„Ich denke, wir sind hier eine gute Schule, die immer schon

Melanie Schmidt
„Ich denke, wir sind hier eine gute Schule, die immer schon
vorangeschritten ist…“ Zur Produktivität der Unbestimmtheit von
‚Qualität‘ für Artikulationen der Wirksamkeit von Schulinspektionen
Zusammenfassung: Der Begriff der ‚Qualität‘ von Schule und Unterricht ist in den
vergangenen Jahren proliferiert, gleichzeitig bleibt die Frage nach der ‚guten Schule‘
notwendig offen. Der Beitrag setzt an dieser Einsicht an und sucht die Produktivität, die
sich mit der Offenheit einer Qualitätsdefinition verbindet, für die pädagogische Praxis zu
erkunden. Hierfür wird auf eine Untersuchung der Rezeptions- und Nutzungsartikulationen
von Ergebnissen externer Schulevaluationen bzw. Schulinspektion Bezug genommen.
Ausgehend von der These, dass Schulinspektionen Qualitätsbestimmungen vornehmen,
diese aber nicht abschließend umgrenzen können, kommt die Seite der ‚Rezipierenden‘
von Inspektionsergebnissen in den Blick. Diskursanalytisch wird anhand von Interviews
mit Schulleitungen herausgearbeitet, wie pädagogisches Wissen um Qualität generiert
und legitimiert wird.
Schlüsselworte: Qualität, Schulinspektion,
Schulleitung, pädagogisches Wissen
Interviewanalyse
als
Diskursanalyse,
„I think we’re a good school which has always been doing progress…” On the
productivity of the indefiniteness of ‘quality’ for discoursive articualtions
concerning the effects of school inspection.
Abstract: The concept of a school’s or an instruction’s ‚quality‘ is proliferated within the
last years. At the same time it remains an unanswered question, what a ‘good’ school
means in detail. Generally focusing on pedagogical practices this paper addresses the
idea of productivity which is linked to the indefinity of ‘quality’. In order to explore this
linkage an analysis of discoursive articulations has been conducted that addresses the
receptions and appropriations of the results of school inspections. Assuming that the latter
provide a certain notion of ‘quality’ but are not capable to fully define the term, the paper
particularly sheds light on the receivers of school inspections results. While taking insights
from interviews conducted with school headmasters it can be shown how pedagogical
knowledge about ‘quality’ is generated and authorized.
Keywords: Quality, school inspection, interview analysis as discourse analysis,
headmaster, pedagogical knowledge
1.
Einleitung
Das diesem Forschungsbeitrag überschriebene Zitat entstammt einem Interview mit einer
Schulleitung,
das
im
Rahmen
der
Untersuchung
von
Rezeptionsund
Verwendungsthematisierungen von Schulinspektionsergebnissen durchgeführt wurde. Es
verdichtet die nachfolgend angestellten Überlegungen, dass die Bezugnahme auf einen
unbestimmten Qualitätsbegriff produktive Effekte zeitigt für die (Selbst-)Bestimmungen der
pädagogischen Praxis bzw. pädagogischen Akteure.
Indem hier ein Verhältnis zwischen „Ich“, „wir“ und „guter Schule“ eröffnet wird, ergibt sich
die Möglichkeit von Äquivalenzsetzungen aus Akteuren und Institution, aus Qualität und
1
Exzellenz sowie Mobilität („voranschreiten“). Dies zeigt, dass ‚Qualität‘ von Schule nicht in
seinen Bedeutungsgehalten offen vorliegt, sondern auf Mit-Bestimmung durch die
pädagogische Praxis angewiesen ist und in dieser erst eine spezifische Bedeutsamkeit
erhält.
Der Qualitätsbegriff, so lässt sich beobachten, befindet sich in einer eigentümlichen
Situation: Seine Omnipräsenz – jeder spricht in jedem Zusammenhang von ‚Qualität‘ –
kreuzt sich mit der weitgehenden Unbestimmtheit des Bedeutungsgehalts sowie der
fraglichen Relationierung gegenüber ‚einheimischen‘ erziehungswissenschaftlichen und
pädagogischen Kategorien wie Bildung, Erziehung, Professionalität. Dies macht ‚Qualität‘
nicht zuletzt zu einer (auch) praktischen Herausforderung für die Pädagogik: Wie lässt sich
die Anforderung an eine gute Schule vor dem Hintergrund der prinzipiellen Offenheit von
Qualität einlösen? Wie setzt sich die schul(pädagog)ische Praxis mit der Problematizität von
Qualität auseinander?
Einen Zugang zum Umgang mit ‚guter Schule‘ liefern externe Schulevaluationen bzw.
Schulinspektionen als bildungspolitisch institutierte Formen von Wissensgenerierung
bezüglich der inspizierten Einzelschulen, die derzeit in nahezu allen Bundesländern
Deutschlands
verpflichtend
durchgeführt
werden.
Mit
der
im
Zuge
von
Schulinspektionsverfahren
vollzogenen
Messung
und
Rückmeldung
von
Qualitätsbewertungen an die jeweilige inspizierte Schule wird zugleich eine bestimmte
Fassung und Ausdifferenzierung des Qualitätsbegriffs vorgenommen und den Schulen
gegenüber
kommuniziert.
Diesen
(in
sich
selbst
uneinheitlich
bleibenden)
Qualitätsbestimmungen des Evaluativen eignet, dass sie zwar eine gewisse „Sogkraft“
(Bröckling 2007) entwickeln, aber nicht determinierend wirken können, so dass sie auf
autorisierende ‚Füllungen‘ bzw. (Mit-) Bestimmungen seitens der Rezipientinnen von
Schulinspektionsergebnissen verwiesen bleiben, an die sie sich richten. Sie eröffnen einen
Zwischenraum, in welchem das pädagogische Handeln fungiert als ‚Antwortgeschehen‘ auf
die Herausforderung der uneinheitlichen Vergegenständlichungen guter Schule ebenso wie
auf die Herausforderung mit Qualität bzw. genauer: mit Evaluationsergebnissen einen
Umgang zu finden.
Im Folgenden möchte ich diesen Argumentationszusammenhang stärker ausbauen,
indem ich in einem ersten Abschnitt schlaglichtartig einigen Konturen des Qualitätsbegriffs
im derzeitigen erziehungswissenschaftlichen Nachdenken nachgehe. Im zweiten Abschnitt
werde ich auf die auf den Erkenntnissen einer evidenzbasierten Erziehungswissenschaft
basierenden Qualitätsbestimmungen der Schulinspektion zu sprechen kommen und
herausarbeiten, inwiefern diese Qualitätsbestimmungen die Spielräume der pädagogischen
Praxis zugleich beschränken wie auch erst ermöglichen, indem die Bestimmungen auf
Autorisierungen angewiesen sind. Diese Überlegungen sind Ausgangspunkt meiner
diskursanalytischen Untersuchungen zur Frage, wie ‚Qualität‘ produktiv wird, deren
methodisch-methodologische Besonderheiten ich im dritten Abschnitt erläutern werde.
Anschließend werden die Analyseergebnisse vorgestellt (Abschnitt vier) und im Kontext des
Gesamtbeitrags reflektiert (Abschnitt fünf).
2
Was sind ‚gute Schulen‘?
Im Editorial zur dieser Ausgabe der Zeitschrift Schulpädagogik heute wurde die Frage nach
der
Identität
einer
‚guten
Schule‘
als
„schwer
beantwortbar“
markiert
(Moegling/Hadeler/Hund-Göschel in diesem Heft), was auf einen Problemgehalt des Attributs
‚gut‘ bzw. von ‚Qualität‘ verweist, auch wenn die Begriffe im Alltagsgebrauch eine hohe
Plausibilität entfalten. In der Durchschau der Diskussion um die Definitionen des Begriffs
2
erscheint es, dass die Feststellungen Helmut Heids aus dem Jahr 2000 bezüglich Qualität
noch immer Gültigkeit aufweisen. Darin wird ausgewiesen, dass Qualität selbst kein ihr
eigentümliches Wesen besitzt; sie ist vielmehr als eine normative Relation zu verstehen.
