Grundkurs Bergsteigen - Blaueishütte 04.-07. Juni 2015 Helmut Fernolendt Das Wetter hätte nicht besser sein können, als wir am 04.06.2015 in das herrliche Berchtesgadener Land fuhren und den Ort Ramsau ansteuerten. Nachdem sich einige von uns am Abend zuvor bei lauem Lüftchen und kühlem Weißbier beim Stammtisch in München getroffen hatten, war die Spannung und Vorfreude auf die kommenden Tage entsprechend groß. Am Hintersee angekommen begrüßten sich die Teilnehmer. Manche kannten sich schon lange, andere waren das erste Mal dabei. 16 Leute aus vier Nationen schüttelten sich die Hände und machten einander bekannt. Nach einem kühlen Getränk auf der Seeterrasse wurde ausführlich über das Material und die Ausrüstung eines Bergsteigers debattiert, denn wir sollten hier nicht gechillt am See rumhängen, sondern die Grundausbildung eines Bergsteigers absolvieren. Es wurden Schnüre und Bänder verteilt, Karabiner und Seile kamen zum Vorschein und auch Helme schienen für unsere Unternehmung von großer Bedeutung. Gurte mit vielen Schnallen und noch mehr Fragezeichen nahmen wir von unseren Guides in Empfang. Als die Autos geparkt, die Schuhe angezogen und die Rucksäcke geschultert waren, ging es hinauf zur Blaueishütte. Über einen knackig steilen Forstweg erreichten wir nach etwa einer Stunde die Schärtenalm (1362m) und freuten uns auf die erste Erfrischung bei großer Hitze. Nachdem der Durst gestillt und manch Ferse mit Pflaster behandelt war ging es weiter. Ein erster Blick auf den nördlichsten Gletscher der Alpen war jetzt möglich und der Weg zog sich steil und serpentinenartig weiter bis zur Blaueishütte (1680m). In einem nach Nordwesten offenen Kessel wird die Hütte umrahmt von Schärtenspitze und Blaueisspitze, sowie dem Blaueisgletscher im Süden. Etwa zwei Stunden später checkten wir ein und erfreuten uns beim kühlen Radler an dem herrlichen Blick auf die umliegenden Gipfel. An den Steilwänden der nahen Felsmassive waren etliche Kletterer mit Seil und Gurt zu erkennen. Nun war es an der Zeit das „Material“ erstmal theoretisch kennen zu lernen. Mit Geduld und Akribie zeigten uns Thomas, Hans und Klaus für was all die Schnüre, Bänder und Karabiner gut sein sollten, erklärten Seilstärken und Karabinertestmethoden, zeigten uns den gelegten und gesteckten Achterknoten und erklärten uns den einfachen Mastwurf, von dem es sogar einen doppelten gibt. Nachdem uns die Köpfe rauchten kam noch die „Prusikschlinge“ dazu. Und damit uns nicht langweilig wurde durften wir dann selber üben. Das gute Gefühl in einer Gruppe zu sein, in der sprichwörtlich alle am gleichen Strang ziehen, umfing uns mehr und mehr und bald steckten wir die Köpfe zusammen und halfen uns gegenseitig mit Tipps und Tricks beim Anlegen der verschiedenen Knoten. Es wurde deutsch, englisch und rumänisch gesprochen, sogar sächsisch, wir waren ja unter uns! Am zweiten Tag sollte es ans Eingemachte gehen. Was wir am Vortag im „sitzen“ geübt und theoretisch besprochen hatten sollte nun in die Tat umgesetzt werden. Nach einer mehr oder weniger ruhigen Nacht im Zimmer Nr.15, das mit 14 Schlafplätzen ausgestattet und mit 18 Leuten belegt war, gab es ein ordentliches Frühstück. Gut gestärkt und noch mehr gespannt gingen wir zu den nahegelegenen Felsbrocken, die unweit voneinander vor langer Zeit ihren vorerst letzten Platz gefunden hatten. In zwei Gruppen besetzten wir die Steinchen von der Größe eines Mehrfamilienhauses und machten uns ans Werk. „Darf ich dich anfassen?