Psychologie und Management - management training coaching

P s y c h o s c o p e
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Psychologie und
Management
Marcel Lucien Goldschmid hat sich schon
seit je von der Psychologie angezogen
gefühlt. Bei seiner Leidenschaft für dieses
Fach spielen zwei grosse
Namen eine Rolle: Jung
und Piaget. Nach Lehrtätigkeiten an der UCLA
und an den Universitäten Berkeley, Kalifornien, und McGill in
Montreal lehrt er heute
Management-Psychologie an der Eidgenössischen Technischen
Hochschule in Lausanne.
Nach der Matura ging Marcel Lucien
Goldschmid für ein Jahr nach London
und arbeitete dort im schweizerischen
Tourismusbüro. Er begann psychologische Bücher zu lesen, vor allem Jung.
Zurück in der Schweiz begann Lucien
Goldschmid sein Studium an der Universität Zürich. Anschliessend ging
er nach Genf und besuchte die Vorlesungen von Jean Piaget. Bei diesem
Lehrer erhielten die Studierenden des
zweiten und dritten Jahres die Möglichkeit, im «Feld» zu lernen, wie man
forscht. «Wir machten in den Schulen
Experimente mit den Kindern und
mussten unser Experimentiermaterial
selber entwickeln, wobei uns die Assistenten von Piaget unterstützten»,
erzählt Professor Goldschmid und fügt
hinzu: «Für diese Zeit war so etwas
sehr aussergewöhnlich!» Die erhobenen
Daten wurden von den Assistenten und
Professoren im Umfeld von Piaget ausgewertet, was zu Publikationen führte.
Fragt man Marcel Lucien Goldschmid,
ob Piaget streng gewesen sei, so lautet
seine Antwort: «Er war hart und fordernd. Man musste gute Arbeit leisten.
Wenn er aber sah, dass man gut arbeite-
te, so konnte er dies auch anerkennen.»
Und weiter: «Piaget war so freundlich,
mir ein Empfehlungsschreiben für die
USA mitzugeben, und dies erwies sich
als wahrer Türöffner!»
Aufenthalt in den USA
Zu jener Zeit stellte Marcel Lucien
Goldschmid fest, dass die psychologische Fachliteratur hauptsächlich aus
den USA stammte. «Ich begriff schnell,
dass die USA im Forschungsbereich
einen grossen Vorsprung und einen sehr
breiten Horizont hatten.»
PsychologInnenTop-Jobs
Marcel Lucien
G o l d s c h m i d,
Honorarprofessor für
Management-Psychologie
an der EPFL
Er ging also nach Amerika und schrieb
sich für ein Jahr an der Universität von
Kansas als «Austauschstudent» ein,
wo er auch ein Stipendium erhielt. Der
Aufenthalt gefiel ihm ungemein, weshalb er sich 1962 entschloss, gleich mit
der Dissertation fortzufahren.
Der Psychologe schickte seine Bewerbungsunterlagen an mehrere Universitäten und erhielt zahlreiche Angebote.
Er entschied sich für die Universität
von Kalifornien in Berkeley, die weltweit über eine der besten psychologischen Fakultäten verfügt. «Es war wie
ein Traum. An einer solchen Universität
angenommen zu werden, ist sehr
schwierig: Man braucht gute Referenzen und hervorragende Noten.» Marcel
Lucien Goldschmid hat immer viel gearbeitet, um zu den Besten zu gehören
und sein Stipendium behalten zu können. Während der vier Jahre des Doktorats gönnte er sich keine Ferien, arbeitete jedes Wochenende und fuhr nie
in die Schweiz zurück. «Wir hatten
einen anderen Rhythmus. Wir begannen
um acht Uhr und arbeiteten meistens
bis neunzehn Uhr.»
Unter den Dissertanden herrschte viel
Konkurrenz. In diesem Zusammenhang
erinnert sich Professor Goldschmid an
eine Anekdote:
«Es war am ersten Tag: Wir waren im
Hörsaal, und man sagte uns: Schauen
Sie nach links, schauen Sie nach rechts,
denn diese Mitstudierenden werden
nächstes Jahr vermutlich nicht mehr
dabei sein!» Von den 400 Studierenden,
die den sehr selektiven Anforderungen
genügt und sich für das Dissertationsprogramm beworben hatten, wurden
nur 50 aufgenommen, und von diesen
schafften es nur 20 bis zum Abschluss.