‚Qualität‘ ist demnach eine Aussage über einen Gegenstand oder Sachverhalt, der dem
Gegenstand bzw. Sachverhalt etwas hinzufügt, diesem jedoch äußerlich bleibt. Die Faktizität
des mit einem Qualitätsurteil versehenen Objektes bietet dabei aus sich heraus keinen
Bezugspunkt, von dem aus sich Beurteilungskriterien ableiten ließen: Qualität beruht auf
Entscheidungen bezüglich der dem Objekt zugesprochenen Zwecke (Heid 2009). Es handelt
sich dabei um Entscheidungen, die grundlos sind, weil sie sich nicht falsi- oder verifizieren
lassen (Harvey/Green 2000).
Helmut Heid (2009: 55) zufolge wird eine einheitliche Qualitätsdefinition allein schon
dadurch unterlaufen, dass Qualitäten und die sie begründenden Zweckbestimmungen stets
durch beurteilende Subjekte mit je spezifischen Interessen hervorgebracht werden. Diese
unhintergehbare Perspektivität von Qualitätsurteilen, ihr Konstruktcharakter, kann selbst
bereits als eine Form ‚demokratischer‘ Aushandlung um den zu beurteilenden Gegenstand
betrachtet werden (Harvey/Green 2000: 36), da bestimmte Perspektiven nicht per se
vorrangig sind.
Damit ist zunächst noch nichts über die Konstruktivität der zu beurteilenden Gegenstände
gesagt. Die Frage nach der ‚guten‘ Schule ruft demnach auch die weitergehende Frage
danach auf den Plan, was Schule eigentlich ist und tut (Fend 2008). Kompliziert wird das
Anliegen einer Definitionsfindung von ‚Qualität‘ deshalb weiterhin, weil nicht allein die
Betrachtenden, sondern auch das Betrachtete bzw. Bewertete keine einheitliche
Umgrenzung besitzt: ‚Qualität‘ diffundiert in „verschiedene Perspektiven auf unterschiedliche
Dinge, die allerdings mit dem gleichen Begriff belegt werden“ (Harvey/Green 2000: 17;
Hervorhebung durch mich). Die Setzung von normativen Grundlagen, auf die eine
Feststellung von ‚Qualität‘ sich berufen muss, ist je situativ zu vollziehen – und kann sich
dann lediglich als legitim und nützlich ausweisen, um weitgehende Akzeptanz zu erlangen
(Klieme/Tippelt 2008: 9). Demnach bleiben Zweckbestimmungen - und daraus folgend: die
normativen Setzungen - gebunden an „bewährtes Wissen“ (Heid 2009: 58) über das zu
beurteilende Objekt (vgl. bezüglich historisch-situativ variierender Zweckbestimmungen auch
die Beispiele in Moegling/Hadeler/Hund-Göschel in diesem Heft).
Ungeachtet inhaltlicher Festlegungsschwierigkeiten auf einen Kerngehalt des
Qualitativen, lässt sich konstatieren, dass ‚Qualität‘ mit Wertimplikationen einher geht, die
den Zauber des Begriffs ausmachen: „Irgendein Handeln mit dem Begriff Qualität in
Verbindung zu bringen, kann insofern dazu dienen, dieses Handeln zu legitimieren“
(Harvey/Green 2000: 18). Das Besondere ist demnach seine Autorisierungs-Qualität, die
gerade aus der Plausibilität des Begriffs schöpft, der eben jenseits von Definitionsversuchen
keiner weiteren (Er-)Klärung bedarf. Der Unmöglichkeit einer ‚richtigen‘ Definition steht
demnach die Gewissheit gegenüber stets das ‚Richtige‘ zu tun, wenn Qualität ins Spiel
kommt.
Aus diesem Spannungsverhältnis von Unbestimmtheit und Autorität heraus mag
verständlich werden, weshalb der Begriff in erziehungswissenschaftlichen und
pädagogischen Debatten eine solche Attraktivität genießt.
3
Die ‚reale‘ Unmöglichkeit der Identität von Qualität, so meine These, wird darin produktiv: Sie
gerät zur Möglichkeitsbedingung ihrer Erzählung (s. Abschnitt 3 dieses Beitrags) 1.
Mit der Attraktivität sowie den positiven Konnotationen von Qualität einher geht auch eine
Mobilisierungsaufforderung, die sich an die von Qualität ‚Betroffenen‘ wendet. Bei Harvey
und Green (2000: 36) heißt es dazu: „Diese Schlussfolgerung, der zufolge wir alle womöglich
ein unterschiedliches Verständnis von Qualität haben und niemand von uns
notwendigerweise Recht oder Unrecht hat, bedeutet nicht, dass wir uns vom Streben nach
dem Erhalt und Ausbau von Qualität verabschieden können.“ Auch wenn Telos und Gestalt
von Qualitätsverbesserungen kaum angegeben werden können, entbindet dies also nicht
vom Bemühen um Optimierung, für die jede Person, aber auch Institutionen und andere
Entitäten (s.u.), individuell responsibilisiert werden 2. Ein solcher Mobilisierungs- und
Aufforderungscharakter verweist auch auf die politische Bedeutsamkeit des Qualitätsbegriffs
innerhalb erziehungswissenschaftlicher und pädagogischer Zusammenhänge.
Einerseits wird ‚Qualität‘ meist anhand der Einführung „neuer Steuerungsmechanismen“
(etwa Altrichter/Maag Merki 2009) der Qualitätssicherung im Schulsystem als
Steuerungsrationalität
politisch
bedeutsam.
Rhetorisch
markiert
wird
diese
Steuerungsprogrammatik etwa als ein Wechsel zu Strategien der „Erhöhung des Outputs“
anstatt vorhergehender „Inputsteuerung“ (z.B. Dedering 2012) oder durch die Konfiguration
von Steuerungsaktivitäten entlang der „vier E“ (Klieme/Tippelt 2008): Effektivität, Effizienz,
Evaluation und Empirie. Die ‚Herkunft‘ bzw. Ursache der Ausbreitung solcher Semantiken
um den Qualitätsbegriff herum wird zumeist in der Veröffentlichung der PISA-Ergebnisse zu
Beginn der 2000er Jahre verortet. Häufig wird damit einhergehend eine Aufwertung
organisational-managerialer Autonomie innerhalb von Schulen verbunden (Stichwort: Schule
als Handlungseinheit) – zulasten von professioneller Autonomie pädagogischer Akteure
(Höhne 2011).
Zum
anderen
lässt
sich
eine
‚empirische
Wende‘
innerhalb
der
erziehungswissenschaftlichen und pädagogischen Auseinandersetzungen beobachten, die
maßgeblich von der Dominanz des Qualitätsbegriffs zehrt (z.B. Helmke 2005 zu den
Merkmalen ‚guten Unterrichts‘). Die Verquickungen aus wissenschaftlichen Erkenntnislogiken
und sozialen Bedingungen des Erkenntnisgewinns (etwa im Rahmen bildungsreformerischer
Programmatiken im Anschluss an PISA) lassen sich als Erkenntnispolitik (z.B. Ricken 2011)
bezeichnen.
