Konfirmationspredigt 2016 Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, liebe Eltern und Paten, liebe Angehörige, Freunde und Gäste aus der Nähe und aus der Ferne, verehrte Mitfeiernde, Tante Else aus Wanne-Eickel ruft mich an und erzählt mir: Also, der Benno, was mein Patenkind ist, hatte am letzten Sonntag Konfirmation. Willi und ich waren natürlich auch eingeladen. Die Kirche war so voll wie sicherlich seit dem Heiligen Abend nicht mehr. Die haben jetzt in der Kirchengemeinde eine Pfarrerin. Man sieht ihr den Beruf gar nicht an, sie hat blond gefärbte Haare und trägt Dauerwelle, rot lackierte Nägel und ist dezent geschminkt. Sie meinte es sicher gut und ließ Lieder singen, die die allermeisten zwar nicht kannten – auch Willi und ich nicht – aber wie ich hinterher von Benno erfuhr, sollten die Lieder eben moderner sein und auch etwas fröhlicher als die Lieder, die sonst in den stinknormalen Gottesdiensten so gesungen werden. In ihrer Predigt meinte die Pfarrerin, Konfirmation sei ein wichtiger Meilenstein im noch so jungen Leben der Mädchen und Jungen. Was sie sonst noch so alles sagte, bekam ich schon nicht mehr richtig mit, denn ich musste an den Tag meiner Konfirmation denken und auch daran, was Konfirmation damals für uns bedeutete. Früher trugen wir Mädchen unsere ersten Nylonstrümpfe und die Jungen dunkle Anzüge. Wenn ich an unser damaliges Konfirmationsfoto auch nur denke, dann kriege ich heute noch das nackte Grausen. Erst letzte Woche habe ich es mir noch einmal angeschaut. Wie sahen wir bloß damals alle aus? Ernste Gesichter zu dunkler Kleidung, als gingen wir zu einer Beerdigung. Und dann die unmöglichen Frisuren, die wir damals hatten. 'Mit einem Bubikopf gehst du nicht zur Konfirmation', hatte meine Mutter gesagt und dann begann die Tortur im Frisiersalon, wo sich die Friseuse redlich bemühte, mir ein paar Wasserwellen zu verpassen. Und bei den Jungs waren Pilzköpfe oder Igelfrisuren angesagt – bis auf einige wenige, die aussahen, als wenn ihr Friseur vor einem Jahr verstorben sei. Ach – wenn ich an die Zeit von damals denke: der Konfirmation ging ein strenger Unterricht voraus. Was mussten wir beim alten Pastor alles lernen: die 10 Gebote mit Erklärungen, das Glaubensbekenntnis mit Erklärungen, das Vater unser mit allen Erklärungen vom ollen Luther dann ganz viele Lieder aus dem Gesangbuch und auch noch ein paar Psalmen aus der Bibel. Und wehe, man hatte seine Hausaufgaben nicht gemacht oder im Unterricht geschwätzt. Dann gab es schnell eine Kopfnuss oder sogar eine Ohrfeige. Und zu Hause hat man besser die Klappe gehalten, denn die Eltern haben uns immer gedroht: 'Wenn es Beschwerden vom Pastor gibt, dann kannst du was erleben!' Genauso war das ja mit den Lehrern in der Schule. Unsere Eltern waren der Meinung: Lehrer und Pastor haben eben immer recht! Und während ich noch so an meine Konfirmation zurück denke, ist die Pfarrerin schon längst fertig mit ihrer Predigt. Ganz in Gedanken war ich versunken und anscheinend der Willi neben mir auch. Plötzlich stößt er mich an und sagt: 'Jetzt ist schon der Benno dran!' Tatsächlich: da steht er mit noch einem Jungen vor dem Altar vor der Pfarrerin. Benno trägt einen blauen Blazer zu einer schicken Jeans, der Junge neben ihm einen viel zu großen hellgrauen Anzug. Ich denke gerade noch: da kann er noch gut rein wachsen. Und schwuppdiwupp ist die Einsegnung von den beiden auch schon vorbei. Noch nicht einmal müssen die heutzutage sich hinknien. Mir scheint die Pfarrerin hat wohl das Schnellprogramm