „Eine bedeutungsordnende und sinnherstellende Leistung des Einzelnen bezüglich des eigenen gelebten Lebens“. • Kann man von „Laufbahnen“ sprechen, wenn es nur ganz wenige Karriereschritte im klassischen Sinne „nach oben“ gibt? • Wie gestalten Lehrpersonen ihre Laufbahn? • Erleben sich Lehrerinnen und Lehrer überhaupt als „Gestaltende“ ihrer Laufbahn – oder empfinden sie sich eher als „Erleidende“ von Ansprüchen eines sich dynamisch entwickelnden Berufsfeldes? [email protected] 26.05.2015 4 Aufbau der Studie • Beratungs-Klientinnen und -Klienten von 2011 – 2013 (mit anderen Anliegen als Laufbahn) resp. Lehrpersonen aus dem persönlichem Umfeld • LP in verschiedensten Funktionen an unterschiedlichen Schulen • Alle TN: ursprünglich Ausbildung für die PS- oder die Sek.I abgeschlossen und jetzt noch im Schulfeld tätig • 4 TN Primarschule, Funktion als Klassen-LP und z.T. als IF-LP 2 TN Sekundarstufe, ebenfalls als Klassen-LP 1 TN ausschliesslich als IF-Lehrperson tätig 1 TN (vorübergehend?) an Berufsfachschule 2 TN Schulleitungsfunktion ohne regelmässige Unterrichtsverpflichtung • 38 bis 61 Jahre alt • 16 TN angefragt, 10 Zusagen • 6 Frauen, 4 Männer • Ausgewertete Interviews: 8 • Qualitative Untersuchung [email protected] 26.05.2015 5 Vorgehen • Leitfaden für ein narratives Interview aufgrund der Fragen der Beraterinnen und Berater aufgrund der Literatur Bedeutung der «Eröffnungsfrage» • TN konnten wählen, ob das Interview an ihrer Schule, bei ihnen zu Hause oder in meinem privaten Praxis-Raum durchgeführt werden sollte. • Dauer der Interviews: 49 – 103 Min. • Protokoll / Zeittafel / Inventar /Transkription grösserer Passagen in den Interviews. Auswertung: • Sukzessive Bearbeitung von kontrastierenden Fällen „Bildung von Gegenhorizonten“. (vgl. Helfferich 2005, 154) • Gemäss der «Basisstrategien der Feinanalyse und des Fallverstehens», nach Lucius-Hoene & Deppermann (2004). Weitere Erklärungen zum Vorgehen / zur Methode: Gerne am Schluss! [email protected] 26.05.2015 6 Laufbahn – oder was? «Würden Sie das, was sie jetzt beschrieben haben – analog zu meinen Formulierungen im Interview – als Laufbahn bezeichnen?» «Gibt es für Sie dazu allenfalls einen treffenderen Begriff?» • SL am deutlichsten für Laufbahn-Begriff. • Mehrheit der TN: Begriff „Laufbahn“ = klassische Karriere „nach oben“ • Stattdessen: „Beruflicher Werdegang“, „Berufsentwicklung“, „Berufliches Werden“ • Einzelne TN erwähnen explizit: Weder bei Berufswahl noch im Laufe der Berufsausübung an einer «Karriere» im herkömmlichen Sinne interessiert oder geeignet. • Einzelne TN: Laufbahnbegriff im Sinne einer fachlichen Vertiefung resp. Spezialisierung. [email protected] 26.05.2015 7 Lineare Entwicklung vs. mäandernder Suchprozess Keine der TN zeichnet eine geplante Laufbahn. Die Unterschiede, in wie weit Erfahrungen reflektiert und daraus Schlüsse gezogen werden, ist sehr gross. «Lineare Entwicklung» «Mäandernder Suchprozess» Berufliche Entwicklung dargestellt als Folge • logischer • sinnvoller Entwicklungsschritte Berufliche Entwicklung dargestellt als • mäandernd • «mal hier, mal dort» Suchprozess [email protected] 26.05.2015 8 «Erlittene» vs. «gestaltete» Laufbahnen «erlitten» «gestaltet» • Beschreiben äussere Hemmnisse und Schwierigkeiten • Fremde Vorgaben stehen im Zentrum • Diese ermöglichen resp. verunmöglichen Schritte • Beschreiben sich als primär fremden Ansprüchen ausgesetzt • Nächster beruflicher Schritt als losgelöster «neuer Versuch», es in der neuen Situation «zu schaffen». • Stellen ihre (durchaus auch schmerzlichen resp. unfreiwilligen) Erfahrungen dar sowie die • Schlüsse daraus. Diese werden in die berufliche Entscheidung integriert. • Beschreiben ihre berufliche Laufbahn als Kette von Lernerfahrungen • Die Glieder dieser Kette sind aufeinander bezogen. [email protected] 26.05.2015 9 Was treibt die berufliche Entwicklung der «GestalterInnen» an? Am ehesten wie Krumboltz (2009, 135-154): „Planned happenstance“ Eine Art „geplanter Ungeplantheit“ gegenüber den Veränderungsprozessen, d.h. • Sensibilität für eigene Stärken und Schwächen und • Wissen darum, wie ich leben möchte, • was mir gut tut oder schadet. • Insofern offen für neue Möglichkeiten • die ich – wenn stimmig und passend – als neue Chancen packe, umsetze und für mich evaluiere • oder aber zurück weise und mich neu entscheide. [email protected] 26.05.2015 10 Wie beschreiben die GestalterInnen unter den Lehrpersonen ihre berufliche Entwicklung? • Weg hin zu mehr von dem, was Fähigkeiten entspricht, Freude macht. • Unzufriedenheit oder Unerfülltheit als Gradmesser für fehlendes «Matching» von Anforderungen und Fähigkeiten. • Konsequenz: Sich aktiv auf die Suche nach anderen, befriedigenderen Einsatzmöglichkeiten oder : • Versuch, die Situation zu verändern oder neu zu