Trockenschmierstoffe eröffnen neue Perspektiven

© 2007 Carl Hanser Verlag, München
www.blechinform.com
Nicht zur Verwendung in Intranet- und Internet-Angeboten sowie elektronischen Verteilern.
Betriebstechnik
BLECHPRAXIS
TRIBOLOGIE
Trockenschmierstoffe
eröffnen neue Perspektiven
In der Praxis werden viel mehr dünnflüssige Umformöle verbraucht, als
es nötig wäre, denn der Schmierstoff tropft leicht ab und verfehlt oft die
Stelle, die man benetzen will. Außerdem ist die Entsorgung aufwendig.
Eine Lösung könnten Trockenschmierstoffe sein. Diese hochviskosen
Fluide haben sich schon in Großbetrieben bewährt, sind bei kleinen jedoch kaum bekannt. Ein Verbundprojekt untersuchte nun die Verwendbarkeit der ›Trockenen‹. Das Ergebnis: Vorteile wie niedrige Auftragsmenge und Reduktion von Prozessschritten rechtfertigen die Investition.
MIT DEM EINSATZ von Zieh- und
Umformölen in der Blechbearbeitung
sollen zum einen typische Prozessfehler wie Risse, Riefenbildung oder
Druckstellen an den gefertigten Teilen vermieden und zum anderen die
Standzeiten der Werkzeuge verlängert werden, indem man die Reibung
mindert. Weil die meist niedrigviskosen Flüssigkeiten nicht punktuell an
den notwendigen Stellen aufgebracht
werden können und sich Effekte wie
Abtropfen, Overspray, Verdrängung
bei Druckbelastung und Verschleppung in der Prozesskette zeigen, ist
der Verbrauch von Zieh- und Umformölen in der Praxis hoch.
Einsparpotenzial untersucht
in einem Verbundprojekt
Zudem handelt es sich bei Zieh- und
Umformölen im Allgemeinen um
Flüssigkeiten mit möglichen negativen Auswirkungen auf die Umwelt
(primär Wassergefährdung) und die
Arbeitnehmer (Gesundheitsgefährdung). Ein wichtiges Ziel ist es deshalb, den Schmierstoffverbrauch im
Umformprozess gezielt zu reduzieren, ohne dass damit eine BeeinBLECH InForm 2/2007
trächtigung der Produktqualität und
der Folgeprozesse verbunden ist.
Um das vorhandene Einsparpotenzial
zu ermitteln und die praxisorientierte
Realisierbarkeit darzustellen, startete
die Effizienz-Agentur NRW (EFA,
www.efanrw.de) gemeinsam mit der
TechniData BCS in Siegen (www.technidatabcs.de) und dem Industrieverband Blechumformung (IBU,
www.industrieverband-blechumformung.de) im Jahr 2004 ein Verbundprojekt mit zunächst drei kleinen beziehungsweise mittelgroßen Unterneh-
Projektpartner
Dorma-Glas GmbH
32107 Bad Salzuflen
Tel. 0 52 22/9 24-0
Fax 0 52 22/21 00-9
www.dorma-glas.de
E. Dieckmann GmbH
58644 Iserlohn
Tel. 0 23 71/9 56-0
Fax 0 23 71/9 56-1 50
www.dieckmann.com
men (KMU) aus dem Bereich der Umformtechnik (Sektoren: Beschläge und
Automotive). Hersteller von Applikationseinrichtungen und Schmierstoffen wirkten aktiv im Verbundprojekt
mit und unterstützten die praxisnahen
Versuche.
Nach ersten Gesprächen mit Branchenfachleuten wurde deutlich, dass
die sogenannten Trockenschmierstoffe
zur Blechbearbeitung in mittelständischen Unternehmen kaum bekannt
waren. Hingegen lagen erste sehr positive Erfahrungen bei großen Unternehmen und Schmierstoffherstellern
vor, die allerdings nur bedingt mit den
Umformprozessen in KMU vergleichbar waren. Als konkretes Ergebnis
nach zahlreichen Erstversuchen im
Labormaßstab konnte Ende 2004
festgestellt werden, dass aus technischer Sicht der Anwendung von
Trockenschmierstoffen in der Praxis
nichts entgegensteht. Bei gleichem
oder sogar niedrigerem Verbrauch an
hochviskosen Zieh- und Umformölen
waren die Umformergebnisse vergleichbar mit der Qualität, die mit
konventionellen Zieh- und Umformölen erreicht werden kann.
