Platz da! - Archithese

Platz da!
Das Unmögliche ermöglichen – Strategien für die Planung von Zürich
Um die Zersiedelung zu stoppen, hat der Kanton Zürich beschlossen, das erwartete Bevölkerungswachstum vorrangig in den urbanen und periurbanen Gebieten zu organisieren. Die daraus resultierende Aufgabenstellung ist kurz, aber knackig: In der Stadt Zürich ist bis zum Jahr 2040 Raum für
80 000 neue Einwohner zu schaffen. Zürich wird also urbaner – mit allen Vor-, aber auch Nachteilen.
Weil keine weiteren Einzonungen mehr möglich sind, ergibt sich daraus zwangsläufig eine höhere
Dichte. Wie kann der Wirtschaftsstandort attraktiv bleiben, wie verhindert werden, dass die
Mieten weiter steigen, und wie gewährleistet werden, dass die Lebensqualität in den Quartieren zu- statt
abnimmt ? Das Amt für Städtebau der Stadt Zürich zeigt Strategien auf, wie mehr Dichte zu mehr Lebensund Wohnqualität für alle führen kann.
Autor: Patrick Gmür
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Links Baustrukturen, Freiräume, Quartiererschliessung:
Die Verdichtung nach innen erfolgt quartierspezifisch.
Luftaufnahme von Zürich mit dem Quartier Aussersihl im
Vordergrund (Foto: Amt für Städtebau, Stadt Zürich, 2015 )
St. Gallen in Zürich einfügen
Jede Sekunde wird in der Schweiz ein Quadratmeter Land überbaut; dies entspricht etwa einem Fussballfeld
alle zwei Stunden. Im Kanton Zürich sind es sogar fast doppelt so viele Quadratmeter wie im schweizerischen Mittel.
Die damit einhergehende fortschreitende Zersiedelung ist
nicht nur die Folge des Bevölkerungswachstums, sondern
auch eines veränderten Lebensstils mit mehr Wohnraum
und Mobilität. Sie wird seit einigen Jahren von der Öffentlichkeit kritisch wahrgenommen: 2012 hat das Stimmvolk
der kantonalen Kulturlandinitiative und 2013 der Revision des Raumplanungsgesetzes mit grosser Mehrheit zugestimmt. Die nationale Initiative «Zersiedelung stoppen» ist
lanciert; der Kanton Zürich hat bereits darauf reagiert. Im
Kantonalen Raumordnungskonzept hält er fest, dass auf die
Stadt- und urbanen Wohnlandschaften künftig mindestens
80 Prozent des Bevölkerungswachstums entfallen sollen.1
Damit steigt der Siedlungs- und Verdichtungsdruck auf die
Städte und ganz besonders auf Zürich weiter an. Die Antwort
der Stadt heisst Kommunaler Richtplan.
Zürich ist attraktiv. Die wirtschaftliche und politische
Stabilität, das umfangreiche Bildungsangebot, die hohe Sicherheit, die guten Verkehrsverbindungen, aber auch die bevorzugte geografische Lage, das unverwechselbare Stadtbild und der
intakte gesellschaftliche Zusammenhalt machen Zürich zu
einer der Städte mit der höchsten Lebensqualität weltweit.
Bereits in den letzten 15 Jahren ist Zürich um 40 000 neue
Einwohner gewachsen und bis ins Jahr 2040 muss die Stadt
Raum für weitere 80 000 schaffen – so fordert es der Kanton
aufgrund der aktuellsten Wachstumsprognosen. Das heisst:
Die Einwohner einer Stadt, bevölkerungsmässig so gross wie
St. Gallen, müssen in Zürich zusätzlich Platz finden. Doch es
gibt kein freies Bauland mehr, die Landreserven auf den Industriebrachen gehen zur Neige und die letzten verbliebenen Industriestandorte müssen – um Arbeitsplätze und Gewerbeflächen langfristig zu sichern – erhalten bleiben. Zudem sind die
Stadtgrenzen gegeben und spätestens seit der Kulturlandinitiative neue Einzonungen kein Thema mehr. Daher kann dies
nicht ohne grosse städtebauliche und architektonische Veränderungen geschehen. Das Gebot der Stunde lautet «Verdichtung nach innen» und stellt diverse, mitunter verzwickte Herausforderungen an die Zürcher Stadtplanung. Wo genau sollen
die 80 000 neuen Einwohner wohnen und arbeiten, ihre Freizeit verbringen und einkaufen? Wo ihre Kinder in die Schule
gehen, auf welchen Grünflächen sollen sie spielen? Wie befriedigen wir unser Mobilitätsbedürfnis, und wie kann der zusätzliche Bedarf an sozialen und technischen Infrastrukturen wie
Bildungseinrichtungen oder öffentlichen Bauten, Tramlinien
oder Strassen finanziert werden? Aus diesen Fragen ergeben
sich übergeordnete: Wohin und wie soll sich Zürich in Zukunft
städtebaulich und räumlich entwickeln? Soll grossflächig –
nach dem Giesskannenprinzip – aufzoniert oder nur in bestimmten Gebieten verdichtet werden? Welche Bedingungen
müssen gestellt und erfüllt werden, damit Zürich eben Zürich
bleibt – eine vielfältige, lebendige und durchmischte Stadt?