3
Schulinspektion und das Versprechen auf Qualität
Im Horizont von Qualität, Mobilisierung und Politizität von Schulen platziert sich auch die
Diskussion um externe Schulevaluation bzw. Schulinspektion als einer spezifischen Form
von Evaluation: Erkenntnis und Politik überkreuzen sich in der Ein- und Durchführung von
1
Beispielsweise lässt sich Qualität mit Begriffen wie Management, Kompetenz, Innovation, Leistungsfähigkeit
(Höhne 2011: 141) in Verbindung bringen und für ökonomische Argumentationen bezüglich einer effektiven
Schule nutzbar machen. Neben ökonomischen Semantiken eröffnen sich so weitere Konstellationen rund um
den Qualitätsbegriff – etwa unter Bezugnahme auf ‚Transparenz‘, ‚Demokratie‘, ‚Nachhaltigkeit‘ etc., die sich als
Versuch verstehen lassen, dem Qualitätsbegriff einen erziehungswissenschaftlichen Gehalt zu geben (vgl.
Moegling/Hadeler/Hund-Göschel in diesem Heft; s. Abschnitt 1 dieses Beitrags).
2
Wie Thomas Höhne (2011: 147) argumentiert, wird mit der Kategorisierung von Schulen als gut/erfolgreich oder
schlecht/erfolglos eine individualisierende Responsibilisierung von Schulen vorgenommen, in der Fragen
danach, was für Schulen strukturell konstitutiv sei, abgeblendet werden (vgl. auch Schäfer/Thompson 2015).
Eine kritische Bildungsforschung könnte hier ein Korrektiv darstellen. Die derzeitig beobachtbare empirisch
fundierte Suche nach passungsfähigen Qualitätskritierien – ungeachtet der zugrunde gelegten Zwecke – für
eine gute Schule gehe aber meist zulasten einer Bildungsforschung, die Widersprüche, Paradoxien, Grenzen,
Bedingungen und Bedingtheiten berücksichtigt und analytisch einkalkuliert.
4
Schulinspektionen als ‚Steuerungsinstrument‘, da Schulinspektion nicht nur ein individuelles
Wissen über die inspizierte Schule generiert, sondern dieses Wissen im Hinblick auf
Qualitätsoptimierungsbemühungen relevant macht.
Das Verfahren der Schulinspektion lässt sich in Anlehnung an die o.g. Aussagen Heids
als interessengeleitete Definition von schulischer Qualität betrachten, die versucht ‚Qualität‘
im Rahmen von Messverfahren der empirischen Sozialforschung zu quantifizieren. Die
Bewertungen fußen auf (vornehmlich bildungspolitisch initiierten) Konstruktionen und
Konkretisierungen eines normativen Modells von ‚guter Schule‘, mit dem
schulformübergreifend die Qualität aller Schulen gemessen werden soll, ohne deren
spezifisches
Bedingungsgefüge
berücksichtigen
zu
müssen
(vgl.
Diegmann/Schmidt/Flagmeyer/Keitel 2011). Die Modelle oder: „Qualitätsrahmen“ (Fend
2008: 202) sind wiederum (zumindest teilweise) evidenzbasiert, d.h. auf den Erkenntnissen
der Schuleffektivitätsforschung gründend (Klieme/Tippelt 2008), der es vornehmlich darum
geht, jene Bedingungen auszumachen, welche einen positiven Einfluss auf
Schülerinnenleistungen auszuüben vermögen. In diesem Zusammenhang verheißen
Schulinspektionen einerseits die (Ver-)Messbarkeit schulischer Qualität, indem sie
andererseits Orientierung bezüglich der Konturierung relevanter Qualitätsmerkmale zu bieten
scheinen: Sie etablieren Standards und stellen Angebot von Wissen zu der ‚guten Schule‘
bereit, das rational, objektiv und damit ‚gültig‘ ist. Schulinspektionen generieren folglich
Macht- und Wahrheitseffekte.
Einen Großteil der in den Qualitätsrahmen vorfindlichen Beurteilungskriterien bilden
manageriale Merkmale der Einzelschule (Höhne 2011), wie etwa die Ausgestaltung von
Führungs- und Schulmanagementpraktiken, Ergebnisse und Erfolge der Schule,
Qualitätsentwicklung, Schulkultur; Unterrichtsqualität ist beispielsweise im sächsischen
Inspektionsverfahren lediglich einer von sechs ‚Qualitätsbereichen‘ der zu evaluierenden
Schule (Sächsisches Bildungsinstitut 2010). Dies markiert eine spezifische Vorstellung des
Schulischen: „Im Diskurs über Schulqualität und Schulentwicklung wird häufig die nicht
weiter problematisierte Vorstellung von Schule als einer rationalen und durchgängig
technologisch steuerbaren Organisation vertreten“ (Höhne 2011: 151, Hervorhebung im
Original; vgl. Preuß/Brüsemeister/Wissinger 2012). Schule – als Organisation – erhält damit
einen subjektähnlichen Status; sie ist autonom, steuert sich, verbessert sich.
In der Rückmeldung der empirisch erhobenen Inspektionsergebnisse an die evaluierten
Schulen wird entlang von Zahlen- und Farbwerten zudem transportiert, an welchen Stellen
Optimierungsbestrebungen seitens der Schule bzw. der schulischen Akteure ansetzen
sollten. Evaluation verspricht damit im Ergebnis das Gelingen künftiger pädagogischer
Praxis, indem sie eine Äquivalenzbeziehung aus statistisch ermitteltem Ergebnis und
pädagogischem Handeln herstellt (vgl. Thompson 2014: 106), ohne für den Einzelfall
konkrete Optimierungshinweise zu liefern.
Das Versprechen des Evaluations-Wissens kann demnach nicht unabhängig von den
evaluierten Akteuren eingelöst werden, an die es sich richtet. Dies zeigen auch
Figurierungen von Schulinspektion bzw. externer Schulevaluation als Steuerungsimpuls oder
als -stimulanz (etwa bei Dedering 2012).
Die indirekte Steuerungsrationalität von Schulinspektion ist gekoppelt an die Figur der
„Schulentwicklung durch Einsicht“ (Böttger-Beer/ Koch 2008: 254; Dietrich/Lambrecht 2012),
die den gesteuerten Objekten, hier: schulischen Akteuren, einen Zwischenraum der
Mitwirkung am eigenen Gesteuertwerden eröffnet: Diese Mit-Wirkungen lassen sich
allerdings nicht kontrollieren, da sie selbst nicht auf wissenschaftlichem Wissen gegründet
5
sind (Thompson 2014) und werden zum stets sich neu vollziehenden „Drahtseilakt“ (Ditton
2009: 92) des Umgangs mit ‚Qualität‘.
Mit der Einsicht in die Autorität und Legitimität des Evaluationswissens soll dennoch eine
rationalere Gestaltung von Schule und Schulsystem insgesamt möglich werden – quasi
selbstläufig entlang des ‚zwanglosen Zwangs‘ der besseren, empirischen Evidenz 3 der
Inspektionsergebnisse (Dietrich/Lambrecht 2012). Die Verstrickung von ‚Steuerungsimpuls‘
(Evaluationsergebnissen) und jenen sich den Impuls aneignenden Akteuren (den Schulen
bzw. schulischen Akteuren) führt – qua Figur der ‚Einsicht‘ – dazu, dass nicht mehr klar
zwischen Steuerungssubjekt und -objekt unterschieden werden kann: Eine Erkenntnis, die in
den letzten Jahren vor allem von Seiten der Educational Governance-Studien verstärkt in die
Debatten zur Schulinspektion eingebracht wurde (vgl. etwa Kussau/Brüsemeister 2007;
Altrichter/Maag Merki 2009).
Gerade das Angewiesensein auf die Mitwirkung der Gesteuerten, die sich EvaluationsEvidenzen aneignen (müssen), hat innerhalb der Forschung zur Schulinspektion zur häufig
gestellten Frage geführt, ob und wie genau sich dieses ‚steuernde Potential‘
(Dietrich/Lambrecht 2012: 58) entfaltet. In den Blick kamen dabei zumeist die von
Schulinspektion adressierten Akteure, etwa im Sinne einer Akzeptanzforschung zur
Schulinspektion oder im Sinne von Auswirkungen auf Schülerinnenleistungen oder
berichteten Schulentwicklungsmaßnahmen (vgl. Husfeldt 2011; Böttcher/Keune 2010).
