2 RUBRIK DIE KATHARINENHÖHE: EIN ZUHAUSE AUF ZEIT Schönwald (mst) – Hannes ist 8 Jahre alt, und er hat Krebs. Vor einem Jahr haben ihm die Ärzte den rechten Oberschenkel amputiert. Nach zahlreichen Klinikaufenthalten und einer anstrengenden Therapie schöpft er nun wieder neue Kraft – gemeinsam mit seiner Familie auf der Katharinenhöhe. VON DER THERAPIE ZUM LEBEN 5 „Anfangs fiel es Hannes schwer, sein neues Bein nur anzuschauen. Heute geht er ganz selbstverständlich damit um. Vor Kurzem hat uns Hannes stolz erzählt: 'Bald hat mein Bein Geburtstag!' Dieser Satz hat uns sehr berührt.“ Marieke und Matthias Kuhr Hannes ist aufgedreht. Er freut sich auf seinen täglichen Termin bei der Physiotherapie. „Guck mal, was ich kann!“, begrüßt er seine Therapeutin Sandra Kuhn. Geschwind krabbelt Hannes die Schaumstofftreppe zur Liege empor. Dort angekommen macht er sich an seiner Prothese zu schaffen. Es dauert nicht lange, dann hat er sie ausgezogen. Stolz reckt er das Ersatzbein gen Himmel. Sandra Kuhn ist begeistert: Es ist das erste Mal, dass Hannes seine Prothese ohne fremde Hilfe auszieht. Dabei war es für Hannes nicht einfach, sein neues Bein zu akzeptieren. Im Frühjahr 2014 klagt Hannes plötzlich über Schmerzen in seinem Bein. Wachstumsschmerzen, denken die Eltern. Dann aber fällt der Mutter eine Schwellung oberhalb des rechten Knies auf. Sie geht mit Hannes zum Kinderarzt. Von dort aus geht es nach Darmstadt in die Kinderklinik, dann in die Uniklinik nach Frankfurt. Hier erfährt Familie Kuhr zwei Wochen später die Diagnose: Hannes hat Knochenkrebs. Die Eltern sind fassungslos. Hannes bekommt einen Rollstuhl – er darf jetzt nicht mehr laufen. Schnell wird klar: Hannes rechter Oberschenkel muss amputiert werden. Nach langer Überlegung entschließen sich die Eltern für eine „Umkehrplastik“. Auf diese Weise bleiben der rechte Unterschenkel und der rechte Fuß erhalten. Nach den ersten Chemotherapien folgt die Operation, dann wieder Chemotherapie – und dazwischen immer wieder Rückschläge und Komplikationen. Am Tag nach der Operation stockt plötzlich die Durchblutung des rechten Beins. Hannes wird erneut operiert. Er hat oft starke Schmerzen. Übelkeit, Appetitlosigkeit und schlaflose Nächte – die ganze Familie leidet mit ihm. Nichts ist wie früher. Und für die Eltern ist es schwierig, den Bedürfnissen beider Kinder gerecht zu werden und dabei gleichzeitig ihre eigenen Ängste zu verarbeiten. Bei jedem Familienmitglied äußern sich Angst und Hoffnungslosigkeit anders. Ella, Hannes vierjährige Schwester, leidet vor allem unter der immer wiederkehrenden Trennung der Familie. „Hannes hatte immer mal wieder Wutanfälle, bei denen als Auslöser nur Kleinigkeiten genügten,“ erinnert sich die Mutter. „Dann kamen auch Sätze wie: ‚Ich will nicht mehr.‘“ 2015 auf der Katharinenhöhe ein – einer Rehabilitationsklinik für Kinder und Jugendliche im Schwarzwald. Hier soll Hannes wieder laufen lernen. Doch nicht nur Hannes wird hier behandelt. Auch die Eltern, Marieke und Matthias Kuhr, und die vierjährige Ella sollen im Schwarzwald neue Kraft schöpfen. Die Katharinenhöhe bietet bereits seit 30 Jahren eine familienorientierte Nachsorge an. Etwa 750 Betroffene werden hier jährlich gemeinsam mit ihren Angehörigen behandelt. Medizinische, psychosoziale und psychotherapeutische Maßnahmen sind eng aufeinander abgestimmt. Dabei steht das sogenannte Gruppenerleben stets im Vordergrund. Sport, Entspannungsmaßnahmen und kreative Freizeitaktivitäten – fast alle Angebote finden in der Gemeinschaft mit anderen Betroffenen, Angehörigen und Familien statt. Die Deutsche Krebshilfe unterstützt das Konzept der familienorientierten Nachsorge und hat die Katharinenhöhe in der Vergangenheit regelmäßig beim Auf- und Umbau finanziell gefördert – beispielsweise im Jahr 2004. Hier stellte die Deutsche Krebshilfe 1,5 Millionen Euro für ein neues Behandlungszentrum zur stationären Rehabilitation von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zur Verfügung. Familie Kuhr fühlt sich auf der Katharinenhöhe schnell heimisch. Hannes bekommt eine neue Prothese und macht große Fortschritte beim Laufen. Täglich nach dem Frühstück gehen Hannes und Ella in ihre „Gruppen“. Hier kommen die beiden mit anderen Kindern im gleichen Alter zusammen. Betroffene und Geschwister – alle spielen miteinander, gehen gemeinsam zum Sport und auf den Spielplatz. Hannes genießt das Zusammensein mit den anderen Kindern und Endlich wieder aufatmen Die Krebserkrankung von Hannes ist eine schwere Zeit – für Hannes, aber auch für seine Eltern und die kleine Schwester. Nach zahlreichen Klinikaufenthalten trifft die Familie im Juni Magazin der Deutschen Krebshilfe Nr. 4/2015 Familie Kuhr hat sich auf der Katharinenhöhe schnell eingelebt. 