Da man an der Universität Berkeley
wusste, dass Marcel Lucien Goldschmid bei Piaget studiert hatte, beauftragte man ihn mit der Vorbereitung der
Besuche des grossen Meisters aus
Genf in den Jahren 1962 und 1963. «Es
kamen viele Studierende, um ihn zu
hören, er war der Star. Er kam gerne in
die USA, da er merkte, dass man sich
da für seine Forschungen und Theorien
interessierte.»
1965 schloss Marcel Lucien Goldschmid sein Doktoratsstudium brillant
ab und erhielt den Doktortitel in Klinischer Psychologie. Mit dem Doktorat
in der Tasche fuhr er nach Los Angeles
und arbeitete von 1965 bis 1967
als Professor an der dortigen Uni, der
UCLA.
Ein neues Land
Bis zu diesem Zeitpunkt verfügte er
über ein Studentenvisum, aber mit seinem neuen Status als Professor bewilligten ihm die amerikanischen Behörden dieses nicht mehr. Wollte Marcel
Lucien Goldschmid auf amerikanischem Boden bleiben, so hätte er die
Green Card beantragen müssen, was
bedeutet hätte, für den Kriegsdienst in
Vietnam eingezogen zu werden. Dies
war für ihn aber undenkbar. Und da er
noch keine Lust hatte, in
die Schweiz zurückzukehren, schaute er sich um, wo
sonst er seine in den USA
erworbenen Kenntnisse
einsetzen könnte. So kam
es, dass er in Kanada fündig wurde. «Ich hatte
Glück, denn ich hatte nie
die geringste Schwierigkeit, eine Stelle zu finden.
Ich entschied mich für die
Universität McGill in
Foto: zVg
F SF PS P- - aa kk t t u ue le l l l
Montreal. Sie verfügte über die beste
Psychologie-Abteilung in Kanada.»
Professor Goldschmid blieb fünf Jahre
dort, von 1967 bis 1972. Auf der Grundlage der Theorien von Piaget entwickelte er neue Konzepte zur Entwicklung des Kindes und veröffentlichte
einige Werke. «Zugleich begann ich
mich für Hochschuldidaktik zu interessieren.»
Zwei Jahre nachdem Professor Goldschmid an der McGill-Universität begonnen hatte, beschloss man die Einrichtung eines universitären Unterrichtszentrums, dessen Leitung ihm
übertragen wurde. «Ich konnte ein
richtiges Forschungszentrum aufbauen,
Professoren, Assistentinnen und
Assistenten anstellen. Wir setzten auf
dem Campus etwas in Bewegung, entwickelten universitäre Lernstrategien,
um den Unterricht zu verbessern. Das
Ganze nahm ein ziemliches Ausmass
an.»
Zurück in der Schweiz
Als sich 1972 mit der Geburt eines
Kindes die Familie vergrösserte, ging
es zurück in die Schweiz. «Ich war
nicht überzeugt, dass die Erziehung
unseres Kindes in Kanada ebenso gut
gewesen wäre wie in der Schweiz.
Zudem war da auch die Klimafrage:
sehr kalte Winter und sehr heisse
Sommer.» Im Übrigen hatte der Psychologe von verschiedenen schweizerischen Universitäten Angebote erhalten,
da seine Laufbahn Interesse weckte.
Ab 1973 lehrte Marcel Lucien Goldschmid an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne EPFL
Psychologie. «Alle waren erstaunt. Ich
war einer der ersten, die an der EPFL
ein geisteswissenschaftliches Fach lehrten.» Der damalige Präsident der
EPFL, Maurice Cosandey, hatte eine
sehr breite Vorstellung, was eine universitäre Ausbildung umfassen müsse.
Marcel Lucien Goldschmid dazu: «Er
fand es normal, dass Professoren sich
didaktisch ausbilden liessen. Maurice
Cosandey schuf 1973 den Lehrstuhl für
Pädagogik und Didaktik und ernannte
mich zu dessen Leiter, was eine Ehre
für mich war.» Professor Goldschmid
organisierte danach auch Seminare für
universitäre Pädagogik an anderen
Schweizer Universitäten und war Mitbegründer und Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Bildungsforschung (SGBF).
