BAUWERK MIT ECKEN UND KANTEN Raum ist eine endliche Ressource. Mit Blick über den Zürichsee, am Hang ob Rapperswil-Jona, nutzt ein kompakter Baukörper das Terrain, um unnötigen Aushub zu vermeiden, und bewahrt die kostbaren Freiflächen. Eine runde Sache, die an der Fassade durch Ecken und Kanten auffällt. Text Marlies Keck | Foto Till Forrer 6 / 7 FIRST 04/2015 1 BAUWERK 2 1–3 Die Parzelle thront an der Hangkante über Rapperswil-Jona mit atemberaubendem Blick auf den Zürichsee und das Schloss. Ein einzigartiges Spiel mit Winkeln und Schattierungen: So zeigt sich der Ersatzneubau an der Hangkante über Rapperswil-Jona mit atemberaubendem Blick auf das Schloss, umrahmt von See und Bergen. Eine Fassade, die ordnet und dem Material gerecht wird. Der kompakte Baukörper an exponierter Lage – und ohne ein ausladendes Dach – verlangte nach einem soliden konstruktiven Holzschutz. «Es handelt sich um eine rein vertikal organisierte, vorvergraute Fassade aus einer vollflächigen Nut- und Kammschalung mit aufgesetzten Deckleisten», erklärt Frederic Schwarz, Projektleiter bei Aero Architekten. «Um das Vertikale subtil zu brechen, horizontal zu ordnen und somit den Öffnungen Halt zu geben, springt die sichtbare Kante der Deckleisten alle 80 Zentimeter mit leichtem Knick vor und zurück.» Die Deckleisten weisen so in ihrer Länge eine variable Tiefe auf, so dass sich in der Fassade eine wellenförmige Struktur abbildet. Die von anthrazit gefärbten Blechzargen umrahmten Lochöffnungen geben dem Wohngebäude den Massstab, kommunizieren den Innenraum und öffnen so den Baukörper zum See hin. DREI UNTER EINEM DACH Ursprünglich war das Grundstück von einem Haus aus den Dreissigerjahren besetzt. Präzise und kompakt zwischen die Bäume gesetzt, bestimmte es für lange Zeit die Sicht auf den Hang über Rapperswil. Bis in die Sechzigerjahre, als erste Neubauten in der Nachbarschaft folgten, hatte es den Blick über den 8 / 9 FIRST 04/2015 3 3 BAUWERK 4 10 / 11 FIRST 04/2015 5 4–5 Durch die Loslösung der Raumtrennung von der Tragstruktur hat jede Wohnung eine eigene Geometrie, organisiert durch den zentralen Raum, der Ankunftsort und Angelpunkt ist. Die nach innen vollverglaste Loggia als dessen Verlängerung ordnet Wohnen und Essen mit Blick auf den See. Zürichsee weitgehend für sich alleine. Der nach wie vor bestehende grosse Umschwung und die Freiflächen um das Wohnhaus sind heute zu einer Seltenheit geworden. «Diese Besonderheit war für uns wie auch für die Bauherrschaft ausschlaggebend, uns bei der Volumetrie und Setzung weitgehend an das bisherige Gebäude zu halten», erläutert Pascal Babey, der das Projekt mit begleitet hat. «Die Parzelle hätte Platz für etwa vier solcher Wohnhäuser gehabt.» Doch für einmal bestimmten nicht Rendite- oder Profitgedanken das Bauvorhaben. Und das, obwohl die drei Etagen des Gebäudes als Miet- und nicht als Eigen- tumswohnungen genutzt werden. Das archetypische Haus mit Giebeldach bildet den passenden Rahmen. Drei Parteien in einem Haus, unter einem Dach. HAUS IM HAUS Der Giebel macht die Vertikale auch im Innern zum Thema. Während sich die Dachwohnung vom Kniestock zum First aufspannt, öffnet sich in der mittleren Etage das Wohnzimmer in der Vertikalen und macht das Dach und die Geometrie des Hauses erlebbar. Die grossen Fenster an der Südfassade geben jedem Raum einen eigenen Charakter. «Es entstehen sehr grosszügige Raumfiguren», so Babey. Das e igene Schrägdach macht die Wohnung zum Haus im Haus. Fünf V-förmige Stützenpaare im Zentrum des Hauses tragen sämtliche Lasten im Innern, ermöglichen die vertikale und horizontale Lastabtragung, ordnen den Raum und machen den Kräfteverlauf sichtbar. Die Stärke der Stützenpaare reduziert sich pro Etage mit abnehmender Last um je zwei Zentimeter. Aus Schallschutzgründen sind die Wohnungstrenn wände zweischalig ausgeführt. Die nach innen vollverglaste Loggia ordnet Wohnen und Essen mit Blick auf den See. Seitlich orientieren sich die Zimmer und Bäder. Durch die Los BAUWERK lösung der Raumtrennung von der Tragstruktur hat jede Wohnung eine eigene Geometrie, also einen individualisierten Grundriss, organisiert durch den zentralen Raum, der Ankunftsort und Angelpunkt ist. HAPTIK UND STRUKTUR Holz und Beton – gemeinsam bestimmen sie die Konstruktion, was im Innern auch konsequent gezeigt wird. Die Innenräume sind geprägt von der Bekleidung aus massiver astfreier, weisspigmentierter Fichten-Blockholzplatte. Ebensolche Platten findet man auch an den Wandschränken, bei den Türen und am Treppengeländer. Die geölten V-Stützen, Türfutter und Fensterlaibungen aus Fichte schaffen Nuancen und zeichnen im Zusammenspiel mit der Plattenaufteilung und den Schattenfugen die Innenräume. «Das viele Das Projekt – die Fakten Baujahr: 2015 Bauherrschaft: Familie Gebert Architekt: Aero Architekten ETH SIA GmbH, Zürich Bauleitung: Baugut AG, Zürich Holzbauingenieur: Pirmin Jung Ingenieure für Holzbau AG, Sargans Bauphysik: Pirmin Jung Büro für Bauphysik, Rain Holzbau: Blumer-Lehmann AG, Gossau Label: Das Lignum-Label «Herkunftszeichen Schweizer Holz» ist beantragt 12 / 13 FIRST 04/2015 6 Das Steildach ist als Pfettendach konstruiert. Die Dachelemente spannen von den Aussenwänden über die Mittelpfetten und zum First. 