frau geht vor Frauen und Flucht Integration benötigt die Geschlechterperspektive DGB-Bundesvorstand | Abteilung Frauen, Gleichstellungs- und Familienpolitik | Dezember 2015 04 2015 Inhalt Editorial ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------- 3 Flüchtling ist nicht gleich Flüchtling Daten und Fakten zur Flüchtlingssituation in Deutschland -------------------------------------------------------- 4 Frauen auf der Flucht Geschlechtsspezifische Fluchtmuster – gestern und heute -------------------------------------------------------- 5 Rechtliche Fortschritte, praktische Risiken Die besondere Verletzlichkeit geschlechtsspezifischer Asylgesuche ---------------------------------------------- 8 Frauenspezifische Fluchtursachen bewusst machen, weibliche Flüchtlinge unterstützen! Resolution des DGB-Bundesfrauenausschuss vom 29. September 2015-------------------------------------- 11 Unzumutbare Zustände in Unterkünften Asylbeschleunigungsgesetz setzt auf Abschreckung ------------------------------------------------------------- 12 Flüchtlingspolitik gerecht und solidarisch gestalten, gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern Beschluss des DGB-Bundesvorstandes vom 02. Dezember 2015 in Auszügen ------------------------------ 14 Flüchtlingsfrauen fernab von Europa Gefahren und Chancen in Fluchtsituationen ---------------------------------------------------------------------- 16 Herausforderungen bei der Arbeitsmarktintegration Berufliche Integration muss geschlechtsspezifische Besonderheiten berücksichtigen ----------------------- 18 Stark im Beruf Arbeitsmarktintegration von Migranten/innen -------------------------------------------------------------------- 20 Keine Chancengleichheit in der Ausbildung Junge Migrantinnen in typischen Frauenberufen------------------------------------------------------------------ 22 Deutscher Frauenrat auf Zukunftskurs Mitgliederversammlung 2015---------------------------------------------------------------------------------------- 23 Recht auf Bildung für Flüchtlinge und Asylsuchende GEW verabschiedet Handlungsempfehlungen--------------------------------------------------------------------- 23 Rechte von Frauen stärken IG BCE unterstützt Projekt der Energiegewerkschaft ZEWU in Simbabwe ------------------------------------ 24 Stärke durch Vielfalt IG Metall: Christiane Benner wird Zweite Vorsitzende ----------------------------------------------------------- 25 Frauen im Blick ver.di: Stefanie Nutzenberger wieder in den Bundesvorstand gewählt ---------------------------------------- 26 Fachtagung zeigt Handlungsbedarf auf Weiblich, qualifiziert sucht: Wirtschaftliche Unabhängigkeit! --------------------------------------------------- 27 2 DGB Frau geht vor Editorial Geflüchtete Frauen brauchen besonderen Schutz Beim Umgang mit Flüchtlingen darf die Geschlechterperspektive nicht fehlen Von Anja Weusthoff Anja Weusthoff leitet die Abteilung Frauen, Gleichstellungs- und Familienpolitik beim DGB-Bundesvorstand. www.frauen.dgb.de Liebe Kolleginnen, liebe Frauen, die besonders große Zahl der Menschen, die derzeit in Deutschland Zuflucht suchen, bestimmt auch den Alltag vieler Kolleginnen und Kollegen – weil sie in den zuständigen Behörden, in Schulen, Kitas und anderen öffentlichen Einrichtungen arbeiten, als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter helfen oder in einer der zahllosen Flüchtlingsinitiativen ehrenamtlich aktiv sind. In der medialen Berichterstattung ist allzu oft von „Flüchtlingsströmen“ die Rede, manchmal erfahren wir aber auch von Einzelnen, welches Schicksal sie in unser Land getrieben hat. Doch viel zu selten wird berichtet, mit welchen besonderen Hürden die Flucht für Frauen verbunden ist und mit welchen Herausforderungen gerade sie im Exil konfrontiert sind. Die Geschlechterperspektive kommt bei diesem Thema leider oft zu kurz. Darauf machen die Frauen im DGB mit ihrer Resolution „Frauenspezifische Fluchtursachen bewusst machen, weibliche Flüchtlinge unterstützen!“ aufmerksam. Und deshalb machen wir in dieser Ausgabe von „frau geht vor!“ Flucht aus geschlechterspezifischer Perspektive zum Thema und beleuchten ein paar Aspekte genauer. Dass geschlechtsspezifische Fluchtmuster traurige Tradition haben, zeigt der Beitrag der Migrationsforscherin Sylvia Hahn. Welche rechtlichen Fortschritte bei der Anerkennung weiblicher Fluchtgründe in den letzten Jahrzehnten erkämpft wurden und woran es in der Entscheidungspraxis noch immer mangelt, erläutert die Wissenschaftlerin Jana Wessels. Mit der Flüchtlingsforscherin Ulrike Krause schauen wir über unseren Kontinent hinaus auf Gefahren und Chancen im Leben der Frauen, die fernab von Europa auf der Flucht sind und heimatlos in Lagern leben. Im Interview mit der Pädagogin und agisra-Mitarbeiterin Shewanesh Sium erfahren wir mehr über die besondere Schutzbedürftigkeit von Frauen in den Erstaufnahmelagern, über die oft unzumutbaren Zustände in den Unterkünften und dass die Hürden des Asylverfahrens vielen Frauen die Kraft und Energie rauben, mit denen sie unser Land erreicht haben. Sie plädiert nachdrücklich für die Umsetzung der EU-Aufnahmerechtlinie in deutsches Recht, die insbesondere Frauen und Kindern Unterstützung und Sicherheit zusagt. Und wir blicken auf den Arbeitsmarkt: DGBArbeitsmarktexperte Wilhelm Adamy beschreibt, welche geschlechtsspezifischen Besonderheiten bei der beruflichen Integration von geflüchteten Frauen zu berücksichtigen sind, DGB-Ausbildungsfachmann André Schönewolf warnt davor, aus ihnen Auszubildende zweiter Klasse zu machen und DGB-Projektleiter Frank Meissner schildert die Probleme von Müttern mit Migrationshintergrund beim Erwerbseinstieg – und was das Programm „Stark im Beruf“ des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) dagegen tun will. Beim Blick in die Gewerkschaften stehen zwei Gratulationen an: Christiane Benner wurde als erste Frau zur Zweiten Vorsitzenden der IG-Metall gewählt, Stefanie Nutzenberger erneut in den Bundesvorstand der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di). Beide haben die gewerkschaftliche Gleichstellungspolitik auch künftig fest im Blick und machen deutlich, wo sie ihre Schwerpunkte setzen werden. Eine Gratulation der DGB-Frauen geht auch an den Vorstand des Deutschen Frauenrates, an dessen Spitze unsere Kollegin Hannelore Buls steht. Er hat Anfang November ein zukunftsweisendes Konzept für eine Reform der Verbandsarbeit vorgelegt und wurde von der Mitgliederversammlung belohnt – mit großer Zustimmung für eine neue Struktur des Vorstands und eine neue Satzung. Ausgabe Nr. 4 – Dezember 2015 3 Schwerpunkt Flüchtling ist nicht gleich Flüchtling Daten und Fakten zur Flüchtlingssituation in Deutschland Von Britta Jagusch Millionen Menschen sind auf der Flucht. Die weitaus meisten Flüchtlinge retten sich in sichere Regionen im Inland oder in angrenzende Staaten. Aber auch in Europa suchen täglich Tausende Asyl, allein im Oktober wurden in Deutschland 52.730 Erstanträge beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gestellt. Auch wenn unter den Flüchtlingen, die nach Europa und Deutschland kommen, deutlich mehr Männer als Frauen Asyl beantragen, sind weltweit mindestens 50 Prozent aller Flüchtlinge Frauen und Mädchen, so die UNO-Flüchtlingshilfe. Sie gelangen jedoch meist nicht nach Europa, sondern verbleiben in der Region oder den Lagern der Nachbarländer. Die Familien hoffen, dass die jungen Männer die Reise nach Europa schaffen – und ihre Angehörigen nachholen können oder aus der Ferne unterstützen. Bis Oktober waren in diesem Jahr 70 Prozent der Asylerstantragsteller jünger als 30 Jahre alt, über zwei Drittel aller Erstanträge wurden von Männern gestellt. Sie kommen zum Großteil aus Syrien (30,3%), Albanien (14,8%) und dem Kosovo (9,7%). Von Januar bis Oktober 2015 wurden insgesamt 205.265 Entscheidungen über Asylanträge getroffen. Nur 41,2 Prozent wurden davon positiv beschieden (Gesamtschutzquote). Dabei wird in der öffentlichen Diskussion der Begriff „Flüchtling“ häufig als Sammelbegriff für Personen genutzt, die sich unter sehr unterschiedlichen aufenthaltsrechtlichen Bedingungen in Deutschland aufhalten und unterschiedlich geregelte Rechte auf Zugang zum Arbeitsmarkt, zu Integrationskursen, bei der sozialen Sicherung oder für den Familiennachzug besitzen. Grundsätzlich unterscheidet man: Asylsuchende, die – auf welchen Wegen auch immer – nach Deutschland einreisen und eine Aufnahme zum Schutz vor Kriegen, Bürgerkriegen 4 DGB Frau geht vor oder Verfolgung beantragen. Sie erhalten in der Zeit des Asylverfahrens eine sogenannte Aufenthaltsgestattung. Geduldete Personen haben eine befristete Aussetzung der Abschiebung aus tatsächlichen, rechtlichen, humanitären oder persönlichen Gründen aber keinen Aufenthaltsstatus. Der Großteil von ihnen hat bereits einen Antrag auf Asyl gestellt, der aber abgelehnt wurde. Subsidiär geschützte Personen, erhalten eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen. Flüchtlinge mit vorübergehender Aufenthaltsgenehmigung, sind zum Beispiel Personen, die Opfer von Menschenhandel sind und deren Anwesenheit für ein Strafverfahren erforderlich ist. Asylberechtigten wird wegen politischer Verfolgung durch einen Staat oder eine staatsähnliche Organisationen eine Asylberechtigung zuerkannt. Das Merkmal der politischen Verfolgung knüpft an die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) an (Seite 12). Sowie Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention, denen eine „Flüchtlingseigenschaft“ zuerkannt wurde. Voraussetzung ist eine begründete Furcht vor Verfolgung aus Gründen, die in der GFK genannt werden. Zu den Gründen gehört auch eine Verfolgung wegen des Geschlechts (Seite 10). Darüber hinaus zieht das Völkerrecht eine klare Trennlinie zwischen Menschen, die zur Flucht gezwungen sind (Flüchtlinge), und Menschen, die aus eigenem Antrieb ihr Land verlassen (Migranten). Mehr Informationen zur rechtlichen und sozialen Situation von Flüchtlingen in Deutschland, zur Arbeitsmarktintegration und Sprachförderung sowie zu gewerkschaftlichen und betrieblichen Handlungsmöglichkeiten bietet die DGB-Handreichung „Flucht. Asyl. Menschenwürde“. www.dgb-bestellservice.de Britta Jagusch ist Redakteurin von „frau geht vor“ und arbeitet als freie Journalistin in Frankfurt am Main. Die Gesamtschutzquote ist der Anteil aller Asylanerkennungen, Gewährungen von Flüchtlingsschutz (Subsidiärer Schutz bzw. Flüchtlingseigenschaft) und Feststellungen eines Abschiebeverbotes innerhalb eines Zeitraums bezogen auf die Gesamtzahl der diesbezüglichen Entscheidungen im betreffenden Zeitraum. position Flucht. Asyl. Menschenwürde. DGB-Handreichung DGB Bundesvorstand | Migrations- und Antirassismuspolitik | März 2015 Frauen auf der Flucht Geschlechtsspezifische Fluchtmuster – gestern und heute Von Sylvia Hahn Prof. Dr. Sylvia Hahn ist Vizerektorin für Internationale Beziehungen und Kommunikation an der Universität Salzburg, Österreich. Zu Ihren wissenschaftlichen Schwerpunkten zählen die historische Migrationsforschung sowie die Stadt- und die Geschlechtergeschichte. www.uni-salzburg.at Flucht ist kein aktuelles Phänomen. Schon vor Jahrhunderten wurden Menschen aus politischen, religiösen und anderen Gründen verfolgt. Wie weit geschlechtsspezifische Fluchtmuster heute noch eine Rolle spielen und welchen besonderen Gefahren Frauen ausgesetzt waren und sind, zeigt der Beitrag von Migrationsforscherin Sylvia Hahn. In den letzten Monaten verging kaum ein Tag an dem in den Medien nicht von den Flüchtlingen berichtet wurde. Die Bilder in den Medien zeigen überwiegend Männer jüngeren oder mittleren Alters. Nur selten wurden Frauen und Kinder oder ganze Familien ins Bild gerückt. Tatsächlich waren es zunächst überwiegend junge Männer, die aus den Kriegsgebieten hier ankamen. Erst mit etwas Verzögerung erreichten junge Paare mit Kindern und dann auch ältere und gebrechliche Menschen das ersehnte Zielgebiet Österreich oder Deutschland. Geschlechts- und altersspezifische Fluchtmuster Dieses Muster der geschlechts- und altersspezifischen Abfolge bei Flüchtenden ist kein aktuelles Phänomen – ganz im Gegenteil: Beispiele dafür lassen sich bei den politisch Verfolgten bereits im 18. und 19. Jahrhundert ebenso ausmachen wie in den Jahren der nationalsozialistischen Diktatur und Verfolgung im 20. Jahrhundert. Auch hier waren es meist zunächst die männlichen Familienmitglieder, die das Land verließen und versuchten, ihre Frauen und Kinder so rasch als möglich nachzuholen. Ausschlaggebend dafür waren/sind mehrere Gründe: zum einen sind Männer oft – zum Beispiel aufgrund ihres politischen Engagements – gefährdeter verhaftet oder zum Militärdienst eingezogen zu werden; zum anderen waren/sind weltweit die Löhne für Männer bis heute höher als für Frauen. Die Chance, dass Männer durch ihre Arbeit im neuen Zielland die Familie durch Rücksendungen ernähren oder rasch nachholen können, ist, wie in den früheren Jahrhunderten, auch heute noch im gesellschaftlichen Denken fest