Zukunft Stockwerkeigentum – Werkzeuge für Gemeinden Paper für

Zukunft Stockwerkeigentum – Werkzeuge für Gemeinden
Paper für den Swiss Real Estate Research Congress 2015
Raimund Kemper
Geschäftsführer Kompetenzzentrum Infrastruktur und Lebensraum an der HSR Hochschule für Technik Rapperswil
Mit dem vorliegenden Paper sollen die Erkenntnisse eines aktuellen Forschungsprojekts (2012-2015)
zu den Herausforderungen von Gemeinden bei der Quartierentwicklung mit Stockwerkeigentum und
zu planerischen Werkzeugen vorgestellt werden. Das Forschungsprojekt wurde am IRAP Institut für
Raumentwicklung an der HSR Hochschule für Technik Rapperswil bearbeitet, im Auftrag des Bundesamts für Wohnungswesen BWO, des Kantons Aargau, der Städte Uster und Thalwil, der Gemeinden
Ittigen und Spreitenbach, des Schweizer Stockwerkeigentümerverbands sowie des Immobilienunternehmens Matma.
1.1 Warum ist Stockwerkeigentum für Gemeinden relevant?
Stockwerkeigentum erfreut sich fünfzig Jahre nach der Einführung in 1965 unverminderter Beliebtheit und die Nachfrage ist nach wie vor gross. Gleichzeitig wächst der Sanierungsbedarf im Stockwerkeigentum. Damit steht eine grosse Bewährungsprobe beim bis in die 1980er Jahre erstellten Stockwerkeigentum sowie bei zahlreichen in den letzten Jahren in Stockwerkeigentum umgewandelten
Mietwohnungen an. Auch stehen Städte und Gemeinden bei der Quartierentwicklung vor neuen Herausforderungen wie die Siedlungsentwicklung nach innen oder die Anpassung von Liegenschaften
und an gewandelte Wohnbedürfnisse. Diese Planungen sind sehr komplex und für Gemeinden entsprechend anspruchsvoll, da sie anders als Neuplanungen „auf der grünen Wiese“ in bestehenden
Bau- und Eigentümerstrukturen stattfinden. Hier werden Privateigentümer für kommunale Planungsbehörden zu wichtigen Akteuren.
Die Relevanz des Stockwerkeigentums für Gemeinden liegt in der Charakteristik dieser Eigentumsform. Stockwerkeigentum ist eine besondere Form des Miteigentums, bei dem jedem Stockwerkeigentümer eine bestimmte Quote am Gemeinschaftseigentum (gemeinschaftliche Teile wie Land, Gebäudehülle und Haustechnik) sowie das Sonderrecht an einer Wohnung zustehen. Entscheidungen,
die sich auf das Gemeinschaftseigentum beziehen, sind von allen Eigentümern zusammen zu treffen.
An der Schnittstelle privater und öffentlicher inhaltlicher Interessen- und räumlicher Einflussbereiche
sind zwei Faktoren relevant, die das Stockwerkeigentum im Aussenverhältnis kennzeichnen und aus
Perspektive der Gemeinden die besondere Herausforderung in der Quartierentwicklung darstellen.
Raimund Kemper  [email protected]  T +41 55 222 48 91
HSR Hochschule für Technik Rapperswil  IRAP  Oberseestrasse 10  CH-8640 Rapperswil
T +41 55 222 48 95  F +41 55 222 44 00  [email protected]  www.irap.ch
Zum einen werden in Stockwerkeigentümergemeinschaften notwendige Beschlüsse zu Unterhaltsund Sanierungsmassnahmen oder baulichen Erneuerungsmassnahmen häufig verzögert, gar nicht
oder mit einer unzureichenden strategisch-langfristigen Ausrichtung gefasst (fehlende Informationen
für strategische Entscheidungen, persönliche Konflikte und divergierende Interessen innerhalb von
Stockwerkeigentümergemeinschaften sowie unzureichende finanzielle Rahmenbedingungen zur
Durchführung umfassender Massnahmen). Auch fehlt den Planungsakteuren bei Liegenschaften im
Stockwerkeigentum – verglichen mit Liegenschaften im Alleineigentum – ein entscheidungsberechtigter Eigentümer für eine Liegenschaft, einerseits als Ansprechpartner, welcher eine einheitliche
Strategie einer Stockwerkeigentümerschaft nach aussen vertritt, und andererseits als Adressat, der
auf Impulse von aussen (Informationen, Anreize, Vorgaben) verbindlich reagiert. Rechtlich betrachtet
sind für die Gemeinde die einzelnen Stockwerkeigentümer entscheidungsberechtigte Ansprechpartner und Adressaten bei Planungen. Diese Besonderheiten können bei grossen Stockwerkeeigentümergemeinschaften mit inhomogener Interessenlage und in Quartieren mit mehreren Liegenschaften im Stockwerkeigentum Planungen erschweren. Vertreter kommunaler Baubehörden befürchten
Unterhalts- und Sanierungsverzögerungen im Stockwerkeigentum und erhöhte Schwierigkeiten bei
der Planung und Umsetzung städtebaulicher Anpassungsstrategien.
1.2 Welcher Handlungsbedarf besteht für Gemeinden?
Was können Gemeinden tun, wenn Beschlüsse zu Unterhalts- und Sanierungsmassnahmen durch
Stockwerkeigentümer nicht gefasst werden? Wie können geplante städtebauliche Aufwertungs- oder
Entwicklungsstrategien realisiert werden, wenn Gemeinden auf inhomogene Interessenlagen bei Eigentümerschaften stossen? Diese Fragen umreissen den Handlungsbedarf für Gemeinden auf unterschiedlichen räumlichen Interventionsebenen, auf Parzellenebene wie auf Quartier- und Gemeindeebene, wie auch in unterschiedlichen planerischen Interventionsphasen, von der Planung und Baubewilligung über die Phase des Unterhalts und der Sanierung von Liegenschaften bis zur baulichen Erneuerung.