6 BAUWERK Aero Architekten Das Anfang 2012 gegründete Architekturbüro in Zürich zieht seine Erfahrung aus Arbeiten in zahlreichen Büros im In- und Ausland. Frederic Schwarz entwickelte Projekte für Florian Nagler in München, Shigeru Ban in Paris und BBI Architekten in Zürich. Pascal Babey entwarf für Mateo Arquitectura in Barcelona, JDS Architects in Kopenhagen und Ruikongijan Architects in Peking. Kaspar Helfrich arbeitete für Brullmann Crochon + Associés in Paris und Studer Primas in Zürich. Tomas Polach startete mit einem eigenen Büro und war lehrend an der ETH tätig. aeroarchitekten.ch Holz im Innern lädt ein und macht die Räume wohnlich – durch seine Haptik, klare Struktur und Wärme.» Als Kontrast wurden Betonelementdecken gewählt, welche aus vorgefertigten Halbfertigteilen (Filigranelement) und einem Aufbeton bestehen. «Die Betondecke bringt die nötige Masse für den Schallschutz in die Konstruktion und verteilt die Lasten zwischen den Aussenwänden, dem Treppenkern und den V-Stützen.» Im Zuge des Aufrichtens des Holzbaus konnten die Halbfertigteile montiert werden. Der Aufbeton kam erst nach Abschluss der Montage des Holzbaus dazu. Die Decken liegen auf den Aussenwänden und bei zwei Mittelachsen auf deckengleichen Unterzügen auf. Letztere sind mit den erwähnten V-Stützen-Paaren abgestützt. ANZEIGE ISOVER – gelebte Ökologie. Die ISOVER-Produkte für die Innenanwendung werden mit pflanzlichen, formaldehydfreien Bindemitteln hergestellt. Die Glaswolle von ISOVER besteht aus rund 80% rezykliertem Altglas. Reduziertes Transportvolumen dank der Komprimierbarkeit von Glaswolle. www.isover.ch isover_FIRST_180x132_de_blaetter_Swissbau_print.indd 1 14 / 15 der ns an Si e u B as e l , n e ch in Besu au 2016 lle 1.1, a sb Swis Januar, H . 12 .-16 A15 4 d St a n 19.10.15 08:45 FIRST 04/2015 INSPIRATION SKELETTBAU Holz ist für Frederic Schwarz mehr als nur ein Werkstoff. «Inspiriert durch japanische Ske lettbauten von Kazuo Shinohara und durch die Mitarbeit in Büros von Florian Nagler und Shigeru Ban eint uns eine Faszination für Holz bau und freistehende Tragstrukturen.» Strukturelle Ideen lassen sich aber nicht nur im Masss tab eines Hauses verwirklichen. Mit der Freude am Material Holz, an Winkeln und Fügungen haben Aero Architekten ein Regalsystem, das 3° Regal, kreiert. «Das Regal ist aus massiver Eiche und kommt durch die präzise Fügung gänzlich ohne Schraub- oder Leimverbindung aus», sagt Frederic Schwarz nicht ohne Stolz. «Die Steher haben einen rhythmisch um drei Grad zu- und abnehmenden Verlauf, womit sie die horizontalen Bö- den tragen können und eine flexible Höhen einteilung gewährleisten.» Mit der verwinkelten Fassade am Hungerbühlweg und dem 3° Regal stellt sich die Frage, ob bei Aero Architekten immer mit Ecken und Kanten gearbeitet wird. «Ein paar Winkel und Umwege sind für die Projektentwicklung oft entscheidend, aber natürlich ist es schön, wenn am Schluss alles rundläuft. So wie beim Hungerbühlweg», erwidert Frederic Schwarz. «Das gute Gespür der Bauherrschaft für Materialien und Oberflächen sowie ihr grosses Inter esse am Holzbau und an innovativen Lösungen waren entscheidend für das Projekt. Zudem hatten wir das Glück, in der Planung sowie in der Ausführung mit unseren Wunschpartnern im Holzbau, Pirmin Jung und Blumer-Lehmann, zusammenarbeiten zu können, die sich mit viel Einsatz und Know-how in das Projekt einbrachten.» Die Bauweise mit Holzwandelementen sowie die Fertigbetondecke ermöglichten die Herstellung im Werk und damit eine zügige Montage vor Ort. «Von der Setzung der ersten Holzwand bis zur Schliessung des Daches verging kaum eine Woche.» So bleiben die Ecken, Kanten, Winkel, Wellen und Schattierungen der Optik und Ästhetik vorbehalten. 1:10 i+ (Reproduktionsgrösse 15–5%) ANZEIGE Der Garant im Holzbau. Das Gütesiegel Holzbau Plus steht für einen vorbildlich geführten Betrieb. Hochwertige Holzbauweise ist das Resultat einer Unternehmenskultur mit dem Menschen im Zentrum. Dafür steh ich ein. www.holzbau-plus.ch
© Copyright 2024 ExpyDoc