Während der ersten drei Jahre lehrte er
Persönlichkeitspsychologie zugleich an
der EPFL und an der Universität von
Lausanne, organisierte wegen des unterschiedlich zusammengesetzten Publikums die Vorlesung allerdings anders.
Die Zukunft der Studierenden
Für Professor Goldschmid hat es im
Bereich der Psychologie viele Fortschritte gegeben, aber in Bezug auf den
Berufsstatus von PsychologInnen gebe
es noch viel zu tun.
«In den USA ist der psychologische
Beruf völlig anerkannt, da er in vielen
Bereichen zum Tragen kommt, sei es in
der Justiz, in Krankenhäusern, in Gefängnissen, Schulen oder auch nach
Katastrophen. In der Schweiz müssen
wir auch so weit kommen!» Er wünscht
sich ferner, dass Arbeitspsychologie,
Unternehmenspsychologie, Management- oder Human-Resources-Psychologie sich stärker entwickeln, denn:
«Die Studierenden haben Mühe, Praktikumsplätze oder Stellen in der Klinischen Psychologie zu finden, während es im Management viel mehr
Gelegenheiten gibt.»
Professor Goldschmid ist auch der
Meinung, die Ausbildung müsse überdacht werden, indem man Möglichkeiten zu praktischen Erfahrungen einführt. «Für das Lizenziat müssten
Praktika obligatorisch werden, und die
Fakultäten sollten die Studierenden in
diese Richtung unterstützen.» Auf diese
Weise würden die Studierenden nach
dem Abschluss leichter eine Stelle finden. «Ich hoffe, dass die FSP diese
Forderung und auch die Arbeitspsychologie unterstützt, denn die Arbeit ist
für die Menschen zentral. Alle Studien
belegen, dass man mehr Zeit bei der
Arbeit verbringt als mit anderen
Dingen.»
Management-Psychologie
2001 verliess Professor Goldschmid den
Lehrstuhl für Pädagogik und kümmert
sich seither um die Weiterbildung. «Ich
biete nun bereits im sechsten Jahr
eine Weiterbildung in ManagementPsychologie an. Ferner arbeite ich auch
als Berater, Ausbildner und Coach
in Firmen.»
Die Weiterbildung in ManagementPsychologie gliedert sich in drei Teile:
operatives Management, strategisches
Management und Change-Management – insgesamt 18 Module. In seinen
Vorlesungen behandelt Professor Goldschmid mehrere Aspekte wie etwa
ergebnisorientierte Kommunikation,
Konfliktbewältigung oder Entwicklung
von Kreativität, was ein sehr wichtiger
Aspekt für Unternehmen sei. «Wenn Sie
heute nicht innovativ sind, verschwindet Ihre Firma.» Und weiter: «Ich glaube, es gibt Dutzende von Bereichen im
Werdegang eines Unternehmens, in denen eine Psychologin oder ein Psychologe eine wesentliche Rolle spielen
könnte, um sowohl die Mitarbeitenden,
die Kader als auch die Firma selber in
ihrem Gedeihen und in ihrer Entwicklung zu unterstützen. Die Angestellten
profitieren, denn sie sind Teil eines bereichernden Umfeldes, in dem sie sich
entfalten können.»
Marcel Lucien Goldschmids Vorlesungen an der EPFL sind für Kadermitglieder bestimmt. «In der Regel sind
diese in Bezug auf zwischenmenschliche Beziehungen nicht besonders gut
ausgebildet. Meistens wird man Kadermitglied aufgrund technischer und
nicht wegen sozialer Kompetenzen»,
betont Professor Goldschmid. Es ist
aber genau diese menschlich-soziale
Dimension, die im Mittelpunkt seines
Unterrichts steht.
Fragt man Professor Goldschmid
schliesslich nach seinen Hobbys oder
Leidenschaften, so lautet die Antwort:
«Leider habe ich nicht viel Zeit, aber
ich mache ein wenig Sport», um sofort
hinzuzufügen: «Ich lese viel, vor
allem Fachliteratur zu Psychologie und
Management. Ich will die Welt der Psychologie mit der Welt der Unternehmen
verbinden, denn da gibt es noch viel
zu entdecken.» Und ganz ohne Zweifel
wird Professor Goldschmid zu diesen
Entdeckungen noch einiges beitragen.
Vadim Frosio