welt Reformation und Eine Welt Schwerpunkt DEZ. 2015 – FEB. 2016 C 51 78 weltbewegt 37 Schwerpunkt Editorial Aus dem Inhalt Ein Zeichen der Hoffnung – nun in mehrfacher Hinsicht. Der Apfel mit dem Logo der Weltklimakonferenz 2015 in Paris. „Selbst wenn ich wüsste, dass die Welt morgen in Stücke zerfällt, würde ich immer noch meinen Apfelbaum einpflanzen.“ Martin Luther King Martin Luther King jr. (1929 – 1968) war US-amerikanischer Pastor und Bürgerrechtler. Er zählt zu den bedeutendsten Vertretern des Kampfes gegen soziale Unterdrückung und Rassismus. Wegen seines Engagements für soziale Gerechtigkeit erhielt King 1964 den Friedensnobelpreis. Am 4. April 1968 wurde King bei einem Attentat ermordet. 2 Fotos: REUTERS/C. Hartmann (1), C. Plautz (1), U. Plautz (1), Wikimedia (2), E. v. d. Heyde (1), C. Wenn (3), J. Ahrens (1), F. Hübner/LWB (1), M. Tuve (1), Illustrationen: C. Wenn (2) 4 8 10 Reformation und die Eine Welt Heute noch wichtiger Orientierungspunkt Die Reformation hatte Auswirkungen weltweit. Dr. Klaus Schäfer zur Geschichte einer „Weltbürgerin“. In der evangelischen Kirche Polens spielt die Tradition noch immer eine große Rolle, so Dr. Marcin Hintz. Als Kirche stellen wir uns der Realität Spiegel und Kraftquelle Die lutherische Kirche habe die Pflicht gegen Ungerechtigkeit zu protestieren, meint Bischof Zachariah Kahuthu aus Kenia. Welche Rolle spielt Reformation für die Arbeit in der Ökumene? Gedanken von Christa Hunzinger und Eberhard v. d. Heyde Welche Botschaft ist heute wichtig? Ohne Laien keine Partnerschaftsarbeit Mit dieser Frage haben sich Geistliche aus Tansania, Kenia und dem Kongo auseinandergesetzt. Wir sind Kirche! 14 16 18 Die lutherische Kirche in Brasilien mischt sich da ein, wo es notwendig ist. Die weltweite Ökumene ist auf das „Priestertum aller Gläubigen“ angewiesen, damit sie lebendig bleibt. Pilgerweg für Klimagerechtigkeit Ihre Eindrücke vom Pilgerweg schildern Christen und Christinnen aus Europa, Afrika und Asien. „Verstehst du auch, was du da liest?“ Nachruf auf Theo Ahrens Über die Bedeutung der Schrift – ein interreligiöses Gespräch zwischen Roberto Pera und Axel Matyba. Ein großer „Theologe der Mission“ sei Theodor Ahrens gewesen, so Paul G. Buttler in seinem Nachruf. Die Kirche ist immer in Reformation Tagung der VIII. Generalversammlung Über die Bedeutung der Reformation in der Ökumene spricht Bischof Munib Younan, Präsident des LWB. Die Nordamerikaarbeit der Nordkirche war ein Schwerpunkt der VIII. Generalversammlung in Breklum. 22 24 26 28 30 Liebe Leserin, lieber Leser, Reformation und Eine Welt – was verbinden wir damit? Welche Bedeutung hat die reformatorische Tradition heute noch konkret? Welche Rolle spielt sie weltweit in der ökumenischen Bewegung? In vielen Gesprächen mit Christinnen und Christen aus Afrika, Asien, Europa und Lateinamerika, die im Rahmen der Partnerkirchenkonsultation im September 2015 geführt wurden, ist einmal mehr deutlich geworden, dass die lutherische Tradition kein lokal begrenztes Ereignis aus der Vergangenheit ist. Reformation ist längst eine Weltbürgerin geworden, die für das Handeln der Menschen auch heute noch eine wichtige Bedeutung hat. Sie ist „keine sich selbst genügende Angelegenheit“, erklärte Bischof Munib Younan, Präsident des Lutherischen Weltbundes, sondern „steht immer in einem bestimmten Kontext und muss auf die Bedürfnisse und Nöte der Menschen eingehen“. So gehört soziales Engagement zum Selbstverständnis der lutherischen Kirche auf den Philippinen, in Indien und Brasilien und auch für Bischof Zachariah Kahuthu aus Kenia gehört es zur ureigenen Aufgabe einer lutherischen Kirche, „gegen Ungerechtigkeit zu protestieren“. Wie das konkret aussehen kann, zeigt unter anderem das Engagement der kenianischen Kirche in Dadaab, dem größten Flüchtlingslager der Welt. Die Beiträge, die nur einen Ausschnitt dessen zeigen können, was zum Thema zu denken und zu sagen wäre, führen vor Augen, was es bedeuten kann, wenn das Evangelium zur Richtschnur des Handelns wird. Es gilt das eigene Handeln zu überprüfen – aber auch das der Kirchen und der Mächtigen dieser Welt. Reformation ist eine Aufgabe, die bleibt. Für Ihr Interesse, Ihre Mitarbeit und Ihre Anregungen danken wir Ihnen herzlich. Wir wünschen Ihnen gesegnete Weihnachtstage und ein gutes neues Jahr. 32 Ihre weltbewegt-Post-Anschrift: Zentrum für Mission und Ökumene – Nordkirche weltweit, Postfach 52 03 54, 22593 Hamburg, Telefon 040 88181-0, Fax -210, E-Mail: [email protected] IMPRESSUM: weltbewegt (breklumer sonntagsblatt fürs Haus) erscheint viermal jährlich. HERAUSGEBER UND V ERLEGER: Z entrum für Mission und Ökumene – Nordkirche weltweit, Breklum und Hamburg. Das Zentrum für Mission und Ökumene ist ein Werk der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland. DIREKTOR: Pastor Dr. Klaus Schäfer (V.i.S.d.P.), REDAKTION: Ulrike Plautz, GESTALTUNG: Christiane Wenn, KONZEPT: Andreas Salomon-Prym, SCHLUSS amburg, Telefon 040 88181-0, Fax: 040 88181-210, w ww.nordkirche-weltweit.de. KORREKTUR: Constanze Bandowski, ADRESSE: Agathe-Lasch-Weg 16, 22605 H DRUCK, VERTRIEB UND VERARBEITUNG: Druckzentrum Neumünster, JAHRESBEITRAG: 15,– Euro, SPENDENKONTO: IBAN DE11 2106 0237 0000 0273 75 Evangelische Darlehnsgenossenschaft EG KIEL, BIC GENODEF1EDG. Mit Namen gekennzeichnete Artikel geben die Meinung des Autors/der Autorin und nicht unbedingt die Ansicht des herausgebenden Werkes wieder. Die Redaktion behält sich vor, Manuskripte redaktionell zu bearbeiten und gegebenenfalls zu kürzen. Gedruckt auf TCF – total chlorfrei gebleichtem Papier. weltbewegt weltbewegt 3 Reformation und die Eine Welt che, deren Repräsentant allerdings leider kurzfristig absagen musste, sowie eine katholische Vertreterin – sind vom Geist der Reformation berührt worden. Geschichte einer Weltbürgerin Reformation – was ist damit eigentlich gemeint? Dr. Klaus Schäfer R eformation und die Eine Welt“ – unter dieser Überschrift steht das vorletzte Themenjahr der sogenannten Reformations-Dekade. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hatte sie auf dem Weg zum 500-jährigen Jubiläum der Reformation ausgerufen. Eröffnet wird das Themenjahr am 31. Oktober 2015, dem Tag, an dem Martin Luther – laut Überlieferung – seine 95 Thesen an die Schlosskirche zu Wittenberg angeschlagen hatte. „Reformation und die Eine Welt“ – damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass die Reformation eine weltweite Ausstrahlung gehabt hat und diese Wirkungsgeschichte global auch heute spürbar ist. Die Reformation ist eine „Weltbürgerin“ geworden, so sagt es Martin Junge, Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes (LWB). In der Tat: Erst vor wenigen Monaten haben wir in der Nordkirche während der großen Partnerkirchenkonsultation im September 2015 diese weltweite Ausstrahlung der Reformation konkret erlebt. Fast 60 4 weltbewegt Delegierte, Männer und Frauen, aus den gut 30 Partnerkirchen der Nordkirche – aus Afrika und Asien, aus dem Nahen Osten und dem Pazifik, aus Nord- und Südamerika sowie aus europäischen Ländern – waren über eine Woche bei uns zu Gast. Unter dem Thema „Gemeinsam den Weg der Gerechtigkeit gehen“ waren wir in kleinen Gruppen unterwegs in Kirchenkreisen der Nordkirche. Wir haben in Breklum miteinander die Bibel gelesen und über wichtige Aspekte des Themas nachgedacht. Wir sind eine kleine Wegstrecke des Pilgerweges für Klimagerechtigkeit zur Weltklimakonferenz nach Paris mitgewandert und haben im Hamburger Michel mit der Gemeinde vor Ort einen großen und schönen Gottesdienst gefeiert. In diesen Tagen konnte man die Ausstrahlung erleben, die die Reformation überall in der Welt hat – bis in die Gegenwart hinein. Auch die Kirchen, die nicht zur lutherischen Kirchenfamilie gehören – wie etwa die Kirche von England, der Chinesische Christenrat, die Russisch-Orthodoxe Kir- Auch wenn die konkrete Erfahrung der weltweiten Kirche, wie wir sie gerade erlebt haben, eindrucksvoll ist, lohnt es sich, zu Beginn des Themenjahres noch einmal präziser nachzufragen, was genau unter dem Thema „Reformation und Eine Welt“ zu verstehen ist. Welche Aspekte verbinden sich damit? Bei näherem Hinsehen wird deutlich, dass die Antwort auf diese Frage gar nicht so leicht zu geben ist. Es ist bereits schwer zu bestimmen, welche Akteure und Träger im Zusammenhang mit dem Reformationsereignis zu nennen sind: Da ist selbstverständlich Martin Luther, aber er steht nicht allein. Daneben gab es Zwingli und Calvin und die Täuferbewegung, den sogenannten Linken Flügel der Reformation. Dazu selbstverständlich auch vielfältige regionale Ausprägungen und Varianten einer komplexen geistesgeschichtlichen Epoche, die mehrere Jahrzehnte, wenn nicht ein ganzes Jahrhundert umfasste. Daneben kann man die Frage aufwerfen, was mit dem Stichwort „Reformation“ inhaltlich eigentlich gemeint ist: Geht es bei der Reformation um die „Kirche der Freiheit“, Fotos: S. Roß (1) Schwerpunkt Schwerpunkt wie sich die EKD vor einigen Jahren noch einmal selbst definiert hat? Spielt das „protestantische Prinzip“, das reformatorische Ethos, die entscheidende Rolle, wonach Kirche immer eine Kirche in permanenter Reform ist – „Ecclesia Semper Reformanda“, oder geht es zentral um andere Inhalte? Wenn es um wesentliche Stichworte geht, wie „Gewissensfreiheit“ oder „der Mensch allein vor Gott“, scheint es so, als ob das Reformatorische nicht selten durch andere geistesgeschichtliche Entwicklungen überblendet wird, wie etwa die Aufklärung oder der Pietismus, die historisch erst nachreformatorisch sind. Nicht zuletzt muss man feststellen, dass die Reformatoren des 16. Jahrhunderts noch nicht in weltweiten Dimensionen dachten. Auch wenn Martin Luther in seinem Brief an die Christen in Riga, Reval und Dorpat die Briefempfänger als solche ansprach, „die Ihr am Ende der Welt“ lebt, scheint der Satz angesichts der Entfernung zwischen Baltikum und Wittenberg doch etwas übertrieben. Wie auch immer. Anders als die katholische Kirche hatten die protestantischen Reformer die epochalen Globalisierungsprozesse damals noch nicht im Blick, die mit der sogenannten Entdeckung Amerikas und des Seewegs nach Indien schon 25 Jahre vor der Abfassung der 95 Thesen begannen. Selbst Jahrzehnte nach Luther konnte die Wittenberger Theologische Fakultät in einem Gutachten viele Argumente benennen, warum sich lutherische Christen gerade nicht in der Weltmission zu engagieren hätten. Es brauchte erst noch andere Frömmigkeits- und Kirchenformen, jenseits oder innerhalb des landeskirchlich-provinziell verfassten Christentums – vor allem den Pietismus und die Organisationsform der freien Vereine mit ehrenamtlichem Engagement – bevor sich das reformatorische Christentum seinerseits aufmachte und sich zu einer „Weltbürgerin“ entwickelte. Was sind Merkmale eines reformatorischen Christentums in der weltweiten Ökumene? Fragt man heute nach, worin die reformatorische Identität heute besteht, so kann es darauf gewiss eine Reihe von durchaus unterschiedlichen Antworten geben. Ich will hier sieben Merkmale nennen, die für mich in der Bestimmung des weltweiten reformatorischen Christentums eine Rolle spielen. Erstens: Die Reformation startete und war geprägt von einer neuen Lektüre der Bibel als der Heiligen Schrift. Luther war vor allem auch Bibelübersetzer und Bibelinterpret. Die Bibel in die Muttersprache zu übersetzen, sie dann in die Hand der Menschen zu legen und ihnen die eigenständige Lektüre der Bibel zuzutrauen, das war eine – vielleicht sogar die entscheidende – Besonderheit der Reformation gewesen. Nicht dass andere Konfessionen dies nicht auch tun. Aber dies eröffnet zu haben, das war der Beitrag der Reformatoren zur Erneuerung von Glaube und Kirche. In der Folge war die Übersetzung der Bibel in die Sprachen der Welt die Voraussetzung dafür, dass sich christlicher Glaube in unterschiedlichen Kulturen ausbreiten konnte. Zudem gab die Lektüre der Bibel den von westlichen Ländern kolonialisierten Völkern ethische Maßstäbe in die Hand, mit denen man die kolonialen Herrschaftssysteme beurteilen und herausfordern konnte. Auch das gehört zur – wenn auch vielleicht so nicht immer beabsichtigten – Wirkungsgeschichte des reformatorischen Schriftprinzips. Im Studium der Bibel macht Martin Luther – zweitens – die Entdeckung, dass die Gerechtigkeit Gottes – dies war der Begriff, mit dem er gerungen hatte – zu allererst eine Gabe Gottes an den Menschen ist. Eine Gabe, die sich dem Menschen erschließt und ihm eine Würde zuspricht, die er dankbar annehmen darf. Gottes Zuwendung führt den Menschen in die Freiheit. Sie spricht ihm Sinn zu, stärkt seinen Lebensmut und erschließt ihm Zukunft. Das Evangelium, das die Reformatoren im 16. Jahrhundert auf diese Weise neu ans Licht stellten, ist eine Botschaft für die Welt geworden. Aus der Gabe der Freiheit, die das Evangelium den Menschen durch das Evangelium zuspricht, erwächst aber drittens auch der Anspruch, dieses Leben nicht allein für sich zu leben, „Gemeinsam den Weg der Gerechtigkeit gehen“ – Christinnen und Christen aus 30 Partnerkirchen der Nordkirche kamen im September zur Partnerkirchenkonsultation 2015 in Breklum zusammen. weltbewegt 5 Schwerpunkt Predigtalltag vor fast 500 Jahren. Eine Interpretation von Georg Penz (ca. 1500 – 1550). Ausschnitt aus einem Holzschnitt, erschienen bei Wolfgang Formschneider. sondern es in den Dienst für die Menschen und den Dienst an der Welt zu stellen. Martin Luther hat dies in seiner Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ in die berühmte Formulierung gefasst, dass „ein Christenmensch … ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan“ und zugleich auch „ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan“ sei. Die Zuwendung, die Menschen von Gott erfahren und die ihre „Füße auf weiten Raum“ stellt (Psalm 31,9b), will dahin führen, dass sie sich anderen Menschen zuwenden. Dass Gottes Gerechtigkeit – oder, wie Luther übersetzt hat, „die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt“ – Menschen auf den Weg der Gerechtigkeit führt, das hat die Partnerkirchenkonsultation der Nordkirche zum Ausdruck bringen wollen. Oder anders formuliert: Das Geschenk des Glaubens führt zu Taten des Glaubens und zum Dienst an den Menschen, deren Würde verletzt wird und die in ihrem Leben wenig von Gottes Liebe und Gerechtigkeit erfahren. Vielfalt in der Einheit Viertens gilt, jedenfalls für Martin Luther und die lutherische Reformation, dass es sehr unterschiedliche institutionelle Gestalten und Manifestationen von Kirche geben kann – und es sie tatsächlich auch gibt. Kirche ist zuallererst die Gemeinschaft von Menschen, die auf das Evangelium hören und die Sakramente miteinander teilen. Nicht Priester, Bischöfe, Pastoren, nicht Riten oder Ämter konstituieren die Kirche, sondern allein das Evangelium, das Menschen anrührt, das sie zur Antwort ruft und zu einer neuen geschwisterlichen Gemeinschaft zuammenschließt. Die Gestalten der Kirche können 6 weltbewegt sehr verschieden sein, unterschiedlich in unterschiedlichen Kulturen und Traditionen. Für das Kirche sein „genügt es“ – „satis est“, wie es in den lutherischen Bekenntnisschriften heißt, dass sich Menschen im Hören auf das Evangelium versammeln und das Evangelium in Gestalt der Sakramente von Taufe und Abendmahl empfangen. Institutioneller Pluralismus ist deshalb ein Wesensmerkmal des reformatorischen Christentums. Zum fünften Kennzeichen gehört der Reformgedanke an sich. Die Kirche ist immer wieder aufgefordert, sich selbst kritisch im Lichte der Heiligen Schrift zu prüfen, vor dem Hintergrund der Herausforderungen der Zeit. Sie muss sich fragen, ob sie noch oder weiter auf den Wegen Gottes geht und das Evangelium in Wort und Tat in relevanter Weise für ihre Zeitgenossen verkündigt. Wie Luther in seiner Zeit „Von der Babylonischen Gefangenschaft der Kirche“ gesprochen hat, so muss sich die Kirche auch heute fragen, ob sie sich nicht wieder in Gefangenschaft – oder etwas bescheidener gesagt: in Befangenheiten – wiederfindet. Christen und Christinnen aus dem globalen Süden haben in ökumenischen Diskussionen der letzten Jahrzehnte so auch immer wieder von einer kulturellen Gefangenschaft des westlichen Christentums in Formen westlicher Konsum- und Erlebnisgesellschaft und eines Raubtierkapitalismus gesprochen und dies kritisch angemerkt. In den unterschiedlichen Perspektiven, die im Gespräch zwischen Kirchen unterschiedlicher kultureller Herkunft aufeinanderprallen, zeigt sich die Vitalität, aber auch die kulturelle Verschiedenheit und Komplexität eines globalen Christentums, das nicht einfach auf eine Lehrmeinung festzulegen ist. Auch dies haben wir in der Partnerkirchenkonsultation erlebt. Zum reformatorischen Christentum gehört sechstens auch ganz allgemein ein gewisser Pragmatismus, sowohl – wie gerade erwähnt – im Blick auf die Formen der Kirchlichkeit als auch im Blick auf die Gestaltung und Bewältigung des Lebens überhaupt. Luther hat zwar dem Verstand in Glaubenssachen nicht viel zugetraut, hat aber den gesunden Menschenverstand in Sachen des alltäglichen Lebens und auch in der Gestaltung des öffentlichen Lebens – etwa der Politik und der Ausgestaltung des Rechts – durchaus gelobt und in Anspruch genommen. Zwar ist die Rede von der „Eigengesetzlichkeit“ in der Politik ebenso gefährlich wie ein vermeintlich vernünftiger Hinweis auf „Realpolitik“, die „keine Alternativen“ kennt. Die Tatsache jedoch, dass man überhaupt vernünftig argumentiert und nach rational verantwortbaren Entscheidungen in Konflikten sucht, ist ein reformatorisches, jedenfalls ein lutherisches Erbe. Oder, um es noch einmal anders zu sagen: Lutherische Theologie unterscheidet sich deutlich von einer Haltung, die man als „gesetzlich“ bezeichnen kann. Schließlich soll siebtens angeführt werden, dass reformatorische „Christ sein ist immer kosmopolitisch.