Diese Frage nach Wirksamkeit und Wirkungen der Schulinspektion auf Schul- und
Unterrichtsqualität blieb letztlich bis dato, trotz verschiedentlicher Zugänge und
Fragestellungen, unbeantwortet (im Überblick: Lambrecht/Rürup 2012). Ganz ähnlich wie
dies für den Qualitätsbegriffs bereits herausgestellt wurde, hat der permanente
Erkenntnisaufschub – Wann könnte man sich je sicher sein, endgültig herausgefunden zu
haben, was Qualität ‚ist‘? – auch in Bezug auf Evaluationswirkungen eine produktive Seite.
Gerade die Unwahrscheinlichkeit einer Antwort reizt weitere Erkundungen an, die sich genau
auf jene Lücke in der Erkenntnis berufen. Dies mag u.a. darin erklärlich werden, dass auch
evaluativen Festlegungen über die ‚gute Schule‘ keine Einheitlichkeit und Eindeutigkeit
eignet (Preuß/Brüsemeister/Wissinger 2012: 110), so dass Aneignungen und ‚Einsichten‘
seitens der schulischen Akteure überhaupt erst nötig werden.
Mir geht es nunmehr darum, dieser Produktivität nachzuspüren, indem ich die
Generativität von Qualität im Diskurs über die Wirkungen externer Schulevaluation
untersuche. Ansatzpunkt ist dabei die oben ausgeführte komplexe Relationierung aus
Steuerungssubjekt
und
-objekt
im
Zwischenraum
der
‚Rezeption‘
von
Schulinspektionsergebnissen.
4
Methodisches Vorgehen: Interview- als Diskursanalyse
Im aneignenden Umgang mit Evaluationsberichten durch (schul-)pädagogische Akteure, v.a.
Schulleitungen und Lehrkräfte, kommt es zu Transformationen und Einsetzungen von
pädagogischem Wissen zu ‚Qualität‘, das als Auseinandersetzung mit den evaluativen
Qualitätskriterien verstanden werden kann. Weder werden Ergebnisse einfach bruchlos
übernommen und in Optimierungshandlungen überführt, noch lässt sich eine völlige
3
Dabei wird nicht notwendigerweise ein fest umgrenztes Evidenzkonzept aufgerufen, was sich auf
wissenschaftlich gewonnene Daten beruft. Was unter ‚Evidenzen‘ verstanden wird, welche Bedingungen und
Geltungsbereiche mit Evidenz verbunden sind, unterscheidet sich innerhalb der Schulinspektionen
verschiedener Bundesländer. Auch das Verhältnis zwischen Schulinspektion bzw. Evaluation und Wissenschaft
selbst wird als ambivalent beschrieben (Dietrich/Lambrecht 2012: 60; Lüders 2006). Der Anspruch an evaluativ
gewonnenes Wissen lautet jedoch generell, dass es sich um systematisch erhobenes und objektivierbares
empirisches Vorgehen handeln solle.
6
Souveränität gegenüber den Evaluationsergebnissen im Rezipieren der Ergebnisse
behaupten. Dies wurde mit der o.g. Figur des ‚Zwischenraums‘ bereits angesprochen. Es soll
nun darum gehen zu beobachten, wie ‚Qualität‘, oder genauer: die evaluativen
Qualitätsbestimmungen, zum Sprechen anreizen sowie welches Sprechen auf diese Weise
überhaupt ermöglicht und erforderlich wird, mithin: welches pädagogische Wissen über
Qualität in Auseinandersetzung mit Schulinspektionsergebnissen generiert wird und welche
Funktionalität sich damit verbindet. Dies geschieht vor dem Hintergrund der
diskurstheoretisch informierten Annahme, dass Sprechen nicht lediglich eine vorhandene
Wirklichkeit abbildet und sich additiv zu dieser gesellt, sondern selbst bereits eine Form von
Handeln darstellt, das produktiv und generativ in die Wirklichkeit gestaltend eingreift (vgl.
etwa Butler 2006): Diskurse, so die den nachfolgenden Analysen grundgelegte Annahme,
bilden systematisch die Gegenstände, von denen sie sprechen (Foucault 1981).
Diskursanalytische Vorgehensweisen gewinnen im erziehungswissenschaftlichen Feld
zunehmend an Sichtbarkeit und Ausdifferenzierung (vgl. etwa die Beiträge im Handbuch
Diskursforschung, Angermuller et al. 2014), weil mit ihnen die Möglichkeit einher geht ihren
Forschungsgegenständen sowie anderen Forschungszugängen gegenüber „die Perspektive
umzudrehen“ (Budde 2012: 5).
Mit Verweis auf den sprech-praktischen Vollzugscharakter des Sozialen wird es möglich,
scheinbar natürliche Gegebenheiten als diskursive Effekte verständlich zu machen, die sich
über regelmäßiges Wieder- und Neu-Aufrufen als (spezifische) Wahrheiten bzw. Tatsachen
sedimentiert haben. Es geht dem diskursanalytischen Blick aber nicht um Erkundungen
dahingehend, ob das Gesagte wahr oder falsch ist, sondern eher, wie Wahrheitseffekte
erzeugt werden und zu Geltung gelangen.
Sprechhandlungen, „Artikulationen“ (z.B. Jergus 2011), haben auch Auswirkungen auf die
Art und Weise, wie man sich selbst und die Welt zu sehen und zu verstehen habe, wenn
man als Sprechende an Diskursen teilnimmt. Dieses Nahelegen von bestimmten Selbst- und
Weltverhältnissen im Rahmen von Artikulationen wird als ‚Anrufung‘ bezeichnet, die für
Subjekte eine soziale Adresse bereitstellt, deren (niemals bruchlose) Einnahme eine
anerkennbare Existenz verspricht (z.B. Butler 2006; Bröckling 2007). Wichtig ist bezüglich
des Status von Anrufungen zu betonen, dass diesen ebenfalls eine uneindeutige Qualität
eignet, d.h. sie sind nicht so zu verstehen, dass sie „den Platz des Subjekts und die Gestalt
des Sozialen vermessen und determinieren würden“ (Jergus/Krüger/Schenk 2013: 235), da
dies die diskursive Bewegung still stellen würde. Es gibt aber kein Jenseits des Diskurses
und damit auch keinen Punkt, an dem er oder seine Bewegung endet.
Dies hat Auswirkungen auf das Verständnis von Subjektivität, wie es auch nachfolgend für
die zu analysierenden Interviewmaterialen zum Einsatz kommt. Der Status des sprechenden
Subjekts wird brüchig: Es kann nicht mehr als Figur der Vereinheitlichung von Sinn, anders
gesagt: als ‚Autorin‘ des Gesagten, vereinnahmt werden, da es sich im Sprechen erst eine
Form geben, sich ‚subjektivieren‘, muss. Für Interviewanalysen wird dieser Blickwechsel
bedeutsam, da es sich hierbei um eine Materialsorte handelt, die meist in besonderer Weise
mit der Hoffnung verbunden wird authentisches Sprechen abzubilden und zugänglich zu
machen (vgl. Schmidt/Diegmann 2015).
Bevor ich auf mein methodisches Vorgehen näher zu sprechen komme, möchte ich
zunächst auf das Interviewmaterial eingehen, das der Untersuchung als empirische Basis
dient: Die Interviewauszüge entstammen einem Forschungsprojekt, bei dem es zunächst um
die Rekonstruktion von Rezeptions- und Nutzungskonstellationen seitens der evaluierten
schulischen Akteure an sächsischen allgemeinbildenden Schulen ging (vgl. Drinck et al.
2013). Das Sample setzt sich zusammen aus 30 Interviews, die mit Schulleitungen von je
7
zehn Gymnasien, Mittelschulen und Grundschulen geführt wurden 4. An allen Schulen des
Samples wurde die Schulinspektion sechs bis acht Wochen vor Erhebungsbeginn
abgeschlossen.
