Vorlesungsskript - Institut für Öffentliche Finanzen

Vorlesungsskript von Dr. Marc Hansmann, Lehrbeauftragter am Institut
für Öffentliche Finanzen der Leibniz Universität Hannover im WS 2015/16
Deutsche Finanzgeschichte
des 20. Jahrhunderts
1
Übersicht (I): Deutsche Finanzgeschichte des 20. Jahrhunderts
Seite
1.
Freitag, 06.11.15, 14.30 - 16.00 Uhr: Einführung
4
2.
Freitag, 06.11.15, 16.15 - 17.45 Uhr: Strukturproblem der Staatsverschuldung
14
3.
Freitag, 13.11.15, 14.30 - 16.00 Uhr: Strukturproblem der Finanzverfassung
26
4.
Freitag, 13.11.15, 16.15 - 17.45 Uhr: Strukturproblem des Steuerrechts
45
5.
Freitag, 20.11.15, 14.30 - 16.00 Uhr: Strukturproblem der Finanzverwaltung
59
6.
Freitag, 20.11.15, 16.15 - 17.45 Uhr: "Fiscal agony" des Kaiserreichs
80
7.
Freitag, 27.11.15, 14.30 - 16.00 Uhr: Fiskalschock des 1. Weltkriegs
92
8.
Freitag, 27.11.15, 16.15 - 17.45 Uhr: Zäsur der Weimarer Republik
104
2
Übersicht (II): Deutsche Finanzgeschichte des 20. Jahrhunderts
Seite
9.
Freitag, 11.12.15, 14.30 - 16.00 Uhr: Brünings Deflationspolitik
119
10. Freitag, 11.12.15, 16.15 - 17.45 Uhr: NS-Rüstungskeynesianismus
136
11. Freitag, 15.01.16, 14.30 - 16.00 Uhr: Die fetten Jahre der Bonner Republik
152
12. Freitag, 15.01.16, 16.15 - 17.45 Uhr: Konjunkturpolitik der 70er Jahre
170
13. Freitag, 29.01.16, 14.30 - 15.30 Uhr: Konsolidierungspolitik der 80er Jahre
183
14. Freitag, 29.01.16, 15.30 - 16.30 Uhr: Fiskalschock der Deutschen Einheit
196
15. Freitag, 29.01.16, 16.45 - 17.45 Uhr: Das Schreiben einer Hausarbeit
220
3
Freitag, 06.11.15, 14.30 - 16.00 Uhr
1. Einführung
4
1.1 Erkenntnisleitende Fragestellungen
1
Warum ist die Staatsverschuldung so hoch?
2
Besteht ein Zusammenhang zwischen der hohen Staatsverschuldung und der Steuerpolitik bzw. dem Steuerrecht?
3
Welche Rolle spielt die Finanzverfassung für die Höhe der
Staatsverschuldung?
4
Vermag die Public-choice-Theorie die hohe Staatsverschuldung zu erklären?
5
1.2 Erklärungsansatz der Finanzgeschichte
Aufzeigen und Analyse empirischer Daten der Geschichte
„Die Finanzen sind einer der besten Angriffspunkte der Untersuchung des sozialen
Getriebes, besonders, aber nicht ausschließlich, des politischen. Namentlich an jenen
Wendepunkten – oder besser Wendeepochen –, in denen Vorhandenes abzusterben
und in Neues überzugehen beginnt und die auch stets finanziell Krisen der jeweils alten
Methoden sind, zeigt sich die ganze Fruchtbarkeit dieses Gesichtspunkts: Sowohl in der
ursächlichen Bedeutung – insofern als staatsfinanzielle Vorgänge ein wichtiges Element
des Ursachenkomplexes jeder Veränderung sind – als auch in ihrer symptomatischen
Bedeutung – insofern als alles, was geschieht, sich in der Finanzwirtschaft abdrückt.“
Joseph A. Schumpeter 1918
6
1.3 Was spricht gegen eine Staatsverschuldung?
Öffentliche Investitionen sind betriebswirtschaftlich in der Regel nicht rentierlich.
Da die kreditfinanzierten Investitionen nicht zu Mehreinnahmen führen,
verkleinern Zinsen und Tilgung die finanziellen Spielräume oder müssen mit
Abgabenerhöhungen oder weiterer Kreditaufnahme finanziert werden.
Crowding-out-Effekte: Verdrängung privater Nachfrage auf dem Geld- und
Kapitalmarkt durch steigendes Zinsniveau infolge hoher staatlicher Nachfrage.
Wirtschaftswachstum schwächer, wenn Schuldenquote größer als 90 Prozent
(These empirisch nicht haltbar)*
Intergenerative Gerechtigkeit (kann allerdings auch als Argument für
Staatsverschuldung benutzt werden).
Inflationsgefahren, wenn Staatsverschuldung zu hoch und über die Notenbank
finanziert wird
* Siehe Carmen M. Reinhart, Kenneth S. Rogoff, Growth in Time of Debt, Draft vom 31.12.2009.
7
1.4 Was spricht für Staatsverschuldung?
„Ein Staat ohne Staatsschuld thut
entweder zu wenig für seine Zukunft, oder
er fordert zu viel von seiner Gegenwart.“
Dieses Zitat wird häufig als Generalrechtfertigung für die Staatsverschuldung benutzt.
Allerdings hat von Stein die „Höhe der
Staatsschuld“ von der „Fähigkeit“ des Staats
abhängig gemacht, „die Verzinsung der
Schulden regelmäßig zu decken“, und zwar
durch „Überschüsse“. Wenn Zinsen nur
durch neue Kreditaufnahme gedeckt werden
könnten, werde das bald „seine Grenzen in
sich selbst“ finden.
Lorenz von Stein „Lehrbuch der Finanzwissenschaft“ aus dem Jahr 1860/1878
8
1.5 Währung und Staatsverschuldung
Schuldenquote
v.H. NSP/BSP/BIP
400
Mark
Deutschmark (DM)
Reichsmark
Euro
350
bis 1914 Goldstandard
300
bis 1971/73 Dollar-Goldstandard, danach Floating
Gold-Devisen-Standard
ab 1931 Devisenzwangswirtschaft
250
200
150
100
Hyperinflation
von 1923
Währungsreform
von 1948
50
0
1913
1918
1924
1932
1938
1944
1950
1959
1969
1982
1990
2000
2010
9
1.6 Größere Handlungsspielräume durch Staatsverschuldung?
Mrd. Euro
70
60
50
40
30
20
10
0
1965
1975
1985
1995
2005
Netto-Neuverschuldung sämtlicher Gebietskörperschaften
Zinsausgaben sämtlicher Gebietskörperschaften
Quelle: Stefan Bajohr, Grundriss Staatliche Finanzpolitik. Eine praktische Einführung,
Wiesbaden 2. Auflage 2007, 211 (Abbildung 24).
10
1.6 Versuche zur Begrenzung der Kreditaufnahme
Versuche zur Begrenzung der Kreditaufnahme
1. Höhe der Investitionen = max. erlaubte Höhe der Neuverschuldung (Art. 115 GG)
2. Bis 1969 Kreditaufnahme nur für „außerordentlichen“ Bedarf, insbesondere für
„werbende“ Zwecke (rentierliche Investitionen), erlaubt
3. Historische Grundregel des Verbots der Schuldenaufnahme für laufende Ausgaben
(nur Kassenkredite zur kurzfristigen Liquiditätssicherung)
4. Euro-Kriterien als Grenze der Kreditaufnahme
5. Fast völliges Verbot struktureller Staatsverschuldung durch die „Schuldenbremse“
11
1.7 Wege aus dem Schuldenstaat
Rechtliche
Begrenzungen
(u.a. Schuldenbremse)
Inflation /
finanzielle
Repression
Staatsbankrott
Nachhaltige Finanzpolitik + Wirtschaftswachstum
12
1.8 Weiterführende Literatur zur Einführung in die Finanzgeschichte
• Werner Abelshauser, Wege aus der Staatsverschuldung. Eine Skizze, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und
Wirtschaftsgeschichte 98 (3/2011), 300-306.
• Marc Hansmann, Vor dem dritten Staatsbankrott? Der deutsche Schuldenstaat in historischer und
internationaler Perspektive, München 2. Aufl. 2012.
• Friedrich-Wilhelm Henning, Staatsfinanzen in historischer Perspektive, in: Klaus-Dirk Henke (Hg.), Zur
Zukunft der Staatsfinanzierung, Baden-Baden 1999, 35-71.
• Carmen M. Reinhart, Kenneth S. Rogoff, This Time Is Different. Eight Centuries of Financial Folly,
Princeton, Oxford 2009.
• Hans-Peter Ullmann, Der deutsche Steuerstaat. Eine Geschichte der öffentlichen Finanzen, München 2005.
Sammelbände
• Thorsten Beigel, Georg Eckert (Hg.), Vom Wohl und Wehe der Staatsverschuldung. Erscheinungsformen
und Sichtweisen von der Antike bis zur Gegenwart, Münster 2013.
• Andreas Hedwig (Hg.), Finanzpolitik und Schuldenkrisen 16.-20. Jahrhundert, Marburg 2014.
• Eckart Schremmer (Hg.), Steuern, Abgaben und Dienste vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Stuttgart 1994.
• Uwe Schultz (Hg.), Mit dem Zehnten fing es an. Eine Kulturgeschichte der Steuer, München 1986.
Währungen und Finanzgeschichte
• Peter Bernholz, Monetary Regimes and Inflation. History, Economic and Political Relationships,
Cheltenham/Northampton 2003.
• Deutsche Bundesbank (Hg.), Währung und Wirtschaft in Deutschland 1876–1975, Frankfurt a.M. 1976.
• Barry Eichengreen, Vom Goldstandard zum Euro. Die Geschichte des internationalen Währungssystems,
Berlin 2000.
• Stefan Homburg, Erinnerungen an die deutschen Währungsreformen, in: ifo Schnelldienst 64 (19/2011),
17-22.
13
Freitag, 06.11.14, 16.15 - 17.45 Uhr
2. Strukturproblem der Staatsverschuldung
14
2.1 Staatsbankrott als häufiges historisches Phänomen
15
2.2 Entwicklung der deutschen Staatsverschuldung im 20. Jahrhundert
v.H. NSP/BSP/BIP
90
Finanz- und Bankenkrise
80
70
Fiskalschock 2. Weltkrieg
60
Fiskalschock
Deutsche Einheit
(Schuldenquote 1944: 400 %)
50
40
Fiskalschock 1. Weltkrieg
(Schuldenquote 1918: 300 %)
Konjunkturpolitik 70er Jahre
30
20
10
2. Staatsbankrott
1. Staatsbankrott
0
1900
1913
1924/25
1932
Steuerquote
1938
1950
Abgabenquote
1959/60 1969/70 1980/82
Staatsquote
1990
2000
2010
Schuldenquote
Als Folge der Finanzierung der beiden Weltkriege und ihrer Folgen sowie des frühen Beginns und des dauernden Ausbaus des Sozialstaats liegt die Staatsquote bei knapp 50 %. Da Steuer- und Abgabenquote deutlich unter der Staatsquote liegen, hat der Staat eine erhebliche jährliche Deckungslücke, die mittels Neuverschuldung geschlossen wird.
Quelle: Hansmann (2012), 15, 54; Daten für 2010: BMF-Monatsbericht August 2012, 72 (Tab. 9), 73 (Tab.10) und 80 (Tab. 14).
16
2.3 Entwicklung der amerikanischen Staatsverschuldung seit 1792
17
2.4 Entwicklung der britischen Staatsverschuldung seit 1688
v.H. BIP
300
250
200
150
100
50
10
20
00
20
90
19
80
19
70
19
60
19
50
19
45
19
41
19
31
19
21
19
11
19
01
19
91
18
81
18
71
18
61
18
51
18
41
18
31
18
21
18
11
18
01
18
59
17
16
88
0
UK Schuldenquote
Quelle: Bis 1970: Albrecht Ritschl, Sustainability of High Public Debt: What the Historical Record Shows, London 1996
(= CEPR Discussion Papers 1357), 21 (Table 1); ab 1980: BMF-Monatsbericht August 2012, 80 (Tab. 14).
18
2.5 Entwicklung der Schulden von Bund, Ländern und Kommunen seit 1950
Mrd. Euro
2000
1750
1500
1250
1000
750
500
250
0
1950
1955
1960
1965
1970
1975
Bund
1980
Länder
1985
1990
1995
2000
2005
2010
Kommunen
Quelle: Statistisches Bundesamt (Hg.), Finanzen und Steuern, Fachserie 14, Reihe 5: Schulden der öffentlichen
Haushalte 2011, Wiesbaden 2012, 22 (Tabelle 1.1.1); Erläuterung: Schulden einschließlich Kassenkredite.
19
2.7 Ursachen der Staatsverschuldung
Kriege
Ausweitung der Staatsausgaben, insbes. im Sozialbereich
Verfehlte Steuerpolitik (Steuern durch Steuern und Steuersenkungen)
Bankenkrisen
Fehlanreize im Föderalismus
Politikversagen: Budgetmaximierung und Desinteresse an solider
Finanzpolitik
Anspruchsinflation der Bürger/innen
20
2.8 Entwicklung der Ausgabenstrukturen des Reichs-/Bundeshaushalts im 20. Jahrhundert
Übrige
Ausgaben
9%
Soziales Zinsen
3%
9%
Übrige
Ausgaben
34%
Renten
13%
Soziales
16%
Zinsen
2%
Militär
79%
1913
1963
Renten
14%
Übrige
Ausgaben
36%
1983
Verteidigung
19%
Verteidigung
35%
Arbeitsmarkt
4%
Soziales
16%
Übrige
Ausgaben
23%
Renten
29%
Verteidigung
10%
Zinsen
15%
Zinsen
11%
2007
Soziales
9%
Arbeitsmarkt
14%
Quelle: Für das Jahr 1913: Ullmann (2005), 62; für die restlichen Jahre: Bundeshaushalte der entsprechenden Jahre.
21
2.9 Säkulare Tendenzen in der Entwicklung der Ausgabenstrukturen
Die Ausgabenstrukturen des nationalen Haushalts spiegeln drei säkulare Tendenzen wider:
1. Sinkender Anteil der Militärausgaben: Militarisierung bis 1945 und nachfolgende
Entmilitarisierung; „Friedendividende nach Ende des Kaltes Krieges“; Ausblick: Zusätzlicher
Ausgabenbedarf aufgrund Neuausrichtung der Bundeswehr
2. Deutlicher Anstieg der Renten-, Arbeitsmarkt- und Sozialausgaben: Ausbau des
Sozialstaats, den sämtliche Staatsformen (Kaiserreich, Weimarer Republik, NS-Staat, Bonner
und Berliner Republik) betrieben haben; Ausblick: Hohes Haushaltsrisiko aufgrund der
demographischen und ökonomische Entwicklung
3. Anstieg der Zinsausgaben: Starke Kreditfinanzierung der Ausgaben; Staatsschulden zwei
Mal (1923 und 1949) durch Inflation bzw. Währungsreform weitgehend reduziert; Ausblick:
Ende der historischen Niedrigzinsphase als Haushaltsrisiko
22
2.10 Entwicklung der Staats- und Sozialleistungsquote im 20. Jahrhundert
v.H. NSP/BSP/BIP
50
40
30
20
10
0
1900
1913
1925
1932
1938
1950
Staatsquote
1960
1970
1980
1990
2000
2007
2010
Sozialleistungsquote
Quelle Sozialleistungsquote: Für das Jahr 1913: Johannes Frerich, Martin Frey, Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in
Deutschland, Bd. 1: Von der vorindustriellen Zeit bis zum Ende des Dritten Reiches, München, Wien 1993, 175; für die restlichen Jahre bis 1950: Heinz Lamper, Jörg Althammer; Lehrbuch der Sozialpolitik, Berlin 8. Aufl. 2007, 510 (Tab. 18.1.); für die
Jahre ab 1960: Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hg.), Sozialbericht 2009, Bonn 2009, Tab. I-1 und 256 (Jahr 2010).
23
2.11 Warum wurde der Sozialstaat in Deutschland so früh und so stark ausgebaut?
• Besonderheit der deutschen Geschichte (These von Bernd Weisbrod): Frühe Gründung einer
sozialdemokratischen Partei (1863), die seit 1890 stärkste oder zumindest zweitstärkste Partei ist
und folgende (finanzpolitische) Ziele der SPD verfolgt:
- stark progressive Einkommensteuer als einzige Steuer (explizit gegen Mehrwertsteuer)
- weitgehende Umverteilung, insbesondere durch Einkommensteuer und Sozialstaat
- einheitliche Lebensverhältnisse und Unitarismus
• Konservative Reaktion auf den Erfolg der SPD: Frühe Einführung und der Ausbau des Sozialstaats:
- Einführung der Renten- und Krankenversicherung durch Bismarck
- Einführung der Arbeitslosenversicherung durch eine konservativ geführte Reichsregierung (1927)
- Einführung der dynamischen Rente 1957 durch Adenauer und des Kindergeldes durch Erhard (1964)
- Einführung der Pflegeversicherung durch Kohl/Blüm
- Einführung der preußischen Einkommensteuer durch den Nationalkonservativen Miquel
- Durchsetzen einer stark progressiven Einkommensteuer und des Unitarismus durch Erzberger (Zentrum)
- Nutzung der Einkommensteuer als Instrument der Umverteilung durch sämtliche Regierungen seit 1919
- Konzeption und Einführung des horizontalen Finanzausgleichs durch den Nationalkonservativen Popitz
- Einführung des Verbundsystems durch die Große Koalition im Jahre 1969
24
2.12 Weiterführende Literatur zur Geschichte der Staatsverschuldung
• Alberto Alesina, The end of large public debts, in: Francesco Giavazzi, Luigi Spaventa (Hg.), High Public Debt. The
Italian Experience, Cambridge 1989, 35-89.
• Rolf Caesar, Öffentliche Verschuldung in Deutschland seit der Weltwirtschaftskrise: Wandlungen in Politik und
Theorie, in: Dietmar Petzina (Hg.), Probleme der Finanzgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Berlin 1989, 9-55.
• Carl-Ludwig Holtfrerich, Bewältigung der deutschen Staatsbankrotte 1918 und 1945, in: Erhard Kantzenbach (Hg.),
Staatsüberschuldung, Göttingen 1996, 27-57.
• Alfred Manes, Staatsbankrotte. Wirtschaftliche und rechtliche Betrachtungen, Berlin 2. Aufl. 1919.
• Carmen M. Reinhart, M. Belen Sbrancia, The Liquidation of Government Debt, Cambridge, Mass. 2011 (= NBER
Working Paper 16893).
• Moritz Schularick, Public Debt and Financial Crises in the Twentieth Century, Berlin 2012 (= Discussion Paper
School of Business & Economics Freie Universität Berlin 2012/1).
• Vito Tanzi, Ludger Schuknecht, Public Spending in the 20th Century. A Global Perspective, Cambridge 2000.
• Uwe Wagschal, Staatsverschuldung. Ursachen im internationalen Vergleich, Opladen 1996.
• Michael Waibel, Staateninsolvenzen in historischer Perspektive, in: Georg E. Kodek, August Reinisch (Hg.),
Staateninsolvenz, Wien 2011, 55-94.
Grundsätzlich zur Staatsverschuldung
• Hanno Beck, Aloys Prinz, Staatsverschuldung. Ursachen, Folgen, Auswege, München 2011.
• Carl-Ludwig Holtfrerich, Lars P. Feld, Werner Heun et al., Staatsschulden, Ursachen, Wirkungen
und Grenzen, Berlin 2015.
(http://www.bbaw.de/publikationen/stellungnahmen-empfehlungen/bericht-staatsschulden)
Sozialstaat und Staatsverschuldung
• Hans Günter Hockerts, Der deutsche Sozialstaat. Entfaltung und Gefährdung seit 1945, Göttingen 2011.
• Gerhard A. Ritter, Der Sozialstaat. Entstehung und Entwicklung im internationalen Vergleich, München 3. Aufl. 2010.
• Manfred G. Schmidt, Sozialpolitik in Deutschland. Historische Entwicklung und internationaler Vergleich, Wiesbaden
3. Aufl. 2005.
25
Freitag, 13.11.15, 14.30 - 16.00 Uhr
3. Strukturproblem der Finanzverfassung
26
3.1 Trenn- versus Mischsystem
Trennsystem
Verbundsystem
Beschreibung
Strikte Trennung der Einnahmen und Aufgaben der
Gebietskörperschaften
Beteiligung jeder Gebietskörperschaften an sämtlichen Steuern; Mischfinanzierung der Aufgaben
Horizontaler
Finanzausgleichs
nicht vorhanden oder
schwach ausgeprägt
stark ausgebaut
Leitbild
Subsidiarität
Unitarismus
Charakter
Wettbewerbsföderalismus
Konkordanzföderalismus
In der Geschichte des 20. Jahrhunderst gibt es meistens ein Mischsystem, in dem jedoch
entweder die Elemente des Trenn- oder des Verbundsystems überwiegt.
27
3.2 Entwicklung des Finanzausgleichs im 20. Jahrhundert
• Entwicklung des vertikalen Finanzausgleichs als Ausdruck des traditionell starken Föderalismus
- 1871: Gründung des deutschen Nationalstaats als „Bund deutscher Fürsten“
- Trennsystem im Kaiserreich: Reich als Kostgänger der Länder
- Miquelsche Finanzreform von 1891/93: Stärkung der Kommunalfinanzen
- Zäsur der Erzbergerschen Finanzreform von 1919/20: Entstehung des unitarischen Bundesstaats
- „Permanent vorläufiger Finanzausgleich“ in der Weimarer Republik
- Ausschaltung der Länder in der NS-Zeit
- Alliierten erzwingen 1949 ein Trennsystem, das aber nicht Verfassungswirklichkeit wird
- Große Finanzreform von 1969: Verbundsystem/Unitarismus mit Bundesrat als Korrektiv (später als
Blockadeinstrument benutzt)
• Entwicklung des horizontalen Finanzausgleichs mit dem Ziel einheitlicher Lebensverhältnisse
- Forderungen bereits im Kaiserreich (insbesondere Finanzausgleich zwischen armen und reichen Städten)
- Anfänge in der Weimarer Republik
- Gutachten von Popitz, Der künftige Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden (1932)
- Ausbau in der Bundesrepublik, insbesondere ab 1969 (Leitbild des kooperativen Föderalismus)
- „unsichtbarer“ Finanzausgleich über die Sozialversicherungen
In Finanzgeschichte des 20. Jahrhunderts ist das Problem des Finanzausgleichs nie
zufriedenstellend gelöst worden.
