2. Essener Stiftungstag Donnerstag, 1. Oktober 2015 (14 Uhr) Messen Essen, Congress Center Messe Ost Prof. Dr. Andreas Schlüter, Keynote: „Das Wirken von Stiftungen für unsere Gesellschaft und die Bedeutung von Vernetzung und Kooperation“ Es gilt das gesprochene Wort! Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Paß, sehr geehrte Damen und Herren, Stiften liegt im Trend – das beweist auch der heutige Essener Stiftungstag, der nach seiner „Premiere“ im Jahr 2013 nunmehr zum zweiten Mal stattfindet, und dies mit einer gewachsenen Zahl an beteiligten Akteuren, zudem mit der Unterstützung der großen Stiftungen, deren Vertreter Sie in der anschließenden Gesprächsrunde kennenlernen werden. Ich bedanke mich für die Einladung und freue mich sehr, als Generalsekretär des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft in diesem Rahmen sprechen zu dürfen, ist Essen doch für den Stifterverband eine langjährige Heimat. Seit 1950 befindet sich die Hauptverwaltung unserer Gemeinschaftsaktion der deutschen Wirtschaft hier in Essen. Und auch die Stiftungsverwaltung, die seit 1956 zu den Aufgaben des Stifterverbandes gehört, hat ihren Sitz in Essen – seit 2002 unter dem Namen DSZ – Deutsches Stiftungszentrum, das seit kurzer Zeit ebenfalls in Berlin, Hamburg und München mit eigenen Büros vertreten ist. Auch dieses Wachstum unter dem Dach des Stifterverbandes beweist es: Stiften liegt im Trend. In Deutschland kommen derzeit jährlich rund 700 neue rechtsfähige Stiftungen bürgerlichen Rechts hinzu und eine wahrscheinlich mindestens ebenso große Zahl an Treuhandstiftungen. Rund 21.000 rechtsfähige Stiftungen gibt es derzeit – die Zahl der Treuhandstiftungen liegt vermutlich noch darüber. Viele der Stiftungen haben eine lange Tradition, doch über die Hälfte von ihnen sind erst in 1 den vergangenen 12 Jahren errichtet worden. Deutschland ist mit dieser großen Anzahl an Stiftungen Spitzenreiter in Europa und läge – gäbe es eine Stiftungsweltrangliste – hinter den USA auf Platz zwei, Liechtenstein ausgenommen. Die Stiftung gehört zu den ältesten Instrumenten bürgerschaftlichen Handelns und privaten Engagements für das Allgemeinwohl. Es gibt drei Hochphasen in der Entwicklung der Stiftungen – das Hochmittelalter, dann einen neuen „Boom“ parallel zur Industrialisierung und schließlich das 21. Jahrhundert. Seit den 1980er Jahren gibt es eine breite Renaissance des Stiftungsgedankens, die – wie gerade ausgeführt – bis heute anhält. Die Gründe für ein blühendes Stiftungswesen sind im über Jahrzehnte gewachsenen Wohlstand zu finden, im demographischen Wandel, der Erbschaftswelle, im gewachsenen Interesse am Engagement und der Bereitschaft zur Mitgestaltung sowie nicht zuletzt in steuerlichen Gründen. Und die Zahlen werden, nicht zuletzt aufgrund einer weiteren zu erwartenden Erbschaftswelle, auch künftig wachsen. Das ist sehr erfreulich, denn Stiftungen nehmen in unserer Gesellschaft eine wichtige Rolle ein, sie sind eine ganz besondere Säule der Zivilgesellschaft. Im Gegensatz zum Staat sind sie frei, sich einem Thema ohne politischen Druck zu widmen. Sie sind aufgrund ihrer Langfristigkeit prädestiniert, neue Lösungen (etwa für soziale Probleme) zu finden. Und sie sind einzigartig geeignet, Zukunftskapital für kommende Generationen und künftiges zivilgesellschaftliches Wirken zu erhalten und zu sammeln. Stiftungen haben eine wichtige Funktion als Struktur- und Ideengeber, sie treiben Leuchtturmprojekte voran, die sogar teilweise in staatliche Förderung übergehen – man könnte fast sagen, sie sind das Laboratorium der Gesellschaft. Stiftungen können unkonventionell denken und innovativ fördern, aber auch bewahren und beschützen. Mit diesen Merkmalen tragen sie in besonderer Weise zur Stärkung der