“ Kirchenalltag 2015 – eine Interpretation von Christiane Wenn. Theologie und Frömmigkeit in ihrer lutherischen Gestalt eine sehr existenzielle Dimension hat. Glaube, so die lebenslange Erfahrung Luthers, ist immer wieder von Anfechtung und Zweifel bedroht. Er ist nie fertig und reibt sich mitunter an Erfahrungen von Scheitern und Dunkelheit, in denen die Stimme Gottes nicht zu hören und sein Licht nicht zu sehen ist. Aber auch weil der Glaube immer wieder angefochten wird – eigentlich ein sehr moderner Gedanke –, wächst Theologie an dieser Anfechtung. Darum kann Glaube niemals triumphalistisch, selbstherrlich, arrogant oder überheblich sein, sondern ist als dankbare Antwort auf die Barmherzigkeit zu verstehen, die Menschen von Gott erfahren. „Wir sind Bettler, das ist wahr!“ ist eines der letzten Worte, die Luther vor seinem Tode auf einen Zettel geschrieben hat. Christentum ist immer kosmopolitisch Was reformatorisches Christentum deshalb auszeichnet ist eine große Gelassenheit, die Gott selbst in der Welt am Werk sieht, um sich unter und aus allen Völkern seine Kirche zu schaffen. „Während ich hier mit Philippus sitze und mein Wittenbergisch Bier trinke, läuft das Evangelium“ (allein durch die Welt), so hat Luther diese Gelassenheit und dieses Gottvertrauen einmal sinn- gemäß zum Ausdruck gebracht. In der Tat: Das Evangelium ist um die Welt gelaufen und tut es noch. Die Reformation ist „Weltbürgerin“ geworden! Aber auch das andere ist in diesem Reformationsgedenkjahr über Reformation und Eine Welt zu sagen: Wir in Norddeutschland sind christliche Weltbürgerinnen und Weltbürger und sollten unser Christsein im globalen Horizont leben und gestalten. Das Christentum ist immer kosmopolitisch – sonst es ist nicht Christentum! Dies gilt nicht nur für die reformatorische Variante des Christlichen, sondern auch für die katholische, orthodoxe, charismatisch-pentekostale und für jede Gestalt des Christlichen. Dr. Klaus Schäfer ist Direktor des Zentrums für Mission und Ökumene. weltbewegt weltbewegt 7 7 Schwerpunkt Als Kirche stellen wir uns der Realität Bischof Zachariah W. Kahuthu D as Ereignis der Reformation war nicht nur irgendein Ereignis des 15. Jahrhunderts irgendwo im fernen Europa. Sie ist ein Prozess, der damals begann und bis heute weiterwirkt – weltweit. Wichtig für uns heute ist, dass das Evangelium, also nur das Wort Gottes, im Zentrum unseres Glaubens steht, und keine andere Macht, auch nicht die der Kirche. Wir sind gerechtfertigt ohne unser Zutun allein durch den Glauben. Das macht uns frei zum Handeln. Für uns ist nicht irgendeine Wirtschaftsmacht, sondern die Bergpredigt richtungsweisend. 8 weltbewegt So geht es uns nicht darum, Sonntagsreden zu halten. Wir wollen uns als Kirche auch einmischen und sehen, wie wir diesen Glauben umsetzen können, sowohl im alltäglichen persönlichen Leben als auch in gesellschaftlichen und globalen Beziehungen. Als lutherische Kirche ist es doch unsere Pflicht gegen Unrechtgerechtigkeit zu protestieren! Als lutherische Kirche in Kenia weichen wir der Realität nicht aus, sondern stellen uns den konkreten Herausforderungen und fragen zum Beispiel: Was können wir tun angesichts der zunehmenden Wasserknappheit? Wir sehen, dass die Wasserknappheit keine Naturkatastrophe ist, sondern Das größte Flüchtlingslager der Welt liegt in Kenia. In Dadaab leben hier mehr als 350 000 Flüchtlinge, meist aus Somalia. Viele sind hier bereits aufgewachsen. eine Folge des Klimawandels und der Umweltzerstörung. Es wurden zu viele Wälder gerodet, auch bei uns. Um wenigstens etwas dagegen zu tun, ermutigen wir Christen in den Gemeinden: Wann immer ihr einen Baum fällt, pflanzt dafür zehn. Wenn ihr Kinder tauft, pflanzt einen Baum! Viele tun das. Das sind zwar kleine Schritte, aber sie sind ein Anfang, um der Zerstörung etwas entgegenzusetzen. Denn der Klimawandel ist von Menschen verursacht. Wir fragen aber auch: Wie kommt es, dass einige wenige Menschen im Reichtum schwelgen, während viele andere zu wenig haben, um davon leben zu können? Dass weltweit und auch in Kenia der Graben zwischen Arm und Reich immer tiefer wird, auch das ist kein Naturgesetz. Diese Ungerechtigkeit ist von Menschen gemacht. Als Kirche identifizieren wir uns mit den Armen und unterstützen sie. Menschen brauchen Bildung, gerechten Zugang zur Gesundheitsversorgung, lebensnotwenige Nahrung! Unsere Kirche leistet Fotos: E. v. d. Heyde (1), REUTERS/T. Mukoya (1) Dass sich die lutherische Kirche in Kenia mit vielen sozialen Problemen auseinandersetzt, ist sie ihrer Tradition schuldig. zum einen soziale und diakonische Arbeit. So bieten wir zum Beispiel Programme zur Betreuung von Straßenkindern an, entwickeln Bildungsangebote oder unterstützen Menschen, die ein Kleingewerbe betreiben durch Mikrokredite. Wir nehmen aber auch unsere prophetische Stimme in der Gesellschaft wahr. So treffen wir uns in regelmäßigen Abständen mit Regierungsvertretern. Als lutherische Kirche ist es doch unsere Pflicht gegen Ungerechtigkeit zu protestieren! Eines der wirklich drängenden Probleme in Kenia ist die große Zahl von Flüchtlingen. Im Flüchtlingslager in Dadaab, das bereits vor 20 Jahren vor allem für Menschen aus Somalia errichtet wurde, lebten zwischenzeitlich über 650 000 Flüchtlinge. Heute leben hier 350 000 Menschen in einfachen Hütten und Zelten. Es ist damit immer noch das größte Flüchtlingslager der Welt. Viele sind hier aufgewachsen. Das Lager gleicht heute in weiten Teilen einer Stadt. Es gibt kleine Läden und Stände mit Obst und Getreide. Insgesamt leben hier 100 000 Flüchtlingskinder zwischen fünf und dreizehn Jahren, von denen nur ein Teil die Schule besuchen kann. Mittlerweile wurde ein zweites Flüchtlingslager für 120 000 Menschen aus dem Südsudan in Karuna errichtet. Als Kirche setzen wir uns sehr für die Betreuung von Flüchtlingen ein und arbeiten dafür auch eng mit dem Lutherischen Weltbund zusammen. Im Schlepptau der Krisen und Konflikte in den Nachbarländern haben auch wir leider zunehmend Probleme mit extremistischen Gruppen wie Al Shabaab, die unsere Sicherheit bedrohen und zuletzt einen Anschlag auf das Camp in Dadaab mit vielen Todesopfern verübt haben. Auch das gehört zur Realität. Umso mehr ist uns in den letzten Jahrzehenten der interreligiöse Dialog immer wichtiger geworden. Wir sitzen regelmäßig mit Muslimen und auch mit Hindus an einem Tisch, wenn es um die Bewältigung von konkreten Problemen oder auch um grundsätzliche Fragen geht. Dazu gehören Themen wie die Gleichstellung zwischen Mann und Frau oder gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Menschen brauchen nicht nur Gebete, sondern auch etwas zu essen Ich hatte neulich einen befreundeten Bischof einer Pfingstkirche getroffen und er sagte mir: „Der größte Unterschied zwischen uns ist: Wir sehen die Dinge von einer emotionalen Warte aus und ihr von einer realistischen.“ Damit hat er Recht. Wir haben als lutherische Kirchen spirituelle Aufgaben, aber setzen uns auch ernsthaft mit der gesellschaftlichen Realität auseinander. Emotionen sind in jedem Gottesdienst wichtig, aber Bischof Zachariah Wachira Kahuthu ist Bischof der Kenianischen EvangelischLutherischen Kirche (KELC). Seit den 60er Jahren gibt es den Zusammenschluss aller lutherischen Kirchen im National Council of Churches of Kenya (NCCK). wir fliehen nicht in eine emotionale Realität beziehungsweise wir bleiben auch nicht auf dieser Ebene stehen wie viele Pfingstkirchen. Wenn wir sehen, dass Menschen hungrig sind, dann brauchen sie nicht nur Gebete, sondern vor allem erst einmal etwas zu essen. Das ist die Realität. Gebete sind wichtig, aber sie können das Essen nicht ersetzen. Auch junge Menschen brauchen Gebete aber eben auch Bildung. Das ist die Realität. Wir wünschen uns, dass die Gläubigen sich mit ihrer Kirche identifizieren können. Sie sollen sich natürlich auch kritisch mit ihr auseinandersetzen, wenn etwas falsch läuft. Aber sie sollen die Kirche als ihre Kirche begreifen und verstehen, dass sie die Kirche sind. Sie tragen damit auch Mitverantwortung. Wir brauchen den Einsatz aller Kirchenmitglieder und ihr ehrenamtliches Engagement. In der Kirche sollten sich die Menschen willkommen und akzeptiert fühlen, so wie sie sind: als Geliebte Gottes. Sie sollten hier auch Unterstützung finden und sagen können: Mir wird hier geholfen, geistlich und materiell. Das ist die Kirche, die wir haben wollen. Das ist die Kirche der Reformation. Übersetzung: Ulrike Plautz weltbewegt 9 Schwerpunkt Welche Botschaft ist heute wichtig? Dr. Alex Malasusa ist Bischof der Östlichen Küstendiözese der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Tansania (ELCT). Die ELCT gehört mit rund 20 Diözesen und 53 Millionen Mitgliedern zur größten lutherischen Kirche Afrikas. Die lutherische Kirche in Tansania ist die größte in ganz Afrika. Die Reformation hat für uns also eine besondere Bedeutung, auch heute. Sie erinnert uns daran, dass wir ein Teil der Kirche sind, sie aber nicht besitzen. Sie ist nicht unser Eigentum. Die Kirche ist auch nicht statisch. Die reformatorische Tradition fordert uns auf, zu überprüfen, wie wir eine wahrhafte Kirche sein können. Die Reformation mahnt aber auch zu fragen: Ist unsere Kirche noch auf dem richtigen Weg? Welche Botschaft ist wichtig, angesichts der derzeitigen großen menschlichen Probleme? Uns liegt zum Beispiel sehr daran, dass zukünftige Pastoren schon in der theologischen Ausbildung die sozialen Probleme der Menschen in Städten und Dörfern kennenlernen und auch wirklich begreifen. Wir sollten uns als Kirche immer fragen, wie können wir als Kirche für die Menschen da sein, spirituell, psy- chisch und physisch? Neben der wachsenden Armut gehört auch das Thema Klimagerechtigkeit zu den wichtigen zukünftigen Herausforderungen. Wir brauchen als Kirche in Zukunft keine neue Reformation, aber bestimmt noch viele Korrekturen. Unsere Kirche ist aufgerufen zu immerwährender Reform. Wichtig ist uns dabei auch das Selbstverständnis, Teil eines Ganzen zu sein. Deshalb ist für uns die ökumenische Bewegung von großer Bedeutung. Ökumene bedeutet nicht, sich an Grenzen zu orientieren, sondern im Gegenteil: Ökumene bedeutet, über die Grenzen der eigenen Konfession hinauszugehen. Eine Folge der Reformation ist: Menschen werden befähigt, die Bibel zu lesen. Sie können sich selbst mit dem Evangelium auseinandersetzen und brauchen dafür keine andere Instanz. Sie können sich mit Aussagen der Bibel identifizieren und diese auf ihre Lebenswirklichkeit übertragen. Das macht sie auch fähig zur Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen, denn sie erfahren in der Bibel: Gott geht es um das Wohlergehen jedes einzelnen Menschen. Luke Nzioki Mwololo, Pastor und Stellvertretender Generalsekretär der lutherischen Kirche in Kenia (KELC). Reformation bedeutet: Die Fähigkeit und auch die Möglichkeit zu haben, etwas ändern zu können, wenn es nicht in die richtige Richtung geht. Das Reformationsereignis hat es ermöglicht, dass Christinnen und Christen weltweit die gute Botschaft lesen und begreifen können. Wenn ich das Evangelium verstanden habe, kann ich auch urteilen: Was läuft in meinen Umfeld, in meinem Land, in der Kirche richtig? Was läuft falsch? Dann kann ich zusammen mit anderen überlegen: In welche Richtung soll es weitergehen? Diese Urteils- und Diskussionsfähigkeit und das Vertrauen in die Mündigkeit der Menschen – das sind Geschenke der Reformation. Gilbert Ilunga Nkasa Talwa ist Generalsekretär der Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Demokratischen Republik Kongo (EELCo). Übersetzung: Ulrike Plautz Fotos: U. Plautz (3), C. Wenn (1) 10 10 weltbewegt weltbewegt weltbewegt weltbewegt 11 11 Schwerpunkt Wir lassen uns nicht entmutigen Die gute Botschaft ist für die, die am Rande stehen Soziales Engagement gehört zum Selbstverständnis der lutherischen Kirche auf den Philippinen Zur lutherischen Kirche in Indien gehören vor allem Kastenlose. Das prägt. Angesichts großer sozialer Probleme gibt es für uns als Kirchen in der Gesellschaft genug zu tun. So müssen wir als kleine lutherische Kirche auf den Philippinen über unseren innerkirchlichen Tellerrand hinausschauen. Es ist sehr wichtig das Evangelium zu verkündigen, aber es ist alles nichts wert, wenn wir dabei nicht die sozialen Bedürfnisse der Menschen im Blick haben. Ein großes gesellschaftliches Problem sind die Straßenkinder. Ihre Zahl wächst ständig. Einige Statistiken sprechen von einer Million. So haben wir schon vor etlichen Jahren verschiedene Projekte für diese Kinder und Jugendlichen entwickelt. Viele müssen auf der Straße arbeiten, weil die Armut der Eltern sie auf die Straßen zwingt. Die Mehrheit der Straßenkinder stammt aus Großfamilien. So hat unsere Kirche auch Hilfsangebote für Eltern entwickelt. Als Kirche engagieren wir uns zudem auch in den Waisenhäusern. Wir spüren die Folgen des globalen ungerechten Wirtschaftssystems an vielen Stellen. In der Regel trifft es dann die Schwächsten, und das sind meist die Kinder. Als kleine Kirche ist unser Einfluss begrenzt. Aber wir lassen uns nicht entmutigen und tun das, was möglich ist, um etwas zu ändern. In dem Zusammenhang ist mir eine lutherische Aussage immer wichtiger geworden: Ich bin gerechtfertigt, allein aus der Gnade Gottes. Das nimmt mir die Last, alle sozialen Probleme allein bewältigen zu müssen. Sicher, wir müssen unseren Beitrag leisten, aber wir können nicht alles allein schaffen. Wir müssen es auch nicht! Genau diese Entlastung ist es, die mich ermutigt weiterzumachen. Als ich die Kirchen und Gemeinden in Deutschland besucht habe, war ich wirklich beeindruckt von dem kirchlichen Alltag. Neu war für mich, welchen hohen Status die lutherische Kirche in der Gesellschaft hat. Es schien mir dann so, als ob diese Kirche eher etwas für das Bürgertum ist und fragte mich manchmal, ob das so im Sinne Luthers ist. Das sieht in Indien natürlich alles ganz anders aus. Die lutherischen Kirchen haben bei uns eine ganz andere gesellschaftliche Bedeutung. Das hat verschiedene Gründe. Dabei spielt es sicher eine große Rolle, dass 90 Prozent der Christen den Dalits angehören, also den Kastenlosen, die zur untersten gesellschaftlichen Schicht gehören. Das prägt unsere Kirche. Als lutherischer Christ ist für mich auch von Bedeutung, dass Luther vom „Priestertum aller Gläubigen“ spricht und die Ein-Mann-Show ablehnt. Das ist bei uns noch lange keine Realität. Ich habe nichts gegen Bischöfe. Aber ich finde doch, dass mehr Christinnen und Christen am Gottesdienst beteiligt sein sollten. Grundsätzlich bedauere ich sehr, dass es weltweit noch nicht in allen Kirchen die Frauenordination gibt. Das ist patriarchalisch und sollte sich wirklich bald ändern! Von heutigen Kirchen würde ich mir grundsätzlich wünschen, dass sie sich ihres ursprünglichen Auftrags mehr bewusst sind. Dabei sollte es vor allem um die Solidarität mit den Armen gehen. Wir dürfen nicht aufhören, gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit zu kämpfen. Dafür ist das ökumenische Netzwerk enorm wichtig, das sich weltweit zwischen allen lutherischen Kirchen entwickelt hat. Auch wenn die Mitglieder noch so verschieden sind, kann ein Verbund doch mehr bewirken als Einzelkirchen. Zu den wesentlichen Aufgaben unserer Kirchen sollte es immer gehören, sensibel zu bleiben für die dringlichen Fragen und Probleme von Menschen. Es geht darum, dass wir das Evangelium den Menschen bringen, die am Rande stehen. Wir sind aufgerufen, den Menschen Kraft zu geben, die sich ohnmächtig und schwach fühlen und denen eine Stimme zu geben, die stumm sind oder einfach nicht gehört werden. Pastor Henry Paul Roa ist Pastor der Lutherischen Kirche auf den Philippinen (LCP). 