28
3.3 Kompetenzverteilung auf die Gebietskörperschaften im Kaiserreich
Kaiserreich
Gesetzgebungshoheit
Ertragshoheit
Verwaltungshoheit
Reich
•
•
für indirekte Steuern
Erhebung von Matrikularbeiträgen, „solange
Reichsteuern nicht
eingeführt sind“ (Art. 70 der
Reichsverfassung; Zusatz
1909 gestrichen)
de facto keine Gesetzgebungshoheit für die
Einkommensteuer
•
Erhebung von Matrikularbeiträgen von den Ländern
Zolleinnahmen des Reichs
durch Franckensteinsche
Klausel gekappt
•
keine
Basissatz der Einkommensteuer (in Preußen)
Beteiligung an Zolleinnahmen (Franckensteinsche Klausel)
•
Zoll- und Steuerverwaltung
bei den Einzelstaaten
Zuschlagsrecht auf die
Einkommensteuer (in
Preußen)
Realsteuern (in Preußen)
•
keine
•
•
Länder
(= Einzelstaaten)
•
•
für direkte Steuern (de facto)
Zustimmung des Bundesrates für sämtliche Gesetze
erforderlich
•
Kommunen
•
keine
•
•
•
29
3.4 Kompetenzverteilung auf die Gebietskörperschaften in der Weimarer Republik
Weimarer
Republik
Gesetzgebungshoheit
Ertragshoheit
Verwaltungshoheit
Reich
•
Gesetzgebungshoheit über
Einkommen- und
Umsatzsteuer
•
ständige Änderung der
Anteile („permanent
vorläufiger Finanzausgleich“)
•
Reichszoll- und
finanzverwaltung
Länder
•
Beteiligung über Reichsrat
•
•
keine
keine
•
•
Beteiligung an Einkommenund Umsatzsteuer (in Form
von „Reichsüberweisungssteuern“)
ab 1929 Plafondierung
hohe Beteiligung an
Einkommen- und
Umsatzsteuer
Realsteuern
•
keine
Kommunen
•
•
30
3.5 Kompetenzverteilung auf die Gebietskörperschaften im NS-Staat
NS-Staat
Gesetzgebungshoheit
Ertragshoheit
Verwaltungshoheit
Reich
•
Gesetzgebungshoheit über
(fast) sämtliche Steuern
•
vollständige Ertragshoheit
•
Reichszoll- und
finanzverwaltung
Länder
•
•
keine
•
•
Mittelzuweisung vom Reich
•
•
keine
Kommunen
keine
•
Mittelzuweisung vom Reich
sowie horizontaler
Finanzausgleich
Realsteuern
keine
31
3.6 Kompetenzverteilung auf die Gebietskörperschaften in der Bundesrepublik
Bundesrepublik
Gesetzgebungshoheit
Ertragshoheit
Verwaltungshoheit
Bund
•
•
auf Druck der Siegermächte: Trennsystem, das
sofort durch „Inanspruchnahmegesetze“
(Beteiligung des Bundes an
der Einkommensteuer)
durchbrochen wird
seit 1969 Verbundsystem
•
Zollverwaltung
Beteiligung an der
Umsatzsteuer seit 1969
•
•
Finanzverwaltung
Verwaltungsvereinbarung
von 1970 zur Zusammenarbeit von Bund und Ländern
Beteiligung an der
Einkommensteuer seit 1969
und an der Umsatzsteuer
seit 1998
Realsteuern
•
keine
(konkurrierende) Gesetzgebungshoheit über
Einkommen- und
Umsatzsteuer
Länder
•
Zustimmung des Bundesrats
in der Regel erforderlich
Kommunen
•
keine
•
•
•
•
32
3.7 Ertragshoheit über die Einkommensteuer im 20. Jahrhundert
v.H.
100
90
80
70
60
50
40
30
20
10
0
1913 1920 1923 1924 1925 1926 1944 1951 1952 1953 1955 1958 1967 1970
Reich/Bund
Länder
seit
1979
Kommunen
Die Ertragshoheit über die Einkommensteuer entwickelt sich im 20. Jahrhundert eindeutig in Richtung der
nationalen Ebene, und zwar vor allem auf Kosten der Kommunen. Diese besitzen bis zum Ersten Weltkrieg
durch das Zuschlagsrecht den größten Aufkommensanteil und werden in den 50/60er Jahren überhaupt
nicht an der Einkommensteuer beteiligt.
Quelle: Hansmann (2000), passim.
33
3.8 Ertragshoheit über die Umsatzsteuer im 20. Jahrhundert
v.H.
100
90
80
70
60
50
40
30
20
10
0
1916
1920
1923
1924
1925
1926
Reich/Bund
19441969
Länder
1970
1980
1990
2000
2010
Kommunen
Als indirekte Steuer gehört die Umsatzsteuer traditionell zur nationalen Ebene. Im Rahmen des 1969
eingeführten bzw. ausgebauten Verbundsystems werden die Länder mit zunächst 30 % beteiligt. Seitdem
steigt der Länderanteil deutlich an (u.a. 1995/96 wegen der Einbeziehung der neuen Bundesländer in den
FAG sowie der Neuregelung des Familienleistungsausgleichs).
Quelle: Für die Jahre bis 1969: Hansmann (2000), passim; für die Jahre ab 1970: BMF, Finanzplan des Bundes 2004 bis 2008, 77
(Schaubild 17) und Finanzplan des Bundes 2012 bis 2016, 72 (Schaubild 16) .
34
3.9 Anteil der einzelnen Gebietskörperschaften am gesamten Steueraufkommen
100%
90%
80%
70%
60%
50%
40%
30%
20%
10%
0%
1913
1925
1950
1960
Reich/Bund
1970
Länder
1980
Kommunen
1990
2000
2010
Sonstige
Das Popitzsche Gesetz von der Anziehungskraft des zentralen Etats lässt sich eher bezüglich der
Länder- als der Bundeseinnahmen bestätigen. Die Länder weiten ihre Steuereinnahmen 1920/25 und vor
allem 1950 auf Kosten der Kommunen aus. Seit 1990 verschieben sich die Gewichte zwischen Bund und
Ländern zugunsten der letzteren.
Quelle: Für die Jahre bis 1990: Hansmann (2007), 453; für die Jahre ab 2000: BMF, Finanzplan des Bundes 2012 bis 2016, 70
(Schaubild 15) .
35
3.10 Anteil der einzelnen Gebietskörperschaften an den gesamten Staatsausgaben
100%
90%
80%
70%
60%
50%
40%
30%
20%
10%
0%
1913
1925
1937
1950
1959
Reich/Bund
1970
Länder
1980
1990
2000
2010
Kommunen
Auf der Ausgabenseite wird die wichtige Stellung der Kommunen deutlich. Zwar werden sie im Laufe des
20. Jahrhundert zur Gebietskörperschaft mit den geringsten Ausgaben, doch ihr Ausgabenanteil reduziert
sich nur um 9 Prozentpunkte (Steueranteil im Vergleich um 24 Prozentpunkte).
Quelle: Für die Jahre bis 2000: Hansmann (2007), 454; für das Jahr 2010: BMF-Monatsbericht Dezember 2012, Tab. 7,
eigene Berechnung.
36
3.11 Strukturprobleme der Länderfinanzen am Beispiel von Niedersachsen
Strukturprobleme
• Keine Einnahmenautonomie
• Hohe Fixkosten
• Schlechte Ausgabenqualität
• Hohes strukturelles Defizit
• Hoher Schuldenstand (Gefahr der Schuldenfalle)
37
3.12 Steuereinnahmen des Landes Niedersachsen seit 1990
Mit Ausnahme der Grunderwerbsteuer kann
das Land seine Einnahmen kaum beeinflussen.
38
Quelle: Niedersächsisches Finanzministerium, Niedersächsische Haushalts- und Finanzpolitik, S. 9.
3.13 Ausgabenstruktur des Landes Niedersachsen (Haushalt 2011)
Zuweisungen
und Zuschüsse
41%
Zinsen
9%
Von den rd. 10 Mrd. €
Zuweisungen und
Zuschüsse erhalten die
Kommunen 6,5 Mrd. €.
Sachausgaben
5%
Investitionen
6%
Personalausgaben
39%
Quelle: www.mf.niedersachsen.de und Niedersächsisches Finanzministerium, Niedersächsische Haushalts- und
Finanzpolitik, S. 28, eigene Darstellung.
39
3.14 Anteil der Versorgungs- und Zinsausgaben an den Gesamtausgaben des Landes Niedersachsen
20 %
40
Quelle: Niedersächsisches Finanzministerium, Niedersächsische Haushalts- und Finanzpolitik, S. 29.
3.15 Nettokreditaufnahme und Kreditfinanzierungsquote des Landes Niedersachsen seit 1950
3500
20
18
3000
14
12
2000
10
1500
8
6
1000
4
Prozent (Kreditfinanzierungsquote)
2500
500
2
0
0
19
50
19
53
19
56
19
59
19
62
19
65
19
68
19
71
19
74
19
77
19
80
19
83
19
86
19
89
19
92
19
95
19
98
20
01
20
04
20
07
20
10
Mio. Euro (Nettokreditaufnahme)
16
Nettokreditaufnahme
Quelle: MF Niedersachsen
Kreditfinanzierungsquote
41
3.16 Verschuldung des Landes Niedersachsen seit 1990
Quelle: www.mf.niedersachsen.de
42
3.17 Summierte Nettokreditaufnahme und Zinsausgaben 2000 bis 2010
Mio. €
25000
20000
15000
10000
5000
Die Zinsausgaben übersteigen im Zeitraum von
2000 bis 2010 insgesamt die entsprechende
Nettokreditaufnahme.
0
Nettokreditaufnahme
Quelle: Niedersächsisches Finanzministerium, eigene Berechnungen.
Zinsausgaben
43
3.18 Weiterführende Literatur zur Geschichte der Finanzverfassung
• Charles B. Blankart, Föderalismus in Deutschland und Europa, Baden-Baden 2007.
• Marc Hansmann, Kommunalfinanzen im 20. Jahrhundert. Zäsuren und Kontinuitäten: Das Beispiel
Hannover, Hannover 2000.
• Karl-Heinrich Hansmeyer, Manfred Kops, Die wechselnde Bedeutung der Länder in der deutschen
Finanzverfassung seit 1871, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 125 (1989), 63-85.
• Carsten Hefeker, The agony of central power: Fiscal federalism in the German Reich, in: European
Review of Economic History 5 (2001), 119-142.
• Jürgen W. Hidien, Der bundesstaatliche Finanzausgleich in Deutschland. Geschichtliche und
staatsrechtliche Grundlagen, Habil. Kiel 1998, Baden-Baden 1999.
• Dietmar Petzina, Veränderte Staatlichkeit und kommunale Handlungsspielräume – historische
Erfahrungen in Deutschland im Bereich der Finanzpolitik, in: Dieter Grimm (Hg.), Staatsaufgaben,
Baden-Baden 1994, 233-260.
• Wolfgang Renzsch, Finanzverfassung und Finanzausgleich. Die Auseinandersetzungen um ihre
politische Gestaltung in der Bundesrepublik Deutschland zwischen Währungsreform und deutscher
Vereinigung (1948-1990), Habil. Göttingen 1991, Bonn 1991.
• Peter-Christian Witt, Ders., Finanzen und Politik im Bundesstaat Deutschland 1871-1933, in:
Jochen Huhn, Peter-Christian Witt (Hg.), Föderalismus in Deutschland. Traditionen und
gegenwärtige Probleme, Baden-Baden 1992, 75-99.
44
Freitag, 13.11.15, 16.15 - 17.45 Uhr
4. Strukturproblem des Steuerrechts
45
4.1 Vom Domänen- zum Steuerstaat
Domänenstaat
Steuerstaat
Ertragsteuern
Einkommensteuer
Umsatzsteuer
1650
1700
1750
1800
1850
1900
1950
46
4.2 Liberale versus „linke“ Steuerpolitik
Liberaler Ansatz
„Linker“ Ansatz
•
„Die Untertanen jeden Staates sollten zur
Unterstützung der Regierung soweit wie
möglich im Verhältnis zu ihren jeweiligen
Fähigkeiten beitragen; das heißt im
Verhältnis zu den Einkünften, derer sie sich
jeweils unter dem Schutz des Staates
erfreuen.“ (Adam Smith)
•
„Bürger, deren Einkommen das nicht übersteigen, was für ihre elementaren Bedürfnisse notwendig ist, sollen von Leistungen
für öffentlichen Ausgaben freigestellt
werden; die anderen sollen diese gemäß
ihrem Vermögen ansteigend unterstützen.“
(Maximilien de Robespierre)
•
„Ich werfe also dem jetzigen Zustande vor,
dass er viel zu viel von den direkten Steuern
verlangt, zu wenig von den indirekten, und
ich strebe danach, direkte Steuern
abzuschaffen und [...] durch indirekte Steuern
zu ersetzen.“ (Bismarck 1879)
•
„Starke Progressivsteuer“ (Karl Marx,
Kommunistisches Manifest von 1848)
•
„Eine einzige progressive
Einkommensteuer für Staat und Gemeinde,
anstatt aller bestehenden, insbesondere der
das Volk belastenden indirekten Steuern.“
(Gothaer Programm der SPD von 1875)
•
Einkommensteuer allenfalls in Form einer
„flat tax“ oder eines Stufentarifs
47
4.3 Traditionelle Ertragsteuern (z.B. Württemberg 1821)
• Liberaler Ansatz, die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger unbedingt zu schützen. Das
persönliche Einkommen ist Privatsache. Das schließt Selbstdeklaration und staatliche Überprüfungen
aus. Steuerveranlagung daher nur anhand äußerlicher Merkmale, wie z.B. Anzahl der Fenster oder
Beschäftigten, die sichtbare Kapitalausstattung, Durchschnitterträge. Anfang des 18. Jh. wird es als
gerecht empfunden, dass der derjenige, der schlecht wirtschaftet, genauso viele Steuern (z.B.
gemessen anhand eines durchschnittlichen Bodenertrags) zahlt, wie ein „Tüchtiger“.
• Ideale Umsetzung durch Ertragsteuern = Steuern auf Objekte, also Gebäude, Grund und Boden,
Gewerbebetriebe, und zwar in Höhe des im Durchschnitt erzielbaren, geschätzten (Rein-) Ertrags
(Rohertrag abzüglich Produktionskosten).
• Problem der schwierigen Erhebung: umfassendes Kataster für den geschätzten Ertragswert von
jedem Gebäude, jeder Parzelle und jedem Gewerbebetrieb nötig einschließlich dessen Pflege.
• Im Zuge der Industrialisierung steigt der Ertragswert der Betriebe erheblich, ohne dass dies laufend
angepasst werden kann: Daher überproportionale Belastung der Landwirtschaft im 19. Jh. und
(anfänglich) unintendierte Förderung des Strukturwandels.
• Keine dynamische Einnahmequelle, da Steuern nicht konjunkturreagibel sind und in Form von
Umlagen erhoben werden. Steuern haben eine feste Summe zu bringen, die vom Haushaltsplan
bestimmt wird. Diese Summe wird zunächst anteilig verteilt auf die Objektarten (also Gebäude, Grund
und Boden, Gewerbebetriebe) und dann gemäß des Katasteranschlags auf das einzelne Objekt
verteilt.
48
4.4 Entstehung der Einkommensteuer
• Anstelle der gemeindeüblichen durchschnittlich-möglichen Erträge einzelner Objekte soll bei der
Einkommensteuer das tatsächlich erzielte gesamte Einkommen einer Person besteuert werden.
Die Steuerlast entspricht der Leistungsfähigkeit. Der „Tüchtige“ zahlt also mehr als der „Unfähige“
oder „Faule“.
• Das „unfundierte“ Einkommen aus Arbeit und Kapital wird erstmals vollständig besteuert.
• Einkommensteuer ist aufkommensstärker und leichter zu erheben (Selbstdeklaration) als die
traditionellen Ertragsteuern.
• Grundproblem: Wie wird das zu versteuernde Einkommen (Bemessungsgrundlage) definiert?
• erste moderne deutsche Einkommensteuer in Sachsen 1874/88
• Einführung durch Miquel in Preußen 1891 (erst nach Ende der „Ära Bismarck“ möglich)
• Fortentwicklung durch Erzberger/Popitz (1919/25), u.a. Ergänzung durch Körperschaftsteuer
• Das preußische Steuergesetz ist bis heute die Grundlage der Einkommenssteuer.
• Einkommensteuer kann als Mittel zur Umverteilung eingesetzt werden. Daher fordert die SPD eine
Einkommensteuer seit ihrer Gründung im Jahre 1863 und herrscht ein hoher Widerstand gegen ihre
Einführung in Preußen.
49
4.5 Die Pflicht zur Einkommensteuererklärung
Die Bürger müssen zum ersten Mal in der Geschichte dem Staat ihr vollständiges Einkommen offen
legen. Dagegen gibt es erheblichen Widerstand:
„Ganz verwerflich als eine Ausgeburt verkehrtester Finanzpolitik ist der sogenannte Fassion.
Dieselbe besteht darin, dass der Steuerpflichtige den betreffenden Staatsbeamten sein Einkommen
summarisch, am liebsten haarklein darlegt. … Die Methode ist freilich practiziert worden u.a. im
Königreich Sachsen. Die Folge ist aber allerwege, dass dem Staat eine schwere Last von Lügen
aufgebürdet wird, deren Schuld ganz allein auf ihn fällt. Denn das gestellte Verlangen ist eine
Thorheit und ein Rechtsüberschreitung… Die Fanatiker der Fassion, welche Theils pedantische
Ausläufer der Bureaukratie theils Kinder eines unreifen Idealismus sind, … diese Fanatiker haben
zuweilen terroristische Maßregeln vorgeschlagen, um die Wirksamkeit der Fassion zu sichern, z.B.
… inquisitorische Befugnisse der Behörden. Die Folge wird stets sein, dass man vieles Vermögen
aus dem Lande scheucht, anderem [Vermögen] Verbergungskünste aufdrängt… Es ist sehr
schlimm, wenn es ein Gebiet gibt, wo beinahe jedermann lügt, wo jeder vom anderen weiß, dass er
lügt, und doch der Schein der Wahrheit immerfort erheuchelt werden muss. Der Staat hat nach dem
Einkommen gar nichts zu fragen.“
Prof. Rößer 1873 in einem Gutachten für den Verein für Socialpolitik
50
4.6 Die erste deutschen Einkommensteuer in Sachsen 1874/78
• Hintergrund: Frühe Industrialisierung und Gründung der SPD in Sachsen
• Selbstangabe des Einkommens auf einem vorgeschriebenen Deklarationsformular erforderlich
• Tarif setzte mit 1/6 % bei einem Einkommen von 301 Mark ein und endete bei 3 % ab einem
Einkommen von über 5400 Mark.
• Weitgehende Definition des Einkommens: Einkommen sind – ohne Rücksicht auf die Quelle – alle in
Geld oder Geldeswert bestehenden Einnahmen, mit Einschluss des Mietwerts der Wohnung im
eigenen Haus oder sonstiger freier Wohnung sowie des Werts der verbrauchten Erzeugnisse aus
eigener Landwirtschaft und eigenem Gewerbebetrieb.
• Einführung eines „Verbrauchseinkommens“ (= Verbrauchsaufwand) zur Lösung des Problems, wenn
ein hoher Lebensstandard nicht mit dem niedrig deklarierten Einkommen übereinstimmt: „Ist das
Einkommen einer Person … geringer als die Summe, welche sie zur Bestreitung des Unterhalts für
sich und die von ihr unterhaltenen Personen … aufwendet, so kann diese Summe … als Betrag des
Einkommens angenommen werden.“ (§ 15) Die Veranlagung erfolgte durch eine Einschätzungskommission mit Fragerecht.
• Heranziehung der Vorschriften des ab 1869 geltenden Allgemeinen Handelsgesetzbuches (AHGB)
zur Lösung des Problems der Bemessungsgrundlage bei der Unternehmensbesteuerung
51
4.7 Das preußische Einkommensteuergesetzes von 1891
• synthetische Einkommensteuer
• vier Einkunftsarten: Einkommen aus „Kapitalvermögen, Grundvermögen, Pachtungen und Miethen,
[...] Handel und Gewerbe, Gewinn bringender Arbeit“
• steuerfreies Existenzminimum bis zu einem Betrag von 900 Reichsmark
• für heutige Verhältnisse mäßige, damals aber umstrittene Progression bzw. Degression, fallend von
einem Höchstsatz von knapp 4 Prozent für Einkommen über 100.000 Mark
• Mindestsatz von durchschnittlich 0,62 Prozent für Einkommen von 901 bis 1.050 Reichsmark
• Kinderfreibetrag
• Abzugsmöglichkeit von Werbungskosten, Schuldzinsen und Abschreibungen sowie Beiträge zu den
Sozialversicherungen
• Einführung der Steuererklärungspflicht (Selbstdeklaration) für alle Einkommen über 3.000 Mark
• Abschaffung des unzulänglichen Einschätzungsverfahrens nach äußeren Merkmalen, in dem Steuerpflichtige grob nach ihrem Besitz bzw. ihrem Beruf in bestimmte Klassen eingeteilt worden waren
• Wohnortprinzip
52
4.8 Entwicklung der Anteile der Steuern vom Einkommen und Umsatz am Gesamtsteueraufkommen
v.H.
50
45
40
35
30
25
20
15
10
5
0
1913
1925
1932
1936
1950
1960
1970
1980
1990
2000
2009
Steuern vom Einkommen (einschl. Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag)
Steuern vom Umsatz
Die Bedeutung der Umsatzsteuer nimmt seit ihrer Einführung 1916/18 stetig zu. Der säkulare Trend der
Einkommensteuer als mit Abstand aufkommensstärkste Steuer scheint beendet zu sein.
Quelle: für die Jahre 1913 bis 1936: Volker Hentschel (1985), 273; für die Jahre ab 1950: http://www.bundesfinanzministerium.de/
nn_4158/DE/Wirtschaft__und__Verwaltung/Steuern/Steuerschaetzung__einnahmen/Steuereinnahmen/0601011a6002.html,
eigene Berechnungen.
53
4.9 Entwicklung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommensteuer seit 1913
v.H.
100
Steuersätze der
Siegermächte
90
80
Finanzreformen
70
Erzberger
60
Eichel
50
Kriegszuschläge
40
Popitz
30
20
10
0
1913
1920
1925
1939
1946
1953
1958
1970
1975
1990
2000
2001
2004
2005
Seit 1920 sind die Spitzensteuersätze der Einkommensteuer nominal hoch, jedoch ist die reale
Belastung aufgrund der steuerlichen Subventionen/Abzugsmöglichkeiten deutlich niedriger.
Quelle: Hansmann (2007), 441.
2007
54
4.10 „Verluderung“ der Bemessungsgrundlage durch Steuerpolitik
• Die synthetische Einkommensteuer impliziert, dass alle Einkunftsarten gleich hoch belastet werden.
Grundproblem der praktischen Umsetzung ist jedoch die Ermittlung der Bemessungsgrundlage, und
zwar insbesondere bei den Unternehmens- und Kapitaleinkünften. Die Möglichkeiten zur
Steuergestaltung sind während des gesamten 20. Jh. durch die Politik gezielt vergrößert worden.
• „Der Finanzminister ist der beste Sozialisierungsminister.“ (Erzberger 1919)
• Der NS-Staat führte eine Reihe von Steuersubventionen ein, u.a. die Steuerfreiheit für
Nachtzuschläge, um die Zustimmung zum Regime zu festigen.
• In der gesamten Geschichte der Bundesrepublik wurden Anzahl und Umfang der Steuersubventionen
erhöht. Der erste Bundesfinanzminister Schäffer machte aus der Not, also den hohen, von den
Siegermächten auferlegten Steuersätzen, eine Tugend und förderte massiv die „Selbstfinanzierung“
der Unternehmen. Großzügige Abschreibungsregelungen und niedrige Steuern für einbehaltene
Gewinne schufen starke Investitionsanreize. Die Unternehmen wurden letztlich vor die Wahl
„Investition oder Finanzamt“ gestellt. „Von diesem Strukturfehler überhöhter Steuersätze und
löchriger Bemessungsgrundlagen hat sich das deutsche Steuerrecht bis heute nicht erholt.“ (Paul
Kirchhof).
• Die ab 1967 durchgeführten Versuche, durch Steuern zu steuern, führten zu zusätzlichen
Steuersubventionen bzw. Abzugsmöglichkeiten. Die Bemessungsgrundlage „verluderte“ (Klaus Tipke)
zunehmend. Sämtliche bereits seit den fünfziger Jahren unternommenen Versuche, diese
Entwicklung zu stoppen und das Steuerrecht grundlegend zu reformieren, scheiterten.
• abnehmende Halbwertszeit der Steuerreformen, zentraler Konflikt im Bundestagswahlkampf 2005
55
4.11 Entwicklung der Lohn- und Unternehmensteuern von 1950 bis 2014
Mrd. €
175
150
125
100
75
50
25
0
1950
1955
1960
1965
Lohnsteuer
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
2005
2010
Unternehmensteuern (Gewerbe- + Körperschaftsteuer)
56
4.12 Vergleich internationaler Steuer- und Abgabenquoten im Jahr 2008
v.H.