Unabhängigkeit, zur partiellen Eigenfinanzierung der Zivilgesellschaft und zu deren Nachhaltigkeit bei. Mit dem angesprochenen Wachstum des Stiftungssektors wird diese bedeutende gesellschaftliche Säule stetig stärker, und das weltweit. Dass sich in Deutschland der Stiftungssektor in den vergangenen Jahrzehnten im europäischen Vergleich so 2 besonders dynamisch entwickelte, hängt nicht nur mit der deutschen Stiftungstradition, der langen Zeit des Friedens seit dem zweiten Weltkrieg und dem gestiegenen und steigenden Wohlstand in der Bundesrepublik zusammen. Ein wesentlicher Faktor für die positive Entwicklung war und ist auch, dass es hierzulande starke Akteure gibt, die sich ausdrücklich darum kümmern, den Stiftungssektor insgesamt voranzubringen. Dies sind vor allem einzelne, meist größere Stiftungen, wie etwa die hier auch mitwirkende Stiftung Mercator, sowie der Bundesverband Deutscher Stiftungen und der Stifterverband. Und damit sind wir auch schon mitten im Thema des heutigen Tages – der Bedeutung von Kooperation und Vernetzung. Lassen Sie mich kurz bei der Zusammenarbeit der beiden zuletzt Genannten bleiben: Der Bundesverband und der Stifterverband ziehen bei ihrem Bemühen um die Entwicklung des Stiftungswesens insbesondere in den vergangenen Jahren synergetisch und erfolgreich an einem Strang. So ist der Stifterverband – als besonderes Mitglied – als einzige Institution traditionell stets in den leitenden Gremien des Bundesverbandes vertreten. Bei der rechtspolitischen Lobbyarbeit stimmen sich beide Institutionen engstens ab, nicht nur inhaltlich, was in den vergangenen Jahren wesentlich für die Erfolge bei der Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen für Stiftungen hierzulande gewesen sein dürfte. Viele weitere Beispiele der konkreten Zusammenarbeit ließen sich anfügen – in jedem Fall aber lässt sich festhalten, dass das Zusammenwirken zwischen Stifterverband mit seinem Deutschen Stiftungszentrum und dem Bundesverband Deutscher Stiftungen von Gemeinsamkeit in den Anliegen, Vertrauen und vielfältigem konkreten Zusammenwirken geprägt ist, und es macht Freude, auch weil es gemeinsame Erfolge ermöglichte und weil es sich permanent weiterentwickelt. Und es zeigt, was Kooperationen und Vernetzungen bewirken können. Und was hier wie eben kurz beschrieben bei großen Institutionen des Dritten Sektors funktioniert, lässt sich in den Grundsätzen auch auf kleinere Stiftungen und Verbände übertragen. „Gemeinsam sind wir stark“, sagt der Volksmund, der wie so häufig mit seinen Erkenntnissen richtig liegt. Kooperationen mit anderen Stiftungen, aber auch mit Unternehmen, mit anderen Nonprofit-Organisationen und staatlichen Akteuren machen stärker. Und so ist es sehr erfreulich, dass sich im internationalen Umfeld, 3 aber auch in der Bundesrepublik ein immer stärkerer Trend zu Stiftungskooperationen beobachten lässt. Erst Ende August veröffentlichte der Bundesverband Deutscher Stiftungen die Ergebnisse einer Befragung, die ergab, dass 51,5 Prozent der befragten Stiftungen in den 12 Monaten vor der Befragung Kooperationen eingegangen waren. Die Stiftungen haben erkannt, dass sie die Effizienz ihrer Aktivitäten steigern können, wenn sie mit anderen Institutionen kooperieren. Der Austausch von Informationen und der Zusammenschluss in der Projektbearbeitung gewinnen gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Niedrigzinsphase an Bedeutung. Viele Stiftungen haben die Kooperation mit anderen Institutionen gar zu einem strategischen Ziel ihrer Stiftungsarbeit erklärt. Insbesondere auf einzelnen Schwerpunktfeldern der Stiftungstätigkeit kommt es nicht mehr zu einzelnen Projekten, sondern nur noch zur Durchführung von gemeinsamen Vorhaben. Und auch Bürgerstiftungen sowie regionale