Drucksache 17/4574 Niedersächsischer Landtag 17. Wahlperiode Antrag Fraktion der CDU Fraktion der SPD Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Fraktion der FDP Hannover, den 11.11.2015 25 Jahre Vollendung der Deutschen Einheit - 26 Jahre Mauerfall - Die Opfer der DDR-Diktatur würdigen Der Landtag wolle beschließen: Entschließung Der Landtag stellt fest: Am 3. Oktober 2015 jährte sich zum 25. Mal der Tag der Wiedervereinigung Deutschlands, und am 9. November 2015 jährte sich zum 26. Mal der Tag des Mauerfalls. Die Vollendung der Einheit unseres Landes war nur möglich, weil mutige Männer und Frauen in der ehemaligen DDR die Voraussetzungen schufen, um die Berliner Mauer zum Einsturz zu bringen. Damit glückte zum ersten Mal in der deutschen Geschichte eine friedliche und demokratische Revolution. Vor über 25 Jahren ist die Mauer gefallen, verschwanden die Grenzzäune und der Todesstreifen, die unser Land lange geteilt hatten. Mit ihrem Fall begannen auch das Ende der DDR und der Anfang der deutschen Wiedervereinigung. Zu verdanken ist dies vor allem den Bürgerinnen und Bürgern in der ehemaligen DDR, die durch ihr nachhaltiges Eintreten für Menschen- und Bürgerrechte den Boden für die erfolgreiche Protestbewegung des Jahres 1989 bereiteten. Trotz drohender Repression haben sich insbesondere Menschen aus der Zivilgesellschaft, aus Kirchengruppen, aus der Bürgerrechts- und der Umweltbewegung sowie viele Kulturschaffende für Demokratie, Meinungsfreiheit, Gerechtigkeit und Freizügigkeit eingesetzt. Auch die systematische Bespitzelung durch den Überwachungsapparat des Ministeriums für Staatssicherheit, Ausbürgerungen, Verhaftungen, willkürliche Repressalien, ja sogar Folter, haben den Freiheitswillen dieser couragierten Bürgerinnen und Bürger nicht aufhalten können. Sie sind es, denen unser Respekt gilt und die sich in ganz besonderem Maße für die Demokratie und die Einheit Deutschlands verdient gemacht haben. Die Teilung Deutschlands und die Gründung zweier deutscher Staaten war eine unmittelbare Folge des vom nationalsozialistischen Deutschland ausgegangenen Zweiten Weltkriegs. Mit dem Bau der Mauer am 13. August 1961, einem totalen Ausreiseverbot, der völligen Abriegelung der Westgrenze der DDR und dem Ausbau zum Todesstreifen erreichte die Teilung schließlich ihren traurigen Höhepunkt. Die Spaltung Berlins und die Spaltung Deutschlands gingen einher mit der Spaltung Europas und großer Teile der Welt. Die Mauer trennte mit Beton, Stacheldraht, Schießbefehl, Anti-PersonenMinen und Selbstschussanlagen einen ganzen Kontinent, aber vor allem trennte sie Freunde und Familien. Die Missachtung von Menschenrechten, die Unterdrückung demokratischer Strukturen, die Verfolgung von Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtlern im Land und die Totalität des Überwachungsapparats sind nicht nur Folge ideologischer Herrschaftsansprüche und politischer Verblendung, sondern auch Maßnahmen, die der territorialen Sicherung der DDR vor dem Hintergrund einer weitgehend militärisch gestützten Blockkonfrontation dienten. Ein „Kalter Krieg im Inneren“, der sich gegen die eigene Bevölkerung richtete. 1 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/4574 Die Befreiungsbewegungen in den ehemaligen Ostblockstaaten waren Wegbereiter für die Einheit Deutschlands. Lange Zeit waren sie gelähmt durch die Nachwirkungen der niedergeschlagenen Volksaufstände vom 17. Juli 1953 in der DDR, des ungarischen Aufstands im Jahr 1956 oder des ebenfalls durch sowjetische Panzer beendeten Prager Frühlings 1968. Für diplomatische Annäherungen, aber auch Reiseerleichterungen und menschenrechtliche Fortschritte sorgte maßgeblich die Entspannungspolitik von Willy Brandt. Insbesondere auch der Anerkennungs- und Versöhnungsprozess mit den osteuropäischen Ländern ermöglichte eine wachsende Gesprächsbereitschaft zwischen den Staaten und eine Zunahme von zivilgesellschaftlichen Kontakten und privaten Begegnungen. Die neue Politik der Sowjetunion mit Perestroika und Glasnost unter Führung von Michail Gorbatschow unterstützte die Reformkräfte in den sozialistischen Ländern Osteuropas und ermutigte viele Bürgerinnen und Bürger in der DDR, sich trotz drohender Verfolgung für mehr Bürgerrechte einzusetzen. Diese Politik war zugleich ein Signal an die sozialistischen Brüderländer, dass militärische Aufstandsbekämpfung gegen die eigene Bevölkerung nicht mehr als Mittel der Herrschaftssicherung von der Sowjetunion verfolgt wird. Die im März 1990 frei gewählte Volkskammer der nun demokratischen DDR und ihre Regierung auf der einen und die Bundesregierung unter Führung von Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher auf der anderen Seite schufen in kürzester Zeit durch entschlossenes Handeln die Rahmenbedingungen für die deutsche Wiedervereinigung. Der Einigungsprozess stand unter hohem zeitlichen Druck, der