Entstehung der Textlinguistik

Textlinguistik
Entstehung, Entwicklung, Richtungen
Philologische Fakultät der Universität Belgrad,
Lehrstuhl für Germanistik, Oktober 2015
Vorläufer der Textlinguistik
• Rhetorik, Stilistik, Poetik, Literaturwissenschaft,
Kulturanthropologie, Soziologie, Jura, Theologie …
• Aristoteles, Quintilian, chinesische und arabische Quellen
• Man hat sich vor der Entstehung der Textlinguistik als
sprachwissenschaftlicher Disziplin mit Texten beschäftigt.
• Rhetorik: Kunst der (öffentlichen) Rede, Ausbildung von
Rednern. Regeln der systematischen Gliederung und
wirkungsvollen Präsentation von Texten.
• Stilistik: angemessener und wirkungsvoller Sprachgebrauch,
nicht nur öffentliche Reden, sondern auch andere
Kommunikationsbereiche.
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Entstehung der Textlinguistik
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Mitte der 60er Jahre als selbständige Disziplin
Heute weitgehend interdisziplinär, verschiedene Ansätze
Text als Produkt, Textproduktion, Textrezeption
Keine in sich geschlossene Theorie, sondern die Gesamtheit der
sprachwissenschaftlichen Untersuchungen, die Texte betreffen.
Satzgrammatik  satzüberschreitende grammatische Phänomene 
Analyse globaler Textstrukturen
Pragmatische Aspekte, Wissensverarbeitung
Textualität, Themenentwicklung
Theoretische Modelle / Methoden der Textanalyse
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Definition - Brinker
Die Textlinguistik sieht es als ihre Aufgabe an,
die allgemeine Bedingungen und Regeln der
Textkonstitution, die den konkreten Texten
zugrundeliegt, systematisch zu beschreiben und
ihre Bedeutung für die Textlinguistik zu erklären.
(Brinker, Linguistische Textanalyse)
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Pragmatische Wende
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Entwicklung der Textlinguistik
Drei Hauptphasen:
1.Transphrastischer Ansatz
sprachliche Mittel, mit deren Hilfe Sätze zu kohärenten Folgen
verbunden werden
2.Kommunikativ-pragmatischer Ansatz
Text als Ganzheit mit kommunikativer Funktion
3.Kognitivistischer Ansatz
Produktion und Rezeption von Texten
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Transphrastischer Ansatz
• Transphrastisch = 'satzübergreifend'
• Satzgrammatik  Textgrammatik
• Texte werden als Aneinanderreihungen miteinander
verknüpfter Sätze beschrieben.
• 1964 – Peter Hartmann fordert die Orientierung der Linguistik
an Texten: vom Sprachsystem zum Sprachgebrauch
• Harweg - Text als "ein durch ununterbrochene pronominale
Verkettung konstituiertes Nacheinander sprachlicher Einheiten"
(Harweg 1968: 148).
• Heidolph und Isenberg untersuchen syntaktisch-semantische
Verknüpfungen benachbarter Sätze
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Transphrastischer Ansatz
• Überlegungen zur thematischen Progression (Daneš)
• Weinrich: textuell bedingte Artikelselektion und
textuelle Dominiertheit des Tempusgebrauchs
• Halliday/Hasan (1976) – führen den Begriff Kohäsion
(semantisch-syntaktische Verknüpftheit) in die
Textlinguistik ein.
• Kohäsion - verschiedene Erscheinungsformen der
(expliziten und impliziten) Wiederaufnahme und der
(expliziten und impliziten) Konnexion
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Transphrastischer Ansatz
• Erste Textdefintionen immer noch sprachsystematisch geprägt: Text ist
“eine Folge von Sätzen, die durch Vertextungsmittel (Konjunktionen,
Pronomina, ...) miteinander verknüpft sind.
• Satz als Struktureinheit des Textes
• Textkohärenz wird ausschließlich grammatisch gefasst
• Texte sind strukturelle Einheiten desselben Typs wie Sätze, nur
umfangreicher; man braucht kein neues Beschreibungsinstrumentarium
• Das Sprachsystem wird um eine Einheit – den Text – erweitert
• Textgrammatik: nach welchen strukturellen Prinzipien werden Texte
konstituiert. Erste Grundannahme: Verknüpfung von Sätzen,
Pronominalisierung
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Transphrastischer Ansatz
• Kritik: scheint in hohem Maße operationalisierbar zu sein - man
kann Texte von Nicht-Texten unterscheiden - aber es gibt Beispiele,
für die dieser Ansatz (v.a. Harwegs Auffassung) undenkbar sind, z.B.
Ein-Wort-Texte, Ein-Satz-Texte, Nonsens-Texte.
•  weitere Mittel zur Kohäsionsbildung
(#) Die Wetterlage in Europa hat sich in den vergangenen Tagen völlig verändert. Wie
aber soll sie von wenig Geld eine Haushaltshilfe bezahlen? Allerdings will kein
Meteorologe einen Pfennig darauf verwetten, daß wir nun auch von Juni an mit
Sonne rechnen können.
(#) Es gibt niemanden, den ihr Gesang nicht fortreißt. Unsere Sängerin heißt
Josephine. Gesang ist ein Wort mit sechs Buchstaben (und fünf Phonemen),
Sängerinnen machen viele Worte.