verankert. Daher wird von den zurückbleibenden Familien meist vor allem in ein junges und kräftiges männliches Familienmitglied als möglichen Familienernährer „investiert“. Bei „reiner“ Arbeitsmigration hat es hier bereits eine deutliche Veränderung gegeben. Aus manchen Regionen sind es mittlerweile vorrangig die Frauen, die als globale Arbeitsmigrantinnen ihre Familien und Kinder zu Hause ernähren. Lebenswege und Schicksale Die Lebenswege und Schicksale der politisch oder ethnisch Verfolgten der 1930er und 1940er Jahre zeigen sehr deutlich, dass es nur wenigen gelang, gemeinsam im Familienverband zu flüchten. Überlieferte Autobiographien geben einen Eindruck, wie ungeheuer schwer die Entscheidungen waren, die auf den Familien lasteten. Wer geht zuerst, wer bleibt zurück? Sollen die Kinder mit einem Kindertransport allein in Sicherheit gebracht werden? Was macht man mit den kranken Eltern? Es ist kaum nachzuvollziehen, was es heißt, seine Angehörigen zurückzulassen oder/und sein Kind allein in ein fremdes Land, dessen Sprache es nicht beherrscht, schicken zu müssen. Oder: was wissen wir über die abertausenden von Frauen, die während des Ersten bzw. Zweiten Weltkrieges und in den Wochen und Monaten nach dem Ende des Krieges in den unterschiedlichsten Richtungen quer durch Europa auf der Flucht waren? Flüchtende Frauen nur selten in den Medien Wir kennen die Bilder der Frauen, die sie auf den Straßen in den Flüchtlingskarawanen zeigen, ihre Kinder in der einen und einige Bündeln in der anderen Hand; oder dann in den Flüchtlingslagern, wo sie sich um Nahrungsmittel anstellen, in den Holzbaracken auf kleinstem Raum kochen, die wenige Kleidung in großen Bottichen waschen – kurz: versuchen, wieder halbwegs einen normalen Alltag zu gestalten. Diese Bilder oder Berichte über Ausgabe Nr. 4 – Dezember 2015 5 die Situation von Frauen auf der Flucht bzw. über ihre Leben nach der Flucht gelangen nur selten in die Medien und werden kaum thematisiert. Foto: IdealPhoto30, iStockphoto.com Geschlechtsspezifische Rahmenbedingungen Dabei sollte aber gerade auf die geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Rahmenbedingungen hingewiesen werden, denen Frauen allgemein als Migrantinnen und vor allem in derartigen Ausnahmesituationen ausgesetzt waren und sind. So war Frauen beispielsweise die Auswanderung alleine ohne Angehörige aus Europa und in die USA bis ins 20. Jahrhundert hinein verwehrt. Allein auswandernde Frauen wurden generell verdächtigt schwanger oder eine Prostituierte zu sein. Die Einwanderung in die USA war für Frauen daher mit betrachtet sind Frauen vor allem in Krisen- und Konfliktzeiten als Zurückgebliebene oder auf der Flucht besonderen Gefahren und Repressionen ausgesetzt. Dass Kriege vielfach über die Körper der Frauen ausgetragen werden, zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte. Verschleppung, Vergewaltigungen, Versklavungen von Frauen der Kriegsgegner oder Konfliktpartner finden wir in allen früheren Jahrhunderten und selbst heute noch. Tatsächlich war und ist das Leben auf der Flucht von einem täglichen Kampf ums Überleben geprägt. Frauen brauchen daher besondere Schutzzonen für sich und die Kinder. Auch sollte mehr als bisher auf die spezifischen Hygienebedürfnisse von Frauen, insbesondere für jene mit kleinen Kindern, eingegangen und diese bereitgestellt werden. Untersuchungen auch im Intimbereich verbunden. Selbst Frauen, die nach dem Zweiten Weltkrieg einen GI oder US-Angehörigen heirateten, mussten zahlreiche, auch gynäkologische, Untersuchungen hinter sich bringen, die, wie aus Interviews hervorgeht, sie teilweise als überaus demütigend empfanden. Von Flüchtlingsfrauen aus den Ostgebieten wiederum wissen wir, dass an ihnen gynäkologische Untersuchungen durchgeführt wurden, da man sie verdächtigte, Wertsachen im Intimbereich mitzunehmen. Frauen sind besonderen Gefahren ausgesetzt Nicht selten werden Frauen bei Grenzkontrollen von männlichen Wachorganen unter Druck gesetzt und zu sexuellen Handlungen genötigt. Insgesamt 6 DGB Frau geht vor Selten oder gar nicht fragen wir uns, was es für Frauen auf der Flucht bedeutet, schwanger zu sein, nicht zu wissen, wann, wo, wie und mit wem die Niederkunft sein wird. Über die enormen Strapazen, die für Frauen damit verbunden sind, berichtete bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts Schriftstellerin und Journalistin Therese Forster-Huber in Briefen an ihre Freundinnen. Therese Forster-Huber, Ehefrau und Witwe von Georg Forster, musste aufgrund des politischen Engagements ihres Mannes und später auch aufgrund ihrer eigenen kritischen Haltung dem politischen System gegenüber bereits Ende des 18. Jahrhunderts von Deutschland in die Schweiz fliehen. In knapp 20 Jahren lassen sich in aus ihren Aufzeichnungen zehn Ortswechsel ausmachen. In dieser Zeitspanne hatte Therese Huber-Forster an Frauen als Familienernährerinnen Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass Frauen nach der Ankunft in den neuen Zielgebieten durch ihre Tätigkeiten im Kleinhandel oder in fremden Haushalten, wie Wäschewaschen, putzen, kochen, bügeln, Kinderaufsicht, etc. wesentlich zum Haushaltsbudget beitrugen. Bei politischen Vermittlerin zwischen den Kulturen Auch in der Ankunftsgesellschaft kommt den Frauen oft eine wichtige Funktion als Vermittlerinnen zwischen den Kulturen zu. Ein Beispiel aus dem Alltagsleben: Frauen waren überwiegend für die Zubereitung des traditionellen und gewohnten Essens zuständig. Dies war in der neuen Umgebung jedoch nicht immer einfach: die Lebensmittel waren anders als in der Heimat, vielfach fehlten einfach die Kochgrundlagen, die man in der Herkunftsregion hatte. Flüchtlingen waren es nicht selten die Frauen, die viel rascher eine Erwerbstätigkeit fanden als ihre Ehemänner. Dies lag vielfach daran, dass Frauen eher bereit waren, auch Erwerbstätigkeiten anzunehmen, die unter ihrer eigenen Qualifikation lagen. Auch hierfür lassen sich über die Jahrhunderte hinweg zahlreiche Beispiele finden, die zeigen, dass Frauen im Migrationsgeschehen oft zur Familienernährerin werden. Foto: RadekProcyk, iStockphoto.com verschiedenen Aufenthaltsorten zehn Geburten; vier Kinder davon überlebten. In ihren Briefen berichtet sie nicht nur über die permanente Erschöpfung, sondern auch über die Anforderungen, die die dauernden Umorientierungen und Neugewöhnungen an fremde Umgebungen und Menschen mit sich brachten. Prekärer Beschäftigung vorbeugen Für die gegenwärtige Situation kann dies auch bedeuten, dass ehemalige Flüchtlingsfrauen Den Frauen wurde hier viel Kreativität und Erfindergeist abverlangt. Gleichzeitig waren sie es, vermehrt auf Erwerbstätigkeiten mit prekären Einkommensverhältnissen und sozialen Absidie nicht nur Rezepte an die nächste Generation cherungen angewiesen sind und es hier zu einer weitergaben sondern auch neue Produkte der starken Konkurrenzsituation kommen kann. Dies Ankunftsgesellschaft in die bisherigen Essgegilt es vorzubeugen. Es muss versucht werden, wohnheiten der Familie allmählich „einschmugdie Qualifikationen von Frauen mit Migrationsgelten“, die Mahlzeiten und damit auch den hintergrund rascher und flexibler als bisher Geschmack leicht veränderten. anzuerkennen, damit sie nicht auf den Schattenarbeitsmarkt angewiesen sind. Hier muss ein Den Frauen kam daher als Wissensträgerinnen von traditionellem wie auch von neu erworbenen Weg in Richtung einer breiteren Äquivalenzanerkennung gefunden werden, um diesen Prozess Kenntnissen innerhalb der Familie bzw. ethnizu beschleunigen. Denn wir wissen bereits aus schen eine wichtige und entscheidende Rolle zu. Darüber hinaus tragen Frauen seit jeher durch ihre der Vergangenheit, dass das Leben als Migrantin, als Flüchtling eine große Herausforderung für vielfach „inoffiziellen“ Arbeiten wesentlich zum die Betroffenen wie auch für die Gesellschaft der Überleben der Familien bei. neuen Zielgebiete ist. Ausgabe Nr. 4 – Dezember 2015 7 Schwerpunkt Rechtliche Fortschritte, praktische Risiken Die besondere Verletzlichkeit geschlechtsspezifischer Asylgesuche Janna Wessels Auch wenn geschlechtsspezifische Fluchtursachen, wie häusliche und sexuelle Gewalt, Zwangsheirat und Genitalverstümmelung, rechtlich anerkannt sind, gibt es in der praktischen Umsetzung noch viele Hürden. In den Asylverfahren fehlt es an Geschlechtersensibilität und entsprechenden Bedingungen, die den Antragstellerinnen ermöglicht, in einem geschützten Rahmen ihre Fluchtgründe glaubwürdig vorzubringen. Einer iranischen Frau, die kürzlich in den USA Asyl suchte, drohten in ihrem Heimatland 74 Peitschenhiebe. Sie hatte in kurzen Hosen in einem See gebadet, was gegen geschlechtsspezifische Kleidungsregeln verstieß. Ihr Asylgesuch stützte sie aber zunächst auf ihre Zugehörigkeit zu einer ethnischen und religiösen Minderheit, denn: „Man sagt nicht, dass man wegen Hosen sein Land verlassen hat, weil das kein guter Grund ist als Flüchtling zu kommen.“ Flüchtlingsrecht zunächst männlich und politisch orientiert „Geschlecht“ findet sich hier zunächst nicht als Fluchtgrund wieder. Die Flüchtlingsdefinition wurde 1951 vor dem Hintergrund des männlichen politischen Dissidenten entworfen, der für seine Opposition vom eigenen Staat verfolgt wurde. In diesem Sinne war das Konzept des Flüchtlings stark an öffentlichen Akteuren ausgerichtet: Verfolgung im privaten Kontext wurde als jenseits des Geltungsbereichs der GFK begriffen. Verfolgung aufgrund von Geschlecht, sexueller Orienteriung oder Geschlechtsidentität gründen sich aber zumeist auf der Nichteinhaltung streng definierter Geschlechterrollen und -normen. Es geht um Fälle wie Zwangsheirat, Genitalverstümmelung, häusliche und sexuelle Gewalt, und die Täter sind häufig Familienmitglieder oder andere „private“ Akteure. Erweiterung um geschlechtsspezifische Fluchtgründe Seit den 1980er Jahren wurde deshalb zunehmend kritisiert, dass geschlechtsspezifische Die Antragstellerin war der Auffassung, dass ihr Sachverhalte in der Auslegung der Flüchtlingstatsächlicher – geschlechtsspezifischer – Fluchtdefinition nicht ausreichend abgebildet werden. grund nicht ausreiche, um Flüchtlingsschutz zu Die Konzeption einiger grundlegender Begriffe begründen. Obwohl sie nicht der Auslöser ihrer Flucht waren, erschienen ihr andere Gründe (ihre – etwa Verfolgung oder Fluchtgründe – musste neu gefasst werden. Der Fluchtgrund „bestimmte Ethnie und Religion) angemessener oder berechtigter. Obwohl sich das internationale Flüchtlings- soziale Gruppe“ wird heute so ausgelegt, dass recht in den letzten Jahren stark weiter entwickelt er auch „Frauen“ oder „sexuelle Orientierung“ umfasst. Und Verfolgung im Sinne der GFK liegt hat, liegt sie in ihrer Annahme zunächst nicht nun auch dann vor, wenn der Staat nicht willens ganz falsch. Gemäß Artikel 1A(2) der Genfer oder in der Lage ist die Betroffenen vor ihren Flüchtlingskonvention (GFK): privaten Verfolgern (etwa Ehemännern, Brüdern „ ... findet der Ausdruck „Flüchtling“ auf jede oder Vätern) zu schützen. Person Anwendung, die ... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Auf diese Weise haben geschlechtsspezifische Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer Fälle viele der wichtigsten Entwicklungen im bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer Flüchtlingsrecht angestoßen und die internatiopolitischen Überzeugung sich außerhalb des nalen rechtlichen Auslegungsstandards für das Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit weltweite Verständnis von den Rechtsbegriffen sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht „bestimmte soziale Gruppe“, „Verfolgung“ und in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser „staatlichem Schutz“ bestimmt. Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will.