6 VON DER THERAPIE ZUM LEBEN verbringt jede freie Minute in seiner Gruppe, dem „Kinderplanet“. Das größte Highlight für Hannes aber ist die tägliche Therapiestunde mit Sandra Kuhn. Bei unterschiedlichen Übungen lernt er spielerisch mit seinem neuen Bein und seiner Prothese umzugehen. Besonders gerne spielt er „Sitzfußball“. Während Hannes und Ella in ihren Gruppen spielen, tauschen sich Marieke und Matthias Kuhr mit anderen Eltern aus, die ähnliches durchgemacht haben. Neben verschiedenen Angeboten zur Gesprächstherapie gibt es auch eine große Auswahl an sportlichen Aktivitäten. Im Schwimmbad und im Fitnessraum bauen Marieke und Matthias Kuhr die Anspannungen der vergangenen Monate ab. Am frühen Abend trifft sich die Familie häufig am Kicker. Dann geht es hoch her. Denn: Jeder will gewinnen. „Seit wir hier sind, ist Hannes viel ausgeglichener“, so der Vater. Und auch Ella genießt die gemeinsame Zeit mit der Familie. Ob beim Kickern, bei Brettspielen oder einfach nur beim „Rumblödeln“ – Hannes und Ella haben immer viel zu lachen. Und auch für´s Lesen bleibt ausreichend Zeit. Lesen und Rechnen – das hat sich Hannes selbst beigebracht. Denn: Den ersten Schultag verbrachte Hannes auf der Intensivstation. In der Klinikschule kann er vergangenen Schulstoff nachholen. Abends hat Hannes dann wieder Zeit zum Lesen. Sein Lieblingsbuch? Ganz klar: „Die drei Fragezeichen“. „Uns geht es hier sehr gut,“ so Marieke Kuhr. „Natürlich fehlen Freunde und Familie,“ ergänzt Matthias Kuhr, „aber es ist ein ‚zu Hause-Gefühlʻ, wenn wir von einem Ausflug auf die Katharinenhöhe zurückkehren.“ Beide sind sich einig: Die Katharinenhöhe ist für Hannes und die Familie ein wichtiger Übergang zwischen Therapie und Alltag. Nun kann die Familie gestärkt in die Zukunft schauen. Auf die Frage, was sich die Eltern für ihre Heimkehr nach der Reha wünschen, antwortet Marieke Kuhr: „Wenn Hannes den Weg vom Auto zur Haustür ohne Krücken laufen könnte, das wäre der Hit.“ Damit betroffene Familien auf der Katharinenhöhe auch in Zukunft angemessen unterstützt werden können, wird die Katharinenhöhe eine bauliche Erweiterung vornehmen – mit behindertengerechten Wohnungen, größeren Räumlichkeiten für die Kindergruppen und einer Bowlingbahn. Die Deutsche Krebshilfe unterstützt auch diesen Neubau mit 800.000 Euro. Die Familie als Patient Stephan Maier, Geschäftsführer und Psychosozialer Leiter der Rehabilitationsklinik Katharinenhöhe. Das Behandlungskonzept der Katharinen höhe orientiert sich an der gesamten Familie. Warum? Nur so können wir nachhaltig helfen. Diagnose und Therapie einer Krebserkrankung hinterlassen bei allen Familienmitgliedern Spuren. Von einem Tag auf den anderen wird der Alltag der Familien von Studienprotokollen, Chemotherapie, Bestrahlung und medizinischen Eingriffen bestimmt. Die kinderonkologischen Zentren sind oft weit vom Heimatort der Patienten entfernt. Vater und Mutter wollen alles für das Kind tun, fühlen sich aber machtlos. Auf der Katharinenhöhe bekommen Patientenkind, Geschwister und Eltern medizinische und psychosoziale Hilfe. Gleichzeitig kann die Familie als Ganzes wieder Kraft schöpfen und Ressourcen zur Bewältigung der Krebserkrankung entwickeln. Das „Gruppenerleben“ ist ein Grundprinzip der Katharinenhöhe. Was genau meinen Sie damit? Zu Hause sind viele Familien isoliert. Sie haben keine Kraft, auf andere zuzugehen und fühlen sich oft unverstanden. Auf der Katharinenhöhe kommen Menschen mit einem ähnlichen Erfahrungshintergrund zusammen. Hier wird gemeinsam gelacht und geweint. Aufbauend auf dem gemeinsamen Verständnis gewinnt der Austausch untereinander eine besondere Tiefe. Vieles muss nicht erzählt und umständlich erklärt werden, weil die anderen es schon selbst erlebt haben. Die Gruppe wird so zum therapeutischen Feld. Was beinhaltet eine ganzheitliche Behandlung auf der Katharinenhöhe? Alle Berufsgruppen ziehen an einem Strang. Das interdisziplinäre Team besteht aus Ärzten, Physio- und Ergotherapeuten, Heilpädagogen, Sozialpädagogen und Psychologen. Sie setzen im Dialog mit den Patienten, den Angehörigen und den einweisenden Stellen die Therapieziele fest. Im Mittelpunkt stehen dabei immer die Bedürfnisse der Betroffenen und der angestrebte Bei der Physiotherapie lernt Hannes spielerisch mit seiner neuen Prothese umzugehen. Rehabilitationserfolg. Magazin der Deutschen Krebshilfe Nr. 4/2015
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