MIT ECKEN UND KANTEN - PIRMIN JUNG Ingenieure für Holzbau AG

BAUWERK
MIT ECKEN UND KANTEN
Raum ist eine endliche Ressource. Mit Blick über den Zürichsee, am Hang ob Rapperswil-Jona, nutzt ein
kompakter Baukörper das Terrain, um unnötigen Aushub zu vermeiden, und bewahrt die kostbaren Freiflächen.
Eine runde Sache, die an der Fassade durch Ecken und Kanten auffällt. Text Marlies Keck | Foto Till Forrer
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1–3 Die Parzelle thront an der Hangkante über Rapperswil-Jona mit atemberaubendem Blick
auf den Zürichsee und das Schloss.
Ein einzigartiges Spiel mit Winkeln und Schattierungen: So zeigt sich der Ersatzneubau an
der Hangkante über Rapperswil-Jona mit atemberaubendem Blick auf das Schloss, umrahmt
von See und Bergen. Eine Fassade, die ordnet
und dem Material gerecht wird. Der kompakte Baukörper an exponierter Lage – und
ohne ein ausladendes Dach – verlangte nach
einem soliden konstruktiven Holzschutz. «Es
handelt sich um eine rein vertikal organisierte,
vorvergraute Fassade aus einer vollflächigen
Nut- und Kammschalung mit aufgesetzten
Deckleisten», erklärt Frederic Schwarz, Projektleiter bei Aero Architekten. «Um das Vertikale subtil zu brechen, horizontal zu ordnen
und somit den Öffnungen Halt zu geben, springt
die sichtbare Kante der Deckleisten alle 80
Zentimeter mit leichtem Knick vor und zurück.»
Die Deckleisten weisen so in ihrer Länge eine
variable Tiefe auf, so dass sich in der Fassade
eine wellenförmige Struktur abbildet. Die von
anthrazit gefärbten Blechzargen umrahmten
Lochöffnungen geben dem Wohngebäude den
Massstab, kommunizieren den Innenraum und
öffnen so den Baukörper zum See hin.
DREI UNTER EINEM DACH
Ursprünglich war das Grundstück von einem
Haus aus den Dreissigerjahren besetzt. Präzise und kompakt zwischen die Bäume gesetzt,
bestimmte es für lange Zeit die Sicht auf den
Hang über Rapperswil. Bis in die Sechzigerjahre, als erste Neubauten in der Nachbarschaft folgten, hatte es den Blick über den
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4–5 Durch die Loslösung der Raumtrennung von der Tragstruktur hat jede Wohnung eine eigene Geometrie, organisiert
durch den zentralen Raum, der Ankunftsort und Angelpunkt ist. Die nach innen vollverglaste Loggia als dessen Verlängerung
ordnet Wohnen und Essen mit Blick auf den See.
Zürichsee weitgehend für sich alleine. Der nach
wie vor bestehende grosse Umschwung und
die Freiflächen um das Wohnhaus sind heute
zu einer Seltenheit geworden. «Diese Besonderheit war für uns wie auch für die Bauherrschaft ausschlaggebend, uns bei der Volumetrie und Setzung weitgehend an das bisherige
Gebäude zu halten», erläutert Pascal Babey,
der das Projekt mit begleitet hat. «Die Parzelle hätte Platz für etwa vier solcher Wohnhäuser gehabt.» Doch für einmal bestimmten
nicht Rendite- oder Profitgedanken das Bauvorhaben. Und das, obwohl die drei Etagen
des Gebäudes als Miet- und nicht als Eigen-
tumswohnungen genutzt werden. Das archetypische Haus mit Giebeldach bildet den passenden Rahmen. Drei Parteien in einem Haus,
unter einem Dach.
HAUS IM HAUS
Der Giebel macht die Vertikale auch im Innern
zum Thema. Während sich die Dachwohnung
vom Kniestock zum First aufspannt, öffnet
sich in der mittleren Etage das Wohnzimmer
in der Vertikalen und macht das Dach und die
Geometrie des Hauses erlebbar. Die grossen
Fenster an der Südfassade geben jedem Raum
einen eigenen Charakter. «Es entstehen sehr
grosszügige Raumfiguren», so Babey. Das
e­ igene Schrägdach macht die Wohnung zum
Haus im Haus. Fünf V-förmige Stützenpaare im
Zentrum des Hauses tragen sämtliche Lasten
im Innern, ermöglichen die vertikale und horizontale Lastabtragung, ordnen den Raum und
machen den Kräfteverlauf sichtbar. Die Stärke
der Stützenpaare reduziert sich pro Etage mit
abnehmender Last um je zwei Zentimeter. Aus
Schallschutzgründen sind die Wohnungstrenn­
wände zweischalig ausgeführt. Die nach innen
vollverglaste Loggia ordnet Wohnen und Essen mit Blick auf den See. Seitlich orientieren
sich die Zimmer und Bäder. Durch die Los­
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lösung der Raumtrennung von der Tragstruktur hat jede Wohnung eine eigene Geometrie,
also einen individualisierten Grundriss, organisiert durch den zentralen Raum, der Ankunftsort und Angelpunkt ist.
