5. Cartesische Geometrie III: Orthogonale Gruppen und Dirac Strings. In diesem Abschnitt nutzen wir die Eigenschaften der komplexen Multiplikation und des Quaternionenprodukts aus, um niedrigdimensionale Gruppen von Drehungen zu studieren. Für 3-dimensionale Drehgruppen erhalten wir eine wirkliche Überraschung. Drehungen und Spiegelungen. Definition. Eine lineare Abbildung L : Rn → Rn , 0 ≤ α ≤ 2π, heißt orthogonale Abbildung, wenn L(v) · L(w) = v · w. Satz. (Orthogonalitäts Kriterium) Eine lineare Abbildung L : Rn → Rn ist orthogonal genau dann wenn k L(v) k=k v k, für alle v ∈ Rn . Beweis. Sei L orthogonal. Dann ist k L(v) k2 = L(v) · L(v) = v · v =k v k2 . Sei k L(v) k=k v k, für alle v ∈ Rn . Dann ist k v + w k2 = (v + w) · (v + w) = v 2 + 2v · w + w2 =k v k2 +2v · w+ k w k2 und so 2v ·w =k v +w k2 − k v k2 − k w k2 =k L(v +w) k2 − k L(v) k2 − k L(w) k2 = 2L(v)·L(w). Dies beweist den Satz. ♦ Definition. Für jedes 0 ≤ α ≤ 2π, definiere die lineare Abbildung: v1 cos(α) sin(α) 2 2 Rα : R → R , v 7→ − sin(α) cos(α) v2 Diese Abbildung heiß Rotation um den Winkel α. Satz. Jede orthogonale Abbildung ist ein Produkt von Rotationen. Beweis. Mit Hilfe von Rotationen kann man das Bild jede Koordinatenachse zunächst in Koordinaten Unterräume und schließlich in die Koordinatenachse selbst drehen. Eine lineare Abbildung, die alle Koordinatenachsen in sich überführt, ist aber die Identität. ♦ Mit Hilfe der komplexen Multiplikation gibt es eine folgende elegante, alternative Definition für Rotationen: Klaus Johannson, Geometrie 38 . Geometrie Definition. Definiere, für alle a ∈ S 1 ⊂ C, eine Abbildung durch ra : C → C, z 7→ az. Satz. ra ist eine orthogonale Abbildung bzgl. C, aufgefasst als R-Vektorraum. Beweis. k a ×C z k=k a k · k z k=k z k. ♦ Lemma. Sei w ∈ Rn ein beliebiger Einheitsvektor, d.h. w · w = 1. Dann ist Sw : Rn → Rn , Sw (v) := v − 2(v · w)w die Spiegelung an der Ebene Ew senkrecht zu w. Beweis. Die Spiegelung an der Ebene Ew ist gegeben durch v ′ = v − 2cw, wobei cw gleich der Projektion von v auf w ist. Da w · w = 1 ist c = w · v (siehe Vorlesung: Cartesische Geomtrie, Teil I) und somit folgt das Lemma. ♦ Rotationsgruppen. Definition. Man bezeichnet On R := { L ∈ Matn R | L(v) · L(w) = v · w } SOn R := { L ∈ On R | det L = +1 } und nennt On R, SOn R die orthogonale bzw. die spezielle orthogonale Gruppe. Satz. On R und SOn R bilden, zusammen mit dem Matrixprodukt, eine Gruppe. Beweis. Determinanten Produktsatz. ♦ Die Rotationsgruppe SO2 R. Wir möchten zeigen, dass SO2 R = S 1 . Hierfür gibt es zwei Beweise. Der erste Beweis benutzt die elementaren trigonometrischen Identitäten: 2 2 cos (α) + sin (α) = 1 und Wir setzen sin(α ± β) cos(α ± β) = sin(α) cos(β) ± cos(α) sin(β) = cos(α) cos(β) ∓ sin(α) sin(β) cos(α) − sin(α) R(α) = sin(α) cos(α) und haben R(α + β) = R(α)R(β). Satz. SO2 R ∼ = S 1 (als Gruppen). Klaus Johannson, Geometrie §6 Cartesische Geometrie III 39 Beweis. Definiere ϕ : S 1 → SO2 R, eiα 7→ R(α). Dann ist ϕ(eiα · eiβ ) = ϕ(ei(α+β) ) = R(α + β) = R(α)R(β) und ϕ offenbar ein Isomorphismus. Dies beweist den Satz. ♦ Für