Einem diskursanalytischen Vorgehen kann es aufgrund der o.g. Ausführungen aber nicht
um die subjektive Perspektive der Schulleitung auf Qualität, Schulinspektion etc. gehen,
sondern um die diskursiven Praktiken der Produktion von Qualitäts-Wissen, die sich im
Interviewsprechen finden lassen. Nachfolgend werde ich – um einen ‚starken‘ Subjektbegriff
nicht nachgerade wieder einzuführen – vom Diskurs der (schul)pädagogischen bzw.
pädagogisch-organisationalen Praxis sprechen, da der Diskurs zwar von Sprecherinnen
organisiert wird, aber seine Produktivität und Generativität allein durch die stets erneut und
praktisch zu leistende Verknüpfungen, Verweise oder Abgrenzungen von (Text-)Elementen
verbürgt wird, die als Faktizität an der Oberfläche von Texten erscheinen 5.
Die Befragten sind, weitergehend, nicht als primärer Ort der Sinnproduktion zu
veranschlagen – auch die Position der Interviewerin selbst wird z.B. diskursproduktiv (Jergus
2011, Roch 2014). Um dies methodisch zu leisten (und der Verführung durch das
Autorinnenprinzip zu entgehen), wurden die Interviewtexte nicht als einheitliche Dokumente
behandelt, sondern zergliedert, indem aus dem Datenkorpus alle Aussagen
herausgenommen wurden, die sich auf ‚Qualität‘ oder ‚gute Schule‘ bezogen oder in der
Nähe dieser Begriffe artikuliert wurden. Anschließend wurden ausgewählte Aussagen einer
Feinanalyse unterzogen; die Auswahl bezog sich auf Aussagen, die augenscheinlich
vermehrt vorkamen und als Vertreterinnen einer Gruppe von Aussagen verstanden werden
könnten 6.
In der Analyse wurden die heterogenen Positionen von Subjektivitäten und Objektivitäten,
die sich über die Interviewfragmente hinweg verstreuten, in Bezug auf ‚Qualität‘ bzw. ‚gute
Schule‘ neu geordnet. Betrachtet wurde, welche Verknüpfungen, Differenzen, Verkettungen
zu ‚Qualität‘ vorgenommen wurden.
In der Analyse wurde nicht nur relevant gemacht, was in Bezug auf ‚Qualität‘ wie und mit
welcher Funktionalität gesagt wurde, sondern auch, was nicht gesagt wurde, was nicht mehr
sagbar ist, was mithin vom Diskurs ausgeschlossen wird. Artikulationen sind gerade
aufgrund ihres exkludierenden Charakters stets auch „machtvolle Einsätze im sozialen
Raum“ (Jergus/Krüger/Schenk 2013: 236).
Der Fragehorizont der Feinanalysen bezieht sich auf die Eigenlogik des Diskurses um
gute Schule im Kontext der Wirksamkeit von Schulinspektion: Wie wird pädagogisches
Wissen über Qualität im Hinblick auf Artikulationen der Rezeption und Nutzung von
Schulinspektionsergebnissen erzeugt? Was wird als ‚Qualität‘ konturiert und somit
4
5
6
Zwei der Interviews wurden mit der Schulleitung und ihrer Stellvertretung gemeinsam durchgeführt, da die
Interviewten dies explizit wünschten. Neben qualitativen Interviews kamen im Rahmen des Gesamtprojektes,
das an der Universität Leipzig durchgeführt wurde, weiterhin auch Gruppendiskussionen mit
Steuergruppenmitgliedern und Dokumentenanalysen von Zielvereinbarungen als Erhebungsinstrumente zum
Einsatz; diese wurden in verschiedenen Teilprojekten zunächst einzeln bearbeitet, anschließend wurden die
Ergebnisse zusammengeführt (vgl. Drinck et al. 2013).
Von den analytischen Ergebnissen lassen sich jedoch keine Rückschlüsse auf das konkrete unterrichtliche und
organisatorische Handeln der Schulleitungen ziehen, da in der Untersuchung ein Wirklichkeitsausschnitt
betrachtet wird, der sich auf die mittels der in Interviews zugänglichen diskursiven Hervorbringungen begrenzt
(vgl. Jergus/Koch/Thompson 2013).
In den nachfolgenden Analysen rücken die Interviewerinneneinsätze aufgrund der Komprimiertheit der
Darstellung innerhalb des Formats eines Zeitschriftenartikels nicht in den Blick. Die Auswahl der
Interviewstellen für die Ergebnisdarstellung der Figurenanalyse erfolgte im Hinblick auf eine besonders
eindrückliche Inszenierung des Gesagten, welche meine Argumentation stützt, nicht aber auf spezifische
Gesprächspositionen oder im Hinblick auf eine mögliche Sättigung des Materials. Es ließen sich demnach bei
extensiverer Analyse ggf. weitere Ergebnis-Figuren herausarbeiten bzw. die vorhandenen Figuren
akzentuieren.
8
vergegenständlicht? Wie autorisieren sich Qualitätsfassungen? Welche Selbst- und
Anderen-Verständnisse werden im Sprechen über Qualität artikuliert? Wie entfaltet ‚Qualität‘
mobilisierende Effekte? Welche Formen der Mobilisierung lassen sich beobachten?
5
Im Ergebnis: Figuren des Qualitativen
Die Analyseerträge werden im Folgenden in Form von „Figuren“ (vgl. Jergus, 2011;
Jergus/Koch/Thompson 2013; Wrana 2006) zusammengetragen, da dies anders als eine
fest umgrenzte Typik die Vorläufigkeit und Unabschließbarkeit jeder Sinnproduktion, d.h.
auch: jedes Forschungsergebnisses, betont und die Grenzen zwischen den einzelnen
Figuren offen hält. Die einzelnen Figuren interferieren miteinander und lassen sich hier nur
zu Darstellungszwecken trennscharf einander gegenüber stellen (Jergus/Krüger/Schenk
2013). Insgesamt konnten vier Figuren herausgearbeitet werden.
5.1
Figur 1: Qualität als Ort des Streites um das wahre pädagogische Wissen
Die Beweglichkeit der evaluativen Beurteilungskritierien für gute Schule, mithin die Frage
nach der Erkennbarkeit des Qualitativen, regt Auseinandersetzungen um den ‚richtigen‘
Erkenntniszugang an. In Frage steht hier nicht die generelle Beobacht- und Beurteilbarkeit
des ‚Guten‘ einer guten Schule, dies wird vielmehr zur impliziten Voraussetzung – und damit
wird eine Entzogenheit des Erkenntnisgegenstandes zum Ungesagten des Diskurses.
Grundsätzlich kann in diesen Figurierungen die Beobachtung des Qualitativen an ein Ende
gelangen, an dem die Evaluationsergebnisse ein Spiegelbild des Tatsächlichen abgeben. Es
geht eher darum, wie dies vollzogen werden kann oder anders gesagt: Es geht um Fragen
der (stets fragilen) Relationierung einer Referenz aus Abbildung und schulischer Wirklichkeit.
In diesem Kontext wird eine Passung von ‚Qualität‘ und ihren beobachtungstechnischen
Operationalisierungen thematisierbar. Eine solche Auseinandersetzung um den adäquaten
Zugang zum Beobachteten findet sich im Folgenden, exemplarisch ausgewählten
Intervieweinsatz, welcher auf die Diskussion hin entstand, ob die im Evaluationsbericht
angezeigte Schulqualität positiv verzerrt sei:
Schulleiterin 1:
Schulleiterin 2:
Schulleiterin 1:
Schulleiterin 2:
Schulleiterin 1:
Schulleiterin 2:
Schulleiterin 1:
Ich meine es gibt auch durchaus rote Stellen in dem Bericht, das ist ok,
dass die da drin stehen.