“ 8 DGB Frau geht vor Janna Wessels promoviert zu Gender im internationalen Flüchtlingsrecht an der University of Technology Sydney und Vrije Universiteit Amsterdam. www.uts.edu.au In vielerlei Hinsicht ist die Geschichte von Geschlecht und Flüchtlingsrecht daher die eines erfolgreichen feministischen Engagements. Höhere und höchste Instanzen wie der Europäische Gerichtshof, das Bunderverwaltungsgericht und auch einige Verwaltungsgerichte haben die beschriebenen rechtlichen Veränderungen angestoßen und entsprechende Entscheidungen hervorgebracht. Dilemma liegt in der praktischen Umsetzung Fraglich ist jedoch, inwiefern sich diese Rechtsprechung bis in die niedrigsten Instanzen fortsetzt. Denn die qualitiative Analyse von geschlechtsspezifischen Asylentscheidungen zeigt, dass in der Entscheidungspraxis – also in der Rechtsanwendung – noch einige Hürden fortbestehen. Zum Beispiel werden Antragstellerinnen häufig als „Opfer“ dargestellt. Die Entscheiderinnen begreifen sie als schwach und vulnerabel – und deswegen schutzwürdig. Viele geschlechtsspezifische Fluchtgründe entstehen aber durch durch eine aktive Normübertretung der Antragstellerin: etwa, weil sie Sex außerhalb der Ehe hat, weil sie sich gegen ihre Zwangsverheiratung wehrt oder weil sie arbeiten gehen will. Daraus entsteht ein feministisch altbekanntes Dilemma: Warum sollen wir sie schützen wenn sie sich durch ihr Verhalten selbst in diese Lage gebracht hat? Ein anderes Dilemma ergibt sich aus der Exotisierung der Verfolgungshandlungen. Genitalverstümmelung oder Zwangsheirat, die von den EntscheiderInnen als „exotisch“ und kulturell fern verstanden werden, treffen im Asylverfahren deutlich häufiger auf Anerkennung als Fälle von häuslicher oder sexueller Gewalt, die in den Aufnahmestaaten ebenso anzutreffen sind: Die „Normalisierung“ solcher Gewalt führt zu Fragen wie: Wieso soll sie Asyl für etwas erhalten dem meine Nachbarin auch regelmäßig ausgesetzt ist? Hürden im Asylverfahren sind schwer nachzuweisen Das Ausmaß dieser qualitativen Hürden in geschlechtsspezifischen Verfahren ist dabei allerdings schwer zu beziffern. In veröffentlichten Urteilen aus den Berufungsverfahren zeigt sich immer wieder, dass insbesondere die ersten, administrativen Entscheidungen vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) oft wenig sensibel für geschlechtsspezifische Aspekte sind. Leider sind die Entscheidungen des BAMF aber nicht öffentlich. Man weiß also viel zu wenig um begründete Aussagen über geschlechtsspezifische Asylverfahren machen zu können. Untersuchungen aus Großbritannien und Australien scheinen allerdings eine mangelnde Geschlechtersensibilität der unteren Verwaltungsinstanzen zu bestätigen: Überdurchschnittlich häufig werden in diesen Ländern negative Asylbescheide von Frauen im gerichtlichen Verfahren aufgehoben und den Frauen Asyl zuerkannt. Bewusstseinswandel notwendig Da geschlechtsspezifische Anliegen im Flüchtlingsrecht offiziell anerkannt sind, kann es nicht mehr um rechtliche Einbindung gehen. Es genügt nicht mehr, auf das Gesetz zu verweisen und zu sagen: „Das ist das Problem“. Tatsächlich greift die Herausforderung viel tiefer: Einem rechtlichen Wandel muss immer ein Bewusstseinswandel folgen. Es geht um sinnvollere, kompliziertere, substanziellere Analysen im Asylverfahren. Asylverfahren müssen die besonderen Bedingungen berücksichtigen Um das zu erreichen, müssen die Voraussetzungen für die Asylverfahren stimmen: Es müssen Bedingungen geschaffen werden, unter denen das Vorbringen der Antragstellerin angemessen gewürdigt werden kann. Das gilt selbstverständlich für alle Asylverfahren, aber bei geschlechtsspezifischen Verfahren ist dies von ganz besonderer Bedeutung. Denn zentrale Voraussetzung für die Zuerkennung von Schutz ist die Glaubwürdigkeit der Antragstellerin, die aus ihrem Auftreten und der Kohärenz und Plausibilität ihres Vorbringens geschlossen wird. Die Hürde kann hoch sein, inbesondere für Antragstellerinnen die aus diktatorischen Regimen kommen, traumatisiert sind. In den allermeisten Fällen muss außerdem gedolmetscht werden. Daraus ergeben sich vielfältige Schwierigkeiten: eine tiefsitzende Angst vor Amtspersonen, Hemmungen bzw. Scham sich gegenüber „Offiziellen“ zu öffnen, besonders wenn Entscheider und Dolmetscher Männer sind, oder die Anwesenheit von Familienangehörigen – insbesondere Kindern – bei der Anhörung, sowie die Gefahr einer Retraumatisierung durch das Vorbringen der Erfahrungen. In vielen Fällen tragen Frauen aus diesen Gründen (wenn überhaupt) erst in der zweiten oder dritten Anhörung – oder im Berufungsverfahren Ausgabe Nr. 4 – Dezember 2015 9 – ihren eigentlichen Fluchtgrund vor, und zwar dann, wenn sie Vertrauen gefasst oder sich die Bedingungen verändert haben, wie im eingangs beschriebenen Fall der Iranerin. Das wiederum kann den Frauen zum Verhängnis werden, weil ihnen die Vorspiegelung falscher Tatsachen oder die nachträgliche Änderung ihres Vorbringens vorgeworfen wird. Insgesamt heißt das, dass die Gestaltung des Asylverfahrens einen realen Einfluss auf das Ergebnis des Asylantrags haben kann. Zeitdruck gefährdet Prüfung geschlechtsspezifischer Fluchtgründe Für eine ordnungsgemäße Prüfung geschlechtsspezifischer Fluchtgründe kommt der Gestaltung des Asylverfahrens daher eine zentrale Bedeutung zu. Angesichts der aktuellen Beschleunigungen bzw.Verkürzung der Asylverfahren ist die Sorge berechtigt, dass dies nicht mehr gewährleistet wird: Die Beamten haben hohen Zeitdruck, die Verfahren sollen immer schneller und billiger werden. Daraus ergibt sich für die Zukunft ein besonderes Risiko, dass geschlechtsspezifische Fälle nicht angemessen geprüft werden – trotz der feministischen Erfolge im Flüchtlingsrecht. Gender in Refugee Law. From the Margins to the Centre. Geschlechtsspezifische Fragen haben in den letzten Jahrzehnten einen starken Einfluss auf die Entwicklung des internationalen Flüchtlingsrechts gehabt. Dieses Buch zeichnet die Schritte in Richtung einer angemessenen Anerkennung geschlechtsspezifischer Verfolgung im Flüchtlingsrecht nach. Es dokumentiert die Fortschritte durch intensive Lobbyarbeit auf der ganzen Welt in den 1990er Jahren, und bewertet, inwieweit Geschlechtsfragen erfolgreich ins Flüchtlingsrecht integriert wurden. Der Band thematisiert geschlechtsspezifische Verfolgung von Frauen und Männern, einschließlich derjenigen aufgrund von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität, und untersucht, wie die Entwicklung einer Anti-Flüchtlings-Agenda in vielen westlichen Staaten die Verletzlichkeit für Flüchtlinge mit geschlechtsspezifischen Ansprüchen exponentiell erhöht. Der Band enthält Beiträge von Wissenschaftlerinnen und Interessenvertrerinnen zu konzeptionellen und dogmatischen Themen an der Kreuzung zwischen Geschlecht und Flüchtlingsrecht, sowie spezifische Fallstudien über große westliche Flüchtlingsaufnahmeländer. Efrat Arbel, Catherine Dauvergne and Jenni Millbank (Hg.), Gender in Refugee Law. From the Margins to the Centre, Routledge, Abingdon and New York, 2014, 295 Seiten, ISBN 978-0-41583942-6 (hbk), 978-0-203-77145-7 (ebk) 10 DGB Frau geht vor Frauenspezifische Fluchtursachen bewusst machen, weibliche Flüchtlinge unterstützen! Resolution des DGB-Bundesfrauenausschuss vom 29. September 2015 Weltweit sind fast 60 Millionen Menschen auf der Flucht vor Armut, Hunger, Krieg und Unterdrückung. Die steigende Zahl der Flüchtlinge stellt auch Deutschland vor große Herausforderungen: Bis zu 800.000 Menschen werden in diesem Jahr in Deutschland Schutz suchen. Die meisten von ihnen sind (junge) Männer. Auch viele Frauen fliehen trotz größerer Hürden aus ihrer Heimat, die Ursachen dafür sind meist dieselben wie bei Männern. Doch auch geschlechtsspezifische Gründe treiben Frauen in die Flucht: häusliche Gewalt, Genitalverstümmelung, Zwangsverheiratungen, Ehrenmorde oder Vergewaltigungen im Rahmen von Bürgerkriegen oder anderen Konflikten. Nach der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 sind solche Fluchtursachen als Verfolgungsgründe anerkannt. Seit dem Zuwanderungsgesetz von 2005 führt auch in Deutschland solche nichtstaatliche und geschlechtsspezifische Verfolgung zu einem Schutzanspruch. Doch da sie in vielen Fällen im Privaten stattfindet (und der Heimatstaat dagegen nichts unternimmt) ist der Nachweis der Verfolgung nur schwer zu erbringen. Und: Für Frauen ist die Flucht unter menschenunwürdigen Umständen oft noch beschwerlicher als für Männer. Oftmals sind sie von sexuellen Übergriffen und gemeinsam mit ihren Kindern unterwegs von Gewalt bedroht. Weil die Flucht von Frauen aufgrund ihres gesellschaftlichen Status von besonderen Belastungen geprägt ist und sie nach der Ankunft in Deutschland vor besonderen Herausforderungen stehen, ist die Beachtung der Geschlechterperspektive beim Umgang mit Flüchtlingen von großer Bedeutung und darf – trotz der enormen Anstrengungen von Staat und Zivilgesellschaft für ihre Aufnahme – nicht vernachlässigt werden. Daher fordern die Frauen im DGB: - Frauenspezifische Fluchtursachen müssen bei dem Umgang mit weiblichen Flüchtlingen beachtet werden. Sie sind bei der Unterbringung, Betreuung und Unterstützung dieser Frauen in besonderem Maße zu berücksichtigen, durch die Bereitstellung von Rückzugsräumen und Sprachmittlerinnen, die Anwendung von Konzepten der Gewaltprävention, flächendeckende Angebote zur physischen und psychischen Gesundheitsvorsorge u.v.a.m. - Bei der Integration von geflüchteten Frauen ist zu beachten, ob sie in ihrem Heimatland in ihrer Lebensführung Restriktionen unterworfen waren, wie sie die in der deutschen Gesellschaft oft selbstverständlichen Freiräume für sich nutzen können und auf welche Weise den Frauen eine angstfreie Überwindung „innerer Grenzen“ erleichtert werden kann. Sprachkurse für Frauen und eine angemessene Kinderbetreuung können dazu einen wichtigen Beitrag leisten. - Bei der Bearbeitung von Asylanträgen ist die Geschlechtsperspektive einzubeziehen, im Asylverfahren sind auch Sprachmittlerinnen einzusetzen. Zu prüfen ist, ob bundesweit gültige Kontingente für Flüchtlingsfrauen und ihre Kinder aus bestimmten Regionen einzurichten sind. - Auch bei der Integration geflüchteter Frauen in den Arbeitsmarkt muss der Schutz vor prekärer Beschäftigung gewährleistet sein; Ziel ist eine nachhaltige und hochwertige Beschäftigung. Beim Zugang zum Arbeitsmarkt sind frauenspezifische Hürden abzubauen durch spezielle Angebote zur Sprachförderung sowie zur beruflichen Beratung und Bildung. Die Anerkennung von Abschlüssen ist zu vereinfachen, die Erfassung vorhandener Kompetenzen und Potentiale zu beschleunigen. Zudem müssen die Beratungs- und Vermittlungsangebote der Arbeitsverwaltungen und Jobcenter für geflüchtete Frauen ausgebaut und Schnittstellenprobleme beim Übergang von SGB III ins SGB II reduziert werden. Dazu bedarf es einer Aufstockung der Mittel für Eingliederung und Personal in beiden Rechtskreisen, insbesondere im steuerfinanzierten Hartz-IV-System. Ausgabe Nr. 4 – Dezember 2015 11 Schwerpunkt Unzumutbare Zustände in Unterkünften Asylbeschleunigungsgesetz setzt auf Abschreckung Fragen an Shewanesh Sium Weibliche Flüchtlinge sind auch in Deutschland auf besonderen Schutz angewiesen. Um die Rechte von geflüchteten Frauen kümmert sich die Informations- und Beratungsstelle für Migrantinnen und Flüchtlingsfrauen (agisra e.V.) in Köln. Mitarbeiterin Shewanesh Sium berichtet aus der Praxis. Wie hat die wachsende Zahl der Flüchtlinge ihre Arbeit verändert? Welches sind die vorherrschenden oder dringendsten Themen momentan? Schon seit rund eineinhalb Jahren kommen vermehrt Flüchtlingsfrauen zu uns. Die Beratungsanfragen sind stark gestiegen. Auch haben sich in den vergangenen Monaten die Beratungsinhalte verändert. Früher kamen die Frauen meist nach der Anhörung zu uns. Heute kommen viele Frauen gleich aus den Erstaufnahmestellen. Sie haben in der Regel keine Informationen über das Asylverfahren bekommen und sind großer Unsicherheit ausgesetzt. Sie benötigen sowohl Informationen über die bevorstehende Anhörung zu ihren Fluchtgründen als auch Unterstützung bei der Bewältigung des Alltags. Diese Beratung findet bei uns muttersprachlich statt. Durch mehrmalige Treffen versuchen wir eine Vertrauensbasis aufzubauen, sodass die Frauen über ihre Erlebnisse im Herkunftsland oder auf der Flucht berichten und dies zum Beispiel auch vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) darstellen können. Und dann geht es auch um existenziell praktische Themen, wie die Unterbringung, die Suche nach einem Arzt, die Regelung des Schulbesuchs oder die Betreuung kleinerer Kinder. Aber auch der Schutz vor Gewalt und sexuellem Missbrauch, vor häuslicher Gewalt und Vergewaltigung sind dringliche Themen. 