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Applikation von hochviskosen Umformschmierstoffen im Vergleich zur
Applikation konventioneller Umformschmierstoffe geringfügig höhere Betriebs- und Investitionskosten verursacht. Aufgefangen wurden diese
höheren Kosten in den untersuchten
Fällen jedoch durch Einsparungen in
den nachfolgenden Prozessschritten
wie Entfetten oder Schweißen beziehungsweise durch eine Steigerung der
Produktivität (erhöhte Hubzahl, Minimierung des Ausschusses).
Amortisationszeit beträgt
weniger als zwölf Monate
Aufbringung als Kriterium: Der Nutzen hochviskoser Schmierstoffe wurde unter Walzapplikation
untersucht – links beim Partner Dorma-Glas in Bad Salzuflen – und unter Sprühapplikation (rechts)
Aufbauend auf diesen Ergebnissen
wurde das Verbundprojekt im Jahr
2005 um drei weitere KMU erweitert
und mit hohem Praxisbezug fortgeführt. Ziel war es, über eine breitere
Anwendung in Unternehmen weitere
Prozessschritte einzubeziehen. Ebenso
galt es, den Stand der verfügbaren Anlagentechnik zur Applikation der
hochviskosen Umformschmierstoffe
zu ermitteln. Darüber hinaus war es
notwendig, erste Erkenntnisse in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit des Einsatzes unter Einbeziehung der gesamten Prozesskette (Umformen, Schweißen, Veredeln) beim Herstellen von
Halbzeugen zu betrachten.
Seriennahe Tests ergaben
eine Reihe von Vorteilen
kation solcher Schmierstoffe über einen längeren Zeitraum ist möglich.
Allerdings wurde deutlich, dass die
Hochviskosen bei sehr kritischen Teilen mit einer hohen Erwärmung eine
erforderliche Zwischenbeölung in einzelnen Stufen nicht ersetzen können.
Besonders bei mehrstufigen Folgeverbundwerkzeugen mit starken Umformungen sind Trockenschmierstoffe zu
verwenden, die speziell für eine hohe
Umformleistung konzipiert wurden.
Generell zeigen die Versuchsergebnisse auch, dass das Verhältnis der Umformleistung, der aufgebrachten
Schmierstoffmenge, der Hubzahl und
der Umformstufen individuell ermittelt werden muss. Hinsichtlich der
Wirtschaftlichkeit zeigte sich, dass die
Im Jahr 2006 wurde das Verbundprojekt mit dem Ziel der Errichtung der
ersten Pilot- beziehungsweise Referenzanlagen für die Sprüh- und Walzapplikation fortgesetzt. Die erste Serienanlage mit Walzapplikation wurde
Mitte des Jahres bei Dorma in Bad
Salzuflen (www.dorma-glas.de) in
Betrieb genommen. Die nach einigen
Monaten durchgeführte Wirtschaftlichkeitsanalyse zeigte, dass die Investitionskosten und die gegenüber herkömmlichen Umformschmierstoffen
leicht erhöhten Applikationskosten
vom erzielten Produktivitätsgewinn in
den primären Umformprozessen mehr
als kompensiert wurden. Es ergab sich
eine statische Amortisationszeit von
weniger als 12 Monaten.
Bei dem Unternehmen Dieckmann in
Iserlohn wurde eine Anlage zur
Sprühapplikation projektiert, die im
zweiten Quartal 2007 ihren Betrieb
Die bisher vorliegenden ErgebnisBewertungskriterien
Walzapplikation Sprühapplikation
se konnten nach weiteren serienFlexibilität der Anwendung
nahen Versuchen in vollem Um+
fang bestätigt werden. Die UmOversprayproblematik
+
formleistung der verwendeten
2
Applikation geringer Mengen (1 g/m )
+
hochviskosen Schmierstoffe reduEinfacher technischer Aufbau
+
zierte den Verbrauch deutlich,
trug zu geringeren ÖlverschlepEinseitige Beschichtung möglich
+
pungen bei und ermöglichte EinBeschichtung breiter Bänder > 1 m
+
sparungen in der Prozesskette als
Hohe
Vorschubgeschwindigkeit
+
Ergebnis von Optimierungen und
Aufbringung von Sprühbildern
weil Prozessschritte entfielen, zum
+
Beispiel das Entfetten.