Dass die rot sind.
Das sind zum Beispiel die Schulwechsler. Also man muss auch nicht
jeden auf Gedeih und Verderb bis oben hin mitschleppen.
Da sind wir stolz drauf [lacht].
Das ist eine rote Stelle, das ist ok. Das ist eine rote Stelle, mit der kann
ich gut umgehen und ich weiß, wie die entstanden ist, weil ich habe ja
auch den Schülern gegenüber eine Verantwortung, die wirklich das
Abitur machen wollen.
Richtig.
Und wenn ich viele sehr leistungsschwache drin habe, senkt sich das
Niveau irgendwann ab, irgendwann kriegen wir die Quittung dafür. [1]
In dem Interviewfragment wird verhandelt, was sich als ein adäquates Messkriterium für
Schulqualität autorisieren kann und wer überhaupt befähigt ist über die Qualität der
evaluierten Schule Aussagen zu treffen. Das Sprechen über die evaluativen
Qualitätsbestimmungen wird so performativ selbst zu einem Umgang mit ‚Qualität‘. Im
Argumentationsverlauf ergibt sich eine Frontstellung: Das Wissen der Evaluation wird gegen
9
das Wissen der Schulleitung bzw. der pädagogischen Praxis profiliert. Dem Machtanspruch
der Evaluationsergebnisse auf die Abbildung von Schulqualität wird der Boden entzogen,
indem die Selbstverständlichkeit der Auswahl von Messkritierien zum Thema gemacht und
damit: entnaturalisiert wird. Zugleich kann eine solche Bewegung des distanzierendzweifelnden Bezugnehmens auf Evaluation nicht erfolgen, ohne dass andere Gründe evident
gemacht werden. Hier wird die Selbstverständlichkeit und Natürlichkeit von
Leistungsheterogenität zum ‚Kampfeinsatz‘ im Ringen um die wahre Schulqualität. Dem
logischem Vorhandensein von Leistungsheterogenität und den entsprechenden
pädagogischen Kompensierungs- oder Differenzierungsnotwendigkeiten (s. Zitat: „nicht
jeden bis oben hin mitschleppen“ [1]) ließe sich kaum entkommen. Zugleich figuriert sich die
Position des bzw. der Sprechenden als pädagogischer Expertinnen, die pädagogische
Prozesse in ihrer Vollzugslogik erschließen können: Sie wissen, wovon sie da sprechen.
Durch die Ergebnisse hindurch wird sozusagen eine andere Wahrheit sichtbar, die sich aber
nur dem informierten Blick offenbart; sie zeigt sich wiederum erst in Auseinandersetzung mit
den Ergebnissen. Es kommt zur pädagogischen Selbst-Autorisierung bei gleichzeitiger DeAutorisierung des evaluativen Wissens – und anhand des Vollzugs dieser DeAutorisierungspraktik.
Nicht widersprüchlich ist dagegen die Art und Weise, wie ‚Qualität‘ und ‚pädagogische
Praxis‘ verschaltet werden: Hier bedient sich die Argumentation der Sprechenden den
gleichen Logiken wie die Evaluationergebnisse. Es wird eine Relation hergestellt zwischen
der Erkenntnisbildung bezüglich einer bestimmten Form von Handlungen und ihren auf das
Pädagogische bezogenen erfolgreichen Wirkungen (s. Zitat: „irgendwann kriegen wir die
Quittung dafür“ [1]). So wird auch eine Haltung zu den Ergebnissen thematisierbar: Man ist
‚stolz‘ auf das Qualitätsurteil, auch – oder gerade weil – es als negativ („rot“) bewertet wurde.
Die emotionale Positionierung zu den Ergebnissen qua ‚Stolz‘ wird als Haltung relevant, weil
sie die Frage aufwirft, was mit den Evaluationsergebnissen zu tun sei. Verhandelt wird damit
auch der Anspruch von Evaluationsergebnissen auf Mobilisierung ihrer Adressatinnen: Wenn
der Grund für Mobilisierungen ins Schwanken gerät, wohin soll dann optimiert werden? Von
solchen Fragen bleibt auch eine Deautorisierungsstrategie nicht entlastet, denn eine
Entscheidung muss prozessiert werden. So flicht sich das in der Kritik stehende
Qualitätskriterium in die Ungewissheit und Unübersichtlichkeit pädagogischer Praxis ein,
ohne eine Entscheidung vorweg nehmen zu können – auch wenn dies zum Versprechen der
Schulinspektion gehört (s. Abschnitt 2 dieses Aufsatzes).
5.2
Figur 2: Qualität als Anlass zur Selbstreflexion und -inblicknahme
In der Figur ‚Qualität als Anlass zur Selbstreflexion‘ wird ein heterogenes Verhältnis von
Subjektivität und Objektivität in Bezug auf den Begriff der Schulqualität geknüpft. Hier
werden die Ergebnisse genutzt, um zu sich in ein Verhältnis einzutreten.
Eine Differenz aus Evaluationsperspektive und partikularer Perspektive der
pädagogischen Praktikerin wird auch in dieser Figur zum Gesprächsanlass, allerdings wird
sie auf eine Weise gefüllt, dass der Wahrheitsanspruch der Ergebnisse bzw. die Relation aus
Abbild und Abgebildeten nicht thematisch wird: Das, was über die Qualität der Schule gesagt
wird, entspricht den Tatsachen und auch die Ausdifferenzierungen des Qualitätsbegriffs
erscheinen als unfraglich. Verunsichert wird dagegen das Selbstverhältnis zum eigenen
Wissen:
Schulleiter:
Also, ich finds, ich fands [die Evaluationsergebnisse, M.S.] fast (2) naja vielleicht ein halbes Grad zu gut sogar, also ich bin immer bissl kritischer, ne? An
10
der Schule herrschen klare Normen und Regeln, Mensch, dacht ich, verdammich, haben wir das wirklich? [lacht]
Interviewerin: [lacht]
Schulleiter: Ne? Ich sag mal als Beispiel jetzt.
Interviewerin: Ja.
Schulleiter: Na klar müssen irgendwo Regeln sein, aber man empfindet sie nicht mehr so,
weil sie für uns alltäglich [sind], ne? [2]
Im Gegensatz zur o.g. ersten Figur wird die Relation aus Qualitäts-Wissen des
Evaluationsergebnisses und dem eigenen Wissen als ungewisses dargestellt, die eigene
Wahrnehmung, das Selbst-Erleben wird von einer Beweglichkeit erfasst, die Alltägliches –
etwa das (Nicht-)„Empfinden“ vorhandener Regeln – befremdlich erscheinen lässt. Dies zeigt
sich darin, dass das Gesagte auf den Bereich subjektiver Geltung eingegrenzt wird (s. Zitat:
„Ich finds, ich fands...“; „Ich bin immer bissl kritischer“ [2]), also anders als in der o.g. Figur
keinen Allgemeinheitsanspruch verfolgt, wie dies in Bezug auf die Naturalität von
Leistungshomogenität seitens der Schülerinnen der Fall war. Das In-Bewegung-Geraten des
Selbstverhältnisses reizt zu Neu-Versicherungen an: „Mensch, sind wir wirklich so gut“ [2]?
Es wirkt dementsprechend produktiv, denn Mobilisierung der evaluierten und rezipierenden
Subjekte wird in dieser Thematisierungshinsicht ausbuchstabiert als ein erneut einsetzender
Erkenntniseinsatz an sich selbst, der die Verfügung über sich wieder herstellt. Man muss
sich noch einmal selbst in den Fokus der Beobachtungen rücken, um die Differenz der
heterogenen Perspektiven auf die infrage stehende Schulqualität, aber auch die Differenz zu
sich selbst, zu bearbeiten. In der Verhältnisnahme zu sich als Erkenntnissubjekt und -objekt
lagert demnach eine doppelte Mobilisierung, die von der Verheißung der Schulinspektion auf
eine andere, ‚bessere Evidenz‘ (Dietrich/Lambrecht 2012) zehrt, die Evidenz dabei
gleichzeitig als bessere erst autorisiert.