1 Kanton Zürich, Richtplan Kanton Zürich,
Raumordnungskonzept, S. 1.3 –1.
Nach der BZO ist vor der BZO 2
Die einmalige Gelegenheit, über diese Fragen nachzudenken und ein Bild der städtebaulichen und räumlichen Zukunft von Zürich zu entwickeln, heisst Kommunaler Richtplan
Siedlung, Landschaft, öffentliche Bauten und Anlagen der Stadt
Zürich. Dieser ist das bis jetzt noch fehlende Glied der von Bund
und Kanton vorgegebenen formalen Planungsinstrumente.
Schweizweit ist er einer der ersten, der in einer grösseren Stadt
erstellt wird, und somit in der Ausarbeitung für das Amt für
Städtebau der Stadt Zürich (AfS) eine Art Terra incognita. Der
Gemeinderat überwies dem Stadtrat im Januar 2014 eine Motion zum Erlass eines kommunalen Richtplans; im Mai 2015
beschloss der Stadtrat dann, einen solchen beim Amt für Städtebau in Auftrag zu geben. Der kommunale Richtplan soll die
Vorgaben des kantonalen und regionalen Richtplans konkretisieren und die räumlichen Voraussetzungen für die nachhaltige Entwicklung der Stadt Zürich vor dem Hintergrund
des Bevölkerungswachstums und der baulichen Verdichtung
schaffen. Aber auch Verdichtungspotenziale, die über die aktuell in der politischen Diskussion stehende BZO 2014 hinausgehen, sollen darin präzisiert sein.3 Diese dienen wiederum
als Grundlage für die folgenden Teilrevisionen der Bau- und
Zonenordnung. Das ist eine grosse Chance – doch einfach wird
das nicht.
Komplex oder komplexer
Stadtplanung bewegt sich nicht im luftleeren Raum,
sondern agiert in einem dichten Dschungel von behördenverbindlichen Vorgaben, Gesetzen, Strategien, öffentlichen,
politischen und ökonomischen Interessen, die sie zu erfüllen
hat und denen sie gerecht werden muss. Da sind einerseits das
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Fokusgebiet für Verdichtung
– Potenzial identifizieren über BZO hinaus
– Zielbild erarbeiten
Entwicklungspotenzial identifiziert, Prozesse laufend
Entwicklung im Rahmen BZO2014, keine zusätzliche
Verdichtungspotenziale identifiziert
Ausschlussgebiet für zusätzliche Verdichtung
( >BZO2014 ) nach Regionalem Richtplan
Links Zürich ist eine gewachsene und wachsende Stadt.
