Singularität versus Spiritualität

hingeschaut
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Singularität versus Spiritualität
Bestimmt Herz oder Hirn unser Menschenbild?
Alexander Schwedeler
I
m Februar 2011 titelte das TIME Magazin:
»2045, das Jahr in dem der Mensch unsterblich wird«.1 Auf der entsprechenden Website2
wird das Vorhaben konkret beschrieben. Zwischen 2030 und 2035 soll ein Avatar hergestellt
werden, der ein künstliches Gehirn enthält. Die
menschliche Person soll dann kurz vor ihrem
Tod auf den Avatar überspielt werden. Damit
wäre nach dem Wunsch der Förderer dieses Projektes die menschliche Unsterblichkeit erreicht.
Diese Art Unsterblichkeit ist ein Element der
sogenannten Singularität, die auf Ray Kurzweil zurückgeht.3 Ihr Ziel ist die Kontrolle des
Weltalls, die Überwindung von Tod und Krankheit, die Kontrolle über Raum und Zeit. Sämtliche Entwicklungsstränge der Erde und des
Kosmos sollen in einem Punkt der Singularität
zusammen­kommen.
Der jüngst erschienene Kinofilm Transcendence zeigt dieses Motiv. Kurz vor dem Tod eines Wissenschaftlers gelingt es, seine Seele auf
den Computer zu überspielen. Seine Ehefrau ist
darüber sehr glücklich, weil ihr geliebter Mann
auf diese Weise nicht verschwindet, sondern –
auf dem Bildschirm – bei ihr bleibt. Ein Freund
warnt sie, dass es sein könne, dass es gar nicht
ihr Mann ist, der auf diese Weise »wieder erscheint«, was sich im Fortgang der Geschichte
bewahrheitet. Der Film und das Projekt 2045
entspringen einem gehirnzentrierten Menschenbild des Computerzeitalters. Danach werden die Impulse der menschlichen Bewegung
vom Gehirn gesteuert. Gibt es eine Alternative
zu diesem Menschenbild? Wer bewegt, wenn
nicht das Gehirn? Damit stellt sich die Frage
nach einem spirituellen Menschenbild, in dem
der Mensch im Fokus der Entwicklungsfähigkeit bleibt und nicht der Computer. Wie kann
ein solches Menschenbild aussehen?
Dazu können wir auf das Herz schauen, das
ja mehr ist als eine Pumpe. Das Herz ist ein
Die Christengemeinschaft 1 | 2015
komplexes, sich selbst organisierendes Informations-, Wahrnehmungs-, und Ausgleichssystem
mit einem eigenen funktionalen Gehirn. Dieses
Herz-Gehirn kommuniziert nicht nur mit dem
Großhirn, sondern beeinflusst es auch.4 Jüngste wissenschaftliche Ergebnisse des Heartmath
Institut bestätigen, dass der Herzschlag auf
jede Beeinflussung der Seele reagiert. Herz und
Kreislauf stellen zusammen mit dem Atem den
Zustand der Kohärenz her, wenn das Ich und
die Seele sich mit Wärme und Achtsamkeit einem Gegenstand oder einem Menschen zuwenden. Kohärenz nennt man den Zustand, in dem
Geist, Seele und Leib in optimaler und harmonischer Weise zusammenwirken.
Die Forschungen der Global Coherence Initiative5 zeigen, dass das Ich über die Seele und das
Herz eine Wirkung auf die ganze Erde hat. Wenn
wir selbst durch Achtsamkeit und Liebe dem Anderen gegenüber in den Zustand der Kohärenz
kommen, hat dies einen messbar beruhigenden
Einfluss auf die Erde. »Es ist eben nicht die Materie, die das Bewusstsein hervorbringt, sondern
das Bewusstsein bestimmt, was mit der Materie
geschieht. Und das Herz ist dabei das bestimmende Organ«.6 Beziehen wir diesen Gedanken auf
das Projekt Singularität, so können wir ahnen,
dass echte Spiritualität mit Achtsamkeit und Liebe einhergeht. Wir haben etwas, was ein Avatar
nicht kann: die Möglichkeit zu freien Taten, Taten die aus einem warmen Herzensinteresse entspringen. Damit sind wir potentiell auch in der
Lage, die Fortschritte der Computer-Technologie
sinnvoll, zum Wohle der Welt, zu nutzen.
1http://content.time.com/time/covers/
0,16641,20110221,00.html
2www.2045.com
3 Ray Kurzweil: The Singularity is near. When humans
transcend biology, Penguin Books 2006.
4www.heartmath.org
5www.glcoherence.org/about-us/about.html
6 Markus Peters: Gesundmacher Herz, Freiburg 2013.
5
Alexander Schwedeler, geboren 1963,
Berater bei Führung
und Organisationsentwicklung,
Stuttgart
www.alexanderschwedeler.de