Hauptausgabe - Migros

34 | MM24, 8.6.2015 | MIGROS-WELT
Ausflug in die
Vergangenheit:
Julian Coskun
(links) und Rafael
Enzler im Lenzburger Museum
Burghalde.
Begegnungen im Museum
Infos zum Projekt
Treffen der
Generationen
«GiM – Generationen
im Museum» ist eine
Veranstaltungsreihe des
Migros-Kulturprozents:
Besucherpaare mit
mindestens 20 Jahren
Altersunterschied entdecken ein Museum und
erfinden jeweils eine
Geschichte über ein
Exponat.
Ziel ist der Austausch
zwischen den Generationen. Bereits machen
über 40 grosse und
kleine Museen in der
Deutschschweiz mit.
Die Veranstaltungen finden bis Anfang Juli statt.
Nach der Sommerpause
folgen im Herbst und
Winter weitere Anlässe.
www.generationenim-museum.ch
Vier Augen sehen mehr
Ein 15-jähriger Pfadfinder und ein 49-jähriger Projektmanager entdecken
gemeinsam eine Ausstellung. Möglich macht diese Begegnung das Projekt
«GiM – Generationen im Museum» des Migros-Kulturprozents.
Text: Beat Matter
S
Bild: Paolo Dutto
timmengewirr im
Museum Burghalde in
Lenzburg AG. Zwischen
Exponaten, welche die
Entwicklung der Region von
der Steinzeit bis zur Industriali­
sierung zeigen, schlendern
ungleiche Paare umher.
Sie diskutieren und lachen.
Es ist eine Veranstaltung von
«GiM – Generationen im
Museum». Das Projekt wird
getragen vom Migros­Kultur­
prozent. Bei GiM-Veranstaltungen erforschen Menschen
aus unterschiedlichen
Generationen paarweise ein
Museum. Sie einigen sich auf
einen Gegenstand und erfinden
dazu eine Geschichte, die sie
der ganzen Besuchergruppe
erzählen. In der Burghalde trifft
eine Pfadigruppe auf den Verein
Landschaftstheater Lenzburg.
Der Schüler Julian Coskun (15)
spannt mit dem Projektmanager
Rafael Enzler (49) zusammen.
Man ist sofort per Du. «Ich
möchte eine lustige Geschichte
erzählen», sagt Julian. Rafael ist
das recht. Nachdem die beiden
verschiedene Objekte betrachtet
haben, wählen sie schliesslich
ein zweischneidiges Rasiermes­
ser aus dem 19. Jahrhundert.
Brücke zwischen Jung und Alt
Die Veranstaltungsreihe will
Generationen zusammenbrin­
gen. «Es funktioniert, wir haben
bei den bisherigen Anlässen
sehr gute Erfahrungen ge­
macht», sagt GiM­Leiterin Fran­
ziska Dürr. Die Begegnungen
seien unvergesslich für alle
Beteiligten. Archäologin Ursina
Zweifel vom Museum Burghalde
findet die Idee ebenfalls über­
zeugend: «Im Alltag haben wir
eher Schulklassen im Museum.
Es ist aufregend, mehrere Gene­
rationen zu Gast zu haben.»
Julian und Rafael stellen sich
vor das Rasiermesser und
erzählen eine Geschichte über
einen Händler mit ausser­
gewöhnlich starkem Bartwuchs.
Sie ernten Lacher und bekom­
men Schlussapplaus. «Der
Austausch über Generationen
hinweg war bereichernd»,
resümiert Rafael. Julian lacht.
«Wäre ich mit einem Kollegen
durch die Ausstellung gegangen,
wäre ich wohl weniger bei der
Sache gewesen», sagt er. MM
36 | MM24, 8.6.2015 | MIGROS-WELT
Santander
Comillas
Torrelavega
Laredo
Kantabrien
Madrid
MSC-Sardellen
An der nord­
spanischen Küste
im Golf von
Biskaya werden die
besten Sardellen
der Welt gefangen.
Ein Versprechen wird
S
Sardellen aus dem Kantabrischen Meer gelten als
die besten der Welt. Sie stehen auch beispielhaft
für eine Erfolgsgeschichte: Aus einem
ökologischen Notstand und einer ökonomischen
Krise entwickelte sich eine biologische
Überraschung. Um zu verhindern, dass sich
dieses Krisenszenario wiederholt, verkauft die
Migros seit einigen Monaten als erste Händlerin
weltweit nur noch nachhaltig gefischte Sardellen.
