Kein Folientitel - Heinrich Detering

Der Islam in der deutschen Literatur 3:
Voltaire, Lessing, Goethe
Heinrich Detering, WS 2015/16
Der Islam in der
deutschen Literatur
Kreuzzugslieder, Kreuzzugs-Epen,
Heldenepos (chanson de geste)
und Artusroman
– und Wolframs von Eschenbach
Willehalm: Religionsgespräche,
Feindesliebe und Familien,
mitten im Religionskrieg.
Friedrich II. von Hohenstaufen
(1194-1250),
Kaiser des Heiligen Römischen
Reiches deutscher Nation,
1225 „König von Jerusalem“
Reisebeschreibungen islamischer Länder:
Adam Olearius, Vermehrte Newe
Beschreibung der Muscowitischen und
Persischen Reyse. Schleswig 1656.
Engelbert Kämpfer, Amoenitates exoticae,
Lemgo 1712.
Carsten Niebuhr, Reisebeschreibung
nach Arabien und andern umliegenden
Ländern. Kopenhagen 1774–1778.
Orientalistik und Religionswissenschaften:
← Johann David Michaelis (1717-1791)
Orientalische und exegetische Bibliothek
(23 Bände, Göttingen 1781–1785).
Joh. Gottfr. Eichhorn (1752-1827) →
Repertorium für biblische und
morgenländische Literatur
(18 Bände, Göttingen 1777-1786).
Christian Wilhelm (von) Dohm
(1751-1820)
Moses Mendelssohn: Dohm, „der philosophische
Staatskundige“,
neben Lessing als „dem philosophischen Dichter“.
Schriften zu Theorie, Geschichte und Praxis
aufgeklärter Toleranz.
(Göttinger Ausgabe ist im Entstehen.)
Christian Wilhelm Dohm
• Neuausgabe der Reisebeschreibung Engelbert
Kämpfers (1777).
• Probe einer kurzen Charakteristick einiger der
berühmtesten Völker Asiens (1774).
• Die bürgerliche Verbesserung der Juden
(1781/83).
Der junge Türke fährt bey dem Namen Christ
eben so schauderhaft zusammen, wie der Christenknabe, wenn er von
Türken erzählen hört.*
So hassen und fürchten sich die Völker, weil sie sich
nicht kennen. …
* Siehe Hr. Niebuhrs Beschreibung von Arabien.
Grundlinien der Rezeption von Islam (und Koran)
in den aufgeklärten Literaturen Westeuropas
ausgrenzende Linie
Voltaire
Mohammed im Zentrum
Islam als expansive politische Macht
Religion als Instrument
Staat als Selbstzweck
Aberglaube
politischer Personenkult
exemplarisch für alle Religion
„Écrasez l‘infâme“
Aufgabe: Ausgrenzung
integrative Linie
Lessing, dann Goethe
Koran im Zentrum
Islam als Religion
Politik als Instrument
Staat als sittl. Praxis
Aufklärung
prophetische Inspiration
Anregung für eigene Rel.
„nur recht wissen“ (Dohm)
Aufgabe: Integration
Voltaire an Friedrich II. von Preußen,
Dezember 1740:
Voltaire
(1694-1778)
écrasez l‘infâme
…dass ein Kamelhändler in seinem Nest Aufruhr
entfacht, dass er seine Mitbürger glauben machen
will, er habe sich mit dem Erzengel Gabriel
unterhalten, dass er damit prahlt, in den Himmel
entrückt worden zu sein und dort einen Teil jenes
unverständlichen Buches empfangen zu haben, das
mit jeder Seite den gesunden Menschenverstand
zittern lässt, dass er, um diesem Werk Respekt zu
verschaffen, sein Vaterland mit Krieg überzieht …:
das ist nun zweifellos etwas, das kein Mensch
entschuldigen kann, … dem der Aberglaube nicht
gerade das natürliche Licht des Verstandes
verfinstert hat.
(Übs. in Albert Meier: Voltaires und Goethes
Mahomet 2008, greifbar im Internet)
Le fanatisme ou
Mahomet le
prophète.
Tragédie
par M. de Voltaire.
Autorisierte
Erstausgabe
Amsterdam 1743,
mit Voltaires
eigenhändigen
Korrekturen.