“ Diese Frage ist äußerst wichtig für einen Bergsteiger und kann über Leben oder Tod entscheiden, denn bevor man sich an Seil und Gurt in die Tiefe stürzt, sollte der Sitz am Körper genau überprüft werden. Mit gezielten Griffen und skeptischen Blicken nahmen wir uns gegenseitig in Augenschein, manch Gurt wurde nachgezogen oder gelockert bis im Schritt nichts mehr klemmte und die Schnalle „Eisen auf Eisen“ lag. Nun kam es wie es kommen musste, einer nach dem anderen sollten wir uns abseilen. Klaus Gündisch machte es vor und schwang sich in die Tiefe. Wird das Seil halten? Ist der Knoten fest genug, und was macht die „Prusikschlinge“? Ist der Achterknoten ordentlich gesteckt und hält die Bandschlinge was sie verspricht? Nach kurzer Zeit kam ein gut gelaunter Klaus um die Ecke und steckte sich genüsslich eine Zigarette an. Es gab also Hoffnung. Auch wenn manch einer mal kopfüber hing, die gute Laune und Lockerheit unserer Sonnyboys vermittelte allen stets das Gefühl gut aufgehoben zu sein. Nach einer kurzen Verschnaufpause und Broten aus dem Rucksack, ging es dann zu einem nahe gelegenen steilen Schneefeld an dem wir das richtige Verhalten bei einem Sturz üben sollten. Bei strahlendem Sonnenschein warfen sich die Teilnehmer rücklings auf den Schnee um sofort eine Drehung auf den Bauch zu vollziehen, wenn dann sofort die Krallen ausgefahren und der Körper angespannt wird, sollte der Abflug in tiefe Schluchten gestoppt sein. Wir lernten wie man auf dem Firn bergauf und bergab geht, sicherten uns an gespannten Seilen um Schneefelder zu überqueren und wurden langsam vertraut mit einer herrlichen aber immer auch gefährlichen Bergwelt die es nicht zu unterschätzen gilt. Braun gebrannt und ausgepowert wurde später auf der Terrasse der Blaueishütte die Tour für Samstag besprochen. Bei kühlem Bier und klarem Schnaps erfuhren wir, dass eine 9 Stunden Tour auf dem Plan stand. „Hochkalter“ nennt sich der Stein, der nach dem „Watzmann“ der bedeutendste Gebirgsstock im Berchtesgadener Talkessel ist. Die Nacht war ruhig und kurz, pünktlich um 7.00 Uhr waren alle beim Frühstück und freuten sich auf den Tag. Nachdem die Fersen abgeklebt und die Rucksäcke gepackt waren machten wir uns auf den Weg Richtung „Hochkalter“. Am Fuße des Blaueisgletschers trennten wir uns in zwei Gruppen, Klaus, Bernd, Hanso und Florin entschieden sich für die Route über den Gletscher. Mit Steigeisen ausgestattet sah man sie bald als kleine Punkte auf weißem Firn. Wir anderen folgten einer Gams, die in sicherem Abstand gemütlich vor uns her stieg. Über ein Schneefeld ging es bergauf und bald stiegen wir Schritt für Schritt in selbst gestanzten „Treppen“ oder in der Spur des Vordermanns. Bald sollte sich eine steile Wand vor uns stellen, die wir gerne in Angriff nahmen. Alle Teilnehmer konnten ihre Kletterkünste unter Beweis stellen und bald waren wir am „schönen Fleck“ und konnten eine kleine Pause einlegen. Unser „Chef“ Hans hielt die Gruppe gut zusammen und zwischendurch über Funk auch Kontakt mit der „Gletschertruppe“, während Thomas vorne das Tempo vorgab. Ein etwas flacheres Stück sorgte für entspanntes wandern und bald ging es wieder steil Bergauf. Der Grat wurde schmaler und kurze Kletterpassagen wechselten sich mit Gehgelände ab. Jeder für sich und doch alle gemeinsam kraxelten wir über griffige Felsen, überquerten riesige Steinblöcke und setzten einen Fuß vor den anderen. Bei jedem Innehalten belohnten wir uns mit der Sicht in die Ferne. Größenverhältnisse kehrten sich um, Dimensionen veränderten sich, die Wahrnehmung von Zeit und Raum wurde auf das Hier und Jetzt reduziert. Beim Blick in die Tiefe erschien uns der Blaueisgletscher wie ein Häufchen Elend, das von Jahr zu Jahr weniger wird. Das Gipfelkreuz fest im Blick nahmen wir den letzten Aufschwung und erreichten nach etwa 3,5 Std. die Spitze des Hochkalter(2607 üM). „Gib uns Frieden“ steht auf dem massiven Holzkreuz, das mit etlichen Stahlseilen für das ableiten der Blitze sorgt und auf dem Gipfel thront. Die zweite Gruppe, die den Weg über Blaueisgletscher und Blaueisspitze gewählt hatte, hatte den Gipfel 15 min vorher ebenso gut und sicher erreicht und begrüßte uns mit einem Handschlag und bereits gut ausgeruht. Ein herrlicher Rundblick belohnte uns für den Aufstieg, etliche Alpengipfel und das super Wetter sorgten für puren Gipfelgenuss. Durstige und verschwitzte Körper wurden mit Glückshormonen geflutet und die Zeit stand einen Moment lang still. Etliche Fotoaufnahmen später und nachdem die T-Shirts