Damit löst sie erneut ihr Versprechen ein, bis
2020 ausschliesslich Fisch und Meeresfrüchte aus
gesunden Beständen anzubieten.
Text: Monica Glisenti
Bilder: Daniel Grieser
inforiano de Mendieta, ein gut gelaunter
Mann, ist unterwegs zu den Fischern in
Kantabrien. Es sind Fischer, denen ein
intaktes Ökosystem am Herzen liegt, und
andere Fischer, die zuerst an ihr Einkommen
denken. Denn hier im Norden Spaniens, wo das
Meer rau ist und die saftig-grünen Hügel an die
Schweiz erinnern, liegt die Arbeitslosigkeit zwar
zwei Prozent unter dem Landesdurchschnitt,
dennoch hat jeder Fünfte keinen Job.
Trotz Warnungen wurden die Bestände überfischt
«Wir müssen den Fischern verständlich machen,
dass wir alle nur gewinnen können, wenn wir das
Meer schützen», sagt de Mendieta. «Dazu müssen
wir mehr tun, als die Gesetze verlangen. Es
handelt sich um eine nachwachsende, aber nicht
unbegrenzte Ressource», fordert der Unternehmer und langjährige Partner der Migros. Er hat die
Krise miterlebt, als vor neun Jahren die europäische Fischereikommission gezwungen war, für
Sardellen aus dem Kantabrischen Meer ein Fangverbot zu verhängen. Denn trotz Warnungen von
MIGROS-WELT | MM24, 8.6.2015 | 37
2
1
4
4 Fragen an
3
Oliver Hausmann
5
6
1 Der kantabrische Fischer
Antonino San Martín
(links) setzt sich aktiv für
seine Heimat ein und
fordert langfristiges
Denken für die Umwelt.
2 + 3 MSC-Fischer holen
die grobmaschigen
Netze ein. Darin finden
sich unzählige silbrigglänzende Sardellen –
schonend gefangen.
4+5 Mit dem Fang fährt
der Kutter zurück in den
Hafen, wo er entladen
wird und flinke Hände die
die Fischernetze wieder
instand stellen.
6 Beim MSC-zertifizierten
Sardellenverarbeiter
Sucore in Laredo arbeiten
vor allem Frauen, welche
die feinen Filets schneiden
und konservieren.
wahr
Wissenschaftlern und Naturschützern wurden die
Bestände überfischt.
Die Engraulis encrasicolus, wie die silbrig
schimmernden Fische auf Lateinisch heissen, ha­
ben Kantabrien berühmt gemacht. Sie gelten als
die besten Sardellen der Welt. In der Verarbeitung
sind überwiegend Frauen beschäftigt, weil sie das
Handwerk beherrschen, die delikaten Fische zu
filetieren und sorgfältig in die Dosen zu legen.
Doch plötzlich war eine ganze, über Jahrzehnte in
der Region gewachsene Industrie gefährdet.
Über 3000 Fischer und mehr als 60 meist kleine
Familienbetriebe waren in ihrer Existenz
bedroht. Um zu überleben, importierten die Unter­
nehmen Sardellen aus dem Mittelmeer und ande­
ren Weltgegenden – so lange, bis sich die Bestände
vor ihrer Haustüre erholt hatten.
Das geschah zur Überraschung der Meeres­
biologen viel früher als erwartet. Die EU konnte
die Fischgründe 2010 wieder freigeben, senkte
allerdings die Fangquoten und verschärfte
generell das Regelwerk für ein nachhaltigeres
Fischereimanagement.
«Das ist gut, aber nicht genug», sagte damals
Laura Rodríguez Zugasti, Leiterin der Non­Profit­
Organisation Marine Stewardship Council (MSC)
Spanien und Portugal. Sie forderte, dass die
Bestände auf möglichst hohem und gesundem
Niveau erhalten und schwerwiegende Eingriffe in
die Meereslebensräume verhindert werden.
Dieses Ziel verfolgt seit vielen Jahren auch die
Migros. Die Detailhändlerin hat versprochen, bis
2020 nur noch Fische und Meeresfrüchte zu
verkaufen, die nicht vom Aussterben bedroht sind.