Verdichtung nach innen heisst auch Rücksichtnahme auf deren
DNA. ( Plan: Amt für Städtebau, Stadt Zürich, 2015)
Rechts Blick in die Werkstatt: Das Amt für Städtebau eruiert
im Rahmen des Kommunalen Richtplans mit umfassenden
Steckbriefen Stadtgebiete, die sich für eine Verdichtung nach
innen eignen. (Plan: Amt für Städtebau, Stadt Zürich,
Entwurf, September 2015)
Raumplanungsgesetz des Bundes ( RPG), der Kantonale und Regionale Richtplan, das Planungs- und Baugesetz des Kantons Zürich
( PBG) und die Gemeindeordnung der Stadt Zürich und andererseits die mit grosser Mehrheit befürworteten Volksabstimmungen wie die «2000-Watt-Gesellschaft» oder der wohnpolitische Grundsatzartikel «Bezahlbare Wohnungen für alle»,
die es umzusetzen gilt; 4 dort gibt es die Strategien 2035 des
Stadtrats, die von den fünf Regierungsparteien ausgehandelte
und getragene Visionen für die Stadt Zürich skizzieren.5 So will
der Stadtrat beispielsweise Zürich nachhaltig, sozialverträglich und qualitätsvoll nach innen verdichten und gleichzeitig
einen attraktiven öffentlichen Raum, ausreichend Grün- und
Freiräume in den sich verdichtenden Wohnquartieren und
eine effiziente Infrastruktur gewährleisten oder im urbanen
Raum Platz für vielfältige Lebensentwürfe sichern. Es gilt, die
Interessen und Vorstellungen der verschiedenen Ebenen, Akteure und Machtträger untereinander auszubalancieren.
Im Fokus der Politik
In Zürich sind Städtebau und Architektur nicht nur eng
mit wirtschaftlichen, sondern auch mit politischen und gesellschaftlichen Interessen verknüpft. Von links bis rechts – von
den Grünen über die Sozialdemokratische Partei, die Alternative Liste bis hin zur Christlichsozialen Volkspartei, der FDP
und der Schweizerischen Volkspartei – alle städtischen Parteisektionen beziehen Position zur Stadtentwicklung. Möglichst
viel Mitspracherecht für die Bevölkerung, ein möglichst hoher
2 Mit der Bau- und Zonenordnung der Stadt Zürich wird die zulässige
Bau- und Nutzweise der Grundstücke parzellenscharf und
grundeigentümerverbindlich geregelt, soweit diese nicht durch
eidgenössisches oder kantonales Recht bestimmt sind. Derzeit
befindet sich die BZO in Teilrevision
3 In der Teilrevision der Bau- und Zonenordnung 2014 stand die
Schaffung zusätzlicher Verdichtungspotenziale nicht im Vordergrund. Denn gemäss geltender und revidierter BZO bestehen
reale und umsetzbare Reserven für rund 60 000 Personen bis
2030. Mit dem Instrument des regionalen Richtplans soll jedoch
nach dem Kantonale Raumordnungskonzept und dem Regionalen
Richtplan eine Entwicklung für mindestens 80 000 zusätzliche
Bewohnerinnen und Bewohner ermöglicht werden – das heisst
es sind Flächen für zusätzliche 20 000 Personen zu schaffen. Die
«Gesamtstrategie Siedlung» des Regionalen Richtplans nennt als
Massnahme für die Umsetzung und Präzisierung der festgelegten
Verdichtungsstrategien den Kommunalen Richt- und Nutzungsplanung.
4 Bis ins Jahr 2050 muss aufgrund der deutlichen Annahme
des wohnpolitischen Grundsatzartikels «Bezahlbare Wohnungen
für Zürich» vom 27. November 2011 der Anteil gemeinnütziger
Wohnungen von aktuell 26 auf 33 Prozent erhöht werden. Auch
aus diesem Grund steht die Stadtplanung immer ganz oben auf
der politischen Agenda.
5 Siehe auch: Stadtrat der Stadt Zürich ( Hg.), Strategien Zürich
2035, Zürich 2015. Gegenwärtig setzt sich der Stadtrat aus vier
Ver­tretern der SP, zwei Vertretern der FDP und jeweils einem
Vertreter von AL, CVP und Grünen zusammen.