1.3 Welches Ziel wird mit den Werkzeugen verfolgt?
Die aufgeworfenen Fragen haben in kantonalen und kommunalen Planungsbehörden zu Debatten
geführt, wie durch die planerische Steuerung der Entwicklung von Quartieren mit Stockwerkeigentum die Lebensqualität in solchen Quartieren und damit auch die Standortattraktivität von Gemeinden gesichert und entwickelt werden kann. Mit einem umfassenden Set an Werkzeugen sollen die
kommunalen Planungsakteure erstens in Quartieren mit älteren Beständen an Stockwerkeigentum
auf den wachsenden Bedarf an Unterhalts- und Sanierungsmassnahmen reagieren können. Zweitens
sollen ihnen Handlungsgrundlagen zur Verfügung gestellt werden für die notwendige Siedlungsentwicklung nach innen und für Anpassungen von Liegenschaften in Stockwerkeigentum an veränderte
Wohnbedürfnisse und technische Standards. Die Werkzeuge zielen darauf ab, die Planung in komplexen Eigentümerstrukturen auf die Besonderheiten des Stockwerkeigentums abzustimmen.
1.4 Welche Werkzeuge stehen zur Verfügung?
Den Planungsakteuren in Gemeinden stehen bei der Quartierentwicklung mit Stockwerkeigentum
Werkzeuge in unterschiedlichen Handlungsfeldern zur Verfügung: „Planen“, „Kooperieren“ und „Informieren“. Folgende Abbildung zeigt die Werkzeuge und Bausteine in einer Übersicht.
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Als Anwenderin des Planungs- und Baurechts trägt die
Gemeinde mit den Werkzeugen Nebenbestimmungen
zu Bewilligungsverfahren und Sondernutzungsplanung
zur Qualitätssicherung im Stockwerkeigentum bei. Mit
diesen Werkzeugen können Qualitätsziele zu Gebäuden
und Wohnumfeld sowie zu langfristig tragenden Bewirtschaftungsstrategien im Stockwerkeigentum definiert
werden. Diese Regelungen sind auch Grundlage für eine
Verpflichtung von Stockwerkeigentümergemeinschaften
zur Durchführung notwendiger Unterhalts- und Baumassnahmen.
Durch Werkzeuge der Kooperation agiert die Gemeinde
mit Stockwerkeigentümerschaften auf Augenhöhe. Mit
Gebietsentwicklungsverfahren fördert die Gemeinde die
Kooperationen zwischen Eigentümern, die aus privatem
Antrieb nicht zustande kommen. Durch die Übernahme
von Stockwerkeigentumsteilen, beispielsweise in Kooperation mit einer Genossenschaft, kann die Gemeinde
die beim Stockwerkeigentum häufig problematische
und konfliktträchtige Verbindung von Nutzungseigentum (Wohnung) und Gemeinschaftseigentum (Wohnumfeld, Fassade etc.) auflösen. Mit Anschubleistungen
kann die Gemeinde Anreize zur Auslösung von Massnahmen im Stockwerkeigent setzen.
Im Bereich Informieren setzt die Gemeinde Werkzeuge der Sensibilisierung und Information sowie
der Vermittlung von Beratungsangeboten und Finanzierungsquellen für Stockwerkeigentümer ein.
Mit diesen angebotsbasierten Massnahmen reagiert die Gemeinde in einer aufklärenden Rolle auf
die unzureichenden Kenntnisse vieler Stockwerkeigentümer über die Besonderheiten der von Ihnen
gewählten Eigentumsform. Auch kann sie durch den Beizug oder die Vermittlung professioneller Beratung auf die Auswahl geschulter Verwaltungen hinwirken.
1.5 Wie können die Werkzeuge eingesetzt werden?
So wie Stockwerkeigentum aus Sicht der Planungsakteure vor einer Bewährungsprobe steht, so müssen sich die Werkzeuge in der Planung noch bewähren. Während einige Werkzeuge eine inhaltliche
Anpassung bestehender planerischer Steuerungsansätze darstellen (z.B. Sondernutzungsplanung),
wird mit anderen planerisches Neuland betreten (z.B. Gebietsentwicklungsverfahren) – teils durch
die Übertragung von Steuerungsansätzen aus anderen Rechtsbereichen, teils anknüpfend an aktuelle
Diskussionen zur Anpassung der Planungspraxis.
Die Herausforderungen der Quartierentwicklung mit Stockwerkeigentum in Gemeinden sowie der
daraus abzuleitende Handlungsbedarf umfassen unterschiedliche räumliche Interventionsebenen
und zeitliche Interventionsphasen in der Planung mit Stockwerkeigentum. Diesen Interventionsphasen und -ebenen lassen sich die Werkzeuge zuordnen. Folgende Übersicht stellt die Herausforderungen und den Handlungsbedarf bei der Quartierentwicklung mit Stockwerkeigentum sowie die Werkzeuge zusammenfassend dar.
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Durch die Ausrichtung der Werkzeuge auf das Stockwerkeigentum haben Gemeinden nun Möglichkeiten, qualitätssichernde Unterhalts-, Sanierungs- und Erneuerungsmassnahmen durch Eigentümer
zu bewirken. Der Schlüssel zum Erfolg der Werkzeuge wird in ihrer konsequenten Anwendung in der
Praxis liegen. Denn insgesamt müssen sich die Werkzeuge in Gemeinden noch bewähren. Hier ist
Mut zur Innovation gefragt.
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