Engagierter Einsatz für mehr Ethik
Um diesem Ziel noch näher zu kommen reisten
die Migros­Verantwortlichen mit de Mendieta
und MSC­Chefin Rodríguez Zugasti vor zwei Jah­
ren nach Kantabrien. Sie setzten sich mit der Re­
gionalregierung, den Fischereizünften und Verar­
beitern an den Tisch. Sie diskutierten und stritten.
Es ging um Zusagen, Quoten, Verpflichtungen,
Kontrollen. Das Trio missionierte für eine ökolo­
gischere und effizientere Fischerei, für mehr Ethik
und ein überlebensfähiges Geschäftsmodell.
Die kantabrische Sardellenfischerei ist die Erste, die
MSC-zertifiziert ist. Wie
kam es dazu?
Die Migros ist in Sachen
Nachhaltigkeit Pionierin.
Deshalb haben wir auch bei
den Sardellen, wo wir über
50 Prozent Marktanteil
haben, unsere Verantwortung
wahrgenommen. Wir
mussten aber viel Über­
zeugungsarbeit leisten. Denn
nachhaltige Fischerei bedingt
grosse Veränderungen, mehr
Aufwand und strenge
Kontrollen.
Rechnet sich die Umstellung
für die Fischer?
Ja, sie bekommen für
MSC­Fisch einen besseren
Preis und sichern sich so
langfristig ihre Einkommens­
grundlagen.
Wäre es nicht besser für die
Umwelt, wenn die Migros
nur noch Schweizer Fisch
anbieten würde?
Das ist nicht möglich. Der
Fischfang und die Fischzucht
in der Schweiz decken weni­
ger als 6 Prozent des einhei­
mischen Konsums ab.
Wer in der Migros frischen
Fisch kauft, kann das mit
gutem Gewissen tun. Gilt
das auch für die Konserven?
96 Prozent unserer Fisch­
konserven stammen ebenfalls
aus ökologischen Zuchten
oder umweltfreundlichem
Wildfang. Ziel ist es, bis Ende
Jahr die restlichen 4 Prozent
umzustellen.
Oliver Hausmann ist Leiter
Category Management
Beilagen/Konserven/Tierwelt
bei der Migros.
38 | MM24, 8.6.2015 | MIGROS-WELT
Das Label
Was bedeutet MSC?
Beim wildgefangenen
Fisch setzt die Migros auf
das Label MSC (Marine
Stewardship Council).
Der Umweltstandard
wurde 1997 vom WWF
mitbegründet. Ihm liegen
drei Prinzipien zugrunde:
• Etablierung eines
Managements, das über
die Fischerei wacht
Mit Hilfe von 28 verschiedenen Kriterien messen
unabhängige Zertifizierer,
ob den drei Prinzipien
Rechnung getragen wird
(siehe unter msc.org/ch/).
Regelmässige unabhän­
gige Kontrollen stellen
sicher, dass die Richtlinien
eingehalten werden –
vom Fischerboot bis zur
Verkaufsstelle.
Bis 2020 wird die Migros
nur noch Fisch und
Meeresfrüchte anbieten,
die nicht von der Über­
fischung bedroht sind.
Heute stammen bereits
97 Prozent aus nachhal­
tigen Quellen.
• Erhalt gesunder
Fischbestände
• Minimale Auswirkung
aufs Ökosystem Meer
Ein Teil von
Inzwischen haben sich zahlreiche
Fischer und der grösste Sardellenverarbeiter dem Programm angeschlossen.
Sie haben gelernt und viel investiert,
um die 28 strengen MSC-Vorgaben (siehe Box links) umzusetzen. Die Migros
kann nun seit einigen Monaten als erste
Händlerin weltweit MSC-zertifizierte
Sardellen aus Kantabrien anbieten und
erhöht damit den Anteil der Fische und
Meeresfrüchte, die aus nachhaltiger
Quelle stammen, auf 97 Prozent. Damit
kommt sie der Erfüllung ihres Versprechens schon jetzt sehr nahe.