12 DGB Frau geht vor Wird man den besonderen Bedürfnisse von Frauen z. B. bei der Unterbringung, der Betreuung von Kindern gerecht? Woran fehlt es? Leider nicht! Die Situation in den Flüchtlingsunterkünften ist für Frauen oftmals unzumutbar. Viele von ihnen sind traumatisiert, Opfer von sexueller Gewalt und werden nun in Sammelunterkünften mit Männern auf engstem Raum zusammengepfercht. Es gibt Frauen, die sich nachts nicht allein auf die Toilette trauen und Fälle von versuchten Vergewaltigungen sind uns bekannt. Da brauchen wir dringend andere, sichere Orte, am besten abgeschlossene Wohneinheiten oder abschließbare Zimmer, separate Sanitär- oder Duschräume und geschützte Gemeinschaftsräume. Genauso wichtig ist aber auch geschultes Personal, damit Frauen nicht erneut Opfer von Gewalt werden. In den Flüchtlingseinrichtungen müsste es zum Beispiel Gewaltschutzkonzepte geben, um schon präventiv wirken und bei geschlechtsspezifischer Gewalt intervenieren zu können. Welche Maßnahmen sind zwingend notwendig – kurzfristig, aber auch langfristig – damit die Integration von Flüchtlingsfrauen und Migrantinnen besser gelingen kann? Auf jeden Fall muss die Unterbringungssituation entschärft werden! Dann brauchen wir mehr Sprachkurse, speziell für Frauen und mit Kinderbetreuung. Da gibt es eine große Lücke! Frauen müssen „empowert“ werden, damit sie selbst ihr Leben in die Hand nehmen können, eine Arbeit finden oder weiterqualifiziert werden können, auch da mangelt es an Möglichkeiten. Die Frauen, die nach Deutschland kommen, sind meist zu Beginn noch sehr motiviert und haben Energie. Die vielen Hürden im Verlauf eines Asylverfahrens, welche mit dem neuen Asylbeschleunigungsgesetz noch erhöht worden sind, wie Verlängerung der Arbeitsverbote, längerer Verbleib in den Erstaufnahmeeinrichtungen, etc. und die damit verbundene Shewanesh Sium ist Diplom Pädagogin und arbeitet bei der Informations- und Beratungsstelle für Migrantinnen und Flüchtlingsfrauen (agisra e.V.) in Köln. www.agisra.org Belastung im Alltag besonders für alleinerziehende Frauen, führen dazu, dass die Frauen ihre Kraft innerhalb von wenigen Monaten verlieren. Auch für die Kinder bedeutet das neue Asylbeschleunigungsgesetz, dass sie bis zu sechs Monate in den Erstaufnahmeeinrichtungen nicht unter die Schulpflicht fallen. Das neue Asylbeschleunigungsgesetz setzt somit wieder auf Abschreckung statt auf Integration. Die Arbeitsgemeinschaft gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeutung e.V. (agisra e.V.) ist eine Informations-, Bildungsund Beratungsstelle in Köln, die sich für die Rechte von Migrantinnen und Flüchtlingsfrauen einsetzt. Seit 1993 arbeitet ein transkulturelles Team zu folgenden Schwerpunkten: · Beratung, Therapie und Unterstützung von Migrantinnen, Flüchtlingsfrauen, Jüdinnen und schwarze Frauen, insbesondere Frauen, die sich in Gewaltverhältnissen befinden. · Informations- und Bildungsarbeit zu Rassismus, Sexismus und anderen Ausbeutungsverhältnissen, denen Frauen immer wieder ausgesetzt sind. · Stärkung und Unterstützung der Selbstorganisation von Migrantinnen, schwarzen Frauen, Jüdinnen und Flüchtlingsfrauen und die Zusammenarbeit bzw. Vernetzung mit anderen Gruppen in der Selbstorganisation. agisra bietet Beratung in amharischer, bulgarischer, deutscher, englischer, koreanischer, persischer, polnischer und spanischer Sprache sowie in Tigrinya an. Was fordern Sie von der Politik, um die Rechte von geflüchteten Frauen zu stärken? Zum einen muss die EU-Aufnahmerichtlinie, die besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen, wie Frauen und Kindern, Unterstützung und Sicherheit zusagt, endlich umgesetzt werden. Das gilt für die Unterbringung und den Schutz vor jeglicher Form von Gewalt. Ganz problematisch ist die Situation für Frauen aus angeblich „sicheren Herkunftsstaaten“, denn sie haben durch das Asylbeschleunigungsgesetz gar nicht mehr die Chance, die Erstaufnahmeeinrichtung zu verlassen. Sie werden nicht entsprechend beraten und geschlechtsspezifische Fluchtursachen nicht anerkannt. Dabei gibt es in diesen Ländern, wie zum Beispiel im Kosovo, keinen entsprechenden Schutz für die Frauen. Darüber hinaus brauchen wir eine Klarstellung des Gesetzgebers, was die so genannte Residenzpflicht angeht. Es kann nicht sein, dass eine Asylbewerberin, die im akuten Ernstfall vor Gewalt flieht, mit juristischen Sanktionen rechnen muss. Auch muss die Finanzierung eines Aufenthaltes in einem Frauenhaus geklärt werden, das kann nicht der Entscheidung der einzelnen Behörde überlassen bleiben. Da braucht auch die Polizei mehr Rechtssicherheit, wie sie bei einer konkreten Gefahrenlage handeln kann. Die Fragen stellte Britta Jagusch. EU-Aufnahmerichtlinie Art. 21 EU-Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU bestimmt, dass die Mitgliedstaaten die spezielle Situation von schutzbedürftigen Personen – wie Minderjährige, unbegleitete Minderjährige, Behinderte, ältere Menschen, Schwangere, Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern, Opfer des Menschenhandels, Personen mit schweren körperlichen Erkrankungen, Personen mit psychischen Störungen und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben, wie z.B. Opfer der Verstümmelung weiblicher Genitalien – zu berücksichtigen haben. So sollen die Mitgliedstaaten Antragstellern mit besonderen Bedürfnissen bei der Aufnahme die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe, einschließlich erforderlichenfalls einer geeigneten psychologischen Betreuung gewähren. Zur Gewährleistung dieser Berücksichtigung haben die Mitgliedstaaten nach Art. 22 bei der Aufnahme eines Antragstellers oder einer Antragstellerin zu beurteilen, ob jener/jene besondere Bedürfnisse hat und welcher Art diese Bedürfnisse sind. Die Richtlinie 2013/33/EU trat am 19. Juli 2013 in Kraft. Die Mitgliedstaaten hatten bis 20. Juli 2015 Zeit, diese in nationales Recht umzusetzen. Dies ist in Deutschland nur unzureichend geschehen, Deutschland wurde von der EU-Kommission gerügt. Ausgabe Nr. 4 – Dezember 2015 13 DGB Beschluss Flüchtlingspolitik gerecht und solidarisch gestalten, gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern Beschluss des DGB-Bundesvorstandes vom 02. Dezember 2015 in Auszügen Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften, stellen sich den Herausforderungen, die mit der wachsenden Zahl geflüchteter Menschen in Deutschland verbunden sind. Wir sind überzeugt, dass diese Herausforderungen von Bund, Ländern und Kommunen sowie von Wirtschaft, Gewerkschaften, Kirchen und Religionsgemeinschaften sowie der gesamten Zivilgesellschaft gemeinsam bewältigt werden können. Für parteipolitische Auseinandersetzungen darf die Flüchtlingspolitik nicht missbraucht werden. Wir setzen uns gemeinsam mit den Betriebs-und Personalräten für ein friedliches und solidarisches Zusammenleben und Arbeiten ein. Wir stellen uns allen Versuchen entgegen, Schutzrechte für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern abzubauen. In den Medien werden insbesondere nach den Anschlägen in Paris Zusammenhänge zwischen innerer Sicherheit und der Aufnahme von Flüchtlingen aus Bürgerkriegsgebieten hergestellt und sie als Gefahr für die innere Sicherheit bezeichnet. Dabei fliehen gerade Menschen aus Syrien und dem Irak vor dem islamistischen Terror. Die Stigmatisierung von Geflüchteten ist Wasser auf die Mühlen der extremen Rechten für die Verbreitung einer menschenfeindlichen Ideologie, die zunehmend in weitere Kreise der Gesellschaft ausstrahlt. Geflüchtete dürfen in Deutschland nicht ähnliches Leid, Anfeindungen und Angriffe erleben, wie im Herkunftsland oder auf der Flucht. Angriffe auf Flüchtlingseinrichtungen, auf Polizeibeamtinnen und -beamte oder Helferinnen und Helfer dürfen nicht toleriert sondern müssen entschieden strafrechtlich verfolgt werden. Anschläge auf bewohnte Einrichtungen sind Mordversuche. Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften engagieren sich gegen Rassismus und Rechtsextremismus und setzen sich für Chancengleichheit ein. Seit vielen Jahren kritisieren die Gewerkschaften, Verbraucher-, Mieter-und Sozialverbände, dass der falsch angelegte Versuch, die öffentlichen Haushalte allein durch Ausgabenkürzungen zu sanieren, zu immer größeren Defiziten im Wohnungsbau, in der Bildung, der Gesundheitsversorgung und der Infrastruktur führt. An dieser Situation ist nicht die steigende Zahl von Flüchtlingen schuld, sondern die Defizite treten jetzt nur deutlicher zutage. Aus diesen Grundpositionen folgt: 1. Die mit der Aufnahme von Flüchtlingen verbundenen Chancen und Herausforderungen müssen deutlich herausgestellt werden. Ihre Integration muss als Zukunftsinvestition begriffen werden, die nicht zu Lasten anderer Maßnahmen gehen darf. Die Behebung struktureller Defizite in Wohnungsbau, Bildung, Gesundheit und Infrastruktur hilft allen Bürgerinnen und Bürgern. Die Eingliederung von Flüchtlingen ist kein Grund für weitere Ausnahmen vom Mindestlohn. Der DGB ist überzeugt, dass bewährte Programme des sozialen und der öffentlich finanzierten Wohnungsbau massiv ausgebaut werden müssen, damit ausreichend bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden kann. Erforderlich ist auch ein Ausbau der öffentlichen Infrastruktur. Generell gilt: Die Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit, von prekären Beschäftigungsverhältnissen und Altersarmut müssen verstärkt werden. Die dafür notwendigen finanziellen Mittel erfordern eine Abkehr von dem dogmatischen Festhalten an der „Schwarzen Null“. 2. Die Auswirkungen des Flüchtlingszuzugs wurden lange unterschätzt. Die Bewältigung der massiv angestiegenen Einreisezahlen erfordert funktionierende Verwaltungsstrukturen in allen Bereichen des öffentlichen Dienstes. Das gilt für die Polizei genauso wie für Behörden und Einrichtungen sowie Hilfsorganisationen, die mit der Aufnahme, Versorgung und Integration von Geflüchteten betraut sind. Die bisherigen Leistungen von Haupt-und Ehrenamtlichen, teilweise bis weit über die Belastungsgrenzen hinweg, verdienen unser aller Respekt. Der DGB fordert eine schnelle und deutliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den betroffenen Dienststellen und den helfenden Trägerorganisationen. Neben zusätzlichen unbefristeten Einstellungen und mehr Ausbildung bedarf es einer verstärkten Einstellung von Menschen mit Migrationshintergrund. Beim Einsatz von Beschäftigten muss das Prinzip der Freiwilligkeit ohne Zwangsversetzungen bzw. Zwangsabordnung gelten und eine effektive Einarbeitung und die Einhaltung der Grundsätze zum Gesundheits-und Arbeitsschutz gewährleistet werden. 3. Eine sich ändernde Gesellschaft und Einwanderungsgesellschaft braucht Bildung. Geflüchtete bringen unterschiedliche Bildungsbiographien, Kompetenzen und Qualifikationen mit. Nicht nur für ihre Eingliederung ist ein weiterer Ausbau von Bildung, Aus-und Weiterbildung sowie und 14 DGB Frau geht vor Beschäftigung notwendig. Zusätzlich bedarf es einer erweiterten Förderung, auch für Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien oder in strukturschwachen Regionen. Der rechtliche Zugang von Geflüchteten zu Ausbildung und Beschäftigung ist vom jeweiligen Status abhängig. Der DGB fordert einen gleichrangigen Zugang zu Bildung, Berufsausbildung und zu den Förderinstrumenten für alle Jugendlichen unabhängig vom aufenthaltsrechtlichen Status oder Herkunftsland. Gefordert sind ein möglichst früher Zugang zu Bildung und Beschäftigung. Verwaltungen und Betriebe sowie die Betriebsund Personalräte müssen besser über die Zugangsmöglichkeiten und die Förderinstrumente informiert werden. 4. Schnellere und faire Asylverfahren für alle Geflüchteten führen zur Klarheit über den weiteren Aufenthalt und sind wesentliche Voraussetzungen für die Eingliederung in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt. Der DGB ist überzeugt, dass in einem fairen Asylverfahren weiterhin die individuellen Fluchtgründe geprüft werden müssen statt Entscheidungen nur nach den Herkunftsländern zu treffen. Er fordert zudem, die begonnenen Anstrengungen zur Vereinheitlichung der Registrierungsund Asylentscheidungsabläufe sowie zum Datenaustausch mit Nachdruck zu verstärken. 5. Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften unterstützen Nothilfemaßnahmen und vor allem auch die Eingliederung in Ausbildung, Arbeit und Gesellschaft. Betriebs-und Personalräte leisten dazu einen wesentlichen Beitrag. Auch bestehende tarifliche Vereinbarungen können zur Integration von Flüchtlingen genutzt werden. Der DGB und die Gewerkschaften setzen sich ein für gute Ausbildung und Arbeit. Sie bekämpfen Ungleichbehandlung und Ausbeutung und setzen sich für soziale Rechte und Standards ein. Dazu gehört auch, Flüchtlinge über ihre Rechte als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu informieren. Dies enthebt den Staat nicht von der Aufgabe, selbst solche Informationsangebote bereitzustellen und für die Vermittlung solcher Basisinformationen in den Sprach-und Integrationskursen zu sorgen. Gewerkschaften leisten seit jeher einen aktiven Beitrag zur Integration und fördern die Gleichstellung aller Menschen unabhängig von der ethnischen Herkunft. 6. Die Europäische Union hat eine gemeinsame Verantwortung für den Schutz von Flüchtlingen, für eine menschenwürdige Unterbringung und Versorgung sowie für die ökonomische und gesellschaftliche Eingliederung. Der DGB fordert ein solidarisches europäisches System zur Aufnahme und Integration von Flüchtlingen. Dazu gehört auch, sichere und legale Möglichkeiten zu schaffen, in der EU einen Antrag auf Schutzgewährung zu stellen. Die EU-Mitgliedstaaten, die in besonderem Maße Verantwortung übernehmen, müssen eine besondere Unterstützung erhalten, ggf. auch zu Lasten derjenigen, die ihrer Verantwortung nicht in ausrei chendem Maße nachkommen. 7. Kriege, Bürgerkriege, Verfolgung und Vertreibung zwingen viele Menschen ihre Heimat zu verlassen. Es braucht konkrete Maßnahmen zur Beseitigung der Fluchtursachen und Perspektiven für Geflüchtete in den Nachbarländern. Der DGB fordert die Arbeit des UNHCR auszuweiten, denn es leistet international anerkannte Arbeit zur Prävention und zur Linderung von Flüchtlingskrisen. Die EU, aber auch Deutschland, können mehr Mittel zur Verfügung stellen, als sie es bisher tun. Die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten sind aufgerufen diplomatische Initiativen zu ergreifen, um Kriege und Bürgerkriege zu beenden. 