50
45
40
35
30
25
20
15
10
Deutschland
Frankreich
Schweden
Steuerquote
Großbritannien
USA
Japan
Abgabenquote
Quelle: BMF-Monatsbericht Juli 2010, 125 (Tab. 15), 126 (Tab. 16).
57
4.13 Weiterführende Literatur zur Geschichte des Steuerrechts
• Peter Bareis, Die Reform der Einkommensteuer vor dem Hintergrund der Tarifentwicklung seit 1934, in: Paul
Kirchhof, Wolfgang Jakob, Albert Bermann (Hrsg.), Festschrift für Klaus Offerhaus zum 65. Geburtstag, Köln
1999, S. 1053-1069.
• Giacomo Corneo, The Rise and Likely Fall of the German Income Tax, 1958-2005, in: CESifo Economic
Studies 51 (2005), 159-186.
• Dieter Dziadkowski, 50 Jahre Reformansätze bei der Einkommensteuer. Anmerkungen zu den
Reformschritten seit der „Großen Steuerreform 1955“, in: Ifo-Schnelldienst 58 (2005), S. 23-29.
• Volker Hentschel, Steuersystem und Steuerpolitik in Deutschland 1890-1970, in: Werner Conze, M. Rainer
Lepsius (Hg.), Sozialgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Beiträge zum Kontinuitätsproblem,
Stuttgart, 2. Aufl., 1985, 256-295.
• Stefan Homburg, Allgemeine Steuerlehre, München 6. Aufl. 2010.
• Paul Kirchhof, Der sanfte Verlust der Freiheit. Für ein neues Steuerrecht – klar, verständlich, gerecht,
München, Wien 2004.
• Fritz Neumark, Der Aufstieg der Einkommensteuer. Entstehung und Entwicklung der direkten Besteuerung,
in: Uwe Schultz (Hg.), Mit dem Zehnten fing es an. Eine Kulturgeschichte der Steuer, München 1986, 232244.
• Eckart Schremmer, Einfach und gerecht? Die erste deutsche Einkommensteuer von 1874/78 in Sachsen als
Lösung eines Reformstaus in dem frühindustrialisierten Lande, in: Scripta Mercaturae 35/2 (2001), 38-64.
• Ders., Warum die württembergischen Ertragsteuern von 1821 und die sächsischen Einkommensteuer von
1874/78 so interessant sind, Stuttgart, Leipzig 2002.
• Uwe Wagschal, Steuerpolitik und Steuerreformen im internationalen Vergleich. Eine Analyse der Ursachen
und Blockaden, Münster 2005
• Klaus Tipke, Ein Ende dem Einkommensteuerwirrwarr!? Rechtsreform statt Stimmenfangpolitik, Köln 2006.
58
Freitag, 20.11.15, 14.30 - 16.00 Uhr
5. Strukturproblem der Finanzverwaltung
59
5.1 „Institutions do matter“: Strukturprobleme des Finanzministeriums und ihre Folgen
Eigeninteresse des Inhaltliches Interesse
Finanzministeriums des Finanzministeriums
Strukturprobleme des Finanzministeriums
Ausweitung der
eigenen Kompetenzen (in Form
neuer Aufgaben
sowie zu Lasten
anderer Ressorts
und der Länder)
• stete Vergrößerung und Diversifizierung (siehe steigende Anzahl
der Abteilungen, Referate, Beschäftigen und Staatssekretäre)
• extreme Arbeitsteilung und Zuständigkeitsdenken
• ausgeprägte Hierarchieebenen
• großer Overhead
• geringe organisationsübergreifende Zusammenarbeit
• Orientierung am Detail, kein ganzheitlicher Ansatz
• Perfektionismus und Regelorientierung, geringe Zielorientierung
• Problem „Führung und Steuerung“
• Prinzipal-Agent-Problem (Max Weber: „Experten-Laien-Dilemma“)
• Durchsetzen einer
soliden Finanzpolitik
• Perfektionierung der
Gesetze (insbesondere im Steuerbereich)
• Funktionierende
Finanzverfassung
„Es bestand und besteht ein krasses Missverständnis zwischen akribischen haushaltspolitischen Bemühungen im
Bereich der unmittelbaren Bundesausgaben und einer eher sorglosen Nichtbeachtung der großen Strukturprobleme in der Sozialversicherung.“ (Thilo Sarrazin 1983, S. 382)
„... gerade der Perfektionismus des Reichsfinanzministeriums [war in den 20er Jahren, M.H.] eine der wesentlichen Ursachen für die finanziellen Mißerfolge und die soziale Unausgewogenheit der Steuerpolitik “ (PeterChristian Witt 1975, S. 69)
Darüber hinaus dürfte in der strikten, von Anfang an bestehenden organisatorischen Trennung zwischen Haushalt
60
und Steuern ein weiterer Grund für die Etatprobleme liegen.
5.2.1 Entwicklung der Organisation vom Reichsschatzamt zum Bundesfinanzministerium
1848/49
Reichsfinanzministerium
der Provisorischen Zentralgewalt
1871-1878
Finanzbüro/Finanzabteilung
in der Reichskanzlei
1879-1918
Reichsschatzamt
1919-1945
Reichsfinanzministerium
1946-1949
1919-1923: Reichsschatzministerium (zusätzlich)
1957-1969: Bundesschatzministerium (zusätzlich)
(bis 1961: Bundesministerium für den wirtschaftlichen
Besitz des Bundes)
1971-1972: Fusion zum Bundesministerium für
Wirtschaft und Finanzen
Gemeinsamer Deutscher Finanzrat
Verwaltung für Finanzen (der Bizone)
Bundesfinanzministerium
seit 1949
61
5.2.2 Aufbau und Aufgaben des Reichsschatzamts 1879 und 1912
Reichsschatzamt 1879 (Gründung)
Reichsschatzamt 1912
Abteilung I
Abteilung I
Etat-, Kassen- und Rechnungswesen
Abteilung II
Indirekte Steuern und Zölle
Abteilung II A
Verkehr- und Besitzsteuern
Zusätzlich
(seit 1908)
Volkswirtschaftliches Büro (Kernaufgabe:
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit)
Referate
Anzahl nicht bekannt
Beschäftigte
95 (im Jahr 1913)
Finanzverwaltung (Etat-, Kassen- und
Rechnungswesen)
Abteilung II
Zölle und Steuern
Referate
Anzahl nicht bekannt
Beschäftigte
55
Haushalt sowie Steuern und Zölle sind bis heute
die Kernaufgaben des Finanzministeriums.
62
5.2.3 Aufbau und Aufgaben des Reichsfinanzministeriums 1919/20 und 1927
Reichsfinanzministerium 1919/20
Reichsfinanzministerium 1927
Abteilung Z
(„Zentralbüro“)
Personalien des Ministeriums
Abteilung Z
Personalien des Ministeriums
Abteilung I
Haushaltsfragen
Abteilung I
Allgemeines Etat-, Kassen- und
Rechnungs- und Besoldungswesen
Abteilung II
Zölle und Verbrauchabgaben
Abteilung I a
Haushalt der Verkehrsverwaltungen
Abteilung III
Besitz- und Verkehrsteuern
Abteilung II
Zollwesen und Verbrauchsabgaben
Abteilung IV
Abteilung III
Besitz- und Verkehrsteuern
Reparationen, Finanzausgleich,
Rechtsangelegenheiten
Abteilung IV
Organisation der Reichsfinanzverwaltung
und laufende Personalverwaltung
Referate
80
Beschäftigte
668 (im Jahr 1929)
Abteilung V
Währungs-, Münz- und Bankwesen, Anleihen, Ausführung des Friedensvertrags,
finanzielle Beziehungen zum Ausland
zusätzlich
Ministerbüro und „Nachrichtenstelle“ (=
Pressestelle)
Referate
Anzahl nicht bekannt
Beschäftigte
193 (1919), 758 (1920)
Zusätzliche Aufgaben seit 1919:
1. Organisation der Reichsfinanzverwaltung
2. Kriegsfolgen/Reparationen
3. Finanzausgleich
Seit 1919/20 gibt es zudem eine separate
Zentralabteilung, ein Ministerbüro und eine
Pressestelle
63
5.2.4 Aufbau und Aufgaben des Reichsfinanzministeriums 1944
Reichsfinanzministerium 1944
Abteilung I
Reichshaushalt und Finanzwesen der Gebietskörperschaften
Abteilung I A
Finanzwesen der Ländern, der Reichsgaue, der Gemeinden und sonstigen
Gebietskörperschaften, Reichsreform, Finanzausgleich
Abteilung II
Zölle und Verbrauchsteuern
Abteilung III
Besitz- und Verkehrsteuern
Abteilung IV
Besoldungs-, Beamten- und Versorgungsangelegenheiten, Angestellten- und
Arbeiterfragen, Liegenschaften
Abteilung V
Zwischenstaatliche Finanzfragen, allgemeine Wirtschafts- und Rechtsfragen
Abteilung VI
Personal und Verwaltung
Abteilung VII
Reichsbauverwaltung
zusätzlich
Statistisches Büro (Anfänge einer „Grundsatzabteilung“)
Referate
115
Beschäftigte
1.547 (im Jahr 1943)
Neue Zuständigkeiten im NS-Staat:
1. Zuständigkeit für Dienst- und Tarifrecht
2. Reichsbauverwaltung
3. Anfänge einer „Grundsatzabteilung“
64
5.2.5 Aufbau und Aufgaben des Bundesfinanzministeriums 1950 und 1960
Bundesfinanzministerium 1950
Bundesfinanzministerium 1960
Abteilung I
Abteilung I
Organisation und Personalien, Allgemeine
Verwaltung
Abteilung II
Bundeshaushalt
Abteilung III
Zölle, Verbrauchsteuern, Monopole
Abteilung IV
Besitz- und Verkehrsteuern
Abteilung V
Schuldenwesen, allgemeine und internationale Finanzierungsfragen, Finanzbeziehungen zu den Ländern, Wirtschaftsförderung,
Abteilung II
Organisation, Personalien, Allgemeine
Verwaltung, Beamten-, Versorgungs-,
Besoldungs- und Tarifrecht
Allgemeine Finanzpolitik und öffentliche
Finanzwirtschaft (mit Volkswirtschaftlicher
Gruppe, Bundeshaushalt, Bundesvermögen,
Bund und Länder, Bundesbauangelegenheiten)
Abteilung III
Zölle und Verbrauchsteuern
Abteilung IV
Besitz- und Verkehrsteuern
Abteilung V
Banken, internationale Finanzierungsfragen,
Devisen, öffentliches Versicherungswesen
Abteilung VI
Abteilung VI
Rechtsangelegenheiten, Liquidation des
Krieges
Liquidation des Krieges, Verteidigungslasten, Rechtsangelegenheiten
zusätzlich
Sonderabteilung
Besatzungslastenverwaltung
Finanzpolitische und Volkswirtschaftliche
Gruppe
Referate
101
Sondergruppe
Lastenausgleich
Beschäftigte
1.278
Referate
82
Beschäftigte
780
Zusätzliche Aufgaben seit 1950:
1. Kriegsfolgen und Lastenausgleich
2. Volkswirtschaftliche Gruppe
65
5.2.6 Aufbau und Aufgaben des Bundesfinanzministeriums 1969 und 1970
Bundesfinanzministerium 1969
Bundesfinanzministerium 1970
Abteilung Z
Organisation und Personalien, Allgemeine
Verwaltung
Abteilung Z
Organisation und Personalien, Allgemeine
Verwaltung
Abteilung I
Grundsatzfragen der Finanzpolitik,
Finanzbeziehungen zu den Ländern und
Gemeinden, Finanzreform
Abteilung I
Grundsatzfragen der Finanzpolitik,
Finanzbeziehungen zu den Ländern und
Gemeinden, Finanzreform
Abteilung II
Bundeshaushalt
Abteilung II
Bundeshaushalt
Abteilung III
Zölle, Verbrauchsteuern, Monopole
Abteilung III
Zölle, Verbrauchsteuern, Monopole
Abteilung IV
Besitz- und Verkehrsteuern
Abteilung IV
Besitz- und Verkehrsteuern
Abteilung V
Schuldenwesen, allgemeine und
internationale Finanzierungsfragen,
Wirtschaftsförderung
Abteilung V
Schuldenwesen, allgemeine und
internationale Finanzierungsfragen,
Wirtschaftsförderung
Abteilung VI
Liquidation des Krieges, Verteidigungslasten, Rechtsangelegenheiten
Abteilung VI
Liquidation des Krieges, Verteidigungslasten, Rechtsangelegenheiten
Referate
119
Abteilung VII
Bauwesen
Beschäftigte
1.387
Abteilung VIII
Industrielles Bundesvermögen
Referate
153
Beschäftigte
1.766
1970: Eingliederung des Schatzministeriums
66
5.2.7 Aufbau und Aufgaben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Finanzen 1971
Bundesministerium für Wirtschaft und Finanzen 1971
Abteilung W/Z
Zentralabteilung
Abteilung F/Z
Organisation und Personalien, Allgemeine
Verwaltung
Abteilung W/E
Europaabteilung
Abteilung F/I
Grundsatzfragen der Finanzpolitik, Finanzbeziehungen zu den Ländern und Gemeinden,
Finanzreform
Abteilung W/I
Wirtschaftspolitik
Abteilung F/II
Bundeshaushalt
Abteilung W/II
Strukturpolitik für kleine und mittlere
Unternehmen, Handwerk
Abteilung F/III
Zölle, Verbrauchsteuern, Monopole
Abteilung W/III
Energiepolitik und Grundstoffe
Abteilung F/IV
Besitz- und Verkehrsteuern
Abteilung W/IV
Gewerbliche Wirtschaft
Abteilung F/V
Schuldenwesen, allgemeine und internationale
Finanzierungsfragen, Wirtschaftsförderung
Abteilung W/V
Außenwirtschaft und Entwicklungshilfe
Abteilung F/VI
Liquidation des Krieges, Verteidigungslasten,
Rechtsangelegenheiten
Abteilung W/VI
Geld und Kredit
Abteilung F/VII
Bauwesen
Abteilung F/VIII
Industrielles Bundesvermögen
Referate
268
Beschäftigte
3.176
67
5.2.8 Aufbau und Aufgaben des Bundesfinanzministeriums 1989
Bundesfinanzministerium 1989
Abteilung Z
Zentralabteilung (Organisation und Personalien, Allgemeine Verwaltung)
Abteilung I
Grundsatzfragen der Finanzpolitik, finanzpolitische Fragen einzelner
Bereiche, industrielles Bundesvermögen
Abteilung II
Bundeshaushalt
Abteilung III
Zölle, Verbrauchsteuern, Branntweinmonopol
Abteilung IV
Besitz- und Verkehrsteuern
Abteilung V
Finanzbeziehungen zu der EG, den Ländern und Gemeinden, internationale
Finanzfragen, Staatsrecht
Abteilung VI
Rechtsangelegenheiten, Abwicklung der finanziellen Folgen des Krieges,
Verteidigungslasten, Bundesliegenschaften
Abteilung VII
Geld und Kredit
Referate
140
Beschäftigte
1.649
Aus der kurzen Episode der Zusammenlegung mit dem Wirtschaftsministerium bleibt dem BMF die Abteilung „Geld und Kredit“.
68
5.2.9 Aufbau und Aufgaben des Bundesfinanzministeriums 1993
Bundesfinanzministerium 1993
Abteilung Z
Zentralabteilung (Organisation und Personalien, Allgemeine Verwaltung)
Abteilung I
Grundsatzfragen der Finanzpolitik, finanzpolitische Fragen einzelner Bereiche
Abteilung II
Bundeshaushalt
Abteilung III
Zölle, Verbrauchsteuern, Branntweinmonopol
Abteilung IV
Besitz- und Verkehrsteuern
Abteilung V
Finanzbeziehungen zu den Ländern und Gemeinden, Rechtsangelegenheiten, Abwicklung der
finanziellen Folgen des Krieges, offene Vermögensfragen
Abteilung VI
Liegenschaftsangelegenheiten der ausländischen Streitkräfte, Bundesliegenschaften,
bewegliches Bundesvermögen
Abteilung VII
Geld und Kredit
Abteilung VIII
Bundesbeteiligungen, Treuhandanstalt
Abteilung IX
Internationale Währungs- und Finanzbeziehungen, Finanzbeziehungen zu der EU
Referate
173
Beschäftigte
2.189
Nach der Deutschen Einheit erhält das BMF die Regelung offener Vermögensfragen sowie die Rechtsund Fachaufsicht über die Treuhandanstalt als zusätzliche Aufgaben. Zudem ist im organisatorischen
Aufbau erkennbar, dass insbesondere europäische Themen bedeutsamer werden (Abt. IX).
69
5.2.10 Aufbau und Aufgaben des Bundesfinanzministeriums 2005
Bundesfinanzministerium 2005
Abteilung Z
Zentralabteilung (Organisation und Personalien, Allgemeine Verwaltung)
Abteilung I
Grundsatzfragen der Finanzpolitik, finanzpolitische Fragen einzelner Bereiche, Wirtschaftsförderung
Abteilung II
Bundeshaushalt
Abteilung III
Zölle, Verbrauchsteuern, Branntweinmonopol
Abteilung IV
Besitz- und Verkehrsteuern, Umweltbezogene Steuer- und Abgabenpolitik
Abteilung V
Finanzbeziehungen zu den Ländern und Gemeinden, Rechtsangelegenheiten, Abwicklung der
finanziellen Folgen des Krieges, offene Vermögensfragen
Abteilung VII
Nationale und internationale Finanzmarkt- und Währungspolitik
Abteilung VIII
Privatisierungs- und Beteiligungspolitik, Bundesimmobilien, Treuhandnachfolgeaufgaben
Abteilung E
Europapolitik
Referate
153
Beschäftigte
2.050
Auf Druck des neuen Finanzministers Lafontaine übernimmt das BMF 1998 vom Wirtschafts-ministerium
die Kompetenz, die deutsche Europapolitik (die gesamte „Nichtaußenpolitik“) zu koordinieren. Jedoch
hat sich die Aufbauorganisation (Gliederung in Abteilungen) mit den klassischen Schwerpunkten
Haushalt, Steuern und Zölle seit 1879 wenig verändert.
70
5.3.1 Vergrößerung des Apparats: Anzahl der Abteilungen und Referate
18
16
14
12
10
8
6
4
2
0
1879
1912
1920
1923
1927
1944
1950
1960
1969
1970
1971
1989
1993
2005
Die Verkleinerung des Apparats
durch die durchsetzungsstarken
Staatsekretäre Popitz (1925-1929)
und Hartmann (1949-1957) ist im
NS-Staat und den 70er Jahren
rückgängig gemacht worden. In
absehbarer Zukunft wird das
Finanzministerium wieder die
Größe von der Zeit vor der
Deutschen Einheit erreichen.
Abteilungen
300
Analog zu den zunehmenden
Aufgaben und der wachsenden
Diversifizierung steigt die Anzahl der
Referate (= Arbeitseinheiten).
Kausalität mit zunehmender
Regelungsdichte und die
Detailorientierung?
250
200
150
100
50
0
1879
1912
1920
1923
1927
1944
1950
1960
Referate
1969
1970
1971
1989
1993
2005
71
5.3.2 Vergrößerung des Apparats: Anzahl der Beschäftigten und (Unter-)Staatssekretäre
Analog zum Anwachsen der
Staatsaufgaben bzw. -ausgaben
nimmt die Anzahl der Beschäftigten im Finanzministerium zu.
Allerdings dürfen auch umgekehrte Kausalitätsbeziehungen
vermutet werden.
3500
3000
2500
2000
1500
1000
500
0
1879
1913
1920
1923 1929
1944
1950
1960 1969
1970
1971 1980
1989
1993
2005
Beschäftigte
6
Seit 1968 gibt es die (problematische) Trennung zwischen Steuerund Haushaltsstaatssekretär, was
Popitz und Hartmann vorher verhindert hatten. Die Trennung besteht
auch auf der Ebene der in der ersten
Großen Koalition eingeführten
Parlamentarischen Staatssekretäre.
5
4
3
2
1
0
1879
1913
1920
1923
1929
1944
1950
1960
1969
Staatssekretäre
1970
1971
1980
1989
1993
2005
72
5.4 Ansatz des Public choice: Finanzministerium und Finanzminister im Interessengeflecht
Machtgruppe
Eigeninteresse
Inhaltliches Interesse
Finanzministerium
Ausweitung der eigenen Kompetenzen insbesondere durch Vergrößerung des Apparats
Durchsetzen einer soliden Finanzpolitik; Perfektionierung der Gesetze
Finanzminister
Machterhalt; Erweiterung der Machtstellung
gegenüber Fachressorts und Parlament
Durchsetzen einer soliden Finanzpolitik
Parteien und Fraktionen
Machterhalt durch Stimmenmaximierung;
Erweiterung der Machtstellung im Parlament;
Kampf für Rechte der Legislative
Erreichen der politischen Ziele
Kanzler
Machterhalt durch Stimmenmaximierung;
Sicherung der Machtstellung in der Regierung
und im Parlament
Reibungsloses Funktionieren der
Regierung; Erreichen der politischen
Ziele
Fachressorts
Machterhalt; Erweiterung der Machtstellung
Erreichen der fachlichen Ziele
Länder
Machterhalt im eigenen Land; Erweiterung der
Machtstellung auf der nationalen Ebene
Erreichen der politischen Ziele
Sonstige Machtgruppen
(Verbände/Tarifparteien)
Rechtfertigung ihres Daseins durch effektive
Klientelpolitik
Subventionierung ihrer jeweiligen
Klientel
Mit Ausnahme des Finanzministers und der Finanzverwaltung haben sämtliche Machtgruppen
allenfalls ein partielles Interesse an einer soliden Finanzpolitik.
73
5.5 Stellung des Finanzministers als weiteres Strukturproblem der Organisation
gegenüber Politik
(Parteien und Parlament/ Fraktionen)
gegenüber anderen Ressorts
bzw. innerhalb der Regierung
Stellung des
Finanzministers
gegenüber den Ländern
gegenüber Interessenvertretungen und Verbänden
(schwer messbar, daher im folgenden nicht analysiert)
Wenn nur der Finanzminister ein genuines Interesse an einer soliden Finanzpolitik hat, ist für die
Durchsetzung dieses Interesses entscheidend, wie stark seine Stellung gegenüber den anderen
Machtgruppen ist. Diese Stellung wird für die einzelnen Zeitphasen nachfolgend aufgezeigt.
74
5.6 Stellung des Finanzministers von 1879 bis 1918
Zeit
Stellung gegenüber anderen
Ressorts bzw. innerhalb der
Regierung
Stellung gegenüber Politik
(Parteien und Parlament/
Fraktionen)
Stellung gegenüber den
Ländern
1900-1918
Schwach
• Keine Kontrolle über
Militärhaushalt
• Schwache Position bei
Haushaltsaufstellung
gegenüber Ressorts und
Bundesrat
Schwach
• Keine Minister- bzw.
Ressortstellung (zumindest
de jure)
• Keine parteipolitische
Bindung
• Prekäre Mehrheiten der
Reichsregierungen im
Parlament (keine sichere
Budgetmehrheit)
• Budgetrecht des
Parlaments als Instrument
der innenpolitischen
Auseinandersetzung
Schwach
• Insbesondere wenn nicht
gleichzeitig preußischer
Staatsminister
• De facto nur schwache
Gesetzgebungskompetenz,
da starke Stellung des
Bundesrates mit einem
dominierenden Preußen
• Zoll- und Steuerverwaltung
bei Ländern
75
5.7 Stellung des Finanzministers von 1919 bis 1945
Zeit
Stellung gegenüber anderen
Ressorts bzw. innerhalb der
Regierung
Stellung gegenüber Politik
(Parteien und Parlament/
Fraktionen)
Stellung gegenüber den
Ländern
1919-1932
Stark (zumindest de jure)
• Starke Position bei
Haushaltsaufstellung
• Starke Position durch
Reichshaushaltsordnung
vom 31.12.1922
• Schaffung von Generalreferenten für den Haushalt
in den Ressorts (heute Beauftragte für den Haushalt)
• Aber: De facto abhängig von
der Unterstützung durch den
Reichskanzler
Mittel
Sehr stark
• Minister- bzw.