(#) Der Sachschaden beträgt sechs Millionen Mark. Als die alarmierte Feuerwehr bei
den Löscharbeiten die Stahltür zu einem Kellerraum öffnete, entstand ein Luft-GasGemisch, das sich explosionsartig entzündete. Bei einer Gasexplosion in einem
Geschäftshaus sind am Donnerstag zwölf Menschen verletzt worden.
Beispiele aus: (Vater 1994, 18-19)
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Pronominalisierung
• Roland Harweg: Pronomina und Textkonstitution (1968): Text
als "ein durch ununterbrochene pronominale Verkettung
konstituiertes Nacheinander sprachlicher Einheiten“.
• Textkonstitutiv
• Substituentia (ersetzende Elemente) und Substituenda (zu
ersetzendes Element): alle ersetzenden Elemente: Synonyme,
Hyperonyme, Metapher, Metonymien u.a.
• Nicht in allen Texten gegeben, z.B. Ein-Satz-Aphorismen
 Brinker: explizite und implizite Wiederaufnahme –
Bezugsausdruck und wiederaufnehmender Ausdruck
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Pronominale Verkettung und Proformen
•
Proform: Verweisformen, Substituentia, Kohäsionsmittel, referenzidentische
Wiederaufnahmemittel
o
o
Pronomina - Personal-, Demonstrativpronomina)
(#) Kennst du Heinz. Der ist mein bester Freund.
(#) Hans wohnt in Berlin. Dort studiert er Medizin.
(#) Er hielt eine Rede, worin (in der) er seinen Lehrer entdeckte.
Adverbien - temporal, lokal, direktiv, kausal, Pronominaladverbien
•
Ausdehnung (Bezugselement): Wortgruppen, Sätze, Satzfolgen
Als die Kinder die Macht ergriffen, gingen die Eltern in Deckung. Luftballons flogen über eingezogene Köpfe.
Mobiliar polterte über das Parkett. Der Fußboden bebte unter stampfendem Toben. Im Souterrain rieselte Kalk. ...
Das war gegen 18 Uhr am ersten Tag einer außergewöhnlichen Woche. (Die Zeit, 14.1.1972)
Text-in-Funktion (Schmidt), Text als Handeln
• Wortfolgen sind Werkzeuge der Sprache, sie haben an sich keine
Bedeutung, sondern bekommen diese erst im Zusammenhang der
Handlung, in der sie gebraucht werden. Im Laufe einer Äußerung
werden immer mehrere Akte gleichzeitig vollzogen. Die Handlungen
und die verwendeten Mittel sind konventionell geregelt.
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Wiederaufnahme
• Explizit und implizit
• Ausdehnung (Bezugselement):
Wortgruppen, Sätze, Satzfolgen
Als die Kinder die Macht ergriffen, gingen die
Eltern in Deckung. Luftballons flogen über
eingezogene Köpfe. Mobiliar polterte über das
Parkett. Der Fußboden bebte unter stampfendem
Toben. Im Souterrain rieselte Kalk. ... Das war
gegen 18 Uhr am ersten Tag einer
außergewöhnlichen Woche. (Die Zeit, 14.1.1972)
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Kommunikativ-pragmatischer Ansatz
Was ist der Zweck der Texte in bestimmten
Kommunikationssituationen?
 kommunikative Funktion
(Definitionen von Schmidt, Ehlich, Rosengren, Coseriu, Viehweger, Rickheit/Strohner, Holly)
Textpragmatische Aspekte: Text, Textualität, Kohärenz werden
auch textextern untersucht
Einflüsse der Sprechakttheorie, der Kommunikationstheorie
und der Konversationsanalyse
Textmerkmale werden in Abhängigkeit von der
Verwendungssituation untersucht
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Literatur
Gansel, Christina/Frank Jürgens (22007): Textlinguistik und Textgrammatik. 2. Aufl. Göttingen (Studienbücher zur Linguistik, 6).
Kapitel 2: Zur Entwicklung des Textbegriffs, S. 35-39.
Ili isto poglavlje u kasnijem izdanju:
Gansel, Christina/Jürgens, Frank (32009): Textlinguistik und Textgrammatik. Göttingen (UTB 3265).
Eva Schoenke (Universität Bremen), Textlinguistik, Zusammenfassung der Vorlesungsinhalte.
http://www-user.uni-bremen.de/~schoenke/tlm.html
Glossar zur Textlinguistik
http://www-user.uni-bremen.de/~schoenke/tlgl/tlgl.html
LEXIKON DER LINGUISTIK
Gansel, Christina/Frank Jürgens (22007): Textlinguistik und Textgrammatik. 2. Aufl. Göttingen (Studienbücher zur Linguistik, 6).
Kapitel 2: Zur Entwicklung des Textbegriffs, S. 35-39.
Ili isto poglavlje u kasnijem izdanju:
Gansel, Christina/Jürgens, Frank (32009): Textlinguistik und Textgrammatik. Göttingen (UTB 3265).
Brinker, Klaus (2006). Ursprung und Entwicklung der Textlinguistik. In: Auroux, Sylvain, E. F. K. Koerner, Hans-Josef Niederehe, Kees
Versteegh (Hrsg.). Geschichte der Sprachwissenschaften HSK 18.3. Berlin, New York: de Gruyter: 2540-2550.
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