12 weltbewegt June Mark Yaňez. Der philippinische Pastor arbeitet in Hamburg im Seemannspfarramt der EvangelischLutherischen Kirche in Norddeutschland. Fotos: E. v. d. Heyde (1), U. Plautz (3), wikimedia (1) Unsere Kirche, die Unabhängige Philippinische Kirche, die Iglesia Filipina Independente, ist eigentlich das Produkt des Kampfes gegen die Kolonisation. Diese Haltung des Widerstandes könnte man auch als reformatorisches Erbe bezeichnen. Obgleich unsere Kirche keine lutherische, sondern eine selbstständige katholische Kirche ist, ist in dieser Hinsicht ein reformatorischer Einfluss sichtbar geworden. Pastor Samuel Logan Ratnaraj ist Projektmanager der Abteilung für Sozialdienste der Vereinigten Evangelischen Lutherischen Kirche in Indien (UELCI). Das Christentum hat in China oft die Volksreligion ersetzt Spielt die lutherische Tradition im chinesischen Christentum eine Rolle? Martin Luther wird von chinesischen Christen schon sehr verehrt. Bewundert wird vor allem sein Kampfgeist und die Art und Weise, wie er für seine Überzeugungen gekämpft hat. Wichtig sind die drei großen Prinzipien der Reformation, besonders die Rechtfertigung des Menschen durch den Glauben. Am theologischen Seminar haben wir viele Bereiche, in denen wir auf Gedanken von Luther zurückgreifen. Allerdings spielt das Luthertum bei uns sicher keine so große Rolle wie in anderen Ländern. Welche theologischen Themen sind derzeit wichtig? In den letzten Jahren hat sich die chinesische Kirche sehr mit dem sogenannten Wiederaufbau der Theologie befasst. Wichtig war die Sinisierung der christlichen Theologie im chinesischen Kontext. Es ging um die Frage: Welche Wege gibt es, damit die christliche Religion die Bevölkerung noch besser erreichen kann? Wer bei uns nicht in einem christlichen Kontext aufwächst, weiß meist nichts über das Christentum. Anders als in Deutschland, wo das Christentum Teil des kulturellen Systems ist. Glaubt man den Berichten der Medien, hat das Christentum in China einen großen Zulauf. Was sind die Gründe? Die außerordentliche Entwicklung des Christentums in den letzten Jahren hat verschiedene Aspekte. Der erste Grund liegt sicher auch in der Politik der Religionsfreiheit nach der Kulturevolution. Im Zuge dessen hat das Christentum vielfach die chinesische Volksreligion ersetzt. Menschen brauchen einen Glauben und diese Rolle hat das Christentum übernommen. Außerdem spielt das christliche Menschenbild eine wichtige Rolle. Die Vorstellung des Menschen als Ebenbild Gottes ist eine theologische Vorstellung, durch die sich viele in China angezogen fühlen. Dr. Ying Gao ist Leiterin des „Yanjing Theological Seminary“ in Peking und Vizepräsidentin des China Christian Council (CCC). Das Gespräch führte Ulrike Plautz. Die Texte wurden übersetzt von Ulrike Plautz. weltbewegt 13 Schwerpunkt Wir sind Kirche! Die lutherische Kirche in Brasilien mischt sich dort ein, wo es notwendig ist Mauro Alberto Schwalm ist Pastor der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien (IELCB). W enn ich eine schnelle Antwort auf die Frage finden sollte, welche Bedeutung das reformatorische Erbe für unsere Kirche heute hat, dann würde ich antworten: Wir müssen uns mit den Problemen der Menschen auseinandersetzen. Wir dürfen sie nicht einfach unter den Tisch schieben, sondern müssen mit ihnen umgehen. Das bedeutet, genau hinzuschauen, unter welchen gesellschaftlichen Bedingungen und mit welchen Herausforderungen Menschen im 21. Jahrhundert leben müssen. Welche Folgen hat die Globalisierung für die Menschen? Welche Auswirkungen hat der Klimawandel? Oder auch: Was bedeutet es heute als Homosexueller in unserer Gesellschaft zu leben? Die Spannbreite der Themen ist breit. In Brasilien leben über 200 Millionen Menschen, davon gehören 123 Millionen einer katholischen Kirche an. Es ist Unsere Stimme ist wichtig“ 14 weltbewegt einbringen, wann immer es notwendig ist. Es gibt natürlich auch Gläubige, die eine enge persönliche Beziehung zu Gott haben, aber eher ängstlich sind. Viele denken dann, dass eine Weltoffenheit ihre enge Verbundenheit zu Gott gefährdet. Ich bin aber überzeugt, dass wir uns der Welt öffnen können, ohne dass wir uns von Gott entfernen – und Gott sich von uns entfernt. Im Gegenteil: Gott hat eben keine anderen Hände und Füße als unsere. Ein anderes wichtiges Merkmal der Reformation ist das „Priestertum aller Gläubigen“. Es hat eine ebenso wichtige Bedeutung. Heißt es doch, dass wir alle die Kirche tragen, nicht nur Pastorinnen und Pastoren. Daraus leitet sich für die Hauptamtlichen unter anderem auch ab, dass die Arbeit von Ehrenamtlichen eine noch größere Wertschätzung erfahren muss. Das „Priestertum aller Gläubigen“ ist eine Aufforderung an alle lutherischen Christinnen und Christen nicht nur mitzugehen, sondern auch mitzugestalten. Das heißt: Die Kirche hängt nicht von anderen ab. Wir sind Kirche! Die christlichen Jugendorganisationen in Brasilien sind stark. So fand am 4. Juni 2015 die jährliche Jesus Parade mit einem öffentlichen Gottesdienst in Sao Paulo statt. Fotos: U. Plautz (2), REUTERS/P. Whitaker (1) Barbara Luise Hiltel Venturini ist Jugenddelegierte der IELCB. Wir werden das Jubiläum mit anderen jungen Leuten groß feiern. Dafür haben wir in der Kirche ein großes Treffen zum Gedenken an Luther geplant. Mit diesen T-Shirts werbe ich schon einmal dafür. Ich bin Lutheranerin, weil ich die Bibel vor allem auch so lesen möchte, dass meine gesellschaftliche Wirklichkeit dabei vorkommt. Es ist mir wichtig, das Evangelium nicht nur spirituell zu erfassen, sondern es auch mit sozialem Handeln in Verbindung zu bringen. Mir ist es wichtig zu wissen, dass ich durch Gottes Gnade gerechtfertigt bin. Das bedeutet für mich: Ich muss mich nicht durch meinen Glauben oder meine Taten beweisen. Ich bin schon so geliebt wie ich bin. Das ist auch sehr befreiend. Dann kann ich meinen Blick auch zu anderen wenden, kann sie lieben und etwas für andere tun. Die Bibel ist mir wichtig als Kraftquelle. Am liebsten lese ich die Bibel aber zusammen mit anderen, zum Beispiel in der Jugendgruppe, die ich leite. Dort sprechen wir gemeinsam über die Texte und setzten uns mit Alltagsproblemen aus christlicher Perspektive auseinander. Wir fragen uns, was es bedeutet, in der heutigen Gesellschaft als Christ oder Christin zu leben. Die Jugendorganisationen in der Kirche sind stark, unter anderem auch deshalb, weil die Kirche viel für uns tut. Zum Beispiel hat es mich sehr ermutig, dass ich als 21-Jährige als Delegierte ausgewählt wurde, um die Consultation 2015 in der Nordkirche zu besuchen. Das war für mich – und auch für Gleichaltrige – das Signal: Ja, eure Stimme ist uns wichtig. Die Kirche nimmt euch als junge Erwachsene ernst, unabhängig davon, ob ihr Profis oder Laien seid. damit das katholischste Land der Welt. Da haben wir als kleine lutherische Kirche mit etwa 750 000 Mitgliedern natürlich einen geringeren Einfluss. Dementsprechend spielt das Reformationsjubiläum bei uns eine kleinere Rolle als etwa in Deutschland. Aber wir werden das Jubiläum natürlich auch feiern, denn die Reformation hat uns ja bis heute noch etwas zu sagen. Eine wichtige Botschaft lautet zum Beispiel: Wir sind befreit zum Handeln. Aber was bedeutet das? Wie kann ich mich als befreiter Mensch verstehen? Was heißt das auch für das Zusammenleben mit anderen? Bei uns in Brasilien ist die Kluft zwischen Arm und Reich immens. Diese Situation hat sich sogar noch verschärft. Viele haben zu wenig zur Verfügung und wenige haben zu viel. Die reformatorischen Fragen können dann die Konsequenz haben, dass wir sagen: Wir könnten und sollten ruhig noch lauter protestieren, wenn die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht so sind, wie sie sein sollten. Gegen diese ungerechten Zustände sollten wir auch praktisch etwas tun. So werden wir uns als lutherische Kirche in die Gesellschaft Übersetzung: Ulrike Plautz weltbewegt 15 Schwerpunkt „Verstehst du auch, was du da liest?“ Was Protestanten mit Muslimen verbindet ist die hohe Wertschätzung der Schrift. Ein Austausch zu seiner Bedeutung zwischen Axel Matyba, Dialogbeauftragter der Nordkirche und dem Islamwissenschaftler Roberto Pera Axel Matyba: „Die Bibel ist das Beste, was ein Muslim zur Hand nehmen kann – für den Fall, dass er mal den Koran verlegt haben sollte“, hat der muslimische Theologe Harry Harun Behr einmal gesagt. Ich habe mich darüber gefreut, spricht aus ihr doch eine hohe Wertschätzung für mein Heiliges Buch. Und wie geht es mir mit dem Koran, dem ich mich nur auf Deutsch annähern kann? Um ehrlich zu sein: Das ist für mich ein immer noch andauernder und nicht einfacher Lernweg. Ein Freund sagte zu mir: „Lies von hinten! Die Schönheit des Korans erschließt sich dir so besser.“ Recht hat er. Die kurzen Suren mit Überschriften wie „Das Frühlicht“ (113), „Das reine Gottesbekenntnis“ (112) oder auch „Die Fülle“ (108) haben mir das Eintauchen in eine andere religiöse Welt erleichtert. Welche Erfahrungen hast du mit der Bibel gemacht? A.M.: Da hast du Recht. Auch die beste Übersetzung ist schon eine Form von Interpretation. Um eine größtmögliche Nähe zum Urtext zu bekommen, müssen Studierende der Theologie deshalb auch Hebräisch und Griechisch lernen. Mir ist die Übersetzung der Bibel durch Martin Luther, die übrigens bis heute fort geschrieben und angepasst wird, nach wie vor die liebste. Mit ihr beginne ich jede Bibellektüre. Dann beginnt ein Prozess der Aneignung, der Interpretation, der Versuch einen biblischen Text für mich hier und jetzt, für mein Leben sprechen zu lassen. Da gibt es für mich kein richtig und falsch. Eine Aneignung ist immer ein ganz persönlicher Prozess. Klar, er muss ehrlich sein und sich auch immer wieder kritisch hinterfragen lassen. Du hast eben von „Begegnungen mit dem Göttlichen“ gesprochen. Die Bibel ist voll von solchen Begegnungen. Ich mag zum Beispiel die Geschichte vom Kämmerer aus Äthiopien in der Apostelgeschichte sehr. Dabei geht es auch um die Frage: Verstehst du auch, was du liest? Diese Frage stelle ich mir selbst, wenn ich in der Bibel lese. Ich denke, wir dürfen sie auch einander wechselseitig stellen: Verstehst du auch, was du liest? Wie verstehst du deinen Koran? Hilft er dir, nicht nur dich sondern auch mich besser zu verstehen? Seit jeher versuchen Gläubige aller Religionen Worte, die ihnen wertvoll und heilig sind, kunstvoll umzusetzen. Bild unten: Anfangszeile des islamischen Glaubensbekenntnisses „Es gibt keinen anderen Gott außer Gott und Muhamad ist sein Prophet.“ 16 weltbewegt R.P.: Das sind gute Fragen. Natürlich, Arabisch ist auch nicht meine Muttersprache. Auch ich muss mir Übersetzungen zu Hilfe nehmen. Dennoch bleibt das Arabische für mich Gottesrede und Übersetzung nur Annäherung. „Koran“ bedeutet übersetzt Rezitation oder Lesung und in dieser Form rührt „Sein Wort“ mein Innerstes. Es gibt Momente, in denen sich der Zugang zu einer anderen Ebene öffnet, da göttliche Rede immer mehr ist als der bloße Buchstabe. Im Islam ordnet man die göttlichen Attribute in zwei Kategorien: jalāl = majestätisch (Gerechtigkeit, Allmacht) und jamāl = schön (Barmherzigkeit, Vergebung). Die göttlichen Attribute beziehungsweise Namen werden auch im Islam nicht unabhängig voneinander gedacht. Sicher ist, dass der Koran mir hilft, mich an den Sinn und Zweck meines Lebens zu erinnern. Es ist kein Zufall, dass Gott den Koran selbst „Erinnerung“ nennt. A.M.: Ich finde den Gedanken der „Erinnerung“ spannend. Kann es sein, dass wir diesen Begriff „Erinnerung“ ganz unterschiedlich füllen? Vielleicht wird daran der Unterschied zwischen unseren Heiligen Schriften deutlich. Der Koran erinnert dich an Gottes Wort. Für mich ist die Bibel aber nicht primär Wort, sondern Antwort. Hier erzählen mir Menschen, was die Begegnung mit Gott, seinen Propheten, mit Jesus oder seinen Jüngern bei ihnen bewirkt hat. A.M.: Was ist der angemessene Umgang mit schwer verständlichen Stellen in unseren Schriften? Ich höre oft, dass der Koran doch so gewalttätig sei, Ungläubige getötet werden müssten und so weiter. Wie verträgt sich das mit den wertschätzenden Versen über die Völker des Buches, zu denen ja auch die Christen zählen? Fotos: wikimedia (1), The Pepin Press (1),R. Pera (1), C. Wenn (1) Roberto Pera: Wenn ich an die Bibel denke, denke ich gleichzeitig an eine bestimmte Phase in meinem Leben. Ich war 16, war auf der Suche und las sowohl in der Bibel als auch im Koran. Ein Pastor, den ich in dieser Zeit besuchte, beschrieb mir die Bibel als eine Sammlung von Erfahrungsberichten von Menschen mit Gott. Das gefällt mir heute als Aussage besser als damals. Der Koran hingegen gilt für Muslime als direkte göttliche Rede. Das beeindruckte mich nachhaltig. Axel, du sagtest, du könntest den Koran nicht in seiner Ursprache lesen? Das Gleiche gilt doch auch für Aussagen Jesu. Diese liegen im Neuen Testament auch nicht in seiner Sprache vor. Wie gehst du damit um? Gehen nicht in jeder Übersetzung immer gewisse inhaltliche Ebenen verloren? R.P.: Ja, der Koran ist göttliche Rede und kein Bericht des Propheten – insofern unterscheiden sich unsere Schriften. Doch auch wir kennen „Erfahrungsberichte“ von Menschen mit Gott. Allen voran die Sunna des Propheten – wörtlich: sein Brauch, seine Art zu leben. Die Berichte über seine Taten und Aussagen zeugen davon, dass sein Leben durchdrungen ist von der Begegnung mit dem Göttlichen. R.P.: Diese Stellen gibt es und man kann und darf sie nicht ignorieren. Der größte Fehler, den sowohl Extremisten als auch islamfeindliche Polemiker machen, ist, dass sie Verse aus ihrem Kontext reißen und verabsolutieren. Das ist ein Verbrechen an der Heiligen Schrift. Das Thema Gewalt wird im Koran verhandelt. Genauso aber werden klare Grenzen formuliert, in denen Gewaltanwendung erlaubt ist, nämlich allein im Falle von Notwehr und Verteidigung. Außerdem beziehen sich diese Aufforderungen auf konkrete historische Situationen und sind nicht ohne weiteres auf heute zu übertragen. A.M.: Natürlich hat auch die Bibel ihre dunklen Stellen, Worte die zur Gewalt aufrufen und die ich nicht mit sprechen kann. Hier spielt das Wort für mich nicht die entscheidende Rolle. Wichtig ist mir der Gedanke, dass sie, wie alle Worte der Bibel, durch viele Menschenhände und -münder gingen. Wichtig ist mir deshalb immer wieder aufs Neue die sogenannte historisch-kritische Bibelauslegung, die sprachlichen, historischen, psychologischen und soziologischen Fragestellungen. Warum? Weil sie für mich Zeichen eines tiefen ehrlichen Ringens sind. Ich nehme die Texte der Bibel gerade durch dieses Hinterfragen sehr ernst. So hoffe ich ihrer Botschaft, ihrem Kern, möglichst nahe zu kommen. R.P.: Mir ist in dem Zusammenhang ein Vers aus der Sure 49 wichtig: „O ihr Menschen, Wir haben euch aus Mann und Frau erschaffen und euch zu Völkern und Stämmen gemacht, auf dass ihr einander erkennen möget. Wahrlich, vor Gott ist von euch der Angesehenste, welcher der Gottesfürchtigste ist.