5.3
Figur 3: Qualität als Vergemeinschaftungs- und Differenzierungsanlass
In der folgenden Figur wird das Verhältnis von Qualität – (Erkenntnis-)Subjekt – Wissen
produktiv, um Differenzierungs- und Kollektivierungsbewegungen innerhalb und zwischen
evaluierten Akteuren bzw. Rezipientinnen der Ergebnisse zu vollziehen. Anhand des
folgenden Interviewtranskripts lässt sich dies näher beleuchten. Anschlusspunkt des
Erzählens ist hier die Interviewerinnenfrage nach dem Erleben der Ergebnisrückmeldung, die
als Erstbegegnung mit den Inspektionsergebnissen firmiert.
Schulleiter:
die Teilnahme der Lehrer war (1) fast, (2) naja, also über 80 Prozent, also die
mussten ja nicht kommen, natürlich gab es zwei, drei, [indirekte Rede] ‚Müssen wir da kommen?‘, ich sag, [indirekte Rede] ‚Sie müssen nicht kommen,
aber‘, ich sage, [indirekte Rede] ‚wenn Sie über die Qualität Ihrer Arbeit informiert werden möchten, da wär's schon nicht schlecht‘, aber sie sind also von
sich aus- das zeigt das Interesse- es ist ja auch das-das Lehrerteam als solches (2) sehr gut als-als-als gut harmonierend, […] also es gibt ein (1) gutes
Klima in der Lehrerschaft [3]
In Bezug auf das Qualitative vollzieht sich hier eine Differenzierungspraktik: Es wird
unterschieden zwischen denjenigen schul(pädagog)ischen Akteuren, die an der Präsentation
der Ergebnisse teilgenommen haben und jenen, die (in geringerer Quantität) fernblieben.
Eine andere Differenzierungslinie vollzieht sich entlang der Freiwilligkeit vs. Pflicht zur
Teilnahme. Beides wird nunmehr verknüpft: ‚Qualität‘ erzeugt von sich aus eine Attraktivität,
11
die mobilisierend wirkt und die Lehrkräfte -- aber auch die Schulleitung, die hier (nicht
grundlos, s.u.) unthematisiert bleibt – dazu verführt etwas über sich in Erfahrung zu bringen
und sich in die Präsentationssituation hinein zu begeben. Qualität koppelt sich an einen
‚Willen zum Wissen‘ (Foucault 1977). Dieser Wille zum Wissen wiederum muss eigens zur
Darstellung gebracht werden, indem man sich als anwesende Person auf der
Ergebnispräsentation zeigt: In der Freiwilligkeit der Teilnahme formiert und inszeniert sich die
‚gute‘ schulische Akteurin. Pflicht und Freiwilligkeit gehen hierbei folglich eine paradoxe
Konstellation ein, da jegliche Form der Ab- und Abwesenheit an der Ergebnispräsentation
mit Bedeutsamkeit aufgeladen werden. Es lässt sich nicht ‚einfach so‘ fernbleiben.
Weiterhin ist die Position der Schulleitung von analytischem Interesse, die sich hier selbst
im Sprechen als Vermittlungsrelais zwischen Evaluation und Lehrerschaft konturiert. Die
Tatsache, dass für sie die Teilnahme an der Ergebnispräsentation überhaupt nicht erst
thematisch wird, verweist auf eine spezifische Konstitutionslogik von ‚Schulleitung‘ im
Rahmen der Aneignung des evaluativen Qualitätswissens. Schulleitung stattet sich
„naturgemäß“ mit dem ‚Willen zum Wissen‘ aus, der für andere schulische Akteure erst zur
Schau gestellt werden muss, indem Optionen eröffnet und ausgewählt werden. Die
Schulleitung hat keine Optionen 7. Das in der Ergebnispräsentation vermittelte
Qualitätswissen verspricht Schulleitung damit die Einnahme einer ‚individuellen‘ Identität als
Erkenntnissubjekt, die sich qua Differenz zu anderen Akteuren-als-Erkenntnissubjekten
prozessiert. ‚Qualität‘ autorisiert sich, indem sie Verteilungen von Positionen im Raum
ermöglicht.
5.4
Figur 4: Qualität als Supplement der Schulleitung
Die besondere Stellung, die Schulleitung im Kontext von Artikulationen zur Rezeption von
Schulinspektionsergebnissen erhält, kennzeichnet u.a. auch die vierte Qualitäts-Figur, in der
das evaluative Qualitäts-Wissen sich mit dem Schulleitungs-Wissen ‚verbündet‘ und auf
diese Weise funktional wird. Abermals werden Differenzen figuriert, die aber zur o.g. Figur
verschieden konstelliert werden.
Schulleiterin: […] für mich ist es wirklich wichtig, dass wir damit [mit den Inspektionsergebnissen; M.S.] eine Richtung bekommen haben oder auch den Nachweis in eine Richtung zu gehen, die ich intuitiv schon vorhatte, aber jetzt ist die Bestätigung ja da, dass wir also an der Qualität des Unterrichts noch einiges verändern müssen, (2) in welche Richtung auch immer, und da ist das Kollegiumgeht also auch mit dieser- hat diese Meinung auch, wir können noch einiges
tun. (2) [4]
‚Qualität‘ wird in diesem vierten Gesprächsfragment als anstrengende Arbeit beschrieben:
Sie (er)fordert Personen, die Qualität leisten bzw. herstellen müssen. Die Adressierung der
schul(pädagog)ischen Akteure als Qualitätsakteure erfolgt durch die Inspektionsergebnisse
und deren Darstellungscharakter selbst: Sie haben „eine Richtung“ vorgeschlagen
„bekommen“ [4], in die sie sich nunmehr eigenständig auf den Weg zu begeben haben. Es
taucht demnach auch hier eine spezifische Mobilisierungs-Charakteristik im Zusammenhang
7
Ausführlicher werde ich die Konstitutionslogiken der Schulleitung in meiner Dissertationsschrift darlegen (vgl.
Schmidt, i.V.), denn es lassen sich auch weitere Sprechpraktiken herausarbeiten, in denen die Schulleitung
gegenüber anderen Evaluationsakteuren durch Abgrenzung eine eigene, hervorgehobene Identität gewinnt,
etwa die Intensität des Lesens von Evaluationsberichten, die Praktiken der Verteilung der
Evaluationsergebnisse, etc. Das Sichtbarwerden als Schulleitung im Interview-Sprechen kann demnach als
Bedingung des Sprechens verstanden werden.
12
mit Qualitäts-Wissen auf: Dieses wird funktionalisiert im Hinblick auf künftige
Optimierungshandlungen, die aber (nicht nur im ausgewählten Interviewausschnitt)
weitgehend konturlos bleiben (siehe Zitat [4]: „in welche Richtung auch immer“). Die Funktion
des Informiertwerdens durch die Inspektionsergebnisse als ‚reines‘ Erkenntnisinteresse wird
damit nicht sagbar und gerät aus dem Fokus. Zugleich artikuliert sich eine völlige
Verfügbarkeit seitens der schul(pädagog)ischen Akteuren über ‚ihre‘ Qualität.
Entzogenheiten, Hindernisse, strukturelle Verunmöglichungen der Optimierungsarbeit
bleiben unbenannt und werden damit als Möglichkeiten ausgeschlossen 8.
