ISSN 1860-7764 3 2015 Am Ball bleiben KVJS-Integrationsamt fördert Sportreporter Baden-Württemberg Foto: fotolia.com/anekoho www.kvjs.de Behinderung & Beruf Michael Dittrich ist Sportreporter beim SWR. Er moderierte unter anderem die Reihe „Sport im Dritten“. Eine Nervenkrankheit legte erst seine Beine, dann seine Arme lahm. Kein Grund für den Journalisten, die Arbeit einzustellen. I ch habe das Glück, dass ich genau das machen kann, machen darf, was ich gern mache“, sagt Michael Dittrich. Auch wenn er seine Arbeit mittlerweile zum großen Teil von einem Pflegebett aus erledigt. Denn 1993 zeigten sich die ersten Symptome einer Erkrankung, die von den Ärzten als „chronische Entzündung im zentralen Nervensystem“ beschrieben wird. Wohl eine besondere Form der Multiplen Sklerose. Sie brachte den 1,93-Meter-Mann zunächst ins Stolpern, dann stellten sich ein dauerndes Gefühl von Muskelkater und Schwindel ein. Zur Krankheit stehen Bis zu einer Diagnose war es ein langer Weg für den sportlich aktiven Journalisten, der zunächst ver- ZB Baden-Württemberg 3 I 2015 suchte, seine Krankheit zu verdrängen. Bei einem „eitlen Fernsehmoderator“, wie er sich selbstironisch bezeichnet, „sollte man nicht unbedingt sehen, dass der kaum in den Sender kommt“. Irgendwann konnte Michael Dittrich der Tatsache, dass ihm seine Beine nicht mehr gehorchten, nicht mehr davonlaufen: „Es war eine Erleichterung, zum ersten Mal im Rollstuhl in den Sender zu kommen.“ Kein Versteckspiel mehr. Unterstützung durch Kollegen Der SWR hielt dem Moderator und Filmemacher den Rücken frei. Unterstützung kam auch vom Personalrat, der Schwerbehindertenvertretung – und den Kollegen. Im BadenBadener Funkhaus wurde eine Rollstuhl- Foto: © SWR/Monika Maier Michael Dittrich ist Sportreporter mit Leib und Seele rampe eingebaut. Das KVJS-Integrationsamt gab 2005 Zuschüsse für einen Aufzug im Funkgebäude und für eine Assistenzkraft für Michael Dittrichs Dienstreisen. Denn nach wie vor berichtete er von Europa- und Weltmeisterschaften, Olympia und was das Sportfreunde-Herz sonst noch höher schlagen lässt. Wenig später ließ auch die Kontrolle über Hände und Arme nach und hörte irgendwann ganz auf. „Der Kopf funktioniert. Zumindest noch“, sagt Michael Dittrich. Aufgeben? Nein, danke! Michael Dittrichs Devise: „Das Leben leicht leben, wenn´s auch schwerfällt.“ Er hat sich ► 1 S E R I E Ausgezeichnet! Bei einem beispielhaft behindertenfreundlichen Arbeitgeber „Wir machen Inklusion“ einen Sinn für „die kleinen Freuden“ bewahrt, wie er es nennt: „Ein Espresso, ein schönes Glas Wein, ein gutes Fußballspiel…“ Er arbeitet weiter, mittlerweile halbtags, und er plant weiter. Das KVJSIntegrationsamt fördert die nötige Arbeitsassistenz und Technik. Der Technische Beratungsdienst empfahl ein Spracheingabesystem, mit dem der Journalist seinen Computer und den Fernseher am heimischen Arbeitsplatz bedienen kann. Laupheimer GartenGarten- und und Landschaftsbau-Unternehmen Landschaftsbau-Unternehmen Das Laupheimer & Baur Baur betreibt betreibt angewandte angewandteInklusion Inklusionund undfindet findetdas das Wolther & selbstverständlich. Ein Besuch vor Ort. Foto: Monika Kleusch Aktuell hat Michael Dittrich eine Dokumentation über Boris Becker und seinen Wimbledon-Sieg vor 30 Jahren fertig gestellt, der am 4. Juli 2015 in der ARDSportschau zu sehen war. Außerdem erschien im August dieses Jahres sein neuestes Buch: „Mensch Thines. Ein Leben rund um den Betzenberg.