Anteil an gemeinnützigen Wohnungen, die Förderung einer
familienfreundlichen Umwelt, eine polyzentrische Stadt und
sozial durchmischte Quartiere, genügend Raum für Schulen
und Quartierinfrastrukturen, ausreichend Grün- und Freiräume, die Revitalisierung des lokalen Gewerbes und zahlbare Gewerberäume stehen Forderungen nach möglichst wenig
Reglementierung, verdichtetem Bauen unter dem Erhalt von
Grünflächen, aber ohne qualitativem Anspruch oder freie
Fahrt für freie Bürger entgegen. In den meisten Politikfeldern
wie Sozial- und Wohn-, Umwelt-, Finanz-, Verkehrs- oder Energiepolitik spielt Stadtplanung eine wichtige Rolle. Viele dieser
Forderungen und Erwartungen, aber auch die gesetzlichen
und strategischen Vorgaben muss sie unter einen Hut bringen,
wenn sie den Kommunalen Richtplan mehrheitsfähig machen
will. Das ist komplex, fast ein Ding der Unmöglichkeit: Unterschiedlichste Interessen prallen aufeinander und Zielkonflik­te entstehen. Aber es sind nicht nur die Politiker, die bei der
Stadtplanung mitdiskutieren. Planung geht alle etwas an,
denn mit ihr gehen meist stadträumliche und soziale Veränderungen einher, die Einfluss auf die Atmosphäre der Quartiere haben und damit unmittelbar deren Bewohner betreffen.
Planung ist daher ein Mannschaftssport: Grundeigentümer,
Bauherren, Investierende, Planende und – ganz wichtig – die
Quartierbevölkerung reden mit. Schliesslich entscheidet – bedingt durch unsere Demokratie und Gesetzgebung – aber der
Gemeinderat darüber, welche bauliche Dichte die richtige und
welches Nutzungsverhältnis das am besten funktionierende ist, wo ein Schulhaus errichtet wird oder wieviel Frei- und
Grünraum es braucht.
Wachsen – aber richtig
Zürich ist eine gewachsene Stadt, die weiter wächst, geprägt von ihrer Topografie, den übergeordneten Landschaftsräumen und ihrer städtebaulichen Geschichte. Jedes Quartier
besitzt eine eigene Baustruktur, Besonderheiten und Identität.
In den Strategien 2035 hält der Stadtrat fest, dass die Verdichtung räumlich differenziert und die gewachsenen Individualitäten der Stadtquartiere erhalten bleiben sollen,6 damit Zürich
noch lebenswerter wird. Die nachhaltige quartierspezifische
Weiterentwicklung und das Nachdenken über die städtebauliche und räumliche Zukunft bedingt eine stetige Lektüre und
Analyse der Stadt. Kenntnis über die DNA der Stadt erlaubt
wertvolle Rückschlüsse darauf, wo die bauliche Verdichtung
am sinnvollsten ist – nämlich in der Ebene und dort, wo der öffentliche Verkehr gut ausgebaut ist und bestehende Planungen
diesen weiter stärken. Es sind also nicht die grünen Hanglagen,
6 Stadtrat der Stadt Zürich (Hg.), Strategien Zürich 2035, Zürich
2015, S. 18.
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Links Von der konzeptionellen Skizze zum Zielbild am Beispiel von Zürich-Altstetten: Teilgebiete identifizieren; Identität
erhalten; nach innen verdichten; räumlichen Zusammenhalt
stärken; Freiräume weiterentwickeln. ( Skizze: Amt für Städtebau, Stadt Zürich, 2015 )
Rechts Bauliche Differenzierung und Hierarchisierung
der Strassenräume am Beispiel von Zürich-Altstetten.
Sie strukturieren das Quartier und halten es räumlich zusammen. ( Schema: Amt für Städtebau, Stadt Zürich, 2015 )
— Wenn verdichtet wird, muss gleichzeitig mehr Freiraum
geschaffen werden.
— Der Raum für die öffentlichen Infrastrukturen muss gesichert sein.
— Ausgehend vom nachhaltigen Wachstum, das gemäss den
die im Fokus stehen, aber auch nicht die bereits sehr dichten Strategien 2035 der Stadt Zürich angestrebt wird, soll die bauStadtteile im Zentrum oder die Quartiere, die einen hohen An- liche Verdichtung sozial- und umweltverträglich erfolgen. Um
teil an inventarisierten oder unter Schutz gestellten Gebäuden ein breites Wohnraumangebot für eine vielfältige Bevölkeaufweisen. Es sind vielmehr Gebiete, die eine heterogene Bau- rung zu garantieren, ist ein Mindestanteil an preisgünstigem
struktur haben: Hard, Letzi, Altstetten, Oerlikon, Leutschen- Wohnraum festzulegen.
— Verdichtung kostet! Wer finanziert deren Folgekosten?
bach sowie Teile von Affoltern und Schwamendingen.
— Die Verdichtung muss den Zielen der 2000-Watt-GesellDas Fünf-Punkte-Programm
schaft entsprechen.