1741 Uraufführung in Lyon, 1742 in Paris, danach verboten, 1745 Papst
Benedikt XIV. gewidmet, 1751 Wiederzulassung: gegen den Islam,
gegen die katholische Kirche, gegen Protestantenverfolgungen, gegen
den „religiösen Fanatismus“ überhaupt. 5 Akte, in Alexandrinerversen.
Personen: Zopire (Sopir), Priester des alten polytheistischen Kults.
Seine (bis zum Schluss unerkannten) Kinder Seïde und Palmire.
Mahomet und seine Schergen.
Ort und Zeit: Mekka, nach Mahomets Verstoßung und der Hedschra,
von Mahomet belagert.
Handlungsmotivationen: Zopire verteidigt seinen Glauben, die Freiheit
der ‚Stadtrepublik‘ Mekka, seine Familie, hasst Mahomet.
Seïde / Palmire verehren Mahomet, lieben einander – nach Aufdeckung
der Familienbeziehungen lieben sie den Vater und hassen Mahomet.
Mahomet heuchelt religiösen Eifer, ist egoman, hasst alle anderen außer
dem begehrten Mädchen, erstrebt Macht und Sex.
Phanor [Senator] zu Sopir [Scherif von Mekka]:
Wenn du denselben Mahomet vor Zeiten,
Durch der Gesetze Kraft, darnieder hieltest,
Und eines Bürgerkrieges furchtbarn Brand,
In seinen ersten Funken, weise tilgtest,
Da war er noch ein Bürger und erschien
Als Schwärmer, Ordnungsstörer, Aufruhrstifter;
Heut ist er Fürst, er triumphiert, er herrscht.
Aus Mekka mußt‘ er als Betrüger flüchten,
Medina nahm ihn als Propheten auf,
Ja, dreißig Nationen beten ihn
Und die Verbrechen an, die wir verwünschen.
Was sag‘ ich! Selbst in diesen Mauern schleicht
Der Gift des Wahnes. …
Zwar sind mit dir die echten Bürger eins;
Doch ihre Zahl ist kleiner als du denkst. …
Sopir: Mit dem Verräter Frieden! o du feiges Volk! …
Nein! nein! der Haß glüht ewig zwischen uns …
1. Akt: Mahomet als Schreckensgott,
seine Anhänger treibt falscher Heuchelwahn.
Sopir: Ach! in des Aberglaubens festen Banden
Verliert dein schönes Herz die Menschlichkeit. …
So schuldig war noch niemals ein Tyrann.
2. Akt:
Mahomet
zu den „unüberwindliche[n] Gefährten meiner Macht“:
Gehorch‘ ich meinem Gott, gehorchet mir! ..
Das Vorurteil beherrscht den Pöbel …
Laß uns der Erde Wahn getrost benutzen;
Ich fühle mich zu ihrem Herrn bestimmt.
…die [erotische] Liebe … ist mein Lohn, der Arbeit einzger Zweck,
Der Götze, dem ich räuchre, ja! mein Gott!
Und diese Leidenschaft, sie gleicht der Raserei
Der Ehrsucht, die mich über alles hebt. …
Sopir: Du Inbegriff von Lügen und von Kühnheit!
Mahomet: Das Schwert, der Koran, in der blutgen Hand…,
Ich fühle mich so groß, daß ich dir nicht
Zu heucheln brauche: … Mich treibt die Ehrsucht …
Die Welt versunken, Persien in Blut,
Schwach Indien, in Sklaverei Ägypten
Erniedrigt, und den Glanz der Mauern Constantins
Verfinstert; sieh das Reich, dem Rom gebot,
Nach allen Seiten aus einander brechen, …
Auf diese Trümmer einer Welt laß uns
Arabien erheben. Neuen Gottesdienst
Bedürfen sie, bedürfen neue Hülfe,
Die Tiefgesunknen, einen neuen Gott. …
Die falschen Götter stürz‘ ich, neuer Gottesdienst,
Die erste Stufe meiner neuen Größe, lockt
Die Herzen an. … und ein Altar,
Dem neuen Gott errichtet, soll sogleich,
Von unerhörten Opfern gräßlich, bluten. …
Mein Vorteil wills, mein Haß und meine Liebe.
Mahomet (zu Palmire): Und könntest du
Gefühle nähren, die ich nicht gebot? …
Palmire: [Wir] nannten Liebe nun was wir empfanden.
Wir dankten Gott; denn es ist doch sein Werk.