8. Menschen verlassen ihre Heimat auch wegen sozialem Elend und Perspektivlosigkeit. Wenn sie in Deutschland keinen Asylrechtsanspruch und keine dauerhafte Bleibeperspektive haben, müssen sie trotzdem menschenwürdig behandelt werden. Die Verfahren zur Ausreise, Rückführung und die Wiederaufnahme in den Herkunftsländern sind menschenrechtskonform zu gestalten. Parallel zum Asylrecht bedarf es legaler Einreis möglichkeiten für Erwerbstätige und Arbeitssuchende, orientiert an der langfristigen Arbeitsmarktentwicklung. Der DGB ist überzeugt, dass Neuregelungen bei der Erwerbstätigenzuwanderung erforderlich sind. Diese müssen sich an den langfristigen Entwicklungen und der Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes orientieren. Berücksichtigt werden muss dabei, dass aufgenommene Flüchtlinge zum inländischen Arbeitsmarkt gehören. Ein neues Einwanderungsrecht muss einfacher gestaltet werden und die Arbeitnehmerrechte sichern. Ausgabe Nr. 4 – Dezember 2015 15 Schwerpunkt Flüchtlingsfrauen fernab von Europa Gefahren und Chancen in Fluchtsituationen Von Ulrike Krause Aktuell ist das Flüchtlingsthema in aller Munde, wobei in deutschen Medien fast ausschließlich von Flüchtlingen in Europa berichtet wird. Globale Entwicklungen und geschlechterspezifische Fluchterfahrungen bleiben indes vernachlässigt. Dies ist verwunderlich, da rund die Hälfte aller Fliehenden Frauen sind. Doch vor welchen Herausforderungen stehen Flüchtlingsfrauen, gerade fernab Europas? Und welche Chancen kann ihnen die Flucht bieten? Mit 86 Prozent befindet sich die überwiegende Mehrheit aller Flüchtlinge in Entwicklungsländern fernab Europas, wo sie häufig in Flüchtlingslagern untergebracht werden.1 Die Bedingungen in Lagern sind oft sehr restriktiv und geprägt von Gefahren.2 In unserem aktuellen Forschungsprojekt „Genderbeziehungen im begrenzten Raum“ untersuchen wir sexuelle und geschlechterbasierte Gewalt gegen Frauen in Flüchtlingslagern mit einer Fallstudie in Uganda. Flüchtlinge, Männer sowie Frauen, berichteten in vielen Gesprächen von dem Gewaltausmaß. Die häufigsten Formen waren Vergewaltigung, häusliche Gewalt, frühe und Zwangsverheiratung sowie geschlechterspezifische Diskriminierung. Letzteres bezieht sich u.a. auf den restriktiven Zugang zu Bildung für Mädchen. Bei einer Umfrage mit 351 Flüchtlingen gab die Mehrheit an, dass häusliche Gewalt regelmäßig oder täglich stattfindet. Ähnliche Bedingungen zeigen sich auch in anderen Flüchtlingssituationen weltweit,3 sodass diese Gewalt in Flüchtlingslagern ein globales Phänomen ist. Korrupte Strukturen und sexueller Missbrauch Und in urbanen Zentren? Wenn Flüchtlinge im Globalen Süden in Städten leben, erhalten sie häufig keine systematische Unterstützung von Hilfsorganisationen. Sie lassen sich selbstständig nieder, wodurch sie zwar ein selbstbestimmteres Leben führen können, aber auch korrupten 16 DGB Frau geht vor Strukturen ausgesetzt sind. Vor allem Frauen arbeiten häufig in informellen Sektoren und sind sexuellem Missbrauch durch Kolleg/innen und Arbeitgeber/innen ausgesetzt. Sie müssen als kommerzielle Sexarbeiterinnen arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, oder sie werden zu sexuellen Gegenleistungen für Nahrung oder Unterkunft gezwungen.4 Traumatische Erlebnisse und die Sorge um Kinder Unabhängig von ihrem Aufenthaltsort müssen Frauen auf der Flucht sowie im Flüchtlingskontext ihre Kinder versorgen. Doch ist der Zugang zu Ressourcen oft schwierig und fehlen schützende soziale Strukturen, da Frauen ohne unterstützende Familienkreise fliehen. Manche Kinder von Flüchtlingsfrauen sind aus Vergewaltigungen entstanden und positive emotionale Beziehungen aufzubauen, ist schwierig. Hinzu kommt, dass sie im Konflikt, auf der Flucht und in Flüchtlingslagern traumatische Erlebnisse erfahren können, die auf sie wirken und den Aufbau von stabilen Bindungen zu ihren Kindern und anderen Personen erschweren.5 Dr. Ulrike Krause ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Konfliktforschung der Philipps-Universität Marburg und arbeitet im Forschungsprojekt „Genderbeziehungen im begrenzten Raum“. Seit 2014 ist sie Mitglied des Organisationskreises des Netzwerks Flüchtlingsforschung. www.uni-marburg.de/ konfliktforschung Dieser Beitrag ist eine überarbeitete Fassung des ursprünglichen Artikels auf dem Flüchtlingsforschungs-Blog. Er ist Teil des Forschungsprojekts „Genderbeziehungen im begrenzten Raum“, das am Zentrum für Konfliktforschung der PhilippsUniversität Marburg durchgeführt und durch die Deutsche Stiftung Friedensforschung unterstützt wird. Dass die Zwangsmigration und das Leben in Lagern und Städten insbesondere für Flüchtlingsfrauen und -mädchen vielfältige Gefahren bergen, ist nicht neu. Auch das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) hebt hervor, dass Frauen und Mädchen schwerwiegenden Herausforderungen in Flüchtlingssituationen ausgesetzt sind.6 Obwohl www.fluechtlingsforschung.net/ fluchtlingsfrauen Schutzmaßnahmen umgesetzt werden, was wir auch in der Feldforschung beobachtet haben, hält die Gewalt an. Chancen der Flucht Nach all dem Wissen über die Gewalt mag der Perspektivwechsel auf die Chancen der Flucht seltsam erscheinen. Allerdings zeigt sich einerseits, dass mit der Flucht ein Ortswechsel verbunden ist, durch den ursprüngliche Rollen und Funktionen von Männern und Frauen oftmals nicht mehr in der herkömmlichen Art ausgeführt werden können, Netzwerk Flüchtlingsforschung ist ein multi-disziplinäres Netzwerk von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen in Deutschland die zu Zwangsmigration, Flucht und Asyl forschen sowie internationaler Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen die diese Themen mit Bezug zu Deutschland untersuchen. www.fluechtlingsforschung.net 2 Krause, U. (2015), ‚A Continuum of Violence? Linking Sexual and Gender-based Violence during Conflict, Flight and Encampment‘, Refugee Survey Quarterly, 24 (4), i.E.. 3 Krause, U. (2015), ‚Zwischen Schutz und Scham? Flüchtlingslager, Gewalt und Geschlechterverhältnisse‘, Peripherie, 35 (138/139), 235-59. 4 Crisp, J. et al. (2012), ‚Displacement in urban areas: new challenges, new partnerships‘, Disasters, 36 Suppl 1, S23-42; Naggujja, Y. et al. (2014), From The Frying Pan to the Fire: Psychosocial Challenges Faced By Vulnerable Refugee Women and Girls in Kampala (RLP); KrauseVilmar, J. (2011), ‚The Living Ain´t Easy. Urban Refugees in Kampala‘, Research. Rethink. Resolve (Women´s Refugee Commission). 5 Karunakara, U. et al. (2004), ‚Traumatic events and symptoms of post-traumatic stress disorder amongst Sudanese nationals, refugees and Ugandans in the West Nile‘, African Health Sciences, 4 (2), 83-93. 6 UNHCR (2008), UNHCR Handbook for the Protection of Women and Girls (UNHCR), S. 39 7 Mulumba, D. (2005), ‚Gender relations, livelihood security and reproductive health among women refugees in Uganda. The case of Sudanese women in Rhino Camp and Kiryandongo Refugee Settlements‘, (Wageningen University). 8 Siddiquee, A./Kagan, C. (2006), ‚The internet, empowerment, and identity: an exploration of participation by refugee women in a Community Internet Project (CIP) in the United Kingdom (UK)‘, Journal of Community & Applied Social Psychology, 16 (3), 189-206. 9 Krause, U. (2014), ‚Analysis of Empowerment of Refugee Women in Camps and Settlements‘, Journal of Internal Displacement, 4 (1), 29-52. Als ich mich mit Empowermentfragen9 beschäftigte zeigte sich zwar, dass Flüchtlingsfrauen den strukturell gleichberechtigten Zugang zu Ressourcen und Dienstleistungen in Lagern positiv erfahren können. Jedoch können die Abhängigkeiten an Hilfsstrukturen limitieren, sodass Eigeninitiative, Eigenverantwortung und Partizipationsmöglichkeiten nötig sind. Zudem wurde deutlich, dass Männer die bevorzugte Behandlung von Frauen als vernachlässigend oder gar ausgrenzend erfahren, was kontraproduktiv ist und zu Gewalt führen kann. Auch ihre Teilnahme ist wichtig! Raum für positive Entwicklungen für Frauen und Männer schaffen Die Flucht birgt nicht nur Gefahren für Flüchtlingsfrauen, sondern – unter fördernden Bedingungen – auch Raum für positive Entwicklungen. Hilfsorganisationen bemühen sich seit Jahren, Projekte zum Schutz und zur Förderung von Frauen umzusetzen, aber viele spezifische „Frauen“-Projekte grenzen Männer aus. Obwohl Frauen und Männer Konflikte, Gewalt, Flucht und das Leben in Flüchtlingslagern oder Städten unterschiedlich erfahren, so sind sie doch miteinander verbunden. Unabhängig davon, ob es um Gewalt gegen Frauen oder ihr Empowerment geht, letztlich bezieht es sich auf die Rolle der Frau, die mit der des Mannes verknüpft ist. Wie diese aufeinander bezogenen Rollen gelebt werden, wirkt sich wiederum auf die Familien- und sozialen Systeme und insbesondere die Kinder aus. Daher können wir die Bedingungen von Frauen nicht losgelöst von denen der Männer betrachtet. Weder in der wissenschaftlichen Analyse noch in Hilfsprojekten. Europäische Gewerkschaften: Solidarität mit Flüchtlingen Auf dem Kongress des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) vom 29. September bis 02. Oktober in Paris diskutierten 700 Delegierte aus 40 Ländern unter anderem über die Situation von Flüchtlingen in Europa und verabschiedeten dazu einstimmig eine Resolution. „Mit ihren 60 Millionen Mitgliedern bleibt die europäische Gewerkschaftsbewegung ein Bollwerk gegen jede Form von Intoleranz und wird sich weiterhin für eine humanitäre Antwort auf diese humanitäre Krise einsetzen“, heißt es in der Entschließung. Fotos: EGB 1 UNHCR (2015), Global Trends 2014: World at War (UNHCR). sodass die Geschlechterverhältnisse neu verhandelt werden. Das bietet Chancen. Andererseits erhalten Frauen den gleichen – oder gar bevorzugten – Zugang zu Dienstleistungen durch die Flüchtlingshilfe, was sie zum Teil als ermächtigend erfahren. Beispielsweite erfahren Flüchtlingsfrauen in Uganda7 den gleichgestellten Zugang zu Land als ermächtigend, da dies ein männliches Privileg in ihrem Herkunftsland war. Sie können nun unabhängig ihrer Ehemännern und Familien über ihr Land entscheiden. Zudem empfinden umgesiedelte Frauen8 den Zugang zu Internet und erweiterten Netzwerken als ermächtigend. www.dgb.de/extra/egb-kongress Die schwedische Bildungsministerin Aida Hadzialic, einst selbst als Flüchtlingskind nach Schweden gekommen, zeigte sich auf dem EGB-Kongress in Paris ebenfalls solidarisch mit Flüchtlingen. Ausgabe Nr. 4 – Dezember 2015 17 Schwerpunkt Herausforderungen bei der Arbeitsmarktintegration Berufliche Integration muss geschlechtsspezifische Besonderheiten berücksichtigen Von Wilhelm Adamy Das Bild der aktuellen Flüchtlingssituation ist überwiegend von männlichen Asylsuchenden geprägt, doch etwa 40 Prozent aller Flüchtlinge in Deutschland sind weiblich. Dieser Anteil kann sich mit dem zu erwartenden Familiennachzug weiter erhöhen. Bei den notwendigen Schritten zur Integration in den Arbeitsmarkt muss daher die spezifische Situation von Frauen dringend berücksichtigt werden. Flüchtlingsfrauen machen sich häufig mit Kindern, auch ohne männliche Begleitung auf den Weg nach Deutschland, teils geflohen vor sexueller oder häuslicher Gewalt, Zwangsverheiratung und mehr. Meist sind sie mit anderen kulturellen und gesellschaftlichen Normen aufgewachsen und vielfach – wie die Männer – von traditionellen Frauen- und Familienbildern geprägt. All dies darf bei den notwendigen Integrationsbemühungen nicht ausgeblendet werden. Erfolgreiche Integrationsmaßnahmen benötigen die Geschlechterperspektive Sprachliche und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen können längerfristig nur dann erfolgreich sein, wenn sie ganzheitlich die bisherigen Lebenserfahrungen einbeziehen und Chancen zu gesellschaftlicher Partizipation in selbstbestimmter und gleichberechtigter Art und Weise eröffnen. Aber auch der Erhalt bzw. die Wiederherstellung der psychosozialen Gesundheit von Frauen mit traumatischen Erfahrungen und ihren Kindern darf nicht vergessen werden. Um geflüchteten Frauen gleiche Chancen zur gesellschaftlichen Integration zu eröffnen wie Männern, müssen sie im gleichen Umfang unter Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Besonderheiten gefördert werden. Nicht zuletzt unterstützt ihre gezielte Förderung auch eine dauerhaft gelingende Integration ihrer Kinder. Doch bei der Umsetzung dieser notwendigen Integrationsbemühungen stehen wir noch vor großen Herausforderungen. 