„Der Kulturarbeiter ist auch ein Komplize des Kapitalismus“

20 Wirtschaft
der Freitag | Nr. 8 | 25. Februar 2016
E
s klingt nicht gerade sehr
sympathisch, schlimmer
noch: Womöglich handelt es sich um die unbeliebteste Berufsgruppe
unserer Tage. Wenn von „freien
Kreativen“ die Rede ist, stellen viele
sich sofort einen schnöseligen Typen von um die 30 vor, einen Wichtigtuer mit Hipster-Bart und Laptop
unterm Arm. Einen verwöhnten
Angeber, der irre viel Geld mit Werbeslogans oder irgendeinem Internetportal verdient und, allein
schon mit seiner Anwesenheit, zur
Gentrifizierung der Städte beiträgt.
Tatsächlich basiert die sagenumwobene Kreativwirtschaft auf Ausbeutung, sagt die Arbeitssoziologin
Alexandra Manske. Über altbekannte und neue „kapitalistische Geister“ hat sie ein erhellendes Buch
geschrieben.
„Längst sind
mehr Leute
im kreativen
Sektor tätig
als in der
Autobranche“
F o t o : H a n na L e n z f ü r d e r F r e i ta g
der Freitag: Frau Manske, nach der
Lektüre Ihres Buches sieht man
die heutige Arbeitswelt noch ein­
mal mit anderen Augen. Fast
egal, in welcher Branche: Alle wol­
len möglichst selbstbestimmt
und kreativ arbeiten – alle wollen
sich wie kleine Künstler fühlen.
Dabei übersehen die meisten, wie
übel sie ausgebeutet werden.
Alexandra Manske: Ja, das könnte
man als zugespitztes Fazit aus meiner Forschung ziehen. Als Arbeitssoziologin beschäftige ich mich intensiv mit der Kultur- und Kreativwirtschaft. Was dort in den 90er
Jahren begann, ist über die nuller
Jahre zum allgemeinen Standard
geworden: Der kreative Mensch, der
sich selbst organisiert, seine Arbeit
nicht nur als Mittel zum Gelderwerb, sondern auch als ästhetische
Äußerung oder als Selbstverwirk­
lichung begreift, ist eher bereit, prekäre Phasen hinzunehmen. Er ist
potenziell willens und in der Lage,
sich jenseits herkömmlicher betrieblicher Arbeit durchzuschlagen,
ohne groß zu murren.
Dieses Prinzip gefällt dem Neo­
liberalismus natürlich.
Absolut. Eine solche Selbstauffassung macht einen letztlich zu
einem anpassungsfähigen Wesen.
„Wir wollen nicht mehr mit Geld
bezahlt werden, sondern mit Lie­
be“, sagte der Schriftsteller Diet­
mar Dath einmal sinngemäß. Da
scheint es um die Angst vor ent­
fremdeter Arbeit zu gehen – genau
wie bei den Erwerbstätigen, die
sie befragt haben, richtig?
Die alte fordistisch organisierte
Arbeit war stark hierarchisch gegliedert. Für viele gut ausgebildete
jüngere Menschen ist das nicht
mehr attraktiv. Sich die Zeit frei einteilen zu können, auch Überstunden zu machen, aber im Gegenzug
für seine indviduellen Leistungen
anerkannt zu werden, ist für viele
wichtiger geworden. Unter diesen
Prämissen ist ein neuer Idealtypus
des erwerbstätigen Menschen entstanden – das perfekte Rollenmodell für den flexiblen Kapitalismus.
Bevor wir diesen Idealtypus näher
beleuchten: Woher kommt er, was
genau ist unter der Kultur- und
Kreativwirtschaft zu verstehen,
die Sie befragt haben?
Nehmen Sie freiberufliche Grafiker,
Schauspieler oder Journalisten: In
der Kultur, in den Medien und der
Internetwirtschaft sind atypische
Erwerbsverhältnisse seit jeher üblich. Man ist auf Zeit, als Pauschalist, auf Projektbasis beschäftigt. Bis
zum Ende des 20. Jahrhunderts
betraf das vor allem „besondere“
Berufe, die gesellschaftlich ein
vergleichsweise hohes Ansehen genossen. Spätestens seit Gerhard
Schröders Agenda 2010 und seinem
Entwurf der unternehmerischen
Ich-AG sind solche Modelle auch
in andere Branchen eingesickert.
Nur dass jemand, der eine gute Idee
hat, nicht zwingend über das nötige Startkapital verfügt.