Du sagst es ja, die guten Triebe kommen
Von ihm allein, und was in unsrer Brust
Er Gutes schafft, ist ewig, wie er selbst.
Sein Wille wechselt nie. Nein! er verwirft
Die Liebe nicht, die aus ihm selbst entsprang. …
Mahomet: Kindersinn … Verruchte Brut! … Zum Vatermord
Druckt‘ ich den schärfsten Stahl in seine Hand …
Mit eines Ungerechten Blut bespritzt,
Gehst du ins ewge Leben herrlich ein.
Familie: Sopir (über Seïde): Wie! ist es möglich, daß mich ein Soldat,
Des Ungeheuers Sklave, der sich selbst
Mit Abscheu von mir wendet, mich gewinnen,
Mein Herz gewaltig zu sich reißen kann? …
Welch ein Gefühl für ihn durchzittert mich?
4. Akt:
Mahomet als Ungläubiger, Unmensch, Teufel
Mahomet: Willkommen, Finsternis! willkommen, Blut!
Der Leichen, der Lebendgen starre Blässe! …
Natur und Tod vernehmen meine Stimme.
Der Tod, der mir gehorcht, beschützte mich …
Palmire: An Gottes Statt wird er verehrt von allen,
Das weiß ich. Zweifel ist schon Lästerung.
Seïde: Ach! welch ein andrer Gott hielt mich zurück?
… Gelinde kräftig
Sprach an mein innres Herz die Menschlichkeit.
Nach dem Vatermord: der Tausch der Rollen und Reden:
Seïde: Religion und Dankbarkeit, das Höchste,
Was Menschen nur ehrwürdig scheinen kann,
Hat mich zu dieser Greueltat geleitet. …
Sopir [!]: Und du Undankbarer ermordest mich? …
Erhaltet euch, indem ihr Rache fordert.
5. Akt: Palmire: Der Schleier ist zerrissen, Rache naht. …
Auf! Mekka! Auf! Medina! Asien
Bewaffne dich …
Die Hölle, dieser Ort der Wut, des Jammers,
Für dich bereitet, schlinge dich hinab!
Palmire: Ich sterbe. Fort!
Dich nicht zu sehen ist das größte Glück.
Die Welt ist für Tyrannen; lebe du!
1752 u. a. Übersetzungen kleinerer Schriften
Voltaires
1755 Miss Sara Sampson
1764 (1767 gedruckt) Minna v. Barnhelm
1772 Emilia Galotti
1777-78 im Streit mit Hauptpastor Johann
Melchior Goeze, Hamburg
1779 Nathan der Weise (seit den 50er Jahren)
1780 Die Erziehung des Menschengeschlechts
Gotthold Ephraim Lessing
(Pfarrersohn aus Kamenz, Sachsen 1729 – Braunschweig 1781)
Bibliothekar in Wolfenbüttel
„Liebhaber der Theologie“
Das Nathan-Drama als letzter Beitrag zu Debatte mit Pastor J. M. Goeze.
1779 Nathan der Weise
• aus der Beschäftigung mit christlicher
und islamischer Theologie und mit
Moses Mendelssohns Haskala als einer
jüdischen (Selbst-) Aufklärung (dazu
Gerhard Lauer),
• Mendelssohn als Vorbild:
• Kreuzzugs-Ideologie(n) und Bild der
Menschheitsfamilie (wie in Wolframs
von Eschenbach Willehalm),
• die Ringparabel (nach Boccaccio) als
Erläuterung und selbstreflexive
Exemplifizierung einer aufgeklärten
Diskursethik (Habermas).
Saladin
(Salah ad-Din Yusuf ibn Ayyub,
arabisch ‫صالح الدين يوسف بن أيوب‬
kurdisch ‫)سەالحەدينی ئەييووبی‬,
erobert Jerusalem 1187.
Klosterbruder: „Doch bliebe, – meint / Der Patriarch,
– noch immer Saladin / Ein Feind der Christenheit“
2. Akt, Saladin (spielt Schach mit Sittah):
… ich / War nicht so ganz beim Spiele; war zerstreut.
Und dann: wer gibt uns denn die glatten Steine
Beständig? die an nichts erinnern, nichts
Bezeichnen.
Sittah:
Du kennst die Christen nicht, willst sie nicht kennen.