• Umfassende (Steuer-)
Ressortstellung
Gesetzgebungskompetenz
• In der Regel parteipolitische • Reichszoll- und
Bindung
steuerverwaltung
• Prekäre Mehrheiten der
• Durchweg konstruktives
Reichsregierung im
Verhalten Preußens
Parlament (keine sichere
Budgetmehrheit)
1933-1945
Sehr schwach
• Finanzierung der Aufrüstung
außerhalb des Haushalts
• Weitgehender Funktionsverlust der Ministerien
Sehr schwach
• Schwache Stellung
innerhalb der NS-Polykratie
Nicht definierbar
• Völliger Funktionsverlust der
Länder
76
5.8 Stellung des Finanzministers von 1949 bis 2000
Zeit
Stellung gegenüber anderen
Ressorts bzw. innerhalb der
Regierung
Stellung gegenüber Politik
(Parteien und Parlament/
Fraktionen)
Stellung gegenüber den
Ländern
1949-2000
Stark (zumindest de jure)
• Starke Position bei
Haushaltsaufstellung
• Ausgabenbewilligungsrecht
nach Art. 112 GG
• Aber: De facto abhängig von
der Unterstützung durch den
Bundeskanzler
Stark
• Minister- bzw.
Ressortstellung
• Starke parteipolitische
Bindung
• Stabile Mehrheiten der
Bundesregierung im
Parlament (sichere
Budgetmehrheit)
• Aber: Häufig Ansehensund damit Machtverlust im
Laufe der Amtszeit
Mittel
• Umfassende (Steuer-)
Gesetzgebungskompetenz,
aber Zustimmung des
Bundesrats erforderlich
• Verhalten des Bundesrates
zunehmend parteipolitisch
geprägt
• Bundeszollverwaltung
• Steuerverwaltung der
Länder
77
5.9 „Schwäche des Finanzministers“
„In der Schwäche des Reichsfinanzministers spiegelte sich also nur die Führungsschwäche der
gesamten Regierung wieder, die außerstande war, die Leistungserwartungen der Bürger nach Prioritäten
zu ordnen bzw. Kompromisse darüber zu schließen, welche dieser Leistungserwartungen sofort, welche
später und welche angesichts der Finanzlage des Reiches überhaupt nicht befriedigt werden konnten,
und daher lieben allen Ansprüchen – und damit letzten Endes auch kaum einem der berechtigten –
entsprechen wollte. Manches spricht dafür, daß dieses Verhalten als typisch für eine Regierung
angesehen wurde, die von einer prinzipiell reformwilligen Partei, der Sozialdemokratie, geführt wurde, die
aber über ihren Reformwillen das Augenmaß für das Machbare, für die finanzielle Leistungsfähigkeit der
öffentlichen Hände verloren hatte. Man meinte, daß sich diese Führungsschwäche der Regierung – denn
um nichts anderes handelte es sich ja – aber beheben lassen würde, wenn wieder eine Parteienkoalition
mit stärker konservativem Interessenhintergrund die Regierung übernahm.
Genau diese Annahme erwies sich aber als Irrtum...“
Peter-Christian Witt 1975, S. 34f.
Die Stellung des Finanzministers gegenüber den verschiedenen Machtgruppen ist in den einzelnen
Phasen der Finanzgeschichte in der Regel zu schwach gewesen, um den Schuldenanstieg wirkungsvoll
zu begrenzen.
78
5.10 Weiterführende Literatur zur Geschichte der Finanzverwaltung
• Bundesministerium der Finanzen (Hg.), Von der Reichsschatzkammer zum Bundesfinanzministerium.
Geschichte, Leistungen und Aufgaben eines zentralen Staatsorgans, mit einem Geleitwort von Franz
Josef Strauß, Bonn 1969.
• Dass. (Hg.), 40 Jahre Verantwortung für die Finanzen des Bundes. Das Bundesministerium der Finanzen.
Geschichte, Aufgaben, Leistungen, München 1989.
• Marc Hansmann, Management und Controlling in der Ministerialverwaltung, Sternenfels u.a. 2004.
• Kurt Bienert, Rolf Caesar, Karl-Heinrich Hansmeyer, Das Ausgabenbewilligungsrecht des
Bundesfinanzministers nach Art. 112 GG. Historische Entwicklung, praktische Handhabung und
finanzwirtschaftliche Bedeutung, Berlin 1982.
• Stefan Mehl, Das Reichsfinanzministerium und die Verfolgung der deutschen Juden 1933-1943, Berlin
1990 (= Berliner Arbeitshefte und Berichte zur sozialwissenschaftlichen Forschung Nr. 38).
• Peter-Christian Witt, Reichsfinanzminister und Reichsfinanzverwaltung. Zum Problem des Verhältnisses
von politischer Führung und bürokratischer Herrschaft in den Anfangsjahren der Weimarer Republik
(1918/19-1924), in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 25 (1975), 1-61.
79
Freitag, 20.11.15, 16.15 - 17.45 Uhr
6. "Fiscal agony" des Kaiserreichs
80
6.1 Das Reich als „lästiger Kostgänger der Einzelstaaten“ (Bismarck)
Reich
(1871
gegründet
als „Bund
deutscher
Fürsten“)
Gesetzgebungshoheit
Ertragshoheit
Verwaltungshoheit
•
•
für indirekte Steuern
Erhebung von Matrikularbeiträgen, „solange
Reichsteuern nicht
eingeführt sind“ (Art. 70 der
Reichsverfassung; Zusatz
1909 gestrichen)
de facto keine Gesetzgebungshoheit für die
Einkommensteuer
•
abhängig von Matrikularbeiträgen der Länder, also
Kostgängergängersituation
Zolleinnahmen des Reichs
durch Franckensteinsche
Klausel von 1879 gekappt
(übersteigen die jährlichen
Einnahmen des Reiches
aus den Zöllen und der
Tabaksteuer 130 Mio. RM,
ist der Überschuss an die
Länder abzuführen)
•
keine
Basissatz der Einkommensteuer (in Preußen)
Beteiligung an Zolleinnahmen (1879-1904)
•
Zoll- und Steuerverwaltung
bei den Einzelstaaten
Zuschlagsrecht auf die
Einkommensteuer
Realsteuern
•
keine
•
•
Länder
(= Einzelstaaten)
•
•
für direkte Steuern (de facto)
Zustimmung des Bundesrates für sämtliche Gesetze
erforderlich
•
Kommunen
•
keine
•
•
•
81
6.2 Problem der steigenden Verschuldung des Kaiserreichs
Mio. Mark
6000
5000
Sydow
4000
Wermuth
3000
Stengel
2000
Thielmann
1000
0
1877
1890
1892
1894
1896
1898
1900
1902
1904
1906
1908
1910
1912
Reichsschulden (fundiert und unfundiert)
Quelle: Peter-Christian Witt (1970), 386.
82
6.3 Versuche zur Finanzreform/Erschließung neuer Einnahmen 1900-1909
Name und Amtszeit
Ergebnisse
Max Freiherr von
Thielmann
(18.08.189720.08.1903)
•
•
•
Herrmann Freiherr
von Stengel
(21.08.190320.02.1908)
Reinhold Sydow
(21.02.190814.07.1909)
•
•
•
•
•
•
•
•
2. Flottengesetz von 1900
Einführung einer Schaumweinsteuer im Jahre 1902
neuer Zolltarif von 1902 (Lex Trimborn: Mehreinnahmen aus den
landwirtschaftlichen Zöllen fließen für Witwen- und Waisenversicherung)
Scheitern des Reichswirtschaftsgesetzes von 1902 („Reichshaushaltsordnung“)
Reichshaushalt defizitär
Lex Stengel von 1904: Vereinfachung des Finanzausgleichs zwischen Reich und
den Einzelstaaten (Abschaffung der Franckensteinschen Klausel)
Scheitern der Versuche, eine bessere Planung und Kontrolle des Reichshaushalts
gegenüber den Ressorts und den Einzelstaaten durchzusetzen
Finanzreform von 1905/06: Erhöhung zahlreicher Steuern und Einführung erster
direkter Steuern für das Reich (Tantiemesteuer und Erbanfallsteuer)
Rücktritt wegen schwieriger Haushaltslage
Große Finanzreform von 1908/09: Steuererhöhung und Einführung einer
„Talonsteuer“ auf Dividenden und Zinsen sowie Erhöhung des Reichsanteils an der
Erbschaftsteuer
zusammen mit Reichskanzler Bülow Rücktritt wegen der aus ihrer Sicht
gescheiterten Finanzreform
83
6.4 Versuche zur Finanzreform/Erschließung neuer Einnahmen 1909-1913
Name und Amtszeit
Ergebnisse
Adolf Wermuth
(15.07.190916.03.1912)
•
•
•
Haushaltskonsolidierung von 1909 bis 1911 durch Deckelung der Militärausgaben
Scheitern des Reichshaushaltsgesetzes
Rücktritt wegen unzureichender Deckung der Flotten- und Heeresvorlage von
1912
Hermann Kühn
(16.03.191231.01.1915)
•
•
•
„Militarisierung der Reichsfinanzpolitik“ (Peter-Christian Witt)
Erhebung einer einmaligen Vermögensabgabe („Wehrbeitrag“) im Jahre 1913
Einführung einer Vermögenszuwachsteuer 1913
84
6.5 Schwache Stellung des Staatssekretärs im Reichschatzamt
Zeit
Stellung gegenüber anderen
Ressorts bzw. innerhalb der
Regierung
Stellung gegenüber Politik
(Parteien und Parlament/
Fraktionen)
Stellung gegenüber den
Ländern
1900-1918
Schwach
• Keine Kontrolle über
Militärhaushalt
• Schwache Position bei
Haushaltsaufstellung
gegenüber Ressorts und
Bundesrat
Schwach
• Keine Minister- bzw.
Ressortstellung (zumindest
de jure)
• Keine parteipolitische
Bindung
• Prekäre Mehrheiten der
Reichsregierungen im
Parlament (keine sichere
Budgetmehrheit)
• Budgetrecht des
Parlaments als Instrument
der innenpolitischen
Auseinandersetzung
Schwach
• Insbesondere wenn nicht
gleichzeitig preußischer
Staatsminister
• De facto nur schwache
Gesetzgebungskompetenz,
da starke Stellung des
Bundesrates mit einem
dominierenden Preußen
• Zoll- und Steuerverwaltung
bei Ländern
85
6.6 Political economy des Kaiserreichs: Fiscal agony
Verfassungspolitik/Parlamentarisierung
Reichstagsmehrheit kämpft um das Budgetrecht
und für direkte Steuern
Reich/Länder
Reich als Kostgänger der Länder;
Finanzausgleich als
Machtkampf
Finanzpolitik
als Instrument
der Machtpolitik
Parteipolitik
erstarkende SPD
und sich abzeichnende
„Weimarer Koalition“
gegen schwächer werdende
Regierungsfraktionen
Exekutive
zunehmende Abhängigkeit der Reichsregierung vom Reichstag;
schwache Stellung des Finanzstaatssekretärs in der Regierung
Blockade der Reichsfinanzen durch den starken Föderalismus und den Kampf um
Parlamentarisierung/Demokratisierung
86
6.7 Johannes von Miquel: Bedeutendster Finanzminister des 19. Jahrhunderts
Johannes von Miquel
(preußischer Finanzminister 1890-1901)
Leistungen
•
•
•
Miquelsche Finanzreform von 1891/93
Einführung der Einkommensteuer in Preußen
Stärkung der Kommunalfinanzen (3-Säulen-Modell: Gewerbesteuer, Grundsteuer
und Einkommensteuerzuschlag), die den Aufbau der kommunalen
Leistungsverwaltung und Infrastruktur ermöglicht
Weiterführende Literatur: Thorsten Kassner, Der Steuerreformer Johannes von Miquel. Leben und Werk. Zum 100.
Geburtstag des preußischen Finanzministers. Ein Beitrag zur Entwicklung des Steuerrechts, Osnabrück 2001.
87
6.8 Die starke Stellung der Kommunen im Kaiserreich
Hohe Einnahmen
durch Miquelsche
Finanzreform von
1891/93 und durch
die Gewinne der
Kommunalunternehmen
„Alles bar bezahlt, Majestät!“ Stadtdirektor Tramm zu
Kaiser Wilhelm II. bei der Einweihung des Neuen
Rathauses im Jahre 1913
Forderungen zum
horizontalen
Finanzausgleich
zwischen armen und
reichen Städten
(insbesondere zur
Verteilung der
Schullasten)
88
6.9 Quelle: „Gesetz der wachsenden Ausdehnung der Staatsthätigkeit“
„Wir bedürfen einer gesicherten Rechtsordnung im Innern und nach Aussen. … Wir
bedürfen nicht minder zahlloser fördernder öffentlicher Thätigkeiten im Interesse der
Volkswirthschaft und Cultur. Die Privatthätigkeit reicht auch hier immer weniger aus. …
Ich erinnere nur an drei grosse Gebiete, die gegenwärtig in unseren Culturstaaten
überall im Vordergrund stehen: an das Unterrichtswesen mit seinen immer grösseren
und feineren Bedürfnissen, an das Verkehrswesen, die Wege und Verkehrsanstalten,
Post, Telegraphen, Eisenbahnen usw., und an speciell städtische Bedürfnisse, der
Reinlichkeit, Gesundheitspflege, Bequemlichkeit, der Versorgung mit Lebensmitteln
usw., daher Anstalten der Wasserleitung, Canalisirung, Gasbeleuchtung - vielleicht bald
electrische Beleuchtung -, öffentliche Gärten, Markthallen, Viehhöfe usw. Ueberall hat
hier bereits und wird immer mehr die öffentliche Thätigkeit des Staats, Kreises, der
Gemeinde Platz greifen, - was nichts anderes heisst, als Steigerung der
Gemeinwirthschaft, mithin des Finanzbedarfs, wobei man freilich öfters die speciellen
Nutzniesser zu Kostenbeiträgen heranziehen kann und soll.“
Adolph Wagner, Ueber die schwebenden deutschen Finanzfragen, in: Zeitschrift für die gesamte
Staatswissenschaft 35 (1879), 76-78.
89
6.10 Quelle: Sociale Frage und Steuerreform
„Dem Reiche aber, dem Hort und Schutz der Nation, welches nach Innen und Aussen
den Vermögenserwerb sichert, würde in einer solchen Erbschaftssteuer eine
angemessene Gabe zu Theil werden. Es ist auch politisch nicht richtig, den
Hauptaufwand des Reichs, denjenigen für die Kriegsmacht, allein durch
Verbrauchssteuern zu decken, welche doch zumeist von der Masse des Volkes getragen
werden. Eine solche Erbschaftssteuer, welche die besitzenden Classen für diesen
Aufwand mit heran zieht, würde der Polemik gegen Militarismus und Steuerdruck der
unteren Stände eine Waffe entziehen.
So in grossen Zügen, denke ich mir eine tiefergreifende Steuerreform, welche neben den
finanziellen namentlich die politischen und socialen Momente gebührend berücksichtigt.
So denke ich mir eine „Lösung der schwebenden deutschen Finanzfragen“. Opfer werden
uns Allen zugemuthet. Das ist unvermeidlich. Worauf es aber ankommt, das ist, die Opfer
soweit es uns möglich, gleichmässig zu vertheilen. Dazu müssen auch die
wohlhabenden, die gebildeten Classen mitwirken. Die Zeit ist ernst, hüten wir uns vor
Allem, was den ärmeren Classen einen mehr oder weniger begründeten Vorwand geben
kann, über Verletzung der Gerechtigkeit zu klagen. Justititia regnorum fundamentum, das
sei auch in der Steuerpolitik unsere Parole.“
Adolph Wagner, Ueber die schwebenden deutschen Finanzfragen, in: Zeitschrift für die gesamte
Staatswissenschaft 35 (1879), 76-78.
90
6.11 Weiterführende Literatur zur Finanzgeschichte des Kaiserreichs
• Julia Cholet, Der Etat des Deutschen Reiches in der Bismarckzeit, Berlin 2012.
• Wilhelm Gerloff, Die Finanz- und Zollpolitik des Deutschen Reiches nebst ihren Beziehungen zu Landesund Gemeindefinanzen von der Gründung des Norddeutschen Bundes bis zur Gegenwart, Jena 1913.
• Mark Hallerberg, The political economy of taxation in Prussia, 1871-1914, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 2002/2, 11-33.
• Carsten Hefeker, The agony of central power: Fiscal federalism in the German Reich, in: European Review
of Economic History 5 (2001), 119-142.
• Rudolf Kroboth, Die Finanzpolitik des Deutschen Reiches während der Reichskanzlerschaft Bethmann
Hollwegs und die Geld- und Kapitalmarktverhältnisse (1909-1913/14), Frankfurt a.M. u.a. 1986.
• Jürgen Baron Kruedener, The Franckenstein Paradox in the Intergovernmental Fiscal Relations of Imperial
Germany, in: Peter-Christian Witt (Hg.), Wealth and Taxation in Central Europe. The History and Sociology of
Public Finance, Leamington Spa u.a. 1987, 111-123.
• Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte1866-1918, Bd. II: Machtstaat vor der Demokratie, München 1992.
• Eckart Schremmer, Steuern und Staatsfinanzen während der Industrialisierung Europas. England,
Frankreich, Preußen und das Deutsche Reich 1800 bis 1914, Berlin u.a. 1994.
• Mark Spoerer, Steuerlast, Steuerinzidenz und Steuerwettbewerb. Verteilungswirkungen der Besteuerung in
Preußen und Württemberg (1815-1913), Berlin 2004.
• Ders., The Evolution of Public Finances in Nineteenth-Century Germany, in: José Luís Cardoso, Pedro Lains
(Hg.), Paying for the Liberal State. The Rise of Public Finance in Nineteenth Century Europe, Cambridge u.a.
2010, 103-131.
• Hans-Peter Ullmann, Das Deutsche Kaiserreich 1871-1918, Frankfurt a.M. 1995.
• Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3: 1849-1914, München 1995.
• Peter-Christian Witt, Die Finanzpolitik des Deutschen Reiches von 1903 bis 1913. Eine Studie zur
Innenpolitik de Wilhelminischen Deutschland, Lübeck, Hamburg 1970.
91
Freitag, 27.11.15, 14.30 - 16.00 Uhr
7. Fiskalschock des Ersten Weltkriegs
92
7.1 Die Kriegsschuldfrage
Ansicht des britischen Premiers David Lloyd George, die Völker Europas seien „in den
Weltkrieg hineingeschlittert“. In den 1960er-Jahren stellte der Hamburger Historiker
Fritz Fischer dieses Geschichtsbild in Frage. Er löste einen ersten, jahrelangen
Historikerstreit aus, vor allem mit seinem Buch „Griff nach der Weltmacht. Die
Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18“. Er vertrat die These,
Deutschland habe bewusst auf einen Krieg hingearbeitet und die eigene Überlegenheit
genutzt, bevor der Gegner mächtiger würde. Mittlerweile hat sich eine vermittelnde
Position durchgesetzt: Die deutsche Führung strebte nicht nach der Weltmacht,
kalkulierte aber einen großen Krieg ein.
These von Niall Ferguson (1994): Reich drohte aufgrund seiner chronischen Unterfinanzierung den Rüstungswettlauf zu verlieren und forcierte daher den 1. Weltkrieg.
93
7.2 Finanzpolitische Belege für eine aggressives Kaiserreich?
Soziales Zinsen
Übrige
3%
9%
Ausgaben
9%
Militär
79%
Großbritannien, Frankreich
und Russland geben für die
Aufrüstung 1913 prozentual
weniger im jeweiligen
nationalen Haushalt aus.
Ist das ein Beleg für ein
besonders aggressives
Kaiserreich?
Ausgabenstruktur des Reichshaushalts im Jahre 1913
94
7.3 Finanzpolitische Mobilmachung der europäischen Mächte
Anteil der Rüstungsausgaben am NSP im Jahr 1914
Deutsches Reich
3,9 %
Großbritannien
3,2 %
Frankreich
4,8 %
Russland
5,1 %
Österreich-Ungarn
2,0 %
Italien
5,1 %
Quelle: Niall Ferguson (2002), 145.
Es werden oftmals nur der Anteil der Kriegsausgaben am nationalen Haushalt oder die Steuer/Ausgabenquote der nationalen Ebene angegeben. Aufgrund der föderalen Struktur erscheint
dann das Kaiserreich als militarisierter und unseriöser in seiner Finanzpolitik als die anderen
europäischen Staaten.
95
7.4 Finanzpolitik im 1. Weltkrieg
Name und Amtszeit
Maßnahmen
Hermann Kühn
(16.03.191231.01.1915)
•
•
•
„Militarisierung der Reichsfinanzpolitik“ (Peter-Christian Witt)
Erhebung einer einmaligen Vermögensabgabe („Wehrbeitrag“) im Jahre 1913
Einführung einer Vermögenszuwachsteuer 1913
Karl Helfferich
(31.01.191522.05.1916)
•
•
•
•
Finanzierung des Kriegs weitgehend über Anleihen
1. Kriegsteuerreform von 1916
Einführung einer Kriegsgewinnabgabe
Einführung einer allgemeinen Umsatzsteuer als Stempelsteuer in Höhe von einem
Prozent auf Zahlungen für Warenlieferungen
erbitterte Auseinandersetzung mit Erzberger/dem Reichstag und Rücktritt
Siegfried Graf von
Roedern
(22.05.191614.11.1918)
Eugen Schiffer
(14.11.191812.02.1919)
•
•
•
•
•
2. und 3. Kriegsteuerreform von 1917 und 1918
weitere Kriegsgewinnabgabe
Ersatz der Stempelsteuer durch eine Bruttoallphasenumsatzsteuer in Höhe von
0,5 Prozent im Jahre 1918
Erarbeitung eines umfassenden Finanzprogramms
96
7.5 Entwicklung des ordentlichen Reichshaushalts 1914-1919
Mio. Mark
14.000
12.000
10.000
8.000
6.000
4.000
2.000
0
1914
1915
1916
Ordentliche Einnahmen
1917
1918
1919
Ordentliche Ausgaben
Quelle: Konrad Roesler (1967), 196 (Übersicht 2) und 197 (Übersicht 3).
97
7.6 Entwicklung des außerordentlichen Reichshaushalts 1914-1919
Mio. Mark
50.000
45.000
40.000
35.000
30.000
25.000
20.000
15.000
10.000
5.000
0
1914
1915
1916
Außerordentliche Einnahmen
Quelle: Konrad Roesler (1967), 199 (Übersicht 5).
1917
1918
1919
Außerordentliche Ausgaben
98
7.7 Die „finanzielle Wehrpflicht“ (Helfferich)
Kriegsanleihe
Nennbetrag der
Zeichnung
Ausstehende
Schatzanweisungen
Saldo
I. Sept. 1914
4.460
2.632
+1.832
II. März 1915
9.060
7.209
+1.851
III. Sept. 1915
12.101
9.691
+2.410
IV. März 1916
10.712
10.388
+324
V. Sept. 1916
10.652
12.766
-2.114
VI. März 1917
13.122
14.855
-1.733
VII. Sept. 1917
12.626
27.204
-14.578
VIII. März 1918
15.001
38.971
-23.970
IX. Sept. 1918
10.443
49.414
-38.971
Erläuterung: jeweils in Mio. Mark
Quelle: Konrad Roesler (1967), 79. Roesler bezieht sich
auf die Angaben von Helfferich.