“ Das verstehe ich als Aufruf, unseren Schöpfer zu bitten, dass er uns hilft, seine Worte recht zu verstehen, damit wir uns im Guten begegnen und einander achten und das gegenseitige Verständnis ermöglichen und vertiefen können. A.M.: Dem kann ich mich nur anschließen. Roberto Pera (re.) ist Islamwissenschaftler und Mitglied im Fachrat Islamische Studien. Pastor Axel Matyba (li.) ist Beauftragter für den ChristlichIslamischen Dialog in der Nordkirche. Dieses Gespräch fand im Rahmen eines Gottesdienstes in Hamburg anlässlich der Ausstellungseröffnung „Kunstbrücken“ statt und wurde redaktionell bearbeitet. weltbewegt 17 Schwerpunkt „Die Kirche ist immer in Reformation“ Mit Bischof Dr. Munib Younan, Präsident des Lutherischen Weltbundes, sprach Ulrike Plautz Was ist die heutige Bedeutung der Reformation? Wissen Sie, heutzutage verstehen viele Menschen die Reformation falsch. Sie denken bei Reformation nur in politischen Kategorien und verwechseln sie mit Reform. Reformation ist stets ein theologisch-geistliches und politisches Geschehen, das zudem immer in einen Kontext eingebunden ist. Und da der Heilige Geist die Kirche stets leitet, gibt es eine andauernde Reformation. Und zwar eine Reformation, die heutzutage global geworden ist. Können Sie uns ein Bespiel aus Ihrem Bereich geben? Meine Kirche engagiert sich vor allem in der Bildungsarbeit. Sie kommt Christen und Muslimen gleichermaßen zugute. Gegenwärtig sind 54 Prozent unserer Schüler und Studenten Muslime. Wir wollen sie nicht zum Christentum oder Luthertum bekehren. Aber wir geben allen, die unsere Schule besuchen, ob es Lutheraner, Nicht-Lutheraner, Christen oder Muslime sind, die gleiche evangelische Ausbildung. Das ist ein wichtiger Aspekt unserer missionarischen Aufgabe. Sie besteht auch darin, einen Beitrag gegen die Entwicklung extremistischer Haltungen zu leisten und einen Geist der Verständigung und Mäßigung zu entwickeln. Wir wollen diejenigen wieder in die Gesellschaft integrieren, die sich ausgeschlossen fühlen. Zweitens kann man sich angesichts des israelisch-palästinensischen Konflikts nicht einfach auf die Lektüre des Alten und des Neuen Testaments zurückziehen und so tun, als ob wir nichts mit der aktuellen Situation zu tun hätten. Hier muss die Kirche eine prophetische Rolle spielen, indem sie für Gerechtigkeit und Frieden eintritt. Das ist entscheidend. Unsere Menschen hier sind müde. Palästinenser und Israelis sind müde. Sie wollen einfach nur Frieden. Wir, die Kirche, wir sprechen uns gegen die Gewalt aus. Gegen die Verletzung der Menschenwürde. Gegen die Missachtung der Gendergerechtigkeit. Wir sprechen über die Verfolgungen von Christen im Irak und in Syrien. Wir thematisieren die Religionsfreiheit. Die Meinungsfreiheit. Die Kirche sollte der Welt immer eine ethische Richtung vorgeben. Einmal wurde mir in einem Interview vorgehalten, dass man in Deutschland denkt, ich sei zu 90 Prozent Politiker und nur zu 10 Prozent Pfarrer. Das ist falsch. Ich bin zu 100 Prozent evangelischer Pfarrer. Aber als solcher spreche ich die Belange der Gesellschaft an. Evangelische Pastoren verstecken sich nicht hinter der Kanzel. Sie tragen ihre Kanzel auf den Markt, auf die Straße zu anderen Menschen, dorthin, wo ihn der Heilige Geist hinführt. Was bedeutet das für unsere Gesellschaft? Die Reformation oder die Theologie ist keine sich selbst genügende Angelegenheit. Wäre das so, wäre sie nur eine Art Philosophie. Sie steht zudem immer in einem bestimmten Kontext, sei dieser Europa, Amerika, Lateinamerika, Afrika oder auch Palästina. Auf diesen Kontext muss sie sich beziehen. Sie muss auf die Bedürfnisse und Nöte der Menschen eingehen und versuchen, hier Antworten zu finden. Für mich gehören gesellschaftliches Engagement und Spiritualität zusammen. Sonst schotten wir uns ab und bleiben für uns. Die Apostelgeschichte zeigt, dass es nicht genügt, nur das Evangelium zu verkünden und die Sakramente zu verwalten. Wir sind durch die Eucharistie in die Welt gesandt, um der Diakonie willen. 18 weltbewegt Fotos: wikimedia (1) Welche Rolle spielt die reformatorische Tradition in der ökumenischen Bewegung? Martin Luther wollte sicher nicht die Abspaltung von der katholischen Kirche. Er wollte lediglich seine Kirche reformieren, aber dies war so nicht möglich. Wir alle kennen die geschichtliche Entwicklung. Aber ohne die Idee der Einheit und die Ökumene können wir die Reformation nicht feiern. Der Lutherische Weltbund (LWB) führt seit 50 Jahren Dialoge mit der Katholischen Kirche. 1999 kam es zur Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre durch den Lutherischen Weltbund und die römischkatholische Kirche. Verbunden damit war die Feststellung, dass die gegenseitigen Lehrverurteilungen des 16. Jahrhunderts nicht zutreffen. Seitdem haben wir weitere Fortschritte gemacht. Wir sind durch die Taufe geeint und verbunden durch die diakonische Arbeit. Auch was unser Verhältnis zu den Mennoniten betrifft, haben wir 2009 ein Schuldbekenntnis abgelegt, in dem wir unser Bedauern und den Schmerz über die Verfolgungen der Anabaptisten im 16. Jahrhundert ausdrücken. Auch zu Anglikanern, Reformierten und Orthodoxen haben wir Beziehungen. Zusammen mit allen anderen Kirchen wollen wir das Evangelium der Liebe in die Welt tragen, das inklusiv und nicht exklusiv ist. Welchen Beitrag kann der Lutherische Weltbund zu Problemen wie Klima, Gerechtigkeit und Migration leisten? Wie gesagt, die Reformation war immer offen gegenüber der Gesellschaft. Das zeigt schon das Beispiel Martin Luthers. Nehmen Sie etwa seine Bibelübersetzung oder seine Berufsethik. Was nun die Flüchtlingsproblematik anbelangt, so ist es eine Schande, dass sich Europa so abweisend verhält. Deutschland und Schweden sind rühmliche Ausnahmen. Dafür sind wir sehr dankbar. Auch dafür, dass sich Kirchen so aufnahmefreudig zeigen. Wir müssen uns allerdings fragen, warum gibt es überhaupt Flüchtlinge? Niemand möchte ein Flüchtling sein. Die westlichen Länder sind nicht in der Lage, die Probleme des Mittleren Osten zu lösen, Probleme zu deren Entstehung sie beigetragen haben. Zweitens der Klimawandel. Wir im LWB haben eine ziemlich klare Meinung. Die Entwicklung liegt in unserer Verantwortung. Es ist unsere Erde und wir wollen dieses Geschenk weitergeben an unsere Kinder, Enkelkinder und die Generationen danach. Deshalb kritisieren wir den herrschenden Egoismus in der Welt, der uns einen verantwortungsvollen Umgang mit Gottes Schöpfung vergessen lässt. Es geht um Gerechtigkeit für unsere Umwelt. Welche Rolle hat die lutherische Kirche im interreligiösen Dialog? Schon die Confessio Augustana war ein Dokument des Dialogs. Zur Grundeinstellung der Reformation gehört, mit anderen ins Gespräch zu kommen. Heute ist vor allem auch der Austausch mit dem Islam und dem Judentum wichtig. Damit wir gemeinsame Werte finden können, etwa bei den Themen Gerechtigkeit, Frieden, Zusammenleben und Umgang mit der Natur. Natürlich wollen wir im Austausch niemanden verändern. Aber wir fühlen uns gemeinsam für die Welt verantwortlich, dafür wollen wir etwas tun. Ein Beispiel ist das auch vom LWB unterzeichnete Dokument „Fremde willkommen heißen – Selbstverpflichtungen von Religionsführerinnen und Religionsführern“, das auf Initiative des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen zustande kam. Bischof Dr. Munib A. Younan von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und im Heiligen Land (ELKJHL) ist Präsident des Lutherischen Weltbundes (LWB). Was sind derzeit die wichtigsten Themen im Dialog? Die größte Herausforderung in den Gesprächen sind zurzeit die Fragen: Was können wir für die Gerechtigkeit tun? Kümmern wir uns wirklich um den Klimawandel? Wie können wir denen helfen, die unterdrückt sind und als Minderheiten ausgegrenzt und weggesperrt werden? Was haben wir den Extremisten, die in das Herz der Religionen eingedrungen sind und die Religion missbrauchen, entgegenzusetzen? Braucht die Kirche eine neue Reformation? Die Kirche ist immer in Reformation. Das wird niemals enden. Die Kirche, die nicht in andauernder Reformation ist, hat ihre evangelischen Wurzeln vergessen. Der Heilige Geist führt die Kirche jeden Tag mit all ihren Schwächen, und deshalb sind wir immer in Reformation. Übersetzung: Dr. Wolfgang Neumann weltbewegt 19 Schwerpunkt Schwerpunkt Zum Priestertum gehören auch Frauen! Kraft des Evangeliums wiederentdecken Dr. Dace Balode setzt sich für die Frauenordination in der lettischen Kirche ein Das Engagement für Gerechtigkeit braucht christliche Impulse Dr. theol. Dace Balode ist Dekanin der Theologischen Fakultät der Universität Lettlands. 20 weltbewegt ettland ist ein multikonfessionelles Land. Vor dem zweiten Weltkrieg war die evangelische Kirche die größte im Land. Unter der Sowjetherrschaft veränderte sich allerdings auch die kirchliche Landschaft. Heute gehört die Evangelisch-Lutherische Kirche Lettlands neben der römisch-katholischen und russisch-orthodoxen Kirche zu den drei großen Konfessionen. Unsere Demokratie ist noch jung. Obwohl nach der Unabhängigkeit 1991 viel erreicht wurde, um einen demokratischen Staat sowohl vor dem Gesetz als auch im gesellschaftlichen Bewusstsein zu bilden, gibt es in dieser Hinsicht noch einiges zu tun. Vieles muss sich ändern, damit die neugewonnenen Rechte und Freiheiten tatsächlich gelebt werden. Die Kirchen mit einer reformatorischen Tradition – Lutheraner, aber ebenso Baptisten, Adventisten, Methodisten und Pfingstgemeinden – spiegeln diese gesellschaftlichen Prozesse wider. Auch wenn die von der Sowjetzeit tradierten Werte und Strukturen Einfluss auf das innerkirchliche Denken gehabt haben, waren unsere Kirchen auch immer ein Widerstandsort gegen das autoritäre Regime. So können diese Kirchen heute einen Beitrag leisten, um die christliche Tradition zu fördern, die die Freiheit und gleichzeitig Verantwortung eines jeden Menschen betonen. Freisein für die Nöte anderer Die Reformation war auch die Geburtsstunde der Pluralität unter den Kirchen, die gleichzeitig auch oft eine Herausforderung für die Ökumene ist. Heute sollte es darum gehen, die Einheit auf einer anderen Ebene zu finden. Es kann keine von oben bestimmte Einheit sein, sondern muss auf Freiwilligkeit, auf Dialog, auf vorsichtiges Fühlen und Tasten und gemeinsamen Liebesdienst beruhen. Eines der Prinzipien, die die reformatorischen Kirchen beherzigen können, ist das lutherische „Ecclesia semper reformanda“. Die Erinnerung daran, dass die Kirche immer einer Reformation bedarf – vor allem mit Blick darauf, was für den Aufbau der Einen Welt nötig ist. Das Evangelium ist auch eine praktische Botschaft. Jesus hat die gute Botschaft verkündigt, aber vor allem im Umgang mit seinen Mitmenschen vorgelebt. Die reformatorischen Idee: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan“, zeigt, dass es nie nur um die eigene Freiheit gehen kann. Freiheit, die uns geschenkt wurde, bedeutet vor allem auch Freiheit, anderen Gutes zu tun. So kann das reformatorische Evangelium ein starkes Mittel sein, die Augen für die Nöte anderer zu öffnen. Sie kann Kraft und Mut geben, auch Situationen zu bewältigen, die hoffnungslos zu sein scheinen. Die Reformation war in meinen Augen ein Wendepunkt zur Aufwertung des einzelnen Menschen, und insofern ein Paradigmenwechsel im Denken. Doch die zentrale theologische Botschaft ist die Rechtfertigung allein aus Glauben. Es ist die gute Botschaft für Menschen, sich mit ihren Grenzen anzunehmen. Heute ist allerdings eine meiner brennendsten Fragen, wie es mit der Gendergerechtigkeit in unserer Kirche aussieht. In der Frauenordination sehe ich die Verwirklichung des grundsätzlichen reformatorischen Prinzips des Priestertums aller Gläubigen. Dafür möchte ich mich einsetzen. D Fotos: U. Plautz (2), R. Griffith/Wikimedia (1) L as Selbstverständnis unserer Evangelisch-Lutherischen Kirche in Rumänien wurde in den letzten 500 Jahren durch die reformatorische Tradition bestimmt. Das grundlegende Glaubensbekenntnis unserer Gemeinschaft ist das Augsburger Bekenntnis. Luthers „Kleiner Katechismus“ ist struktureller Teil unseres Konfirmandenunterrichtes. Statt eines hierarchischen Aufbaus gibt es als höchsten Entscheidungsträger die Synode. Neben diesen Eigenschaften sind insbesondere vier reformatorische Elemente nennenswert: Wir legen hohen Wert auf den Prediger-Dienst und auf unsere gesungene Liturgie. Unsere Abendmahlspraxis ist offen. Entsprechend der bibli- schen Tradition teilen wir Brot und Wein mit allen Getauften, die es entsprechend ihrem Glauben empfangen dürfen. Schließlich übernimmt unsere Kirche Verantwortung in gesellschaftlichen Fragen. So setzt sich unsere Kirche für die Rechte von Minderheiten ein. Zwar bilden unsere vier reformatorischen Kirchen in unserer Gesellschaft die Minderheit, trotzdem versuchen sie sich mit Stellungnahmen in politischen Fragen immer wieder Gehör zu verschaffen und bringen sich in die Gesellschaft mit ihrer kulturfördernden Arbeit ein. Die Gestaltung der „Einen Welt“ ist eine wachsende Herausforderung für unsere Gesellschaften. Ich denke, ein erster Schritt auf diesem Weg ist die positive Annahme und Anerkennung der Vielfältigkeit. „Eine“ heißt nicht, uniform zu sein. Es ist erlaubt, anders zu denken als die breite Masse. Der Protestantismus im 16. Jahrhundert ist dafür ein gelungenes Beispiel. Die Reformatoren haben großen Wert auf den persönlichen, auf Christus zentrierten Glauben und Gerechtigkeit gelegt. Jesus Christus war und ist offen für alle Benachteiligten. Seine Nachfolger dürfen seine Offenheit und sein Engagement weiterbringen. Der christliche Glaube und die Suche nach gesellschaftlicher Gerechtigkeit sind keine Gegensätze, sondern sollten sich gegenseitig auf dem Weg zu einer friedlichen, gemeinsamen Welt unterstützen. Wir brauchen christliche Quellen, um Lösungen für heutige Probleme zu finden „Auch wenn ich wüsste, dass morgen die Welt zugrunde geht, würde ich heute noch einen Apfelbaum pflanzen“. Dieser Gedanke des Reformators ist mir wichtig – gerade heute angesichts der dringenden Zukunftsfragen wie Klimagerechtigkeit, Migration, Gerechtigkeit und Frieden. Ich denke, mit einem positiven Glaube an die Zukunft, Neugier und Handlungsbereitschaft können wir viel erreichen. Als ich mich vor kurzem mit Luthers Briefen beschäftigt hatte, fand ich heraus, welch ein begeisterter Prediger, Lehrer, Briefschreiber, Familienvater und Gärtner er war. Auch Gärtnern kann eine Form der Wertschätzung der Schöpfung sein. Predigen, lehren, Briefe