“ Die Biographie des ehemaligen Präsidenten des 1. FC Kaiserslautern Norbert Thines. Michael Dittrich wird weiter am Ball bleiben. ■ Jochen Niederwieser ist sehbehindert – den Bagger steuert er trotzdem präzise Foto: SWR J Film-Tipp „Du kannst anderen Mut machen“, sagte die SWR-Fernsehdirektorin, die Michael Dittrich dazu brachte, eine autobiographische Dokumentation zu drehen. „Reine Nervensache“ heißt der Film von, mit und über Dittrich. Er steht noch bis Januar 2016 in der Mediathek des SWR zur Verfügung: www.swrmediathek.de > Suche „Reine Nervensache“ 2 ochen Niederwieser legt drei große Natursteine in den Löffel des kleinen Baggers. Dann setzt er sich hinein und schwenkt den Baggerarm präzise dahin, wo gerade eine neue Trockenmauer entsteht. Die neue Mauer gehört zu einem großen Privatgarten, den Wolther & Baur gerade umgestalten. Der kleine Bagger wurde mit einem Zuschuss des KVJSIntegrationsamtes angeschafft, denn Gartenbaufachwerker Jochen Niederwieser ist sehbehindert und damit einer von zwei Mitarbeitern mit Schwerbehindertenausweis. Gleiche Bezahlung „Wir sehen die Jungs nicht als Behinderte an“, sagt Landschaftsarchitekt Patrick Wolther. „Was wir hier machen, ist reine Inklusion.“ So ist es für das Unternehmen selbstverständlich, dass die Stunden von Kollegen mit und ohne Behinderung gleich bezahlt werden: „Sie werden eingesetzt nach ihren Stärken und Schwächen, so wie jeder Mitarbeiter“, sagt Patrick Wolther. Dabei wäre das Unternehmen als Kleinbetrieb gesetzlich nicht verpflichtet, überhaupt schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Weder Patrick Wolther noch Markus Baur kennen Berührungsängste. Markus Baur hat in einer Jugendhilfeeinrichtung Zivildienst geleistet, Patrick Wolther in einer Einrichtung der Behindertenhilfe. Das Unternehmen bietet seit Jahren Praktikumsplätze zur beruflichen Orientierung und Erprobung für junge Leute mit Handicap an. Doch beiden Unternehmern ist klar: Inklusion ins Arbeitsleben klappt nur, wenn die Kollegen mitziehen. „Das liegt auf den Schultern der Mitarbeiter“, erklärt Patrick Wolther. „Besonders wenn jemand viel Anleitung braucht.“ So wie der junge Kollege, den sein Berufsweg wahrscheinlich in eine Werkstatt für behinderte Menschen geführt hätte. Bei Wolther & Baur hat er seine Chance bekommen und genutzt. ■ ZB Baden-Württemberg 3 I 2015 Im Interview Seelische Behinderung im Arbeitsleben „Hilfe holen!