Zeitarbeit und Werkverträge sind
heute auch im Kurier- und im
Klinikwesen üblich, bei Sprach­
lehrern, Leihbuchhaltern ...
Ja. Ich konzentriere mich in meiner
wissenschaftlichen Arbeit aber auf
die Kultur- und Kreativwirtschaft
im engeren Sinne. Sie ist längst
keine Nischensparte mehr, sondern
Die Selbstauffassung, etwas
Besonderes zu tun, keinen „nor­
malen Bürojob“ zu haben, ist
für viele eine entscheidende Säule
ihrer Identität im sozialen Raum.
Laut Ihrem Buch sind es die Nach­
fahren der alten abgesicherten
Mittelschicht, die so denken. Da
ist noch ein starker Wille zum
sozialen Aufstieg vorhanden.
Genau da liegt eine Bruchstelle.
Erst über die Zeit merken viele, wie
viel Energie es kostet, sich immer
wieder aus eigener Kraft auf dem
Markt zu behaupten und um Aufträge und Honorare zu kämpfen.
Oder zum Aufstocker zu werden.
„Der Kulturarbeiter
ist auch ein Komplize
des Kapitalismus“
Alexandra Manske
erforscht die Erwerbsmodelle in der
Kreativwirtschaft und ihre sozialen Folgen
der am stärksten wachsende Wirtschaftszweig hierzulande. Jedes
Jahr werden da 130 Milliarden Euro
erwirtschaftet. Das ergibt eine
Bruttowertschöpfung von über 60
Milliarden, mehr als in der Chemiebranche zusammenkommt.
Die Zahl der Erwerbstätigen
ist in diesem Bereich ganz enorm
gestiegen, schreiben Sie.
Sie hat sich über die vergangenen
20 Jahre verdreifacht. Kein Erwerbsfeld ist seit den 70ern stärker
expandiert. Rund 1,6 Millionen
Menschen verdienen heute ihr
Geld in diesem Sektor, deutlich
mehr als in der Autobranche
Was oder wer genau gehört dazu?
2009 hat die Wirtschaftsministerkonferenz die elf Teilbranchen genau festgelegt: die Musik-, die
Rund­funk- und die Filmwirtschaft,
der Buch- und der Kunstmarkt, die
Darstellenden Künste, die Architektur, das Pressewesen, die Werbung,
die Software- und Spieleindustrie
und die Designwirtschaft. Letztere
habe ich nun genauer untersucht.
Und Sie kamen zum Schluss, dass
Menschen, die in diesem oder
verwandten Feldern tätig sind, oft
sehr wenig verdienen. Alles
Kandidaten für Altersarmut.
Je nachdem, wie man über die
Kreativwirtschaft berichtet, kann
man ihre ökonomische Potenz
betonen und eine Erfolgsgeschichte
skizzieren – oder ein herbes Pre­
karisierungsbild zeichnen. Mein
Ansatz war ein anderer: Wie sieht
eigentlich die soziale Praxis hinter
dem Diskurs aus? Das Ergebnis:
Selbstausbeutung ist das A und O.
Bitte nennen Sie Beispiele.
Wer als freier Kreativer oder in einem klassischen Kulturberuf arbeitet, ist im Regelfall in der Künstlersozialkasse (KSK) versichert. Deren
Mitglieder verdienen im Schnitt
15.000 Euro brutto im Jahr. Das Gefälle zwischen Frauen und Männern ist hier oft höher als in herkömmlichen Wirtschaftsfeldern:
Männer kommen im Schnitt auf
17.000, Frauen nur auf 13.000 Euro.
Die Gewinne bleiben bei Verlagen,
Sendern, Konzernen hängen.
Nicht nur dort. Die Kreativwirtschaft ist für die urbane Ökonomie
insgesamt sehr wichtig. Je mehr
Kultur, desto attraktiver wird eine
Stadt im globalen Standortwett­
bewerb. In Berlin ist inzwischen
jeder zehnte Erwerbstätige im Kreativ- oder Kultursektor beschäftigt,
in Hamburg sind es acht Prozent.
Zur Person
Alexandra Manske, 45,
forscht und lehrt im Feld der
Arbeitssoziologie. 2005 hat
sie an der Berliner HumboldtUniversität promoviert, mit
einer Doktorarbeit über die
soziale Lage von Internetdienstleistern. Aktuell hat sie
eine Vertretungsprofessur
an der Uni Hamburg inne, im
Fachbereich Sozialökonomie.
Ende 2015 erschien ihr Buch
Kapitalistische Geister in der
Kultur- und Kreativwirtschaft.