schreiben – das bedeutet Offenheit und Engagement für die Fragen der Menschen. Es bedeutet Dialog. Was heißt es, Vater zu sein? Ich werde sagen können, was es bedeutet Mutter zu sein. Ich denke oft, dass Familie eine wichtige Keimzelle der Gesellschaft ist. Wenn sie geschützt wird, dann kann Integration, Gerechtigkeit und Frieden in unserer Welt wachsen. Ich wünsche, dass wir die Kraft des Evangeliums, des persönlichen Glaubens und der Gemeinschaft wiederentdecken können. Diese Quellen sind unersetzlich, wenn wir christliche Lösungen für die heutigen Probleme finden möchten. Ich wünschte, dass wir die passende Sprache fänden, um auch andere Menschen zu erreichen, die von anderen Weltbildern bestimmt sind. Der Schöpfer-Gott ist für alle da, für Arme, Reiche, für Kinder, Frauen und Männer aus jeder Nation! Eszter Kailt ist Pastorin der EvangelischLutherischen Kirche in Rumänien. weltbewegt 21 Schwerpunkt Reformation ist ein wichtiger Orientierungspunkt, auch heute noch In der evangelischen Kirche Polens spielt die Tradition eine große Rolle Dr. Marcin Hintz Dr. Marcin Hintz (li.) ist Professor für Systematische Theologie und seit 2011 Bischof für die Diözese PomorskoWielkopolska (Pommern-Großpolen) der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen. 22 weltbewegt ie evangelische Kirche in Polen lebt heute in sehr tiefer Diaspora. Weniger als 0,5 Prozent der polnischen Bevölkerung sind Protestanten. Das prägt und spielt eine wichtige Rolle für unsere Identität. Ein kurzer Blick in die Geschichte: Die Reformation im Königreich Polen wurde oft als „Reformatorische Episode” bezeichnet, weil sie im 16. Jahrhundert einen sehr spontanen und dynamischen Verlauf hatte, sich aber nicht institutionell verfestigte. Die ersten reformatorischen Ideen in Polen gingen von Danzig aus. Schon 1518 konnte man die ersten „Predigten nach dem Evangelium“ in Danziger Kirchen hören. Einige Jahre später kamen evangelische Prediger auch in andere große Städte und an Höfe des polnischen Adels. Doch hatte Ende des 16. Jahrhunderts die Gegenreformation den Kampf um „die polnischen Seelen” gewonnen. Erst nach der Teilung Polens im Jahre 1795 wuchs die Zahl der Protestanten in den ehemaligen polnischen Gebieten wieder an, die sich damals in preußischer, österreichischer und russischer Hand befanden. Diese Entwicklung hielt bis zum 2. Weltkrieg an. So spielen die Protestanten seit 200 Jahren wieder eine wichtige Rolle in der Gesellschaft. Jedoch hat sich nach 1945 die Zahl der Kirchenmitglieder so drastisch reduziert, dass wir nun seit 70 Jahren in der anfangs erwähnten Diaspora leben. Orientierung an der Tradition Die evangelische Kirche in Polen war immer schon traditionell ausgerichtet. So spielt das reformatorische Erbe in vielen kirchlichen Bereichen auch heute eine wichtige Rolle. Viele Beobachter von außen würden unseren polnischen Protestantismus als konservativ bezeichnen. Wir würden ihn traditionell reformatorisch nennen. Für polnische Lutheraner spielen die reformatorischen Kennworte: „sola scriptura, solus Christus, sola gratia et fide“ nach wie vor eine führende Rolle. Das gilt für den Konfirmationsunterricht ebenso wie auch für Leitmotive auf kirchlichen Webseiten. Die letzte liturgische Reform aus dem Jahre 2002 orientierte sich an Luthers liturgischen Schriften aus den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts. So ist etwa die heutige Beichtpraxis eine Rückkehr zum urreformatorischen Verständnis. So findet heute in allen unseren Abendmahls-Gottesdiensten die öffentliche Beichte statt. Auch in der Diskussion um die Einführung der Frauenordination berufen sich konservative Strömungen auf die reformatorische Praxis vor 500 Jahren. Wir versuchen alle unseren kirchlichen Äußerungen an den konfessionellen Schriften des 16. Jahrhunderts zu orientieren. Diese besondere Rolle der „Confessio Augustana“ (Augsburger Bekenntnis) findet vielfachen Ausdruck, so lautet der offizielle Name unserer Kirche Evangelisch-Augsburgische Kirche in der Republik Polen, unser kirchliches Verlagshaus heißt „Augustana Ver- lag“ und unser Wettbewerb für Schüler und Konfirmanden nennt sich „sola scriptura.“ Diese Beispiele zeigen, dass die Reformation und reformatorische Gedanken nicht nur Symbole und Relikte sind, sondern wichtigste Orientierungspunkte in der heutigen kirchlichen Praxis. Kirchliche Statements spielten in der öffentlichen Diskussion eine wichtige Rolle. Sie haben auch innerkirchliche Folgen: Sie motivieren ihre Kirchenmitglieder zu weiterem – auch ökumenischem – Engagement. Kirche versucht ihre Position einzubringen Wie sich das reformatorische Erbe im gesellschaftlichen Kontext auswirkt, kann man besonders beobachten, in dem ethische Fragestellungen diskutiert werden. Auch hier ein kurzer Rückblick: Die neue gesellschaftliche Situation nach der politischen Wende 1989 brachte auch neue Impulse für die Kirche, die nun ihre Mauern verlassen und wieder öffentlich wirken konnte. So wurde 1994 ein neues Staatskirchenrecht verabschiedet, das die Aktivitäten der Kirche in der Gesellschaft neu definiert. Zwei Jahre später wurde ein neues Kirchenrecht von der lutherischen Synode beschlossen. Heute nimmt unsere Kirche an öffentlichen Dialogen der Gesellschaft teil und versucht ihre Position einzubringen. Für evangelische Christen geht es dabei nicht um die Formulierung einer Soziallehre, sondern vor allem um Hilfe zur Selbstorientierung. So veröffentlicht die Evangelische, wie auch die Reformierte Kirche, regelmäßig offizielle Stellungnahmen zu wichtigen gesellschaftlichen Fragen, wie zum Beispiel die EU-Erweiterung, das Thema der Abtreibung, der In-Vitro-Problematik oder die Organtransplantation. Wir brauchen wieder mehr Leidenschaft in der Kirche Für mich ist die Reformation ständiger Orientierungspunkt meiner Tätigkeit und theologischen Lehre. Ich betone die befreiende Macht der reformatorischen Bewegungen. Als Geistlicher und Universitätstheologe versuche ich meine Äußerungen mit reformatorischen Ideen und Formulierungen zu kon- frontieren. Es ist nicht immer leicht, weil sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen doch sehr von der damaligen Zeit unterscheiden. Man darf jedoch den Grund des evangelischen Glaubens nicht verlassen. Alle Versuche die Theologie zu modernisieren, etwa die Entwicklung einer atheistischen Theologie, kommen in meinen Augen einer Kapitulation der Theologie gleich. Man sollte vielmehr einen Mittelweg finden zwischen der Wertschätzung des Alten und der Anerkennung des Neuen. Das haben die Reformatoren damals nicht anders gemacht. Mir ist zudem der Ruf „Ecclesia semper reformanda” sehr wichtig. Für mich bedeutet es, dass Kirche sich immer am Evangelium und nicht unbedingt an gesellschaftlichen Lebensformen orientieren sollte. Derzeit bereiten wir uns auf das Reformationsjubiläum vor. Darin sehen wir die Chance, reformatorische Ideen der Gesellschaft wieder näher zu bringen. In meinen Augen fehlen uns heute häufig das Feuer und das Engagement, das Menschen damals zur Zeit der Reformation hatten. Solche Haltung und Leidenschaft wünsche ich mir für die ganze evangelische Kirche in der Welt – nicht nur während des 500. Jubiläums. Es geht mir um eine Bewegung, eine Erneuerung der Frömmigkeit – besonders bei der mittleren Generation, die sich heute oft sehr weit von der Kirche entfernt hat. Katholisch, aber reformiert Fotos: F. Hübner/LWB (1), C. Hunzinger (2) D Christliche Begegnungstage in Wrocław/ Breslau im Juli 2014 Wenn ich gefragt werde, was das Hauptmerkmal der anglikanischen Kirche ist, dann sage ich: Wir sind katholisch, aber reformiert. Wir haben grundsätzlich viele Berührungspunkte mit der evangelischen Kirche. So feiern wir das Abendmahl zusammen, beten und lesen die Bibel zusammen. Die englische Reformation war ein insgesamt 300-jähriger Prozess. Sie begann, als Gläubige für das Recht kämpften, die Bibel selbst lesen zu können. Als Menschen fähig wurden, das Evangelium für sich anzuwenden, hatte das die Macht der Kirche als Alleinhüterin göttlicher Geheimnisse natürlich gebrochen. Heute vereinen wir in unserer Kirche die verschiedensten Strömungen unter einem Regeschirm: Einige sind mental eher katholisch, andere eher protestantisch. Diese Brüche und Unterschiede hält unsere Kirche nicht nur aus, sie machen sie auch aus. Keith Lumsdon ist Pastor i.R. der Kirche von England, Diözese Durham. Die Kirche von England gilt als Mutterkirche der Anglikanischen Gemeinschaft. weltbewegt 23 Schwerpunkt Forum Welche Rolle spielt die Reformation für meine Arbeit in der Ökumene? des Zentrums für Mission und Ökumene Zwei Antworten von Mitarbeitenden Jeder Mensch ist Individuum und zugleich weltweit verbunden Ökumenische Begegnungen sind Spiegel und Kraftquelle Eberhard von der Heyde EvangelischLutherische Kirche in Fürészmezö-Négyfalu, Rumänien Christa Hunzinger ist Europareferentin im Zentrum für Mission und Ökumene. 24 weltbewegt „Erős vár a mi Istenünk“ – „Ein feste Burg ist unser Gott“, so steht es über jeder Kirchentür unserer Partnerkirche in Rumänien. Und was wird aus voller Kehle – von vielen auswendig – beim lutherischen Chorfest in Litauen gesungen, wenn alle Beteiligten in einem großen Zug vom Marktplatz in die Kirche ziehen? „Tvirčiausia apsaugos pilis.“ Martin Luthers Lied, das mir wegen der Mächtigkeit seiner Worte ein wenig fremd geworden war, kommt mir in fremder Sprache wieder nahe. Ich habe es bereits auf Russisch, Polnisch, Ungarisch, Estnisch, Lettisch, Litauisch und Niederländisch gesungen. Überhaupt sind wir mit unseren europäischen Partnerkirchen oft musikalisch durch das Liedgut der Reformation verbunden. Es hat etwas von Pfingsten, die altvertrauten Choräle in verschiedenen Sprachen gemeinsam zu singen. Die meisten unserer europäischen Partnerkirchen sind lutherisch. Diese lutherische Identität bedeutet ihnen besonders in einer Minderheitensituation viel. Gerade die osteuropäischen Kirchen mussten in den letzten Jahrzehnten große gesellschaftliche Umbrüche verkraften. So ist für viele Gemeindeglieder das Festhalten am Altvertrauten wichtig. Zugleich gehört für mich zur evangelischen Identität die Freiheit zur Veränderung, zum Ausprobieren von neuen Formen in der Liturgie, zum Diskurs über ethische Werte. Eine spannende Diskussion gab es bei der Vorbereitung eines deutsch-polnischen Feierabendmahls für den Hamburger Kirchentag. Für uns Deutsche ist das Feierabendmahl Symbol für eine neuere, fröhlichere, weniger schwere Form des Abendmahls, dazu schien das Sündenbekenntnis, das für einen polnischen Pastor unverzichtbar ist, wenig zu passen. Doch gelang ein gutes Miteinander: Die traditionelleren Teile wurden auf Polnisch – mit deutscher Übersetzung im Liedblatt – gehalten, die freieren entsprechend auf Deutsch. In England erlebe ich andere reformatorische Traditionen, war doch die Reformation erst einmal die Loslösung vom Papst durch den König. Die Kirche hielt an der katholischen Liturgie fest und bekennt weiterhin selbstverständlich den Glauben an „the holy Catholic Church“. Die anglikanische Kirche sieht sich nicht als protestantisch, sondern als eigene Konfession. Dennoch steht sie mir in vielen theologischen Auffassungen näher als manch lutherische Kirche. Und dann sind da unsere russisch-orthodoxen Partner in St. Petersburg, die uns auf eine ganz andere Weise in Frage stellen. Sie betonen vor allem die Konsense der Konzilien innerhalb der ersten sieben Jahrhunderte und sind nicht durch die Auseinandersetzungen der Zeit der Reformation und später der Aufklärung geprägt. Bei aller Schönheit ihrer Liturgie merke ich, wie wichtig mir als Protestantin die Predigt in einer Sprache ist, die ich verstehe. So ist die Begegnung mit unseren Partnern für mich auch ein Spiegel, in dem ich sehen oder zumindest ahnen kann, wer ich bin – eine Suchende in der Vielfalt der Glaubenstraditionen, und zugleich voll Vertrauen, dass Gott mich schon gefunden hat und mir die Kraft schenkt, meinen Glauben in allen Veränderungen zu leben. Dabei ist die Begegnung mit den Partnern immer wieder eine Kraftquelle. Foto: C. Wenn (1), E. v. d. Heyde (1), C. Hunzinger (1) Christa D. Hunzinger Die Epoche der Reformation kennzeichnen neben einzelnen Personen vor allem Bildungsinitiativen, neue Medien, ökonomische, soziale und politische Umwälzungen. Aus europäischer Sicht steht die Reformation im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Ihr Erbe wirkt bis in die Gegenwart. Heute stehen Regionen in der Welt vor ähnlichen Umwälzungen wie Europa vor 500 Jahren. Angesichts dessen lässt sich fragen: Was beflügelt Bildungsbewegungen heute? Wie wirkt sich die Schwächung zentraler Mächte aus, vor dem Hintergrund der wachsenden Schere zwischen Arm und Reich? Wie kann es zu einem gemeinsamen Verständnis grundlegender Rechte kommen? Wie deren Einhaltung gewahrt werden? Der Nationalstaat, der seit Beginn der „Neuzeit“ Garant und Horizont von individuellen und sozialen Rechten und Pflichten war, kann diese Fragen angesichts globaler Verflechtungen und Risiken offensichtlich immer weniger allein beantworten. Die Reformation – im Wortsinn: Umgestaltung, Erneuerung – sucht Nachahmung. Begegnungen mit Menschen aus verschiedensten Kontexten dieser Einen Welt zeigen mir, dass die Überwindung der bestehenden Ungleichzeitigkeit und Ungerechtigkeit heute die zentrale Herausforderung ist. Um dieser Herausforderung begegnen zu können, sollte eine Bedingung erfüllt sein: Die Fähigkeit und das Wollen, die jeweiligen Perspektiven aus anderen Kontexten als etwas zu erkennen, das relevant für mein eigenes Urteilen und Handeln ist. Es ist wichtig anzuerkennen, dass meine eigene Perspektive eine Perspektive unter anderen möglichen und relevanten Perspektiven ist – und dann zu verstehen, was dies in seiner Konsequenz bedeutet. Dies ist extrem schwer. Es gibt bislang nur wenig methodisches Verständnis für Bildungsprozesse, die zu einer solchen Haltung führen. Lernerfahrungen und eine Ausweitung der bestehenden Grenzziehungen werden gestärkt, wo wir miteinander im Gespräch sind. In einem Gespräch, an dem alle einen gleichen Anteil haben. So einfach das klingen mag, so selten gelingt es – insbesondere, wenn unterschiedliche Interessen aufeinander treffen. Miteinander in der Einen Welt zu stehen und „gemeinsam den Weg der Gerechtigkeit zu gehen“ bedeutet aber, sich gemeinsam diesem Interessenausgleich zu stellen. Mit der Einladung an die Partnerkirchen zur Partnerkirchenkonsultation hat die Nordkirche einen solchen Schritt gewagt. Sie hat sich auf das Experiment des gemeinsamen Gesprächs eingelassen. Es scheint mir wichtig, diesem (Lern-)Weg bald weitere Schritte folgen zu lassen. Bildung für Alle, die Bibel in der eigenen Sprache lesen, in eine unmittelbare individuelle Gottesbeziehung gerufen zu sein – das ist ein reformatorisches Erbe einer persönlichen Verantwortung vor Gott für mein Handeln. Dieses Erbe ist immer wieder in eine Balance damit zu bringen, dass Fragen des Zusammenlebens der Menschen in dieser Welt nur gemeinsam angegangen werden können. In der partnerschaftlichen Verbundenheit mit Menschen weltweit gibt es zahlreiche Gelegenheiten und Orte, solche Verständigungsprozesse zu begleiten und zu gestalten. Ein bewusster Umgang mit eigenen Grenzen kann dabei helfen zu verstehen, dass alle in dieser Einen Welt das gleiche Gewicht und das gleiche Recht haben. Die nächste Reformation, die diesen Namen verdient, wird davon ausgehen, dass die Errungenschaften, Fähigkeiten und Potenziale der einen auf die Errungenschaften, Fähigkeiten und Potenziale der anderen angewiesen sind. Die Bibel in eigener Sprache lesen zu können, ist eine wichtige Voraussetzung für eine individuelle Gottesbeziehung. Das Foto zeigt eine deutschkoreanische Bibelübersetzung. Eberhard von der Heyde ist Leiter des Bereichs für Ökumenische Beziehungen und stellvertretender Direktor des Zentrums für Mission und Ökumene. weltbewegt 25 Schwerpunkt Ohne Laien keine Partnerschaftsarbeit! Das „Priestertum aller Gläubigen“ wird in der kirchlichen Partnerschaftsarbeit lebendig Interkulturelles Engagement verändert unseren Blick Ehrenamtliche entwickeln sich zu Experten in der Ökumene Dr. Sibylle Gundert-Hock Dr. Sibylle GundertHock arbeitet als Referentin und Flüchtlingsbeauftragte in der Ökumenischen Arbeitsstelle Mecklenburg. 