drauf. Hilde, die Mutter von Benno klärt mich später auf: Die Eltern waren alle dafür, dass der Gottesdienst nicht so lange dauert und doch trotzdem feierlich ist. Ehrlich gesagt habe ich von Feierlich nicht viel gemerkt. Ich überlege gerade noch: Heute ist Bennos Festtag, in ein oder zwei Jahren ist er mit der Schule fertig – er weiß noch nicht, was er überhaupt lernen will und ob er eine Lehrstelle bekommt. Mittlerweile ist er voll durch die Pubertät und muss sich schon täglich rasieren. Willi, was mein Mann ist, hat von Heinz, Bennos Vater, erfahren, dass Benno ganz schöne sexuelle Probleme hat und Schwierigkeiten in der Schule und wie könnte es anders sein, auch zu Hause. Ich soll aber meine Klappe halten. Natürlich denke ich noch, über all das wird im Konfirmandenunterricht nicht gesprochen. Wie soll ein Pfarrer oder eine Pfarrerin auch diese heißen Themen angehen bei der bunt gewürfelten Unterrichtsgruppe aus Familien, die man sonst selten oder nie in der Kirche sieht und von deren Probleme der Pfarrer oder die Pfarrerin auch nichts oder jedenfalls nicht viel weiß. Und wiederum schwuppdiwupp werden die Eltern und Paten von der Pfarrerin gebeten mit den jeweiligen Konfirmandinnen und Konfirmanden das Abendmahl zu empfangen. Ich wundere mich über nichts mehr. Früher gab es bei uns Weißbrot und wir tranken gemeinsam aus dem Kelch Wein. Heutzutage wird die Oblate in den Kelch eingetunkt – das geht eben auch alles schneller und soll dazu auch hygienischer sein. Ich denke noch: damals ist auch keiner beim Abendmahl krank geworden. Aber die Kirche muss ja sparen. Immer mehr Pfarrstellen werden nicht mehr besetzt und wenn nur noch getunkt wird, dann reicht wahrscheinlich eine Flasche Wein bestimmt für das ganze Jahr. Denn so viele wie heute das Abendmahl empfangen, das ist schon rekordverdächtig. Wie ich von Benno und seinen Eltern erfahre, sind am normalen Sonntag höchstens 20 Leute zum Gottesdienst versammelt – und selbst die Konfis gehen nur dann, wenn sie ordentlich Druck kriegen. So schnell hatten Willi und ich noch nie das Abendmahl empfangen und saßen gerade wieder in der Bank, als Bennos Mutter, also die Hilde, mich anstößt und sagt: 'Ich geh dann schon mal, denn gleich kommen alle zum Sektempfang.' So wie Hilde machen es noch einige andere – immer wieder huschen einige Frauen und Männer aus den Bänken und streben dem Haupttüre der Kirche zu, so als müssten sie mal dringend aufs Klo. Dadurch bin ich so abgelenkt, dass ich gar nicht mehr den Rest vom Gottesdienst mitbekomme. Plötzlich sehe ich nur, wie die Pfarrerin die Arme ausbreitet als wollte sie davon fliegen – als ich Willi ganz erschrocken anschaue, sagt er nur: Keine Panik; es ist nichts passiert. Sie ist jetzt mit der Konfirmation fertig und spricht den Segen. Dann dröhnt die Orgel mächtig brausend und alle stehen auf und drängen sich in Richtung Ausgang. Heinz, der Vater von Benno, passt uns ab und sagt: 'Wir nehmen den Seitenausgang, da steht heute niemand, der Kollekte einsammelt.' Als wir dann auf dem Vorplatz der Kirche stehen und darauf warten, dass endlich das Gruppenbild der Konfirmandinnen und Konfirmanden gemacht wird und wir dann in die Kneipe kommen, wo gefeiert werden soll, da haben sich schon die Raucherinnen und Raucher zu regelrechten Clubs zusammen gefunden. Auch Benno will sich eine Zigarette anzünden – aber Heinz sagt: 'Erst wird das Bild gemacht! Wir verlieren sonst zu viel Zeit.' Die Pfarrerin hat sich den Talar bereits ausgezogen und stellt sich für das Gruppenbild auf. Hübsch ist sie ja, das muss ich ihr zugestehen. Als das Bild gemacht ist, ruft sie den Mädchen und Jungen zu: „Na dann Tschüss! Ihr wart eigentlich doch eine ganz nette Gruppe auch wenn ihr mich hin und wieder ganz schön genervt habt!