Paragraphen 3 und 4

©Prof. Dr. Johannes Köndgen
Internationales Einheitskaufrecht und
Zahlungssicherung im Außenhandel
§§ 3/4: Vertragsschluss
Schwerpunktbereiche 5/8
WS 2014/15
Systematik und Grundbegriffe
Systematik
Rechtsgeschäftslehre ist primär in “Teil II Abschluss des Vertrages”
geregelt. Aber auch “Teil I Kapitel II Allgemeine Bestimmungen”
enthält in Art. 8, 9, 11, 13 allg Regeln über Rechtsgeschäfte
Grundbegriffe
Das CISG verwendet die Begriffe “(Kauf-)Vertrag”, “Angebot”
(Art. 14-17), “Annahme” (Art. 18-22), “Willenserklärung” (Art.
24) und “Erklärung” (Art. 8, 18 I). “Erklärung” (statement)
umfasst auch Wissenserklärungen und geschäftsähnliche
Handlungen (“Mitteilungen” Art. 27, Mängelanzeige Art. 38) sowie
jedes rechtsrelevante Verhalten.
Der Oberbegriff des Rechtsgeschäfts ist dem CISG unbekannt! (vgl
Art. 15 I u 18 II S. 1 mit § 130 I S. 1 BGB)
Formprobleme II
Sonderfall Einbeziehung von Schiedsvereinbarungen
Lit.: St/Magnus Einleitung Rz 14 ff; Art.11 Rz 7
Probleme:

Welches Sachrecht ist anwendbar?