Der Kommunale Richtplan ist ein behördenverbindliches
Planungsinstrument. Er macht grundsätzliche Vorgaben für
Dazu müssen Gesetze teilweise angepasst oder neue
die Verdichtungsschwerpunkte in der Gesamtstadt, definiert geschaffen werden. In diesem Zusammenhang interessieren
die nötigen Rahmenbedingungen, weist die Umsetzbarkeit insbesondere die kantonalen Umsetzungsvorschläge für die
hinsichtlich der öffentlichen Einrichtungen nach und schafft Förderung des preisgünstigen Mietwohnungsbaus und den
die Grundlagen für preisgünstigen Wohnraum. Die politische planungsbedingten Ausgleich des Mehrwerts.
Diskussion darüber und seine Festsetzung finden im Gemeinderat der Stadt Zürich statt. Die städtebauliche und räumliche
Ein Dummy für Zürich-Altstetten
Zukunft von Zürich soll und muss in jenem Gremium diskuUm auszuloten, was dieses Fünf-Punkte-Programm
tiert und entschieden werden, das die Bevölkerung gewählt für den Kommunalen Richtplan bedeutet, hat sich das Amt für
hat; nur so ist dessen Festsetzung auch demokratisch legiti- Städtebau der Stadt Zürich am Beispiel von Altstetten, das im
miert. Das ist wichtig. Eine zukünftige bauliche Verdichtung kantonalen Richtplan als Zentrumsgebiet definiert ist, folgenkann nur gelingen, wenn für die folgenden fünf Punkte mehr- de Aufgabe gestellt: Im bestehenden Quartier ist Raum für zuheitsfähige Lösungen gefunden werden:
sätzliche 15 000 Einwohner zu schaffen. So simpel diese Aufgabenstellung ist, so vielschichtig ist deren Lösung.
Anhand statistischer Werte kann das AfS beispielsweise
die Flächen für den zukünftigen Wohn- oder Schulraumbedarf ermitteln. Geht man von 50 Quadratmetern individueller
Wohn- und Erschliessungsfläche pro Person aus, dann sind
dies für 15 000 neue Einwohnerinnen und Einwohner rund
750 000 Quadratmeter. Die durchschnittliche Belegung liegt
in Zürich zudem bei 2,1 Personen pro Wohnung. Das heisst, für
15 000 Menschen müssen circa 7 000 neue Wohnungen gebaut
werden und gemäss der Gemeindeordnung der Stadt Zürich
ein Drittel davon – also 2333 – gemeinnützig sein. Zudem sind
durchschnittlich sieben bis acht Prozent dieser Einwohner im
schulpflichtigen Alter. Es wird also zusätzlichen Schulraum
für rund 1 200 Schülerinnen und Schüler benötigt, was circa
48 Klassen oder vier Schulhäusern mit zwei Klassenzügen entspricht. Dazu kommen selbstverständlich noch Pausenplätze,
Turnhallen oder Gruppen- und Spezialräume. Gemäss den Erkenntnissen von Grün Stadt Zürich (GSZ ) ist der planerische
Richtwert pro Einwohner acht Quadratmeter, pro Arbeitsplatz
fünf Quadratmeter Frei- oder Grünfläche. Für unser Beispiel
bedeutet dies bei 15 000 neuen Einwohnern 120 000 Quadratmeter unterschiedlich nutzbarer Frei- und Grünflächen. Zum
Vergleich: Die um 1900 angelegte Bäckeranlage im Kreis 4 ist
lediglich rund 15 500 Quadratmeter gross. Im Fall von Altstetten wissen wir aufgrund von Analysen der GSZ zudem, dass
dieses Quartier bereits jetzt mit Frei- und Grünräumen unterversorgt ist. Bildlich gesprochen müssten also mindestens acht
Bäckeranlagen erstellt beziehungsweise kostbares Bauland in
Parkanlagen umgewandelt werden. Bei den aktuellen Landpreisen zeigt nur schon diese Überlegung: Verdichten kostet –
und zwar viel.