Die Spezifik des Qualitätsbegriffs bedingt, dass man mit dieser Arbeit niemals fertig
werden kann. Es zeigt sich eine paradoxale Verschränkung von Statik und Prozessualität im
Qualitätsbegriff: Zwar wird einerseits das Vorhandensein von „Qualität des Unterrichts“
artikuliert, doch zugleich muss „noch einiges veränder[t]“ [4] werden – es wird nicht etwa von
Qualitätsentwicklung oder -erstellung gesprochen. ‚Qualität‘ wird zum fragilen Gut, das stets
aufs Neue bearbeitet werden kann, weil es nur im Modus des Werdens existiert, zugleich
aber immer schon vorhanden ist. ‚Qualität‘ wird so zum Ziel und Ausgangspunkt
pädagogischer Bemühungen. Innerhalb dieser Konstellation ist es wiederum die
Schulleitung, die eine besondere Position einnimmt, indem sie sich als Äquivalent an die
Stelle der Evaluation setzt. Genau wie jene hat auch die Schulleitung „instinktiv“
eine/dieselbe „Richtung“ [4] der Optimierung vor Augen, die sie nunmehr problemlos
gegenüber dem Lehrerkollektiv legitimieren kann. Sie tritt als Expertin für Schulqualität in
Erscheinung, weil sich ihr Wissen mit dem empirisch fundierten Evaluationswissen deckt:
‚Einsicht‘ in die Ergebnisse führt hier zu ‚Ein-Sicht‘. Die pädagogische Autorisierung des
Selbst erfolgt dahingehend, dass man seine Schule bereits kennt und sich bereits als
Qualitätsakteurin versteht, als solche aber noch nicht gegenüber anderen (an)erkannt wurde.
Die Verdopplung der Perspektive auf Schulqualität durch Schulinspektion und Schulleitung
macht die Arbeit an der eigenen Optimierung nunmehr für die Lehrkräfte zu einem Angebot,
das sie kaum ablehnen können. Dies funktioniert vor allem dahingehend, dass der
Wahrheitsgehalt des evaluativen Qualitäts-Wissens als unstrittig vorausgesetzt wird.
6
Zusammenfassende Betrachtung und Fazit des Beitrags
Anhand meiner Untersuchungen lässt sich – ohne dass die Analyseergebnisse einen
Anspruch auf Vollständigkeit erheben oder dies überhaupt beanspruchen könnten –
aufzeigen, wie ‚Qualität‘ in unterschiedliche diskursive Konstellationen eingetragen werden
und darin je spezifische Effekte zeitigen kann. Dies wird ermöglicht durch die produktive
Unbestimmtheit des Qualitätsbegriffs selbst, der zu stets neu zu erbringenden
Diskursivierungen anregt. Ziel meines Beitrages war es, jenen Verflechtungen zwischen der
offenen Frage nach einer ‚guten Schule‘, Versuchen der Qualitätsbestimmung durch
Schulinspektionsergebnisse und den ‚Antworten‘ seitens einer pädagogisch-organisationalen
Praxis nachzugehen, die sich in den Sprechpraktiken zur Wirksamkeit von Schulinspektion
zeigen.
Herausgearbeitet werden konnte, dass die Aneignungen der evaluativen
Qualitätsbestimmungen mit der Einnahme einer Haltung verbunden sind (vgl. Jergus/Koch/
Thompson 2013), denn in allen Qualitäts-Figuren wird ein Verweisungszusammenhang
8
Auch wenn sich im Gesamtkorpus der Interview solche Aussagen finden lassen, die die Bedingtheit und
Situativität von Qualitätsoptimierungen argumentativ einbringen, so lässt sich feststellen, dass diese gegenüber
den Selbstverpflichtungen auf Qualitätsoptimierung allein quantitativ gesehen nur einen marginalen Stellenwert
einnehmen. Die Rezeption von Schulinspektionsergebnissen autorisiert demnach in besonderer Intensität
(schul-)pädagogischen Akteure zur Übernahme individueller Verantwortung für Schulqualität.
13
zwischen sprechendem Selbst bzw. Subjektfiguren und den Schulinspektionsergebnissen
eröffnet, der in unterschiedlicher Weise vorgenommen wird. Dieser Zusammenhang entfaltet
sich
entlang
eines
Wechselspiels
aus
Qualitäts(de-)autorisierungen
(der
Evaluationsergebnisse) und Autorisierungen des pädagogischen Selbst – ungeachtet jener
Autorisierungen, die das Selbst überhaupt erst als Sprecherposition im Qualitätsdiskurs
legitimieren. Formuliert werden verschiedene Beziehungen zu sich selbst, die über (Selbst)Erkenntnis strukturiert werden, aber auch Relationierungen zu anderen schulischen
Akteuren. So bringen die diskursiven Praktiken des Interviewsprechens die Position der
Schulleitung als eine individuelle erst über Abgrenzung zu anderen Akteurspositionen und
qua einer besonderen Verstrickung in Fragen schulischer Qualität hervor.
In den vier Figuren werden zudem unterschiedliche Formen davon artikuliert, wie Qualität
zu Mobilisierung anreizt und entsprechend produktiv wirkt. In der ersten Figur wird
Mobilisierung
als
Herausforderung
angesichts
der
strittigen
Wahrheit
der
Evaluationsergebnisse konturiert, in der zweiten stellt sie sich in Form eines Anreizes dar,
sich seiner selbst (wieder) zu versichern, nachdem man sich durch die Ergebnisrezeption als
von sich entzogen erfahren hat. In der dritten Figur wird ein Wille mobilisiert etwas über sich
in Erfahrung zu bringen, in der vierten Figur mobilisieren die Qualitätsbestimmungen zur
kollektiven Optimierungsarbeit, in die die Schulleitung gestaltend eingreift und den Umgang
mit Qualität einer technologischen Bearbeitung zuführt. Allen Figuren ist gemeinsam, dass
sich in ihnen zur Verantwortungsübernahme und Zuständigkeit für Qualität seitens der
pädagogischen Praxis bekannt wird, denn es findet eine einseitige Responsibilisierung statt,
die schul(pädagog)ische Akeure adressiert sich Qualität und Optimierung zur eigenen
Aufgabe zu machen, zum ‚Qualitologen‘ (Höhne 2011) seiner selbst bzw. Schule zu werden.
Dabei bleibt den Akteuren gleichzeitig die Aufgabe überlassen stets Qualitätsbestimmungen
erst selbst vornehmen zu müssen.
Die Ergebnisse meiner Untersuchungen legen demnach einen gegenüber bisher
publizierten Studien (bspw. Wurster/Gärtner 2013) anderen Fokus auf den Umgang mit
Schulinspektionsergebnissen und den darin zugänglich werdenden Qualitätsbestimmungen,
indem sie nicht die Rezipientinnen von Inspektionsberichten als Verantwortliche für die
Weiterentwicklung von (ihrer) Schulqualität voraussetzt, sondern aufzeigt, wie, auf welche
Weisen, diese überhaupt erst verantwortlich gemacht werden bzw. sich selbst machen und
wie mittels (variierender) Begriffsverständnisse ‚Qualität‘ eine pädagogische Bedeutsamkeit
erhält. So kommen die machtvollen und subjektivierenden Effekte des Sprechens im Raum
von Unbestimmtheit, Autorisierung und Mobilisierung in Bezug auf Qualität in den Blick.
‚Qualität‘ ist damit nicht allein produktiv im Hinblick auf das ‚Wuchern‘ des Diskurses um
Bedeutungsbestimmungen, sondern auch für spezifische, gegenwärtige Selbst- und
Weltverhältnisse, die damit einhergehen und hervorgebracht werden.
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Melanie Schmidt, M.A.
ist
wissenschaftliche
Mitarbeiterin
und
Doktorandin
an
der
Erziehungswissenschaftlichen
Fakultät
der
Universität
Leipzig,
Arbeitsbereich Schulpädagogik unter besonderer Berücksichtigung von
Schulentwicklungsforschung. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte:
Bildungs- und Diskurstheorie, Empirische Bildungsforschung (Analyse
diskursiver Praktiken), neue Steuerung im Schulsystem/Educational
Governance, externe Schulevaluation
Kontakt: [email protected]
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