gewechselt waren schmeckte das mitgebrachte Vesper umso besser und langsam wurde allen klar, dass auf jedem Gipfel dieser Welt erst die Hälfte des Weges absolviert ist. Schnell merkten wir, dass beim Abstieg andere Muskelgruppen zum Einsatz kommen als beim Aufstieg und die Oberschenkel meldeten sich bald mit einem leichten Ziehen. Unter den Augen unserer erfahrenen Begleiter setzten wir einen Schritt vor den anderen und verloren schnell an Höhe. Wie beim Aufstieg ging jeder sein eigenes Tempo und Hans Werner bildete die Nachhut. Die ersten waren bereits an der sog. Schlüsselstelle an der wir uns abseilen sollten. Klaus und Hanso bauten einen ordentlichen „Standplatz“ und sicherten ihn doppelt und dreifach, da die Ringe im Fels geschätzte 100 Jahre alt waren. Dass jede Kette nur so stark ist wie ihr schwächstes Glied wurde einem hier schnell bewusst. Unter den Augen und Anleitung der Beiden ging es nun Bergab und es machte Freude über die Steilwand Schritt für Schritt in gemächlichem Tempo abzuseilen. Schnell fassten wir Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und wünschten uns, die Wand wäre länger. Bei aufkommendem Wind ging es weiter talwärts und die nächste Steilstelle näherte sich, hier konnten wir wieder unter Beweis stellen, dass der Umgang mit Bandschlinge, Karabiner und Co. nun schon etwas besser und routinierter klappte. Gurt prüfen, Selbstsicherung einhängen, Bandschlinge mit Karabiner befestigen, Seil durch den Achter ziehen und am Karabiner befestigen, Prusikschlinge als „dritte Hand“ natürlich auch nicht vergessen. Unter Beobachtung der Fachleute hatten wir stets das Gefühl, hier weiß man was man tut. Über das Schneefeld ging es dann zurück Richtung Blaueishütte, ein langer Marsch bergab. Mit den Fersen ordentliche Treppen zeichnend und mit gleichmäßigem Schritt war die Passage bald geschafft. Die letzte Strecke zur Hütte war dann ein Kinderspiel und langsam machte sich das Gefühl breit, ein bisschen stolz sein zu dürfen auf das Geleistete. Wie belohnt sich ein Bergsteiger? Diese Frage war für viele bei der Blaueishütte schnell beantwortet, denn der Kuchen dort ist legendär, ein kühles Bier dazu und für manche die obligatorische Zigarette, Schuhe aus, Füße hoch. „Das Leben ist schön“ Nachdem das Abendessen unsere Körper wieder mit dem Nötigsten versorgt hatte, durfte jeder ein bisschen über seine Eindrücke vom Tag und den zurückliegenden Erlebnissen erzählen. Durchweg wurde das Erlebte als positiv und bereichernd geschildert und auch die Tatsache das gleich mehrere Fachleute sich um uns gekümmert hatten, wurde als äußert wertvoll angesehen. Eine gute Mischung aus Siebenbürger Sachsen sowie rumänischen, bayerischen und ukrainischen Mitbürgern gaben jedem die Gelegenheit zu reflektieren, seine Sprachkenntnisse zu testen und ein Stück „wahres Europa“ zu leben. Wir erzählten uns Witze, lachten und debattierten über Gott und die Welt. Eine kleine Gruppe in einem kleinen Zimmer auf einer kleinen Hütte hatte an diesem Tag etwas Großes geleistet. Unseren erfahrenen Bergsteigern Hans Werner, Klaus Gündisch, Hans Otto Istok und Thomas Vesely ein herzliches Dankeschön! Der letzte Tag wurde ganz entspannt angegangen. Mit der gesamten Ausrüstung und Mannschaft übten wir noch mal das Abseilen an einer nahen Felswand sowie verschiedene Sicherungstechniken. Knoten, Karabiner und Seile kamen erneut zum Einsatz. Nach einem letzten Schnäpsle auf der Sonnenterrasse und einem Stück Riesenkuchen packten wir gegen Mittag unsere Sachen und stiegen wieder ab ins Tal. Bei leichter Unterhaltung und steilem Weg waren wir bald am Parkplatz angekommen. Dankbar und zufrieden verabschiedeten wir uns voneinander, natürlich nicht bevor wir am schönen Hintersee eine letzte gemeinsame Rast eingelegt hatten. von links: vorne: Helmut, Bernd, Irmgard, Melitta mitte: Hans, Georg, Sergej, Klaus, Gottfried, Hanso hinten: Thomas, Florin, Julia, Andi nicht im Bild: Alecsandra und Codrin
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