Ihr Stolz ist: Christen sein; nicht Menschen. Denn
Selbst das, was, noch von ihrem Stifter her,
Mit Menschlichkeit den Aberglauben würzt,
Das lieben sie, nicht weil es menschlich ist:
Weil‘s Christus lehrt; weil‘s Christus hat getan. –
Wohl ihnen, daß er so ein guter Mensch
Noch war! … – Doch
Was Tugend? – Seine Tugend nicht; sein Name
Soll überall verbreitet werden… Um den Namen, um den Namen
Ist ihnen nur zu tun.
Sittah: „Als wär‘ von Christen nur, als Christen,
Die Liebe zu gewärtigen, womit
Der Schöpfer Mann und Männin ausgestattet!“
Saladin: „Die Christen glauben mehr Armseligkeiten,
Als daß sie die nicht auch noch glauben könnten! –
Und gleichwohl irrst du dich. – Die Tempelherren,
Die Christen nicht, sind schuld: sind nicht als Christen,
Als Tempelherren schuld.“
„Ein Kleid, Ein Schwert, Ein Pferd, – und Einen Gott!
Was brauch‘ ich mehr?“
3. Akt, Mitte: Offenbarungsreligionen und Humanität
Tempelherr zu Nathan:
Tadel Seines [des jüdischen Volkes] Stolzes;
Den es auf Christ und Muselmann vererbte,
Nur sein Gott sei der rechte Gott! – Ihr stutzt,
Daß ich, ein Christ, ein Tempelherr, so rede?
Wenn hat, und wo die fromme Raserei,
Den bessern Gott zu haben, diesen bessern
Der ganzen Welt als besten auf zudringen,
In ihrer schwärzesten Gestalt sich mehr
Gezeigt, als hier, als itzt? …
Nathan: Wir müssen, müssen Freunde sein! – Verachtet
Mein Volk so sehr Ihr wollt. Wir haben beide
Uns unser Volk nicht auserlesen. Sind
Wir unser Volk? Was heißt denn Volk?
Sind Christ und Jude eher Christ und Jude,
Als Mensch? Ah! wenn ich einen mehr in Euch
Gefunden hätte, dem es gnügt, ein Mensch / Zu heißen!
Recha (zu Daja):
Du hast doch wahrlich deine sonderbaren
Begriffe! ‚Sein, sein Gott! für den er kämpft!‘
Wem eignet Gott? was ist das für ein Gott,
Der einem Mensche eignet? der für sich
Muß kämpfen lassen? –
Saladin (zu Nathan):
Ich heische deinen Unterricht in ganz
Was anderm; ganz was anderm. – Da du nun
So weise bist: so sage mir doch einmal –
Was für ein Glaube, was für ein Gesetz
Hat dir am meisten eingeleuchtet?
Nathan:
Sultan,
Ich bin ein Jud‘.
Saladin:
Und ich ein Muselman.
Der Christ ist zwischen uns. – Von diesen drei
Religionen kann doch eine nur
Die wahre sein. –
Nathan: … Nicht die Kinder bloß, speist man
Mit Märchen ab. – …
Vor grauen Jahren lebt‘ ein Mann in Osten,
Der einen Ring von unschätzbarem Wert
Aus lieber Hand besaß. Der Stein
… hatte die geheime Kraft, vor Gott
Und Menschen angenehm zu machen, wer
In dieser Zuversicht ihn trug. Was Wunder,
Daß ihn der Mann in Osten darum nie
Vom Finger ließ; und die Verfügung traf,
Auf ewig ihn bei seinem Hause zu
Erhalten? Nämlich so. Er ließ den Ring
Von seinen Söhnen dem geliebtesten;
Und setzte fest, daß dieser wiederum
Den Ring von seinen Söhnen dem vermache,
Der ihm der liebste sei ... –
Versteh mich, Sultan.
Saladin:
Ich versteh dich. Weiter!
Nathan: So kam nun dieser Ring, von Sohn zu Sohn,
Auf einen Vater endlich von drei Söhnen;
Die alle drei ihm gleich gehorsam waren,
Die alle drei er folglich gleich zu lieben
Sich nicht entbrechen konnte. …
Das ging nun so, solang es ging. – Allein
Es kam zum Sterben, und der gute Vater
Kömmt in Verlegenheit. Es schmerzt ihn, zwei
Von seinen Söhnen, die sich auf sein Wort
Verlassen, so zu kränken. – Was zu tun? –
Er sendet in geheim zu einem Künstler,
Bei dem er, nach dem Muster seines Ringes,
Zwei andere bestellt, und weder Kosten
Noch Mühe sparen heißt, sie jenem gleich,
Vollkommen gleich zu machen. … Froh und freudig ruft
Er seine Söhne, jeden insbesondre;
Gibt jedem insbesondre seinen Segen, –
Und seinen Ring, – und stirbt. – Du hörst doch, Sultan?