26 weltbewegt für alle Beteiligten auch eine Zeit des beinahe ununterbrochen anhaltenden Gesprächs und Austauschs. Fragen erweitern die Perspektive Es war beeindruckend zu erleben, wie viele Fragen bei den Besuchern ausgelöst wurden durch unsere Lebensweise, unsere Städte, Dörfer, Bauernhöfe, Seniorenheime, Kindergärten nicht zuletzt durch unsere Kirchen und unser Gemeindeleben. Besonders beeindruckend aber war, wie spontan und tiefgehend wir darüber ins Gespräch kamen und wieviel „Fragwürdiges“ dabei zu Tage kam. Durch den Austausch, durch das In-Frage-Stellen und In-Frage-Gestellt-Werden entsteht ein Prozess, der den Blick auf die vertraute, eigene Welt verändern kann – auf beiden Seiten. Ja, hier entstehen Denkanstöße und neue Wahrnehmungshorizonte. Wie nachhaltig dies geschieht ist schwer einzuschätzen. Dabei müssen wir uns eingestehen, dass unsere Lebens- und Arbeitsweise nachhaltige Verunsicherung eher ab- blockt als fördert. Die starken Eindrücke aus den direkten Begegnungen ziehen oft keine direkten Veränderungen nach sich. Vielleicht wirken sie dennoch weiter? Ich hoffe, dass sie das tun. Des Weiteren hoffe ich, dass die kumulierten Erfahrungen dieser Art irgendwann stärker sind als Alltags- und Sachzwänge und dass sie uns dann wirkungsvoll in Bewegung bringen. Partnerschaftsgruppen können unterschiedliche Menschen und Gaben für eine gemeinsame Aufgabe zusammen führen. Laien, Pastorinnen und Pastoren, Gemeindepädagoginnen und -pädagogen, Kirchenmusikerinnen und -musiker arbeiten dabei auf Augenhöhe zusammen. In Rostock sind darüber hinaus Menschen aus drei sehr verschiedenen Kirchengemeinden aktiv und lernen ganz nebenbei die sehr verschiedenen Stile von Gemeindeleben kennen und schätzen. Der Besuch unserer Partnergemeinde aus Mhero hatte die Partnerschaft in den jeweiligen Ortsgemeinden jedenfalls sehr gestärkt und sichtbar gemacht. In Begegnungen und Gesprächen ist Neugierde, Sympathie, Respekt und Wertschätzung entstanden und gewachsen. Es hat sich ein Fenster zur Welt geöffnet, das neue Blickrichtungen und Deutungen ermöglicht. Ohne Laien keine Partnerschaftsarbeit! Und ohne diese wäre unser Leben als Gemeinde um so vieles ärmer. D Fotos: E. v. d. Heyde (1), D. Vogel (1), wikimedia (1), Aquarell: C. Wenn P artnerschaften zwischen Kirchengemeinden in Deutschland und in Ländern des globalen Südens sind ein Bereich, in dem sich viele Christinnen und Christen intensiv einbringen. Oft sind Partnerschaftsgruppen in den Gemeinden der Nordkirche durch das Engagement der Laien geprägt. Sie halten die Beziehungen über Jahre oder Jahrzehnte aufrecht. Sie sind es, die die Begegnungsreisen in die Partnergemeinden unternehmen oder die Besuche der Partnergemeinden in Deutschland gestalten. Ohne Laien keine Partnerschaftsarbeit, das kann man sicher so sagen. Wie aber wirken diese Partnerschaften beziehungsweise die gemeinsame Projektarbeit in die Ortsgemeinden hinein? Verändern sie den Blick auf die Welt? Haben sie das Potenzial Denkanstöße oder auch Stein des Anstoßes zu sein? Hier will ich eigene Erfahrungen sprechen lassen: Im September hatte die „Tansaniagruppe Rostock“, in der Mitglieder aus drei Kirchengemeinden zusammen wirken, Besuch aus der evangelischen Partnergemeinde in Mhero, einem Dorf in den Pare-Bergen. In vielen verschiedenen Begegnungen konnten Rostockerinnen und Rostocker direkt etwas über die Lebenswirklichkeit der Menschen aus der abgelegenen Gebirgsregion Tansanias erfahren. Unsere Gäste, darunter auch der Pastor der Gemeinde, waren zum ersten Mal in Europa. Für sie war es, wie sie sagten, eine intensive Erfahrung von Neuem, Fremdem, Befremdlichem. In jedem Fall war es Silke Leng ie Partnerschaftsgruppen in unserer Nordkirche sind vor allem in den 1970er Jahren als Basisbewegung entstanden und haben in den vergangenen gut 30 Jahren viele Menschen in Bewegung gesetzt. Partnerschaftsarbeit ist eine hochengagierte ehrenamtliche Arbeit. Es gibt sie seit einigen Jahren auch auf der Seite der Partnerkirchen. Komitees, mehrheitlich ehrenamtlich besetzt, prägen und gestalten das gemeinsame christliche Leben. Das fordert die Partnerschaften oft heraus. So ist eine rein ehrenamtliche Delegation, die im Auftrage des Kirchenkreises mit dem tansanischen Propst und einem Gremium mit vorwiegend Pastoren verhandelt, schon eine besondere interkulturelle Herausforderung – für beide Seiten. Dabei werden Hierarchien aufgehoben und neue Strukturen geschaffen. Laien übernehmen in solchen Situationen besondere Rollen und Aufgaben! Sie sprechen Grußworte mit theologischen Elementen, bereiten Bibelarbeiten und Seminare für Frauen vor oder predigen sogar. Damit sind sie lebendige Beispiele für das sogenannte Priestertum aller Gläubigen, agieren sie doch als getaufte Christinnen und Christen. Mit strahlenden Augen erzählen Laien nach ihren Begegnungen mit Menschen aus anderen Kontinenten oft von den besonderen Erlebnissen, dem gemeinsamen Lachen, dem gemeinsamen Ringen um Bibelworte oder kulturelle Identitäten. So schreibt Birgitta Henrich aus der Tansaniagruppe der Kirchengemeinde Heikendorf: „Für mich persönlich hat es viel bedeutet, zu sehen, wie anders man den Glauben im Alltag leben kann.“ Sie beschreibt weiter, wie sehr die Begegnungen ihren Blick auf ihr eigenes Leben in Frage stellen und wie sehr sie die Arbeit nun als echte Chance wahrnimmt, an weltweiter Gerechtigkeit mitzuarbeiten. So wird das eigene Christsein neu entdeckt und eine eigene christliche Sprachfähigkeit (neu) erworben. „Nirgends rede ich so viel von Gott und meinem Glauben, wie in den Begegnungen mit den Partnerinnen und Partnern aus dem Süden. Ehrenamtliches Engagement in der Partnerschaftsarbeit ist ein Ehrenamt mit hoher Verantwortung. Es erfordert viel Geduld und lässt das eigene Gottvertrauen wachsen. Ehrenamtliche in der Partnerschaftsarbeit entwickeln sich zu echten Experten – damit oft auch zu scheinbar unkalkulierbarer Größe und Gefahr für Kirchengemeinderäte. Ehrenamtliche Partnerschaftsverantwortliche haben in Altholstein vor einiger Zeit Leitlinien für ökumenische Partnerschaftsarbeit erarbeitet, mit dem Ziel, ehrenamtliche Gruppen in ihrer Arbeit zu stärken und den Austausch mit kirchlichen Gremien zu fördern. Schließlich geht es darum, die Partnerschaftsgruppen als Teil der Gemeinde zu verstehen, die diese bereichern und spirituelles Leben bringen. Das Engagement Ehrenamtlicher ist jedoch kein fremdfinanziertes, exklusives Hobby Einzelner. Sie investieren viel: Zeit, Kraft und Geld, wobei es leider oft auch an Anerkennung oder Würdigung fehlt. Die Laien sehen sich in der Verbundenheit der weltweiten Christenheit und leben damit echte Ökumene. Partnerschaftsarbeit ohne Ehrenamt – das geht nicht! Blick über den Tellerrand weitet nicht nur den Horizont, sondern verändert auch die Perspektive für das eigene Handeln. Silke Leng ist Diakonin und leitet die Ökumenische Arbeitsstelle Altholstein. weltbewegt 27 Schwerpunkt Forum Geht doch! Ökumenischer Pilgerweg für Klimagerechtigkeit „Es war sehr erfüllend, Teil von etwas zu sein, das zunächst einfach und klein erscheint, aber am Ende sehr bedeutsam und weitreichend ist – wie der Pilgerweg zur Arche Warder. Der Weg, das Gespräch, die Gemeinschaft, das Gebet und vor allem die gemeinsame Sehnsucht von Menschen aus aller Welt, die alle verschiedene Lebenswege, aber ein gemeinsames Ziel haben: der Welt die dringende Botschaft weiterzugeben, dass wir Gottes Schöpfung vor der Zerstörung schützen müssen. Das war für mich sehr bedeutsam und bewegend.“ June Mark Yaňez, Unabhängige Philippinische Kirche Am 19. September sind Pilgerinnen und Pilgern aus den Partnerkirchen auf einer Etappe mitgewandert und schildern ihre Eindrücke „Ich war sehr beeindruckt von der Andacht und dem Singen im Stall – inmitten der Tiere. Während des Gebetes hörten wir die Ferkel grunzen. Den Segen empfingen wir zwischen Eseln und Hühnern. Die Verbundenheit mit der Natur wurde so besonders deutlich. Das erinnerte mich an Franz von Assisi. In Verbundenheit mit Gott zu leben bedeutet für mich auch Sorge für Menschen und Tiere zu tragen.“ Maarten Diepenbroek, Pastor in der Lutherischen Kirche in den Niederlanden „Bei der Partnerschaftskonsultation haben wir uns mit Klimagerechtigkeit befasst und verpflichtet, uns dafür zu engagieren. Deshalb habe ich mich sofort dem Pilgerweg angeschlossen. Denn jede und jeder von uns hat Verantwortung und die Fähigkeit im Sinne der Klimagerechtigkeit zu handeln. Deshalb ist unser gemeinsames Pilgern ein wichtiger Schritt, um unseren Planeten zu retten. Letztlich sollte sich jede und jeder für Klimagerechtigkeit engagieren.“ Gilbert Ilunga Nkasa Talwa, Generalsekretär der Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Demokratischen Republik Kongo „Zunächst hatte ich keine Vorstellung von dem, was mich beim Pilgern erwartete. Aber ich erlebte viele besondere Momente. Einer entstand durch den Regen. Das schützende Dach der Regenschirme brachte uns auf neue Weise zusammen zum Reden und Geschichten erzählen. Ein Highlight war das Gespräch mit Bischof Kahutu aus Kenia. Ich bat ihn zu erzählen, warum er Pastor geworden ist. Es hat mich sehr beeindruckt, was er zu erzählen hatte. „Wie großartig sind Gottes Wege!“ Varia Muradova, Lutherische Kirche in Kalingrad 28 weltbewegt Fotos: C. Wenn (1), LWB (1), E. v. d. Heyde (2), C. Hunzinger (2), R. Catsburg (1), U. Plautz (1), REUTERS/C. Hartmann (1) „Seit unseren ersten Planungen für den Pilgerweg nach Paris sind etwa zwei Jahre vergangen. Am 13. September 2015 sind nun die ersten Pilger in Flensburg gestartet. Sieben Frauen und Männer werden den ganzen Weg bis Paris zu Fuß unterwegs sein. Also rund 1470 Kilometer! Auch ich bin einige Etappen mitgepilgert. Ein besonderes Highlight war für mich das Pilgern mit den ökumenischen Gästen am 19. September. Über 100 Menschen – darunter 30 Tagespilger und 70 Frauen und Männer aus über 30 Partnerkirchen – sind von Alt-Mühlendorf bis zum Tier- und Landschaftspark Arche Warder gepilgert. Die Wanderung beendeten wir mit einer gemeinsamen Andacht im Stall inmitten der Tiere. Und plötzlich war über der Arche Warder ein Regenbogen zu sehen – ein wunderbares Zeichen der Hoffnung!“ Anne Freudenberg ist Referentin für Theologie und Nachhaltigkeit im Zentrum für Mission und Ökumene „Pilgern bedeutet für mich, dass ich meine Bitten vor Gott bringen kann! Dieses Gebet ist was ganz besonderes. Einerseits darf ich in der Natur die Präsenz Gottes erleben, anderseits bin ich Teil einer erzählenden, offenen, begeisterten Pilgergemeinschaft. So waren mir auch die Gespräche auf dem Weg sehr wichtig. Als Pilgerin finde ich es wunderbar, dass der Klimagipfel in Paris mehr ist, als nur eine langweilige – auf Beschlüsse, Dokumente und Medienberichte reduzierte Konferenz. Ich gratuliere den Organisatorinnen, die den Pilgerweg, angeregt durch den Ökumenischen Rat der Kirchen, umgesetzt haben. Wir müssen gemeinsam für die Bewahrung der Schöpfung und für eine nachhaltige Zukunft eintreten! Unser Erfolg braucht viel mehr als gut durchgedachte, bewilligte Entschlüsse. Unser Ziel braucht Gespräche, Erzählungen, Raum für offene Fragen, für Debatten und viele Menschen, die ihre Zeit und Kraft einbringen können! Und unser Ziel braucht noch viel, viel mehr. Nicht zuletzt auch Gnade und den Segen Gottes! Das, was wir zum Beispiel tun können ist: einfach loszulaufen, beten und offen zu sein für Gespräche, also zu pilgern. Warum ich ein paar Schritte mitgelaufen bin? Weil Gott mir die Möglichkeit gegeben hat, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein. Ich bin sehr dankbar, dass ich Teil der Pilgergemeinschaft sein durfte!“ Eszter Kalit, Evangelisch-Lutherische Kirche der ungarischen Minderheit in Rumänien „Für mich war es eine besondere Freude, dass ich gleich zu Beginn beim Start in Flensburg mit dabei sein konnte. So war es eine noch größere Freude, als ich mich ihnen nach der Partnerschaftskonsultation wieder anschließen konnte. Unsere Gespräche haben gezeigt, dass selbst kleine Schritte für eine bessere Zukunft wertvoll sind. Das war nicht nur symbolisch. Was das bedeutet, konnte ich auf dem Pilgerweg konkret erfahren. Unter den Mitpilgernden waren einige, die direkt von den Folgen des Klimawandels, von Dürre oder Überschwemmungen, betroffen sind. In Gesprächen wurde einem die Lebenssituation noch einmal anschaulich vor Augen geführt und es wurde deutlich: Zusammen, und nur zusammen, können wir Dinge ändern.“ Kate Boardmann, Anglikanische Kirche in England „Es war ein großartiges Gefühl des Zusammengehörigkeitsgefühls mit der globalen Familie. Das Ringen um Klimagerechtigkeit ist ein Prozess und bedarf einer leidenschaftlichen und zugleich kritischen Masse von Leuten. Es war für mich beeindruckend zu sehen, dass diese Initiative sowohl von einem breiten Spektrum aktiver Umweltaktivisten getragen wird, als auch von internationalen Kräften, die sich für die Rechte von Menschen und Umwelt stark machen. Um den Herausforderungen des Klimawandels zu begegnen, brauchen wir alle Formen der Zusammenarbeit, also multireligiöse, multikulturelle und multigenerationelle Mehrheiten. Dieser gemeinsame Pilgerweg steht unter Gottes Segen. Möge Gott diesen Prozess zum Erfolg führen im Lichte von Gottes Wort.“ Luke Mwololo, Generalsekretär der Lutherischen Kirche in Kenia weltbewegt 29 Forum Schwerpunkt Begegnen, verstehen und bezeugen Ein Theologe der Mission. Ein Nachruf auf Prof. Dr. Theodor Ahrens F Paul Gerhardt Buttler war von 1975 bis 1995 Direktor des heutigen Zentrums für Mission und Ökumene. 30 weltbewegt amilie, Freunde und Bekannte nannten ihn Theo. Aber eigentlich, so betonte er je und dann, war sein Taufname Theodor – Gottgegeben. Gottes Gabe, sein großes Thema späterer Jahre, war ihm gewissermaßen „in die Wiege gelegt“. Geboren wurde er als erster Sohn des Indien-Missionars und späteren Breklumer Missionsdirektors Walter Ahrens und seiner Frau am 30. April 1940 in Koraput, einer Provinzstadt in Odisha. Schon sein Großvater hatte dort als Missionar gewirkt. Indien wurde für Theo das Zuhause seiner frühen Kindheit. Deutschland, wohin die Eltern 1947 mit ihm aus der Internierung zurückkehrten, war zunächst die Fremde. Auch dies war sicher für sein späteres Bemühen um interkulturelles Verstehen von Bedeutung. Nach der Schulzeit in Flensburg und Husum schien der Weg ins Theologiestudium vorgezeichnet. Heidelberg, Tübingen, Göttingen, Kiel und Hamburg wurden die äußeren Stationen. Im Sommersemester 1963 lernte er die Theologiestudentin Hanna Jahnke, seine spätere Frau, kennen. 