HAPTIK UND STRUKTUR
Holz und Beton – gemeinsam bestimmen sie
die Konstruktion, was im Innern auch konsequent gezeigt wird. Die Innenräume sind geprägt von der Bekleidung aus massiver astfreier, weisspigmentierter Fichten-Blockholzplatte. Ebensolche Platten findet man auch
an den Wandschränken, bei den Türen und
am Treppengeländer. Die geölten V-Stützen,
Türfutter und Fensterlaibungen aus Fichte
schaffen Nuancen und zeichnen im Zusammenspiel mit der Plattenaufteilung und den
Schattenfugen die Innenräume. «Das viele
Das Projekt – die Fakten
Baujahr: 2015
Bauherrschaft: Familie Gebert
Architekt: Aero Architekten ETH SIA GmbH,
Zürich
Bauleitung: Baugut AG, Zürich
Holzbauingenieur: Pirmin Jung
Ingenieure für Holzbau AG, Sargans
Bauphysik: Pirmin Jung
Büro für Bauphysik, Rain
Holzbau: Blumer-Lehmann AG, Gossau
Label: Das Lignum-Label «Herkunfts­zeichen
Schweizer Holz» ist beantragt
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6 Das Steildach ist als Pfettendach konstruiert. Die Dachelemente spannen
von den Aussenwänden über die Mittelpfetten und zum First.
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Aero Architekten
Das Anfang 2012 gegründete Architekturbüro in Zürich zieht seine Erfahrung aus
Arbeiten in zahlreichen Büros im In- und Ausland. Frederic Schwarz entwickelte
Projekte für Florian Nagler in München, Shigeru Ban in Paris und BBI Architekten in
Zürich. Pascal Babey entwarf für Mateo Arquitectura in Barcelona, JDS Architects
in Kopenhagen und Ruikongijan Architects in Peking. Kaspar Helfrich arbeitete für
Brullmann Crochon + Associés in Paris und Studer Primas in Zürich. Tomas Polach
startete mit einem eigenen Büro und
war lehrend an der ETH tätig.
aeroarchitekten.ch
Holz im Innern lädt ein und macht die Räume
wohnlich – durch seine Haptik, klare Struktur
und Wärme.» Als Kontrast wurden Betonelementdecken gewählt, welche aus vorgefertigten Halbfertigteilen (Filigranelement) und
einem Aufbeton bestehen. «Die Betondecke
bringt die nötige Masse für den Schallschutz
in die Konstruktion und verteilt die Lasten
zwischen den Aussenwänden, dem Treppenkern und den V-Stützen.» Im Zuge des Aufrichtens des Holzbaus konnten die Halbfertigteile montiert werden. Der Aufbeton kam
erst nach Abschluss der Montage des Holzbaus dazu. Die Decken liegen auf den Aussenwänden und bei zwei Mittelachsen auf
deckengleichen Unterzügen auf. Letztere
sind mit den erwähnten V-Stützen-Paaren
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INSPIRATION SKELETTBAU
Holz ist für Frederic Schwarz mehr als nur ein
Werkstoff. «Inspiriert durch japanische Ske­
lettbauten von Kazuo Shinohara und durch
die Mitarbeit in Büros von Florian Nagler und
Shigeru Ban eint uns eine Faszination für Holz­
bau und freistehende Tragstrukturen.» Strukturelle Ideen lassen sich aber nicht nur im
Mass­s tab eines Hauses verwirklichen. Mit
der Freude am Material Holz, an Winkeln und
Fügungen haben Aero Architekten ein Regalsystem, das 3° Regal, kreiert. «Das Regal ist
aus massiver Eiche und kommt durch die präzise Fügung gänzlich ohne Schraub- oder
Leimverbindung aus», sagt Frederic Schwarz
nicht ohne Stolz. «Die Steher haben einen
rhythmisch um drei Grad zu- und abnehmenden Verlauf, womit sie die horizontalen Bö-
den tragen können und eine flexible Höhen­
einteilung gewährleisten.» Mit der verwinkelten Fassade am Hungerbühlweg und dem
3° Regal stellt sich die Frage, ob bei Aero Architekten immer mit Ecken und Kanten gearbeitet wird. «Ein paar Winkel und Umwege
sind für die Projektentwicklung oft entscheidend, aber natürlich ist es schön, wenn am
Schluss alles rundläuft. So wie beim Hungerbühlweg», erwidert Frederic Schwarz. «Das
gute Gespür der Bauherrschaft für Materialien und Oberflächen sowie ihr grosses Inte­r­
esse am Holzbau und an innovativen Lösungen
waren entscheidend für das Projekt. Zudem
hatten wir das Glück, in der Planung sowie in
der Ausführung mit unseren Wunschpartnern
im Holzbau, Pirmin Jung und Blumer-Lehmann,
zusammenarbeiten zu können, die sich mit viel
Einsatz und Know-how in das Projekt einbrachten.» Die Bauweise mit Holzwandelementen
sowie die Fertigbetondecke ermöglichten die
Herstellung im Werk und damit eine zügige
Montage vor Ort. «Von der Setzung der ersten Holzwand bis zur Schliessung des Daches
verging kaum eine Woche.» So bleiben die
Ecken, Kanten, Winkel, Wellen und Schattierungen der Optik und Ästhetik vorbehalten.
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