Gilt die Formfreiheit gem. Art. 11?
The Interpretation of Contracts I (Art. 8 CISG)
Exkurs zum BGB: Verhältnis von § 133 zu § 157?
1. Frage: Was versucht der Interpret/Richter zu ermitteln / zu verstehen?
(= Erkenntnisobjekt)?
2. Frage: Wie versucht der Interpret zu ermitteln/zu verstehen
(= Methode des Verstehens)
Lösung des CISG:
Art. 8 (1):
Erkenntnisobjekt ist der (irgendwie zu Tage getretene)
“wirkliche” Wille des Erklärenden, jedoch nur soweit der
Adressat den wirklichen Willen kannte oder kennen musste
(Maßstab der “Intersubjektivität”)
Art. 8 (2):
Wenn der Adressat den “wirklichen” Willen nicht erkennt
(erkennen muss), dann ist der Verständnishorizont eines
(hypothetischen) “vernünftigen Adressaten” maßgeblich
(“objektive” Methodologie)
Beispiel: Erklärender meint “A”; Adressat versteht “B”; die “objektive”
Bedeutung ist “C”
Art. 8 (3):
beschreibt Indizien für den wirkl Willen (späteres Verhalten?)
NB: Die “plain meaning rule” des Common Law gilt nicht unter CISG!
The Interpretation of Contracts II:
Problemfälle u Kasuistik
Grundsatz nach CISG: Auslegung geht vor Anfechtung/
Willensmangel
• Konkludente WE
•Falsa demonstratio (“Haifischfleisch” – RGZ 99, 147)
•Geheimer Vorbehalt ~ § 116 BGB
•Unklarheitenregel (contra proferentem rule)
•Schweigen als (Annahme-)Erklärung  Art. 18 I 2; aber:
Rückfrageobliegenheit? Kfm Bestätiggsschreiben, s.u. § 4
•Einbeziehung von AGB (s. dazu noch später, § 4)
•Sprachrisiko (dazu OLG Hamm CISG-Online Nr 1221 [2005];
IPrax 1991, 324; IPrax 1996, 184); BGH IPrax 1991, 326)
Siehe folg Folie!
Sonderfall: „Sprachrisiko“
OLG Hamm CISG Online Nr. 1221 (2005)
In einer ständigen Geschäftsbeziehung zwischen Karl aus München und
René aus Lyon besteht Streit über die Geltung einer in den AGB des A
enthaltenen Gerichtsstandsvereinbarung betr. einen dem CISG
unterfallenden Kaufvertrag..
Sämtliche bisherige Rechnungen des K waren (da R des Deutschen nicht
mächtig ist) in französischer Sprache abgefasst. Auf der Rückseite der
Rechnungen findet sich in Deutsch und Englisch der Hinweis: “Es gelten
nur die Ihnen bekannten Geschäfts- und Lieferbedingungen.” In diesen
AGB heißt es: “Sofern der Käufer Vollkaufmann ist, ist unser Geschäftssitz
Gerichtsstand.”
Sind die AGB wirksam einbezogen? (Beachte hier auch Art. 9!)
Abwandlung: Wie, wenn die Vertrags-/Verhandlungssprache Englisch ist,
und K in Englisch u Spanisch auf die Geltung seiner in deutscher Sprache
angehefteten AGB verweist? Vgl OLG Hamm Iprax 1991, 324
Abwandlung 2: Wie, wenn R nach Erhalt des Bestellschreibens mit
fremdsprachigem AGB-Hinweis das Angebot ohne Vorbehalt annimmt?
Handelsbräuche (usage) u „Gepflogenheiten“ (practice)
Art. 9 CISG
Geltungsgrund: Abs. 1: priv’auton Grdl (“Emergenz”)
Abs. 2: “normative” Grdl
a)
Handelsbräuche
Geltung muss grundsätzlich vereinbart sein (Abs. 1),
es sei denn,
es handelt sich um einen international geltenden u bekannten HB
(Abs. 2) (= “normative” Bräuche); hier Einbeziehung durch (nicht
anfechtbares!) “normiertes Schweigen”
“international geltend”: nicht weltweit, aber mindestens in 2 Staaten
(dann aber regelmäßig Kennen oder Kennen-müssen problematisch)
b)
(bilaterale) “Gepflogenheiten”
= “Geschäftsverbindungsbräuche”, die sich, auch ohne
Vereinbarung, “eingelebt” haben (Abs. 1).
Notwendige Dauer: keine “harten” Kriterien, aber mindestens
zweimaliger vorausgehender vertraglicher Kontakt (str)
Handelsbräuche (usage) u „Gepflogenheiten“ (practice)
Art. 9 CISG (Forts.)
b)
“Gepflogenheiten”
Beispiele:
• Annahme durch Schweigen (abw von Art. 18 I 2)
• Einbez Allg Geschäftsbed
• Länge der Rügefrist
• Cash discounts bei sofortiger Zahlung
• Zahlung auf ein bestimmtes Bankkonto
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Internationales Einheitskaufrecht und
Zahlungssicherung im Außenhandel
§ 4: Vertragsschluss II: Besondere Regeln
Schwerpunktbereiche 5/8
WS 2014/15
Übersicht
1.
Sachliche Reichweite der Art. 14 ff:
Fehlt: Form (s. Art. 11); Einbez. von AGB
2.
Systematik: Sequenz von Angebot und Annahme, Art. 23
 Gesetzeslücke für den „verhandelten Vertrag“?
3.
Angebot
a) Definition Art. 14 I, insbes. Bestimmtheitsgrundsatz;
vgl auch Art. 65 (Spezifikationskauf) (dazu noch folg.
Folie); „requirement contracts“ ~ § 315 BGB
b) Angebot ad incertas personas und invitatio ad
offerendum, Art. 14 II (vgl noch folg. Folie)
c) Subjektiver Tatbestand?
Angebot I (obj. TB): Bestimmtheitsgrundsatz, Art. 14 I u II
Normenkonflikt zwischen Art. 14 I u Art. 55? Hat Art. 55 ein
Gegenstück im dtsch Recht?
• Bsp (nach Honnold Rz 137.4): Dringende Notbestellung eines
Ersatzteils bei einem Monopolisten, dessen Katalogpreise
Käufer nicht kennt
Liegt in folgenden Fällen Bestimmtheit vor?
•
“Letter of intent” u “memorandum of understanding”
•
“3 Wagenladungen Eier” (LG Oldenb 1996)
•
“der am Liefertag gültige Listenpreis” (Tagespreisklausel)
•
Preisbestimmung ohne Währungsangabe? [Lösungshinw: Art. 8 II]
•
“Größere Menge Chinchilla-Felle bei Preisrahmen zwischen 35 und
65 € für Felle mittlerer bis besserer Qualität” (östOGH 1994, mit
Bespr.-Aufsatz Roth/Kunz, RIW 1997, 17)
Bestimmtheitsgrundsatz, Art. 14 I u II (Forts.)
Liegt in folgenden Fällen Bestimmtheit vor?
•
Offerte ad incertas personas  Art. 14 II
 Unterschied zum BGB? Vgl Brox/Walker, BGB AT Rz 165a
einerseits, Carlill v. Carbolic Smoke Ball Co. (1893) 1 Q.B. 256
Bsp: 500 Kataloge an individuelle Adressaten verschickt: Abs. 1
oder 2? Vgl Honnold Rz 136
Zeitungsanzeige: “Sonderangebot für unsere Stammkunden”
Aber: keine Rspr! Warum?
Angebot II (subj. TB)
Willens- oder Erklärungstheorie?
Normenkonflikt zwischen Art. 14 I (Erklärungstheorie) und
Art. 8 I (Willenstheorie)?
Keine Rechtspr! (warum?)
Angebot II: Zugang als Wirksamkeitsbedingung
Art. 15 I iVm Art. 24  keine erschöpfende Legaldefinition.
Was bedeutet “Zustellung”?
laut UNCITRAL Digest auch keine einschläg Rspr.!
Liegt in folgendem Fall Zugang vor?
Verkäufer V/Käufer K hat sein Geschäftslokal verlegt, ohne die
Sitzverlegung mitzuteilen bzw. ohne einen Nachsendungsantrag zu
stellen.
Angebot II: Rücknahme vs. Widerruf
Unterscheide:
Rücknahme (withdrawal) = Beseitigung eines noch nicht zugegangenen Angebots,
(Art. 15 II, entspricht dem “Widerruf” gem. § 130 I 2 BGB); entsprechende Regelung
für Annahme in Art. 22
Widerruf (revocation) = Beseitigung des nach Art. 15 I bereits wirksam
gewordenen (aber nicht verbindlichen!) Angebots (Art. 16 I, ohne Gegenstück im
BGB; Vorbild Common Law?). Nur ausgeschlossen, wenn Offerte ausdrückl
unwiderruflich gestellt ist (16 II a).
Beachte: Angebotsempf kann dem Widerruf bereits durch Absendung der
Annahmeerklärung zuvorkommen (“mailbox rule”, Art. 16 I a.E.)
Sonderregel Art. 16 II b: Übernahme des US-Prinzips “promissory estoppel” (§ 90
Rest. 2d Contr.), allerdings mit weitergehender Rechtsfolge (Unwiderruflichkeit statt
Schadensersatz). Ansonsten Widerruf nicht haftungsbewehrt!
Frage: Verdrängt 16 II b deutsche Regeln über c.i.c.?
Keine einschläg Rspr.!
Erlöschen: durch einfache Ablehnung: Art. 17 ~ § 146 BGB, oder Zeitablauf, Art.
18 II 2
Annahme
Art. 18 I:

Auch konkludent, aber grds nicht durch Schweigen möglich;
Ausnahmen: konkludentes (“beredtes”) Schweigen;
Handels- u GeschäftsverbBräuche nach Art. 9 (s. bereits
oben, § 3); lies OLG Thüringen IHR 2011, 79
Bsp: Verk schreibt an K: “Biete Ihnen 3 t Sulfat für 200,-/t.
Dies ist ein derart einmaliges Angebot, dass ich von Ihrer
Annahme ausgehe, wenn Sie sich innerhalb von 8 Tagen
nicht melden:”

18 III: Annahme ohne Zugang durch bloßes
“Willensgeschäft” entspr § 151; vgl OLG Schlesw 2002,
CISG-Online Nr 717
Annahmefrist

Zugang u Rechtzeitigkeit, Art. 18 II, Art. 20, 21 (vorverlegter
Fristbeginn!); vgl OLG Dresden IHR 2011, 142 (Email-Angebot)
Annahmefristen: wie § 147 BGB, aber präziser (3 Teilfristen)

Konkludente Annahme, Art. 18 III, auch ohne Zugang

Modifizierende Annahme, Art. 19  entspricht § 150 II BGB;
aber “unwesentl” Abweichung kann durch Schweigen
angenommen werden (19 II/III)