Bevor das AfS mit diesen Voraussetzungen den Dummy
für Altstetten entwarf, hat es auch die vorhandenen Bauten in
Bezug auf ihre Entstehungsjahre analysiert. Dies gab darüber
Aufschluss, wo in den nächsten Jahren am ehesten Ersatzneubauten zu erwarten sind beziehungsweise wo sich mögliche
Orte für die innere Verdichtung von selbst ergeben. Auch die
bestehenden Strassenzüge, Frei- und Grünräume, Park- und
Sportanlagen, Schulhäuser oder Werkplätze berücksichtigten
wir. Ausserdem haben wir ein qualitatives Zielbild für das Zentrum von Altstetten definiert, denn nur wer einen Mehrwert
sieht, akzeptiert eine höhere Dichte.7 Grundlage dafür bildete
das gemeinsam mit der Quartierbevölkerung in einem öffentlichen Mitwirkungsprozess erarbeitete Quartierleitbild.8 Folgende Ansprüche wurden darin definiert:
— ein sozial durchmischtes, dichtes und urbanes Stadtquartier
— genügend attraktive und öffentlich nutzbare Freiräume
— Ausbau von günstigem Wohn- und Gewerberaum
— maximale Reduktion des Individualverkehrs
bei gleichzeitiger Stärkung des öffentlichen Verkehrs
— Ausbau des Fuss- und Velowegnetzes
— hoher Grünanteil im Strassenraum, in den Innenhöfen
und auf den Dächern
— Stärkung der Beziehung zwischen Bebauung und öffentlichem Raum mittels öffentlich zugänglicher Nutzungen im Erdgeschoss
Parallel dazu haben wir im Sinn eines Realitätschecks
die planungsrechtliche Umsetzung auf der Stufe der Nutzungsplanung in einem genau definierten, grösseren Perimeter in Altstetten untersucht. Mit anderen Worten: Was heisst
Verdichtung nach innen mit den heutigen Eigentumsverhältnissen und den kleinteiligen Parzellenstrukturen? Artikel 26
im Kapitel 1 unserer Bundesverfassung mit der Eigentumsgarantie ist immerhin eines der höchsten Güter. Jeder städtebauliche Vorschlag muss daher mit dieser Vorgabe umgehen
können, denn es bringt wenig, einen visionären Entwurf zu
entwickeln, der nicht umgesetzt werden kann oder Gesetzesänderungen bedingt, die nicht mehrheitsfähig sind. Aber
eines ist klar: Damit tatsächlich Raum für 15 000 neue Einwohner geschaffen werden kann, muss die Ausnutzungsziffer
massiv erhöht werden. Konkret schlagen wir vor, dass die heute maximal mögliche Ausnutzung von bis zu 150 Prozent auf
250 bis 270 Prozent zu erhöhen ist. Dies soll jedoch nur möglich
sein, wenn die genannten qualitativen Anforderungen erfüllt
werden. Dazu braucht es entsprechende Regeln und Anreize,
die in der Nutzungsplanung definiert werden müssen. Möglichkeiten wären Pflichtbaulinien, Vorgabe der Geschossigkeit,
geschlossene Bauweisen, Definition der Baubereiche, Empfehlungen für die Erdgeschossnutzung oder Mindestarealgrössen.
Wahrscheinlich wird diese zusätzliche Ausnutzung aufgrund
des zu erwartenden Mehrwerts auch dazu genutzt, die zusätzlich notwendigen Freiräume, die öffentlichen Infrastrukturen
oder den preisgünstigen Wohnraum einzufordern und mindestens teilweise zu finanzieren. Dabei orientieren wir uns an
der sozialbedingten Bodennutzung (SoBoN) in München oder
an der gesetzlich definierten Mehrwertabgabe des Kantons
Basel-Stadt. Es handelt sich also um erprobte und erfolgreiche
Beispiele.
7 Amt für Raumentwicklung und Statistisches Amt des Kantons
Zürich ( Hg.), Akzeptanz der Dichte, Zürich 2014.
8 Stadt Zürich ( Hg.), Zentrumsgebiet Altstetten, Leitsätze für die
räumliche Entwicklung, Oktober 2015.