18 DGB Frau geht vor Fehlende Mittel – insbesondere bei der Sprachförderung Die Bundesregierung will zwar eine Willkommenskultur, bleibt aber mit ihren Anstrengungen weit hinter den Notwendigkeiten hierfür zurück. So stellt sie beispielsweise keinesfalls die bedarfsgerechte Mittelausstattung für die Sprachförderung zur Verfügung. Bereits im September 2014 forderte der Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit (BA), dass die Sprachförderung „angesichts der steigenden Zahlen an Flüchtlingen und Asylsuchenden und Zuwanderern aus EU-Staaten ausgebaut und verstetigt werden muss“1. In seinen Empfehlungen vom April 2014 konkretisierte das Mitbestimmungsgremium der BA, dass für das Erlernen der deutschen Sprach zusätzliche Steuermittel von 300 Millionen Euro im Jahr notwendig seien.2 Obwohl der frühzeitigen Sprachkompetenz eine Schlüsselrolle bei der beruflichen und sozialen Integration zukommt, hat der Bund in 2015 keine bedarfsgerechte Mittelausstattung eröffnet. Einmal mehr sprang die Arbeitslosenversicherung ein und finanziert auch die Deutschkurse für Flüchtlinge über Sozialbeiträge, wenn diese Kurse bis zum 31. Dezember 2015 beginnen. Mit dieser „Notfallhilfe“ wollte der BA-Verwaltungsrat schnell und direkt helfen und stellte dafür zusätzliche Beitragsmittel von bis zu 121 Millionen Euro zur Verfügung. Auch für die aktiven Hilfen für Flüchtlinge wurden die Fördermittel in der Arbeitslosenversicherung für 2016 um 350 Millionen Euro erhöht – ohne dass dadurch Nachteile in der Förderung für andere Arbeitsuchende entstehen. Damit können die notwendigen Maßnahmen für Asylbewerber/innen sowie für Geduldete finanziert werden. Damit nimmt die Arbeitslosenversicherung ersatzweise eine wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahr. Unzureichende Eingliederungshilfen gefährden frauenspezifische Maßnahmen Anerkannte Flüchtlinge haben einen uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt und werden nicht von den Arbeitsagenturen betreut, sondern Dr. Wilhelm Adamy ist Abteilungsleiter für Arbeitsmarktpolitik beim Deutschen Gewerkschaftsbund. [email protected] www.dgb.de 1 BA-Presseinfo vom 12.09.2014. 2 BA-Presseinfo 17 vom 24.04.2015 haben Anspruch auf Hartz IV und können arbeitsmarktpolitisch von den Jobcentern gefördert werden. Der Großteil der Flüchtlinge, über deren Asylantrag positiv entschieden ist, wird im HartzIV-System beraten und vermittelt. Mit einem positiven Entscheid des Asylantrages wechselt somit in der Regel auch die Zuständigkeit von der Arbeitsagentur hin zum Jobcenter. Flüchtlinge werden diese bürokratischen Schnittstellen noch viel weniger nachvollziehen können als andere Arbeitslose. Noch problematischer droht zu werden, dass die Zahl der anerkannten Flüchtlinge im Hartz-IVSystem deutlich stärker ansteigen dürfte als der Bund die Eingliederungshilfen in diesem System erhöht. Lediglich 250 Millionen Euro sollen zusätzlich für die Arbeitsförderung im Hartz-IV-System aufgestockt werden, deutlich weniger als im Versicherungssystem. Wie bei der Sprachförderung stellt der Bund auch für die berufliche Integration von Flüchtlingen somit weniger Mittel zur Verfügung als notwendig. Damit droht die finanziell ohnehin schon viel zu kurze Förderdecke weiter zu schrumpfen. Diese finanziell völlig unzureichende Mittelausstattung im Hartz-IV-System könnte schnell frauenspezifische Maßnahmen treffen. Dies gilt es zu verhindern. Berufliche, soziale und gesundheitsfördernde Angebote verbinden Bei der Ausgestaltung frauenspezifischer Maßnahmen zur beruflichen Integration sollten folgende Besonderheiten berücksichtigt werden: Verknüpfung mit sozialflankierenden Leistungen zur Kinderbetreuung sowie die Verknüpfung mit flankierenden Angeboten zum Erhalt bzw. zur Wiederherstellung der psychosozialen Gesundheit von Frauen mit traumatischen Erfahrungen. Diese unterschiedlichen Maßnahmen sollten möglichst aufeinander aufbauen und zu einem stimmigen Konzept zusammengeführt werden. Einzelne Maßnahmen und Initiativen von Bund und Ländern sollten darüber hinaus miteinander verbunden werden. Um die beruflichen Perspektiven von Frauen und Müttern zu stärken, empfiehlt es sich an bestehende Angebote und Programme anzudocken und diese auszubauen und auf die Situation DGB-Stellungnahme zum Gesetzentwurf zur Änderung des Berufsqualifikationsfeststellungsgesetzes (BQFG) und zum Bericht zum Anerkennungsgesetz 2015 unter www.dgb.de/service/ stellungnahmen von Flüchtlingsfrauen zu erweitern. Hierzu bieten sich insbesondere das ESF-Bundesprogramm „Stark im Beruf – Mütter mit Migrationshintergrund steigen ein“ (Seiten 20-21) an sowie das Aktionsprogramm „Perspektive Wiedereinstieg“. Arbeitsmarktpolitsicher Handlungsbedarf für beide Geschlechter Zentralen arbeitsmarktpolitischen Handlungsbedarf gibt es darüber hinaus gleichermaßen für beide Geschlechter in folgenden Bereichen: S prachprogramme sollten bedarfsgerecht ausgebaut und möglichst arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen vorangehen oder zumindest mit arbeitsmarktpolitischen Instrumenten verzahnt werden. nD ie Kenntnisse und Kompetenzen von Flüchtlingen sollten frühzeitig festgestellt werden – möglichst noch in den Erstaufnahmeeinrichtungen. nD ie Vorbereitung auf eine Ausbildung oder Qualifizierung sollte möglichst zügig erfolgen und die Anschlussfähigkeit an die Sprachförderung geprüft werden. nB eim Übergang ins Hartz-IV-System sollte ein Übergabeprozess und eine einheitliche Integrationsstrategie abgestimmt werden. nD ie Arbeitsvermittlung sollte verbessert und Lohndumping muss möglichst verhindert werden. Hierzu zählt auch die konsequente Prüfung der Beschäftigungsbedingungen. nZ wischen Arbeitsagenturen und Jobcentern sollten die Planungen möglichst eng abgestimmt und die Verwaltungsausschüsse in allen Arbeitsagenturen beteiligt werden, in denen DGB-Gewerkschaften ein Drittel der Sitze haben. nD ie Bemühungen zur Förderung und Integration anderer Arbeitslosengruppen dürfen auch nicht vorübergehend reduziert werden. Vielmehr müssen die Weiterbildungsmaßnahmen für Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose gleichfalls ausgebaut werden und einer weiteren Verhärtung der Langzeitarbeitslosigkeit entgegengewirkt werden. n DGB-Stellungnahme zur Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse Das Anerkennungsgesetz für ausländische Berufsabschlüsse ist aus Sicht des DGB ein wichtiger Fortschritt. Allerdings werde noch nicht das „mögliche Potenzial an Anerkennungsinteressierten“ erreicht, heißt es in der Stellungnahme des Gewerkschaftsbunds. Ausgabe Nr. 4 – Dezember 2015 19 Schwerpunkt Stark im Beruf Arbeitsmarktintegration von Migranten/innen Von Frank Meissner Um Menschen eine gute Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen, ist eine schnelle Integration in den Arbeitsmarkt wichtig. Das gilt für Flüchtlinge, wie auch für die schon seit längerem in Deutschland ansässigen Migranten/innen. Ihre Teilhabe am Arbeitsmarkt weist jedoch nach wie vor große Unterschiede auf. Um Müttern mit Migrationshintergrund den Erwerbseinstieg zu erleichtern, hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend das Projekt „Stark im Beruf“ auf den Weg gebracht. Gruppen. Während Migranten/innen aus der EU und vielen Drittstaaten oft höher qualifiziert sind als der Durschnitt der Bundesbürger, sind bei den ehemaligen „Gastarbeitern“ überproportional viele Geringqualifizierte zu finden. Große Hürden und alltägliche Diskriminierungen Migranten/innen sind generell stärker von (unfreiwilliger) Teilzeit, befristeter Beschäftigung und Leiharbeit betroffen als Nichtmigranten/ innen. Darüber hinaus sind Sprachkompetenzen, landesspezifische Kenntnisse und Kontakte zu Einheimischen wichtige Faktoren, die eine Die aktuelle Analyse der „Arbeitsmarktintegration Integration in die Arbeitswelt erleichtern. So von Migranten und Migrantinnen in Deutschland“ ist es zum Beispiel hilfreich zu wissen, wie ein von Jutta Höhne und Karin Schulze Buschoff vom Bewerbungsverfahren verläuft und worauf es dabei ankommt. Auch die Nichtanerkennung von Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut Bildungsabschlüssen und Berufserfahrungen trägt (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung zeigt deutlich: Trotz rechtlicher Verbesserungen kann längst noch dazu bei, dass Migranten/innen in ihren Jobs viel häufiger überqualifiziert sind als Einheimische. nicht von einer gleichberechtigten Teilhabe am Weiter sind Migranten/innen alltäglichen DiskrimiArbeitsmarkt die Rede sein. So ist die Arbeitslonierungen ausgesetzt, die eine gleichberechtigte sigkeit unter den Erwerbstätigen mit MigrationsTeilhabe erschweren. Die Bertelsmann-Stiftung hintergrund mit neun Prozent (Frauen) bzw. zehn hat 2014 festgestellt, dass 60 Prozent der AusbilProzent (Männer) doppelt so hoch wie bei den dungsbetriebe in Deutschland keine AuszubilBeschäftigten ohne Migrationshintergrund. Im denden mit Migrationshintergrund eingestellt Jahr 2013 lebten nach Angaben des Statistischen haben. Vermeintliche Sprachschwierigkeiten und Bundesamtes in Deutschland 16,5 Millionen kulturelle Unterschiede wurden dabei als Gründe Menschen mit Migrationshintergrund. Ein Drittel angeführt. von ihnen ist in Deutschland geboren und zählt zur zweiten Generation. Auch Betriebs- und Personalräte sind gefragt Abhängig von Staatsbürgerschaft Insbesondere für Migranten/innen aus der und Aufenthaltsstatus Türkei und Drittstaaten besteht also dringender Ob die Arbeitsmarktintegration gelingt, hängt Handlungsbedarf. Eine weitere Verbesserung wesentlich von der Staatsbürgerschaft und dem des Arbeitsmarktzugangs, Förderung von Aufenthaltsstatus ab. Aussiedler, EU-Bürger Anpassungsqualifizierung, Maßnahmen gegen und Ausländer mit unbeschränkter Erlaubnis zur Diskriminierung am Arbeitsmarkt und bei Erwerbstätigkeit haben es leichter einen Job zu Einstellungsverfahren können dazu beitragen, finden und eine mittel- und langfristige Perspekdie Situation von Migranten/innen zu verbestive zu entwickeln. Bezogen auf Menschen im erwerbsfähigen Alter stellen Aussiedler (2,2 Mio.), sern. Auch Betriebs- und Personalräte können in Betrieben und Verwalten viel zu Verbesserung Türken/innen (1,6 Mio.) und Menschen aus dem ihrer Situation beitragen. Eine Sensibilisierung ehemaligen Jugoslawien (0,9 Mio.) die größten 20 DGB Frau geht vor Dr. Frank Meissner leitet das Projekt „Vereinbarkeit von Familie und Beruf gestalten!“ beim DGB-Bundesvorstand. www.familie.dgb.de Quelle: Jutta Höhne, Karin Schulze Buschoff (2015): Die Arbeitsmarktintegration von Migranten und Migrantinnen in Deutschland. Ein Überblick nach Herkunftsländern und Generationen, in: WSI-Mitteilungen, Heft 5/2015, S. 345-354 Zeitumfang zu arbeiten. Bis Ende 2018 sollen bundesweit knapp 90 Projekte finanziert werden, die vor Ort Unterstützung anbieten. Im Mittelpunkt stehen hierbei die Beratung und Information von Müttern zu arbeitsmarktrelevanten Fragen und zur Vereinbarkeit von Familie und Neues Projekt fördert Mütter mit Beruf, die Begleitung des (Wieder-)Einstiegs der Migrationshintergrund Das Familienministerium hat in einem 2014 Frauen in die Erwerbsarbeit sowie die Vernetzung gestarteten Projekt vor allem Mütter mit Migratimit regionalen Kooperationspartnern. Das Projekt onshintergrund in den Fokus genommen. Das ESF- arbeitet eng mit lokalen Institutionen wie Arbeitsfinanzierte Projekt „Stark im Beruf – Mütter mit agenturen, Kinderbetreuungseinrichtungen, Träger Migrationshintergrund steigen ein“ zielt darauf von Integrationskursen, Migrantenselbstorganisaab, den Erwerbseinstieg für Mütter mit Migratitionen, kommunalen Gleichstellungsbeauftragten und Unternehmen zusammen. Auch der DGB ist onshintergrund zu erleichtern und den Zugang im Begleitgremium vertreten und unterstützt das zu vorhandenen Angeboten zur ArbeitsmarktinProjekt bei der Umsetzung der Maßnahmen. tegration zu verbessern. Damit sollen Mütter mit Migrationshintergrund bessere Chancen erhalten, entsprechend ihren Qualifikationen und höherem von Interessenvertretungen für die besonderen Belange von Migranten/innen etwas beim Thema anonymisierte Bewerbungen sind ein wichtiger Schritte dahin. www.starkimberuf.de Frauen besonders fördern SPD Frauen legen Integrationskonzept vor Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer hat gemeinsam mit den vier sozialdemokratischen Bundesministerinnen Manuela Schwesig, Andrea Nahles, Barbara Hendricks und Aydan Özouz ein Konzept zur gesellschaftlichen Integration von Flüchtlingen vorgelegt, das den Titel „Neustart in Deutschland“ trägt. Das Konzept berücksichtigt vor allem die besondere Situation von Frauen. Ganztagsschulen zur Förderung der Integration von Schulkindern unterstützt sowie die Gründung einer „Deutschen Stiftung Ehrenamt“ mit einem Budget von 30 Millionen Euro pro Jahr. Bildungspolitisch sprechen sich die Autorinnen für eine Abschaffung des Kooperationsverbots für Bildung im Grundgesetz aus, so dass der Bund stärker auf Schule und Hochschule einwirken kann. Zur Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt soll qualifizierten Zuwander/innen ein Die Politik habe in der Vergangenheit Fehler gemacht und zu sehr auf die Integration von männ- schneller Berufseinstieg über unbürokratische Anerkennung von Qualifikationen ermöglicht lichen Zuwanderern in den Arbeitsmarkt gesetzt, werden. Jungen Flüchtlingen soll durch entspreräumten die Politikerinnen ein. Dagegen sei die Integration von Frauen beispielsweise durch Ange- chende Einstiegsprogramme der Start in die Ausbildung und der Zugang zu Arbeitsgelegenheiten bote von Sprachkursen vernachlässigt worden. erleichtert werden. Bundesarbeitsministerin Nahles Besonderen Wert wird auch auf die Feststellung will dafür 100.000 Arbeitsgelegenheiten im Umfeld