Kontaktlose Beschichtung
+
Sowohl die technische MachbarAnschaffungskosten
+
keit des Einsatzes der hochviskoVerhalten beim Medienwechsel
+
sen Umformschmierstoffe als
auch deren Applizierbarkeit mitWalzen vs. Sprühen: Bewertungskriterien für die Eignung der beiden Applikationsarten. Die Kriteritels Walzen und Sprühen ließ sich
en sind Erfahrungswerte aus der praktischen Anwendung; + bedeutet gut, – weniger geeignet
nachweisen. Die prozessstabile Appli-
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BLECH InForm 2/2007
aufnehmen wird. Konkrete Aussagen
hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit können dann einige Monate nach Inbetriebnahme erfolgen.
Erwiesen: Trockenschmierstoffe
senken die Prozesskosten
Der Betrieb dieser Anlage wird zeigen,
ob bisher nicht berücksichtigte Einsparpotenziale in der nachfolgenden Oberflächenbehandlung tatsächlich realisierbar sind, um so die statische Amortisationszeit entsprechend zu beeinflussen.
seits zu einem geringeren Schmierstoffauftrag beim Umformen führt
und dass diese Trockenschmierstoffe
auch Korrosionsschutzeigenschaften
übernehmen. Für eine aussagefähige
Bewertung des Einsatzes hochviskoser
Umformschmierstoffe sind folgende
Aspekte zu prüfen:
■
■
Bewährungsprobe: Ein Mitarbeiter des Partners Dieckmann in Iserlohn prüft die Praxistauglichkeit der Trockenschmierstoffe
Die technische Umsetzung des Projektes
wird von der Deutschen Bundesstiftung
Umwelt (DBU, www.dbu.de) gefördert.
Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass der Einsatz von hochviskosen Umformschmierstoffen einer-
Bisher liegen ausschließlich Einzelzulassungen des VDA für die im
Verbundprojekt verwendeten hochviskosen Umformschmierstoffe vor
(besonders für die AutomotiveZulieferindustrie von Bedeutung).
Eine weitere Möglichkeit für die
Applikation hochviskoser Umformschmierstoffe ist die Beschichtung
im Walzwerk. Diese Möglichkeit
der Verwendung von bereits beschichtetem Material konnte im
Verbundprojekt nicht untersucht
werden. Hierzu liegen aber bei den
Schmierstoffherstellern umfangreiche Erfahrungen vor. Bezüglich der
Verwendung von im Walzwerk beschichtetem Material für die geplanten Einsatzfälle ist die Beantwortung folgender Fragestellungen
noch erforderlich: Sind Probleme in
den Vorschubeinrichtungen durch
das walzwerkbeschichtete Material
zu erwarten? Reicht die im Walzwerk applizierte Schmierstoffmenge
für die individuelle Umformaufgabe
aus? Ist die Wirtschaftlichkeit von
walzwerkbeschichtetem Material
im Vergleich zu vor Ort beschichtetem Material gegeben?
Das Verbundprojekt ›Neue Schmierstoffanwendungen in der Umformtechnik‹ hat bestätigt, dass bei den
BLECHPRAXIS
Unternehmen der Umformtechnik ein
erheblicher Bedarf hinsichtlich der
Nutzung neuer Schmierstoffe besteht.
Die im Rahmen des Projekts durchgeführten Versuche machten deutlich,
dass Trockenschmierstoffe technisch
einsetzbar sind, dass sie die erforderliche Umformleistung erzielen und dass
sie in der Prozesskette dadurch Kostensenkungen bewirken. Die Applikation hochviskoser Umformschmierstoffe ist sowohl durch Walzen als
auch durch Sprühen möglich. Der
Nachweis der Prozessstabilität ist
weitgehend erbracht. ■
HENNING H. SITTEL
Effizienz-Agentur NRW
www.efanrw.de
Projektinitiatoren
Effizienz-Agentur NRW
47057 Duisburg
Tel. 02 03/3 78 79-51
Fax 02 03/3 78 79-44
www.efanrw.de
TechniData BCS
57078 Siegen
Tel. 02 71/8 80 72-0
Fax 02 71/8 80 72-72
www.technidatabcs.de
Industrieverband Blechumformung e.V.
(IBU)
58093 Hagen
Tel. 0 23 31/95 88 19
Fax 0 23 31/95 87 19
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