Nur grobmaschige Netze zum Fischen
Der 24jährige Antonino San Martín ist
einer der Pioniere, die für die Migros im
Golf von Biskaya MSC-Sardellen fischen. Inzwischen ist er vom nachhaltigen Fischfang so überzeugt, dass er
schon etliche Kollegen zum Umdenken
bewegen konnte. Auch sie finden die
strengen Auflagen nicht mehr radikal,
realitätsfern und bürokratisch. Auch sie
halten sich jetzt daran, mit grobmaschigeren Netzen zu fischen, damit kleine
Exemplare nicht hängen bleiben. Die
bringen ohnehin nur einen Bruchteil
des Preises der grösseren Fische ein.
Trotzdem bleibt die Umstellung für
manche eine Herausforderung, mit der
sie ringen. Denn in einem Land mit
20 Prozent Arbeitslosen sind wenige
Euros für kleine Fische immer noch
mehr als gar keine Euros. Da geht es
nicht um Gier, sondern ums kurzfristige Überleben.
MSC-Fischer Antonino San Martín
sagt: «Wir haben eine schöne Landschaft, lange Sandstrände, den wilden
Atlantik, so viele Kühe wie Einwohner
und die Fischerei. Das ist viel, aber auch
alles. Wenn wir Jungen bleiben wollen,
müssen wir langfristig denken und dieser Existenzgrundlage Sorge tragen.»
Grund genug für de Mendietas
Zuversicht und seine gute Laune.
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MIGROS-WELT | MM24, 8.6.2015 | 39
Die Expertin
«Sardellenbestand ist in sehr gutem Zustand»
Laura Rodríguez Zugasti, was
bringt MSC den Konsumenten?
Sie können sich mit gutem Gewis­
sen für Fisch und Meeresfrüchte
entscheiden, denn diese stammen
aus nachhaltigem Fang. Damit
belohnen sie Fischereien, die
verantwortungsvoll fischen, und
leisten einen wichtigen Beitrag für
die Artenvielfalt in den Meeren.
Laura Rodríguez Zugasti,
Leiterin MSC Spanien/
Portugal.
Ist überall MSC-Fisch drin, wo
das MSC-Label draufsteht?
Ja, die ganze Wertschöpfungskette
– vom Fischerboot über die Ver­
arbeitungsbetriebe bis hin zu den
Händlern – unterliegt den MSC­
Standards. Wir führen regelmässig
Stichproben durch, geben DNA­
Tests in Auftrag und kontrollieren
die korrekte Verwendung des Logos.
in einem guten Zustand ist.
Reichen die Fangquoten für das
Auskommen der Fischer?
Eines unserer übergeordneten
Prinzipien lautet: Der Fisch­
bestand muss in einem guten
Zustand sein. Die unabhängige
Bewertung der Fischerei hat
gezeigt, dass der Sardellenbestand
im Golf von Biskaya in einem sehr
guten Zustand ist. Den wissen­
schaftlichen Empfehlungen
folgend, wurde die Fangquote für
diesen Sardellenbestand kürzlich
sogar erhöht. Der Lebensunterhalt
der Fischer und ihrer Familien ist
also gesichert. Die Vorgaben blei­
ben trotzdem streng. Jährliche
Kontrollen sorgen dafür, dass bei
einer Veränderung des Bestands
umgehend reagiert werden kann.
Die MSC-Zertifizierung stellt
sicher, dass der Sardellenbestand
Greenpeace kritisiert, dass
Fischer, die Grundschleppnetze
einsetzen, sich MSC-zertifizieren
lassen können. Wie geht das mit
nachhaltigem Fischfang einher?
Theoretisch kann fast jede Fische­
rei nachhaltig arbeiten. Tut sie es
nicht, wird sie nicht zertifiziert. Ob
Fanggeräte irreversiblen Schaden
anrichten oder zu viel Beifang
haben, muss immer im Einzelfall
betrachtet werden. Genau das tut
der MSC. Durch die verschiedens­
ten Varianten, Einsatzmöglich­
keiten, Gebiete und Zielarten von
Grundschleppnetzen unterschei­
den sich auch die Umwelteinflüsse
erheblich. Es gibt beispielsweise
Gebiete, in denen Grundschlepp­
netze die nachhaltigere Alternative
sein können, weil der Meeres­
boden es zulässt oder so der
Beifang von gefährdeten Arten
vermieden werden kann. MM
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MIGROS-WELT | MM24, 8.6.2015 | 69
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