gelegt, dass die Gleichberechtigung von Männern der Flüchtlingshilfe schaffen, die mit jährlich 450 und Frauen in Deutschland ein fest verankertes Verfassungsgebot sei. Millionen Euro finanziert werden sollen. Auch der Bau von 350.000 bis 400.000 neuen Wohnungen sei notwendig, sind sich die SPD-Politikerinnen Neu geschaffen werden sollen 80.000 neue einig und rechnen mit einem Gesamt-InvestitionsKita-Plätze und 20.000 zusätzliche Stellen für Erzieher/innen, ferner wird der Ausbau von volumen von etwa fünf Milliarden Euro. Ausgabe Nr. 4 – Dezember 2015 21 Schwerpunkt Keine Chancengleichheit in der Ausbildung Junge Migrantinnen in typischen Frauenberufen Von André Schönewolf Junge Menschen, die in Deutschland leben, brauchen eine berufliche Perspektive. Dabei sollen die gleichen Chancen auf eine gute Ausbildung für alle gelten. In der Realität sieht das anders aus, wie der aktuelle DGBAusbildungsreport zeigt, der den Fokus auf die besondere Situation von Auszubildenden mit Migrationshintergrund legt. Die Benachteiligung junger Migrant/innen im deutschen Bildungs- und Beschäftigungssystem ist hinlänglich bekannt, doch wie sieht es in der dualen Berufsausbildung aus? Und was unterscheidet junge Frauen und Männer? Der DGB-Ausbildungsreport zeigt: Junge Migrant/ innen sind in der Regel unzufriedener mit ihrer Ausbildung als ihre Kolleg/innen ohne Migrationshintergrund. Auffällig ist, dass junge Migrant/ innen vor allem in solchen Ausbildungsberufen überproportional vertreten sind, in denen die Ausbildungsbedingungen besonders schlecht sind. Dabei zeigt sich, dass es sich hierbei vor allem um weiblich dominierte Berufe handelt. Zahnmedizinische Fachangestellte, Friseur/ innen und Einzelhandelskaufleute klagen über Überstunden, ausbildungsfremde Tätigkeiten und eine unzureichende Vermittlung der Ausbildungsinhalte durch das Ausbildungspersonal. Auch liegt beispielsweise die durchschnittliche Ausbildungsvergütung in männlich dominierten Berufen im dritten Ausbildungsjahr bei 774 Euro, bei weiblich dominierten Berufen jedoch nur bei 667 Euro. Hinzu kommt, dass bei jungen Migrant/ innen mehr als jede/r Fünfte angibt, aufgrund von Herkunft oder Staatsangehörigkeit bereits Opfer von Diskriminierung geworden zu sein. Die Ergebnisse des Ausbildungsreports lassen sich zwar nicht auf die Situation junger Geflüchteter übertragen, können aber als Warnsignal für die bevorstehende Integration der Geflüchteten in den Ausbildungsmarkt gesehen werden. Wer glaubt, die aufgrund von schlechten Bedingungen 22 DGB Frau geht vor unbesetzt gebliebenen Ausbildungsstellen nun mit Geflüchteten besetzen zu können, wird bei den Gewerkschaften auf den gleichen Widerstand stoßen, den es bereits bei der neuerlichen Debatte um die Ausnahmen beim Mindestlohn gab. Das Gleiche gilt für die, von Arbeitgeberverbänden bereits ins Spiel gebrachte, Stärkung zweijähriger Ausbildungsberufe. Die DGB-Jugend lehnt Schmalspurausbildungen generell ab, auch Geflüchtete haben einen Anspruch auf qualitativ hochwertige Ausbildungsplätze. Es muss verhindert werden, dass Geflüchtete und insbesondere Frauen zu Auszubildenden zweiter Klasse gemacht werden. Gerade deshalb ist es wichtig, ihnen eine umfassende, individuelle und geschlechtersensible Berufsorientierung zu bieten, so dass Frauen und Männer die Berufe ergreifen, die ihren individuellen Vorstellungen und Fertigkeiten am besten entsprechen und nicht in den klassischen Rollenvorstellungen verhaften bleiben. Darüber hinaus bedarf es eines gleichberechtigten Zugangs zu den ausbildungs- und arbeitsmarktpolitischen Fördermöglichkeiten. Mit der Assistierten Ausbildung (AsA) haben die Gewerkschaften im Rahmen der Allianz für Aus- und Weiterbildung ein wichtiges und bereits in einzelnen Bundesländern erprobtes Instrument umgesetzt. Sie ermöglicht eine individuelle und bedarfsbezogene Begleitung der Auszubildenden in einer betrieblichen Ausbildung. Nicht zuletzt muss aber auch auf betrieblicher Ebene ein Klima der Toleranz und Verständigung befördert werden, um Rassismus und Diskriminierung entgegen zu wirken. Die Gewerkschaften leisten hier bereits seit vielen Jahren mit unterschiedlichen Formaten ihren Beitrag, sei es über die „Gelbe Hand“ (www.gelbehand.de) oder die von der IG Metall initiierte „Respekt“-Kampagne (www.respekt.tv). André Schönewolf ist politischer Referent im DGB Bundesvorstand und in der Abteilung Jugend und Jugendpolitik zuständig für Berufliche Bildung, Jugendarbeitsrecht und Ausbildung. [email protected] www.dgb.de Als „weiblich dominiert“ gilt ein Beruf, wenn der Frauenanteil unter den Befragten mindestens 80 Prozent beträgt. #Refugees Welcome: Die Resolution der DGB-Jugend Wir heißen Geflüchtete Willkommen! Wir treten dem Rassismus, der zurzeit in Deutschland und Europa vermehrt auftritt, entschieden entgegen! Wir setzen uns ein für eine Willkommenskultur in der Gesellschaft, im Bildungs-, Ausbildungs- und Arbeitsmarkt! Die Gewerkschaftsjugend positioniert sich mit einer Resolution zur aktuellen Flüchtlingssituation. Mit Beschluss des DGB-Bundesjugendausschusses vom 7. Oktober 2015. www.jugend.dgb.de Meldungen / Aus den Gewerkschaften Deutscher Frauenrat auf Zukunftskurs Mitgliederversammlung 2015 Weitere Informationen unter: www.frauenrat.de Die DGB Delegierten unterstützen die Neustrukturierung des Deutschen Frauenrats und die Arbeit ihrer Vorsitzenden Hannelore Buls (2.v.r.). Seit zwei Jahren arbeitet der Deutsche Frauenrat gemeinsam mit seinen Mitgliedsverbänden an einer Neustrukturierung der Verbandsarbeit. Dementsprechend bestimmte die Organisation und Politikfähigkeit die Debatte der diesjährigen Mitgliederversammlung. Mit einem 10-PunkteKonzept soll der Deutsche Frauenrat auf Zukunftskurs gebracht, seine Handlungsfähigkeit verbessert und die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsverbänden gestärkt werden. und die inhaltliche Arbeit in Ausschüssen geleistet werden. Das macht eine Neustrukturierung des Vorstands notwendig und die verantwortliche Mitarbeit der Mitgliedsverbände. Das Konzept sei „in zweifacher Hinsicht ambitioniert“, sagte die Vorsitzende Hannelore Buls. „Die Vorstellungen und Wünsche der Mitgliedsverbände müssten so berücksichtigt werden, „dass Organisation und Politikfähigkeit des Deutschen Frauenrates zukunfts- und handlungsfähig sind“. Andererseits seien Partizipation und professionelle LobbyarSo wurden zehn konkrete Verbandsentwicklungsbeit „nicht umsonst zu haben. Sie erfordern punkte vereinbart. Unter anderem soll die Lobbyentsprechende Hinterlegung mit finanziellen und arbeit auf neue Adressat/innen ausgedehnt, stärker personellen Ressourcen“, so Buls. Sie bedankte sich bei allen Beteiligten für ein Jahr intensiver und als bisher an Schwerpunkthemen ausgerichtet konstruktiver Arbeit. Das Konzept zur Verbandsentwicklung wurde nach lebhafter Debatte fast einstimmig verabschiedet. Ebenso beschlossen wurde eine neue Satzung, die die Arbeit des Deutschen Frauenrates entsprechend neu strukturieren wird. Foto: DGB Flüchtlings- und Asylpolitik im Fokus Darüber hinaus formulierte die Mitgliederversammlung auch politische Aufträge. So fordert der Deutsche Frauenrat etwa den Schutz des Asyl- und Bleiberechts und die umgehende und nachhaltige Verbesserung der Situation geflüchteter Frauen und Mädchen. Die Themen Flucht und Asyl sind für die GEW seit Jahren ein wichtiges Thema - insbesondere mit Blick auf das Recht auf Bildung und die Bildungssituation von (jungen) Geflüchteten und Asylsuchenden. Mehr Informationen unter: www.gew.de/flucht-und-asyl Tipps für die Praxis, Unterrichtsmaterialien, Info-Broschüren, Filme: www.gew.de/migration/ flucht-und-asyl/ material-fuer-die-praxis Recht auf Bildung für Flüchtlinge und Asylsuchende GEW verabschiedet Handlungsempfehlungen Bildung ist die zentrale Voraussetzung zur Vermittlung grundlegender Kompetenzen für gesellschaftliche Teilhabe und ein selbstbestimmtes Leben in wirtschaftlicher Unabhängigkeit. Für Flüchtlinge und Asylsuchende gilt, was für alle Menschen gilt: Bildung ist ein Menschenrecht. Damit für alle Menschen, die nach Deutschland zuwandern, der Zugang zu Bildungsangeboten passend zu ihrem Lern- und Bildungsstand und ihren sonstigen Voraussetzungen gewährleistet werden kann unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus - hat die GEW Handlungsempfehlungen zur Gewährleistung von Bildungszugängen und -teilhabe für Flüchtlinge und Asylsuchende verabschiedet, die auch die Unterstützung der Bildungseinrichtungen und ihrer Beschäftigten einschließen. Ausgabe Nr. 4 – Dezember 2015 23 Aus den Gewerkschaften Rechte von Frauen stärken IG BCE unterstützt Projekt der Energiegewerkschaft ZEWU in Simbabwe Von Cornelia Leunig Weltweit sind Millionen Menschen auf der Flucht. Täglich kommen Tausende in Deutschland an. Sie müssen bei uns mit offenen Armen empfangen werden. Ökonomisches Denken darf nicht unsere Haltung und Entscheidung für humanitäre Hilfe leiten. Auch in den Herkunftsländern gibt es viel zu tun. Die IG BCE packt auch dort an, zum Beispiel in einem Projekt für Frauen in Simbabwe. Foto: Christian Burkert Gewerkschaften stehen für die Humanisierung der Arbeitswelt. Menschenwürde, Empathie und Solidarität sind Werte, die ihr Handeln prägen. Wo immer Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter agieren, müssen unsere gewerkschaftlichen Vorstellungen eines menschenwürdigen Lebens adressiert werden an die Politik, an die Wirtschaft, an unsere Kolleginnen und Kollegen und über Grenzen hinaus. Menschen verlassen ihr Land, aus Angst vor Zerstörung, Gewalt und Terror. Oftmals traumatisiert und in hohem Maße verunsichert bitten sie um Asyl. Wir müssen sie in Deutschland willkommen heißen! Darüber hinaus ist politisches Handeln wichtig, um dem Übel auf den Grund zu gehen. Dies ist ein langwieriger Prozess und heißt auch, Verantwortung für Menschen in Entwicklungsländern zu übernehmen. Demokratische Systeme müssen aufgebaut und Wirtschaftssysteme entwickelt werden. Um weltweit menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu schaffen, engagiert sich die 24 DGB Frau geht vor IG BCE daher auch auf internationaler Ebene, ob im Bergbau, im Energiesektor oder in anderen Wirtschaftszweigen. Zum Beispiel als Mitglied der IndustriALL, einem weltweit agierenden Gewerkschaftsverband, gegründet 2012 mit Sitz in Genf, in dem rund 50 Millionen Mitglieder in 197 Einzelgewerkschaften organisiert sind. In einem besonderen Projekt unterstützen die Frauen der IG BCE Kolleginnen der Zimbabwe Energy Workers Union (ZEWU) in Simbabwe, einem der ärmsten Länder Afrikas. Die Diskriminierung von Frauen erschwere die ohnehin schon problematischen Lebensbedingungen, erläuterte Angeline Chitambo, Vorsitzende der ZEWU, schon 2013 auf dem Bundeskongress der IG BCE in Hannover und bat die Kolleginnen um Hilfe. Besonders im sozialen Sektor und unter Aspekten der Gesundheits- und Bildungssituation, der Wasser- und Sanitärversorgung sowie des Kinder- und Frauenschutzes, weist Simbabwe große Defizite auf. Das Projekt „Bildung für Frauen in Afrika“ setzt genau an diesen Punkten konkret an. Zu einem ersten Workshop machten sich Ethnologinnen aus Deutschland auf den Weg nach Bulawayo in Simbabwe. Eine Woche lang qualifizierten sie Multiplikatorinnen im Bereich „Arbeits- und Gesundheitsschutz“. Dabei ging es um mehr als die Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Gewalt gegen Frauen, Aufklärung und gesundheitliche Versorgung von Kindern standen ebenso auf dem Programm. Ziel des Projektes ist es, die Rechte der Frauen zu stärken! Da die Multiplikatorinnen im gewerkschaftlichen Rahmen agieren, ermöglicht es den Frauen, existierende Strukturen und Netzwerke gezielt für ihre Zwecke nutzbar zu machen und ihr Wissen und ihre Kompetenz an andere Frauen weiterzutragen. „Wir haben mit dem Projekt schon viel erreicht“, sagt Angeline Chitambo, „aber der Weg ist noch weit und wir brauchen weiterhin Menschen, die uns unterstützen.“ Cornelia Leunig ist Leiterin der Abteilung Frauen/Gleichstellung in der Hauptverwaltung der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie. [email protected] www.igbce.de Angeline Chitambo ist Vorsitzende der Zimbabwe Energy Workers Union (ZEWU) in Simbabwe. www.zewu.co.zw Von Personen Stärke durch Vielfalt IG Metall: Christiane Benner wird Zweite Vorsitzende Von Christiane Benner Mit großer Mehrheit haben die Delegierten auf dem 23. Ordentlichen Gewerkschaftstag der IG Metall im Oktober 2015 Christiane Benner zur Zweiten Vorsitzenden gewählt. Seit 2011 ist die 47-Jährige Mitglied des Geschäftsführenden Vorstands der IG Metall mit den Funktionsbereichen Zielgruppenarbeit und Gleichstellung. christiane.benner@ igmetall.de www.igmetall.de Vielfalt ist das Markenzeichen der IG Metall. Wir beziehen Kraft aus der Unterschiedlichkeit der Menschen in Herkunft, Geschlecht, Alter oder Beruf. Wir werden bunter. Wir wachsen am stärksten bei Angestellten und jungen Menschen. Wir wachsen bei Kolleginnen und Kollegen ohne deutschen Pass. Und wir wachsen bei Frauen, die inzwischen mehr als 400.000 unserer Mitglieder stellen. Stärke durch Vielfalt - das bedeutet auch sich mit den Menschen zu solidarisieren, die bei uns Schutz vor Krieg, Vertreibung und Armut suchen. Deshalb engagieren sich Metallerinnen und Metaller landauf, landab für die Integration und die gerechte Teilhabe von Flüchtlingen. Vor allem Deutschkurse, Patenschaften und Mentoring stehen dabei im Mittelpunkt. Vom IG Metall Gewerkschaftstag ging ebenfalls ein starkes Signal aus: „Refugees welcome!