Saladin (der sich betroffen von ihm gewandt):
Ich hör, ich höre! – Komm mit deinem Märchen
Nur bald zu Ende. – Wird's?
Nathan:
Ich bin zu Ende.
Denn was noch folgt, versteht sich ja von selbst. –
Kaum war der Vater tot, so kömmt ein jeder
Mit seinem Ring, und jeder will der Fürst
Des Hauses sein. Man untersucht, man zankt,
Man klagt. Umsonst; der rechte Ring war nicht
Erweislich; – (nach einer Pause, in welcher er des Sultans Antwort
erwartet) Fast so unerweislich, als
Uns itzt – der rechte Glaube.
Saladin:
Wie? das soll
Die Antwort sein auf meine Frage? ...
Nathan:
Soll / Mich bloß entschuldigen, wenn ich die Ringe
Mir nicht getrau zu unterscheiden, die
Der Vater in der Absicht machen ließ,
Damit sie nicht zu unterscheiden wären.
Nathan: Der Richter sprach: … Ich höre ja, der rechte Ring
Besitzt die Wunderkraft beliebt zu machen;
Vor Gott und Menschen angenehm. Das muß
Entscheiden! Denn die falschen Ringe werden
Doch das nicht können! – Nun; wen lieben zwei
Von Euch am meisten? – Macht, sagt an! Ihr schweigt?
Die Ringe wirken nur zurück? und nicht
Nach außen? Jeder liebt sich selber nur
Am meisten? – Oh, so seid ihr alle drei
Betrogene Betrüger! … – Mein Rat ist aber der: … Hat von
Euch jeder seinen Ring von seinem Vater:
So glaube jeder sicher seinen Ring
Den echten. – Möglich; daß der Vater nun
Die Tyrannei des einen Rings nicht länger
In seinem Hause dulden willen! – … Wohlan!
Es eifre jeder seiner unbestochnen
Von Vorurteilen freien Liebe nach!
Es strebe von euch jeder um die Wette,
Die Kraft des Steins in seinem Ring‘ an Tag / Zu legen!
Tempelherr: …ich seh nun wohl,
Religion ist auch Partei …
Der Patriarch: Tut nichts! der Jude wird verbrannt.
Saladin: Ich habe nie verlangt,
Daß allen Bäumen Eine Rinde wachse.
Tempelherr: Sonst wärst du wohl auch schwerlich, der du bist:
Der Held, der lieber Gottes Gärtner wäre.
Der Patriarch zum Tempelherrn:
…ist der vorgetragne Fall nur so
Ein Spiel des Witzes: so verlohnt es sich
Der Mühe nicht, im Ernst ihn durchzudenken.
Ich will den Herrn damit auf das Theater
Verwiesen haben, wo dergleichen pro
Et contra sich mit vielem Beifall könnte
Behandeln lassen.
Religion auf Lessings Theater:
Symmetrie – und Linearität
1. Akt: religiöser Weltbürgerkrieg in Jerusalem
2. Akt: Saladins aufgeklärter Islam – als dritte
monotheistische Offenbarungsreligion
3. Akt: Nathans Ringparabel über
Offenbarungsreligionen
und Sittlichkeit als Vernunftwahrheit
4. Akt: das korrumpiert-unaufgeklärte Christentum des
Patriarchen vs.
Saladins zur sittlichen (und pluralistisch-dialogischen)
Vernunftreligion geläuterten Islam
5. Akt: religiös-humane Weltversöhnung,
die interreligiöse Menschheitsfamilie
Lessings vs. Voltaires
Familie:
Verwandtschaften des Blutes
und der liebenden Wahl
Ruth Klüger, Katastrophen (1994):
„Das letzte Tableau mit seinen allseitigen Umarmungen .. ist nicht Utopia,
nur ein Moment des Glücks für ein
paar Privilegierte während eines provisorischen Waffenstillstands.“