den zweiten Beweis, benutzen wir eine elegante, alternative Definition für Rotationen, die diesmal die Existenz der komplexen Multiplikation ausnutzt. Definition. Definiere, für alle a ∈ S 1 ⊂ C, eine Abbildung durch ra : C → C, z 7→ a ×C z. Satz. ra ist eine orthogonale Abbildung bzgl. C, aufgefasst als R-Vektorraum. Beweis. Klar. ♦ Satz. Die Abbildung ϕ : S 1 → SO2 R, a 7→ La wobei La : C → C, z 7→ a ×C z, ist ein Gruppenisomorphismus. Beweis. ϕ(ab) = Lab mit Lab (z) = (ab)×C z = a×C (b×C z) = La (Lb (z)) = (La ◦Lb )(z). Dies beweist den Satz. ♦ Echte und unechte Drehungen. Wir möchten jetzt die Gruppe SO3 R, d.h. die Drehungen des drei-dimensionalen Raumes R3 verstehen. Hier brauchen wir eine Idee. Der Trick besteht darin, eine Dimension zu borgen, und R3 als Koordinaten Unterraum des vier-dimensionalen Raumes R4 zu betrachten. Genauer wählen wir die kanonische Einbettung R3 → R4 , [x1 , x2 , x3 ] 7→ [x0 , x1 , x2 , x3 ] Diese Einbettung induziert eine Einbettung SO3 R → SO4 R, R 7→ R ⊕ 1, A 0 bezeichnet. der orthogonalen Gruppe, wobei A ⊕ B die Matrix 0 B Klaus Johannson, Geometrie 40 . Geometrie Nun verwenden wir die Tatsache, dass man in R4 das Quaternionenprodukt hat, d.h. wir betrachten R4 als Raum, Q, der Quaternionen. Für die Quaternionen v = ae + bi + cj + dk bezeichnet man ae als den Realteil und bi + cj + dk als den Imaginärteil von v. Somit ist Q = Re ⊕ Im(Q) wobei Im(Q) = {bi + cj + dk | b, c, d ∈ R }. Die Einbettung R3 → R4 = Q = Re ⊕ Im(Q), [x1 , x2 , x3 ] 7→ 1e + x1 i + x2 j + x3 k, In Q unterscheiden wir zwischen echten und unechten Drehungen. Wir definieren SO(Q) = SO4 R EO(Q] = {f ∈ SO4 R | f (e) = e } und nennen EO(Q) die Gruppe der echten orthogonale Abbildungen. Da, nach Konstruktion, SO3 R = EO(Q) können wir jetzt EO(Q) studieren. Da Q mehr Struktur hat als R4 haben wir es jetzt leichter. Insbesondere können wir, für alle u, w ∈ S 3 , die folgenden Abbildungen Ru,w : R4 → R4 , v 7→ u ×Q v ×Q w Lw : R4 → R4 , v 7→ w ×Q v ×Q w̄. definieren. Dann gilt Satz. Ru,w ∈ SO(Q) und Lw ∈ EO(Q) ⊂ SO(Q). Beweis. Es is k Ru,w (v) k2 =k u ×Q v ×Q w k2 = (u ×Q v ×Q w) ×Q u ×Q v ×Q w = u ×Q v ×Q w ×Q w̄ ×Q v̄ ×Q ū = (w · w)(v · v)(u · u)e = (v · v)e =k v k2 Lw (e) = w ×Q e ×Q w̄ = w ×Q w̄ = (w · w)e = e. Somit sind Ru,w , Lw ∈ SO(Q) und Lw ∈ EO(Q). Tatsächlich sind mit dem obigen Satz alle echten und unechten, orthogonale Abbildungen gefunden: Klaus Johannson, Geometrie §6 Cartesische Geometrie III 41 Satz. (Charakterisierung von orthogonalen Abbildungen) Es gilt: (1) Für jedes f ∈ SO(Q) gibt es Quaternionen u, w ∈ S 3 mit f (v) = Ru,w (v) = u ×Q v ×Q w, für alle v ∈ Q. (2) Für jedes g ∈ EO(Q) gibt es ein w ∈ S 3 mit g(v) = Lw (v) = w ×Q v × w̄, für alle v ∈ Q. Beweis. ad (1) Man zeigt zuerst, dass man durch Rw,w alle Drehungen erhält. Wir wissen, dass die erste der folgenden Identitäten gilt (Lemma aus voriger Vorlesung): ⇒ 2(v · w)e = v ×Q w̄ + w ×Q v̄ 2(v̄ · w)e = v̄ ×Q w̄ + w ×Q v ⇒ 2(v̄ · w)e ×Q w = (v̄ ×Q w̄ + w ×Q v) ×Q w ⇒ 2(v̄ · w)w = v̄ ×Q w̄ ×Q w + w ×Q v ×Q w ⇒ ⇒ 2(v̄ · w)w = v̄ ×Q (w · w)e + w ×Q v ×Q w 2(v̄ · w)w = (w · w)(v̄ ×Q e) + w ×Q v ×Q w. und so 2(v̄ · w)w − v̄ = w ×Q v ×Q w da w ∈ S 3 . Damit gilt: Sw (v) = v − 2(v · w)w = −w ×Q v̄ ×Q w = w ×Q (−v̄) ×Q w, für alle w ∈ S 3 . Insbesondere ist Se (v) = −v̄. Also ist Rw,w (v) := w ×Q v ×Q w = Sw (−v̄) = Sw (Se (v)) = (Sw ◦ Se )(v) ein Produkt von zwei Spiegelungen, also eine Drehung. Mehr noch man erhält so alle Drehungen. Weiter ist (Ru,u ◦ Rw,w )(v) = u ×Q (w ×Q v ×Q w) ×Q u = (u ×Q w) ×Q v ×Q (w ×Q u) = Ru,w . Also sind alle Produkte von Drehungen von der Form Ru,w . Aber alle orthogonalen Abbildungen sind Produkte von Drehungen. Dies beweist (1). ad (2) Wegen (1) gibt es u, w ∈ S 3 , so dass g = Ru,w . Nun ist e = g(e) = Ru,w (e) = u ×q e ×Q w = u ×Q w und so u−1 = w. Aber u ×Q ū = (u · u)e = e und so u−1 = ū (wegen eindeutigkeit der Einheit). Dies beweist (2). ♦ Klaus Johannson, Geometrie 42 . Geometrie Die Rotationsgruppe SO3 R. In diesem Abschnitt möchten wir zeigen, dass SO3 R gleich S 3 ist - dies stimmt nicht so ganz und der kleine Unterschied verbirgt ein wichtiges physikalischen Phänomen (siehe Anhang). Satz. SO3 R ∼ = S 3 /Z2 , d.h. es gibt einen surjektiven Homomorphismus ψ : S 3 → SO3 R mit ker(ψ) = Z2 . Beweis. Man definiere ψ : S 3 → SO3 R = EO(Q), v 7→ (Lv : R4 → R4 ), wobei Lv (w) := v ×Q w ×Q v̄. 1. Behauptung. Lv ist orthogonale Abbildung, für alle v ∈ S 3 . Beweis der 1. Behauptung. Es ist k Lv (w) k=k v ×Q w ×Q v̄ k=k v k · k w k · k v̄ k=k w k, wenn k v k= 1. Dies beweist die 1. Behauptung. 2. Behauptung. ψ : S 3 → SO3 R ist ein Homomorphismus. Beweis der 2. Behauptung. Lv×Q v′ (w) = (v ×Q v ′ ) ×Q w ×Q v ×Q v ′ = v ×Q (v ′ ×Q w ×Q v ′ ) ×Q v̄ = Lv (v ′ ×Q w ×Q v ′ ) = Lv ◦ Lv′ (w), für alle w. Dies beweist die 2. Behauptung. 3. Behauptung. ψ : S 3 → SO3 R Beweis der 3. Behauptung. Sei Rwi , wi ∈ S 3 . Demnach ist g(v) u ×Q e ×Q w = u ×Q w. Somit ist ist surjektiv. g ∈ SO3 R. Dann ist g ein Produkt von Rotationen = u ×Q v ×Q w mit u, w ∈ S 3 . Aber e = g(e) = w = u−1 = ū. Also ist g(v) = u ×Q v ×Q ū = Lu (v) Also ist ψ(u) = Lu = g. Dies beweist die 3. Behauptung. 4. Behauptung. ker(ψ) = Z2 . Beweis der 4. Behauptung. Sei v ∈ ker(ψ). Dann ist v ∈ S 3 mit w = v ×Q w ×Q v̄, für alle w ∈ R3 = Im(Q). Also ist v −1 ×Q w = w ×Q v̄ und so v̄ ×Q w = w ×Q v̄. Also ist v̄ und so v vertauschbar mit allen Quaternionen. Dann ist aber v ∈ Re, denn das Klaus Johannson, Geometrie §6 Cartesische Geometrie III 43 Zentrum der Quaternionen ist Re (siehe oben). Somit ist v = ±e da v ∈ S 3 . Also ist ker(ψ) = {±e} = Z2 . Dies beweist die 4. Behauptung. Die Existenz des Gruppen Isomorphismus S 3 /Z2 ∼ = SO3 R folgt aus der Existenz des obigen surjektiven Homomorphismus ψ und dem ersten Isomorphie Satz. Damit ist der Satz bewiesen. ♦ Klaus Johannson, Geometrie 44 . Geometrie Anhang: Das Dirac String Experiment. Die Tatsache, dass SO3 R nicht gleich S 3 , sondern gleich S 3 /Z2 ist, hat eine interessante physikalische Konsequenz. Um diese zu beschreiben, betrachte man den Vesuchsaufbau im linken oberen Bild: Dirac Strings kann man entwirren Das linke obere Bild zeigt eine kleine, bewegliche