“ ? Herr Müller, Menschen mit seelischer Behinderung machen rund 30 Prozent der IFD-Klienten aus: 2014 bekamen landesweit 2.678 von ihnen Unterstützung durch die Integrationsfachdienste. Was kann man tun, wenn ein Mitarbeiter oder Kollege beginnt, sich befremdlich zu verhalten? Jens Christian Müller Mit dem Betroffenen reden. Dafür sucht man am besten jemanden mit einem guten Draht zu ihm aus. Das muss nicht unbedingt der Vorgesetzte sein. Man sollte neutral sagen: Mir ist das und das Verhalten aufgefallen. Wenn das Problem bleibt oder sich verstärkt: Hilfe holen – also den Integrationsfachdienst. Und nicht glauben, man müsse es allein hinkriegen. ? Gibt es eine Standardsituation, in der der IFD zum ersten Mal gerufen wird, wenn es um psychisch kranke Mitarbeiter geht? Müller Häufig sind es Leistungsschwierigkeiten oder ein auffälliges Sozialverhalten bei einem Mitarbeiter. Oder es geht um verunsicherte Wiedereinsteiger nach einer Krankheitsphase. ? Wie kann der IFD Beschäftigte mit seelischer Behinderung unterstützen? Müller Wir klären mit dem Betroffenen, wo er Probleme hat. Manchmal genügt es beispielsweise klarzumachen, dass der Kollege, der einen nicht gegrüßt hat, das nicht unbedingt in feindlicher Absicht getan hat, sondern weil er den Betroffenen nicht gesehen hat. Die Klienten müssen die Bereitschaft erkennen lassen, auch selbst etwas zu tun, ihre eigene Haltung überdenken. Wenn nötig, empfehlen wir auch, einen Arzt oder eine Beratungsstelle aufzusuchen. Gemeinsam mit dem Arbeitgeber und dem Klienten überlegen wir, ob man am Arbeitsplatz etwas ändern sollte. Zum Beispiel, dass ein sehr gehemmter Klient an einen Foto: Monika Kleusch fand der der vierte vierte Landespsychiatrietag Landespsychiatrietagin inStuttgart Stuttgartstatt. statt. Im Juni 2015 fand Psychiatrie-Patienten wollen wollen viele viele nicht nicht als als Kollegen. Kollegen. Ein Ergebnis: Psychiatrie-Patienten Christian Müller Müller (r.), (r.),Teamleiter Teamleiterdes desIntegra Integrations Ein Gespräch mit Jens Christian tions-fachdienstes (IFD) Stuttgart. Platz gesetzt wird, an dem er keinen Kundenkontakt hat. ? Wie reagieren Kollegen und Vorgesetzte, wenn jemand aus der Rolle fällt? Müller Sehr unterschiedlich. Wenn das Umfeld wohlwollend und belastbar ist, kann ein Arbeitsverhältnis lange gut gehen. Aber wenn alle am Anschlag arbeiten, wird es schwierig. Wir informieren Kollegen und Vorgesetzte darüber, wie sich die Krankheit auswirkt. So wirken manche Verhaltensweisen weniger befremdlich. ? Wie häufig kann der IFD das Arbeitsverhältnis von seelisch behinderten Menschen tatsächlich sichern? Müller In den letzten drei Jahren konnte der IFD Stuttgart zwischen 83 und 86 Prozent der Fälle stabilisieren. Die landes weiten Zahlen sind ähnlich. ■ Foto: fotolia.com/michaeljung Seminare Das KVJS-Integrationsamt bietet in seinem Fortbildungsprogramm ein Seminar zum Thema „Psychisch krank – Auffälliges Verhalten am Arbeitsplatz“ an. Für den nächsten Termin am 23. November 2015 gibt es noch Restplätze. Weitere Termine 2016. Mehr unter: www.kvjs.de > Fortbildung > Behinderung und Beruf Wenn Kollegen befremdliches Verhalten zeigen, sollte man das Gespräch suchen ZB Baden-Württemberg 3 I 2015 3 Nachrichten Ihr Partner Kommunalverband für Jugend und Soziales (KVJS) (KVJS) Baden-Württemberg – Integrationsamt BegleitendeHilfe Hilfeim imArbeitsArbeits-und undBerufsleben Berufsleben Begleitende Kündigungsschutzfür fürschwerbehinderte schwerbehinderteMenschen Menschen Kündigungsschutz ■ Seminare und und Bildungsangebote Bildungsangebote für für das das betrieblicheIntegrationsteam Integrationsteam