99
7.8 Entwicklung der schwebenden Schuld im 1. Weltkrieg
Mrd. Mark
60
55,2
50
40
28,6
30
20
12,6
10
5,7
0
2,9
1918
1917
1916
1915
1914
Schwebende Schuld (jeweils zum
Jahresende)
100
Quelle: Carl-Ludwig Holtfrerich, Die deutsche Inflation 1914-1923. Ursachen und Folgen in internationaler Perspektive, Berlin, New York 1980, 65.
7.9 Political economy des 1. Weltkriegs
Verfassungspolitik/Parlamentarisierung
Reichsregierung wird immer abhängiger vom
Parlament, Kreditbewilligung als Druckmittel
Reich/Länder
Konflikt tritt
in den Hintergrund
Finanzpolitik
als Instrument
der Machtpolitik
Parteipolitik
nach Burgfrieden formt sich
eine Große Koalition, die auf
Frieden und Reformen drängt;
Radikalisierung an den Rändern
Exekutive
zunehmend schwächer werdende Stellung der Reichsregierung;
de facto-Militärdiktatur von Ludendorff und Hindenburg
Reichsregierung verliert völlig die Kontrolle über die Finanzpolitik.
101
7.10 Quelle: Rede von Staatssekretär Helfferich im August 1915
„Wir wollen während des Krieges die gewaltigen Lasten, die unser Volk trägt, nicht
durch Steuern erhöhen, solange hierfür keine zwingende Notwendigkeit vorliegt.
Meine Herren, wie die Dinge liegen, bleibt also vorläufig nur der Weg, die
endgültige Regelung der Kriegskosten durch das Mittel des Kredits auf die Zukunft
zu verschieben, auf den Friedensschluss und auf die Friedenszeit. Und dabei
möchte ich auch heute wieder betonen: Wenn Gott uns den Sieg verleiht und damit
die Möglichkeit, den Frieden nach unseren Bedürfnissen und nach unseren
Lebensnotwendigkeiten zu gestalten, dann wollen und dürfen wir neben allem
anderen auch die Kostenfrage nicht vergessen;“ (lebhafte Zustimmung) „das sind
wir der Zukunft unseres Volkes schuldig.
Die ganze künftige Lebenshaltung unseres Volkes muss, soweit es irgend möglich
ist, von der ungeheuren Bürde befreit bleiben und entlastet werden, die der Krieg
anwachsen lässt.
Das Bleigewicht der Milliarden haben die Anstifter dieses Krieges verdient; sie
mögen es durch die Jahrzehnte schleppen, nicht wir.“
Karl Helfferich in seiner Reichstagsrede am 20. August 1915
102
7.11 Weiterführende Literatur zur Finanzgeschichte des 1. Weltkriegs
• Theodore Balderston, War finance and inflation in Britain and Germany, 1914-1918, in: Economic History
Review 42 (1989), 222-244.
• C. Edmund Clingan, Finance from Kaiser to Führer. Budget politics in Germany 1912-1934, Westport
(Connecticut) und London 2001.
• Niall Ferguson, Public finance and national security: The domestic origins of the First World War revisited,
in: Past and Present 142 (1994), 141-168.
• Ders., Der falsche Krieg. Der Erste Weltkrieg und das 20. Jahrhundert, München, 2. Aufl., 2002.
• Carl-Ludwig Holtfrerich, Bewältigung der deutschen Staatsbankrotte 1918 und 1945, in: Erhard
Kantzenbach (Hg.), Staatsüberschuldung, Göttingen 1996, 27-57.
• Wolfgang J. Mommsen, Die Urkatastrophe Deutschlands. Der Erste Weltkrieg 1914-1918, Stuttgart 2002
(= Gebhardt Handbuch der deutschen Geschichte, 10. Aufl., Bd. 17).
• Konrad Roesler, Die Finanzpolitik des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg. Berlin 1967.
• Hew Strachan, Financing The First World War, New York 2004 (ND 2007).
• Manfred Zeidler, Die deutsche Kriegsfinanzierung 1914 bis 1918 und ihre Folgen, in: Wolfgang Michalka
(Hg.), Der Erste Weltkrieg. Wirkung, Wahrnehmung, Analyse, München, Zürich 1994, 415-433.
103
Freitag, 27.11.15, 16.15 - 17.45 Uhr
8. Zäsur der Weimarer Republik
104
8.1 Staatsbankrott als Resultat der Finanzierung des 1. Weltkriegs
Dollarnotierung von 1914 bis 1923
Juli
Januar
Juli
Januar
Juli
Januar
Juli
Januar
Juli
Januar
Juli
August
September
Oktober
20. November
1914
1919
1919
1920
1920
1921
1921
1922
1922
1923
1923
1923
1923
1923
1923
4,2
8,9
14,0
64,8
39,5
64,9
76,7
191,8
493,2
17.972,0
353.412,0
4.620.455,0
98.860.000,0
25.260.208.000,0
4.200.000.000.000,0
Mark
Mark
Mark
Mark
Mark
Mark
Mark
Mark
Mark
Mark
Mark
Mark
Mark
Mark
Mark
Während anfänglich die Inflation die Finanzierung der zusätzlichen staatlichen Aufgaben erleichtert, kommt es mit
der Hyperinflation zum 1. Staatsbankrott. Infolge der Verwüstung des Kapitalmarktes ist das Zinsniveau nachfolgend sehr hoch und die öffentliche Hand hat insbesondere während der Weltwirtschaftskrise Schwierigkeiten,
105
überhaupt an Kredite zu kommen.
8.2 Der Versailler Vertrag von 1919
• Inhalt: Alleinschuld Deutschlands, 13 % Gebietsabtretungen, 10 % Bevölkerungsverlust, Aufgabe der
Kolonien, Berufsarmee mit max. 100.000 Mann, hohe Reparationen in unbestimmter Gesamthöhe
• Problem der Finanzierung der Reparationszahlungen durchzieht die gesamte Weimarer Republik:
• 1919: Höhe der Reparationen: zunächst 20 Milliarden Goldmark (GM) bis 1921
• 1921: Forderung über 132 Mrd. GM (ungefähr 47.000 Tonnen Gold = 700 Milliarden €)
• 1923: Ruhrgebietsbesetzung, um Reparationszahlungen zu erzwingen → Hyperinflation
• 1924: Dawes-Plan: geringere Jahreszahlungen + amerikanische Anleihe
• 1930: Reduzierung der Gesamtschuld , zahlbar bis 1988 + amerikanische Anleihe
• 1931: Hoover-Moratorium
• 1932: Konferenz von Lausanne: Streichung der Reparationen + Restzahlung von 3 Mrd. GM
• 1933: Keine Restzahlung und Einstellung des Schuldendienstes insbes. der Dawes- und
Young-Anleihen
• Folgen: „Weimarer Revisionssyndrom“: Vergiftung der innenpolitischen Lage durch
Dolchstoßlegende (Ermoderung mehrerer „Erfüllungspolitiker“ wie Finanzminister Erzberger und
Außenminister Rathenau); zentrales Wahlkampfthema für die extreme Rechte
• John Maynard Keynes als Kritiker: The Economic Consequences of the Peace
• Vergleich: Frieden im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 und von Brest-Litowsk mit Russland
1918 von Deutschland mit noch größerer Härte diktiert
• Literatur:
- Eberhard Kolb: Der Frieden von Versailles. München 2005.
- Max Hantke, Mark Spoerer, The imposed gift of Versailles: the fiscal effects of restricting the size of Germany's
armed forces, 1924–9,in: The Economic History Review 63/4 (2010), S. 849-864.
106
8.3 Doppelter Displacement-Effekt am Anfang „des kurzen 20. Jahrhunderts“ (I)
v.H. NSP/BSP
30
25
20
25,2
15
16,5
10
1913
1925
Staatsquote
Niveauverschiebung zu einer höheren Staatsquote, insbesondere
wegen der Konstituierung der Weimarer Republik als Wohlfahrtsstaat
107
8.4 Doppelter Displacement-Effekt am Anfang „des kurzen 20. Jahrhunderts“ (II)
v.H. des gesamtes Steueraufkommens
100
80
32
37
60
26
23
40
20
40
42
1913
1925
0
Reich Einzelstaaten Kommunen
Niveauverschiebung zugunsten des Staates (zu Lasten der Kommunen),
insbesondere wegen der Zäsur der Erzbergerschen Finanzreform
108
8.5 Kompetenzverteilung auf die Gebietskörperschaften in der Weimarer Republik
Weimarer
Republik
Gesetzgebungshoheit
Ertragshoheit
Verwaltungshoheit
Reich
•
Gesetzgebungshoheit über
Einkommen- und
Umsatzsteuer
•
ständige Änderung der
Anteile („permanent
vorläufiger Finanzausgleich“)
•
Reichszoll- und
finanzverwaltung
Länder
•
Beteiligung über Reichsrat
•
•
keine
keine
•
•
Beteiligung an Einkommenund Umsatzsteuer (in Form
von „Reichsüberweisungssteuern“)
ab 1929 Plafondierung
Verlust des Zuschlagsrechts auf die Einkommensteuer, aber hohe
Beteiligung an Einkommenund Umsatzsteuer
Realsteuern
•
keine
Kommunen
•
•
109
8.6 Der permanent vorläufige Finanzausgleich bei der Einkommensteuer
v.H.
100
90
80
70
60
50
40
30
20
10
0
1913
1920
1923
Reich/Bund
1924
Einzelstaaten
1925
1926
Kommunen
110
8.7 Der permanent vorläufige Finanzausgleich bei der Umsatzsteuer
v.H.
100
90
80
70
60
50
40
30
20
10
0
1916
1920
1923
Reich/Bund
1924
Einzelstaaten
1925
1926
Kommunen
111
8.8 Matthias Erzberger: Bedeutendster Finanzminister des 20. Jahrhunderts
Ergebnisse während der Amtszeit
•
Nur kurze Amtzeit (21.06.1919-17.03.1920), aber grundlegende
Weichenstellungen:
•
•
•
•
•
•
•
•
Zäsur der Erzbergerschen Finanzreform: Reich als „Steuersouverän“
Landessteuergesetz zur Regelung des Finanzausgleichs
Modernisierung und drastische Erhöhung der Einkommensteuer
Einführung der Körperschaftsteuer
Modernisierung und Ausbau der im Krieg eingeführten Umsatzsteuer
Einführung der Reichsabgabenordnung
Schaffung der Reichsfinanzverwaltung
Gescheiterter Versuch, die Inflation zu stoppen
112
8.9 Reichsfinanzminister 1920-1925
Name und Amtszeit
Ergebnisse während der Amtszeit
Josef Wirth (Zentrum)
(27.03.1920-22.10.1921)
•
•
drastische Steuererhöhungen zur Finanzierung der „Erfüllungspolitik“
Durchsetzung einer starken Stellung des Finanzministers (u.a. wesentliche
Stärkung des Finanzministers, der nur vom Kanzler und einer
Kabinettsmehrheit überstimmt werden kann)
Andreas Hermes
(Zentrum)
(26.10.1921-13.08.1923)
•
•
kein finanzpolitisches Programm
(gescheiterter) Versuch, die Steuereinnahmen der galoppierenden Inflation
anzupassen
Reichshaushaltsordnung vom 31.12.1922
Rudolf Hilferding (SPD)
(13.08.1923-04.10.1923)
(29.06.1928-21.12.1929)
•
•
•
•
Hans Luther (parteilos)
(06.10.1923-15.01.1925)
(26.10.1925-05.12.1925)
•
•
•
Entscheidung zur Einführung der Rentenmark
Sparpolitik in der beginnenden Weltwirtschaftskrise
Rücktritt wegen Differenzen mit Reichsbankpräsident Schacht
Stabilisierung der Währung
drei Steuernotverordnungen
harte Sparpolitik (u.a. deutliche Verkleinerung der Verwaltung)
113
8.10 Reichsfinanzminister 1925-1930
Name und Amtszeit
Ergebnisse während der Amtszeit
Otto von Schlieben
(DNVP)
(19.01.192526.10.1925)
•
umfassende („Popitzsche“) Steuerreform, die Erzbergers Steuergesetze auf
sicheres juristisches und finanzwissenschaftliches Fundament stellt
Peter Reinhold
(DDP)
(20.01.192629.01.1927)
•
erstmals Anwendung einer antizyklischen Finanzpolitik, um die Rezession von
1926 zu überwinden
Heinrich Köhler
(Zentrum)
(29.01.192729.06.1928)
•
•
Finanzpolitik „hart am Rande des Defizits“
Reform der Beamtenbesoldung, die zu erheblichen Personalmehrausgaben führt
Paul Moldenhauer
(DVP)
(23.12.192920.06.1930)
•
•
Bruch der Großen Koalition wegen Finanzierung der Arbeitslosenversicherung
weitgehende Übereinstimmung mit den finanz- und wirtschaftspolitischen
Vorstellungen Brünings
Rücktritt infolge von Differenzen mit der eigenen Partei
•
114
8.11 Entwicklung des Finanzierungssaldos 1925-1930
v.H. BSP
0,5
0,2
0
0
-0,2
-0,4
-0,5
-0,9
-1
-1,1
-1,5
1925
1926
1927
1928
1929
1930
Finanzierungssaldo des Reichshaushalts
Quelle: Ritschl (2002), Tabelle A.11.
115
8.12 Political economy der Weimarer Republik
Verfassungspolitik/Sozialstaat
nach anfänglichem „Stinnes-Legien-Abkommen“: Erbitterte
Tarifkonflikte, die vom Staat geschlichtet werden müssen
Reich/Länder
ständige Reibereien;
Länder jetzt Kostgänger
des Reichs
Finanzpolitik
als Instrument
der Machtpolitik
Parteipolitik
große Fragmentierung
Finanzpolitik als
ständiger Streitpunkt
Exekutive
Regierungen ohne keine sichere Parlamentsmehrheit
allenfalls geringe finanzpolitische Verteilungsspielräume
Die Weimarer Republik war auch bezüglich der political economy ein „Probelauf der Moderne“
(Peukert).
116
8.13 Quelle: Rede von Matthias Erzberger 1919
„Der Krieg ist der Verwüster der Finanzen. …
Ein Reichsbankrott wäre ein wahrer Volksbankrott, wie in Weltgeschichte hierfür keinen
Vorgang kennt. Eherne Pflicht der Reichsfinanzverwaltung ist es, die ganzen Kräfte dafür
einzusetzen, daß der Zinsendienst der Kriegsanleihe geleistet werden kann. …
Ein guter Finanzminister ist der beste Sozialisierungsminister. … Schon vor dem Kriege war
der Unterschied in Deutschland zwischen den Besitzenden und Nichtbesitzenden zu groß
und damit zur sozialen Ungerechtigkeit und zu einer Krankheit am Wirtschaftskörper
geworden. …
Der damalige Vizekanzler und leichtfertigste aller Finanzminister, Staatsminister Helfferich…
In den Trümmern des Krieges muß nach Neuland gesucht werden. So vieles, fast alles ist
anders geworden. ... Wo ist hier Neuland für die Reichsfinanzen zu gewinnen? Der große
Steuersouverän der Zukunft kann nur das einige Deutsche Reich sein ... Dieses kostbare
Gut unserer Väter, der deutsche Nationalstaat, ... muß leben und sich entwickeln können.
Dazu braucht das Reich nicht nur Geld, sondern auch ein neues System der Steuerordnung.
... Die Steuerlast wird eine geradezu entsetzliche Höhe erreichen. …
Die mangelhafte Ausstattung des alten Reichs mit Steuern war vielleicht der schwächste
Punkt unserer alten Reichsverfassung.“
Matthias Erzberger, Reden zur Neuordnung des deutschen Finanzwesens, Berlin 1919, S.
3- 10, 111.
117
8.14 Weiterführende Literatur zur Finanzgeschichte der Weimarer Republik
• Theodore Balderston, Economics and Politics in the Weimar Republic, Cambridge 2002.
• Fritz Blaich, Die Wirtschaftskrise 1925/26 und die Reichsregierung. Von der Erwerbslosenfürsorge zur
Konjunkturpolitik, Kallmünz 1977.
• Klaus Epstein, Matthias Erzberger und das Dilemma der deutschen Demokratie, Frankfurt a.M. 1976.
• Gerald D. Feldman, The Great Disorder. Politics, Economics, and Society in the German Inflation, 19141924, New York und Oxford 1993.
• Niall Ferguson, Constraints and room for manoeuvre in the German inflation of the early 1920s, in:
Economic History Review 49 (1996), 635-666.
• Dieter Hertz-Eichenrode, Wirtschaftskrise und Arbeitsbeschaffung. Konjunkturpolitik 1925/26 und die
Grundlagen der Krisenpolitik Brünings, Frankfurt a.M., New York 1982.
• Carl-Ludwig Holtfrerich, Rüstung, Reparationen und Sozialstaat. Die Modernisierung des Steuersystems
im Ersten Weltkrieg und in der großen Inflation, in: Uwe Schultz (Hg.), Mit dem Zehnten fing es an. Eine
Kulturgeschichte der Steuer, München 1986, 200-208.
• Klaus Karsten, Die Reichssteuerpolitik in der Weimarer Republik, in: Zeitschrift für neuere
Rechtsgeschichte 17 (1995), 60-90.
• Detlev J. K. Peukert, Die Weimarer Republik. Krisenjahre der Klassischen Moderne, Frankfurt a.M. 1987.
• Jürgen Baron Kruedener, Die Überforderung der Weimarer Republik als Sozialstaat, in: Geschichte und
Gesellschaft 11 (1985), 358-376.
• Ilse Maurer, Reichsfinanzen und Große Koalition. Zur Geschichte des Reichskabinetts Müller (19281930), Bern u.a. 1973.
• Fritz Terhalle, Zur Reichsfinanzreform von 1925, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 80
(1926), 289-340.
118
Freitag, 11.12.15, 14.30 - 16.00 Uhr
9. Brünings Deflationspolitik
119
9.1 Das Ausmaß der Weltwirtschaftskrise
NIP
in Mrd. RM
(nominal)
NIP
in Mrd. RM
(real)
Preise
(1913/14 = 100)
Arbeitslosigkeit
in Mio.
1929
79,5
78,9
154
1,8
1930
71,8
76,1
148
3,1
1931
58,5
67,9
136
4,5
1932
50,8
66,2
121
5,6
Quelle: Raymond L. Cohn, Fiscal Policy in Germany during the Great Depression, in:
Explorations in Economic History 29 (1992), 318-342, hier 320 (Tabelle 1).
120
9.2 Entwicklung der Nettoinvestitionen des Unternehmenssektors 1925-1935
Mio. RM
14000
12000
10000
8000
6000
4000
2000
0
1925
-2000
1926
1927
1928
1929
1930
1931
1932
1933
1934
1935
1936
1937
1938
-4000
Private Nettoinvestitionen
Quelle: Ritschl (2002), Tabelle B.3.
121
9.3 Analyse der Weltwirtschaftskrise: Keynes, Friedman oder Hayek?
Keynes
Friedman
Hayek
Analyse der Großen
Depression / Weltwirtschaftskrise von 1929 ff.
•
•
Zu geringe Nachfrage
Zu repressive Finanzund Geldpolitik
•
Zu kontraktive
Geldpolitik der FED
•
•
Zu viele Staatseingriffe
Zu lockere Geldpolitik in
den 1920er Jahren
Lösungsansätze
•
•
Deficit spending
Arbeitsbeschaffung
•
•
Zinssenkungen
Steigerung der
Geldmenge
•
Krise „ausbrennen“
lassen
Sparpolitik
•
•
Deficit spending
Konjunkturpakete
•
Ultralockere Geldpolitik
der FED („HelikopterBen“)
•
Lehren aus der Großen
Depression? Vergleich
zur Weltwirtschaftskrise
2008/09
•
•
Zu lockere Geldpolitik
der FED vor der Krise
Position Deutschlands
in der Staatsschuldenkrise
Quelle: Florian Pressler, Die erste Weltwirtschaftskrise. Eine kleine Geschichte der großen Depression, München 2013, 216-245.
Weitere Literatur zu den Lehren aus der „Great Depression“:
- Nicholas Crafts, Peters Fearon (Hg.), Lessons from the 1930s, in: Oxford Review of Economic Policy 26/3 (2010), 285-580.
- Aktuell: Barry Eichengreen, Hall of Mirrors, Oxford u.a. 2015 - s. Seite 218 (14.22) des Vorlesungsskripts.
- Jan-Otmar Hesse, Roman Köster, Werner Plumpe, Die Große Depression. Die Weltwirtschaftskrise 1929-1939, Frankfurt 2014.
122
- Harold James, Finanzmarkt macht Geschichte. Lehren aus den Wirtschaftskrisen, Jena 2014.
- Albrecht Ritschl, War 2008 das neue 1931?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 20/2009, 27-32.
9.4 Finanzpolitik Heinrich Brünings
Ergebnisse während der Amtszeit
•
Strenge Sparpolitik (Kürzungen der Sozialleistungen, der
Beamtengehälter und Investitionen; Militär und Landwirtschaft allerdings
weitgehend ausgenommen)
•
Erhöhung der Steuersätze und Einführung neuer Steuern (u.a.
Bürgersteuer, Krisensteuer, Reichsfluchtsteuer)
•
Haushaltsausgleich und Ende der Reparationszahlungen als zentrale
Ziele (trotz Weltwirtschaftskrise)
•
Folgen der Massenarbeitslosigkeit insbesondere durch Kommunen zu
tragen
•
•
Notverordnungspraxis (anfänglich toleriert von der SPD)
„Zwangslagen“ (Knut Borchardt): Kein Zugang zum Kapitalmarkt und
„Krise vor der Krise“
123
9.5 Die Borchardt-Kontroverse: „Krise ohne Alternative?“
Knut Borchardt
Carl-Ludwig Holtfrerich
Historikerstreit in der Wirtschaftsgeschichte;
neoklassische Interpretation/Revision der
Deflationspolitik Brüning aus dem Jahr 1979
klassische keynesianische Kritik an der
Deflationspolitik Brünings
„Krise vor der Krise“: „kranke“ Wirtschaft in den 20er
Jahren; Überforderung der Wirtschaft durch den
Weimarer Sozial- und Umverteilungsstaat
Nicht zu hohe Löhne und zu hohe staatliche
Leistungen als Grundproblem, sondern zu hohe
Zinsen
Keine rechtzeitige Gegensteuerung möglich, da erst mit
Bankenkrise von 1931 das Ausmaß der Krise deutlich
Konjunkturpolitik ab Sommer 1931 möglich, hohe
psychologische Bedeutung eines New Deals
Keine Gegensteuerung sinnvoll, da Dosierung auf jeden
Fall zu gering gewesen wäre (Kreditknappheit und
„golden fetters“ des Goldstandards)
Betonung des Multiplikatoreffektes und negativen
Wirkung der Beschleunigung der debt-deflation, Kreditschöpfung nach Devisenbewirtschaftung möglich
Keine Träger einer antizyklischen Politik
Verweis u.a. auf Finanzstaatssekretär Schäffer und
WTB-Plan der Gewerkschaften
Rationale Zielsetzung: der „Bereinigung der Situation“
und der Streichung der Reparationen
Falsche „Prioritätenskala“ Brünings
124
9.6 Entwicklung des Finanzierungssaldos 1929-1933
v.H. BSP
0,5
0,5
0,2
0
-0,2
-0,5
-0,9
-1
-1,4
-1,5
1929
1930
1931
1932
1933
Finanzierungssaldo des Reichshaushalts
Quelle: Ritschl (2002), Tabelle A.9.
125
9.7 Entwicklung der Nettoneuverschuldung des Reichs 1924-1933
Mio. RM
800
768
600
400
356
200
11
0
150
134
-161
-200
-295
-400
-600
-768
-785
-796
-800
1924
1925
1926
1927
1928
1929
1930
1931
1932
1933
Nettoneuverschuldung (-) des Reiches
Quelle: Ritschl (2002), Tabelle A.9.