Verspätete Annahme: Art. 21. Abs. 1 ~ § 150 I BGB (?); Abs. 2
~ § 149 BGB

Rücknahme: Art. 22 - entspricht Art. 15 II
Vertragsschluss auf der Basis Allgemeiner
Geschäftsbedingungen
Unterscheide:
• Einbeziehung
• Inhaltskontrolle
Frage jeweils: interne oder externe Lücke?
Vertragsschluss auf der Basis Allgemeiner
Geschäftsbedingungen
Einbeziehung:
•
Beachte Art. 8, 18 I 2; OLG Düss IHR 2012,237 Wirksamk einer Gerichtsstandvereinb in KaufV;
BGHZ 149, 113 (folg. Folie)
•
Erleichterte Einbez mögl über Art. 9 I (zB bei AGB
auf Lieferschein)
Beisp 1: Standardisierter Hinweis auf geänderte AGB (“please
find enclosed an example of our renewed standard business
conditions – replace all previous ones”); NL. Beachte Art. 29
Beisp 2: Hinweis auf AGB in Lieferbestätigung 10 Monate
nach V’schluss (OLG Thüringen IHR 2011, 79, 80)
Einbeziehung Allgemeiner Geschäftsbedingungen
Fall des Tages I: BGHZ 149, 113 Erkundigungsobliegenheit”?
Verkäufer V aus Frankfurt verkauft dem Unternehmer K (Barcelona)
„unter Zugrundelegung meiner Verkaufs- u Lieferbedingungen“ eine
gebrauchte Walzfräsmaschine zu 130.000 €. Die AGB des V, die den
Verkauf „ohne jegliche Gewähr für anhaftende Mängel“ vorsehen, waren
der Auftragsbestätigung nicht beigefügt.
Erst einige Monate nach Lieferung gelingt es dem K, die Maschine in
Betrieb zu nehmen. Gegenüber der Klage des K auf Ersatz seines
Verdienstausfalls beruft V sich auf den Gewährleistungsausschluss in
seinen Lieferbedingungen.
(Bestätigt in OLG Thüringen IHR 2011, 79; aM ÖstOGH CISG-Onl 224)
Frage: Ausnahme für Internet-Auktionen? Vgl Schmidt-K IHR 08,178
Einbeziehung Allgemeiner Geschäftsbedingungen II
- Überraschende Klauseln?
Vgl LG Landshut, Uncitral Digest Art. 8 bei Fn 80
- Individualabreden?
Einbeziehung Allgemeiner Geschäftsbedingungen III
Fall des Tages II: BGH NJW 2002, 1651 “Battle of the forms”
Käufer K aus Amsterdam kauft beim Hersteller V (Frankfurt) für 15.000
2,5 t Milchpulver zum Weiterverkauf nach Algerien. Die von V eingeführten AGB enthielten neben einer Abwehrklausel hinsichtl der Mängelrüge die Klausel:
Der Abnehmer hat uns die beanstandete Ware oder Proben hiervon in ausreichender Menge
zur Verfügung zu stellen, andernfalls kann der Abnehmer keine Gewährleistungsansprüche
gegen uns geltend machen.
Die von K eingeführten AGB enthielten eine Haftungsobergrenze für
Schadensersatz wegen mangelhafter Lieferung in Höhe des Rechnungsbetrags der Lieferung. („Eigentor“ I)
Die nach Algerien gelieferte Menge war von ranzigem Geschmack . K
verlangt daher Ersatz seines Schadens von 18.000. V beruft sich auf die
Haftungsbegrenzung in den AGB von K („Eigentor II“).
Lösungshinweis: Art. 19 II („last shot approach“)? 19 III: Fiktion oder Vermutung?
Literatur: Schmidt-Kessel, IHR 2008, 177 ff
Vertragsschluss durch Kaufmännisches
Bestätigungsschreiben (commercial letter of confirmation)
Lösungsmöglichkeiten:
Externe Lücke? (NL)
Art. 19 II? (Kramer, FS Welser)
Problem: Nach deutscher Doktrin (ebenso A, CH) muss (mündl) Vertr
vor Absendung des BSchr bereits perfekt sein! Art. 19 II regelt nur die
“modifizierte Auftragsbestätigung”
Internationaler oder bilateraler Handelsbrauch nach Art. 9 II?
Vgl (in casu abl.) OLG Dresden IHR 2011, 142 (Deutschl/Dänemark
– “Dessous-Handel”)
Vgl zum Ganzen UNCITRAL-Digest Art. 9 Tz. 17