Kugel, die innerhalb einer grösseren, festen Kugel sitzt und mit der größeren Kugel mit drei Fäden verbunden ist. Jetzt drehe man die kleine Kugel - wie gezeigt - um ihre Achse. Und zwar entweder einmal um sich selbst (d.h. Drehung um 360o ) oder zweimal um sich selbst (d.h. Drehung um 720o ). Die Aufgabe besteht darin nach beiden Versuchen, die drei Fäden (die sich natürlich verwickeln) zu entwirren. Die obige Sequenz von Bildern zeigt, dass die Fäden entwirrt werden können, wenn der innere Ball zweimal ganz um seine Achse gedreht wird. Der wichtigste Schritt in der obigen Sequenz ist der von rechts oben nach rechts unten. In diesem Schritt wird der dritte (untere) Bogen von hinten nach vorne gezogen. Es ist aber auch eine Tatsache der Erfahrung, dass es nicht geling die Fäden des Dirac String Experiments zu entwirren, wenn die kleie Kugel nur einmal um ihre Achse gedreht wird (bitte probieren!). Dies hängt mit der Tatsache zusammen, dass SO3 R = S 3 /Z2 . Wir können dies hier leider nicht exakt zeigen, aber man kann doch ein intuitives Argument geben, das schon ziemlich überzeugend ist. Hierzu brauchen wir den folgenden, mehr anschaulichen Beweis für den obigen Satz, dass SO3 R = S 3 /Z2 (d.h. gleich dem projektiven Raum RP 3 ) ist. Also noch einmal (diesmal ohne Gruppenstruktur): Satz. SO3 R = S 3 /Z2 = RP 3 . Klaus Johannson, Geometrie §6 Cartesische Geometrie III 45 Beweis. Jedes Element von SO3 R ist eine Drehung. (siehe unten). Jede Drehung ist gegeben durch eine Achse, d.h. einen Punktepaar in S 2 und einen Winkel, und damit durch einen Punkt in dem 3-Ball mit Radius π. Gegenüberliegende Punkte von S 2 = ∂B 3 sind gleich und müssen also identifiziert werden. Damit ist SO3 R = B 3 / ∼= RP 3 . ♦ Nun kann man sich die Verdrehung der obigen Strings als einen Weg w : I → SO3 R von Rotationen vorstellen, d.h. als einen Weg in SO3 R = RP 3 . Dieser Weg ist der folgende: Weg von Rotationen in SO3 R Hier ist wichtig, dass der Weg die äussere Sphäre S in zwei Punkten triftt, die unter Z2 äquivalent sind. Diese äußere Sphäre wird unter der Projektion S 3 → S 3 /Z2 zu einer projektiven Ebene P 2 ⊂ SO3 R. Der Weg w der Rotationen wird zu einem geschlossenen Weg in S 3 /Z2 B 3 /Z2 , welcher die projektive Ebene P 2 nur in einem Punkt schneidet. Damit kann es keine Abbildung f : D2 → SO3 R geben, welches den geschlossenen Weg w der Rotationen zusammenzieht. Andernfalls besteht f −1 (P 2 ) aus Bögen und Kurven in D2 . Alle Randpunkten in ∂D liegen in ∂D. Weiter hat f −1 (P 2 ) nur einen Endpunkt in ∂D. Also ist die Anzahl der Endpunkte von f −1 (P 2 ) gleich 1, also ungerade. Dies aber ist unmöglich: Ich kann nirgends enden, da die Zahl der Endpunkte im Rand ungerade sein soll Denn f −1 (P 2 ) ein System von Kreisen und Bögen in der Scheibe D2 ist, deren Endpunkte alle im Rand von D2 liegen müssen (aber die Zahl der Endpunkte im Rand ist nach Konstruktion ungerade!). Das Material von diesem Abschnitt ist aus [Ebbinghaus et al, Numbers, Springer Verlag]. Klaus Johannson, Geometrie
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