126
9.8 Entwicklung der öffentlichen Investitionen 1925-1938
Mio. RM
9000
8000
7000
6000
5000
4000
3000
2000
1000
0
1925
1926
1927
1928
1929
1930
1931
1932
1933
1934
1935
1936
1937
1938
Öffentliche Investitionen
Quelle: Ritschl (2002), Tabelle A.12.
127
9.9 Entwicklung der Reparationszahlungen 1925-1935
Mio. RM
2500
2000
1500
1000
500
0
1925
1926
1927
1928
1929
1930
1931
1932
1933
1934
1935
Reparationen
Quelle: Ritschl (2002), Tabelle A.11.
128
9.10 Entwicklung der Aktienrenditen 1886-1939: Beleg für Profit-squeeze der 20er Jahre?
v.H.
8
7,9
7,3
6
6,9
7,1
4
4
3,5
2
0
-3,1
-2
-4
1886-1894 1895-1900 1902-1908 1909-1913 1924-1929 1930-1932 1933-1939
Handelsbilanzielle Aktienrenditen
Quelle: Mark Spoerer, Von Scheingewinnen zum Rüstungsboom. Die Eigenkapitalrentabilität der deutschen
Industriegesellschaften 1925-1941, Stuttgart 1996.
129
9.11 Kommunen als am meisten belastete Gebietskörperschaft: Wegbrechende Steuern
Mio. RM
14
12
10
8
6
4
2
0
1929
Gewerbesteuer
1930
Grundsteuer
Einkommensteuer
1931
Körperschaftsteuer
Erläuterung: Daten beziehen sich auf die Hauptstadt Hannover.
Quelle: Marc Hansmann (2000), 93 (Tabelle 39) und 96 (Tabelle 42).
1932
Umsatzsteuer
Bürgersteuer
130
9.12 Kommunen als am meisten belastete Gebietskörperschaft: Explodierende Sozialausgaben
v.H.
45
40
35
30
25
20
1929
1930
1931
1932
Anteil der Wohlfahrtsausgaben an den Gesamtausgaben
Erläuterung: Daten beziehen sich auf die Hauptstadt Hannover.
Quelle: Marc Hansmann (2000), 103 (Tabelle 52).
131
9.13 Bewusste Aushöhlung der kommunalen Selbstverwaltung
In Hannover kommen
im Verlaufe der
Weltwirtschaftskrise
zwei Mal Staatskommissare.
Notverordnung vom 5. Juni 1931: Bei einer defizitären Haushaltsentwicklung können
Staatskommissare in diejenigen Kommunen geschickt werden, die die Ausgaben nicht
weitestgehend senken oder die Einnahmen voll ausschöpfen.
132
9.14 Political economy in der Weltwirtschaftskrise
Verfassungspolitik/Sozialstaat
Bewusstes Downsizing des Sozialstaats;
Beschränkung der Gewerkschaftsmacht
Reich/Länder
gescheiterter
Versuch der
Reichsreform
Finanzpolitik
als Instrument
der Machtpolitik
Parteipolitik
KPD und NSDAP
in der Mehrheit;
Tolerierung Brünings
durch die SPD
Exekutive
Regierung ohne sichere Parlamentsmehrheit
Revisionspolitik als Priorität
Die Weimarer Republik scheitert nicht zuletzt an dem Versuch, die Finanzpolitik zu
instrumentalisieren.
133
9.15 Quelle: Regierungserklärung von Heinrich Brüning 1931
„Kein Staat kann auf die Dauer einen wirklichen Vorteil aus der Not der anderen Länder erwarten.
(Erneute lebhafte Zustimmung) Die verderblichen Folgen politischer Zahlungen ohne wirtschaftliche
Gegenleistungen haben die gesamte Weit ohne Ausnahme in heute noch unabsehbare Bedrängnis
geführt. (Sehr wahr! -- Lachen bei den Kommunisten) … Deutschland fordert bei aller verständnisvollen Rücksichtnahme auf die Lebensnotwendigkeiten der Nachbarn die Verwirklichung des
Grundsatzes der Gerechtigkeit und Gleichberechtigung unter den Völkern. (Bravo! in der Mitte) …
Die Reichsregierung nimmt es für sich als einen Erfolg in Anspruch, daß sie rechtzeitig und als erste im
Kreise der großen Nationen mit entscheidenden Sparmaßnahmen in den öffentlichen Ausgaben und
mit möglichstes Senkung der Erzeugungskosten begonnen hat. (Sehr gut! im Zentrum - Zurufe von den
Kommunisten)
… in kurzer Frist [wird] ein Wirtschaftsprogramm für die nächsten Monate ausgearbeitet. Dieses
Programm hat als erste Voraussetzung (Zuruf von den Kommunisten: Hungerprogramm!) die Aufrechterhaltung der Stabilität unserer Währung, an der unter keinen Umständen gerüttelt werden kann.
(Lebhafte Zustimmung in der Mitte und bei der Deutschen Arbeiterpartei. Zuruf: Dann werden die
anderen rütteln) Von entscheidender Wichtigkeit ist die Durchführung eines ausgearbeiteten Planes zur
Tilgung der kurzfristigen Schulden und ebenso eine endgültige Klärung der Reparationsfrage.“
Heinrich Brüning, Regierungserklärung vom 13. Oktober 1931
134
9.16 Weiterführende Literatur zur Finanzgeschichte in der Weltwirtschaftskrise
• Knut Borchardt, Wachstum, Krisen und Handlungsspielräume der Wirtschaftspolitik. Studien zur
Wirtschaftsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Göttingen 1982.
• Ursula Büttner, Politische Alternativen zum Brüningschen Deflationskurs. Ein Beitrag zur Diskussion über
"ökonomische Zwangslagen" in der Endphase von Weimar, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 37
(1989), 209-251.
• Barry Eichengreen, Peter Temin, The Gold Standard and the Great Depression, in: Contemporary
European History 9 (2000), 183-207.
• Carl-Ludwig Holtfrerich, Alternativen zu Brünings Wirtschaftspolitik in der Weltwirtschaftskrise?, in:
Historische Zeitschrift 235 (1982), 605-631.
• Ders., Zu hohe Löhne in Weimar?, in: Geschichte und Gesellschaft 10 (1984), 122-141.
• Herbert Hömig, Brüning. Kanzler in der Krise der Republik. Eine Weimarer Biographie, Paderborn u.a.
2000.
• Harold James, The German Slump. Politics and Economics 1924-1936, Oxford 1986 .
• Jürgen Baron Kruedener (Hg.), Economic Crisis and Political Collapse. The Weimar Republic 1924-1933,
New York u.a. 1990.
• Florian Pressler, Die erste Weltwirtschaftskrise. Eine kleine Geschichte der großen Depression, München
2013.
• Albrecht Ritschl, Deutschlands Krise und Konjunktur 1924-1934. Binnenkonjunktur, Auslandsverschuldung
und Reparationsproblem zwischen Dawes-Plan und Transfersperre, Berlin 2002.
• Bernd Weisbrod, Die Befreiung von den "Tariffesseln". Deflationspolitik als Krisenstrategie der Unternehmer
in der Ära Brüning, in: Geschichte und Gesellschaft 11 (1985), 295-325.
• Peter-Christian Witt, Finanzpolitik als Verfassungs- und Gesellschaftspolitik. Überlegungen zur Finanzpolitik
des Deutschen Reiches in den Jahren 1930 bis 1932, in: Geschichte und Gesellschaft 8 (1982), 386-414.
135
Freitag, 11.12.15, 16.15 - 17.45 Uhr
10. NS-Rüstungskeynesianismus
136
10.1 Ein NS-Wirtschaftswunder?
v.H.
175
150
125
100
1929 1930 1931 1932 1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944
75
50
Industrieproduktion (1929 = 0)
1938 (1913 = 0)
BSP
Produktivität
Reallöhne
USA
172
208
153
Großbritannien
147
167
133
Deutschland
136
137
109
Quelle: Tooze (2007), 913 (Tabelle A.2)
und Overy (1982), 11 (Tab. II).
137
10.2 Johann Ludwig Schwerin von Krosigk, Finanzminister von 1932 bis 1945
Ergebnisse während der Amtszeit
•
Konfiszierung des jüdischen Eigentums sowie Ausbeutung der
besetzten Länder durch Reichsfinanzverwaltung
•
Verankerung der nationalsozialistischen Weltanschauung im
Steuerrecht und ideologische Schulung der Steuerbeamten
durch Staatssekretär Fritz Reinhardt (überzeugter
Nationalsozialist)
•
•
Finanzierung der Arbeitsbeschaffung („Reinhardt-Programme“)
•
Eingliederung des preußischen Finanzministeriums in das
Reichsfinanzministerium
•
direkte Finanzbeziehungen des Reichs mit den Kommunen
und Einführung eines horizontalen kommunalen
Finanzausgleichs
Finanzierung der Aufrüstung/Wehrmacht außerhalb des
Reichshaushalts
138
10.3 Entwicklung der Nettoneuverschuldung des Reichs 1930-1938
Mio. RM
1000
0
-1000
-2000
-3000
-4000
-5000
-6000
-7000
-8000
-9000
-10000
1930
1931
1932
1933
1934
1935
1936
1937
1938
Nettoneuverschuldung (-) des Reiches
Quelle: Ritschl (2002), Tabelle A.9.
139
10.4 Mefo-Wechsel
Mrd. RM
14
12
10
8
6
4
2
0
1934
1935
1936
1937
Mefo-Wechsel
Quelle: Willi A. Boelcke (1992), 99.
140
10.5 Entwicklung der Rüstungsausgaben 1928-1938
Mio. RM
18000
16000
14000
12000
10000
8000
6000
4000
2000
0
1928
1932
1933
1934
1935
1936
1937
1938
Rüstungsausgaben
Quelle: René Erbe, Die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik 1933-1939 im Lichte der modernen Theorie,
Zürich 1958, 26, 109.
141
10.6 Entwicklung der Reichsschuld 1938-1945
Mrd. RM
450
400
350
300
250
200
150
100
50
0
1938
1939
1940
1941
Fundierte Schuld
1942
1943
1944
1945
Schwebende Schuld
Quelle: Willi A. Boelcke (1992), 110.
142
10.7 „Gesamtbilanz“ der Kriegsfinanzen
Mrd. RM
Prozent
Wehrmachtsausgaben
414
67
Ausgaben ziviler Ressorts
200
33
Insgesamt
614
100
Ordentliche Einnahmen
276
45
Kredite
339
55
Quelle: Willi A. Boelcke (1992), 110.
143
10.8 „Geräuschlose“ Kriegsfinanzierung: Verteilung der Reichsschuld im Inland zum 30.09.1944
Mrd. RM
Prozent
Sparkasse
86
30
Postsparkasse etc.
10
3
Kreditbanken
52
18
Kreditgenossenschaften
19
7
Versicherungen
25
9
Reichsbank etc.
45
16
Publikum, Unternehmen
47
17
Insgesamt
284
100
Quelle: Willi A. Boelcke (1992), 112.
144
10.9 Die Aly-These von der „Gefälligkeitsdiktatur“
• Laut Götz Aly war das »Dritte Reich« eine »Gefälligkeitsdiktatur«; Hitler und die Männer seiner
Entourage agierten als »klassische Stimmungspolitiker«, die geradezu peinlich darauf bedacht
waren, die Masse der Bevölkerung bei Laune zu halten. Zu diesem Zwecke gossen sie das Füllhorn
sozialpolitischer Wohltaten aus: Familienlastenausgleich, Ehestandsdarlehen, Kindergeld, Erhöhung
des steuerfreien Grundbetrags, et cetera [u.a. Steuerfreiheit für Nachtzuschläge]. Gleichzeitig sorgte
das Regime nach dem Motto »Mehr Chancengleichheit wagen« für eine kräftige soziale
Aufwärtsmobilität.
• „Aly sieht in der großen Mehrzahl der Deutschen angepasste Mitläufer, die sich nach der Devise
»Geld ist geil« der Mitnahmemöglichkeiten, die das Regime ihnen bot, dankbar erfreuten, sich
ansonsten aber in passiver Loyalität übten, was indes für die Funktionsfähigkeit der Diktatur
vollkommen ausgereicht habe. Das gläubige Vertrauen auf den charismatischen »Führer«, das
Verfallensein an den Hitler-Mythos, das Ian Kershaw und jüngst Hans-Ulrich Wehler als stärkstes
Bindemittel des Regimes beschrieben haben – es taucht nicht einmal mehr auf.“
Volker Ullrich, Hitlers zufriedene Räuber, in: Die Zeit 11/2005.
• Götz Aly: "Wer von den vielen Vorteilen für Millionen einfacher Deutscher nicht reden will, der sollte
vom Nationalsozialismus und vom Holocaust schweigen."
• Götz Aly, Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus, Frankfurt a.M. 2005.
145
10.10 Kompetenzverteilung auf die Gebietskörperschaften im NS-Staat
NS-Staat
Gesetzgebungshoheit
Ertragshoheit
Verwaltungshoheit
Reich
•
Gesetzgebungshoheit über
(fast) sämtliche Steuern
•
vollständige Ertragshoheit
•
Reichszoll- und
finanzverwaltung
Länder
•
•
keine
•
•
Mittelzuweisung vom Reich
•
•
keine
Kommunen
keine
•
Mittelzuweisung vom Reich
sowie horizontaler
Finanzausgleich
Realsteuern
keine
146
10.11 Bedeutung der Länder auf dem historischen Tiefpunkt
v.H. der Gesamtausgaben
100%
90%
80%
21
24
33
11
70%
34
60%
50%
32
40%
65
30%
20%
45
35
10%
0%
1913
1937
Reich/Bund
Länder
1950
Kommunen
147
10.12 Johannes Popitz
Lebenslauf und Leistungen
•
•
•
Staatssekretär im Reichsfinanzministerium (1925-1929)
•
Schöpfer des modernen (kommunalen) Finanzausgleichs:
Johannes Popitz, Der künftige Finanzausgleich zwischen
Reich, Ländern und Gemeinden. Gutachten erstattet der
Studiengesellschaft für den Finanzausgleich, Berlin 1932.
•
Popitzsches Gesetz von der Anziehungskraft des zentralen
Etats
•
von den Nationalsozialisten 1944 hingerichtet
Preußischer Finanzminister 1932-1944
Popitzsche Steuerreform von 1925, die Erzbergers
Steuergesetze auf ein sicheres juristisches und
finanzwissenschaftliches Fundament stellen
148
10.13 Political economy in der NS-Zeit
Verfassungspolitik/Sozialstaat
Sicherung der Vollbeschäftigung und partieller
Ausbau des Sozialstaats zur Herrschaftssicherung
Reich/Länder
Ausschaltung
der Länder
Finanzpolitik
als Instrument
der Machtpolitik
Parteipolitik
Dualismus Partei/Staat;
sich radikalisierende
NS-Bewegung;
Fraktionen in NS-Polykratie
Exekutive
partieller Funktionsverlust der Ministerialverwaltung, insbes. des Finanzministeriums;
Finanzpolitik als Mittel zur Finanzierung des Angriffskrieges
Die Finanzpolitik des NS-Regimes dient vorrangig einem Zweck: Der Vorbereitung und
Durchführung des 2. Weltkriegs.
149
10.14 Quellen: Johann Ludwig Schwerin von Krosigk und John Maynard Keynes
„Ein Volk, das auf Zunahme verzichtet, und ein Volk, das auf seine Wehrkraft verzichtet, ist tot. Daß in
diesen beiden entscheidenden Fragen durch Adolf Hitler die große Wendung in unserem nationalen
Leben eingetreten ist, das allein schon wird ihm für alle Zeiten den Ehrenplatz in der Geschichte unseres
Volkes einbringen.
Wenn man an die aktive Finanz- und Wirtschaftspolitik des Frühjahrs 1933 zurückdenkt, dann wird sie
immer wieder in erster Linie gekennzeichnet sein durch die Arbeitsbeschaffungspolitik, nämlich die, daß
damals diese Arbeitsbeschaffung auf Kredit genommen worden ist. Hier ist in einer beispielhaften Form
der Weg gegangen worden, daß ein finanziell und wirtschaftlich am Boden liegender Staat das Letzte
eingeworfen hat, über das er verfügte, nämlich den Kredit des Staates.
Die Arbeitsbeschaffung in der Form des Frühjahrs 1933 ist jetzt abgeschlossen, und an ihre Stelle ist
etwas anderes getreten, nämlich die Ausgaben für die Wehrmachung unseres Volkes.“
Lutz Graf Schwerin von Krosigk, Nationalsozialistische Finanzpolitik, Jena 1936 (= Kieler Vorträge, Nr.
41).
„Nevertheless the theory of output as a whole, which is what the following book purports to provide, is
much more easily adapted to the conditions of a totalitarian state …“
John Maynard Keynes, The General Theory of Employment, Interest and Money, Cambridge 1936 (ND
1993) (= The Collected Writings of John Maynard Keynes Bd. 7), XXVI (Preface to the German Edition).
150
10.15 Weiterführende Literatur zur Finanzgeschichte der NS-Zeit
• Willi A. Boelcke, Die Kosten von Hitlers Krieg. Kriegsfinanzierung und finanzielles Kriegserbe in
Deutschland 1933-1948, Paderborn 1985
• Ders., Die Finanzpolitik des Dritten Reiches. Eine Darstellung in Grundzügen, in: Karl Dietrich Bracher,
Manfred Funke, Hans-Adolf Jacobsen (Hrsg.), Deutschland 1933-1945. Neue Studien zur
nationalsozialistischen Herrschaft, Bonn 1992, S. 95-117.
• Friedrich-Wilhelm Henning, Die nationalsozialistische Steuerpolitik. Programm, Ziele und Wirklichkeit, in:
Eckhart Schremmer (Hg.), Steuern, Abgaben und Dienste vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Stuttgart
1994, 197-211.
• Friedrich-Wilhelm Henning, Deutsche Wirtschafts- und Sozialgeschichte in der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts, Teil II: 1933-1945, hg. v. Markus A. Denzel, Paderborn u.a. 2013.
• Christiane Kuller, Bürokratie und Verbrechen. Antisemitische Finanzpolitik und Verwaltungspraxis im
nationalsozialistischen Deutschland, München 2013 (= Das Reichsfinanzministerium im
Nationalsozialismus Bd. 1).
• Richard J. Overy, The Nazi Economic Recovery 1932-1938, London 1982.
• Ders., Die Wurzeln des Sieges. Warum die Alliierten den Zweiten Weltkrieg gewannen, Hamburg 2002.
• Lutz Graf Schwerin von Krosigk, Staatsbankrott. Die Geschichte der Finanzpolitik des Deutschen Reiches
von 1920 bis 1945, Göttingen u.a.1974.
• Mark Spoerer, Demontage eines Mythos? Zu der Kontroverse über das nationalsozialistische
„Wirtschaftswunder“, in: Geschichte und Gesellschaft 31 (2005), 415-438.
• J. Adam Tooze, Ökonomie der Zerstörung. Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus, München
2007.
• Reimer Voß, Steuern im Dritten Reich. Vom Recht zum Unrecht unter der Herrschaft des
Nationalsozialismus, München 1995.
151
Freitag, 15.01.16, 14.30 - 16.00 Uhr
11. Die fetten Jahre der
Bonner Republik
152
11.1 Entwicklung des Finanzierungssaldos des Bundeshaushalts 1950-1969
v.H. BSP
2
1,5
1
0,5
0
1950
1952
1954
1956
1958
1960
1962
1964
1966
1968
-0,5
-1
-1,5
Finanzierungssaldo des Bundeshaushalts
Quelle: Für die Jahre bis 1959: Bundesministerium der Finanzen (Hg.), Haushaltsreden. Die Ära Schäffer, bearb. v. KurtDieter Wagner u.a., Bonn 1992, 428 und 437; für die Jahre ab 1960: Bundesministerium der Finanzen (Hg.), Haushaltsreden. Starke, Dahlgrün, Schmücker, bearb. v. Kurt-Dieter Wagner u.a., Bonn 1995, 308f, jeweils eigene Berechnungen.
153
11.2 Ausgabenstruktur des Bundeshaushalts von 1963
Übrige
Ausgaben
34%
Renten
13%
Soziales
16%
Zinsen
2%
1963
Verteidigung
35%
•
hohe Sozialausgaben durch Wiedereinführung des
Kindergelds (1954) und Versorgung der Kriegsopfer
•
Einführung der dynamischen Rente im Jahr 1957:
„Teuerstes Wahlgeschenk aller Zeiten.“
•
Zinsanteil niedrig, da Entschuldung aufgrund Inflation
und einer sparsamen Haushaltspolitik in den 50er
Jahren
•
hoher Anteil der Verteidigungsausgaben durch
kostenintensiven Aufbau der Bundeswehr
154
11.3 Der erste Bundesfinanzminister: Fritz Schäffer (1949-1957)
Ergebnisse während der Amtszeit
•
Investitionsförderung mittels der Steuerpolitik („Investition oder
Finanzamt“)
•
sparsame Haushaltspolitik ( „Politik der geschlossenen Hand“), die
zu Haushaltsüberschüssen (Juliusturm) führt
•
•
•
Finanzierung des Lastenausgleichs und der Wiederaufrüstung
•
Opfer des so genannten Kuchenausschusses
gegen die Einführung der dynamischen Rente durch Adenauer
Regelung der Altschulden im Londoner Schuldenabkommen von
1953
155
11.4 Entwicklung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommensteuer 1946-1970
100%
Steuersätze der
Siegermächte
90%
80%
Finanzreformen
70%
60%
50%
40%
30%
20%
10%
0%
1913
1920
1925
1939
1946
1953
1958
1970
1975
1990
2000
2004
Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer
Der erste Bundesfinanzminister Schäffer machte aus der Not, also den hohen, von den Siegermächten
auferlegten Steuersätzen, eine Tugend und förderte massiv die „Selbstfinanzierung“ der Unternehmen.
Großzügige Abschreibungsregelungen und niedrige Steuern für einbehaltene Gewinne schufen starke
Investitionsanreize. Die Unternehmen wurden letztlich vor die Wahl „Investition oder Finanzamt“ gestellt. „Von
156
diesem Strukturfehler überhöhter Steuersätze und löchriger Bemessungsgrundlagen hat sich das deutsche
Steuerrecht bis heute nicht erholt.“ (Paul Kirchhof)
11.5 Der Lastenausgleich von 1952
• Ziele des Gesetzes über den Lastenausgleich von 1952: Solidarischer Ausgleich der Kriegsschäden
und finanzielle Entschädigung für die 14 Mio. Vertriebenen, Flüchtlinge und Spätaussiedler
• Inhalt: Umverteilung über Lastenausgleichsfonds
• Umverteilungsvolumen: 115 Mrd. DM (insbes. 43 Mrd. DM Hauptentschädigung für
Vermögensschäden, 10 Mrd. DM Hausratsentschädigung, 53 Mrd. DM Renten)
• Finanzierung: 42 Mrd. DM Vermögensabgabe (50 % des Vermögenswertes zum Stichtag 21. Juni
1948, zahlbar innerhalb von max. 30 Jahren), 9 Mrd. DM Hypothekengewinnabgabe, 2 Mrd. DM
Kreditgewinnabgabe, 61 Mrd. DM Zuschüsse aus den öffentlichen Haushalten)
• Belastungswirkung: 1,67 % p.a., wg. langen Zahlungszeitraumes, hoher Einkommenssteigerungen
und Inflation relativ leicht leistbar, also faktisch kein Verlust an Vermögenssubstanz
• Wertung: erfolgreiches Instrument zur Integration der Vertriebenen und Flüchtlinge
• Vorläufer in der Weimarer Republik, aber keine Wirkung wg. Hyperinflation;
später Hauszinssteuer als Belastung für Inflationsgewinne im Immobilienbereich
• Diskussion über einen erneuten Lastenausgleich nach der Deutschen Einheit
• Aktuelle Diskussion im Rahmen der europäischen Staatsschuldenkrise
• Literatur: Stefan Bach, Gert G. Wagner, Steuergerechtigkeit als Zukunftsinvestition,
in: Wirtschaftsdienst 92 (9/2012), 594-598; Richard Hauser, Zwei deutsche Lastenausgleiche - Eine kritische Würdigung, in: Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung 80
(2011), 103-122; Lutz Wiegand, Der Lastenausgleich in der Bundesrepublik Deutschland
1949 bis 1985, Frankfurt am Main 1992.
