Schweiz Sonntag, 10. Januar 2016 / Nr. 2 Zentralschweiz am Sonntag 5 Bundesrat: Offene Stellen zuerst ans RAV ARBEITSMARKT Der Bund prüft ein neues Modell, um freie Jobs öfter mit Inländern zu besetzen. Die Sozialpartner sind skeptisch. SERMÎN FAKI [email protected] Die Arbeitslosigkeit in der Schweiz ist abermals gestiegen: auf 3,7 Prozent im Dezember, wie das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) am Freitag mitteilte. Der Bundesrat sucht daher Wege, wieder mehr Menschen in Lohn und Brot zu bringen. «Der Bundesrat hat das Seco beauftragt, zu prüfen, ob Firmen bereit sind, Stellen, die aller Wahrscheinlichkeit nach mit Ausländern besetzt würden, zuerst den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren RAV zu melden», bestätigt Oliver Schärli, Leiter des Bereichs Arbeitsmarkt und Arbeitslosenversicherung. Dies soll gemeinsam mit dem Justizdepartement und den Sozialpartnern geschehen. Vorstellbar sei eine Internetplattform, über die die RAV zehn Tage vor der Ausschreibung über eine offene Stelle informiert würden, so Schärli. Der Prüfauftrag erging an der Sitzung vom 18. Dezember, als sich der Bundesrat einmal mehr mit der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative befasste. Die Massnahme soll also offenbar auch dazu dienen, dem in der Verfassung verankerten Inländervorrang gerecht zu werden. Bund kennt Inländervorrang schon In der Bundesverwaltung gilt dieser Vorrang bereits. Seit 1. Juli erfahren die RAV sieben Tage vor der öffentlichen Ausschreibung von freien Stellen beim Bund. Ob seitdem vermehrt inländische Arbeitskräfte eingestellt wurden, wie der Bundesrat hofft, ist noch nicht klar. Ende März will das Seco Zwischenbilanz ziehen. Einen Erfolg kann die Massnahme aber bereits verbuchen: Mit der Post, der UBS und Nestlé haben drei grosse Schweizer Unternehmen Interesse signalisiert, ebenso zu verfahren. Die Post meldet dem RAV Stellen bereits seit dem Herbst bevorzugt, mit UBS und Nestlé liefen noch Gespräche, wie Schärli sagt. Die Sozialpartner finden am bundesrätlichen Vorschlag dennoch wenig Gefallen. «Wir sind offen für Massnahmen, die den Kontakt zwischen Arbeitgebern und den RAV verbessern und damit helfen, offene Stellen mit geeigneten Leuten zu besetzen, die bereits in der Schweiz wohnen», sagt Roland Müller, Direktor des Arbeitgeberverbandes. «Jegliche Verpflichtung, die die Vertragsfreiheit der Arbeitgeber beschneidet, oder Massnahmen, die die Anstellung zeitlich verzögern, lehnen wir jedoch ab.» Gewerkschaften fordern Pflicht Zu wenig weit geht der Vorschlag hingegen den Gewerkschaften. «Sich auf Stellen zu beschränken, die vermutlich mit einem ausländischen Bewerber besetzt werden, ist völlig ungenügend», meint Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB). Im Internetzeitalter ende der Arbeitsmarkt nicht mehr an der Landesgrenze. Der SGB fordert daher, dass der Bundesrat alle Unternehmen gesetzlich verpflichtet, jede offene Stelle dem RAV zu melden. Länder wie Schweden, die ein solches Obligatorium kennen, hätten positive Erfahrungen damit gemacht, begründet Lampart. Besonders ältere Arbeitnehmer würden von einer Meldepflicht profitieren. «Ein Obligatorium würde den RAV eine viel aktivere Rolle als Vermittler geben, denn längst nicht alle Stellen werden ausgeschrieben.» Dem ist tatsächlich so. Zwar verweist Seco-Mann Schärli darauf, dass 80 Prozent aller ausgeschriebenen Stellen heute schon im RAV-Portal «Job-Room» erscheinen. Doch das ist nur eine verschwindend geringe Minderheit. Gemäss Ursula Kraft, Direktorin des Verbands der Schweizer Arbeitsmarktbehörden, wird nur eine von fünf Stellen öffentlich ausgeschrieben. Der Verband befürworte daher alle Massnahmen, die den Kontakt zu den Arbeitgebern verbessern würden. «Die RAV sind natürlich sehr daran interessiert, von freien Stellen zu erfahren», sagt sie. Seco setzt auf liberalen Markt Das Seco sieht allerdings keinen Sinn in der Einführung einer Stellenmeldepflicht, wie die Gewerkschaften sie for- dern. «In der Schweiz finden die meisten Arbeitssuchenden ihre Stelle selbst, entweder durch Inserate oder über private Stellenvermittler, die viel wichtiger sind als in anderen Ländern», sagt Schärli. Im Gegensatz zu vielen anderen Staaten, wo Stellenvermittlung eine Staatsaufgabe sei, wären die RAV subsidiär tätig und kümmerten sich besonders um jene, die weniger Chancen auf dem Arbeitsmarkt hätten: niedrig qualifizierte, alleinerziehende und ältere Arbeitnehmer. Letzteren sei mit einem Obligatorium – das in den von Lampart genannten Ländern übrigens weder kontrolliert noch sanktioniert würde – nicht geholfen. «Gerade bei den älteren Arbeitnehmern ist die Erwerbsquote im internationalen Vergleich hoch», sagt Schärli. Das verdanke man auch