Stiftungsverbünde und Stiftungsnetzwerke gewinnen an Bedeutung. Für diesen Trend zu verstärkten Kooperationen gibt es eine Reihe von Gründen. Im Vordergrund stehen häufig die Notwendigkeit und der Wunsch, durch den Informationsaustausch mit anderen Stiftungen eine Verbesserung und Optimierung der eigenen Projektarbeit zu gewährleisten. Viele Stiftungen sind davon überzeugt, dass sich mit der Kooperation neue strategische Dimensionen eröffnen, die es wesentlich leichter machen, komplexe Fragestellungen anzugehen. Viele Stiftungen glauben darüber hinaus, dass die Kooperation mit anderen Institutionen zu einer deutlichen Verstärkung in Bezug auf die eigenen Anliegen führt. Gemeinsame Aktivitäten führen tatsächlich zu einer größeren Öffentlichkeit und damit auch zu einer breiteren Diskussionsbasis. Zudem wird auch die Akzeptanz einzelner Projekte und Problemlösungen erheblich gesteigert, wenn diese nicht als das Ergebnis einer einzelnen Stiftung präsentiert, sondern von mehreren Stiftungen getragen werden kann. Schließlich ist die Hebelwirkung nicht zu unterschätzen, die entsteht, wenn mehrere Partner gemeinsam an einem Projekt arbeiten. Um gemeinsam erfolgreich zu sein, bedarf es aber einiger Voraussetzungen. Die eben erwähnte Befragung des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen ergab, dass eine Strategie für ein gemeinsames Wirken besonders wichtig sei. Fast drei Viertel 4 der Befragten, genau 73,6 Prozent, gaben an, mit einem definierten Konzept, also einer schriftlich oder mündlich konkretisierten Kooperationsstrategie zu arbeiten. Eine optimale Zusammenarbeit erfordert eine klare und gemeinsam getragene Definition der von den beteiligten Partnern selbst verfolgten Zielsetzung und der Ziele des gemeinsamen Projektes. Es ist also notwendig, schon vor der Zusammenarbeit festzulegen, was mit dem Projekt von den einzelnen und gemeinsam angestrebt wird. Eine genaue Festlegung der „Geschäftsgrundlagen“ erleichtert das Zustandekommen und die Umsetzung der Kooperation. Eine gemeinsame Zielsetzung hatten auch die fünf Veranstalter des Essener Stiftungstages, die diesen Tag in einer Arbeitsgruppe organisiert haben. Neben der gemeinsamen Intention, mit der heutigen Veranstaltung das vielfältige Stiftungswirken in dieser Stadt zu präsentieren, möchten die Organisatoren auch den Austausch zwischen den Stiftungen fördern. Dies geschieht zum einen beim Stiftungs- und Projektemarkt im Foyer und heute abend beim „summit“, zu dem Sie ab 17 Uhr hier im Saal herzlich eingeladen sind. Zudem ist gleich ein Erfahrungsaustausch auf Leitungsebene vorgesehen, in dem sich Vertreter verschiedener in Essen ansässiger Stiftungen ganz im Sinne des heutigen Mottos „Gemeinsam wirken“ konkret über mögliche Kooperationen austauschen. Der Essener Stiftungstag 2015 kann somit der Startschuss für ein neues Netzwerk sein, das Synergien schafft und das in Essen aktiven Stiftungen Perspektiven und Möglichkeiten bietet, gemeinsam wirkungsvoller zu werden. Dieser von Essen ausgehende Impuls kann natürlich auch in die Region wirken, so dass sich in Zukunft ein ruhrgebietsweites Netzwerk entwickeln kann. Es gibt gute Vorbilder in anderen Regionen – beispielsweise die Berliner Stiftungsrunde, in der sich rund 30 Stiftungen und Organisationen, die aus Berlin kommen oder dort eine Repräsentanz haben, zusammengefunden haben. In diesem Diskussionskreis entstand etwa die Idee zur jährlich stattfindenden Berliner Stiftungswoche, die seit 2010 mit großer Resonanz durchgeführt wird. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und uns allen einen erfolgreichen Essener Stiftungstag mit bereichernden Begegnungen, guten Gesprächen und einem anregenden Austausch! 5
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