157
11.6 Das Londoner Schuldenabkommen von 1953
• Vorgeschichte: 1931 Moratorium für die deutschen Auslands- bzw. Reparationsschulden;
seit 1933 faktischer Staatsbankrott, da die Nationalsozialisten den Schuldendienst einseitig einstellen
→ Bundesrepublik daher kreditunwürdig.
• Höhe der Schulden: Altschulden: 13,5 Mrd. DM (u.a. Dawes- und Young-Anleihe), aufgelaufende
Zinszahlungen seit 1934: 14 Mrd. DM, Nachkriegsschulden (u.a. Zahlungen aus dem Marshall-Plan):
15 Mrd. DM
• Inhalt: Großzügiger Schuldenerlass: 14 Mrd. DM, zahlbar bis 1988
• Reparationen: Bis zum Abschluss eines Friedensvertrags zurückgestellt. Um diese Problematik zu
umgehen, wurde 1990 nur ein Zwei-plus-Vier-Vertrag unterzeichnet.
• Hintergrund: USA brauchen Bundesrepublik im Kalten Krieg und wollen nicht die Fehler des
Versailler Vertrags wiederholen.
• Folgen: Bundesrepublik wird kreditwürdig und kann die Konvertibilität der Mark einleiten.
• Aktuelle Diskussion: Historisches Vorbild für Griechenland?
• Literatur:
- Christoph Buchheim: Das Londoner Schuldenabkommen,
in: Ludolf Herbst (Hrsg.): Westdeutschland 1945–1955. Unterwerfung,
Kontrolle, Integration, München 1986, S. 219–229.
- Ursula Rombeck-Jaschinski: Das Londoner Schuldenabkommen.
Die Regelung der deutschen Auslandsschulden nach dem Zweiten
Weltkrieg. München 2005.
- 27. Februar 2003 – 50 Jahre Londoner Schuldenabkommen,
in: BMF-Monatsbericht 02/2003, S. 91-95.
Hermann Josef Abs, der deutsche Verhandlungs158
führer, bei der Unterschrift
11.7 Bundesfinanzminister 1957-1966
Name und Amtszeit
Ergebnisse während der Amtszeit
Franz Etzel (CDU)
(29.10.195714.11.1961)
•
•
•
•
•
Steuerreform von 1958 (Körperschaftsteuer und Einkommensteuer)
Sparprämiengesetz von 1959
Haushaltspolitik „am Rande des Defizits“ (Abbau des Juliusturms)
Beginn der Konjunkturpolitik
•
•
•
•
starker Anstieg der Ausgaben und - dank der Konjunktur - auch der Einnahmen
Haushaltsdefizit in der Rezession von 1966/67
Initiative zur Umformung der Umsatzsteuer zur Mehrwertsteuer
Rücktritt sämtlicher FDP-Minister wegen Ablehnung von Steuererhöhungen
Heinz Starke (FDP)
(14.11.196119.11.1962)
Rolf Dahlgrün (FDP)
(13.12.196228.10.1966)
kompromisslose Ablehnung gegenüber Ausgabewünschen der Fachminister und
der Regierungsfraktionen
159
11.8 Franz Josef Strauß als Bundesfinanzminister (1966-69): Der erste Keynesianer
Ergebnisse während der Amtszeit
•
„Plisch und Plum“ mit Wirtschaftsminister Karl Schiller (SPD) in der
ersten Großen Koalition
•
erfolgreiche Überwindung der ersten Nachkriegsrezession durch
eine keynesianische Finanzpolitik
•
•
•
Stabilitäts- und Wachstumsgesetz von 1967
•
•
Grundlegende Haushaltsreform
„Mit Steuern steuern“
Umsatzsteuerreform (Umstellung von Brutto-Allphasen auf
Mehrwertsteuer)
Große Finanzreform von 1969
160
11.9 Die schwierige Geburt der bundesdeutschen Finanzverfassung
Parlamentarischer Rat
Besatzungsmächte
1. Konfliktpunkt
Unitarischer Grundzug mit
Verbundmasse aus den
großen Steuern
Förderaler Grundzug mit
striktem Trennsystem
2. Konfliktpunkt
Bundesfinanzverwaltung
Finanzverwaltung der
Länder
Die Besatzungsmächte setzen sich durch. Eine Bundesfinanzverwaltung wird untersagt. Der Bund
erhält die Umsatzsteuer zu 100 %, kann aber über den Weg eines zustimmungspflichtigen Gesetzes
auch am Aufkommen der Einkommen- und Körperschaftsteuer partizipieren, falls der Haushalt
anderweitig nicht auszugleichen ist. Dies machte der Bund umgehend über sogenannte
Inanspruchnahmegesetze. 1955 wird dann seine direkte Beteiligung an der Einkommensteuer im
Grundgesetz verankert. Mit der ersten größeren Finanzreform wird also die Finanzverfassung
grundlegend reformiert.
161
11.10 Kompetenzverteilung auf die Gebietskörperschaften in der Bundesrepublik
Bundesrepublik
Gesetzgebungshoheit
Ertragshoheit
Verwaltungshoheit
Bund
•
•
auf Druck der Siegermächte: Trennsystem, das
sofort durch „Inanspruchnahmegesetze“
(Beteiligung des Bundes an
der Einkommensteuer)
durchbrochen wird
seit 1969 Verbundsystem
•
Zollverwaltung
Beteiligung an der
Umsatzsteuer seit 1969
•
•
Finanzverwaltung
Verwaltungsvereinbarung
von 1970 zur Zusammenarbeit von Bund und Ländern
Beteiligung an der
Einkommensteuer seit 1969
Realsteuern
•
keine
(konkurrierende) Gesetzgebungshoheit über
Einkommen- und
Umsatzsteuer
Länder
•
Zustimmung des Bundesrats
in der Regel erforderlich
Kommunen
•
keine
•
•
•
•
162
11.11 Die Gemeindefinanzreform von 1969
Gemeindefinanzreform von 1969
Einführung
der kommunalen Beteiligung an der
Einkommensteuer (14 %)
Bebehaltung
des kommunalen Hebesatzrechts an
der Gewerbesteuer
Beibehaltung
des kommunalen Hebesatzrechts an
der Grundsteuer
dafür Gewerbesteuerumlage an
Bund/Land
163
11.12 Ertragshoheit über die Einkommensteuer 1944-1970
v.H.
100
90
80
70
60
50
40
30
20
10
0
1944
1951
1952
1953
Bund
Länder
1955
1958
1967
1970
Kommunen
164
11.13 Ertragshoheit über die Umsatzsteuer 1944-1970
v.H.
100
90
80
70
60
50
40
30
20
10
0
1944-1969
1970
Bund Länder Kommunen
Im Rahmen des 1969 eingeführten bzw. ausgebauten Verbundsystems
werden die Länder mit zunächst 30 % beteiligt.
165
11.14 Political economy der Bonner Republik bis 1969
Verfassungspolitik/Sozialstaat
Ausbau des Sozialstaats zur Sicherung der Demokratie
Bund/Länder
de facto
Unitarisierung
Finanzpolitik
als Instrument
der Machtpolitik
Parteipolitik
zunehmende Instrumentalisierung für Wahlkampf;
Bruch der CDU-/FDP-Koalition
wegen Finanzpolitik
Exekutive
Konflikte zwischen Finanzministerium und Kanzleramt/Fachministerien
166
11.15 Quelle: Rede von Fritz Schäffer aus dem Jahre 1950
„Die Bundesregierung selbst ist aufgerufen, den Damm gegen jede inflatorische Politik zu bilden,
und sie muss für diese Entwicklung die persönliche Verantwortung übernehmen. Sie muss und
kann diese persönliche Verantwortung selbstverständlich nur im Rahmen dessen übernehmen, was
die Verfassung selbst vorschreibt, also insbesondere im Rahmen des Art. 110 des Grundgesetzes,
in dem die Abgleichung in Einnahmen und Ausgaben vorgesehen ist.
Damit die Bundesregierung diesem Zwang nicht ausweichen kann, hat der Gesetzgeber des
Grundgesetzes in Art 115 auch den Weg für eine leichtfertige Schuldenpolitik verbaut. Er hat
vorgeschrieben, dass zur Aufnahme jeden Kredites und zur Gewährung jeder Bürgschaft und aller
Sicherheitsleistungen, deren Wirkung über das laufende Haushaltsjahr hinausgehen, ein
besonderes Bundesgesetz erforderlich ist. Die Bundesregierung ist hier also an die Beschlussfassung der beiden gesetzgebenden Körperschaften, Bundesrat und Bundestag, gebunden. Durch
diese Bestimmungen suchte der Gesetzgeber des Grundgesetzes zunächst einen Schutz gegen
jene inflatorische Entwicklung in der deutschen Finanzpolitik zu schaffen. Um ein modernes Wort
zu gebrauchen: „deficit spending“ ist durch das Grundgesetz in der deutschen Finanzpolitik
untersagt.“
Rede zur Einbringung des Haushalts von Fritz Schäffer vom 09.11.1950, in: Bundesministerium
der Finanzen (Hg.), Haushaltsreden. Die Ära Schäffer. 1949 bis 1957, bearbeitet von Kurt-Dieter
Wagner u.a., Bonn 1992 (= Schriftenreihe zur Finanzgeschichte Bd. 1), 81.
167
11.16 Quelle: „3 Jahre neuer Finanzpolitik“
„Öffentliche Schulden – gut oder schlecht?
Die „klassische“ Rechtfertigung der Kreditfinanzierung öffentlicher Ausgaben – nach der im Grunde
nur solche Investitionen des Staates mit Kredit finanziert werden dürfen, die ihren Zinsendienst
selbst zu tragen vermögen oder an deren Nutzung auch noch spätere Generationen teilhaben –
muss als überholt angesehen werden. Die öffentliche Schuldenpolitik („debt management“) wird
heute als ein legitimes Mittel einer modernen Finanz- und Wirtschaftspolitik – insbesondere zur
Dämpfung von Konjunkturschwankungen und zur Sicherung eines angemessenen
Wirtschaftswachstums – angesehen. In der Stagnation der vergangenen Jahre hat sie sich als ein
wirksames konjunkturpolitisches Instrument bewährt. Als in der Phase der wirtschaftlichen
Abschwächung ein Rückgang der privaten Investitionstätigkeit zu beobachten war, erhöhte der
Staat die Nachfrage durch eigene Investitionen und führte brachliegende Liquidität über den Weg
der Kreditaufnahme in den Wirtschaftskreislauf zurück. Auf diese Weise wurde die Volkswirtschaft
vor Wachstumsverlusten bewahrt, die gleichbedeutend sind mit Einkommensverlusten der
Arbeitnehmer, der Wirtschaft und des Staates.
Ihre antizyklische Funktion erfüllt die öffentliche Kreditpolitik, wenn im Aufschwung öffentliche
Schulden beschleunigt abgebaut werden, falls sich die Gefahr einer Überforderung der
Volkswirtschaft abzeichnet.“
Bundesministerium der Finanzen (Hg.) mit einem Vorwort von Franz Josef Strauß, Drei Jahre
neuer Finanzpolitik, Bonn 1969, 21.
168
11.17 Weiterführende Literatur zur Finanzgeschichte von 1946-1969
• Werner Abelshauser, Deutsche Wirtschaftsgeschichte seit 1945, München 2. Aufl. 2011.
• Nikolaus Adami, Die Haushaltspolitik des Bundes von 1955 bis 1965, Bonn 1970.
• Gerold Ambrosius, Staatsausgaben und Staatsquoten in der Bundesrepublik in den 50er Jahren. Ihre
Einflußnahme im internationalen Vergleich, in: Dietmar Petzina (Hg.), Ordnungspolitische Weichenstellungen nach dem Zweiten Weltkrieg, Berlin 1991, 31-53.
• Bundesministerium der Finanzen (Hg.), Chronologie zur Finanzgeschichte. 1945-1969, bearbeitet von KurtDieter Wagner u.a., Bonn 1993.
• Kurt Düwell, „Etzel werde, sei und bleibe hart!“ Franz Etzel (1902-1970) und die Anfänge einer Finanzpolitik
„am Rande des Defizits“, in: Wilfried Feldenkirchen, Susanne Hilger, Kornelia Rennert (Hg.), Geschichte Unternehmen - Archive, Essen 2008 , 93-104.
• Klaus Franzen, Die Steuergesetzgebung der Nachkriegszeit in Westdeutschland (1945-1961), Bremen 1994.
• Dieter Grosser, Die Rolle Fritz Schäffers als Finanzminister in den ersten beiden Kabinetten Konrad
Adenauers, in: Wolfgang Mückl (Hg.), Föderalismus und Finanzpolitik. Gedenkschrift für Fritz Schäffer,
Paderborn u.a. 1990, 67-81.
• Wolfgang Kitterer, Öffentliche Finanzen und Notenbank, in: Deutsche Bundesbank (Hg.), Fünfzig Jahre
Deutsche Bank. Notenbank und Währung in Deutschland seit 1948, München 1998, 199-256, insbes. 202218.
• Jutta Muscheid, Die Steuerpolitik in der Bundesrepublik Deutschland 1949 - 1982, Berlin 1986.
• Wolfgang Renzsch, Finanzverfassung und Finanzausgleich. Die Auseinandersetzungen um ihre politische
Gestaltung in der Bundesrepublik Deutschland zwischen Währungsreform und deutscher Vereinigung
(1948-1990), Habil. Göttingen 1991, Bonn 1991.
• Franz Josef Strauß, Finanzpolitik. Theorie und Wirklichkeit, Berlin 1969.
• Dietrich Yorck, Franz Etzel als Finanzpolitiker, in: Historisch-politische Mitteilungen 2 (1995), 173-187.
169
Freitag, 15.01.16, 16.15 - 17.45 Uhr
12. Konjunkturpolitik der 70er Jahre
170
12.1 Stagflation der 70er Jahre
v.H.
8
7
6
5
4
3
2
1
0
-1
-2
1969
1970
1971
1972
1973
1974
1975
Wachstumsrate reales BSP
1976
1977
Inflationsrate
1978
1979
1980
1981
1982
Arbeitslosenquote
Quelle: Scherf (1986), 8f.
171
12.2 Fiskalschock der Konjunkturpolitik der 70er Jahre
v.H. NSP/BSP/BIP
60
46,9
50
34,8
40
30
39,6
38,5
38
23,8
23
18
20
10
0
1970
Steuerquote
1980/82
Abgabenquote
Staatsquote
Schuldenquote
172
12.3 Entwicklung des Finanzierungssaldos des Staats 1970-1982
v.H. BIP
2
1
0
-1
-2
-3
-4
-5
-6
1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982
Finanzierungssaldo des Staats
Quelle: BMF-Monatsbericht Mai 2009, 100 (Tab. 12).
173
12.4 Entwicklung des Finanzierungssaldos des Bundeshaushalts 1969-1982
Mrd. DM
5
0
-5
-10
-15
-20
-25
-30
-35
-40
1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982
Finanzierungssaldo des Bundeshaushalts
Quelle: Scherf (1986), 98.
174
12.5 Entwicklung der Deckungsquote des Bundeshaushalts 1969-1982
v.H.
100
95
90
85
80
75
1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982
Deckungsquote des Bundeshaushalts
Quelle: Scherf (1986), 92.
175
12.6 Anstieg der öffentlichen Ausgaben 1969-1982
v.H.
15
12,5
10
7,5
5
2,5
0
1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982
Anstieg der öffentlichen Ausgaben gegenüber dem Vorjahr
Quelle: Scherf (1986), 92.
176
12.7 Entwicklung der Sozialleistungsquote 1969-1982
v.H. BSP
32
31
30
29
28
27
26
1982
1981
1980
1979
1978
1977
1976
1975
1974
1973
1972
1971
1970
1969
25
Sozialleistungsquote
Quelle: Scherf (1986), 87.
177
12.8 Bundesfinanzminister 1969-1974
Name und Amtszeit
Ergebnisse während der Amtszeit
Alex Möller (SPD)
(21.10.196913.05.1971)
•
Karl Schiller (SPD)
(13.05.197107.07.1972)
•
•
•
•
•
•
Helmut Schmidt
(SPD)
(07.07.197215.05.1974)
•
•
starke Ausgabensteigerungen infolge der vor allem verteilungspolitisch motivierten
Reformen der sozialliberalen Koalition
Rücktritt infolge finanz- und währungspolitischer Turbulenzen
Superminister für Wirtschaft und Finanzen
Keynesianischer Steuerungsoptimismus: „Konjunktur ist nicht unser Schicksal,
Konjunktur ist unser Wille.“
Wegbereiter des Schuldenstaats (von ihm nicht intendiert)
Rücktritt wegen grundsätzlicher Differenzen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik
mit seiner Partei
Literatur: Torben Lütjen, Karl Schiller (1911-1994). „Superminister“ Willy Brandts,
Bonn 2007.
Konjunkturprogramme als Reaktion auf die 1. Ölkrise
Freigabe der Wechselkurse (Ende von Bretton Woods)
178
12.9 Bundesfinanzminister 1974-1982
Name und Amtszeit
Ergebnisse während der Amtszeit
Hans Apel (SPD)
(16.04.197416.02.1978)
•
•
•
Steuerreform von 1975 mit Steuersenkungen
Zukunftsinvestitionsprogramm von 1977
Quelle: Hans Apel, Staat ohne Maß.
Finanzpolitik in der Sackgasse, Düsseldorf
1997.
Hans Matthöfer
(SPD) (16. 02.197828.04.1982)
•
•
jährliche Steuerpakete
Sparpolitik und eher angebotsorientierte Politik seit 1980
Literatur: Werner Abelshauser, Nach dem
Wirtschaftswunder. Der Gewerkschafter,
Politiker und Unternehmer Hans Matthöfer,
Bonn 2009.
Manfred Lahnstein
(SPD)
(28.04.198204.10.1982)
•
•
•
•
Übergangsminister
Sparpolitik
„Die sozialliberale Koalition ist letztlich
an der Finanzpolitik gescheitert.“
(Thilo Sarrazin 1983, S. 373)
179
12.10 Political economy der 70er Jahre
Verfassungspolitik/Sozialstaat
harte tarifpolitische Auseinandersetzungen
mit hohen Lohnabschlüssen
Bund/Länder
Bundesratsmehrheit
gegen Bundestagsmehrheit
Finanzpolitik
als Instrument
der Machtpolitik
Parteipolitik
scharfe
Auseinandersetzungen
Exekutive
Planungs- und Steuerungseuphorie der Ministerialverwaltung
Die Finanzpolitik ist in den 70er Jahren ein zentrales Konfliktfeld im politischen Machtkampf.
180
12.11 Quelle: Thilo Sarrazin aus dem Jahr 1983
„Es hätte von Anfang an entweder eine stärkere Zurückhaltung bei der Ausgabenentwicklung oder
eine Absicherung des geplanten Ausgabenpfades durch dauerhafte Einnahmen geben müssen.
So aber dominierten, vereinfacht ausgedrückt, auf der Ausgabenseite des Bundeshaushalts die
Vorstellungen der SPD und auf der Einnahmenseite die Vorstellungen der FDP.“
„Es bestand und besteht ein krasses Missverständnis zwischen akribischen haushaltspolitischen
Bemühungen im Bereich der unmittelbaren Bundesausgaben und einer eher sorglosen Nichtbeachtung der großen Strukturprobleme in der Sozialversicherung.“
Thilo Sarrazin, Die Finanzpolitik des Bundes 1970-1982 – Eine kritische Würdigung –, in:
Finanzarchiv N.F. 41 (1983), 375 und 382.
181
12.12 Weiterführende Literatur zur Finanzgeschichte der 70er Jahre
• Gérard Bökenkamp, Das Ende des Wirtschaftswunders: Geschichte der Sozial-, Wirtschafts- und
Finanzpolitik in der Bundesrepublik 1969 -1998, Stuttgart 2010.
• Alexandra Ehrlicher, Die Finanzpolitik 1967-1976 im Spannungsfeld zwischen konjunkturpolitischen
Erfordernissen und Haushaltskonsolidierung, Berlin 1991.
• Jutta Muscheid, Die Steuerpolitik in der Bundesrepublik Deutschland 1949 - 1982, Berlin 1986.
• Claus-Martin Gaul, Konjunkturprogramme in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland: Einordnung
und Bewertung der Globalsteuerung von 1967 bis 1982, Berlin 2009 (= Info-Brief WD 5 - 3010 - 009/09 der
Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags).
• Monika Hanswillemenke, Bernd Rahmann, Zwischen Reformen und Verantwortung für Vollbeschäftigung.
Die Finanz- und Haushaltspolitik der sozial-liberalen Koalition von 1969 bis 1982, Frankfurt a.M. 1997.
• Tim Schanetzky, Die große Ernüchterung: Wirtschaftspolitik, Expertise und Gesellschaft in der
Bundesrepublik 1966 bis 1982, Berlin 2007.
• Thilo Sarrazin, Die Finanzpolitik des Bundes 1970-1982 – Eine kritische Würdigung –, in: Finanzarchiv N.F.
41 (1983), 373-387.
• Harald Scherf, Enttäuschte Hoffnungen – vergebene Chancen. Die Wirtschaftspolitik der Sozial-Liberalen
Koalition 1969-1982, Göttingen 1986.
• Hans-Peter Ullmann, Im Strudel der „Maßlosigkeit“? Die „Erweiterung des Staatskorridors“ in der
Bundesrepublik der sechziger bis achtziger Jahre, in: Ders., Staat und Schulden, Öffentlichen Finanzen in
Deutschland seit dem 18. Jahrhundert, hg. v. Hartmut Berghoff und Till van Rahden, Göttingen 2009, 149162.
182
Freitag, 29.01.16, 14.30 - 15.30 Uhr
13. Konsolidierungspolitik der 80er Jahre
183
13.1 Konsolidierungspolitik der 80er Jahre
v.H. NSP/BSP/BIP
80
70
60
46,9
50
34,8
40
30
39,6
38,5
23
18
20
38
23,8
37,3
43,6 41,3
21,6
10
0
1970
Steuerquote
1980/82
Abgabenquote
Staatsquote
1990
Schuldenquote
184
13.2 Entwicklung des Finanzierungssaldos des Staats 1982-1989
v.H. BIP
0,5
0,1
0
-0,5
-1,1
-1
-1,1
-1,5
-1,8
-2
-2
-2
-2,5
-2,9
-3
-3,4
-3,5
1982
1983
1984
1985
1986
Finanzierungssaldo des Staats
Quelle: BMF-Monatsbericht Juli 2010, 122 (Tab. 12).
1987
1988
1989
185
13.3 Entwicklung des Finanzierungssaldos des Bundeshaushalts 1982-1988
Mrd. DM
0
-5
-10
-15
-17,4
-20,5
-20
-23
-26,3
-25
-27,3
-30
-33,5
-34,8
-35
1982
1983
1984
1985
1986
Finanzierungssaldo des Bundeshaushalts
Quelle: Suntum (1989), 6.
1987
1988
186
13.4 Entwicklung der Gewinnüberweisung der Bundesbank 1982-1988
Mrd. DM
14
12
10
8
6
4
2
0
1981
1982
1983
1984
1985
1986
Gewinnüberweisung der Bundesbank
Quelle: Suntum (1989), 6.
1987
1988
187
13.5 Entwicklung der Sozialleistungsquote 1982-1988
v.H. BSP
32
31
30
29
1982
1983
1984
1985
1986
1987
1988
Sozialleistungsquote
Quelle: Suntum (1989), 6.