Kreative zwischen wirtschaft­
lichem Zwang und künst­
lerischem Drang (TranscriptVerlag, 454 S., 39,99 €)
Den steilsten Anstieg seit 2005 gab
es in München. Jeder Zweite dieser
kreativen oder Kulturarbeiter kann
von seiner eigentlichen Tätigkeit
aber nicht leben. Er ist auf zusätzliche Brotjobs angewiesen. Das ist
die Standbein-Spielbein-Methode.
Künstler früherer Tage
haben ganz bewusst eine prekäre
Boheme-Existenz gesucht.
Ja, bis in die 70er war das so: Ein
Künstler bewegte sich mit seinem
Lebensentwurf bewusst außerhalb
der Norm. Aber seither haben wir
es mit einem strukturellen Wandel
zu tun, der in die Breite geht. Die
Kunst- und Fachhochschulen bieten
jetzt Seminare zur Selbstvermarktung an, ein Training für den scharfen Markt, von Anfang an.
Eine Festanstellung streben viele
aber ohnehin nicht an, oder?
Das ist eben der Reiz, sich selbst
lieber als Künstler wahrzunehmen
statt als Dienstleister. Es ist die
Mentalität des „ästhetischen Kapitalismus“, wie der Kulturwissenschaftler Andreas Reckwitz unsere
ökonomische Gegenwart nennt.
Auch wenn man bloße Gebrauchsgrafiken oder PR-Texte nach strengen Vorgaben erstellt oder als Programmierer nur ein Zulieferer ist:
Sie schreiben von einem großen
Aufwand an „Statusarbeit“.
Dabei geht es um das Anhäufen
symbolischer Anerkennung. Ich befragte eine Illustratorin, die da­
rauf beharrt: „Ich mache keine Werbung, ich mache Kunst!“ Die Auftragsarbeiten, mit denen sie etwas
verdienen kann, sind oft nicht anspruchsvoll. So fühlt sie sich anhaltend verkannt. Sie kämpft nicht
nur mit wirtschaftlichen Zwängen,
sondern auch mit der Kränkung
ihrer Qualifikation und ihres Selbstbilds. Ihr Büro räumt sie öfters zur
Galerie um und veranstaltet Vernissagen für andere Illustratoren.
Sie hofft, dass sich das in den so­
zialen Medien verbreitet, damit
sie doch noch Zugang zu dem Mi­
lieu erhält, das sie als künstlerische Sphäre versteht und anstrebt.
Eine ganz schön wackelige
Investiton ins eigene Prestige.
Ja. Sie finanziert das von ihren prekären Mitteln vor, ohne zu wissen,
ob es sich je auszahlt. Bei meinen
Recherchen habe ich einige Burnout-Fälle getroffen, gerade in der
Designbranche: relativ junge Menschen, die nach acht oder zwölf
Jahren am Ende ihrer Kräfte sind.
Für viele ist die selbst organisierte
Kreativarbeit aber längst ein ganz
normaler Job, auch ohne dass sie
sich als Ausnahmesubjekt fühlen.
Und sie wünschen sich sogar, dass
ihre Interessen kollektiv organisiert
werden, ob gewerkschaftlich oder
in einem anderen Interessen­
verband. Man muss klar sehen: Der
Anteil der Soloselbstständigen,
die ganz auf sich allein gestellt werkeln, liegt im Kreativsektor bei
70 Prozent, in sonstigen Erwerbs­
feldern nur bei zehn Prozent.
Und mit jeder Entlassungswelle in
den Medien kommen ein paar
Hundert hinzu. Sie unterscheiden
in Ihrem Buch zwischen drei
Typen: zwischen den Opfern und
den Komplizen dieser Struktur –
und dem Unternehmertypus.
Das sind Zuschreibungen, die sich
durch die Literatur zum Thema
ziehen, ich habe sie untersucht.
Zum Opfer werden viele durch
Honorardumping oder Selbstausbeutung. Aber oft sind diese Leute
auch Komplizen der Struktur, weil
sie aus der symbolischen Anerkennung als Quasi-Künstler einen
gewissen Gewinn ziehen. Am leichtesten ist es wohl für diejenigen,
die sich unsentimental als Unternehmer begreifen und sich an
Erfolgsgeschichten wie der der
Samwer-Brüder und des Onlinehandels Zalando orientieren.
Solche Leute stammen oft aus dem
gehobenen Bürgertum. Während
diejenigen, die sich in der Prekarität
verfangen, meist aus weniger
wohlhabenden Familien kommen.
Vielen Dank für diese Einblicke.
Das Gespräch führte Katja Kullmann