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Bestand
Bestehende und projektierte Gebäude
Plätze
Grünräume
Wald
Zürich 2050 - Hard Letzi Altstetten
Bestand
Bestehende & projektierte Gebäude
Plätze
Grünräume
Wald
M 1:10'000
0
150
300
450
600 Meter
Stadt Zürich / Amt für Städtebau / Lindenhofstrasse 19 / Postfach / 8021 Zürich
Tel. 044 412 11 11 / www.stadt-zuerich.ch/hochbau
Erst.:18. Juni 2015 / afsmed
Ideales Szenario Haerle / Klostermann
Bestehende und projektierte Gebäude
Plätze
und Strassenachsen
Entwurf Haerle
/ Klostermann
Neue öffentliche Grünräume
Grünräume
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Zürich 2050 - Hard Letzi Altstetten
Bebauung Entwurf
Bestehende & projektierte Gebäude
Plätze & Strassenachsen
Neue öffentliche Grünräume
Grünraume
M 1:10'000
0
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300
450
600 Meter
Stadt Zürich / Amt für Städtebau / Lindenhofstrasse 19 / Postfach / 8021 Zürich
Tel. 044 412 11 11 / www.stadt-zuerich.ch/hochbau
Erst.:18. Juni 2015 / afsmed
Pragmatisches Szenario Amt für Städtebau
Bebauung Entwurf
Entwurf AfSBestehende und projektierte Gebäude
Plätze und Strassenachsen
Neue öffentliche Grünräume
Grünräume
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Zürich 2050 - Hard Letzi Altstetten
Bebauung Entwurf
Bestehende & projektierte Gebäude
Plätze & Strassenachsen
Neue öffentliche Grünräume
Grünräume
Zwischen Pragmatismus und Idealismus: Zwei mögliche
Szenarien, um die bauliche Verdichtung in Altstetten zu konkretisieren und Antworten auf das Fünf-Punkte-Programm
zu finden. Diese Zielbilder helfen, zukünftige baurechtliche
Vorgaben und Regeln abzuleiten. ( Pläne: Amt für Städtebau,
Stadt Zürich, 2015; Haerle Hubacher Architekten / Klostermann & Feddersen Architektur, 2015 )
M 1:10'000
0
150
300
450
600 Meter
Stadt Zürich / Amt für Städtebau / Lindenhofstrasse 19 / Postfach / 8021 Zürich
Tel. 044 412 11 11 / www.stadt-zuerich.ch/hochbau
Erst.:29. Juni 2015 / afsmed
Realitätscheck
Dichte als Qualität
Die statistischen Erfahrungswerte, die Ist-Analyse, das
Verschiedene in den letzten Monaten entstandene gute
qualitative Zielbild, die gesetzlichen Rahmenbedingungen Beispiele wie die Siedlung Kalkbreite 15 oder das neue Quarund die strategischen Vorgaben bildeten die Grundlage für tier der Genossenschaft mehr als wohnen 16 zeigen, wie Dichverschiedene Szenarien, die wir für Altstetten entwickelten. te funktionieren kann. Im kürzlich erschienen Buch Dichte
Diese stellten wir einer Begleitgruppe, die aus Marcel Meili, Atmosphäre. Über die bauliche Dichte und ihre Bedingungen in
Annette Gigon, Christoph Haerle, Vittorio Magnago Lampug- der mitteleuropäischen Stadt ist zu lesen: 17 «Ab einer gewissen
nani, Rainer Klostermann, Martin Waser und Peter Noser zu- Dichte ( AZ > 150%) wird die Bebauungsstruktur geschlossesammengesetzt war, zur Diskussion. Schliesslich haben die ner und die privaten Aussenräume schrumpfen stark zugunsArchitektenteams Gigon / Guyer, Haerle Hubacher mit Klos- ten öffentlicher Flächen. Versteht man Urbanität als städtetermann sowie Lampugnani eigene Entwürfe für Altstetten bauliche und architektonische Manifestation eines dichten,
erarbeitet, die wir wiederum vertieft diskutiert und kritisiert gemischten gesellschaftlichen Lebens, so beginnt hier das
haben. Ein Szenario reagiert zum Beispiel mit unterschied- wirkliche Stadtleben, das entsprechende öffentliche Aktionslichen Regelungstiefen auf die gegebene Parzellierung. Die räume und Bühnen benötigt.»18 Es ergeben sich ökonomische
Freiräume entstehen nach dem Möglichkeitsprinzip – also an Potenziale für öffentliche Erdgeschossnutzungen. Wenn eine
Orten, wo beispielsweise mit einer Genossenschaft über einen gute Erschliessung mit öffentlichem Verkehr gewährleistet
Landabtausch verhandelt werden könnte, oder sie entstehen ist, attraktive Aussenräume zur Verfügung gestellt werden,
dort, wo die Stadt selbst Land besitzt. Ein anderes Szenario vielfältige Kontakte möglich sind und gleichzeitig preisgünsgeht von einem «idealistischen» Stadtbild aus. Bei diesem tiger Wohnraum vorhanden ist und eine ausgewogene soziale
entsteht ein grosser öffentlicher Freiraum, der den Bahnhof Durchmischung erreicht wird, bietet Dichte einen Mehrwert
Altstetten mit dem heutigen Zentrum Lindenhof und der Kirche für alle.19 – «Dichte darf nicht doof sein », schrieb die NZZ kürzverbindet. Auf diese Weise könnte ein attraktives, mit verschie- lich etwas salopp, aber sehr richtig.20 Der Kommunale Richtplan
den öffentlichen Transportmitteln erschlossenes Zentrum ent- wird die planungsrechtlichen Grundlagen schaffen, damit in
stehen. Dies bedingt jedoch ein klares einheitliches Regelwerk, Zürich eine intelligente, lebendige und vielfältige Dichte entdas massiv ins Grundeigentum eingreifen würde. Die Frage, ob stehen kann.