188
13.6 Ausgabenstruktur des Bundeshaushalts von 1983
Renten
14%
Übrige
Ausgaben
36%
1983
Verteidigung
19%
Arbeitsmarkt
4%
Soziales
16%
Zinsen
11%
•
•
Steigende Renten-, Arbeitsmarkt- und Sozialausgaben
•
relativ hoher Anteil der Verteidigungsausgaben wegen
des Kalten Kriegs
Zinsanteil relativ hoch aufgrund starker Verschuldung
in den 70er Jahren und hohem Zinsniveau
189
13.7 Steuerreformen der 80er Jahre
Unter der Leitung von Bundesfinanzminister Gerhard Stoltenberg wird eine dreistufige
Steuerreform durchgesetzt, die die Steuerstruktur verbessert und die Steuern senkt, um dadurch
die marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen für private Initiativen günstiger zu gestalten:
Die erste Stufe 1986 entlastet Familien und Bezieher geringerer Einkommen.
Die zweite Stufe 1988 führt zu einer weiteren, deutlichen Abflachung der Steuerprogression und
zur Verbesserung der Sonderabschreibungsmöglichkeit für kleine und mittlere Betriebe.
Die dritte Stufe 1990 realisiert das wichtigste Element, die Einführung des linear-progressiven
Einkommensteuertarifs mit einem jeweils um 3 Prozentpunkte abgesenkten Eingangs- und
Höchststeuersatz. Mit der nachhaltigen Senkung der Steuersätze geht auch eine Verbreiterung
der Bemessungsgrundlage durch einen Abbau von steuerlichen Vergünstigungen und
Sonderregelungen einher. Das Steuerentlastungsvolumen umfasst brutto fast 39 Mrd. DM bzw.
netto rund 25 Mrd. DM.
190
13.8 Gerhard Stoltenberg: Bundesfinanzminister 1982-1989
Ergebnisse während der Amtszeit
•
•
•
•
•
Sparpolitik (insbesondere 1982-84)
Erhöhung der Sozialabgaben
dreistufige Steuerreform 1986/88/90 mit deutlichen Entlastungen
Verkauf Bundesanteile u.a. von VW AG, VIAG, VEBA AG
Angebotsorientierte Finanz- und Ordnungspolitik
191
13.9 Kohl als deutsche Antwort auf Reagan und Thatcher?
Aspekte
USA
GB
Geistige Wegbereiter
•
•
•
F.A. von Hayek
Milton Friedman
J. Buchanan
•
Politische Triebkräfte
•
•
Liberale Think Tanks
Ronald Reagan (Gouverneur von
Kalifornien, Präsident)
•
•
Liberale Think Tanks
Margaret Thatcher (Oppositionsführerin,
Premierministerin)
Ökonomische
Ausgangslage
•
•
Stagflation
Keynesianische Wirtschaftspolitik seit
der Weltwirtschaftskrise
•
•
Stagflation mit hoher Arbeitslosigkeit
„Englische Krankheit“ (mangelnde
Wettbewerbsfähigkeit)
Ausgebauter Wohlfahrtsstaat
Extrem mächtige Gewerkschaften
Politik
•
•
•
•
•
Reduzierung Staatswachstum
Reduzierung Steuern
Reduzierung Inflation durch
Geldmengenbegrenzung
Deregulierung
Hohe Militärausgaben
•
•
•
•
•
•
•
•
•
F.A. von Hayek (persönlicher Kontakt zu
Thatcher)
Anthony Fischer (Institute of Economic
Affairs)
Ende Mixed Economy
Privatisierungen
Ende Zusammenarbeit mit Gewerkschaften
Abbau Sozialstaat
Reduzierung Inflation
Inkaufnahme steigender Arbeitslosigkeit und
hoher sozialer Ungleichheiten
192
Quelle: Michael von Prollius, Deutsche Wirtschaftsgeschichte nach 1945, Göttingen 2006, 229f.
13.10 Political economy der 80er Jahre
Verfassungspolitik/Sozialstaat
moderate Reduzierung des Sozialstaats
Bund/Länder
relativ wenig Konflikte
Finanzpolitik
als Instrument
der Machtpolitik
Parteipolitik
stabile Koalitionsregierung
Exekutive
Kanzleramt als Machtzentrum
Finanzministerium relativ schwach
193
13.11 Quelle: Helmut Kohls erste Regierungserklärung vom 13. Oktober 1982
„Die Ansprüche an den Staat und die Systeme der sozialen Sicherung wurden an der
optimistischen Vorstellung eines ständigen und kräftigen Wachstums der Wirtschaft orientiert. Als
diese hohen Wachstumsraten ausblieben, fehlte es an Einsicht und Kraft, die notwendigen
Konsequenzen zu ziehen und die notwendigen Korrekturen durchzusetzen.
Wir haben … ein haushaltspolitisches Dringlichkeitsprogramm beschlossen, das die zerrütteten
Bundesfinanzen neu ordnen soll. Dabei wollen wir vorrangig die öffentliche Neuverschuldung
durch eine strenge Haushaltsdisziplin wieder unter Kontrolle bringen. Nach den jetzt vorliegenden
katastrophalen Ergebnissen der Bestandsaufnahme werden wir für 1982 unverzüglich einen
weiteren Nachtragshaushalt einbringen.
Insgesamt stellen wir mit diesem Dringlichkeitsprogramm die Weichen zur Erneuerung: weg von
mehr Staat, hin zu mehr Markt; weg von kollektiven Lasten, hin zur persönlichen Leistung; weg
von verkrusteten Strukturen, hin zu mehr Beweglichkeit, Eigeninitiative und verstärkter
Wettbewerbsfähigkeit.“
Helmut Kohl, Regierungserklärung vom 13. Oktober 1982
194
13.12 Weiterführende Literatur zur Finanzgeschichte der 80er Jahre
• Norbert Andel, Die Steuerreformen der 80er Jahre: Erreichtes und Aufgeschobenes, in: Diether Döring, Paul
Bernd Spahn (Hg.), Steuerreform als gesellschaftliche Aufgabe der neunziger Jahre, Berlin 1991, 23-39.
• Gérard Bökenkamp, Das Ende des Wirtschaftswunders: Geschichte der Sozial-, Wirtschafts- und Finanzpolitik in
der Bundesrepublik 1969 -1998, Stuttgart 2010.
• Ulrich Johann, Die Steuergesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland von 1983 bis 1998: die Zeit der
christlich-liberalen Koalition, Frankfurt a.M. u.a. 2006.
• Ulrich Suntum, Finanzpolitik in der Ära Stoltenberg, Bochum 1989 (= Diskussionsbeiträge der Ruhr-Universität
Bochum, Seminar für Wirtschafts- und Finanzpolitik Nr. 8; auch veröffentlicht in: Kredit und Kapital 23 (1990),
251-276.
• Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 5: Bundesrepublik und DDR. 1949-1990, München
2008.
• Andreas Wirsching, Abschied vom Provisorium. Geschichte der Bundesrepublik Deutschland 1982 -1990,
München 2006, 264-288.
• Klaus Zimmermann, Zur Realität von Kurswechseln, Wenden und ähnlichen Manövern aus budgetpolitischer
Sicht, in: Der Gemeindehaushalt 9 (1984), 208-213.
• Reimut Zohlnhöfer, Die Wirtschaftspolitik der Ära Kohl. Eine Analyse der Schlüsselentscheidungen in den
Politikfeldern Finanzen, Arbeit und Entstaatlichung, 1982-1998, Opladen 2001.
• Ders., Globalisierung der Wirtschaft und finanzpolitische Anpassungsreaktionen in Westeuropa, Baden-Baden
2009.
195
Freitag, 29.01.16, 15.30 - 16.30 Uhr
14. Fiskalschock der Deutschen Einheit
196
14.1 Fiskalschock der Deutschen Einheit und der Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008/09
v.H. NSP/BSP/BIP
90
83
80
70
60,2
60
50
37,3
40
30
43,6 41,3
42,1
47,6
39,1
23,5
21,6
46,6
22,2
20
10
0
1990
Steuerquote
2000
Abgabenquote
Staatsquote
Quelle: BMF-Monatsbericht August 2012, 72 (Tab. 9), 73 (Tab.10) und 80 (Tab. 14).
2010
Schuldenquote
197
14.2 Auswirkungen der Finanz- und Bankenkrise auf den Schuldenstand
Schuldenstandseffekte der Stabilisierungsmaßnahmen im Rahmen
der Finanzmarktkrise und der europäischen Staatsschuldenkrise
Schuldenstandsquote
- in % des BIP 85
80
75
70
65
60
2007
Maastricht-Schuldenstand
ohne Maßnahmen im Zusammenhang mit der Finanzmarktkrise
ohne Maßnahmen im Zusammenhang mit der Finanzmarkt- und der europäischen Staatsschuldenkrise
2008
Quelle: BMF
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
198
14.3 Entwicklung des Finanzierungssaldos und des Wirtschaftswachstums seit 1989
v.H. BIP
6
6
5
5
4
4
3
3
2
2
1
1
0
0
-1
1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013
-1
-2
-2
-3
-3
-4
-4
-5
-5
-6
-6
Finanzierungssaldo des Staats
BIP-Wachstumsrate
Quelle: BMF-Monatsbericht September 2014, 108 (Tab. 14) und Statistisches Bundesamt.
199
14.4 Entwicklung der Schuldenquoten von Frankreich, Großbritannien und Deutschland seit 1980
v.H. BIP
100
90
80
70
60
50
40
30
20
10
0
1980
1985
1990
Frankreich
1995
2000
Großbritannien
Quelle: BMF-Monatsbericht September 2014, 110 (Tab. 16).
2005
2010
2015
(Plan)
Deutschland
200
14.5 Entwicklung der Schuldenquoten der USA, Irland und Schweden seit 1980
v.H. BIP
120
100
80
60
40
20
0
1980
1985
1990
1995
USA
Irland
2000
2005
2010
2015
(Plan)
Schweden
Quelle: BMF-Monatsbericht September 2014, 110 (Tab. 16).
201
14.6 Entwicklung der Schuldenquoten von Japan, Italien, Belgien und Griechenland seit 1980
v.H. BIP
250
200
150
100
50
0
1980
1985
Japan
1990
Italien
1995
2000
Belgien
Quelle: BMF-Monatsbericht September 2014, 110 (Tab. 16).
2005
2010
2015
(Plan)
Griechenland
202
14.7 Ausgabenstrukturen des Bundeshaushalts von 2007
Übrige
Ausgaben
23%
Renten
29%
Verteidigung
10%
Zinsen
15%
2007
Soziales
9%
Arbeitsmarkt
14%
•
Zuschuss an Rentenversicherung als mit Abstand
größter Kostenblock
•
hohe Arbeitsmarktausgaben wegen struktureller
Arbeitslosigkeit
•
•
hoher Zinsanteil aufgrund hoher Verschuldung
relativ niedriger Anteil der Verteidigungsausgaben
(„Friedensdividende“)
203
14.8 Langfristig gebundene und politisch verfügbare Ausgaben im Bundeshaushalt 1970 - 2009
Politisch verfügbar
Schuldendienst
Sozialhilfe/ALG II
Zuschüsse zu den
Sozialversicherungen
Personal
Verteidigung
Kriegsfolgelasten
Quelle: Wolfgang Streeck, Daniel Mertens, Politik im Defizit: Austerität als fiskalpolitisches Regime,
in: MPIfG Discussion Paper 10/5 (2010), 17 (Abbildung 3).
204
14.9 Entwicklung des Primärsaldos des Bundeshaushalts seit 1969
Mrd. Euro
30
15
0
-15
1969
1975
1980
1985
1990
1995
2000
2005
2010
2015
(Plan)
Primärsaldo (Zinsen abzüglich Netto-Kreditaufnahme) des Bundeshaushalts
Quelle: BMF-Monatsbericht August 2013, 94f. (Tab. 5 und 6) und Entwurf Haushaltsgesetz 2015
(BT-Drucksache 17/2000), jeweils eigene Berechnungen.
205
14.10 Entwicklung finanzwirtschaftlicher Kennzahlen des Bundeshaushalts seit 1969
v.H.
20
17,5
15
12,5
10
7,5
5
2,5
0
1969
1975
1980
Zins-Steuer-Quote
1985
1990
1995
2000
Zins-Ausgaben-Quote
2005
2010
2015
(Plan)
Kreditfinanzierungsquote
Quelle: BMF-Monatsbericht August 2013, 94f. (Tab. 5 und 6) und Entwurf Haushaltsgesetz 2015
(BT-Drucksache 17/2000), jeweils eigene Berechnungen.
206
14.11 Umschichtung der Staatsfinanzierung von direkten zu indirekten Steuern seit 1989
v.H. des gesamten Steueraufkommens
60
58
56
54
52
50
48
46
44
42
Quelle: BMF-Monatsbericht September 2014, 101f. (Tab.10).
15
14
20
13
20
12
20
11
20
10
20
09
20
08
20
07
20
06
20
05
20
04
direkte Steuern
20
03
20
02
20
01
20
00
20
99
20
98
19
97
19
96
19
95
19
94
19
93
19
92
19
91
19
90
19
19
19
89
40
indirekte Steuern
207
14.12 Senkung der Einkommensteuer
%
60
50
40
Durchschnittssteuersatz 1975
30
Grenzsteuersatz 1975
20
Durchschnittssteuersatz 2008
10
Grenzsteuersatz 2008
Quelle: Peter Bofinger, Präsentation beim 5. Deutschen Kämmerertag.
127
120
113
106
99
92
85
78
71
64
57
50
43
36
29
22
15
8
1
0
Einkommen
In Tsd. Euro
208
14.13 Senkung der Unternehmensteuern
v.H.
25
20
15
10
5
0
1950
1955
1960
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
2005
2010
Anteil der Gewerbe- und Körperschaftsteuer am gesamten Steueraufkommen
209
14.14 Erhöhung der Mehrwertsteuer
210
14.15 Fiskalföderalismus in der Berliner Republik
100%
90%
80%
70%
60%
50%
40%
30%
20%
10%
0%
1970
1980
Bund
1990
Länder
Kommunen
2000
2010
Sonstige
•
•
Sonderförderung der neuen Bundesländer bis 2019
•
•
Weiterhin Konkordanzföderalismus
Keine wirkliche Entflechtung von Bundes- und Landesaufgaben im Zuge der Föderalismusreform
Verbot der Schuldenaufnahme der Länder ab 2020
211
14.16 Theo Waigel, Bundesfinanzminister 1989-1998
Ergebnisse während der Amtszeit
•
Finanzierung der deutschen Einheit
(über Kredite, Steuern und
Sozialabgaben)
•
•
•
Versuch einer großen Steuerreform 1998
Privatisierung Post und Telekom
Verhandlung über Euro und MaastrichtKriterien
212
14.17 Oskar Lafontaine, Bundesfinanzminister vom 27.10.1998 bis 18.03.1999
Ergebnisse während der Amtszeit
•
•
ökologische Steuerreform
•
•
Initiative zur Veränderung des Weltwährungssystems
„Der letzte Keynesianer“: Versuch einer keynesianischen
Finanzpolitik
Rücktritt wegen Differenzen mit dem Bundeskanzler
213
14.18 Hans Eichel, Bundesfinanzminister 1999-2005
Ergebnisse während der Amtszeit
•
•
•
•
•
•
Sparpolitik (insbesondere 1999/2000)
deutliche Senkung der Einkommensteuersätze in drei Stufen
Unternehmensteuerreform
Versuch einer Gemeindefinanzreform
Nettoneuverschuldung-Null als Ziel
Verletzung der Maastricht-Kriterien
214
14.19 Peer Steinbrück, Bundesfinanzminister 2005-2009
Ergebnisse während der Amtszeit
•
•
•
•
•
Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 %
•
Nettoneuverschuldung-Null in 2008 erstmals
seit fast vier Jahrzehnten fast erreicht
•
Konjunkturprogramme und Bankenrettung in
der Wirtschafts- und Finanzkrise
•
Massive Neuverschuldung in 2009
Kürzung von Steuersubventionen
Unternehmensteuerreform
Reform der Finanzverfassung
Verankerung einer Schuldenbremse ins
Grundgesetz
215
14.20 Wolfgang Schäuble, Bundesfinanzminister seit 2009
Ergebnisse während der Amtszeit
•
•
•
Schuldenkrise im Euro-Raum
Abwehr von Steuersenkungswünschen
Erster ausgeglichener Bundeshaushalts seit
1969
216
14.21 Erster ausgeglichener Bundeshaushalt seit 1969
217
14.22 Aus der Geschichte gelernt? Vergleich der Politik 1929/33 und heute
218
14.23 Political economy seit 1990
Verfassungspolitik/Sozialstaat
Harte Auseinandersetzungen zw. Regierung und Gewerkschaften
aufgrund Schröders Agenda 2010
Bund/Länder
Sonderproblem der
Integration der fünf
neuen Länder;
Weiterhin KonkordialFöderalismus
Politisierung des
Bundesrats
Finanzpolitik
als Instrument
der Machtpolitik
Parteipolitik
relative Instabilität im
Parteiensystem und wechselnde
Regierungen
Exekutive
Kanzleramt als Machtzentrum
Finanzministerium häufig relativ schwach
219
14.24 Quelle: Haushaltsstaatssekretär Manfred Overhaus im Jahr 2002
„Der generelle Verzicht auf eine öffentliche Neuverschuldung ist nicht nur ökonomisch,
sondern auch fiskalisch vernünftig: Die Kredite, die der Bund von 1972 bis 2002 aufgenommen
hat bzw. noch aufnimmt, reichen gerade aus, um die in diesem Zeitraum zu zahlenden Zinsen
zu bezahlen: (Summe der Kredite: 569 Mrd. Euro, Summe der Zinsen: 538 Mrd. Euro,
Differenz: 31 Mrd. Euro in 30 Jahren). Mit anderen Worten: Ohne die Neuverschuldung hätten
wir uns in etwa die gleichen Ausgaben – also auch Investitionen – leisten können, nur hätten
wir dann heute nicht die hohen Zinsverpflichtungen von rd. 20 v.H. unserer Steuereinnahmen.“
Haushaltsstaatssekretär Manfred Overhaus, Rede am 24.01.2002 an der Universität in Kiel
220
14.25 Weiterführende Literatur zur Finanzgeschichte seit 1990
• Maximilian Grasl, Markus König, Von außen getrieben. Die Finanzpolitik der Großen Koalition 2005-2009, in: Christoph
Egle, Reimut Zohlnhöfer (Hg.), Das zweite Große Koalition. Eine Bilanz der Regierung Merkel 2005-2009, Wiesbaden
2010, 205-233.
• Heinz Grossekettler, Die ersten fünf Jahre. Ein Rückblick auf die gesamtdeutsche Finanzpolitik der Jahre 1990 bis 1995, in:
Finanzarchiv N.F. 53 (1996), 194-303.
• Wolfgang Kitterer, Rechtfertigung und Risiken einer Finanzierung der deutschen Einheit durch Staatsverschuldung, in: KarlHeinrich Hansmeyer (Hg.), Finanzierungsprobleme der deutschen Einheit, Bd. 1, Berlin 1993, 39-76.
• Walther Otremba, Finanzpolitik 1989-1998 - die Dämme haben gehalten, in: Wirtschaftsdienst 79 (1999), 18-26.
• Wolfgang Renzsch, Die Finanzierung der deutschen Einheit und der finanzpolitische Reformstau, in: Wirtschaftsdienst 78
(1998), 348-356.
• Gerhard A. Ritter, Der Preis der deutschen Einheit. Die Wiedervereinigung und die Krise des Sozialstaats, München 2. Aufl.
2007.
• Wolfgang Streeck, Gekaufte Zeit. Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus, Berlin 2013.
• Roland Sturm, Die Wende im Stolperschritt. Eine finanzpolitische Bilanz, in: Göttrik Wewer (Hg.), Bilanz der Ära Kohl.
Christlich-liberale Politik in Deutschland 1982-1998, Opladen 1998, 183-200.
• Uwe Wagschal, Auf dem Weg zum Sanierungsfall? Die rot-grüne Finanzpolitik seit 2002, in: Christoph Egle, Reimut Zohlnhöfer (Hg.), Ende des rot-grünen Projekts: Eine Bilanz der Regierung Schröder 2002-2005, Wiesbaden 2007, 241-270.
• Florian Zinsmeister, Die Finanzierung der deutschen Einheit – Zum Umgang mit den Schuldlasten der Wiedervereinigung,
in: Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung 78 (2009), 146-160.
• Reimut Zohlnhöfer, Die große Steuerreform 1998/99: Ein Lehrstück für Politikentwicklung bei Parteienwettbewerb im
Bundestag, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 30 (1999), 326-345.
• Ders., Der lange Schatten der schönen Illusion: Finanzpolitik nach der deutschen Einheit, 1990-1998, in: Leviathan.
Zeitschrift für Sozialwissenschaft 28 (2000), 14-38.
• Ders., Rot-grüne Finanzpolitik zwischen traditioneller Sozialdemokratie und neuer Mitte, in: Christoph Egle, Tobias
Ostheim, Reimut Zohlnhöfer (Hg.), Das rot-grüne Projekt. Eine Bilanz der Regierung Schröder 1998-2002, Wiesbaden
2003, 193-214.
221
15. Checkliste zum Anfertigen einer Hausarbeit (I)
1.
Themenwahl: Welches Thema interessiert mich?
2.
Literaturrecherche und -beschaffung: Die Qualität der Hausarbeit hängt maßgeblich von der
benutzten Literatur ab! Literaturrecherche und -beschaffung erfordern relativ viel Zeit.
3.
Wissenschaftliche Belege: Prinzipiell muss jede (Kern-)Aussage über eine Fußnote belegt werden.
4.
Erkenntnisinteresse: Die Hausarbeit muss eine oder mehrere Fragestellungen (oder Thesen) haben.
Mittels der Fragestellung wird die Literaturfülle überblickt und die Hausarbeit gegliedert. Sie ist der rote
Faden der Arbeit.
5.
Gliederung: Je klarer die Gliederung ist, desto leichter schreibt und liest sich die Arbeit. Der rote Faden
sollte unbedingt zu erkennen sein!
6.
Einleitung: Die Einleitung sollte zuletzt geschrieben werden, damit sie zum Text passt. In ihr ist auf
jeden Fall die Fragestellung und der Aufbau der Arbeit zu beschreiben. Sie sollte nicht zu lang sein
(nicht mehr als eine Seite).
7.
Hauptteil: Im Hauptteil sollten nicht zu viele Details aufgezeigt werden. Die Gefahr besteht darin, zu
deskriptiv (beschreibend) und zu wenig analysierend zu arbeiten. Ein paar Eye-catcher (Graphiken,
Tabellen, ggf. Fotos) können auflockern.
222
15. Checkliste zum Anfertigen einer Hausarbeit (II)
8.
Schluss: Der Schluss beantwortet die Fragestellung(en) der Hausarbeit. Er besteht aus einer
(wertenden) Zusammenfassung und – wenn möglich – einem kurzen Ausblick. Der Schluss ist der
vielleicht wichtigste Teil der Hausarbeit und sollte daher auch in zeitlicher Hinsicht angemessen
bearbeitet werden.
9.
Literaturverzeichnis: Lieber mehr Literatur als zu wenig! Viele Lexika und Internetquellen sind übrigens
nicht zitierfähig.
10.
Stil: Einfach und verständlich ausdrücken. Nicht zu lange Sätze formulieren. Nicht zu viele Füllwörter
benutzen.
11.
Korrekturlesen: Am besten wird die Arbeit von einer anderen Person Korrektur gelesen. Rechtschreib-,
Grammatik- und Stilfehler können eine Arbeit ganz erheblich verschlechtern.
12.
Umfang: ca. 15 Seiten
13.
Ausführliche Hinweise (auch zur formalen Gestaltung): Manuel René Theisen, Wissenschaftliches
Arbeiten, 13. Aufl., München 2006. (Preis: 13,00 €)
223