1965 heirateten sie. Hanna, selbst voll ausgebildete Theologin, blieb ihm durch alle Lebensphasen eine eigenständige, schriftstellerisch und künstlerisch begabte, liebevolle Weggefährtin. Nach Studium und Ordination konnte Theo Ahrens 1969 seine theologische Doktorarbeit erfolgreich abschließen. Seine Kirche stellte ihn frei zur Mitarbeit als Tutor an der Missionsakademie an der Universität Hamburg und zur Vorbereitung für seine geplante Mitarbeit in einer überseeischen Partnerkirche. Die Dozentur an einem College war jedenfalls gestrichen. Die Neuankömmlinge wurden in Bongu stationiert, einem Dorf zwischen Regenwald und Pazifikstrand. Dort hatten Cargo-Kult-Praktiken, Auswüchse religiös motivierter Protest- und Anpassungsbewegungen, die Ergebnisse achtzigjähriger Missionsarbeit scheinbar zunichte gemacht. Der Dozent wurde zum Fragenden: Was bewegt die Menschen dort, worum geht es ihnen? Worüber streiten sie? Und was hat das alles mit Religion zu tun? In Tanok Galopi und Waga Miridj fand er zwei weise, lebenserfahrene Männer, die Zeit und Sorgfalt darauf verwandten, ihm in unzähligen Gesprächen ihre Welt der Magie und Riten und was sie vom christlichen Glauben verstanden hatten, erschlossen. Der eine, ein ehemaliger Todeszauberer, der andere nacheinander Goldgräber, Cargo-Kult-Anhänger, Initiationsmeister der einheimischen Religion und schließlich Leiter einer christlichen Gemeinde. Es wurde ein lebhafter Austausch, aus dem heraus Gemeindeseminare bis zu 80 Teilnehmenden entstanden, die sich viermal im Jahr eine Woche „über Gott und die (eigene) Welt“ austauschten. Theo Ahrens hatte immer betont: „Die Stationierung in Bongu war für mich der Glücksfall meines Weges.“ Seine eingehende – durch umfangreiche Literatur ergänzte – Kenntnis der Cargo-Bewegung und der inneren Schlüssigkeit ihrer im Grunde magischen Vorstellungswelt führten dazu, dass er zur Mitarbeit am neu gegründeten Melanesischen Institut in Goroka berufen wurde. Eine große kirchensoziologische Studie mit dem Ziel neuer Schwerpunktsetzung in veränderter Situation, Fortbildungsseminare und zahlreiche Veröffentlichungen jener Zeit erwiesen sich als wichtige Hilfe für den kirchlich-missionarischen Dienst vor Ort. 1978 kehrte die inzwischen gewachsene Familie nach Deutschland zurück. Missionar in Neuguinea Theologischer Referent und Professor für Missionswissenschaft Indien blieb ihm aufgrund der restriktiven Visapolitik der Regierung verschlossen. So kam die damalige Lutheran Mission New Guinea (LMNG) in Blick, die einen Dozenten für eine der theologischen Ausbildungsstätten suchte. Ein Zwischenfall „in letzter Minute“ veränderte vieles. Aufgrund eines Diskussionsbeitrags beim Deutschen Evangelischen Missions-Tag 1970 in Berlin hatten „besorgte Christen“ nach Neuguinea berichtet: Ahrens glaubt nicht richtig an Jesus! Dementsprechend wurde die junge Familie auf dem Flugplatz in Lae vom australischen Präsidenten der LMNG mit den Worten begrüßt: „Haben sie euch nicht gesagt, dass wir euch hier nicht haben wollen?“ Nach kurzer Wiedereingliederungsphase übernahm Theo Ahrens das vakant gewordene Indienreferat des Nordelbischen Missionszentrums in Hamburg. Ohne große Anlaufzeit war er bald in die anstehenden Aufgaben und die Probleme der Partnerkirche eingearbeitet. Erstaunlich rasch durchschaute er bei Besuchsreisen in Indien vorhandene Konflikte und konnte oft noch vor Ort mit Beteiligten Lösungsmöglichkeiten diskutieren. Spätestens eine Woche nach Rückkehr seiner Reisen lag bereits ein mehrseitiger schriftlicher Bericht mit Vorschlägen für die Weiterarbeit vor. Fotos: J. Ahrens (1), J. Bartels (1), W.-D. Hildebrandt (1) Paul Gerhardt Buttler Nach zwei Jahren wechselte er in das Papua-NeuguineaReferat. Da inzwischen auch regionalkirchliche Belange und zusätzliche Aufgaben in Honkong und der VR China wahrzunehmen waren, baute er seinen Arbeitsbereich mit großem persönlichem Einsatz zum Referat für den Pazifik und Ostasien aus. Außerdem lag ihm der interkulturelle Austausch zwischen jungen Erwachsenen am Herzen. So hatte er sich 1982 für die Einführung des Stipendien- und Freiwilligenprogramms eingesetzt. Schon während dieser Zeit hatte er – inzwischen habilitiert – als Lehrbeauftragter im Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Hamburg Seminare abgehalten. 1987 wurde er Professor am Institut für Missions-, Ökumene- und Religionswissenschaften. Mit dem Lehrstuhl war der Vorsitz im Vorstand der Missionsakademie an der Universität Hamburg verbunden. Theodor Ahrens hat viel Zeit und Kraft für diesen wichtigen Arbeitsbereich eingesetzt. Darüber hinaus war er in Gremien des Evangelischen Missionswerks und Ausschüssen des Zentrums für Mission und Ökumene in Hamburg engagiert. Während der 18 Jahre akademischer Wirksamkeit hat er eine breite Palette von Themen bearbeitet zu Geschichte und Theologie christlicher Mission, zu ökumenischen Beziehungen der Kirchen nicht nur in ihrer konfessionellen Verschiedenheit, zum Verstehen fremder Kulturen wie zur Begegnung mit Menschen anderer Religionen und Welterfahrung. Wiederkehrende Themen waren eine dem jeweiligen Umfeld gemäße christliche Verkündigung, Gewalt und Gewaltunterbrechung, Geben und Empfangen im Licht der nicht erwerbbaren, unentgeltlichen Gottesgabe in Christus Jesus. Und immer wieder Beiträge zu theologischen und kulturellen Fragen aus Ozeanien und PapuaNeuguinea. Die Liste seiner Veröffentlichungen auf Deutsch, Englisch und in melanesischem Pidgin in Büchern, Zeitschriften- und Lexikonartikeln ist lang. Erstaunlich ist die Breite der jeweiligen Diskussion nicht nur mit Theologen und internationalen Fachkollegen, sondern auch mit Vertretern von Soziologie, Anthropologie, Kulturwissenschaft und Philosophie. Er wurde zu Gastvorlesungen eingeladen u. a. von der Universität von Papua-Neuguinea, der Hanshin-Universität in Korea, dem Nanjing Theological Seminary in der VR China, dem Gurukul Theological Seminary in Indien. „Gottesgabe“, eine umfangreiche Festschrift zu seinem 65. Geburtstag 2005 ehrt sein wissenschaftliches Werk. Mit seiner Pensionierung war dieses allerdings nicht abgeschlossen. Trotz der ernsten Erkrankung, die sich bereits 2012 erstmalig meldete, hatte er bis zuletzt engagiert weitergearbeitet. Noch im März 2015 konnte er seine letzte Publikation „Einwürfe, Missionswissenschaftliche Studien“ in der Reihe „Studien zu interkultureller Theologie an der Missionsakademie“ veröffentlichen. Sie fasst noch einmal zusammen, was ihm wichtig war. Am 16. September 2015 ist Theodor Ahrens zu Hause in Hamburg im Kreis seiner Familie gestorben. Die Nordkirche in ihren weltweiten Partnerschaftsbeziehungen bleibt ihm für seinen wegweisenden Beitrag zur Mission der Kirche dankbar verpflichtet. Goroka-Show, Papua-Neuguinea Der Missionstheologe Theodor Ahrens, em. Professor für Missionswissenschaft und ökumenische Beziehungen der Kirchen an der Universität Hamburg, ist im Alter von 75 Jahren gestorben. Er war für mehrere Jahre im damaligen Nordelbischen Missionszentrum, zunächst als Indienreferent und anschließend als Referent für Papua-Neuguinea tätig. Seine neueste Publikation „Einwürfe“ wird auf S. 35 vorgestellt. weltbewegt 31 Nachrichten Nachrichten Nachruf auf Dr. Martin Brückner Ökumenische Netzwerke sind gerade heute nötig Tagung der VIII. Generalsversammlung in Breklum D ie Situation von Flüchtlingen stand im Mittelpunkt der Eröffnung der VIII. Generalversammlung in Breklum. So rief ihr Vorsitzender Landesbischof Gerhard Ulrich, in seiner Predigt Christinnen und Christen dazu auf, sich für Flüchtlinge und gegen Fremdenhass einzusetzen. Ulrich ermutigte dazu, sich durch Gottes Auftrag bewegen zu lassen: „Der Glaube, von Gottes Geist bewegt, lässt sich nicht beruhigen angesichts der Ereignisse vor Flüchtlingsunterkünften, angesichts von Hass, der bereits Häuser und Menschen in Flammen gesetzt hat – hier bei uns!“, sagte der Bischof und betonte zugleich: „Ich bin dankbar, für die vielen Engagierten, die ihre Herzen und Türen für Flüchtlinge öffnen und mit denen teilen, die nicht wissen wohin. Ich bin dankbar für die, die nicht zuerst nach sicheren Herkunftsländern fragen, sondern die Not sehen und das Gerechte tun. Sie werden Ängste überwinden helfen.“ Ebenso wichtig sei aber auch die langfristige Arbeit der Nordkirche in den weltweiten ökumenischen Netzwerken mit ihren Partnerkirchen. Das seien „bewährte Kontakte“, die angesichts von Gewalt, Vertreibung, Hunger, von Korruption und Abschottung für die Arbeit am Frieden „dringend gebraucht werden“, so Ulrich. 32 weltbewegt Die Delegierten kamen in dieser Zusammensetzung zum letzten Mal zur turnusmäßigen Sitzung vom 4. bis 5. September in Breklum zusammen. Die Amtszeit der für sechs Jahre zunächst noch in Nordelbien und dann im Zuge der Fusion aus Mecklenburg und Pommern hinzugewählten insgesamt 116 Delegierten wird im Frühjahr beendet sein. Zum kommenden April werden alle Kirchenkreise der Nordkirche, die Synode, der Missionskonvent sowie der Verein der Freunde der Breklumer Mission neue Mitglieder für das Gremium nennen. Dem höchsten Leitungsgremium des Zentrums für Mission und Ökumene werden zukünftig 73 Personen angehören. Auch der Vorstand wird neu gewählt werden. Der bisherige Vorstandsvorsitzende Propst em. Jürgen Bollmann wird auf eigenen Wunsch dann nicht mehr für den Vorsitz kandidieren. Kirchen in Nordamerika stehen vor ähnlichen Herausforderungen wie wir In seinem Bericht aus der Arbeit informierte Jürgen Bollmann über aktuelle Entwicklungen im Zentrum für Mission und Ökumene. Am Abend gab es für die Teilnehmenden die Gelegenheit, sich über ihre Erfahrungen und ihr ökumenisches Engagement in der Nordkirche auszutauschen. Am nächsten Tag stand die „Nordamerikaarbeit der Nordkirche“ im Zentrum der Tagung. Die Beziehungen der Nordkirche zu den beiden Partnerkirchen in Nordamerika, der Southern Ohio Synod der Evangelical Lutheran Church in America (ELCA) und der Michigan Conference der United Church of Christ (UCC), sollen zukünftig im Zentrum für Mission und Ökumene verankert werden. Der vom Gremium verabschiedete Beschluss sieht vor, bestehende Partnerschaften, Beziehungen und Aktivitäten zwischen der Nordkirche und kirchlichen Partnern in Nordamerika weiterhin zu fördern. Die partnerschaftliche Zusammenarbeit, wird zukünftig von Dr. Karen Bergesch im Rahmen ihrer Beauftragung für Ökumenisches Lernen koordiniert. Inhaltlich wird vor allem die gemeinsame Verantwortung für Bereiche wie Friedenssicherung und Klimagerechtigkeit im Mittelpunkt stehen. Im Austausch mit den nordamerikanischen Partnern könne man viel lernen, erklärte Direktor Dr. Klaus Schäfer, weil „die Kirchen in Nordamerika vor ähnlichen Herausforderungen stehen wie wir, im einerseits immer mehr säkularisierten, andererseits immer multireligiöser werdenden Europa“. Fotos: C. Wenn (3), Grützmann (1) Claudia Ebeling/Ulrike Plautz Als letzte Station in seinem aktiven Dienst hat Dr. Martin Brückner eine theologische Lehrtätigkeit in Papua-Neuguinea angestrebt. Im Februar 2015 wurde der Pastor durch das Zentrum für Mission und Ökumene als theologischer Dozent an das Martin-LutherSeminar in Lae berufen. Martin Brückner hatte eine sehr genaue Vorstellung von seiner Aufgabe. Lae war ihm bereits bekannt. So war er von 1996 bis 2003 im Auftrag des Leipziger Missionswerkes als Dozent für die EvangelischLutherischen Kirche von PapuaNeuguinea (ELC-PNG) tätig. Dabei hat er die Menschen und ihre Kirche nicht nur kennen, sondern auch lieben gelernt. Seine akademische Ausbildung hatte Martin Brückner als Mathematikstudent begonnen. Nach einigen Semestern wechselte er jedoch zur Evangelischen Theologie. Im Juni 1984 promovierte er zum Doktor der Theologie und arbeitete bis 1988 als wissenschaftlicher Assistent an der Universität Rostock. Nach seinem Vikariat in der Kirchengemeinde Jördenstorf trat er seinen Dienst in der Kirchengemeinde Wismar St. Marien/St. Georgen an, bis er 1996 zusammen mit seiner Familie als ökumenischer Mitarbeiter nach Papua-Neuguinea zog. Dort wurde er mit offenen Armen aufgenommen. Gerne erinnerte er sich an seinen Dienst in Papua-Neuguinea, so wie man sich dort gerne an ihn erinnerte. Man freute sich nach seiner erneuten Berufung auf den kenntnisreichen Theologen. Als Dozent konnte er eine große Freude dabei empfinden, dem Wissensdurst und dem Lerneifer der neuguineischen Theologinnen und Theologen zu begegnen. Man freute sich aber auch auf den Christenmenschen Martin Brückner. Er wurde geschätzt als ein Mann, der von einem großen Gottvertrauen getragen war und die Gründe seines festen Glaubens auf die ihm eigene besonnene, ebenso freundliche wie bestimmte Weise zur Sprache bringen konnte. Pastor Kinim Siloi, Ökumene- und Partnerschaftsdezernent im Kirchenamt des ELC-PNG, charakterisierte Martin Brückner als einen bodenständigen, gradlinigen Pastor und sehr guten Missionar: „Er war allen ein Freund und niemandes Feind.“ Noch während sich Martin Brückner in Australien auf seinen Dienst in Lae vorbereitete, erkrankte er völlig unerwartet und musste nach Hamburg zurückkehren. Mehr als nur ein bloßes Dach über dem Kopf fand er im Haus des Ökumenischen Forums in der HafenCity. In der Gemeinschaft dort wurde er umsorgt und begleitet. Am letzten Ende seines Lebens standen mehrere Krankenhausaufenthalte und zuletzt die Aufnahme im Hospiz Helenenstift. Es war beeindruckend zu erleben, wie aufgeräumt, zielstrebig und bewusst Martin Brückner auch seinen allerletzten Lebensabschnitt als einen Weg gehen konnte, von dem er wusste, dass Gott allein in der Lage sein würde, ihn zum Ziel zu führen. Am 3. September 2015 ist Martin Brückner im Alter von 61 Jahren gestorben. Martin Haasler ist Referent für Papua-Neuguinea und Pazifik sowie für Partnerschaften. Schwerpunkt Norma Noemi Castillo gestorben Die Partnerschaftsreferentin der Lutherischen Kirche in El Salvador (ILS), Norma Noemi Castillo ist am 25. August 2015 nach schwerer Krankheit gestorben. Die 44-jährige Pastorin hinterlässt drei Töchter und ihren Mann Rafael Menjívar, Pastor und Öffentlichkeitsreferent der Kirche. Norma Castillo war bereits mehrmals zu Besuch in der Nordkirche. Sie beeindruckte als feinfühlige und engagierte Theologin. Bei internationalen Begegnungen galt sie als gefragte und verlässliche Gesprächspartnerin, die ihre Position klar benennen konnte. In El Salvador leitete sie außerdem eine Gemeinde mit vorwiegend jungen Menschen, die im gefährlichsten Stadtteil San Salvadors lag. Neben der herausfordernden Arbeit nahm sie die Verantwortung für ihre Familie sehr ernst. Norma Castillo war durchdrungen von dem Wunsch nach Gerechtigkeit. Sie unterstütze ihre Kirche und ihr Landsleute dabei mit aller Kraft. Nicht von ungefähr hatte Bischof Fernando Gómez sie nun als eine der „Heiligen“ der Kirche bezeichnet. Die Trauer in El Salvador aber auch in den deutschen El Salvador-Partnerschaftsgruppen ist groß. Norma Castillo Bärbel Fünfsinn war von 1993 bis 2012 Lateinamerikareferentin im Zentrum für Mission und Ökumene. Infostelle Klimagerechtigkeit Anja Urbanek arbeitet seit Oktober in der Infostelle Klimagerechtigkeit im Zentrum für Mission und Ökumene. Sie wird als Bildungsreferentin bis zum August 2016 die Elternzeitvertretung von Judith Meyer Kahrs übernehmen. Anja Urbanek war in Bremen als Projektleiterin im Bereich „Nach- Anja Urbanek weltbewegt weltbewegt 33 33 Service Veranstaltungen Missionskonvent Holzdecke im Stift Bethlehem, Ludwigslust Seine Herbsttagung hielt der Missionskonvent in diesem Jahr am 7. November im Stift Bethlehem in Ludwigslust ab. In einem altehrwürdigen Saal unter dem Dach mit laut knarzendem Holzfußboden wurden einerseits die Wahlen zur Generalversammlung zum Vorstand des Zentrums für Mission und Ökumene durchgeführt, andererseits von der Partnerkirchenkonsultation im September berichtet. Dabei ging es vor allem um ihre Auswirkungen für die Nordkirche. Zunächst berichtete Oberkirchenrat Andreas Flade über die Vorbereitungen und Ziele der Konsultation. Danach konnten Teilnehmende auf einem Podium, auf dem leider Ehrenamtliche fehlten, ihre Eindrücke schildern. Im Anschluss diskutierten Arbeitsgruppen über einzelne Themen der Konsultation oder machten Vorschläge, wie in Zukunft ähnliche Veranstaltungen, was Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung betrifft, eine größere Wirkung in der Nordkirche entfalten können. Tobias Gottesleben ist Pastor der Dietrich-Bonhoeffer-Gemeinde Neumünster. 