dem liberalen Arbeitsmarkt. Der Verweis auf die hohe Erwerbsquote kommt bei Gewerkschafter Lampart gar nicht gut an: «Wir haben in der Schweiz bald eine Viertelmillion Erwerbslose», sagt er. «Denen nützt eine hohe Erwerbsquote wenig. Sie brauchen eine Stelle», insistiert er und fügt an: «Eine Meldepflicht hätte unter dem Strich einen positiven Effekt.» Auch Toni Brunner verabschiedet sich RÜCKTRITT Ende April gibt Toni Brunner das Präsidium der SVP ab. Ein Entscheid, der von langer Hand geplant war. Nachfolger wird Albert Rösti. SVP von Erfolg zu Erfolg, Niederlagen – wie bei den Wahlen 2011 – waren selten. Bedauern und Verständnis Entsprechend fallen auch die Reaktionen der Parteikollegen aus. Der Rücktritt sei sehr, sehr schade, sagt Roland Rino Büchel, St. Galler SVP-Nationalrat und enger Freund Brunners. Verständnis Einmal mehr ist der SVP gestern eine hat er dennoch: «Das Amt zehrt extrem handfeste Überraschung gelungen: Kurz an den Kräften – vor allem, wenn man vor 12 Uhr mittags verschickte die gröss- sich so stark engagiert, wie Toni das te Schweizer Partei von der jährlichen getan hat.» Fast jeden Tag sei dieser im Kadertagung in Bad Horn am Bodensee ganzen Land unterwegs gewesen, kaum eine Medienmitteilung: «Toni Brunner einmal einen Abend daheim. «Wie man tritt als SVP-Präsident zurück – Albert an Philipp Müller sehen kann, halten Rösti als Nachfolger vorgeschlagen.» das nicht viele so lang aus», sagt Büchel Das war von kaum jemandem erwar- mit Blick auf die acht Jahre, die Brunner tet worden, nicht zuletzt deshalb, weil «ausgehalten» hat. Brunner selbst in letzter Zeit stets deAuch der Luzerner Nationalrat Felix mentiert hatte, an Rücktritt zu denken. Müri bedauert Brunners Rücktritt, sagt Auch gegenüber der «Zentralschweiz am aber: «Aus Parteisicht ist es der ideale Sonntag» sagte er noch vor vier Wochen, Zeitpunkt: Toni Brunner gibt seinem es gäbe nichts Schöneres auf der Welt, Nachfolger die nötige Zeit, sich einzuals SVP-Präsident zu sein: «Ein Rücktritt arbeiten, um die SVP in vier Jahren in steht für mich derzeit nicht zur Dis- den Wahlkampf führen zu können.» kussion.» Der Nachfolger ist bereits gefunden: Die Parteileitung schlägt den Berner Entscheid fiel im Sommer SVP-Nationalrat Albert Rösti als Nachfolger vor. Ein Diktat? Doch die Bestimmtheit war nur Der Vorgeschlagene Theater: Brunner verneint: Selbstverständlich stehe es plante seinen Abgang «Wer mich wählt, von langer Hand, wie den Kantonalparteiwählt Kontinuität.» er nun auf Anfrage en frei, andere ins Rennen zu schicken. zugibt. «Ich habe A L B E RT R Ö ST I , Doch es ist nicht anmich im Sommer S P I T Z E N KA N D I DAT F Ü R S zunehmen, dass am entschieden, aufzuS V P- PA RT E I P R ÄS I D I U M hören», sagt er. Ein23. April jemand angeweiht war allerders gewählt wird. dings nur ein sehr Selbst Rösti sagt: kleiner Kreis – selbst Brunners Eltern «Dass die Parteileitung mich vorgeschlahaben erst am Freitagabend erfahren, gen hat, gibt mir eine gewisse Zuverdass der Sohn künftig häufiger daheim sicht.» im Toggenburg weilen wird. «Als Parteipräsident ist man immer Rösti steht für Kontinuität Rösti sagt, er sei von Brunner vor beansprucht und hat kaum freie Zeit zur Verfügung», erklärt Brunner seinen Weihnachten angefragt worden und Rücktritt. Weiterzumachen, hätte be- habe daher die nötige Zeit gehabt, sich deutet, nochmals vier volle Jahre je 365 zu entscheiden. «Ich habe grossen ReTage im Dienst zu stehen, denn als spekt vor der Aufgabe. Das ParteipräsiParteipräsident müsse man in Legisla- dium bedeutet nebst den vielen motituren denken. Zu Beginn der neuen vierenden Seiten auch viel Arbeit und Legislatur sei daher ein idealer Zeit- hin und wieder Ärger.» Dass Brunners punkt, das Amt abzugeben. So hatte Fussstapfen gross sind, ist ihm bewusst: auch FDP-Präsident Philipp Müller «Nur schon den Wähleranteil zu halten, seinen Rücktritt vor einem Monat be- ist eine grosse Herausforderung.» gründet. Wachstumspotenzial sehe er am ehesten «Nun freue ich mich, mich mehr auf in der Westschweiz und im Tessin. Die die politische Arbeit als Nationalrat wolle er gewinnen, indem er sich für sowie auf meinen Hof konzentrieren zu die Werte Sicherheit und Unabhängigkönnen», sagt Brunner. Das kann er keit einsetzt. Und stellt klar: «Auch wenn erhobenen Hauptes tun: Am 18. Oktober die Tonalität vielleicht eine andere ist: fuhr die SVP einen historischen Wahl- Inhaltlich würde sich nichts verändern. sieg ein, am 9. Dezember eroberte sie Wer mich wählt, wählt Kontinuität.» mit Guy Parmelin den zweiten BundesSERMÎN FAKI ratssitz zurück. Unter Brunner flog die [email protected] Und tschüss: Toni Brunner gibt nach acht Jahren das Parteipräsidium ab. Keystone/Gaetan Bally
© Copyright 2025 ExpyDoc