definieren, so dass sie Fähigkeiten mehr entspricht. [email protected] 26.05.2015 11 Bedeutung Erwerbsarbeit, Bedeutung private Situation • Die TN beschreiben die berufliche Entwicklung als eine, die Hand in Hand mit ihrer partnerschaftlichen und familiären Entwicklung verläuft. • Entscheidungen, die wegen oder trotz der familiären resp. partnerschaftlichen Situation begründet werden. • Diese Entwicklungsschritte sind eng verflochten mit der privaten Situation. Diese wirkt manchmal beschränkend und Raum greifend. Gleichzeitig ist sie für die LP eine wichtige Ressource – und damit auch für die Schule. • Unabhängig vom Geschlecht oder von der Altersgruppe der TN. • Häufig wird die familiäre Situation priorisiert – kaum je werden Entscheidungen mit Bedürfnissen / Ansprüchen der Schule begründet. Ausnahme: Weiterbildungsansprüche durch die Schule (z.B. Englisch) [email protected] 26.05.2015 12 Die Rolle der Schulleitungen / der Schulpflegen bei Laufbahnentscheidungen • Schulleitende werden nur selten als «aktiv Personalentwickelnde» beschrieben. (Heisst jedoch nicht unbedingt, dass sie es nicht sind…) • Schulleitende und Schulpflegen kommen häufig implizit vor, im positiven Sinne als : - Ermöglichende - Stützende / Helfende ambivalent als: - eine Art «Rauschen im Hintergrund» im negativen Sinne als: - Verhindernde, Bremsende - Grund für Wechsel, Veränderung [email protected] 26.05.2015 13 Mögliche Empfehlungen für Schulleitende und Behörden Entwicklungsmöglichkeiten (und Entwicklungsbedarf) für Lehrpersonen noch stärker in den Fokus nehmen, mit einer gewissen Selbstverständlichkeit immer wieder thematisieren • «Was hast du in diesem Projekt, in dieser neuen Rolle Neues über dich selbst erfahren?» • «Welche Pläne, Ziele, Entwicklungswünsche hast du für deine weitere berufliche Entwicklung?» Berufliche und private Erfahrungen bündeln, Konsequenzen ableiten • «Jetzt, wo du selber schulpflichtige Kinder hast – was würdest Du aus dieser Sicht an unserer Schule ändern wollen?» • «Gibt es Erfahrungen aus deiner Nebentätigkeit als …, die du in unsere Schule einfliessen lassen möchtest?» • «Du warst ja vor der Quest-Ausbildung … Siehst du eine Möglichkeit, diese Erfahrung in unsere Schule einfliessen zu lassen?» 14 [email protected] 26.05.2015 Klar die Funktion in verschiedenen Phasen (des Prozesses / des Gespräches) definieren. • «Jetzt bin ich als Deine Schulleiterin als Beratende / Unterstützende / Ermöglichende im Gespräch mit Dir.» • «Und jetzt spreche ich als Schulleiter / Schulleitung in der Rolle der Vertreterin von Kinder- / Eltern- / Team- und Schulkreis-Interessen.» «Geplante Ungeplantheit» in Entwicklungs-Gesprächen und im Team für LP erfahrbar machen • Visionen und Pläne einer Schule sind für LP transparent und zugänglich. • Einbezug des individuellen Entwicklungsgedankens in die Schulentwicklung. [email protected] 26.05.2015 15 [email protected] 26.05.2015 16 (Laufbahn-) Entwicklung durch Beratung • Ca. 30 % der Beratungen in der Abteilung Weiterbildung & Beratung der PH Zürich: Thematik «Entwicklung im Beruf» • Ein eher kleiner Teil wird von der jeweiligen Schule (mit-)finanziert. • Die Beratenden sind, was die Beratungsinhalte anbelangt, an die Schweigepflicht gebunden,. • Jedoch: Möglichkeit, dass die Schule einer LP oder einer SL eine Laufbahnentwicklungs-Beratung ermöglicht, mit der Auflage entweder - durch die LP / SL über die Ergebnisse selber informiert zu werden, oder - am Schlussgespräch beteiligt zu sein. • Weitere Informationen https://www.phzh.ch/de/Dienstleistungen/Beratung/Laufbahnentwicklungund-Berufsidentitat/. [email protected] 26.05.2015 17 Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! [email protected] [email protected] 26.05.2015 18 Literatur • Helfferich, Cornelia (2005). Die Qualität qualitativer Daten. Manual für die Durchführung qualitativer Interviews. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. • Herzog, Silvio (2011). Über den Berufseinstieg hinaus. In Terhart, E., Bennewitz, H. & Rothland, M. (Hrsg.). Handbuch der Forschung zum Lehrerberuf. S. 314 – 338. Münster: Waxmann. • Krumboltz, John D. (2009). The Happenstance Learning Theory. Journal of Career Assessment. 17 (2): 135-154. doi:10.1177/1069072708328861. • Lucius-Hoene, Gabriele & Arnulf Deppermann (2004). Rekonstruktion narrativer Identität. Ein Arbeitsbuch zur Analyse narrativer Interviews. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2. Aufl.. • Marotzki, Winfried (2010). Qualitative Biographieforschung. In Flick, U., von Kardorff, E. & Steinke, I. (Hrsg.). Qualitative Forschung. S. 175– 186. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt, 8. Aufl.. • Terhart, Ewald (2001). Lehrerberuf und Lehrerbildung. Weinheim: Beltz. [email protected] 26.05.2015 19
© Copyright 2024 ExpyDoc