34 weltbewegt weltbewegt Weltgebetstag 2016 Kuba steht im Mittelpunkt des Weltgebetstages, den Frauen aus aller Welt am 4. März 2016 feiern. Er steht unter dem Motto „Nehmt Kinder auf und ihr nehmt mich auf“. Frauen aus Kuba haben die Gottesdienstordnung für den Weltgebetstag verfasst und geben Einblick in ihren Alltag. Das zentrale Thema des Gottesdienstes ist „einander anzunehmen und füreinander zu sorgen“. Die Kubanerinnen begrüßen, dass nun die jahrzehntelange Isolation Kubas beendet ist, fragen aber auch, wie das die wirtschaftliche Situation und den Zusammenhalt in der Gesellschaft verändern wird. Kubanerinnen sind seit der Revolution zwar gleichgestellt und gut ausgebildet, aber an Spitze von Parteien und Regierung kaum vertreten. Ein Grund liegt in der Mehrfachbelastung. Sie müssen nach wie vor viel Improvisationstalent haben, um den Lebensunterhalt der Familie zu sichern. Kubas Kirchen bemühen sich zunehmend, die Gemeinden zu stärken und Menschen zu befähigen, aktiv zur Entwicklung der Gesellschaft beizutragen. Auch in diesem Jahr gibt es zusätzlich zu den Gottesdiensten in Gemeinden einen Ökumenischen Weltgebetstagsgottesdienst mit einem internationalen Frauenteam aus der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Hamburg (ACKH) am 4. März um 19 Uhr in der Hauptkirche St. Petri mit Hauptpastorin Martina Severin-Kaiser und Uta Gerstner. Mehr Informationen zum Weltgebetstag, vorbereitenden Veranstaltungen, Workshops und Gottesdiensten sind zu finden unter: www.weltgebetstag.de. Erklärung des LWB zum Terrorismus fairen, solidarischen und nachhaltigen Gesellschaft zu gestalten, so Tietze weiter. Der Eine-Welt-Preis wurde 1996 von der Nordelbischen Kirche ins Leben gerufen und wird seitdem alle zwei Jahre vergeben. Weitere Informationen: www.ked-nordkirche.de „Der Lutherische Weltbund ist schockiert über die jüngsten Anschläge und verurteilt diese abscheulichen Taten aufs Schärfste“, so Bischof Munib A. Younan, Präsident des Lutherischen Weltbundes (LWB) in einer Erklärung vom 14. November. Diese Zeit rufe Anhänger verschiedener Religionen dazu auf, zusammen für die Achtung vor dem menschlichen Leben einzutreten. Anschläge wie diese sollten nicht entmutigen. Menschen aller Glaubensrichtungen sollten sich vielmehr noch entschiedener für den Frieden innerhalb und zwischen ihren Gemeinschaften einsetzen, heißt es weiter. „Wenn Gewalt mit religiösen Motiven gerechtfertigt gibt, kann es nur eine Antwort geben: Nein!“ (s. Interview mit Bischof Younan S. 18-19) Rezensionen Einwürfe Eine-Welt-Preis Fotos: S. Roß (1), C. Wenn (1), Weltgebetstag der Frauen - Deutsches Komitee (1) haltiger Konsum“ tätig und arbeitete als selbstständige Beraterin. Im Bereich ihres Studiums an der Carl-von-Ossietzky Universität in Oldenburg beschäftigte sie sich u. a. mit Nachhaltigkeitsmanagement, Ökobilanzierung und Umweltmanagement. Anja Urabnek, die außerdem ein Auslandssemester an der Sichuan Universtität in China absolviert hatte, „freut sich nun auf die neuen Herausforderungen“. Am 29. Januar 2016 werden die Gewinner des Eine-Welt-Preises 2016 im Rahmen eines großen Festes in der Christianskirche in Hamburg-Ottensen bekannt gegeben. Den ersten Preisträgern wird traditionell eine geschnitzte „Goldene Giraffe“ überreicht. Die offizielle Verleihung der Preise erfolgt auf der Tagung der Landessynode im Februar 2016 in LübeckTravemünde. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland (Nordkirche) hat den Eine-Welt-Preis 2016 ausgeschrieben. Mit ihm sollen Gruppen, Initiativen und Einzelpersonen aus Hamburg, SchleswigHolstein und Mecklenburg-Vorpommern ausgezeichnet werden, die sich für mehr Gerechtigkeit in der Welt einsetzen. „Gerade in der aktuellen Situation, in der Flüchtlinge aus Eritrea oder Syrien bei uns eine bessere Zukunft suchen, wird deutlich, wie wichtig das ehrenamtliche Engagement für mehr Gerechtigkeit ist“, sagte Dr. Andreas Tietze, Präses der Landessynode der Nordkirche. Der Eine-Welt-Preis würdige diesen Einsatz und motiviere andere Menschen, den notwendigen Wandel hin zu einer In seinem aktuellen Buch „Einwürfe, Missionswissenschaftliche Studien“ beschäftigt sich Theodor Ahrens mit Themen des Interkulturellen Dialogs aus einer missionswissenschaftlichen Perspektive. Dabei setzt sich der emeritierte Professor für Missionswissenschaften mit vielen grundsätzlichen Fragen auseinander: Wie wurden Probleme des Verstehens über kulturelle „Grenzen“ hinweg bearbeitet? Wie ließe sich heute damit umgehen? Wenn eigene Identitätssehnsüchte einer echten Begegnung mit dem Fremden im Wege stehen – was bedeutet das für die Praxis interkultureller kirchlicher Zusammenarbeit? Welche Wechselwirkungen zwischen kulturell unterschiedlichen Wissenswelten lassen sich in der Schularbeit der Missionen ausmachen? Gibt es ein „Recht auf Provinzialität“ in einer kosmopolitischen Ökumene? Wie anschlussfähig ist Luthers Theologie des „radikalen Umsonst“ im Kontext aktueller Debatten über den Stellenwert der Gabe in einer Marktgesellschaft? Wie hat missionarische Verkündigung auf das Beziehungsfeld zwischen Lebenden und Toten – kulturübergreifend ein menschliches Grundthema – eingewirkt? Welche theologischen Grundentscheidungen stehen hinter der jüngsten Missionserklärung des Ökumenischen Rates der Kirchen? Auch in diesem Buch wird Theodor Ahrens seinem Ruf als „Wanderer zwischen Schwerpunkt den Welten“ gerecht, der seine Anliegen mit klarer Sprache auf den Punkt bringt. Hier fasst der Autor noch einmal zusammen, was ihm wichtig war. (s. auch Nachruf S. 30-31) Wo kämen wir denn hin? Die Theologin und Musikerin Bärbel Fünfsinn hat aus einer Fülle an „Lieblingsliedern“ 17 bekannte und weniger bekannte Stücke aus acht Ländern und in fünf Sprachen eingespielt. Die Lieder singen von Sehnsucht und Widerstand, von Lebensfreude und Hoffnungen, das ist bei den alten, biblischen Psalmen und Pilgerliedern nicht anders als bei den Chansons und Kirchenliedern unserer Zeit. Bärbel Fünfsinn spürt diesen Emotionen nach, lässt sie erklingen, durch sich durchklingen. Dabei wird sie genial begleitet von einem Dreierteam aus Piano, Bass und Schlagzeug. Musikalisch ist dieses Team nicht festgelegt, es gibt Tango, Swing und Choräle, auch zwei Eigenkompositionen von Bärbel Fünfsinn, und ein jazziger Hauch durchweht alle Stücke. Das Booklet bringt alle Liedtexte im Original und in deutscher Übersetzung und vermittelt einiges zu den Hintergründen. Das Buch in der Reihe „Studien zu interkultureller Theologie an der Missionsakademie“ ist im Juni 2015 im Missionshilfe Verlag erschienen und kostet 24,80 Euro, www.Missionhilfe Verlag.de Antje Röckemann, Pastorin in Gelsenkirchen Bärbel Fünfsinn: Wo kämen wir denn hin? Bärbel Fünfsinn (Gesang), Bertold Becker (FIügel), Joachim Fitzon (Bass), Peter Weissink (Schlagzeug), MusikCD, 16 Euro. Erhältlich bei studio-schulte.de. oder unter www. baerbelfuenfsinn.com. weltbewegt 35 sandt. Jedes weitere Magazin kostet € 0,15 plus Vers (zu erfragen beim Behelfsdienst, tel. aus Österreich: Andere Konditionen gelten für Österreich (zu erfragen 0732. 76 10 - 38 13) und die schweiz (tecum, tel. aus behelfsdienst, tel. aus Österreich: 0732. 76 10 - 38 13 der schweiz: 052 720 73 81). die schweiz (tecum, tel. aus der schweiz: 052 720 73 Wir freuen uns über jede spende: evangelische darle Wir freuen uns über jede spende: evangelische darle genossenschaft Kiel (edg), Konto 317 659, BlZ 210 6 genossenschaft Kiel (edg), Konto 317 659, blZ 210 6 nächsteAusgabe Ausgabe DieDienächste erscheint am 1. erscheint Oktober 2012 erscheint am Thema Ökumene 1. März 2016 amzum 1.am Dezember 2015 2013 Wenn Elternam gestorben sindKilimanjaro, oder ihre Unser Projekt In dem Ort Mwika, des gibtBuenos esverlassen eineindider Das Gebiet derFuße Jeypore-Kirche imFamilien Süden des Quilmes ist eine Vorstadt am Rande von Unser aktuelles aktuelles Projekt Unser aktuelles Projekt in Indien haben, bleiben in ländlichen Regionen Chinas meist nur renommiertesten theologischen Hochschulen der Evangeschen Bundesstaates zu den ärmsten Aires. Hier leben cirka Odisha 500 000gehört Menschen – sehr in die Großeltern, die sich um die Kinder in China Tansania Buenos Aires/Argentinien lisch-Lutherischen Kirche in Tansania. Hierkümmern werdenkönnen. Pasto- Seite_2.indd 1 Regionen Indiens. Vonzahlreichen den Auswirkungen wirtschaftvieledurch von ihnen in den Elendsvierteln. Die Oft ein arbeitsreiches, hartes Diakone Leben selbst körperrinnen und Pastoren, Evangelisten sowie für ihre Arlichen Wachstums profitiert dieser Landesteil kaum, Lage der armen Familien hat sich in den vergangelich Gemeinden geschwächt, ausgebildet. erwirtschaftenSeit sie kaum genug, um sich beit in den einem Jahr arbeitet denn die Bevölkerungsmehrheit in OdishaIn lebt in nen die 30Uwe Jahren kontinuierlich verschlechtert. den und ihnenNissen anvertrauten Kinder durchzubringen. Obals neben Pastor auch Pastorin Gabriele Mayer Dörfern und wird von staatlicher Entwicklung oder wenigsten Familien gibt esviele jemanden einer festen oder Winterschuhe, auf dem DozentinSchulgeld, in Mwika.Arztbesuch Sie hat bereits Jahre mit in Tansania geVersorgung kaum erreicht. ist und die unzureichende Zahlder der AnalArbeit. Hunger, Mangelernährung stellen diese Dinge die So Pflegefamilien Waisenlebt und Lande unterrichtet in den Sprachen Kisuaheli und Englisch. phabeten ineine Odisha eine der finanzielle höchsten inStaatliche ganz Seit Indien kinder oft vor unüberwindbare Ihre Fächer decken große Bandbreite der Hürden. theologischen Gesundheitsversorgung sind die Folgen. und auch Gesundheitsversorgung ist alles andere 2002 unterstützt die Amity Foundation Ausbildung für diedie verschiedenen Jahrgangsstufen ab.Waisen Sozialvorsorge gibt es kaum. So sindländliche die Lebensperals ausreichend. In einigen Gebieten liegt die durchAn der Hochschule durch diedieBegegnung Menund ihre Pflegefamilien – meist Großeltern –von ganz spektiven fürentsteht Kinder und Jugendliche in Argentinien schnittliche Lebenserwartung unter 37 Jahren. Krankschen mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund für beigezielt. Im ganzen Land gibt es chinesischen Regierungsschlecht. de Seitenwie ein belebender Dialog. Nicht seltensind diskutiert heiten Hepatitis, Typhus und Malaria noch statistiken zufolge 570 000 Waisen, von denen ein Drittel Die Evangelische Gemeinde in Quilmes versucht, ein Gabriele Mayer mit Studentinnen und Studenten auch immer weit verbreitet. dringend Unterstützung benötigt. Besonders betroffen ist Zeugnis der Liebe Gottes für die Kinder greifbar über die Frage, was eigentlich „lutherisch“ bedeutet, In den zweiHenan, großen christlichen die Provinz denn hier gibt esKrankenhäusern durch einen Blut-der werden zu lassen. In den Kindertagesstätten welche diebeiden reformatorische Tradition spendeskandal in den neunziger Jahren viele Aids-WaiRegion,Konsequenzen in Bissamcuttack und Nowrangpur, wird für „Los Angelitos“ (Die Engelchen) und „El Arca de los für die eigene Lebenswirklichkeit hat. Ein wichtiges sen. alle Bedürftigen – unabhängig von Herkunft oder Themenfeld, nicht zuletzt auch aufgrund der Tatsache, Niños“ (Die Kinderarche) werden 125 Kinder von drei Neben der finanziellen Unterstützung legt die Amity Glaube – eine gute medizinische Versorgung geleisdass die Evangelisch-Lutherische Kirche in Tansania Monaten bis sechs Jahren betreut. Sie erhalten drei Foundation besonderen Wert auf die seelische Betreuung tet. Das Besondere bei der medizinischen Behandmittlerweile die größte Kirche im Lutherischen WeltMahlzeiten, Gesundheitsbetreuung und eine umfasder Kinder. Durch gegenseitigen Austausch, Weiterbillung in kirchlichen Einrichtungen sind die fairen bund ist. dung und Gemeindearbeit sollen die sozialen Fähigkeiten sende Förderung. Paralleldenn dazueine gibt Krankenversichees Programme Preise. Das ist wichtig, Für diese tansanische Kirche ist die Entsendung von der Kinder gefördert und in ihre seelische für die Eltern: Beratung Erziehungsfragen und Inrung, wie in Deutschland, gibt fürWiderstandskraft die meisten Gabriele Mayer als Dozentin einees große Unterstützung. gestärkt werden. „Ziel ist es auch, den Kindern wieder Angebote, dieGradwanderung, Gemeinschaft stärken. der nicht. die Schon kleinere Unfälle oder Krankheiten Sie meistert eine indem sie zum eieine positive zu vermitteln“, sagt Wang Da den die staatlichen Zuschüsse und können die Lebenseinstellung finanzielle Existenz derausreichend Familien gefährnen kulturellen Kontext dernicht Menschen in Tansania Wei, bei der Amity Foundation für das Projekt zuständig. aufnimmt und zum andern eigene Impulse und neue auch nur unzuverlässig fließen, ist die Kita-Arbeit in den. Erkenntnisse lässt.durch So wird im Zeitalter der Die engagierte und mitmenschliche Betreuung durch Quilmes auf einfließen Unterstützung Spenden angewieHelfen Sie mit Ihrer Spende! Globalisierung neben der fundierten Wissensvermittdie Hospitäler setzt sich auch in fördert dem dasen.christlichen Dasreichen Zentrum für Mission und Ökumene 25 Euro für diezur Unterrichtsmaterialien lung eine Grundlage Verständigung undeines Zusamran angeschlossenen ländlichen Gesundheitsdienst die Arbeit derSchuljahr, kirchlichen Partner in Buenos Aires Kindes für ein 30 Euro gewährleisten die menarbeit zwischen Menschen unterschiedlicher Kulfort, der abgelegenere Regionen erreicht. Das Zenund bittet in der jetzigenund Krise um Mithilfe Gesundheitsversorgung 90 Euro deckendurch die turen erarbeitet. trum für Mission und eines Ökumene fördert die GesundSpenden. Wir würden uns Sie freuen, mit uns Lebenshaltungskosten Kindes für einSie Jahr. Durch Ihre Spende können den wenn Einsatz von Pastoheitsarbeit auch in mobilen Kliniken und mit der Vergemeinsam die Kita in Quilmes in dieser schwierigen rin Mayer in Mwika/Tansania fördern. sorgung von Kindern und alten Menschen. Dafür Wir freuen unterstützen. uns über IhreJede Unterstützung! Spendenkonto des Zentrums für Mission Situation Spende hilftund denÖkumene: Kinbitten wir Sie um Ihre Unterstützung und Spende. Konto 27375 BLZ: 21060237 EDG Kiel dern und Familien in Quilmes. Waisen in China/Amity (Projekt 5520) Kirchliche GesundheitsLutherische Theologie Hilfe für arbeit in Odisha/Indien Kindertagesstätten der am Kilimanjaro Waisenkinder Evangelischen Gemeinde Quilmes Unterricht in der theologischen Hochschule der Gesundheitsarbeit in entlegenen Die Kinder werdenauch von den kirchlichen Kitas in Quilmes Evanglisch-Lutherischen Kirche in Tansania in Mwika, gut betreut. Gebieten des Bundesstaates Odisha, an der Gabriele Mayer (Mitte) als Dozentin tätig ist. hier der Einsatz einer mobilen Die tansanische Kirche gehörtWaage. mit 53 Millionen Mitgliedern zur größten evangelischen Kirche des Lutherischen Weltbundes. 36 28 weltbewegt weltbewegt Spendenkonto des Zentrums für Mission Mission und Ökumene: Ökumene: Spendenkonto des Zentrums für Mission und Spendenkonto des Zentrums für und Projekt 1200 Gesundheitsarbeit Odisha Ökumene: Projekt Nähere 2100 Informationen Theol. Ausbildung Tansania auch auf den Seiten 12 bis 13. BIC: Evangelische Konto 27375, BLZ: 210 602 37Bank EDG Kiel, BIC: GENODEF1EK1 GENODEF1EK1 Evangelische Bank IBAN: DE77 520 604 100 000 111 333 IBAN: DE77 604 100 111 6104) 333 Kitas 520 in Buenos Aires000 (Projekt Foto: Quilmes (1), Titel:Foto: C. Wenn, Titelfotos: Freiwilligenprogramme (3), L. Paulsen (1), J. Gerundt (1), L. Borghorst (1), T. Kleyer (1), C. Kienel (1), C. Beyer (1), D. v. Eye (1), S. Aghte (1), D. Lünse (1) U.C. Plautz (1) Fotos: Magdalena (1), Titel: Wenn Foto: G. MayerAdolf (1), Titel: C. Wenn (1), Flaggengrafik: Shutterstock 2
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