dieses Szenario mehrheitsfähig wäre, sei dahingestellt.
Der Kommunale Richtplan samt dem Erläuterungsbericht
Von der Verantwortung für die Verantwortung
wird behördenverbindlich sein. Dies bedeutet, dass er einen
Stadtplanung ist Knochenarbeit, hartes Brot oder trohohen Abstraktionsgrad aufweisen muss und nicht parzellen- cken wie Zwieback, aber sie bietet auch unglaubliche Chancen.
scharf sein darf. Das ist richtig, denn der kommunale Richt- Trotz aller gesetzlichen, strategischen, politischen, gesellplan sollte mindestens für die nächsten 15 Jahre gültig sein schaftlichen und ökonomischen Vorgaben und trotz der unund auf mögliche gesellschaftliche Entwicklungen reagieren glaublichen Komplexität der Aufgabe entwerfen und gestalten
können. Gleichzeitig gilt: Bauwillige Investoren und Grund- wir die bauliche und räumliche Zukunft der Stadt Zürich. Es
eigentümer verlangen Planungssicherheit; die Politik muss sind zwar keine kühnen städtebaulichen Visionen, keine radeshalb sicherstellen, dass die Bedingungen, die im Kommuna- dikalen Veränderungen, dafür sind sie aber realistisch und
len Richtplan festgelegt sind, auf der nächsten Planungsebene mehrheitsfähig. Städtebau ist ein kollektiver Akt. Eine Stadt
umgesetzt werden können. Die Umsetzung kann mittels eines ist ein Gemeinschaftswerk, das Raum und Zeit überdauert.
hoheitlichen Akts erfolgen – also zum Beispiel durch die Än- Auch aus diesen Gründen stellt sich bei jeder Planung, bei jederung der Bau- und Zonenordnung, die Festlegung von Bauli- dem Bau die Frage nach der städtebaulichen und architektoninien 9 mit Werkplänen 10 oder amtlichen Quartierplänen.11 Es schen Qualität. Das Neue muss genauso gut oder noch besser
sind aber auch gemeinsame Lösungen möglich. Dabei stehen sein als das Alte. Wenn unsere Städte wachsen, muss die Qualidie formellen und informellen Planungsinstrumente wie Son- tät stimmen und für die Bevölkerung ein Mehrwert geschaffen
derbauvorschriften,12 private Gestaltungspläne,13 kooperative werden. Nur wenn diese beiden Maximen gesichert sind, gePlanungen oder «superprivate» Quartierpläne 14 zur Auswahl. lingt eine Verdichtung im positiven Sinn.
Die Arbeit hat erst begonnen. Da der Gemeinderat den
Kommunalen Richtplan festsetzt, muss dieser von links bis
rechts breit abgestützt und mehrheitsfähig sein. Bis dieser
ihn diskutiert und festsetzt, das Amt für Raumentwicklung
des Kantons Zürich ihn prüft, die kantonale Baudirektion ihn
genehmigt und der Stadtrat ihn in Kraft setzt, ist es noch ein
langer Weg.