betriebliche ■ ■ Ausgleichsabgabe Ausgleichsabgabe 76133 Karlsruhe, Erzbergerstraße Erzbergerstraße 119, 119,Telefon Telefon07 0721/81 21/8107 07––00 70176 Stuttgart, Lindenspürstraße Lindenspürstraße 39, 39,Telefon Telefon07 0711/63 11/6375 75––00 79098 Freiburg, 0 Freiburg, Kaiser-Joseph-Straße Kaiser-Joseph-Straße170, 170,Telefon Telefon07 0761/27 61/271919– – 0 Tour de BEM geht weiter UN-Behindertenrechtskonvention ■ Das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) hilft, die Beschäftigungsfähigkeit von Mitarbeitern dauerhaft zu sichern. Wie BEM zum Gewinn für Unternehmen und Beschäftigte wird, darüber informieren die Deutsche Rentenversicherung und das KVJS-Integrationsamt bei der Tour de BEM in Baden-Württemberg. Nächste Stationen sind Ulm (22. September 2015) und Karlsruhe (28. Oktober 2015). Das Ziel der Tour ist es, Unternehmen praxisnah mit dem BEM bekannt zu machen und Fragen zu beantworten. Veranstalter sind die Gemeinsamen Servicestellen für Rehabilitation mit der Deutschen Rentenversicherung Bund und den Krankenkassen. Mehr unter: www.kvjs.de > Behinderung und Beruf > Aktuelles/Service ■ Ratgeber: Selbstständige Existenz Existenzgründung und Existenzerhaltung für schwerbehinderte Menschen ist Thema des 28-seitigen KVJS-Ratgebers „Selbstständige Existenz“. Er informiert knapp und übersichtlich über Unterstützungsangebote des KVJS-Integrationsamtes für Selbstständige. Impressum Herausgeber KVJS – Integrationsamt ZB Baden-Württemberg erscheint als Beilage der ZB Behinderung & Beruf Verlag Universum Verlag GmbH, 65175 Wiesbaden www.kvjs.de de www.kvjs..d [email protected] Die Landesregierung hat den Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Baden-Württemberg beschlossen. Im Bereich „Arbeit und Beschäftigung“ wird unter anderem die finanzielle Förderung an schwerbehinderte Arbeitnehmer und Existenzgründer durch das KVJSIntegrationsamt vorgestellt. Thematisiert werden zudem das KVJS-Modellprojekt „Aktion 1000 – Perspektive 2020“, die Förderprogramme „Ausbildung inklusiv“ und „Arbeit inklusiv“ und die „Bundesinitiative Inklusion“. Diese Projekte setzt der KVJS um zur Förderung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. ■ Foto: iStock/Aiden Franklin ■ Integrationsamt: Geschäftsbericht 2014/15 Wie ist der aktuelle Stand bei der Ausgleichsabgabe? Was hat sich 2014 beim Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen getan? Das und noch mehr verrät der neue Geschäftsbericht des KVJS-Integrationsamtes. Er bietet Zahlen, Daten und Fakten zur Situation schwerbehinderter Berufstätiger in BadenWürttemberg. Kostenlose Bestellung der Publikationen unter: Telefon 07 21/81 07 – 942 Download unter: www.kvjs.de > Service > Publikationen ■ Redaktion Monika Kleusch (verantw. für Hrsg.), Sabine Wolf (verantw. für Verlag), Gesa Fritz, Elly Lämmlen Herstellung Alexandra Koch Layout Atelier Stepp, Speyer Druck Druckhaus Main-Echo GmbH & Co KG, Weichertstr. 20, 63741 Aschaffenburg Auflage 27.000, Redaktionsschluss August 2015 Bestellung Manuela Weimar, Telefon 07 21/81 07 – 9 42 Kontakt Monika Kleusch, Telefon 07 11/63 75 – 2 06
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