“ Irgendein Vater kommt und erzählt den Witz von den Tauben. Kennen Sie den? 'Der katholische Pastor fragt den evangelischen Kollegen: Wie werden wir bloß die Tauben auf dem Kirchturm los? Der evangelische Kollege sagt: 'Wir konfirmieren sie und damit sind sie wenigstens für lange Zeit weg'. Komisch denke ich noch, das ist doch eigentlich traurig, wenn mit dem Tag der Konfirmation die Mädchen und Jungen wieder wie U-Boote untertauchen, als wären sie nie in den Unterricht gegangen – aber dann fällt mir ein: Bis ich meinen Willi geheiratet hab, bin ich ja damals auch nicht mehr in die Kirche gegangen. In der Kneipe gibt es erst den Sektempfang, die Gäste überreichen Benno die Geschenke, Willi und ich auch – auf Nachfrage bei Heinz und Hilde hatten wir erfahren, Benno will eigentlich nur Geld! Na ja – Geld ist zwar kein originelles Geschenk – aber wenn ich daran denke, was ich zur Konfirmation geschenkt bekam: 3 Hortensien, 10 Handtücher, 4 Bettgarnituren, einen Taschenschirm, umhäkelte Taschentücher und noch mehr so nützliche Dinge, die ich nie gebraucht habe, dann ist das vielleicht mit Geld heutzutage besser. Denn dann kann Benno sich etwas kaufen, was ihm wirklich Spaß macht. Heinz, sein Vater meint: 'Schon morgen kauft er sich ein neues Smartphone und ein Tablett – da könnt ihr Gift drauf nehmen.' 'Ja, hat er denn kein Handy?' will Willi wissen. Heinz lacht: 'Natürlich – aber heute heißen diese Dinger, die alle in der Hosentasche tragen Smartphones und damit kann man die Selfies machen'. Also, ich verstehe von all dem neuen Schnickschnack ja nicht so viel. Ich erkundige mich darum lieber einmal bei Benno, wie denn sein Konfirmationsspruch heißt. Denn den hatte ich in der Kirche nicht mitbekommen, vor lauter Nachdenken und Erinnern an meine Konfirmandenzeit. Benno lacht und sagt: „Der Herr ist mein Hirte!“ Ich will wissen, ob Benno sich dieses Wort ausgesucht hat oder die Pfarrerin. 'Nee,' sagt Benno. Die Sprüche haben wir uns natürlich ausgesucht. ' Und wie biste gerade auf den Spruch gekommen?' frage ich und erhalte die Antwort: 'Der Spruch ist kurz, den kann ich mir sogar merken!' 'Benno, hast du dich schon bei Tante Paula bedankt?`, fragt sein Vater, denn Tante Paula macht mittlerweile ein Gesicht, als hätte sie in eine Zitrone gebissen. 'Nöö', gesteht Benno. 'Weshalb sollte ich?' 'Na, weil sie dir doch ein Gesangbuch geschenkt hat', erinnert Bennos Mutter und der Vater sagt nur noch 'Jetzt aber hopp!' Nach dem Essen soll Benno eine Rede halten und für das Gustav-Adolf-Werk sammeln, darum hatte die Pfarrerin gebeten. Natürlich wird Benno ganz rot im Gesicht als er gedrängt wird aufzustehen und seine Rede zu halten. Es ist ihm peinlich und alles, was seine Eltern ihm zuvor gesagt hatten, was er sagen soll, hat er irgendwie vergessen. Und so stottert er einfach: 'Danke! Danke für die Geschenke. Ich lass dann mal die Tüte rumgehen, da könnt ihr das Geld einlegen wovon die Pfarrerin gesprochen hat. Ist für einen guten Zweck!' Und schon sitzt er wieder auf seinem Platz. 'Wer will noch Kaffee?' ruft die Wirtin – alle wollen Kaffee, einige Männer dazu ein Bier oder einen Wein und Bennos Mutter will einen Klaren. 'Ist besser für meinen Magen', sagt sie. 