“ Das gilt dann auch ganz praktisch: Die IG Metall wird in Frankfurt eine Anlaufstelle eröffnen, die Unterstützung bei der Anerkennung von Berufsabschlüssen, beim Schreiben von Lebensläufen und Bewerbungen anbietet. Auch frauen- und gleichstellungspolitische Themen stehen für Vielfalt. Als Zweite Vorsitzende möchte ich diese Themen weiter in die Mitte der Organisation rücken. Die Vereinbarkeit von Arbeit und Leben ist dabei der Dreh- und Angelpunkt für die Freiheitsgrade von Frauen und Männern. Mich hat die Geschichte eines Paares bewegt, das bei einem Teppichhersteller in Sachsen arbeitet. Die Kollegin hat auf unserer Frauenkonferenz berichtet, dass sie und ihr Mann häufig gezwungen sind, ihr Kind bei Schichtwechsel auf dem Parkplatz zu übergeben. Vereinbarkeit sieht anders aus. Mit einer neuen, lebenslauforientierten Arbeitszeitpolitik wollen wir daher Meilensteine setzen. Beschäftigte sollen an der Arbeitszeitgestaltung beteiligt werden und so selbstbestimmter über ihre Zeit zum „Leben, Lieben, Lachen“ verfügen können. Wahlfreiheit und Zeitsouveränität sind deshalb zentrale Stichworte, für die aktive Betriebsräte kämpfen. In diesem Zusammenhang hat auch der Tarifvertrag Bildungsteilzeit eine hohe Bedeutung. Er schafft Freiräume zur Weiterqualifizierung. Gerade in Zeiten der Digitalisierung, die sich auch stark auf die Arbeitsplätze weiblicher Beschäftigter auswirkt und immer wieder neue Qualifikationen erfordert, ist Bildung das A und O. Und davon sollen alle profitieren können – egal ob Männer oder Frauen, Teilzeit- oder Vollzeitbeschäftigte. Qualifizierung geht immer auch einher mit Entwicklungsmöglichkeiten. Erworbene Fähigkeiten dürfen nicht verfallen, doch gerade Frauen werden oft unterhalb ihrer Qualifikationen eingesetzt. Auch aus diesem Grund hat die gesetzliche Frauenquote eine so wichtige Signalwirkung. Zudem tragen mangelnde Entwicklungsmöglichkeiten zur hohen Entgeltlücke zwischen Männern und Frauen bei. Mit der Initiative „Faires Entgelt für Frauen“ unterstützen wir Betriebsräte, Entgeltlücken im Betrieb aufzuspüren und Gleichbehandlung von Männern und Frauen zu erreichen. Die IG Metall feiert im nächsten Jahr ihren 125. Geburtstag. Seit jeher ist sie eines der stärksten sozialen Netzwerke in Deutschland. Bei uns finden sich die unterschiedlichsten Menschen hinter gemeinsamen Zielen zusammen. Stärke durch Vielfalt – dafür werde ich mich auch in den nächsten Jahren an jedem einzelnen Tag stark machen. Ausgabe Nr. 4 – Dezember 2015 25 Von Personen Frauen im Blick ver.di: Stefanie Nutzenberger wieder in den Bundesvorstand gewählt Von Stefanie Nutzenberger ver.di ist die größte Frauenorganisation in Deutschland. Das macht gleichzeitig stolz und ist eine Verpflichtung. Ich will dazu beitragen, dass Frauen- und Gleichstellungspolitik als eine unserer Kernaufgaben weiter mit Leben gefüllt wird. Wir werden deswegen, bei allem was wir bewegen, die Auswirkungen auf die Arbeit und die Lebensbedingungen von Frauen im Blick haben. Mit einem Anteil von fast 52 Prozent weiblicher ver.di-Mitglieder muss das selbstverständlich sein. Unser Leitgedanke ist, das Frauen und Männer eigenständig und sozial abgesichert gut von der eigenen Arbeit und im Alter leben können müssen. Das muss für alle Phasen des Lebens gelten. Deshalb ist mir die Forderung nach existenzsichernden Einkommen so wichtig. Frauen verdienen im Durchschnitt immer noch weniger als ihre männlichen Kollegen. Sie sind dadurch überdurchschnittlich häufig von Armut im Erwerbsleben und späterer Altersarmut betroffen. Das ist ein gesellschaftlicher Skandal und das wollen und müssen wir verändern! Dafür brauchen wir dringend die Aufwertung von frauentypischen Berufen. Dazu gehen wir bei ver.di auch neue Wege. In der aktuellen Tarifauseinandersetzung im Sozial- und Erziehungsdienst haben wir für solch eine Aufwertung gestritten und dafür aus der Gesellschaft viel Unterstützung erhalten. Erste Erfolge konnten wir erzielen, aber wir geben uns damit nicht zufrieden. Der Kampf um Aufwertung braucht einen langen Atem. Dabei will ver.di auch in anderen frauentypischen Berufen, wie z.B. der Pflege und im Handel, die Aufwertung voranbringen. Gesellschaftlich müssen wir in Deutschland deswegen vor allem diskutieren, was uns gute Dienstleistungsarbeit wert ist, auf die wir alle angewiesen sind. Wieso wird technische Arbeit immer noch besser bezahlt als die Arbeit mit Menschen, die Erziehung unserer Kinder oder die Pflege unserer Angehörigen? In dieser Frage brauchen wir einen Wertewandel. 26 DGB Frau geht vor Ein großer, gewerkschaftlicher Erfolg ist die Einführung des allgemeinen Mindestlohns. Er ist auch ein gleichstellungspolitischer Erfolg, denn der Mindestlohn kommt nachweislich vor allem Frauen zugute. Erste Schätzungen sagen, dass er die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen, die heute noch bei ca. 22 Prozent liegt, voraussichtlich um über zwei Prozent senken wird. Das ist ein spürbarer Schritt in die richtige Richtung. Aber das reicht nicht aus. Wir müssen erreichen, dass der Mindestlohn zügig rasch auf 10 Euro ansteigt. Und wir werden weiter gegen das erschreckende Ausmaß ungesicherter Beschäftigung kämpfen. Vielen jungen Menschen werden nur noch befristete Arbeitsverhältnisse und unfreiwillige Teilzeitarbeit angeboten. Oder gleich nur Minijobs, in denen sie nicht sozialversichert sind, und die bei einer Verdienstgrenze von 450 Euro nicht zum Leben reichen. Davon kann kein Mensch eine gute Zukunft planen oder gar an die Gründung einer Familie denken. Und auch hier müssen wir feststellen, dass vor allem Frauen in Minijobs arbeiten und gleichstellungspolitisch ins Hintertreffen geraten. Wir setzen uns als ver.di dafür ein, dass diese prekären Arbeitsverhältnisse zurückgedrängt werden. Wir brauchen keine Minijobs, sondern Arbeit, die zum Leben reicht. Wir kämpfen für gute Einkommen und existenzsichernde Tarifverträge und werden das Thema Armut und Altersarmut gezielter in den Fokus rücken. Und wir wollen das Thema „Zeit zum Leben – Zeit zum Arbeiten“ bzw. über die Frage „kurze Vollzeit für alle“ und die damit zusammenhängende größere Geschlechtergerechtigkeit insgesamt in ver.di politisch diskutieren. Eine moderne und gesundheitsförderliche Gestaltung von Arbeitszeit muss den Bedarfen und Anforderungen der Beschäftigten in verschiedenen Momenten des Lebensverlaufs Rechnung tragen. Dafür werde ich gerne meine Energie in den nächsten Jahren einsetzen. Stefanie Nutzenberger wurde auf dem 4. Ordentlichen Bundeskongress der ver.di im September 2015 in Leipzig erneut in den Bundesvorstand gewählt. Die gelernte Einzelhandelskauffrau gehört dem ver.di-Bundesvorstand seit 2011 an und ist dort zuständig für den Fachbereich Handel sowie die Bereiche Frauen- und Gleichstellungspolitik und Genderpolitik. Von 2003 bis 2011 war sie stellvertretende Landesbezirksleiterin im ver.diLandesbezirk Saar. [email protected] www.verdi.de DGB-Projekt Fachtagung zeigt Handlungsbedarf auf Weiblich, qualifiziert sucht: Wirtschaftliche Unabhängigkeit! Von Lena Widmann www.frauen.dgb.de Was verdient die „Was verdient denn nun die Frau?“. Eine Antwort war am 9. Oktober 2015, dem Tag der betrieblichen Entgeltgleichheit, schnell gefunden: Wirtschaftliche Unabhängigkeit! Aber … Wie erreichen wir eine geschlechtergerechte Bezahlung? Wie fördern wir die Erwerbsbeteiligung von Frauen? Wie bringen wir Familie und Beruf unter einen Hut? Das Projekt brachte auf seiner Fachtagung Verantwortliche aus Politik, Wissenschaft und Praxis zusammen, darunter Dr. Ralf Kleindiek, Staatssekretär im Bundesfamilienministerium, die stellvertretende Vorsitzende des DGB, Elke Hannack, und die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, Prof. Jutta Allmendinger. Informationen zum Projekt und der Fachtagung unter: www.was-verdient-die-frau.de www.facebook.com/wasverdientdiefrau www.twitter.com/wasverdientfrau Politik und Betriebe sind gefragt DGB-Vize Elke Hannack hob die Bedeutung des Projektes „Was verdient die Frau? Wirtschaftliche Unabhängigkeit!“ hervor, „denn ein Drittel der Frauen kann sich von ihrem Einkommen nicht unmittelbar selbst finanzieren, ganz zu schweigen von einem zusätzlichen Kind“. Unflexible Arbeitszeitmodelle, befristete Verträge, Entgeltlücke, Ehegattensplitting, fehlende Kita-Plätze und vieles Fotos: Stefanie Kulisch Lena Widmann ist Koordinatorin im Kooperationsprojekt „Was verdient die Frau? Wirtschaftliche Unabhängigkeit“ des DGB-Bundesvorstandes und des BMFSFJ. [email protected] „Weiblich, qualifiziert sucht: Wirtschaftliche Unabhängigkeit!“ Was nach einem Stellengesuch klingt, ist für viele Frauen Realität – Sie können sich nicht von ihrem Einkommen unmittelbar selbst finanzieren. Auf der Fachtagung des gleichnamigen DGB-Projektes diskutierten mehr als 150 Vertreter/ innen aus Politik, Gewerkschaften, Betrieben und Verwaltungen über Chancen und Hindernisse von Frauen auf dem Arbeitsmarkt. mehr ständen jedoch oft im Weg. Hier seien Politik und Betriebe gefragt: „Sie können Rahmenbedingungen schaffen, die eine eigenständige Existenzsicherung von Frauen (und Männern) möglich machen.“ Junge Frauen wollen erwerbstätig sein Folgt man den Aussagen von Prof. Jutta Allmendinger, wollen junge Frauen erwerbstätig sein. Es stellt sich also nicht mehr die Frage nach Familie ODER Beruf, heute heißt es Familie UND Beruf! „Dafür braucht es unbedingt eine Politik, die gleichberechtigte Lebens- und Arbeitsmodelle fördert“, so Allmendinger. Arbeitszeiten müssten zwischen Frauen und Männern gerechter aufgeteilt, Unternehmenskulturen moderner werden. Dafür sei es wichtig, die jetzigen, meist männlichen Entscheidungsträger mit einzubinden und Maßnahmen gemeinsam umzusetzen. Wie das gelingen kann, zeigten Frauen aus der Praxis anhand konkreter Beispiele: Ob mit Betriebskindergärten die Vereinbarkeit möglich machen, mit dem eg-Check Diskriminierungsmerkmale in der Bezahlung aufdecken oder aus dem Minijob erfolgreich aufsteigen – „so kann’s gehen!“ zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit! Ausgabe Nr. 4 – Dezember 2015 27 DGB-BUNDESVORSTAND | Entgelt bezahlt | Postvertriebsstück A 14573 Spendenaufruf für Flüchtlinge Gewerkschaften ebnen den Weg in Ausbildung und Arbeit Flüchtlinge sollen schnell im hiesigen Leben ankommen und auf dem Arbeitsmarkt eine Chance haben. Daher sammelt der von DGB und Mitgliedsgewerkschaften getragene Verein „Gewerkschaften helfen“ Spenden. Die Spendengelder sollen Flüchtlingen gezielt helfen, die vielen Hürden auf dem Weg in einen erlernten oder neuen Beruf zu nehmen: Spenden für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge auf dem Weg in die Ausbildung Die Gewerkschaften wollen minderjährige Flüchtlinge, die ohne Eltern oder Verwandte nach Deutschland gekommen sind, auf ihrem Weg in Ausbildung unterstützen. Viele von ihnen sind traumatisiert und brauchen sozialpädagogische oder psychologische Betreuung, bevor sie überhaupt eine Ausbildung beginnen können. Auch bei der Berufsorientierung ist Unterstützung notwendig. Spenden für die Anerkennung von Berufsabschlüssen Viele Geflüchtete haben keine Dokumente, etwa Zeugnisse oder Diplome, weil sie auf der Flucht verloren gegangen sind. Um in Deutschland einen Arbeitsplatz zu finden, der ihren Kenntnissen und Berufserfahrungen entspricht, sind diese Papiere aber notwendig. Sie (wieder)zu beschaffen oder entsprechende Anerkennungsverfahren und Vorbereitungskurse zu absolvieren, ist langwierig und auch teuer. Das kann mehr als 5000 Euro kosten. In der Regel müssen die Antragsteller dies selbst tragen. Wer diese Kosten nicht über das SGB II erstattet bekommt, dem will der DGB mit Mitteln aus diesem Spendentopf helfen. Gewerkschaften helfen e.V., Bankverbindung: Nord LB, Kontonummer: 015 201 1490, Bankleitzahl: 250 500 00, IBAN: DE55 2505 0000 0152 0114 90, Stichwort: „Flüchtlinge“ IMPRESSUM Herausgeber: Deutscher Gewerkschaftsbund / Bundesvorstand Abteilung Frauen, Gleichstellungs- und Familienpolitik Henriette-Herz-Platz 2 · 10178 Berlin · www.frauen.dgb.de verantwortlich: Elke Hannack, Anja Weusthoff Redaktion: Britta Jagusch, Frankfurt Titelbild: RadekProcyk, iStockphoto.com Satz, Grafik und Druck: PrintNetwork pn GmbH, Berlin Abonnement: Die Publikation „frau geht vor“ erscheint vierteljährlich. Ein Abonnement kostet 13 Euro pro Jahr und kann über diese Internetadresse bestellt werden: www.dgb-bestellservice.de oder via E-Mail an: [email protected] Oder einfach obenstehenden QR-Code einscannen und ein Abonnement bestellen.
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