insbesondere durch den rasanten ökonomischen Zerfall der DDR und die fortgesetzte Abwanderung verursacht wurde, aber auch durch außenpolitische Unsicherheiten geprägt war. So war unklar, wie lange die maßgeblichen Staaten der ehemaligen Alliierten den Einigungsprozess befürworten würden. Dank der Unterstützung der drei Westalliierten und der Sowjetunion, insbesondere der positiven Rolle von Michail Gorbatschow, konnten die 2+4-Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen werden. Die politische und völkerrechtliche Einigung wurde am 3. Oktober 1990 vollzogen. Der Prozess der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Vereinigung dauert bis heute an. Die Arbeit an der Vollendung der Einheit bleibt daher auf der politischen Tagesordnung. Die deutsche Einheit ist angesichts zweier Weltkriege, die maßgeblich von Deutschland zu verantworten sind, ohne den europäischen Integrationsprozess nicht denkbar. Dieser Prozess sorgt bei unseren Nachbarn und der Welt für das notwendige Vertrauen, dass das wieder vereinte Deutschland Ausdruck des erfolgreichen friedlichen Zusammenlebens auf unserem Kontinent ist und keine Bedrohung mehr darstellt. Die glückliche historische Fügung der deutschen Einheit, das Wissen darum, dass Freiheit und Menschenrechte keine Grenzen kennen, beflügeln zudem die Vision vom gemeinsamen Haus Europa - den Vereinigten Staaten von Europa. Hier können Freiheit, Demokratie und Solidarität, Nächstenliebe und Toleranz gemeinsam und in Frieden gelebt werden. Die deutsche Einheit ist daher mehr denn je auch Ermutigung und Auftrag, den europäischen Integrationsprozess weiter voran zu treiben. Niedersachsen besaß den längsten Teilabschnitt der innerdeutschen Grenze und war daher neben Berlin erheblich von der Teilung betroffen. Mit dem Amt Neuhaus stand ein Teil des heutigen Niedersachsens unter dem Regime der DDR. Der 25. Jahrestag der Wiedervereinigung und der 26. Jahrestag des Mauerfalls sind auch Anlass zum Gedenken an die Opfer und die Folgen der deutschen Teilung. Nach bisherigen Erkenntnissen kamen bei Fluchtversuchen insgesamt über tausend Menschen zu Tode. Diese Personen wollten für sich ein besseres Leben jenseits kommunistischer Willkürherrschaft aufbauen und bezahlten diesen Wunsch nach Freiheit mit ihrem Leben. Niedersachsen hat als erstes westdeutsches Bundesland beschlossen, die Machenschaften der Stasi in Niedersachsen gründlich zu untersuchen. Unser Land leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung. Dies ist vor allem für viele DDR-Opfer wichtig, die noch heute unter den Taten von Verfolgung, Haft oder Flucht leiden. 2 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/4574 Der Landtag beschließt daher: 1. Der Landtag würdigt anlässlich des 25. Jahrestages der Wiedervereinigung des 26. Jahrestages des Mauerfalls die Bürgerinnen und Bürger der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR), die trotz der Gefahr staatlicher Verfolgung durch den Unterdrückungsapparat des Regimes sich entschlossen für ihre Menschen- und Bürgerrechte eingesetzt haben und damit zu weltweiten Vorbildern gegen staatliche Willkürherrschaft geworden sind. 2. Die DDR war eine Diktatur, kein Rechtsstaat. Weil durch unfreie Wahlen bereits die strukturelle demokratische Legitimation staatlichen Handelns fehlte, weil jedes Recht und jede Gerechtigkeit in der DDR ein Ende haben konnten, wenn einer der kleinen oder großen Mächtigen es so wollte, weil jedes Recht und jede Gerechtigkeit für diejenigen verloren waren, die sich nicht systemkonform verhielten, war die DDR in der Konsequenz ein Unrechtsstaat. Die etwa 1 400 Menschen, welche an der Berliner Mauer, an der innerdeutschen Grenze und auf anderen Fluchtwegen und bei Fluchtversuchen über andere Staaten des Ostblocks den Weg in die Freiheit mit dem Leben bezahlen mussten, verdeutlichen die Unmenschlichkeit des SED-Systems. Hinzu kamen ca. 100 000 Verhaftungen wegen Fluchtversuchen, Morde durch DDR-Geheimdienste in der Bundesrepublik Deutschland und anderen Staaten, mehr als 200 000 politische Gefangene und Tausende von weiteren Opfern der kommunistischen Willkürherrschaft. 3. Der Landtag fordert, allen Versuchen, den SED-geführten Regierungen der DDR eine demokratische Legitimität beizumessen, den Diktaturcharakter der DDR zu verklären und die fundamentalen Unterschiede zum demokratischen Rechtsstaat zu verwischen, entschieden entgegenzutreten und über den diktatorischen Charakter des DDR-Macht- und Herrschaftsapparates umfassend zu informieren. Für die Fraktion der CDU Für die Fraktion der SPD Björn Thümler Fraktionsvorsitzender Johanne Modder Fraktionsvorsitzende Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Für die Fraktion der FDP Anja Piel Fraktionsvorsitzende Christian Dürr Fraktionsvorsitzender (Ausgegeben am 11.11.2015) 3
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