'Viel Aufregung vorher und morgen ist wieder ganz normaler Alltag', erinnert Onkel Walter, der alsbald sich auf dem Heimweg macht, nicht ohne zuvor Benno zu fragen, ob ihm denn die Konfirmation gefallen habe. Benno ist für seine Ehrlichkeit bekannt und antwortet Onkel Walter: 'Wenn ich mal ausrechne, wie viel Geld ich für jede Unterrichtsstunde erhalten habe, dann hat sich jedenfalls die Konfirmation finanziell gelohnt. Ich denke, dass ich in den letzten 18 Monaten einen besseren Stundenlohn hatte, als du jemals erreichst!' Walter lacht hell auf und meint: 'Das kann gut hinkommen!' Liebe Festgemeinde, bei mir taucht jemand auf, den ich vor ein paar Jahren konfirmiert habe. Er beschwert sich bei mir fürchterlich über seinen Vater, mit dem er sich einfach nicht mehr versteht. Im Laufe des Gesprächs fiel mir eine Geschichte von Mark Twain ein, die ich dem jungen Mann erzähle: „Bei ihm hatte sich auch ein Jugendlicher über seinen rückständigen Vater beklagt. Mark Twain antwortete: 'Ich kann sie gut verstehen. Als ich in ihrem Alter war, war mein Vater auch so ungebildet. Es war kein Aushalten mehr. Aber haben Sie einfach etwas Geduld. Auch ältere Menschen sind noch durchaus noch lernfähig. Als ich dann Mitte 20 war, hatte mein Vater so viel dazu gelernt, dass man sich schon ganz gut wieder mit ihm unterhalten konnte. Heute, wo ich Mitte 30 bin, ob Sie es glauben oder nicht, wenn ich keinen Rat mehr weiß, dann frage ich meinen Vater. So können sich Väter ändern, wenn man nur die nötige Geduld hat.' Mein Gesprächspartner kratzt sich verlegen am Ohr und meint: 'Wenn ich es recht bedenke, dann hat mein Vater eigentlich nur Angst um mich und dass ich wieder irgendeinen Blödsinn mache.' Ja, liebe Mitfeiernde, so ist das. Eltern sind heute vor harte Herausforderungen gestellt. Sie fürchten, dass ihre Kinder in falsche Gesellschaft kommen, Drogen nehmen oder zu viel Alkohol auf Partys trinken und dann doch noch Auto fahren und verunglücken können. Leider erleben und erfahren wir diese schlimmen Dinge immer wieder. Unsere Konfirmandinnen und Konfirmanden erleben wie wir Erwachsene eine Zeit der kolossalen Umbrüche, dem aufflammenden Misstrauen in Europa, der ungelösten Flüchtlingsprobleme, der Finanzkrisen und der großen wie kleinen Betrügereien und Korruptionen in Politik, Sport und Wirtschaft. Dann ist einwandfrei der Stress in der Schule und in unseren strukturschwachen Gebieten die bange Frage: Was wird er, was wird sie einmal lernen? Dann kommt der langsame Ablösungsprozess vom Elternhaus dazu – zwangsläufig gibt es dann Missverständnisse, Verletzungen und Konflikte. Und in diese problematische Phase fällt in der evangelischen Kirche die Konfirmation. Früher wurden die 14-jährigen mit Konfirmation und Schulentlassung im wahrsten Sinne des Wortes in den Ernst des Lebens entlassen. Heute wissen wir: unsere Konfirmandinnen und Konfirmanden meist schon junge Erwachsene aber oftmals in ihrem Gemüt auch noch kindlich. Deshalb sollen sie wissen: sie sind ihrem Pfarrer und allen Erwachsenen in der Kirchengemeinde wichtig. Bei allen Problemen, Fragen und Zweifeln finden sie immer im Pfarrhaus ein offenes Ohr und jemand, der sie versteht und Ernst nimmt, weil wir miteinander so manches gemeinsam erfahren und erlebt haben in den Zeiten des Pfarrunterrichts. Ich weiß: ganz vieles wird vom heutigen Tag wieder vergessen – das eine aber erinnert bitte alle immer wieder, jeden Tag neu: Gott und Jesus Christus lieben uns so, wie wir sind – mit allen Ecken und Kanten, mit unseren Fehlern und Unvollkommenheiten. Amen.
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